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Kunst zum Hören: Hans-Gratzer-Stipendium 2025

2025/5/8
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Ö1 Hörspiel und Radiokunst

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Shownotes Transcript

Der Hans-Gratzer-Preis ist eine Auszeichnung für eines von fünf Stücken, die vorher das Hans-Gratzer-Stipendium durchlaufen haben, weiterentwickelt worden sind hier am Schauspielhaus. Und dann wird eines dieser Stücke mit dem Hans-Gratzer-Preis ausgezeichnet und in der Folgesaison am Schauspielhaus Wien Uhr aufgeführt. Wir richten uns an angehende Autorinnen. Wir fassen den Begriff bewusst weit. Also man muss jetzt nicht studiert haben zum Beispiel an einer Schreibschule, sondern eigentlich...

können sich alle Menschen bewerben, die auf deutscher Sprache in dem Fall schreiben. Das sind Tobias Herzberg und Marie-Therese Auer vom Schauspielhaus Wien. Sie geben Auskunft zum Hans-Kratzer-Preis 2025. Hans Kreuz begrüßt Sie zu Sound Art Kunst zum Hören.

Das Hans-Kratzer-Stipendium und der Hans-Kratzer-Preis sind ein Nachwuchsförderungsprogramm für Autorinnen und Autoren. Aber lassen wir die Organisatoren selbst erklären. Tobias Herzberg und Marie-Therese Auer, was sind eure Aufgaben bei dem Wettbewerb? Ich bin Teil der künstlerischen Leitung und als Dramaturg hier am Haus für die Projektorganisation zuständig, gemeinsam mit den KollegInnen, vor allem auch im Dialog mit Marie-Therese, über

Ja.

Ja, also quasi die künstlerische Projektleitung. Das ist meine Aufgabe. Mir liegt das Hans-Kratzer-Stipendium ganz besonders am Herzen, weil ich, bevor ich überhaupt hier am Schauspielhaus zu arbeiten begonnen habe, auch am Hans-Kratzer-Stipendium teilgenommen habe. Und jetzt als Dramaturgin betreue ich das Hans-Kratzer-Stipendium organisatorisch und inhaltlich, sowohl die Workshop-Phase als auch die Werkstattlesungen bis hin jetzt zum Beispiel zu den Hörspielen.

Was ist das Besondere am Hans-Kratzer-Stipendium? Beim Hans-Kratzer-Stipendium haben fünf Stipendiatinnen eben die Möglichkeit, in mentorierten Workshops ihre Texte weiterzuentwickeln. Mentoriert durch eine erfahrene Autorin und das war in diesem Jahr Tanja Schleber. An wen richtet sich der Wettbewerb eigentlich? Also wir richten uns an angehende Autorinnen. Wir fassen den Begriff bewusst weit. Also man muss jetzt nicht studiert haben zum Beispiel an einer Schreibschule, sondern eigentlich klare

können sich alle Menschen bewerben, die auf deutscher Sprache in dem Fall schreiben. Und was gibt es zu gewinnen? Es gibt eine Uraufführung zu gewinnen. Das heißt, ein Stück wird ausgewählt, um am Schauspielhaus Wien eben produziert zu werden, unter professionellen Bedingungen, als reguläre Produktion im Programm des Schauspielhaus Wien.

Ist der Hans-Kratzer-Preis auch mit einem Preisgeld verbunden? Der Autor oder die Autorin, die ausgezeichnet wird, erhält einen Stückauftrag in Höhe von 8000 Euro zur Ausarbeitung des Stückentwurfs.

Heute gibt es kurz Hörspiele zu hören. Marie-Therese Auer, bitte um etwas Info. Das sind Hörstücke, die von Regiestudierenden des Max-Reinhard-Seminars entwickelt wurden. Und das ist Teil des Hans-Kratzer-Stipendiums, dass eben fünf Autorinnen die Gelegenheit haben, hier am Schauspielhaus in mehreren Workshop-Phasen an ihren Textentwürfen zu arbeiten und diese Textentwürfe eben auch hier über diese Hörstücke eine Öffentlichkeit bekommen.

Mehr zum Publikumspreis und wie die Jury ausgewählt hat, erfahren Sie im Laufe der Sendung. Kommen wir zum ersten Stück. Da heißt es, Angst kommt aus Österreich. Ist das so? Also für den Autor Arata Biri, der schreibt über die Austrian Angst und in dem Stück eben geht es um zwei junge Menschen, Emma und Mohammed.

die im gleichen Haus in Wien aufwachsen und obwohl ihre alltäglichen Erfahrungen, vor allem die Widerstände, denen sie in ihrem täglichen Leben begegnen, unterschiedlicher nicht sein können, teilen sie eine intensive Freundschaft und eben auch ein intensives Gefühl. Und das ist die Angst, über die Arad Tabiri hier schreibt und die wir gleich hören. Angst kommt aus Österreich, das weiß ich ganz genau. Aber sie bleibt nicht hier. Sie wandert aus. Eure Angst vor mir. Meine Angst vor euch. Ein Dauerzustand.

Ich frage mich: Schließe ich mich ein? Halte ich mich zurück? Im Verborgenen? Oder gehe ich da raus, vor alle Augen und biege krumme Rücken wieder gerade, nur um meine beschissene Geschichte zum Leben zu erwecken? Denn ich wollte das ja nie. Jung zu sterben, um in Geschichten zu leben. Ein Scheißkonzept. Doch die Wahl hat man eben auch nie. Und jetzt seht mich an. Ich bin das geworden, was ihr wolltet. Ich bin aggro. Gewalt frisst mich auf. Angst.

Nagt an den Knochenresten. Wer will mich testen? Ihr kriegt, was ihr verdient. Wovor ihr am meisten Angst habt. Die schlechteste Version meiner selbst. Macht euer Maul auf. Oder seid ihr für immer still? Macht eure Augen auf. Oder seid ihr für immer blind? Ich habe deine Mutter letztens im Flur getroffen. Was sagt sie? Sie macht sich genauso Sorgen. Natürlich. Ich mache doch nichts. Eben. Sie sagt genau so. Du meidest Tageslicht. Weil sie sowieso enttäuscht ist.

Du hast das Studium abgebrochen. Also kannst du dir denken, was sie denkt. Dass ich auf der Straße ticke, aber dabei eigentlich das Leben studiere? Ich sehe deine Mutter übrigens kaum noch am Flur. Sie macht ihr Ding. Allein, wie immer. Und der andere ist endlich weg. Mo? Emma? Ich tue manchmal nur so. Ich weiß. Woher? Ich kann deine Schreie wieder hören. Durch die Wände. Durch das Haus. Es ist okay.

