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cover of episode Der Wendekreis des Käfers - Über die Zukunft der Arbeit

Der Wendekreis des Käfers - Über die Zukunft der Arbeit

2025/3/2
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WDR Hörspiel-Speicher

AI Chapters Transcript
Chapters
The episode starts with a fictional scene observing a fly's movement, comparing it to the predictability of human actions and the future of work. It introduces the author's project, investigating the future of work in a Volkswagen factory in Wolfsburg, highlighting the contrasts between the factory's secretive culture and the author's investigation.
  • Comparison of fly's movement to predicting human actions and future work
  • Author's project to investigate the future of work at Volkswagen factory
  • Secretive culture and access restrictions in the Volkswagen factory

Shownotes Transcript

Was für ein fetter Brummer. Diese Power. Was für eine Motorik. Verrückt. Glatt gelandet auf der Schreibtischplatte. Rast darum. Bleibt stehen. Mal sehen, was sie jetzt tun wird, diese Fliege. Wo hebt sie ab? Wo landet sie wieder? Wann läuft sie nach links oder nach rechts? Wann verharrt sie wieder auf der Stelle und warum? Wie dickt die eigentlich im Kopf? Läuft sie ziellos herum oder hat sie einen Plan im Hirn? Eine Vorgabe, die ihre nächsten Schritte bestimmt.

Was sagt die Forschung zum Leben dieses Lebewesens? Ein ewiges Rätsel. Wie sehr von oben gesehen, ähneln Autos doch Insekten. Sie sind der Rückenpanzer und schützend aggressives Schild des Städters geworden. Marshall McLuhan. Im Zettel haufen eine hübsche Lesefrucht über die physikalisch-mathematisch-logischen Gesetze, die dynamischen Bewegungsgesetze, mit deren Hilfe der Weg einer über den Schreibtisch laufenden Fliege vorauszuberechnen wäre.

Was ja nichts anderes hieße, als ihre zukünftigen Taten vorhersagen zu können. Eines uns nicht unverwandten Lebewesens also. Daran glaubt jedenfalls dieser Mathematiker, dieser Casti, an die wissenschaftlich fundierte Möglichkeit einer Vorhersage der Fliegenlaufwege. Schön grafisch dargestellt. Ein "Fligogramm" nennt er das, ohne irgendetwas klar und verständlich bewiesen zu haben. Mir jedenfalls nicht. Wahrscheinlich kann man heute selbst wissenschaftlich begründeten Vorhersagen keinen Glauben schenken.

Deine Fliegewege, oh Herr, sind unbekannt. Der Wendekreis des Käfers von Bernd Kaju. Regie Thomas Wolfert. Kommen Sie, steigen Sie ein. Herr Drüben, willkommen in Wolfsburg. Ich soll Sie abholen, im Auftrag vom FZ. FZ? Die Organisationseinheit FZ. Unser Forschungszentrum. Ihr Ziel. Sie kommen doch von der Bundeskulturstiftung. Nur für ein bestimmtes Projekt arbeite ich dort mit. Ein zähflüssig laufendes Projekt.

Was bis heute leider auch an Ihrem Unternehmen gelegen hat. Dafür werden Sie jetzt im Feton abgeholt. Ein besonderer Service. Ein ernsthaftes Projekt. Die Bundeskulturstiftung und das große Autowerk. Zwei staatskontrollierte Organisationseinheiten. Kein Grund also, sich gegenseitig zu misstrauen. Oder einen Terminwunsch so zu verschleppen. VW, VW, immer wieder VW. Den zusammengehörig klingenden, schon beim Alphabetspauken mitgelernten Doppellaut.

Die berühmteste Buchstabenkombination der Nation. Einer der signifikant deutschen Begriffe, von Kindheit an im kollektiven Bewusstsein eingelagert. Und nichts gehört von denen. Keine klare Antwort. Warum so zurückhaltend, wenn ein Schriftsteller mal mit einem Konzernmanager sprechen möchte? Schlichte Arroganz eines Superunternehmens und seiner leitenden Herren? Die Unterstellung einer Schreibtechnik, die Egon Erwin Kische als Einschleichjournalismus bezeichnete?

Eine gewisse Abschottung. Der Ansatz einer Volkswagen-Burg-Mentalität. Und worum geht es in Ihrem Projekt? Wir suchen Antworten auf die Frage nach der Zukunft der Arbeit. Hier bei uns in Wolfsburg? Auch. Überall. Das ist das Thema. Arbeit in Zukunft. Wo geht's lang, wo geht's hin, wer weiß was. Und meine Idee war es, in dem Zusammenhang eben die Arbeit eines Zukunftsforschers zu beschreiben. Eine naheliegende Ableitung. Also den Job eines im Arbeitsprozess drin steckenden Forschers zu erforschen. So ein Mann müsste ja so einiges wissen.

Eine sehr große Abteilung, die Forschung. Aber schwer zu erreichen und zu erweichen. Es gab Absagen, Zusagen, Absagen. Der Vorstand bockte. Dann wieder Zusagen, Absagen, Zusagen. Der Zukunftsforscher immer unterwegs mit einem Bein in der Zukunft. Heute werden Sie von ihm erwartet. Ein interessanter Mann. Ein Zukunftsforscher.

Hoffentlich ist wenigstens sein Job zukunftssicher. Was uns bevorsteht, ist die Aussicht auf eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist. Also die einzige Fähigkeit, auf die sie sich noch versteht. Was könnte verhängnisvoller sein? Hannah Arendt. Mitten im Werk dann ein zweiter Zaun. Höher als der am Haupttor. Der Schutzzahn fürs Gelände der Forschung und Entwicklung. Ein Kontrollhäuschen am zweiten Eingangstor. Schleusen. Kart- und Codeingabe. Fernsteuerbare Sperrgitter.

Eine Maschendrahtorgie. Offenbar braucht die Arbeit an der Zukunft vor allem eines. Sicherheit. Die Wache. Werkschutz. Hier werden sie nochmal überprüft. Ausweise, Passierscheine und so weiter. Dies Formular hier auch noch. Eine Unterschrift. Da bitte. Mir ist bekannt, ich weitergebe, nicht betreten.

Hiermit verpflichte ich mich, über alle mir zur Kenntnis gelangenen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Volkswagen AG strengstes Stillschweigen zu bewahren. Nur die Geheimhaltungsverpflichtung. Nicht gerade ein ermutigender Satz. Laut Formular unterliegt ja praktisch alles, was hinterm Sicherheitszaun geschieht, dem eisernen Stillschweigen. Bei Strafe. Aber wahrscheinlich muss ich das unterschreiben, um reinzukommen. Ja, jetzt kriegen Sie Ihren roten Passierschein. Dann viel Glück erst mal.

