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cover of episode Die Nacht im Ewigen Licht (1/4): Deutschlands Befreiung 1945

Die Nacht im Ewigen Licht (1/4): Deutschlands Befreiung 1945

2025/5/4
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Transcript

Shownotes Transcript

Bitte beachtet, in diesem Hörspiel wird diskriminierende Sprache benutzt. 1944, 1945, litten die Menschen in Deutschland unter einem der härtesten Winter seit Menschengedenken. Nun hatten wir schon April und es war immer noch kalt und grau. Viel zu wenig Sonne, als dass etwas hätte wachsen können. Deutschland froh, Hunger der Bitter und Lagen Trümmern.

Mein Name ist Ludwig von ganzer Stammi, aber ich weiß, dass mich alle Colonel Gans nennen. Ich bin der Chefredakteur vom Sternenbanner, der Propaganda-Zeitung der US Army. Mit einer Druckauflage von zuletzt vier Millionen Exemplaren sind wir die größte deutschsprachige Zeitung der Welt. Und für uns arbeiten nur die Besten.

Das ist die Radio der amerikanischen Truppen in Deutschland. Die Nacht vorher sind unsere Truppen in die südliche Teilen der Favela eingegangen, über den Danube-River und sind in den ersten Suburb der Union erreicht worden.

Haben Sie das gehört, John? Unsere Truppen stehen kurz vor München. Und was bedeutet das, Boss? München, mein lieber John, ist nicht nur die Hauptstadt der Nazi-Bewegung, sondern auch die Stadt mit den meisten Zeitungen. Der Völkische Beobachter, der Stürmer, das sind alles Münchner Blätter. Und Sie wissen doch, wo es Zeitungen gibt, gibt es auch Druckereien. Verstehe, ja. Und was ist mein Job dabei? John.

Ich weiß, das ist etwas heikel, weil München offiziell ja noch nicht eingenommen ist. Aber ich bin mir sicher, dass Sie morgen früh, wenn Sie da sind, keine Probleme haben werden. Ich soll nach München fahren, alleine? Sie müssen sofort aufbrechen und nachschauen, ob die Nazi-Druckereien noch stehen. Wenn die noch in Takt sind, requirieren Sie es augenblicklich für uns. Fahren Sie rüber und hauen Sie unseren Kuckuck auf die Druckmaschinen, bevor es irgendein anderer tut.

Total bei Ihnen, Sir, aber bei allem Respekt. Ich war noch nie in München. Wie soll ich mich denn da zurechtfinden? Sie haben ja mehrfach bestätigt, dass Sie ein Thomas Mann-Kenner sind schon. Wozu braucht man einen Stadtführer, wenn man Gladius Day gelesen hat? Die Druckereien liegen alle in der Innenstadt. Warten Sie, hier, schauen Sie. Da sind die Adressen. Außerdem gebe ich Ihnen Sgt. Felbinger als Fahrer mit. Der kommt zumindest aus Biberach. Biberach? Das liegt in Schwaben. So, nun fragen Sie jemanden. Ihr Wagen steht draußen und wartet auf Sie. Viel Glück, Mr. Glück.

Rufen Sie mich an, please, wenn Sie was erreicht haben an der Isar. Die Nacht im ewigen Licht von Steffen Kupetzki. Hörspiel in vier Teilen. Teil 1. Die Befreiung Münchens 1945. Nein, wahrscheinlich ist es gar nicht so selten, dass man sich so genau an das allererste Mal von etwas erinnern kann. Zum Beispiel das erste Bier oder der allererste Kuss, das

Das weiß man ganz genau. Oder der Geruch, als man zum allerersten Mal in der Dunkelkammer war. Da gibt es bestimmt bei jedem von uns eine ganze Reihe von erstmaligen Erlebnissen, an die man sich richtig gut erinnern kann. Und ich weiß jedenfalls ganz genau, wann ich meinen allerersten leibhaftigen Amerikaner gesehen habe. Also ja, irgendwie hat man natürlich schon mal einen Amerikaner gesehen. Auf einem Bild. Oder zum Beispiel immer nach

richtig schweren Bombenangriffen. Wenn man sich gerade wieder so erholt gehabt hat von dem Schrecken und die meisten Brände gelöscht waren. Da haben die nachts Flugblätter und Zeitungen abgehauen. Sternwanner hat die amerikanische Zeitung geheißen. Und das war mir die liebste, weil die englische Zeitung, das war die Luftkost, so hat die geheißen, die war immer so negativ.