Es ist die fünfte Nacht in Folge. Die sechste. Die Schreie... Die sechste Nacht in Folge. Es ist nicht okay. Ich schlafe eben schlecht. Schläfst du überhaupt? Wie hätte ich schlafen sollen, wenn ich noch seine Stimme und ihre Schreie höre? Sorry. Ich komm klar. Da wäre ich jetzt nicht so sicher. Und jetzt findest du das witzig, oder was? Anpassung. Außerdem ist Schlaf überbewertet.

Noch wach? Seit gestern Nacht? Sie war auch lang die Nacht. Aber nicht unsere. Und legen wir uns jetzt ins Bett. Die Augen zu. Was dann? Wieder ein Albtraum. Wieder ein Alpentrauma. Und dann wieder zitternd wach. Wieder bitterlich verkrampft. Man kann dein blaues Auge noch sehen. Ach, nur... Aggression. Kopfschmerzen. Immer willst du anders sein. Wenn man mich so will, dann bin ich ebenso.

Der Scheiß ist nicht witzig. Jetzt? Plötzlich? Es tut mir doch auch weh, Mo. Wo denn, Emma? Links. Oben. In der Brust. Irgendwo da. Hauptsache nicht im Kopf. Aber es geht über den Kopf. Das ist natürlich scheiße. Weißt du, mir hat mal wer gesagt, dass all meine Probleme nur Kopfsache seien. Und was hast du geantwortet? Ja, verfick, wo soll das Problem denn sonst liegen? In meinen Zehen oder was? Hmhm.

Stark. Auf Ignoranz reagiere ich nur mit Arroganz. Das Haus. Die ersten Jahre ihres Lebens. Vergangen wie im Flug. Und Angst eingenistet in Köpfen. Seit eh und je. Hier, wo sie leben, seit eh und je. Wo es modert, wabert. Wo der Komplex noch atmet, aber schleppend. Die Aufzüge kaputt. Das Treppenhaus kalt. Die Fenster niedicht.

der Wind fegend durch ein altes Haus und leere Gänge, während die Briefkästen voll Mahnungen, Erwartungen, wo es nach Schweinsbraten aus Tür Nummer 8 und nach verbranntem Safranreis aus Tür Nummer 32 riecht, aber wo sonst das Leben durcheinander durch, wo sich niemand sieht, wo es kälter, wärmer, unzählige Male, unzählige Jahre,

Dort geblieben. Und genau dort, in diesem kuriosen Gebilde... Passieren die beiden. Gehen die beiden. Vonstatten. Ihre Existenz.

Wo Ignoranz ihnen bekannt, weil ihre Gesichter sich noch unbekannt. Wo sie, genauso wie alle, nur ein fremdes Gesicht, unsichtbar, füreinander, miteinander dabei, aneinander vorbei lebten. Und heute, hier, jetzt, der Hauseingang, wo die Geräuschkulisse, das Leben und Keuchen des Brunnenmarkts von der Seite in die Ohren jagt.

Wo sie sitzen auf den Stufen. Brüchig und alt. Wo sie sich geben. Gegenseitig halt. Wo sie in irgendeiner Nacht. Stufe für Stufe hinab. Habt doch bitte keine Angst von Adat Dabiri. Es lasen Diyar Agit und Jasmin Weismann. Regie Vincent Busche. Tongestaltung David Lipp.

Im zweiten Stück, das im Rahmen des Hans-Kratzer-Stipendiums 2025 entstanden ist, kommt die Frage auf, wie über eine Vergewaltigung künstlerisch wertvoll geschrieben werden kann.

In Babygirl von Carlotta Huys geht es eben um den statistischen Worst Case und Babygirl bleibt keine Vergewaltigung, kein Fatshaming, kein Mansplaining oder so erspart. Und Carlotta Huys versucht eben über all diese sexistischen Problematiken in unsere Gesellschaft zu schreiben und das mit einer sehr großen Portion von widerständigem Humor. Alle bereit?

Jetzt wäre der Moment, um zu gehen. Ich würde das verstehen. Ich halte es ja selber kaum mehr aus. Nein? Okay, passt. Diese Geschichte ist für Lilly, die mir ein Punk-Konzert versprochen hat. Aber auch für Valerie, Sandra, Tammi, Christa, Nia, Noma, Soel, Zeynep, Laura, Ursula, Anja, Anja, Lena, Claudia, Doris, Lara und alle, die mir von sich erzählt haben und alle, die mir zugehört haben.

Schönen guten Abend, wir sind Babygirl. Und jetzt geht es los. Drei, zwei, eins, null. Es beginnt mit einer Geburt. Weil ja alles mit einer Geburt beginnt, hat ein Ex-Freund mir erklärt. Da wünscht man sich ein Kind und es wird ein Mädchen.

Schreien. Die ganze Zeit schreien. Denn Babygirl ist kein glückliches Kind. So wie ihre Mutter keine glückliche Mutter ist. Sie würde auch gerne schreien. Was soll diese Scheiße? Denn das war anders abgemacht. Denn ihr wurde die ganzen 90er Jahre lang Girlpower versprochen. Wurde versprochen, dass das doch jetzt alles kein Problem mehr sei. Dass der Feminismus gesiegt habe und die Spice Girls...

Und jetzt sitzt sie hier mit diesem schreienden Mädchen. Baby, Babygirl. Und würde auch gerne schreien. Und würde damit der Sprachlosen, der Sprache nicht mächtigen, zum Schreien verdammten Babygirl aus der Babyseele sprechen. Denn sie hat ja auch wieder niemand gefragt. Denn das war anders abgemacht. Niemand hat Babygirl vorgewarnt. Gewarnt vor diesem Leben. Eins, zwei, drei, vier, fünf.

Aber das Leben geht weiter, hat mir mein Vater erklärt, als ich vom Fahrrad gefallen bin und als meine Katze gestorben ist und als er meinen Schoko-Osterhasen aufgegessen hat. Babygirl lernt Ball spielen, aber eigentlich will sie nur eine Barbie, so eine schöne. Aber Babygirl ist zu dick, findet ihre Oma. Ob sie denn keinen Sport machen wolle, ob sie denn diesen Apfelsaft wirklich trinken müsse, ob sie sich denn nicht mal bewegen wolle. In dem Kleid sieht das Kind aus wie eine Wurst.

Wäre reingeschossen. Hübsch ist sie ja nicht. Später werden Babygirl und ihre Freundinnen sich in den verschiedensten Essstörungen ausprobieren. Und manche werden die Ausdauer beweisen, lang dabei zu bleiben und kotzen, findet Babygirl am besten. Der scharfe und schwer zu vertreibende Geruch des Anverdauten macht das Ganze so real. 6. Die Welt steht dir doch offen. Du hast doch alle Möglichkeiten. Du könntest Mathe studieren oder Physik.