Wenig überraschend, das graue, AOK-hafte Gebäude der Zukunftsforschung. Vier Stockwerke nur. Vielleicht beruhigend, die Bescheidenheit einer Weltfirma. Im Dritten setzte mein Mann. Aber wie anfangen? Wie das Gespräch beginnen? Soll ich ihm erzählen, dass ich aus dieser Gegend stamme? Östliches Niedersachsen. Hier einst im Stahlwerk arbeitete? Naja, über 40 Jahre her. Salzgitterstahl.

Da wurden die Bleche für Wolfsburg hergestellt, ein paar von mir. Ein Stahlwerkslehrling und sein langer, unberechenbarer Laufweg. Auch so eine Art Fliegogramm. Die Welt lässt sich mit Karl Marx in ein Reich der Freiheit und ein Reich der Notwendigkeit einteilen. In letzterem siedelt er die Arbeit an. Diese Dichotomie hat das Abendland geprägt. Es gibt viele Gründe, nicht dieses Schwarz-Weiß-Schema, sondern das sowohl als auch ins Zentrum unseres Denkens zu stellen.

Das Tätigsein macht einen Menschen zur Persönlichkeit. Arbeiten ist eine Tätigkeit. Aber auch das sich Erholen und Faulenzen. Nur eine Integration der beiden Reiche führt dazu, dass die Freizeit nicht zur kompensatorischen Gegenleistung der Arbeit wird und so womöglich zum Fluch der Moderne. Theo Wehner. Die Zukunft ist eben jederzeit offen.

Es sei denn, man wäre betriebsblind, gefangen in der eigenen, schon so lange dauernden Erfolgsgeschichte. Wie unsere rundum gehätschelten Autobauer, die sich in einer auf ewig komfortablen Situation wähnen. Denn wenn die Autoindustrie läuft, dann läuft die Wirtschaft. Und wenn die Wirtschaft läuft, läuft alles andere auch. Den Satz würde ich am liebsten nie mehr hören.

Das ist nur eine China-Fiktion, auf denen die Gesellschaft basiert, an die sie kollektiv schon so lange glaubt. Rollende Räder, rauschender Klang, lockt uns hinaus in die Weite. Hei, wie blitzt der Wagen so blank, freier befreit sind wir heute. Rollende Räder, rauschender Klang.

Naja, ich glaubte schon, der richtige Mann für die Aufgabe zu sein. Einer, der nach einem halben Dutzend Totalschäden für immer Schluss gemacht hat mit der Fahrerei. Mit dem PS-gestützten Machtgetue. Dem sexy-metaphysischen Drumherum beim Auto.

Einer, der als Totalverzichtender bei jeder Diskussion gegen die grünen Retter der Umwelt punkten konnte. Die meisten fuhren ihr alte Karn und verhedderten sich bald in Widersprüche. Welche Bedeutung hätte es, wenn durch die Automation der Großteil der menschlichen Arbeit ausradiert würde, was die mögliche Schaffung einer vollautomatisierten Welt betrifft? So können nur Ahnungsloser ein solches Ziel als den höchsten Gipfel menschlicher Entwicklung ansehen.

Es wäre eine Entlösung der Menschheitsprobleme nur in dem Sinne, in dem Hitlers Vernichtungsprogramm eine Entlösung des Judenproblems war. Luis Mamford. Nicht dumm der Gedanke, aber ein leitender Mensch nahm einem so etwas unter Umständen übel. Allzu literarisch konnte ich ihm nicht kommen. Vorbei die Zeit, als Brechts Gedicht »Singende Steierwägen« ihm ein Steierwägelchen als Geschenk einbrachte. Zwei sogar, weil er den ersten zu Schrott fuhr.

Lang her, dass der große Hupenwirt Doose Beckett viermal besoffen den Führerschein verlor, während Foucault wie ein irrer Jaguars durch Paris scheuchte. Virilio aber sagte mit Recht, der letzte Fahrer steht. »Es muss etwas ins Blickfeld kommen, bevor es da ist. Das nenne ich, aus der Zukunft heraus bewegt sich etwas. Da gibt's auch eine Ursache. Aber die Ursache liegt in der Zukunft. Und logischerweise ist die Wirkung in der Gegenwart eher da, als die Ursache in der Zukunft zu finden ist.«

Josef Beuys. Hallo, guten Tag. Einen Moment bitte, komme sofort. Ein übersichtlicher großer Raum, abgedunkelt schalldicht. Großer Tisch für zwölf Personen, jeder Platz mit Bildschirm und Telefonset vernetzt. Das Ambiente wie ein Think Tank, jedenfalls so wie Think Tanks in Spielfilmen aussehen. Eine fröhliche Sitzecke mit kleiner Bar. Dazu ein paar krasse lederne Designersessel im Brüllorange. Vielleicht eine Provokation gegen das Konzerngrau ringsum. Ein Beamer?

Hinten die Leinwand? Wir befinden uns hier in unserem Trendlabor und ich darf Sie ganz herzlich begrüßen. Vielen Dank für die Einladung. Ihr Trendlabor, also so still, mitten in einer Autofabrik? Ja, eine gewisse Oase innerhalb unseres Werkes. Unsere Abteilung, die Zukunftsforschung und Trendtransfer, wächst ständig. Auch bei uns wächst sie, die Klasse der Kreativen, eine aufstrebende Klasse.

Wir Zukunfts- und Trendforscher liegen schon länger gewissermaßen selbst im Trend. Moment, warten Sie. Bei mir ist schon länger Trend, nicht mehr entscheiden zu können, ob mir ein gerade kennengelernter Mensch sympathisch ist oder nicht. Einer wie er, mit 40er, im Intellektuellen, komplett schwarz, ohne Schlips, kompakter Typ. Wie kommt eigentlich so ein Zukunftsforscher zu seinem Vorherwissen über kommende Entwicklungen? Telepathie, Psychokinese, Fascilogic und Hochrechnen? Also, was ist in dieser Branche ein Zukunftsforscher?

Ist er Künstler, Schamane oder Showman? Trend kommt aus dem Mittelhochdeutschen. Ursprüngliche Bedeutung Trendeln, Kreiseln, nach unten Rollen, Duden. Was machen Sie eigentlich genau? Schauen Sie, ich zeige Ihnen mal ein paar Dias. Diese Bilder zeigen so ein bisschen unsere Vorgehensweise. Hier, schauen Sie. Familienshopping in der Einkaufspassage. Familienalltag mit viel Hightech im Mittelklasseheim.

Familienharmonie in einer großen, gemischtrassigen Gruppe aus zusammenstehenden Kindern und Erwachsenen. Diese Fotos sind doch ein bisschen idealisiert. Absolut. In Richtung schöne neue Welt. Absolut.

Es geht darum zu wissen, wie die Kunden in den nächsten Jahren leben werden, was das Unternehmen ihnen geben möchte, von dem sie aber nicht wissen, dass sie es bekommen werden und dann sagen, das ist ja genau das, was wir haben wollen. Verstehe. Aber wenn wir genau das täten und in fünf oder zehn Jahren das entsprechende Auto auf den Markt brächten, würden die Leute sagen, naja, schön und gut, doch das kenne ich doch alles schon.