Und die Russische, die hat es bei uns eigentlich gar nicht gegeben, weil die Russen, die hatten die Reichweite mit ihren Fliegern überhaupt nicht. Und zu den Kommunisten, da wollte auch keiner, also fast keiner. Aber von den Amerikanern, da wollte man erobert werden. Das war eigentlich bei den allermeisten normalen Leuten in Bayern so. Bei uns in München war die Hoffnung ganz klar die, dass uns die Amerikaner befreien würden.

Befreien, freilich. Freilich befreien, auf jeden Fall befreien, was denn sonst? Na, wer bei Verstand war, der war längst gegen die Nazis und für die Amerikaner. Und deshalb habe ich mich auch so gefreut, als ich meinen allerersten amerikanischen Soldaten gesehen habe, weil mir einfach in dem Augenblick ganz klar geworden ist, dass wir bei den Staaten sind.

Und nicht bei den rachsichtigen Engländern oder den russischen Kommunisten vom Stalin. Das war am 30. April 1945. Ziemlich in der Früh, so halb sechs um den Dreh. Ich weiß das deswegen so genau, weil ich zu dem Zeitpunkt damals beschäftigt war, damit Fotografien zu machen von dem, wie München zu dem Zeitpunkt ausgeschaut hat. Also ohne Menschen, nur mit Rümmern.

Und dafür bin ich jeden Morgen ganz früh zur Fotoschule gegangen und dann hat mir beim Hausmeister die Kamera ausgelenkt. Guten Morgen, Herr Otto. Ja, guten Morgen, Frau Kerschbammer. Es ist so saugeil draußen. Richtig, es ist saugeil. Nein, ich hole die Kamera für heute. Schauen Sie her, ich habe alles schon hergerichtet. Da ist alles beieinander. Danke. Ah, Herr Otto, Sie sind einschätzt. Aber, Frau Kerschbammer, gell?

Wiedersehen macht Freude. Und bitte, verlieren Sie mir keins von den Objektiven. Wir haben kaum noch welche im Magazin. Freilich, ich verspreche es Ihnen. Keine Sorge, heute Nacht ist es wieder da. Kann ich mich darauf verlassen? Auf jeden Fall. Heute Abend. Versprochen, geschworen. Ja, Anna ist recht. Passen Sie auf Ihren Aufforderung, Kirschbaumer. Mache ich. Mache ich immer. Bis später. An dem Tag war es zwar schon hell, aber es gab überhaupt keine Sonne. Gar nicht. Es war ganz grau. Und diese Gras...

Ich habe einen solchen Hunger gehabt, das weiß ich nicht. Aber das war ganz normal. Dünn war ich wie ein Spargel. Und gefroren habe ich die ganze Zeit. Weil wir haben kaum was zum Heizen gehabt damals. Also in der Mädchenpension. Das war aber auch ganz normal. Und es war schon bald Mai und es war immer noch so saukalt. Und ich bin also mit meiner Kamera auf der ausgestorbenen Arnoldstraße standen da. Höhe Hackerbrücke.

und habe das sehr gute Zeiss-Weitwinkel draufgeschraubt gehabt und mir überlegt, wie es gute Fotos werden könnten. Weil die Hackerbrücke, die ist ja damals noch gestanden, die hat spektakulär ausgeschaut. Inmitten von den Trümmern und gerade bei Morgenlicht. Und in dem Moment nähert sich plötzlich ein Auto und...

Ja, paar Tage später hätte jeder dieses Auto als typischen Ami-Jeep benennen können. Aber weil es ja der allererste Ami-Jeep war, der überhaupt jemals auf den Straßen von München unterwegs war, da war das natürlich für mich ein ganz besonderer Tag.