"Das ist nicht mehr wie früher", erklärt ein Freund meiner Eltern. So steht Babygirl nun also vor ihrem Leben, dessen Ernst wohl nun losgehen soll, denn sie kommt in die Schule. "Mama?" "Ja, mein Mädchen?" "Wo ist meine Schultüte? Mein Schuh kneift. Ich hasse dieses scheiß Kleid. Ich will da nicht hin. Ich will nach Hause. Lass mich los!"

Doch niemand lässt sie. Und schon gar nicht sein. Denn jetzt geht es los. Schon wieder geht es los mit der Bewertung. Zu dick, zu sehr und auf jeden Fall zu viel Mädchen. Und gleichzeitig zu wenig. Also zu laut, zu anstrengend, zu aggressiv und dann noch diese verfickt unanständige Ausdrucksweise. Aber ich bin doch erst sieben, sagt Babygirl und fragt sich, wie das denn alles gehen soll.

Sie wird lernen, wo ihre Kernkompetenzen zu liegen haben. Kooperationsbereitschaft und Einfühlsamkeit und Rücksichtnahme. Und bloß niemandem von der Einzelmatte erzählen. Denn das ist nun wirklich nicht sexy. Aber ich bin doch erst zwölf.

Es ist nie zu früh, um sich über die eigene Sexiness Gedanken zu machen. 13, 14, 15, 16, 17, 18. Man muss die Dinge auch mal von oben betrachten, erklärt mir ein Freund. Du darfst nicht immer gleich alles so persönlich nehmen.

Eine Feier. Denn in diesem Alter gibt es ja ständig was zu feiern. Das liebt Babygirl. Besonders das Feiern. Auch den Alkohol hat sie für sich entdeckt. Schutz, Schutz, Schutz! Noch ein Schluck Babygirl los. Los! Endlich geht das Leben. Kribbeln. Vorfreude. Auf was? Egal!

Denn sie weiß noch nicht, dass sie heute noch das erste Mal vergewaltigt werden wird. Babygirl dreht sich im Kreis. Ihre besten Freundinnen neben ihr. Alle. Sie sind erwachsen. Endlich frei. Wozu? Egal. Hände an ihren Hüften. Umdrehen. Küssen. Ist das schön. Hände an ihren Hüften. Auf ihrem Arsch. Das fühlt sich gut an. Komm mit. Flüstert er ihr ins Ohr. Und sie kommt mit.

Das will sie ja auch. Babygirl ist bereit. Wofür? Das weiß sie auch noch nicht so genau. Aber das hier jetzt mit ihm, das ist... das... Oh! Und Babygirl weiß, was sie fragen muss und sie fragt... Hast du ein Kondom? Brauchen wir doch nicht. Also ich würde schon lieber... Jetzt sei doch nicht so zickig. Nee, ich will das so nicht. Das ist doch nicht zickig. Stell dich nicht so an. Nur kurz. Lass das. Nur kurz. Lass mich. Ich will das nicht.

Und dann wird sie still. Und dann wehrt Babygirl sich nicht, weil sie gar nicht weiß, wogegen. Und dann wehrt sie sich nicht, weil sie weiß, dass er stärker ist. Und dann wehrt sie sich nicht, weil sie sich nicht daran erinnern kann, wie man die eigenen Hände bewegt. Sind das überhaupt ihre Hände?

Und dann wehrt sie sich nicht, weil sie nicht weiß, dass sie sich wehren müsste. Am besten kratzen, damit seine Hautzellen unter ihren Fingernägeln hängen bleiben. Damit man ihr überhaupt glaubt. Und dann wehrt sie sich nicht, weil das ihr bester Freund ist. Und dann wehrt sie sich nicht, weil sie Angst hat zu sterben und doch weiterleben will. Und dann wehrt sie sich nicht und wehrt sich nicht. Wie schreibt man eigentlich über Vergewaltigung, sodass es interessant ist? Künstlerisch wertvoll ist?

erfahrbar ist oder distanziert, von oben betrachtet, über sich schwebend, sie reglos, er erregt. Von was? Egal. Babygirl versteht später, dass man das Dissoziation nennt. Und sie versteht, dass die meisten Frauen, die gerade zuhören, sich das sowieso schon sehr gut vorstellen können. 19, 20, 21, 22, 23.

Wenn du immer so wütend schaust, dann macht das hässliche Falten. Dann macht das hässlich. Und du bist doch nicht hässlich, erklärt mir mein Großvater. Und Babygirl ist Anfang 20 und kommt so langsam im Leben an. Erlebt schöne Dinge mit ihren Freundinnen. Alles Faszinierende und Kluge und Wütende.

Denn andere Frauen sind nicht ihre Feininnen, hat sie gelernt, hat sie verstanden. Das ist endlich der Teil der Geschichte übers Einander halten und miteinander sprechen. Über all die Dinge, die ihnen passieren. Angetan, Teil ihrer Geschichte, das Teilen der Gedanken und Ängste. Und irgendwann, da sprechen sie auch über ihre Wunden, ganz leise und ganz vorsichtig. Und sagen, es tut mir so leid.

Das kenne ich. Kann ich dir helfen? Und irgendwann sprechen sie über Systeme. Systeme, die sie niederbrennen werden, wenn sie endlich nicht mehr ihre ganze beschissene restliche Energie ins Überleben stecken müssen.

Und hier könnte man sich jetzt einen weiteren Teil der Geschichte vorstellen. Hier entsteht für sie ein kleines Utopia, in der alles gerecht zugeht. Und kein Babygirl Gewalt erfahren muss. Und Männer Gefühle zeigen dürfen. Und Kinder frei aufwachsen. Und alle, auch Babygirl, in Ruhe und Gemeinschaft, alt und runzlig. Und alle alles sein können. Und alle lieben dürfen. Wie schön wäre das. Doch gerade steht hier nur ein Schild.

Sie hörten Babygirl – Geschichten ohne Happy End von Carlotta Huys. Es spielten Lara Horvath, Tara Michelsen, Claudia Sobotta. Regie Anja Jemts. Ton und Schnitt David Lipp.