Wo ist denn das Überraschende? Tja, zweitens kommt es anders, als man erstens denkt. Ist auch nur bedingt richtig. Denn wir stehen vor der Herausforderung oder vor der Aufgabe, uns mit Kreativität in den Kunden hinein zu versetzen einerseits, ihn aber andererseits zu verlassen, um ihm nichts Gewohntes vorzusetzen. Wir haben eine Zukunftsforschung, der Kunde hat das ja nicht. Ein diplomierter Biologe, also von Hause aus mit starkem Hang zu Schautafeln.

Seine Fotos aber? Naja, sowas wie die Werbung in Lifestyle-Magazinen. Mit diesen Bildchen kann er das Vorauswissen der Zukunft ganz nach Belieben darstellen. Die Leinwand davon wäre dann nichts anderes als die gute alte Kristallkugel, in der jeder das sieht, was er dort sehen möchte. Ja, Freude am Fahren, nur Fliegen ist schöner, ihr guter Stern auf allen Straßen. Doch dann, schon Anfang der 70er, die Grenzen des Wachstums. Club of Rome. Wir müssen die Themen finden, die jetzt bewegen.

Die neue Art zu wohnen, wie kaufen wir ein, heute schon. Das Thema Unsicherheit gegenüber der Zukunft, dann dieses Sehen nach Schutz und Geborgenheit, dann das Bedürfnis, sich auch emotional zu öffnen und vor allem das nach wie vor drängende Gefühl, etwas besitzen zu wollen.

Dann die neuen Gemeinschaften. Technologien, die sehr menschfokussiert sind. Das Thema Entertainment, Home-Entertainment hat es ja in den 50er Jahren schon gegeben. Tattoo beispielsweise, Jacques mit dem Film. Tattoo, Jacques, Tattoo. Tattoo, Tattoo, Gott ja, Tattoo, Jacques. Was ist davon geblieben von diesen Visionen? Wo werden sie zu Szenarien, die wir für die Zukunft sehen? Wo sind die Faktoren, die sich geändert haben? Wie können wir uns aus heutiger Technologie ein Weltbild machen im Sinne von Trends und Einflussgrößen? Ja, Tattoo.

Moment, bitte. Geschönte Bilder, geglättete Sätze. Überhaupt sein Sprachspiel. Ein oberflächenversiegelnder Spezialistensjargon, der ihn gegen alle möglichen Einwände abschottet. Ziemlich routiniert, der Mann. Der braucht keine Vorbereitungen für so ein Gespräch. Ich dagegen habe ganze Stapel Theorien nachgelesen. Sennet, Soros, Stieglitz.

Von Rifkens Ende der Arbeit bis zu den 20 Jahre alten Szenarien der Zukunft. Von diesem wunderbaren Mathematiker John L. Kersti. Von Platon bis Virilio. Vom Zukunftsarrangeur Horx und wieder zurück zum alten Karl Popper. Die Menschen sind nicht dumm. Sie sind lernfähige Tiere. Und als solche prinzipiell zur Zukunft begabt. Karl Popper. Die Orakel noch mal vorgenommen. Die Seher. Wie den blinden Tiresias. Den schicksalsblinden Oedipus.

Die Priester, Parzen und Propheten, die Auguren und Vorhersager der Antike, allesamt Einflussgrößen für heutige Zukunftsforscher. Wie auch der große Cicero, Kenner des gesamten Spektrums der antiken Spökenkikerei. Die römische Regierungsform beruht einzig auf zwei Dingen, dem Ritual und der Vorhersage der Zukunft, Cicero. Waren meist glorios die Zukunftsvorhersagen, meinte Cicero in De Divinatione, dieser ersten Abhandlung über das Für und Wider der Vorhersagerei.

Am Ende kam er zu der Feststellung, dass ihre Nachteile weit größer sind als ihre Vorzüge. Ein früherer Aufklärer also. Wir kennen alle nur zu gut die Hochglanzoberflächen und einfachen Botschaften, die für globale Produkte werben. Aber dieselbe Trennung zwischen Oberfläche und Tiefe bezeichnet den flexiblen Produktionsprozess, dessen gebraucherfreundliche Anweisungen eine nicht durchschaubare, tiefere Logik bergen.

Dieselbe Trennung macht es den Menschen schwer, die Welt um sich herum und auch sich selbst zu lesen. Bilder einer klassenlosen Gesellschaft, eine gemeinsame Art zu reden, sich zu kleiden, zu sehen, können auch dazu dienen, tiefere Unterschiede zu verhüllen. Es gibt eine Oberfläche, die alle auf einer Ebene zeigt. Aber diese Oberfläche zu durchbrechen, mag einen Code erfordern, der den Menschen nicht zur Verfügung steht. Richard Sennett

Aber wir machen hier keine Prognosen. Keine Prognosen? Nein. Schauen Sie doch auf die Bilder. Wir haben hier noch diesen Magritte. Moment. Magritte René. Dies ist kein Gespräch. Dies ist kein Interview. Dieser Zukunftsforscher ist ein Manager. Ja. Das Magritte-Bild. Da wird ein Paar gezeigt. Zwei einander zugeneigte, aber mit hellen Tüchern völlig verhüllte Köpfe. Kenn ich. Die Verliebten heißt das? Nein. Die Liebenden ist der Titel.

Den Magritte benutze ich, um zu zeigen, so stellen wir uns die Menschen vor. Wir glauben sie zu kennen. Sie bilden sich ab, sie lieben sich. Aber tun sie es wirklich? Moment, warten Sie. Keine Prognosen aus diesem Trendlabor. Bei meinen Vorbereitungen war es ja gerade darum gegangen, um dieses ewige Bedürfnis des Menschen die Zukunft kennen zu wollen. Wer das nur annähernd zu befriedigen wusste, wer also Hoffnung geben konnte, machte daraus ein Business. Zu allen Zeiten.

Wer die Kristallkugel schön polierte, kassierte auch schön. Vom unsterblichen Sterndeuter bis zum selbstberufenen Trendforscher. Einer wie dieser hier, der bald ein Packen Broschüren und Ordner auf den Tisch gelegt hatte. Analysen, Modellrechnungen, ein Bruchteil nur von den hier ausgewerteten wissenschaftlichen Studien. Mobilität 2020, Weltbevölkerung 2030, Ölförderungsprognose 2050,

Allerdings leben diese Wissenschaftler nicht lange genug, um zu sehen, ob sie richtig lagen. Hergestellt unter der Autorschaft von Shell, Siemens, CIA beispielsweise. Wie kommunizieren diese Studien miteinander? Wie originell, wie subjektiv sind sie? Wie kommen sie zu ihren Aussagen über die Zukunft? Wir verarbeiten das. Wir brauchen auf die Fragen nach zukünftigen Motivationen und Bedürfnissen ja schon heute Antworten. Glauben Sie im Ernst, dass diese Organisationen ihre Studien objektiv gestalten? Also uneigennützig gestalten?