Unzertraute Anblick. Entschuldigen Sie bitte, Fräulein. Ja? Wir brauchen unbedingt Ihre Hilfe. Können Sie uns den Weg weisen in die Völbinger, wie heißt die Straße? Das ist die Sendlinger Straße. Sendlinger Straße? Das wäre wirklich zu liebenswürdig. Wir haben leider keinen vernünftigen Stadtplan. Das ist überhaupt kein Problem. Ich weiß eigentlich gar nicht, was ich mir da vorgestellt habe. Aber mir ist bei dem Anblick

einfach nichts mehr eingefallen, weil der so perfekt Deutsch gesprochen hat wie wir Rheinländer vielleicht. Und dann habe ich überlegt, ob das ein Emigrant sein könnte. Weil von denen hat man sich damals generell schon ein bisschen gefürchtet, von den Emigranten, die zurückkommen. Das sage ich jetzt ganz ehrlich, weil wenn jemand an Grund gehabt hätte, richtig sauer auf uns zu sein, dann wären das auf jeden Fall die Emigranten gewesen.

Das wäre einem selber ja genauso gegangen. Nein, nein, also, einstrengend so ein Teil. Also, wie kippen wir den Donner zu? Ich weiß ja nicht einmal, wie Sie heißen. Oh, entschuldige Sie bitte. Ich bin der Käpt'n John Glück aus New York. Aus New York? Aber wieso sprechen Sie dann so gut Deutsch? Mein Großvater war aus Köln. Also aus Köln-Sülz. Genüge Stadt. Der hat gut ausgeschaut. Das muss ich schon sagen. Das war ein schöner Mann. Und vor allem war es ein Amerikaner.

Und damit war die allergrößte Sorge erstmal ausgestanden, weil wo der Amerikaner ist, da kommt kein Russ. So viel war klar. Und ich sage es ganz ehrlich, am liebsten hätte ich mich dem an den Hals geworfen, weil ich so froh war, dass der Krieg jetzt aus war. Und das war ja ganz klar, weil sonst hätte ich ja nicht neben einem Amerikaner auf seinem Jeep sitzen können. Fräulein Christel, wieso sind hier keine Menschen?

Noch ein paar Kilometer westlich, ich glaube Passing hieß das. Passing! Da sind überall Truppen und Bevölkerung auf der Straße. Aber hier in München? Kein Mensch. Also sind denn hier noch keine anderen US-Truppen aufgetaucht oder? Nein, nein, nein, sie sind die allerersten. Mary G. and Joe. Haben Sie das gehört, Sergeant Föbinger? Ich bin ja nicht taub.

Was soll er machen, Captain? Soll er mal zurückfahren nach Passing oder wie das Gehäuse hat? Nee, wir fahren weiter. Kommen Sie denn nun mit uns, Fräulein Christl? Ja, ich komm mit, aber vorher möchte ich gerne mal ein Foto von Ihnen zwei machen. Ja, ist das in Ordnung? Ich muss nur noch kurz das Objektiv wechseln. Einen Moment bitte. Ich weiß eigentlich gar nicht, woher ich den Mut gehabt habe, aber die beiden, die haben sich sofort hingestellt, als ob sie schon darauf gewartet hätten.

Und dann habe ich ein Foto von ihnen gemacht. Das waren es dann. Die ersten beiden Amerikaner in München. Das ist der erste Abzug gewesen. Das Foto, das ist dann später in einem Buch gedruckt worden. Es war ein Buch über München, wie es in Trümmern gelegen hat und wie sie es dann befreit haben. Und nirgendwo war ein Mensch zu sehen. Es war völlig ausgestorben.

Da vorne ist der Bahnhof und die ist da. Das ist der Justizpalast. Zur Sendlinger Straße müssen wir jetzt da hochfahren. Was haben wir denn hier? Das ist das Rathaus. Das Rathaus, das haben die Bomberstaffeln damals direkt rausgemeißelt aus dem vorherigen Verhau. Also wirklich wie die Bildhauer bei einer Ausstellung.