Im nächsten Stück des Hans-Kratzer-Stipendiums 2025 kommt es zu einem Familientreffen während einer Autofahrt. Mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde »Im Vorbeigehen«, »U Pro Lasu« von Mattea Cadellis. Ein Stück, das eigentlich aus der Ich-Perspektive beginnt. Wir folgen einem Ich-Erzähler, ein junger Mensch aus Serbien, der in Deutschland studiert, auf einen Heimatbesuch. Er wird am Flughafen von seinen Eltern abgeholt, steigt ins Auto und

Und diese Autofahrt wird zu einer Zeitkapsel. Wir folgen Gesprächen über ganz Alltägliches, die eigentlich grundlegende Identitätsfragen verhandeln, über Schuld und Druck und eben auch über Sexualität. Wir erleben immer wieder Rückblicke in die Vergangenheit, in das Aufwachsen, in die familiären Strukturen und

Was ganz besonders ist, dass sich eben in diesen familiären Strukturen ganz viel politische und geschichtliche Struktur abzeichnet. Und das erleben wir auf eine sehr persönliche und sehr bewegende Art und Weise. Das Publikum ermittelte den Publikumspreis übrigens bei der Werkstattlesung und Preisverleihung am 15. Februar 2025 schriftlich in einer Saalabstimmung.

Falls dir etwas in diesem Text grammatikalisch falsch oder einfach komisch klingt, streiche es gerne in Gedanken raus. Es macht mir nichts aus, wirklich. Ich bin sehr froh, dass ich es überhaupt gewagt habe, diese Geschichte in dieser Sprache zu erzählen.

Langsame Fahrt durch den Flieger, der gerade landet, zeigt die Gesichter der ermüdeten Leute, die heute Morgen um halb sechs aufstehen mussten, um zu einem kleinen Flughafen zu fahren. Nur weil der Flug aus dem eigenen Wohnort zu teuer für sie war. An dieser Fluglinien sind oft die gleichen Leute zu sehen. Der Flieger ist für sie fast wie ein Familienhaus.

Ein altes Wohnzimmer, in dem sich die Leute durch denselben Wunsch, ihre Familie wiederzusehen, leicht erkennen. Langsam läuft der Blick durch den Raum und kommt endlich zu einem Jungen. Er wartet, bis zwei Mütter mit ihren Babys rausgehen. Jetzt bewegt sich die Schlange. Er kommt raus an die Luft. Eine Hitzewelle überläuft ihm. Und er bleibt für einen Moment stehen. "Hier bin ich auch zu Hause", denkt der Junge.

Hey. Hey.

Deine Haare sind echt lang gewachsen. Ja, ich habe noch keinen guten Friseursalon gefunden. Stimmt nicht. Ich hatte in der letzten Zeit einfach kein Geld dafür. Bestimmt findest du was bald. Du kannst sie auch hier schneiden lassen. Nächste Woche gehe ich eh zur Friseurin. Vielleicht können wir zusammen hingehen. Ich werde sehen. Wie geht's dir? Mir ist warm. Das Wetter ist schrecklich. Meine Mutter, eine Safe-Playerin. Es ist echt warm. Die Hitze ist nicht mal das Problem, sondern die Schwüle. Dort ist es nicht so, oder? Nein.

Nur warm. Das ist hier wie eine Wüste. Komm, Papa konnte keinen Parkplatz finden. Er wartet auf uns bei diesem... bei dem... Bei dem... Ach, wie heißt es? Bei diesem Ort, wo du nur drei Minuten parken darfst. Kiss and Fly. Wie? Kiss and Fly heißt das. Ja, genau. Dort wartet er. Okay, gut. Wie geht's ihm? Er hatte in den letzten Tagen viel zu erledigen. Wegen allem. Ich glaube, das hat ihn ein bisschen müde gemacht. Aber sonst wie üblich.

Hinter uns das lange Quietschen eines Fliegers erinnert mich, dass ich hier nur ein paar Tage bleiben werde. Nur zum Besuch. Dieser Gedanke beruhigt mich für einen Moment und dann kracht die Autohupe. Er macht das immer. Hey, na, alles klar? Ja. Wie geht's dir? Gut. Das Wetter ist ein bisschen nervig, aber so ist es halt. Ja, es ist echt schwül in letzter Zeit. Zum Kotzen, oder? Ja. Wie ist das Wetter bei euch? Ich hab ihn das schon gefragt. Gut ist es.

Nicht so warm wie hier. Ich hab mich schon an die Hitze gewöhnt. Ich kann mich an solche Sachen gut anpassen. Kein normaler Mensch kann sich daran anpassen. Besonders wenn die Klimaanlage im Auto kaputt ist. Na echt jetzt?

Ja, seit vorgestern. Naja, so ist es. Das Auto ist halt alt und ich hatte keine Zeit zum Service zu gehen. Es ist die Frage, ob es dieses Jahr die Hauptuntersuchung überhaupt besteht. Das ist nicht die Frage. Es wird sie bestehen, aber es ist halt alt. Es ist in einem schlechten Zustand. Gut. Du sagst schlechter Zustand und ich sage, dass es einfach alt ist. Menschen werden alt, die Autos auch, deswegen funktioniert die Klimaanlage nicht. Alles andere ist tiptop. Alles klar.

Wir werden auch ohne sie überleben können. Natürlich werden wir. Nun erzähl mal, was gibt's denn Neues? Er zündet die Zigarette an und schaut mich kurz in den Rückspiegel an und wartet darauf, dass ich etwas Interessantes erzähle. Dass ich ihm sage, wie es mir geht, als ob das etwas ganz Gewöhnliches wäre, als ob wir über solche Sachen jeden Tag reden würden. Als ob er das wirklich wissen will und nicht nur das Zeug sucht, um das Schweigen zu kaschieren.

die Jahre voller Schweigen zu verbergen. Es gibt nichts Neues. Kannst du bitte nicht im Auto rauchen? Wie gibt's nichts Neues? Ich hab alles an der Uni erledigt und hab jetzt Ferien. Also nichts Neues, seitdem wir telefoniert haben. Das war schon lange her. Nun, seitdem gab's nichts Neues. Alles klar. Und die Arbeit? Es läuft. Du arbeitest nur an Wochenenden, oder? Was heißt hier nur an Wochenenden? Er hat Uni. Die ganze Zeit. Ich frag ja nur.

Manchmal auch unter der Woche. Aber das ist selten. Und bist du noch in dem Café? Restaurant. Ah, es ist ein Restaurant. Ja, seit zwei Jahren schon. Er hört nie zu. Ich hab's vergessen. Möchtest du Wasser? Ja, bitte. Und, wie sind die Leute? Welche Leute? Weiß ich nicht, deine Kollegen, Freunde, Leute von der Uni. Du würdest sagen, du hast...

Wie sagt man das? Deinen Platz gefunden? Mein Gott. Er lebt ja seit fünf Jahren. Natürlich hat er seinen Platz gefunden. Okay, darf ich nichts fragen? Musst du wirklich im Auto rauchen? Muss ich nicht. Nur noch einen Zug. So, jetzt ist sie aus. Alle zufrieden? Er macht das Fenster zu und der Rauch bleibt noch in der Luft schwebend. Sie öffnet ihr Fenster bis zur Hälfte und atmet deutlich durch. Wir fahren an der Landschaft vorbei, die ich fast auswendig kenne.