Dass perfekte Vorhersagemethoden überhaupt möglich sind? Dass man dem Morgen mit berechnenden Modellen wirklich näher kommen könnte? Decoding for Innovation? Wir machen keine Vorhersagen. Unser Team sammelt alle relevanten Daten. Es gibt jede Menge zu dekodieren. Konzept- und Gestaltungsmuster aus Architektur, Design und Lifestyle, um die Übergänge in die Welt von Morgen zu lokalisieren, um strukturinherente Aussagen über mögliche zukünftige Strömungen zu treffen.

Wir haben visuelle und textbasierte Kreativtools, also Skripte oder Erzählungen, die Trendcluster, Erkenntnisse und Potenziale anschaulich machen. Um durch die Analyse dieser Studien und den in unseren Tresoren liegenden noch bedeutenderen Studien letztlich verlässliche Ergebnisse zu kriegen. Vorkristliche Urvölker glaubten, aus der Leber getöteter Opfertiere das unentrinnbare Schicksal herausdeuten zu können. Leberleser gibt's bis heute, bei verbessertem Instrumentarium.

Auch die Gelomantie könnte man heute noch anwenden. Eine antike Technik, wo Vorhersagen entstanden, indem das hysterische Lachen bekannter Weissager in sinnvolle Begriffe übersetzt wurde, wäre auch heute noch hilfreich. Bei politischen Konferenzen, bei geschäftlichen Verhandlungen, die Gelomantie, im privaten Gespräch sowieso. Die Daphnomantie wäre eher weniger tauglich.

noch so ein altgriechisches Verfahren zur Klärung offener Fragen von größter Bedeutung, wozu man Lorbeerblätter ins Feuer warf. Je lauter sie knisterten, desto besser waren die Vorzeichen, je tiefer die Stille, desto schrecklicher die Zukunft.

Die Leute wollten ja unbedingt vorher wissen, was später kommt. Nicht zu vergessen die Thyromantie, die Zukunftsdeutung aus den Formen von geschmolzenem und wiedergeronnenem Käse. Ben Schott. Ich bin hier im Nest der Forscher, der Entwickler. Rund 10.000 Kollegen warten auf eine Aussage von uns. Hey, in welche Richtung soll ich gehen? Wo ist der Trend? Ich habe hier das heutige Modell, sag mir doch bitte, was muss ich berücksichtigen für die Generation danach, das Modell 2018 im Sinne der Evolution ein paar Dinge offerieren.

Wie wird virtuell der Mensch 2025 leben? Was müssen wir denn dafür tun, wenn wir diese Zukunft als strebenswert fänden? Fänden? Wie kommen wir dahin? Wir beginnen mit einer Strategie, einer Roadmap, im Sinne einer Bedürfnisroadmap. Von da gehen wir runter zu einer Funktionsroadmap. Welche Funktionen müssen da sein? Und von da rechnen wir runter in die Hardware. Unten in der Eingangshalle.

Da habe ich zwei im altmodischen Sinne futuristisch aussehende Fahrzeuge stehen sehen. So ein Kabinenroller-artiges Modell. Als Blickfang an der Treppe dekoriert. Ist das nicht das sogenannte Ein-Liter-Auto? Das fuhr doch mal hoffnungsbeladen durchs öffentliche Bewusstsein, inklusive Tagesschau. Heute wirken die zwei wie Ikonen des damals durch Ozonloch und Waldsterben geweckten Umweltbewusstseins. Ja, frühe 90er Jahre. Zur Serienherstellung haben sie es nicht geschafft. Also festgefahren im Museum. Das

Das alte, nach wie vor nur futuristische Ein-Liter-Auto. Ein Hightech-Leichtgewicht von 450 Kilo, Schadstoffausstoß gegen Null. Zwei Menschen könnten damit 100 Kilometer weit fahren, mit weniger als einem Liter Sprit. Der einzig wahre Wagen für ein Öko-Volk. Sagen Sie. Gab es nicht auch mal ein 3-Liter-Auto? Ein Serienmodell, oder? Was wurde daraus? Das 3-Liter-Auto wurde eingestellt aufgrund mangelnder Nachfrage. Die Leute wollen keinen Aufpreis zahlen für ihr Umwelt-Image.

Das amortisiert sich zu langsam. Aber bitte, wir haben ein kleines Sushi vorbereitet. Sie mögen noch Sushi? Moment bitte. Die gruseligsten Katastrophenbilder, die der Klimawandel täglich produziert, haben nicht für eine wirklich radikale Wende gesorgt. Das Interessengemenge zwischen Staat, Energiekonzernen, Autoherstellern und den Endverbrauchern verhindern sie.

Auch nach der fünften oder achten Aufklärungswelle, nach Al Gores Klimafilm, nach den Prognosen vom Zusammenbruch der Weltökonomie bei weiterer Missachtung der Ökologie, nach diversen Ölpreisschocks. Der Vielflieger Gore wiederholt ja pausenlos, dass der Einzelne seinen CO2-Ausstoß auf Null senken soll. Selbstverständlich habe ich meinen Emissionsanteil an den vier Reisen nach Wolfsburg klimaneutral sechs Wochen lang mit Schreibtischarbeit kompensiert. Ohne einen Pupstreibhausgas. Außer dem eigenen Atem.

Jeder Autofahrer ballert dagegen 200-300 Gramm Kohlendioxid raus. Pro Kilometer. Immer nur weiter schön ist die Welt, will sie im Frühlingsland schauen. Unter dem sonnigen Himmelsfeld gleite ich durch Wälder und Orte.

Sause mein Auto, sause geschwind, macht uns so glücklich und reich. Sitz an dem Lenkrad, ein Menschenkind, fühlt es den Göttern sich gleich. Immer mehr Geländewagen fahren auf immer perfekter ausgebauten Straßen. Die dicken Jeeps, der amerikanische Promi-Schlittenhammer, der Audi Q7 und etliche andere. Die sehen aus wie Burgen auf Rädern.

Unterwegs zum Fantasyurlaub in der irakischen Wüste. Selbst verschlankt sind's noch dicke Dinger, Panzerfahrzeuge. Diese rollenden Widerstandsnester der Happy Few, die soziale Überlegenheit ausdrücken sollen. Die mit ihrem aufgeplusterten Sicherheitsbedürfnis andere aggressiv bedrohen. Fetische sind's im marxischen Sinne. Der wahre Auto wird einen sie weit übersteigernder Wert übertragen. Diesem Gegenstand wird eine Macht zugebilligt, die er gar nicht hat. Wie Gold.

Diese Karren könnten ganz von der Bildfläche verschwinden, unter moralischem Druck.