Überall sonst auf dem Platz waren die Betonbrocken und die Armierungseisen, haben rausgeschaut. Also man hätte sich gruseln können, wirklich. Und erst waren es nur wir drei in unserem Jeep, die einzigen auf dem ganzen Platz. Und plötzlich, also es hat nicht lange gedauert, war der ganze Marienplatz voller Leute, als wäre es Wiesen, weil jeder wollte den Arme-Jeep anschauen.

Und die Buben, die wollten den Ami-Chip anlangen. Und die Leute haben geplärrt vor Glück, wie die Rindviecher, wirklich. Das ist die Amis-Trauer, echte Amis. Was ist denn mit den Leuten? Die sind ja förmlich verrückt verfreudet. Ja, das ist doch klar. Jetzt muss ich da sein, da werden die Amerikaner die Stadt auf gar keinen Fall mehr bombardieren. So was sollten die ja nie machen, sich selber bombardieren.

An dieser Stelle hätte John der jungen Fotografin gerne erwidert, dass die Erlebnisse, die er bei seinen ersten Schritten auf deutschem Reichsgebiet gemacht hatte, ihn etwas ganz anderes gelehrt hatten.

John war als Reporter des Sternenbanner im Hürtgenwald gewesen, einem Waldgebiet südlich von Aachen, dessen Eroberung genauso lange gedauert hatte wie der Weg von der Küste der Normandie bis an die deutsche Grenze, nämlich vier Monate. Vier Monate eines Winterdschungelkrieges, wie ihn die US Army in ihrer ganzen Geschichte nicht erlebt hatte. Da war keine Rücksicht auf Soldatenleben genommen worden.

Die Wehrmacht mochte brutaler sein als die Amerikaner. Aber diese waren einfach mehr. John Glück hatte einiges mitgemacht. Aber darüber konnte er natürlich kein Wort verlieren, denn die Situation auf dem Marienplatz eskalierte, als ein amerikanischer Panzerspehwagen daherrasselte und sich durch die Masse der jubelnden Leute heranschob. Zum ersten Mal verspürte John eine gewisse Furcht.

Nicht, dass er angenommen hätte, die Männer der 45. Infanteriedivision würden direkt das Feuer auf sie eröffnen, aber dass sie extrem unerfreut waren, sie zu sehen, war offensichtlich. General Frederick

war der jüngste aller amerikanischen Generäle und er hatte seine Leute die letzten zwei Wochen über den Main getrieben. Aschaffenburg unter schwersten Kämpfen eingenommen, die heftige Schlacht um Nürnberg gewonnen und schließlich am 26. April, also vor vier Tagen, die Donau überquert. Der Überflieger aus San Francisco wollte nun endlich das weltberühmte München, die sogenannte Hauptstadt der Bewegung, befreien.

Erster sein. Typisch Kalifornien. Diese fremden Typen aus New York oder sonst woher mit ihrem lächerlichen Jeep und dem deutschen Mädchen mit Kamera störten natürlich das Bild. Immer blöd.

wenn die Berichterstatter vor dem Ereignis da sind. Captain John Gluck, PsycWarp. Zurzeit ebenfalls 7. Armee. Wir sind hier mit Spezialauftrag. Es geht um die Zeitungsdruckereien in der Stadt. Selbstverständlich, General.

Wir sind mit Ihrer Erlaubnis sofort wieder weg. Thank you, smartass! Now get the fuck out of here! Das hat der General John nicht zweimal sagen müssen. Wir waren alle drei heilfroh, dass wir aus dem Gewühl endlich draußen waren. Und dann sind wir Richtung Sendlinger Straße gefahren. Freilich! Wir könnten sofort loslegen und eine Zeitung drucken. Sofort! Müssten uns nur sagen, welche. Wir drucken sie jederzeit. Kein Problem. Text bräuchte man halt.

Wir setzen den dann sofort und drucken ihn. Hauptsache, es ist eine hohe Auflage. Großartig. Hiermit requiriere ich die gesamte Druckerei für die 7. US-Armee. Ah, das wird also eine Armeezeitung.