Denn wir sind so oft diesen Weg gefahren. Auf dem Weg zum und vom Flughafen. Immer dieselbe Route. Immer dieselbe Gedanken. Immer dasselbe Bild. Und diese eine Linie. Die Sonne streckt sich über goldene Felder, grüne Bäume, kleine Städte in der Ferne. Sie streckt sich über den ganzen Vormittag und folgt uns, als wir in die Richtung meiner Heimatstadt fahren. Fahren wir durch die Stadt? Wir haben keine Zeit dafür. Wieso fragst du? Einfach so.

Papa wollte, dass wir direkt zu dem Haus fahren. Okay. Brauchst du etwas aus der Wohnung? Nein, aber ich habe Hunger. Deshalb habe ich gefragt. Hast du nichts gefrühstückt? Ich frühstücke nie. Wie, frühstückst nie? Ich frühstücke einfach nie. Ich mag es nicht. Meine Güte, wir haben jetzt echt keine Zeit, durch die Stadt zu fahren. Das war nicht der Plan. Ich habe nur diese Kekse hier. Willst du sie haben? Ich hätte lieber was Richtiges. Ich habe nichts anderes.

Vielleicht können wir doch durch die Stadt fahren. Du wolltest eher zur Tankstelle gehen. Das wollte ich, aber nicht in der Stadt, sondern auf dem Weg. Welchen Unterschied macht das? Ich will nicht, dass wir Zeit verlieren. So viel Zeit ist es jetzt nicht. Alles gut.

Ich muss nicht essen. Das wären nur 15 Minuten oder so. 15 Minuten in der Stadt, dann noch 15 Minuten aus der Stadt rauszukommen und mit den Bauarbeiten auf der Strecke weiß ich eh nicht, wie lang wir brauchen. Wir müssen es nicht machen. Ich kann die Kekse essen. Wir wollten eh zusammen zum Abendbrot kochen, wenn wir da sind. Ja, du! Aber das dauert eine Weile. Eben. Je schneller wir fahren, desto früher sind wir da. Und morgen müssen wir ja auch früh aufstehen mit der ganzen Familie und allen.

Ich will einfach nicht, dass wir heute Abend erst spät da sind. Ist alles in Ordnung. Ich werde es überleben. Draußen merke ich sie wieder. Draußen liegt sie ruhig, die Linie. Es war doch der Plan, dass wir dich abholen und direkt hinfahren. Alles gut. Was soll ich damit, dass du nichts gegessen hast? Wir müssen nicht hin. Ich will einfach, dass wir morgen ausschlafen können. Es wird ein langer Tag, es gibt viel zu tun. Manchmal rechtfertigt sich mein Vater, ohne dass ihn jemand überhaupt etwas gefragt hat.

Ich glaube trotzdem, dass es uns nicht viel Zeit kosten würde. Mama, wir müssen nicht mehr drüber reden. Die Kekse sind echt viel zu wenig. Na klar, wenn er den ganzen Tag nichts gegessen hat. Wer macht schon sowas? Wir müssen nicht wegen mir durch die Stadt fahren. Was würdest du denn essen? Nichts. Sei jetzt nicht trotzig. Ist mir egal, was ich essen werde. Wo soll ich denn hinfahren? Keine Ahnung. Fahre einfach ins Zentrum. Da finde ich bestimmt was. Gut. Danke. Gut.

Wir fahren an der Landschaft vorbei, die ich fast auswendig kenne. Denn wir sind so oft diesen Weg gefahren. Auf dem Weg zum und vom Flughafen immer dieselbe Route, immer dieselbe Gedanken, immer dasselbe Bild. Und diese eine Linie.

Dieses unendliches, unzerbrechliches Bild. Dieses Gesicht, das uns verfolgt. Und die Bäume rennen einfach an uns vorbei. So schnell, dass sie zu einem Baum werden. Zu einer grünen Linie, die das, was unten ist, von dem, was oben ist, teilt. Diese Linie, sie fängt nirgendwo an und sie hört nie auf. Sie grünt einfach den ganzen Weg. Sie begleitet das Auto, in dem wir sitzen. In dem wir verschmelzen. In dem wir zerlaufen.

Sie hörten Im Vorbeigehen, Uprolajo, ein Erinnerungsversuch von Mattia Galdelis mit Marco Keresovic, Tara Michelsen und Felix Kaspar Künzli. Regie Jakob Wernisch, Tongestaltung David Lipp.

Das vorletzte Stück des Hans-Gratzer-Stipendiums thematisiert Zwischenräume zwischen den Figuren. Also in den benannten Plätzen von Leo Squera treffen wir eigentlich auf zwei Figuren, einem Mann und eine Frau und auf einen Chor. Und es geht eben um Aufbrechen, um Ankommen, um seinen Platz zu finden oder in einem Zwischenraum zu verharren. Es gibt Beziehungen.

gibt Bezüge zur Ehrfahrt des Odysseus und vor allem so poetisch-sprachliche Bilder, die immer wieder in Fragmenten auftauchen. Und ich lade die Hörerinnen jetzt ein, sich genau auf diese fragmentarischen Bilder einzulassen und sich von ihnen tragen zu lassen. Die benannten Plätze von Leos Quera Eine Landschaft spricht in Mehrzahl, verkörpert durch den Chor. Sein Sprechen ist das Schweigen, ein Echo, das sich selbst genügt. Im Schatten des Mythos um Odysseus wandelt seine Geliebte,

Verborgen an dessen Seite eine unsichtbare Spur. Die Frau, die nie benannt wird. Doch nun verweigert sie ihr Schicksal und löst sich aus der Stille. Das Glück sucht Wiederholung nach dem Ende. Wo ist dieser Ort? In dessen Kopf? So einsam ist ein Chor und müde. Auf Anfang.

Bekleidet mit den Stimmen, die ich spreche, ohne mich zu wundern. Niemals Antworten zu geben, auf keine Fragen. Wie fühlt es sich an, von diesem Ort zu sein? Genau hier und nicht weiter. Keine Rückkehr in die Fremde möglich. Unsere Traum geschlossen, können wir die Bilder teilen. Stein an Stein geflossen, Mann und Frau oder nur die Frau. Wir dahinter stellen sie zur Schau.

hinter der geschmückten Maske, nackt in Zahlen. Wir beginnen immer wieder, zählen ab der Null, alles zusammen, was wir in die Hände kriegen. War da noch ein Mann? Wie viele geben sich den neuen Namen, die gerufen werden in die Freiheit einer Arbeit? Das hier ist ein Fest. Ich wiederhole gnädig, gebe keine Ruhe, bis wir alle bleiben in dem Glück ertrunken, das wir ausspucken.