So wie gewisse Pelzmäntel seit einiger Zeit auch verschwunden sind. Vor der notorischen Fetischisierung des Autos müssten doch gerade aus dem Trendlabor eines großen Autoherstellers die deutlichsten Warnungen kommen. Autoritär und hochmoralisch. Wir sind nicht die Kirche. Die ehrlichsten Hochrechnungen könnten von Ihnen kommen. Die beste Aufklärung und die kritischsten Zurechtweisungen der Fahrgemeinde. Dafür ließen sich die Werbemillionen einsetzen. Die Autoindustrie steht nach wie vor für die Demokratisierung der Mobilität.

Ach Gott, die Kirche, die Demokratie. Die Kirche hat das in Fahrerkörpern produzierte Testosteron selbst in ihren besten Zeiten nicht unter Kontrolle gebracht. Und die Demokratie, die liebte das Vollgas schon immer. Mit wenig Rücksicht auf Verluste nach wie vor. Die Radkappen nehmen zu und die Polkappen nehmen ab. Den kleinen grünen Öko-Volkswagen wird es in nächster Zukunft wohl kaum geben.

Egal ob mit einem Blitz, mit zwei, drei Buchstaben oder einem Sternchen auf dem Kühler. Nur bedingt. Es geht auch um diese Themen. Das undenkbare Denken. Die symbiotische Vernetzung von Wissenschaft, Kunde, Unternehmen. Und oder die Entwicklung neuer Work-Life-Konzepte. Bei jeder Diskussion, jedem externen oder internen Dialog. Jede Menge Bilder und Texte haut er mir um die Ohren. Das ist seine Arbeit. Heiße Luft aufwirbeln, bis der Beamer qualmt.

und verräterisch schick wie dick aufgelegte semiwissenschaftliche Sprachkosmetik die Bedeutungshuberei seiner Branche. Mood consumption, Trend transfer, Social climbing, dabei geht's immer nur um das eine. Wie und mit welchen Mitteln kriegen wir den Menschen als Konsumenten zu fassen? Produktentwickler, Marketingleute und Kreativdenker haben sich ein ganz eigenes Wissensmilieu geschaffen,

Amira Gurs, Trendgurs, Richard Florida oder James Canton könnten sie heißen. Sie hören und sehen ihnen zu auf sogenannten Zukunftskongressen, auf sogenannten deutschen Trendtagen, bei 3000 Euro Eintritt an der Tageskasse.

wobei einer dieser wirtschaftsspiritistischen Geister per Video zugeschaltet wird und verkündet, die Zukunft wird unübersichtlich. Sie bietet ungeahnte Möglichkeiten, aber auch Risiken. James Kenton. Greifen Sie zu. Es ist genug da. Verantwortung für alle Autobauer, meine ich. Auch ohne gesetzgeberischen Zwang oder vorübergehende ökonomische Krisen.

Alle Energien und Ressourcen müssten aufgeboten werden für neue Entwicklungen, alternative Antriebstechniken, für eine neue Aufteilung der Arbeit, dem knapper werdenden und umso kostbareren Gut. Zukunftsforschung heißt doch, sich zu kratzen, bevor es juckt. Oder nicht? Ja, doch, das passt zu uns. Alles andere wäre nicht nachhaltig. Nochmal zum Thema Umwelt.

Die Diskussion der Vergangenheit, wo das Gefühl da war, von außen kommt das auf uns zu. Neue Gesetzgebung, neue Emissionsgesetze, EU4, EU5 und so weiter. Verschärfung. So empfinden das Autohersteller zuerst als Einfluss von außen. Wo es ums Thema Wirtschaftlichkeit geht. Wo es um Arbeitsplätze geht. Auf der anderen Seite profitiere ich auch davon, wenn die Luft irgendwo sauber ist. Wenn es auch für diese Menschen hier um Nachhaltigkeit geht.

In Zukunft besteht die Arbeit nicht mehr darin, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, sondern darin, im Zeitalter der Automation leben zu lernen. Marshall McLuhan. Man kann ja auch mal eine Vision haben, eine Idee. Das beginnt hier zunächst mit dem Szenario, was kann 2030 kommen? Hat das Auto immer noch vier Räder? Gelten noch die Gesetze der Physik? Die nächste Entwicklung wird dahingehen, dass wir von Zeit und Raum unabhängig sind.

Die Informationstechnik, wie gegenwärtig daheim oder mobil genutzt, kommt peu à peu hinein. Der Mensch wird mit seinem Auto kommunizieren können, Wünsche äußern, mehr und mehr Probleme mit ihm durchsprechen. Das Denken der Erz, so hat Brecht das Auto genannt. Ja, es wird ihn sogar verstehen.

Ihm auf die Windschutzscheibe die Filmbilder seiner schon lang verlassenen, aber vermissten Heimat senden. Ihn schützen und gar nicht losfahren, wenn er sich beispielsweise angetrunken reinsetzt. Es wird passgenau alle Optionen für seine Bedürfnisse bereithalten.

Dann wird ein eigens für Sound-Nostalgiker hergestelltes Auto genauso klingen wie der Käfer vom Urgroßvater. Der Gesang des alten Viertaktmotors, der eine die Leistung noch körperlich spüren ließ, das Überanstrengte am Fortschritt, das Klapprige. Genau. Das Auto wird so wie damals klingen, obwohl es längst vom Sonnenlicht angetrieben wird und das einstmals gewohnte Motorengeräusch gar nicht mehr macht. So etwa 2020. Ja? Ja, ja. Ja, natürlich, ja. Entschuldige.

Gleich, sofort, ja? Meine Frau, wir waren verabredet. Die Schwiegermutter hat heute Geburtstag. Das habe ich glatt vergessen, den 80. Das heißt, ich sollte, ich müsste jetzt langsam losfahren. Termine einfach vergessen. Ärgerlich. Sie wissen ja, wie das ist. Draußen in den grauen Fluren und Gängen fällt es dann auf. Die Herren Zukunftsforscher sind in der Regel kekelförmige Herren. Sie tragen angegessene, angesessene Polsterringe in der Körpermitte,

Ihre Anzüge ähneln sich wie ihre Schlipse, weiß-rosa, immer gestreift und die Hosenbeine sind so kurz. Hey, hallo! Wir kennen uns doch. Ach.

Ja klar, hallo. Ist ja ne echte Überraschung. Erst neulich haben wir uns unterhalten. Ja klar, auf dieser Party. Auf dieser Wohnungs-Warm-Up-Party. Du machst doch irgendwas mit Computertechnik. Deine Karte habe ich aufgehoben für alle Fälle. Digital Spirit steht da drauf. Mit S. Plural. Spirits. Aber echt überraschend, dass du hier arbeitest. Nur ein kurzfristiger Vertrag. Die lächzen hier nach etwas Digital Spirit. Ach, interessante. Sag mal... Sag erst mal, was du hier machst. Schriftsteller können die doch hier gar nicht gebrauchen.

Vielleicht für klandestine Formen der PR? Nein, nein. Ein Projekt bin nur einen Tag hier. Ja Mensch, lass uns doch nachher mal kurz treffen. Gegen fünf, ja? In einem der Restaurants. Im Tachometer. Die digitale Bohemus Berlin ist einfach überall. Das Merkwürdigste an der Zukunft ist, dass man unsere Zeit einmal die gute alte Zeit nennen wird.