Kein Problem. Armee, das wird eine sehr hohe Auflache. Die Armee ist doch sehr groß. Das ist sehr, sehr gut. Eine hohe Auflache. Nein, das wird keine Armee-Zeitung, sondern eine richtige Zeitung. Auch gut. Wann fangen wir denn an? Kann ich Ihnen nicht sagen. Auf jeden Fall requiriere ich hiermit die Druckerei. Mir soll's recht sein. Wen darf ich aufschreiben? Haben Sie ein Formular? So wie alle drauf gewartet haben, dass endlich der Frühling kommt, so wollten sich auch alle...

Ministerien und Ämter und Behörden, aber auch so halbamtliche größere Geschichten wie die Druckerei, nichts lieber wie sich ergeben, von den Amerikanern befreit werden. Das war also was Schöneres, hat man sich gar nicht vorstellen können. Da war ein ganz starker Wille zur totalen Niederlage zu spüren bei uns allen in München an diesem 30. April 1945.

Nachdem wir also die Druckerei requiriert gehabt haben, hat er mich gebeten, ihm den Weg an die Isar zu zeigen. Wie müssten wir fahren, wenn wir zum Prinz-Regenten-Platz wollten? Ecke Grillparzer. Wissen Sie das zufällig, Christel? Ja, ist da eine Druckerei? Ich habe ganz genau gesehen, dass er sich nicht so recht überwinden konnte, mir Genaueres zu erzählen. Er hat bloß ein bisschen...

ganz leicht gegrinst. Nummer 11, das muss es sein. Falbinger, sollen wir reingehen? Das können Sie entscheiden, Captain. Ich bleibe auf jeden Fall beim Wagen. Gut. Christel, kommen Sie mit? Ja. Also wenn wir jetzt nicht die Gelegenheit ergreifen, wann dann? In Ordnung. Ja, und nehmen Sie Ihre Kamera mit, ja? Ja, mache ich. Wir sind ausgestiegen und die Treppen hoch und erst in dem Moment...

habe ich mich erinnert, wo wir da gerade waren. Das war das Haus, wo der Hitler seit München eine Privatwohnung gehabt hat. Ja, im dritten Stock links. Und an dem Klingelschild ist tatsächlich nur der Name gestanden. Und der John, der hat schon gewusst, wie man so eine Tür ohne Gewalt eröffnet. Es war eine bescheidene Wohnung, ohne Geschmack eingerichtet, aber mit teuren Möbeln.

Breite Clubsessel, eine breite Couch, überzogen mit dunkelrotem Velour. Irgendjemand musste sich die ganze Zeit um die Wohnung gekümmert haben, nirgendwo lag nur ein Stäubchen. Ein Blick aus dem Fenster der Wohnung auf den beinahe zerstörten Prinzregentenplatz war völlig unwirklich.

Der Mann, der fast ganz Europa unter seiner Kontrolle gehabt und mit Hilfe seiner Partei und der Beamten ein ganzes Volk wie in Wahn beherrscht hatte, sollte hier auf dem Sofa gesessen und Kuchen verzehrt haben, nachdem er, wie es hieß, süchtig war. Die junge Fotografin hatte das Objektiv gewechselt, machte Fotos von der Wohnung. Sie zeigte das typische Verhalten, das John schon bei Kriegsfotografen aufgefallen war –

Der Blick durch das Objektiv relativiert alles. Das Gefährliche und das Groteske werden einfach nur ein Motiv. John, sitz in seiner Arme an den Schreibtisch. Ich mache ein Foto, ja? Ja. Mitbewegen. Natürlich wollte John herausfinden, ob das Telefon noch funktionierte. Er hob ab und stellte zu seiner Überraschung fest, dass der Apparat ein Freizeichen brachte.

Er wählte irgendeine vierstellige Nummer, die er sich in dem Moment einfach ausgedacht hatte. Hitler hier, der Führer. Jawohl, ja. Ich bin in München. Richtig. Ich bin in gewissen Schwierigkeiten, wie Sie sich vielleicht vorstellen. Ja, ja, genau. Nein, das ist meine Verlobte Eva Braun. Eva, Ruhe bitte. Es ist nicht gerade einfach für mich. Ja, ich wollte Sie etwas fragen.