Wir gehören allen nach Bedürfnissen. Ich sage restlos. Wer dagegen ist, soll nichts besitzen. Keine der Ruinen nicht. Die Überreste von den Völkertoten.

Jedes Wort ein Anfang auf meiner Zunge. Nur eine Pause ist nicht erlaubt. Spreche. Hier kamst du, Mann. Nicht aufhören. Alles soll sich drehen. Wir sind eingeteilt in Fetzen. Mehr ist nicht mehr nötig. Um sie zu verbinden an den scharfen Kanten. Da war doch jemand. Eine ganze Stimme. Durch Akzent gebrochen. Allein sein ist verboten. Wir, wir, wir. Ich höre keine Widerrede in Gedanken. Alle sind ein Teil.

Ich bin Odysseus' heimliche Geliebte, nie genannte. Nichts erzählt er von der gut versteckten Frau. Oder habe ich den Text vergessen? Die gelöschten Zeilen des Diktators ohne eines Landes Mann. Du bleibst zu lange in dem Vater, der mich früh verlassen. Ich reiße jede Grenze nieder für die Heimkehr. Bist du wirklich Zeuge oder hast du uns erfunden? Eingeschrieben, was ich sagen sollte über deine Reise.

Name von der Straße, wie die fremden Kleider, die an dir nicht sitzen. Nicht für dich geschnitten. Kannst du dich erinnern? Ich. In Uniform, mit anderen Gesichtern. Viele einer Kindheit ohne Bilder. Höchstens Gruppenfotos. Oben in der Ecke. Nicht zu sehen, aber gleiches Hemd und Hose. Staub. Von der immergleichen Straße. Und nicht weiter als die Rufe aus immergleichen Fenstern. Die Details verschwimmen.

Tropfen aus stillgelegter Leitung, rostbefleckte Flächen, Königreiche mir allein gewidmet. Noch einmal, sprich mir nach.

Ich, Autor in der Lebensmitte, in der kleinen Stadt geboren mit dem übersetzten Namen, später Kindergarten mit den Ruhepausen, die Augen geschlossen, Loch im Zaun, später Schule mit dem feierlichen Eingang, Tempel neuen Volkes, immer jemand anderes, der darüber wachte, über stille Gänge, immer jemand anderes, der darüber wachte, über stille Gänge, ich muss mich verbeugen,

Jetzt beginnt die Stunde, die ich schwänze in den Straßen. Ruhe, wo die Wände standen,

Albtraum den Nächten. Selbstgebastelte Soldaten mit den echten Waffen kämpfen meine Schlachten in gemalten Reihen. Nimmer müde. Der Geruch von frischem Brot und Bauchschmerzen. Alles dreht sich. Wir feiern alle Feste ohne Datum. Getrieben von dem Anlass. Tag für Tag ein Jubiläum. Beine, Arme in den Dienst der Sache.

Niemand soll sich rühren, aus der Bewegung ausbrechen. Keine Uniformen nötig, keine Waffen. Wir sind unverändert hier auf alten Posten, in gestützten Grenzen. Neu gedruckt, die Karten und Atlanten. Sauber gewischt, die Tafeln mit dem Zuckerwasser gegen Blutreste. Einzig das zerkratzte Schwarz wird fingernach empfunden. Blind ist der Gehorsam in der Wiederholung alter Aufgaben.

Noten sind für immer. Sie bezeugen Tugend. Oder keine. Sprechen wir uns nach. Wir sind Geschichte. Einen schönen guten Tag. Wir heißen Sie... Ich heiße niemand. Tausche mein Auge gegen das Ihre und Wasser gegen Wein. Ich habe doch geschworen, immer die Wahrheit zu sagen. Viel zu stumm zum Lügen. Rost allen Metallen außer den edlen. Wir verschmelzen und sind wieder stets derselbe Körper mit derselben Stimme.

Augen verengt zu schlitzen, um ein Kind zu bleiben. Erst das linke Bein und dann das rechte. Arme nicht vergessen, zu dem Rhythmus. Wir sind ohne Atem, arbeiten in den Gebeten, beten in der Arbeit. Keine Zeit zu sterben. Nicht schon wieder. Nach dem Überleben, Vollbeschäftigung und Überstunden. Und helle Nächte von dem Schein der Waren, die wir uns bezeugen. Made in derselben Landschaft. Fremdes Wort für Heimat. Stück für Stück.

Verkauft. Qualitätsbewusstsein. Andere sind nicht erlaubt. Niemals wieder. Der Geschichte. Neben Arbeit auf Leichenberg empfangen. Zugeschüttet mit geteilter Erde. Die wir uns versprachen. Sand auf verbrannte Mühlen. In dem schönen Zufallsmuster. Und weiter in die Augen. Zwischen die Zähne. In die Ohren. Wir flüstern mit zerkratzten Stimmen.

Höre zu. Freundschaft in der Geste. Einsamkeit, Freiheit, Diktatur. Ich weiß, nur einmal. Wiederholung bleibt verboten. Bilde mir nichts ein. Du kannst nur dir gehören. Bleiben wir im Rausch bitte. Wessen Hand soll ich zuerst bewegen? Kann das eine Chronik fassen? Gesten, angeordnet in den Listen, die gedruckt sind und beliebig oft kopierbar. Immer gleiche Sätze gegen immer gleiches Schweigen. Vergetauscht.

In der Stadt, die du Ruine nanntest, gegen das Verbrennen, bis wir uns vergessen und erfinden. Eine für uns alle. Wir wollen nichts. Woran soll sie uns messen? Im Wachstum ist der Tod verborgen, den wir alle fürchten.

Will sie ewig sterben? In den Trümmern tanzen? In dem Regen aus dem zerrissenen Papier? Und Schutt und Asche? Von unverhüllter Lebensgier besessen? Noch nicht befreit durch Arbeit? Offenbart durch Wunder?

Dass sie uns verweigert mit dem stummen Teil des Mythos, den sie erzählt bekommen will, im Schattenspiel von Heimat, auf der verglühten Raufaserleinwand, das Prinzip jeder gelungenen Geschichte. Ich. Ist ein Mensch in den Erinnerungen? Ist ein Mensch in den Erinnerungen auf der guten Seite der Geschichte? Wer ist zuerst? Wer schreibt das weiße Blatt voll, unterschreibt und setzt die Zeit fest?