Ernest Hemingway. Die gute alte Zeit, das wäre heute, unsere eben gerade verfließende Gegenwart, also die Zeit, in der sich die Zeitgenossen gnadenlos verheddern.

Sie wollen wie Al Gore dauernd in die schöne weite Welt fliegen und zugleich weltweit das Klima schützen. In Glaubensfragen wollen sie absolut tolerant sein, jedoch nicht gegenüber einer ganz bestimmten großen Religion. Sie wollen unbedingt unabhängige, freie Individuen sein und rufen doch immer wieder nach dem Staat. Und sie wollen eine starke Autoindustrie als Wirtschaftsmotor, aber noch mehr dicke Autos wollen sie eher nicht. Ja, 8,5 Quadratkilometer. Die größte Autofabrik der Welt.

50.000 Beschäftigte. Warum widert einen der Massenkonsum in der City so an? Bei gleichzeitigem Wissen, dass er eher mehr als weniger intensiv stattfinden muss. Als systemische Grundvoraussetzung. Und doch die Ziegelbauten, das markante Panorama.

Die ersten Werksgebäude. Die älteste Montagehalle. 1938 eingeweiht. Mit reichsparteitagshaften Pomp, ich weiß. Die Führungskräfte in Uniform. In einem Meer von Hakenkreuzfahren. Aber das wollen wir lieber nicht vertiefen. Ist alles denkmalgeschützt. Auch die Verwaltung dort vorn. Mit dem berühmten Emblem obendran. Der Radkappe. Ja, im Logo.

Und in unserem Rücken die Autostadt mit den Bauten renommierter Architekten. Jede Marke des Konzerns hat hier ihren eigenen Pavillon. Wohl noch nicht denkmalgeschützt. Die Glas-, Stahl-, Betongroßgaragen, Hühnengräber für Luxuslimousinen. Eine Art Weihstätte fürs Automobil an sich. Da drüben das große Hauptgebäude. Das repräsentative Museums- und Kundencenter. Sieht aus wie die Abflughalle eines mittelgroßen Flughafens. Die Leute kommen gern dorthin.

Im Rahmen einer Erlebnisabholung werden ihnen dann ihre Neuwagen übergeben. Im Werk werden jeden Tag 3000 Stück gebaut. Die Zukunft ist unsicher und verlangt daher Sicherheiten. Richard Florida und andere. Der Wahnsinn. Diese Lautstärke in der Halle. Ein schweres Gewitter. Ein Inferno aus krachendem Donner und funkensprühenden zischenden Blitzen.

Das Gepolter im Innern der überdachten Pressstraßen. Unaufhörlich. Rumsbumm seine Tür, rumsbumm sein Heck, rumsbumm sein kompletter Unterboden. Heavy Metal. Verarbeitet von Robotern. Giraffenhohen Biestern, die nur vereinzelt sind, Menschen zu sehen. Der fast verlorengegangene Respekt vor schwerer Arbeit, vor Maloche und der härtesten Bedingungen ist augenblicklich wieder da. Auch wenn es eher danach aussieht, als bauten die Roboter die Autos und die Arbeiter helfen ihnen ein wenig dabei.

Sie hängen fertige Türen auf rollende Ständer oder richten etwas in Ausbuchtungen, wo ein Roboterarm nicht hinlangt. Alle menschliche Aktivität wirkt neben den superschnellen Maschinen zwangsläufig verlangsamt. In Graukittel gekleidete Valiumengel gegen Tempoklopper im Stahlskelett. In den Produktionsprozess des Kapitals aufgenommen, durchläuft das Arbeitsmittel verschiedene Metamorphosen, deren letzte die Maschine ist oder vielmehr ein automatisches System der Maschinerie.

Was Tätigkeit des lebendigen Menschen war, wird Tätigkeit der Maschine. Karl Marx. Einfach sagenhaft, dieses Tempo, in dem sie sich bewegen. Eine akkurat aufgestellte Reihe entlang der Laufbänder. Teure, fleißige Werkzeuge mit einer kleinen Portion Hirn. Sie recken und strecken ihre gelenkigen Glieder wie ein mechanisches Ballett, gehen ruckzuck in die Knie und wirbeln aus der Hocke wieder hoch. Dabei immer ein halbes Auto in der Pranke. Kinko.

Gereifroboter stürzen sich wie hungrige Riesenflügel auf frisch gepresste Kotflügel. In Gruppen stehende Schweißroboter jonglieren graziös mit Blechen und brennen die immer gleichen Nähte in Karosserien. Ganze Scharen von Robotern haben beim Autobau ihren festen Arbeitsplatz gefunden. Die schlauen Biester schaffen was. Sie haben den einstigen Knochenjob der Herstellung übernommen, sind zuverlässig und pausenlos im Einsatz. Und doch nicht so intelligent, dass sie eine eigene Gewerkschaft gründen könnten.

Eines der Merkmale, mit deren Hilfe wir Wissenschaft von Pseudowissenschaft und Religion unterscheiden können, besteht darin, dass in der Wissenschaft alles Wissen provisorisch ist. Und wenn wir uns mit dem fast völlig nebelhaften Zustand der Ökonomie und anderer Sozialwissenschaften befassen, haftet unsere Fähigkeit zu sagen, was als nächstes geschieht und weshalb, eher etwas Soziales als etwas Wissenschaftliches an. John L. Kesti

Statt Abenteuer lustig oder reisefreudiger wurden wir durchs Auto immer gewöhnlicher. Die Dinge hingen in jüngster Zeit nicht mehr so gut am Gas. Der Ruf der Apokalyptiker wurde immer lauter. Vorwärts, Fotorologen, wir müssen zurück. Oder wollt ihr ewig an dieser gealterten, romantischen Vorstellung von Mobilität festhalten? Die Gesundheit von Mother Earth riskieren, wie beim Ozonloch und The Waldsterben.

wird Zeit, die Untergangsvisionäre zu rehabilitieren. Autos waren die eigentliche Bevölkerung der Städte. Der letzte Fahrer steht. Das heißt, noch sitzt er im Auto. Aus Konvention. Ziele real zu erreichen, ist nicht mehr nötig. Es gibt andere virtuelle Wege. Das Auto wandelt sich endgültig vom Transport zum Kommunikationsmittel. Im Stillstand wird der Fahrer sich freier fühlen, es aber nicht sein. Paul Virilio. Vielleicht sind wir in Zukunft froh, dass wir Roboter haben.

In 15, 20 Jahren werden Roboter und Menschen wie selbstverständlich miteinander leben. Japanische Experimente zeigen, dass Menschen in der Lage sind, zu Robotern mit humanoiden Zügen, einem Gesicht beispielsweise, plötzlich Gefühle zu entwickeln. Wir brauchen vor allem Mut. Vieles wird sich verändern. Es geht um Gene und Atome, um Nano und Neuro. Und es wird alles sehr, sehr schnell gehen. Global Future Institute San Francisco.