Können wir heute Nacht vielleicht bei Ihnen unterkommen? Für eine Nacht. Aufgelegt. Die Treue zum Führer hat sich erledigt. Bye bye. Ich weiß, dass mir das wahrscheinlich keiner glaubt. Und ich würde mir das selber nicht glauben, weil der 30. April, das hat man ja dann später erfahren, das war ja der Tag,

an dem sich der Hitler und die Eva Braun in Berlin droben umgebracht haben. An dem Tag haben wir zuerst das Hitler-Telefon und danach der Eva Braun ihre Badewanne ausprobiert. Und ich gebe zu, das mit der Badewanne, das ist auf meinem Mist gewachsen. Eigentlich, ich wollte zuerst nur schauen, ob da vielleicht ein warmes Wasser aus dem Hahn kommt.

Oder ob das genauso war wie bei uns allen oder überall, wo ich mich normalerweise aufgehalten habe. In der Fotoschule zum Beispiel oder vor allem in der schrecklichen Pension bei die knickerten Fräulein. Da kommt wirklich warmes Wasser. Ich habe einfach in dem Moment nicht widerstehen können, weil ich den ganzen Tag schon so durchgefroren war und eine Wanne eingelassen. Und es waren sogar noch

Der Eva Braun ihre Badezusätze da. Das waren lauter französische Produkte, so Rosenbadeöl, ganz was Feines war das. Und ja, das haben wir dann ins Wasser. Und der John, der hat in der Zwischenzeit mit seinem Hauptquartier telefoniert, weil nämlich dem Hitler sein Telefon

Trotz der ganzen Zerstörung und der unabwendbaren totalen Niederlage, trotzdem hat dem seine Privatleitung immer noch funktioniert. Was in der Situation ein Glücksfall war, weil dann hat jeder dadurch seine Ruhe gehabt. John, das ist ja kaum zu fassen, dass Sie sich so schnell melden. Von wo aus rufen Sie an?

Das würden Sie mir sowieso nicht glauben. Aus einer Privatwohnung in München jedenfalls, mit Blick auf den Friedensengel, Sir. Während er schilderte, dass die Druckereien der Stadt München, in denen zuvor Erzeugnisse wie der Stürmer in höchsten Auflagen hergestellt worden waren, nur darauf warteten, ab sofort unsere Zeitung zu drucken, ging er mit dem Telefon in der Hand vor dem Hitler-Schreibtisch auf und ab. Bleiben Sie auf jeden Fall in München und halten Sie die Stellung, John. Sie sind wirklich mein...

Alles Gute weiterhin. Freue mich auf Ihren detaillierten Bericht oder wissen Sie was? Vielleicht können Sie auch eine Story draus machen. Aufmacher, wie ich München befreit habe. Wird mir Mühe geben, Boss. Mal sehen, keine Ahnung, wo heute Abend meine Schreibmaschine stehen wird, Sir. Auf jeden Fall wollte ich Sie fragen... Muss losmachen, John. Da kommt ein alter Freund von mir zur Tür herein. Ich glaube, der kommt nicht, um Tee mit mir zu trinken. Also, bye-bye.

John stellte das Telefon wieder zurück an seinen Platz, setzte sich in Hitlers Schreibtischsessel und blickte hinaus auf die zerstörte Stadt und den diesigen Kalten. Um Hitler zu besiegen, war er 1942 zur Armee gegangen. Und tatsächlich, sie hatten ihn besiegt, auch wenn es sehr viel gekostet hatte. Unglaubliche Müdigkeit überkam ihn. Er legte seine Arme auf den Schreibtisch, bettete seinen Kopf darauf und schloss die Augen.

Für einen Moment lösten sich die grotesken, von Gewalt und Chaos strotzenden Monate, die er dem Krieg hinterhergezogen war, immer auf der Suche nach der glänzenden, amerikanischen Heldengeschichte in eine Spur von Rosenduft auf. Ein kalter Spätnachmittag in einer Stadt namens München, eine summende Fotografin in einer Badewanne voll duftenden Badeschaums. Das letzte Überbleibsel

des größten Verbrechers aller Zeiten. Bald würde sie den Stöpsel ziehen. Und schon konnte nur daran denken, wie es sein würde, die frisch gebadete junge Fotografin irgendwann in den Arm zu nehmen.