Mit der festen Hand, die einmal später großes Feuer macht, das nach verbrannten Körpern riecht. Nein, Manuskripte brennen nicht. Und Manuskripte werden nicht geschossen. Liebe mich bis jetzt, verkürzt zum Epilog. Zu keinem neuen Spiel, das an den Regeln stirbt. Es war einmal, und so beginnt das Märchen. Die Tinte tilgt den Unterschied und trocknet in die neue Welt. Zumindest ihre Karte, die ohne Orte auskommt, die eine Festung sind.

Die Mauern der diesen Heimat, die Gefangen hält und Zustimmung verlangt. Ade, ich bin kein Spiegel mehr. Ab jetzt vergeht die Zeit und Ende ist ein Wort. Sie hörten die benannten Plätze von Leo Squera. Es sprachen Felix Kaspar Künzli, Antoni Lavrenz, Jan-Henry Müller, Claudia Sobotta, Regie Lukas Schöppel, Tongestaltung David Lipp.

Eine Produktion des Max-Reiner-Seminars.

Kommen wir zum Gewinnerstück, dem Hans-Kratzer-Preis 2025. Wie wurde diese ermittelt, Tobias Herzberg? Die Preisschirie setzt sich zusammen aus externen und internen ExpertInnen. Intern ist das Ensemble vom Schauspielhaus vertreten, in diesem Jahr durch Sophia Löffler, langjähriges Ensemble-Mitglied bei uns. Und dann waren noch drei weitere externe Jurymitglieder dabei. Eine Verlagslektorin, Ruth Feindl vom Surkamp Verlag,

Der Autor Amir Goudarsi und die Regisseurin und Dramaturgin Asle Kischlal, die jetzt zurzeit hier in Wien Schauspielhaus auch inszeniert. Diese Jury hat natürlich vor der Werkstattlesung schon alle Texte gelesen und genau studiert und während der Werkstattlesung dann sich nur noch mal quasi vergewissert,

Bitte auch um etwas Info zum Stück?

auf überspitzte Abziehbilder von Fußballfans und Trainern und vor allem auf ein Team von Handballerinnen, das uns vom Leistungsdruck erzählt, von sexualisierten Körperbildern, von Konkurrenz und auch von Solidarität. Und was so besonders ist an dem Text ist,

ist, dass man den Eindruck hat, der Text atmet selber, der ist sportlich, der nimmt in der Form eigentlich das an, was er inhaltlich verhandelt. Fast so eine Art atemloses Training, also sich zur Wehr setzen, eine Sprache finden für das, was man als Unterdrückung empfindet oder was de facto eine strukturelle Unterdrückung auch bedeutet in diesem speziellen Fall dieses Leistungssportes und dann eine Emanzipation daraus. Und wieder alles! Und wieder alles!

Endlich wieder. Endlich wieder. Endlich spielen wir wieder. Der Volksvirus greift auf der Tribüne um sich. Wir sind das Team. Wir sind das Team. Wir alle ein Team. Ich auf dem Feld, sie auf der Couch mit Bier und Chips. Der Homo-Fußballensis in seinem natürlichen Habitat, in der Wir-sind-das-Team-Horde. Wir, wir spielen. Ich spiele Fußball.

Sie gewinnen. Ich spiele. Ich verliere. Er weint. Wir... Nein, heult. ...haben verloren. Wir haben verloren. Verloren. Wir haben verloren. Aus der Traum von Vater und Sohn vom WM-Finale im eigenen Land, den der Vater geträumt seit... Es ist ein Junge.

Es war der Klassiker. Deutschland gegen Italien. Ach, der Klassiker, unsere lieben Klassiker. Es fließt das Bier, er stopft die Chips. Das Ganze fett in den beleibten Fußball-Fankörper. Der aber nicht still, ganz und gar nicht still. Der ständig und ... und ... und ...

Also der hätte, der hätte wirklich, den muss er klar machen. Alles Teil des Spieles. Das. So, jetzt aber, auf geht's. So wie das. Allein vor dem Tor und dann das. Der hätte wirklich, den hätte der reinballern müssen, den hätte selbst ich. Und das Stopfen und Rülpsen und sich besaufen. Ja, so ist richtig, Jungs.

Alles Teil der Nationalmannschaft. Immerhin sind die doch ständig mit Bier und Chips. Vor dem Spiel, während dem Spiel, nach dem Spiel, am Spielrand. Überall Bier und Chips. Jetzt zeigen wir euch, wie Fußball geht. Ihre Gesichter in den Kinderzimmern der Welt. Dort, wo früher der Herrgottswinkel, Cristiano Ronaldo, Lionel Messi, Kylian Mbappé. Los, lauf, was soll der Scheiß, verdammt.

Lauf, Junge, jetzt lauf. Da ist doch keine Krabbelgruppe hier. Lauf verdammt noch mal. Ihre Nummern auf Pullis, T-Shirts, Kaffeetassen, Handtüchern, Bettwäsche, Badeschlappen, Gartenzwerge? Ja, auch auf Gartenzwerge. Das war nichts. Das war geblufft. Schwächling, steh auf, du fauler Sack. Ihr Name eine Marke. Abseits. Unser Ball. Das ist unser Ball. Jemensch kennt sie. Nach vorne jetzt. Der muss sitzen.

Heute war so ein Scheißtag. Ich brauche diesen Sieg. Bitte. Aber kennen Sie auch Ann-Kathrin Berger? Das gibt es nicht. Alexia Putellas? Nein, das ist unmöglich. Jennifer Hermoso vielleicht? Das wäre das 1 zu 0. Das 1 zu 0. Das Arschloch versagt mir meinen Sieg. Verdammt. Kämpfen Männer. Im Angriff alles geben.

Im Anschluss greift er an, der Fußball-Fan. So ist richtig, weiter so. Bei Sieg oder Unentschieden? 26% mehr Strafanzeigen. Bei Niederlagen? 38% mehr Strafanzeigen. Fußball greift an, und zwar zu Hause, mit der Faust ins Gesicht.

Fußball ist ein Kontaktsport, denn Fußball und ihr gehören einfach zusammen. Dröhnt es aus den Tiefen des Fußballstadions hinein in den beleidigten Fußball-Fankörper. Kein Alkohol? Kein signifikanter Anstieg der häuslichen Gewalt. Aber nein! Was? Das kann doch nicht! Das gibt's doch nicht! In ihrem Schatten bewegt sich was. Am Rande des Fußballfeldes. Was ist das? Hallo! Ich bin's.

Nein, hier. Weiter unten. Noch weiter runter. Am Rand des Bildschirms. Zwischen Wetter und Abmoderation. Tja, wer hätte das gedacht? Wir spielen auch. So viel zur weiblichen Unsichtbarkeit im Schatten der Männer. Das nennt sich Frauensport. Keine Sorge. Der wird nicht G-schaut. Wir werden B-schaut. Von unten nach... Kurz halt. Po. Weiter hoch...