In der Mittagspause ein schöner Spaziergang durch die parkartige und vor allem verkehrsfreie Autostadt. Auf dem Infobord der Haupthalle rattern ganztägig die Namen der Autoabholer in Flughafentypographie mit der exakten Uhrzeit der Übergabe. Ein durchaus erhebender Moment, wie ich beobachten kann. Während ich im Restaurant auch um Meter eine Currywurst à la carte esse, die Original VW Currywurst zu 4,50, um mich danach wieder der Arbeit zuzuwenden, dem Aussehen von Kresse, Brunnenkresse.

Nach reichlich Lektüre über neue Antriebstechniken will ich den Praxistest einmal mitmachen. Im sogenannten Sunfuel Lab soll meine Pflanze, Code Kajus Seed 2796, zu Biomasse und damit zum Treibstoff für morgen werden. Gesät wird die Kresse auf dem Boden des Laboratoriums, in dem ein Roboter winzige Samenkörner in die Erde eines in Stahl befassten Beetes steckt.

Das entstehende Sunfuel berechnet er im Voraus. In acht Wochen sollen von mir 0,2 Milliliter im Flakon hier abgeholt werden. Getankt würde die gewonnene Menge Biokraftstoff für eine Fahrstrecke von 70 Zentimetern ohne jeglichen CO2-Ausstoß reichen. Ob diese Roboter in der Masse kommen werden?

Ob wir sogar Fertigungsstraßen haben, werden mit humanoiden Robotern, die möglicherweise einem Arbeiter einen Gegenstand reichen und auch sehen, wie der sich verhält. Weiß keiner genau. Und was würde eine vermehrte Roboterankunft im Werk für die Arbeitnehmer bedeuten? Werden sie dann zu Zehntausenden freigesetzt? Und zwar auf ewig? Was passiert mit ihnen? Mit den sozialen Problemen, die sich dann auftun? Darauf gibt es keine Antwort.

Bei der Verabschiedung hatte der Werksfotorologe mir angesehen, dass die Ergebnisse unseres Gesprächs für mich etwas mager ausgefallen waren. Enttäuscht? Aber bitte, Sie sind doch Schriftsteller, also machen Sie was daraus. Seine Aussagen insgesamt nur bedingt klar. Seine Ideen im Prinzip bereits bekannt. Sein Optimismus, der eines aufgehörten Wissenschaftlers, der seine Seele an den Kommerz verkauft hatte. Sein Job?

der eines Vermittlungsagenten, der das universitär erforschte Wissen wie jede andere erreichbare Information für die Firma verfügbar halten soll. Sein Unternehmen macht mir zunehmend Sorgen, weniger betriebswirtschaftliche oder sonst wie erklärbare, als eher gefühlte Sorgen. Schließlich stamme ich aus der Gegend. Anlässe gibt es genug. Die zum idealen Dauerjux gewordenen Verfehlungen früherer Führungskräfte, die Spekulationen um die Besitz- und Machtverhältnisse,

Die selbstsicher bleibende Routine angesichts des Krisenhurrikons und die nach wie vor pompösen Außendarstellungen der Autobauer. Auch ihre probaten Strategien des Verleugnens, Verzögerns und in die Irre Führens haben sie beibehalten. Arbeiten heißt, nützliche Dinge zu produzieren. Andererseits sollten Menschen frei sein, wirkliche Werte zu erzeugen und einen allen zu eigenen Gemeinschaftsgeist wiederzubeleben.

Die Menschen von Arbeit zu befreien, damit sie einen entscheidenden Beitrag zur Schaffung von Sozialkapital im nicht kommerziellen Gesellschaftsleben leisten können, bedeutet im nächsten Jahrhundert einen großen potenziellen Sprung nach vorn für die Menschheit. Jeremy Rifkin. Meine erste Arbeitsstelle. Im Stahlwerk, ganz in der Nähe. Pausenlos sausten damals rotglühende Platten an mir vorbei. Blech für die Welt, heiß von der Walzstraße fallende Tröpfchen für mich, ein Bergstoffprüferlehrling.

Es brauchte viel Mut, die Lehre abzubrechen. Dem Vater das durch die abgeschlossene Badezimmertür beizubiegen. Seinem ohnmächtigen Gebrüll stand zu halten. Hoch lebe die Arbeit, schrie er. Ja, ja, so hoch, dass mein Herr Sohn nicht rankommt. Heißt Arbeiten noch immer etwas gottgefälliges Tun? Oder ist's ein Wabank-Spiel geworden? Alles oder nichts?

Das Glück von Zufällen, Ahnungen, Qualifikationen für den Augenblick, Überleben durch kontingente Rudelbildung, Netzwerke, Bernd Caillou. Ja, aber wo überhaupt könnte der Mensch 2030 noch arbeiten? Von heute aus gesehen gibt es darauf nur eine einzige schlüssige Antwort. In den virtuellen Welten. Die Zukunft hält im Wesentlichen zwei Arbeitsmodelle bereit.

Das eine eben für jene, die im virtuellen Raum arbeiten. Und ein zweites für jene, die dort arbeitende Leute vor denen schützen, die keine Arbeit haben. Das ist ein...

Wenn du so willst, globales Hollywood-Modell à la Matrix. Wer hat welche Kompetenzen in der virtuellen Welt? Darum geht es. Da liegst du ja gut im Rennen. Als kompetenter IT-Spezialist, als digitaler Hoflieferant, der den Fürsten von und zu Wolfsburg-Zuffenhausen exakt vorrechnet, was in ihrem Arbeitsreich in den nächsten 50 Jahren geschehen wird. Für die Zukunft der Arbeit wäre es schon toll, wenn man wüsste, womit in fünf Jahren zu rechnen sein wird.

Zukunftsforschung ist nicht mehr als eine Projektion, in die vergangene wie gegenwärtige Entwicklungen und Annahmen einfließen. Heißt das, dass die Zukunft der Arbeit zuallererst von den zukünftigen Technologien abhängt? Die elektronikgestützte Automatisierung der Produktionsprozesse wird sicher gesteigert werden. Es sei denn, Finanzkrisen verhindern die Investitionen. Kostet zig Millionen ein einzelner Robotar. Und die Arbeiterschaft? Die Kundschaft? Die Entwicklung der Wirtschaft?

Wie kommt man da zu präzisen Vorhersagen? Mit Trendanalysen, Relevanzbauenverfahren und Simulationen? Es gibt keine Vorhersagen. Aus mathematischen Gründen. Wir haben es hier wegen der Vielschichtigkeit der Gesellschaft mit einem komplexen System zu tun. Um es klar zu sagen, mit einem Mehrkörperproblem. Alle Körper wirken potenziell aufeinander und stehen in Wechselwirkung. Und schon bei wenigen Körpern kann man mathematisch keine Vorhersagen mehr treffen.

Einem Arbeiter höhere Löhne zu zahlen, der in keiner Weise einem Maschinenwesen überlegen ist, wird zusehends unattraktiv. Da ist es ein Gebot der finanziellen Vernunft, ihn durch einen Roboter zu ersetzen. Richard Sand. Das Leben lässt sich nicht berechnen. Möglicherweise könnte man die Zukunft des Systems theoretisch vorausberechnen. Aber es gibt eben kein mathematisches Mittel, dies bereits heute zu tun. Was man vielleicht irgendwann einmal mit milliardenfach gesteigerter Rechenleistung können wird.

Bis dahin Daten sammeln, Daten interpretieren. Von den Erfordernissen der Herrschaft befreit, führt die quantitative Abnahme der Arbeitszeit und Arbeitsenergie zu einer qualitativen Wandlung im menschlichen Dasein. Die Freizeit und nicht die Arbeitszeit bestimmt seinen Gehalt. Der wachsende Bereich der Freiheit wird wirklich zu einem Bereich des Spiels, des freien Spiels der individuellen Fähigkeiten.

Diese Möglichkeiten werden neue Formen der Realisierung und Weltentdeckung hervorbringen. Jeremy Rifkin. Dem Informatiker ist selbstverständlich klar, dass ein Arbeitgeber in physischer, ja mehr körperproblematischer Konkurrenz zu anderen Unternehmen derselben Branche steht. Seine Kritik richtet sich jedoch an alle Autohersteller. Sie dächten nicht genug darüber nach, dass nach ihren Grundprinzipien produzierte Autos im Jahr 2050 wahrscheinlich gar nicht mehr gebräuchlich sein würden.

Da kämpft nicht nur ein Hersteller gegen die anderen. Die Autoindustrie überhaupt kämpft ums Überleben. Das bedeutet nicht, dass es so etwas wie ein Auto in 30, 40 Jahren nicht mehr geben wird. Aber aus welchen Komponenten es dann besteht, ist eine andere Geschichte.

Und wer das bestimmt oder wer so ein Auto einfach zusammensetzen kann, wer sich mit einem 3D-Drucker sein Auto einfach ausdrucken kann, mit einer Lizenz. Ein Auto drucken? Schwer vorstellbar. Wenn ich an das Hammer-Inferno vorhin im Presswerk denke oder an den ausgestellten rococo-haften Cadillac von Anno 34, ein kaum nachdruckbarer Oldtimer. Binnen zehn Jahren werden dreidimensionale Plotter ausgeliefert. Die können aus noch zu entwickelnden Kunststoffen alle erdenklichen Formen bis hin zu bionisch abgeleiteten Modellen gestalten.

Um 2050 auch in Big-Varianten. Häuser, Brücken, Straßenplotten mit Beton. Dann wäre ein Auto ja eher die kleinere Aufgabe. Ganz einfache Sache. Sich mit einem 3D-Drucker ein Chassis mit Karosse ausdrucken, sich einen Motor über Ebay bestellen und den dann einsetzen. Ist zu schwer? Nicht kompatibel? Kein Problem. Es wird den Dienstleister an der Ecke geben, der den Motor oder das Antriebssystem ordentlich einhängt. Und das alles für wenig Geld.

Wenn das Volk den Wagen tatsächlich selber bauen kann, dann hätte es ja endlich seinen ultimativen Volkswagen. Ein kleines, einfaches, grünausgedrucktes und selbst zusammengebasteltes Öko-Auto. Ja, das hätte es dann, das Volk. Weil den Menschen, die dich erdacht, deutschen Erfinder die Wehren, welche die Menschheit freige gemacht, wollen wir preisen und ehren.

Aber was fahren die Götter? Was die wachsende Zahl von Menschen anbelangt,

die in der Wirtschaft keinen Platz mehr finden werden, so steht der Staat vor der Wahl, entweder mehr Geld für Polizisten und Gefängnisse auszugeben oder mehr Geld in den dritten Sektor zu investieren, um dort für Beschäftigung zu sorgen. Wir müssen Arbeit in Zukunft anders definieren. Wir müssen die sogenannten ehrenamtlichen Tätigkeiten, soziale, in Sport und Betreuung, wichtiger nehmen, höher bewerten und entsprechend den schwindenden industriellen Lohnbeschäftigungen bezahlen.

Der dritte Sektor, der Bereich der sozialen Verantwortlichkeit. Er trägt Sorge für Millionen Menschen, für eine Ökonomie sozial, die nicht aus primär gewinnorientierten Wirtschaftsbetrieben besteht, sondern soziale Ziele oder indirekte ökonomische Gewinne anstrebt. Jeremy Rifkin. Endlich habe ich einen Blick in die Zukunft getan, habe gesehen, dass Veränderungen, auch die technischen, sich eher schleichend vollziehen. Noch stehen ja Menschen an Fließbändern.

Noch agieren allüberall Schalterbeamte, ohne etwas zu entscheiden. Noch arbeitet die Industrie auf der niedrigsten Stufe der Robotik, ohne den Einsatz künstlicher Intelligenzen. Noch läuft alles im gewohnten System. Noch immer arbeitet es Noam Chomsky zufolge nach der Maxime Profit over People.

Das Verhältnis von Kapital und Arbeit, das gesellschaftspolitisch wieder und wieder zu klären wäre, wird wie eh und je nach dem Links-Rechts-Schema diskutiert, dem offenbar alleinigen Deutungsmuster, tertium non datur. Stets dreht sich alles um die altbekannten moralisch-ethischen Konflikte. Doch das Ideelle und das Ökonomische kriegen wir einfach nicht zusammen. Heute so wenig wie zu anderen Zeiten. Das ist unser höchstes Gebäude, die Hauptverwaltung.

Ganz oben sitzt der Vorstand. Und das Markenzeichen auf dem Dach? Die stilisierte Radkappe. Mit den beiden Buchstaben. Ach ja. Jetzt sehe ich es. Eine ziemlich große Radkappe. Das Originallogo. Natürlich. Kreisrund. Und mit einem Durchmesser von acht Metern. Der Wendekreis des Käfers. Der Wendekreis des Käfers? Eine Wende auch für die Firmenphilosophie? Eine Wende gar aller Firmenphilosophien?

»Blebe nur zu hoffen, dass die Herren Vorstände besser Bescheid wissen, als sie öffentlich verlautbaren lassen. Meine beiden Gesprächspartner wussten jedenfalls so einiges mehr, was sie mir aus firmeninternen und arbeitsrechtlichen Gründen verständlicherweise nicht erzählen wollten. Selbst ich wusste mittlerweile ein wenig mehr als das, was ich sagen oder schreiben durfte. Schließlich hatte ich mich bereits am Eingangstor damit einverstanden erklärt, strengstes Stillschweigen über alle mir zur Kenntnis gelangten Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse des Unternehmens zu bewahren.«

Und zwar für immer.

Dramaturgie und Redaktion Götz Schmedes