Brüste. Weiter nach oben. Es gibt immer einen, der uns zuschaut. Mindestens einer ist im Zuschauerinnenraum. Wir sind nie allein. Wir werden ge... Frauenfußball. Hat er gerade püglig? Ja, Frauenfußball? Nee, danke. Das ist doch kein Fußball. Frauen... Sport ist mehr so... Gemeinsame Duschen. Die Duschen. Oh, ja. Ja. Ja, ja. Mein Lieblingsthema.

Duschende Frauen. Hot, hot, hot. Selbstverständlich gemeinsame Duschen. Genauer gesagt, eine große Dusche für uns alle. Wir duschen gemeinsam in unserer großen, sehr großen Gemeinschaftsdusche. Wir seifen uns gegenseitig ein, damit wir alle Stellen erreichen. Du verstehst. Alle Stellen. Die Meisterschaft gewinnen können wir.

Aber alleine duschen nicht. Denn wir sind schmutzige Frauen. Sehr, sehr schmutzige Frauen. Vom vielen Training sind wir ganz feucht überall. Willst du ein Geheimnis hören? Oh ja, du willst? Unter der Dusche küssen wir uns.

Natürlich küssen wir uns. Wild und heiß und mit Zungen. Aber erst, nachdem wir uns gegenseitig die Brüste massiert haben. Vom vielen Training sind unsere Brustwarzen ganz still. Oh ja, so, so steif.

Wir könnten einen großen, starken Mann wie dich wirklich gebrauchen. Kommst du nächstes Mal vorbei? Natürlich nicht zu einem Spiel von uns. Frauensport ist doch langweilig. Sondern zum gemeinsamen Duschen. Wir brauchen einen großen, starken Mann wie dich, der uns beim Duschen hilft. So in etwa die feuchten Tagträume des beleibten Fankörpers. Vielleicht noch kurz zur Realität, damit das allen klar ist. Wir sind feucht. Feucht von Schweiß.

Unsere Haut klebt. Wir stehen völlig fertig, verschwitzt und stinkend. Ja, Frauenschweiß stinkt. Und ja, wir sind schmutzig. Richtig schmutzig. Und manchmal wollen wir gar nicht mehr sauber werden. Wir mögen es, schmutzig zu sein. Wir sind absichtlich schmutzig. Es ist schön, schmutzig zu sein, ein bisschen Spielfeldschmutz bei sich zu tragen. Das gefällt uns. Unter der Dusche sprechen wir über das Training, das nahende Spiel und das Wetter.

Unser gemeinsames Duschen ist so langweilig, dass wir über das Wetter sprechen. Das war's. Mehr ist da nicht. Mehr passiert da nicht. Ich hoffe, an dieser Stelle einige patriarchale Pornoträume zerstört zu haben. Das hier ist ein Spiel im übertragenen Sinne. Ja, übertragen wird es auch, unser Spiel.

Schaut nur, wie brav wir spielen. So liebe, tüchtige Kinder. Wir spielen nur. Es ist nichts Ernstes. Ernst ist das Gewinnen. Gewinnen ist Teil des Spiels. Das Spiel ist unser Leben. Unser Leben steht auf dem Spiel. Wir spielen, bis wir verlieren, uns verloren haben und ausgewechselt werden. Wir sind uns zum Verwechseln ähnlich.

Dieser neue Körper und ich, der nun das Feld betritt, von dem ich verwiesen. Überwiesen wird mir nichts dafür. Ein paar Worte, mehr nicht. Scheiße, er kommt näher. Schreit, dass ich die Angreiferin hätte stoppen. Seine Poren triefen. Dass ich zu nichts. Aus seinem Mund entweichen kleinste Wassermoleküle, gezeichnet von seiner DNA. Im Rudel strömen sie auf mich ein. Dass ich gefälligst zu tun habe, was er. Mein Gesicht wird nass.

Dass er mich anschreie, da ihm etwas an mir. Sein erhobener Zeigefinger an meinem linken Ohr. Die Haare darauf wuchern weiter, während er an mir vorbei. Aus mir könne mal was. Er riecht, als wäre er hier gelaufen und nicht ich. Er riecht nach Wut. Ich habe zu tun, was er mir. Nur auf ihn habe ich zu. Seine Worte reißen mir die Haut auf, schlüpfen drunter, fressen sich in mein Fleisch, nisten sich in meine Knochen ein. Bleiben in meinen Knochen seine Worte.

Ich möchte zurückweichen. Muss stark bleiben. Muss ihm zuhören. Muss es besser machen. Muss... Ich kann nicht mehr. Meine Augen werden feucht. Feucht vor Ekel vor diesem Körper. Ich nicke, wie ich denke, dass genickt wird, wenn er wartet, wer zu nicken. Ich gehorche. Abermals. Er weiß, dass ich gehorchen werde. Noch bevor ich es tue, weiß er Bescheid. Ich sehe sie.

Sehe, dass da eine... Träne verdammt weg mit dir. Sehe sie an. Hoffentlich sieht sie keine. Verstehe, dass sie heute nicht noch mehr. Dass sie heute einfach nicht noch besser. Dass sie ansonsten immer die Beste. Dass sie ansonsten immer am meisten tore und brauche keine Worte. Ich weiß, dass sie heute einfach nicht noch mehr. Ihre Hand auf meinem Rücken. Zwischen den Schulterblättern. Kurz. Nur ganz kurz. Einfach da. Bei mir.

Sie sagt nichts. Du bist nicht allein. Wir sind zwei. Wir sind viele. Die sehen. Die verstehen. Die weiterlaufen. Sie hörten...

Mundtot von Miriam Untertiner. Gelesen von Antoni Lavrenz, Florentine Kraft und Lara Horvath. Regie Julian Rohrmoser und Tongestaltung David Lipp.

Heute hörten Sie fünf Kurzhörstücke, die im Rahmen des Hans-Kratzer-Stipendiums 2025 entstanden sind. Das Gewinnerstück am Ende. Durch die Sendung begleitet haben mich Tobias Herzberg vom Leitungsteam des Schauspielhaus Wien und die Dramaturgin Marie-Therese Auer.

Kooperationspartner der heutigen Sendung sind das Max-Reinhardt-Seminar der MDW, Universität für Musik und Darstellung der Kunst Wien, und das Institut für Schauspiel der Musik- und Kunst-Privatuniversität der Stadt Wien, MOOC. Redaktion Elisabeth Zimmermann, Ton Fritz Trondl, Moderation Hans Kreuz.