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Den Hund begraben

2024/11/24
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Das Berlin Hörspiel

AI Chapters Transcript
Chapters
Alison reflektiert den Verlust ihres Hundes Jimmy und den Akt der Einäscherung. Sie betrachtet die Möglichkeiten, wo sie seine Asche begraben könnte, während sie mit ihren Gefühlen der Trauer und des Verlusts kämpft.
  • Alison betrachtet die Einäscherung ihres Hundes Jimmy mit gemischten Gefühlen.
  • Der Prozess der Einäscherung und der Umgang mit den Überresten ist emotional belastend.
  • Alison erwägt verschiedene Orte, um Jimmys Asche zu verstreuen.

Shownotes Transcript

ARD Die Tatsache, dass ich daneben stehen darf, während er verbrannt wird, kostet mich 80 Euro zusätzlich. Aber das ist mir egal. Ich will nicht, dass sie mit ihm rumschleudern oder ihn verwechseln und mir irgendwelche Asche von irgendeinem anderen mitgeben. Die Mitarbeiterin des Krematoriums ist jung. Sie trägt einen gerade gezogenen, dunkelblonden Mittelscheitel und ihre Weste und Hose sind dezent dunkelrosenrot. Die Farbe der Firma ist nicht so gut.

die ich mir dafür ausgesucht habe, meinen Gefährten zu verbrennen. Sie guckt mich mit frisch erlernter Trübseligkeit an. Sie können sich so viel Zeit nehmen, wie Sie wollen mit Ihrem Schatz. Er heißt Jimmy. Da hatte Ihr lieber Schatz aber einen schönen, besonderen Namen. Jimmys struppige, braungraue Haare ragen über den Rand der Bahre raus, auf die sie ihn verräumt haben.

Der ansonsten leere Hinterhof ist pietätvoll mit drei lahmen Thujen in winterfesten Blumentöpfen dekoriert. Er war kein Schatz. Er war was ganz anderes. Nehmen Sie sich alle Zeit der Welt für Ihren Liebling. Er war der Einzige, der sich jemals unter Einsatz seines Lebens für mich, brüllend mit allem, was sein Körper hergab, dem Feind entgegengeworfen hätte und hat. Nun liegen seine weichen Ohren lässig nach hinten, fließen auf die Bahre. Das ist nicht auszuhalten.

Wenn die noch einmal Liebling zu meinem Liebling sagt, werde ich ausfällig. So, nun mal rein damit. Ja. Die Papiertüte mit Jimmy drin ist in einer altrosa Urne aus gefaltetem Karton verpackt. Die Pappurne wird auf einem dunkelrosenroten Stück Stoff präsentiert. Obenauf liegt eine echte, erst kürzlich verstorbene Zuchtrose. Farbe? Ihr wisst schon. Aus 35 Kilo, die er zum Schluss nur noch wog,

Sind jetzt vielleicht 800 Gramm geworden. Ich weiß nicht, ob die Zähne mit verbrannt sind oder sind die dabei? Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Den Verpackungsmüll lasse ich Ihnen da. Ah, okay. Tja, und jetzt? Den Hund begraben. Ein Hörspiel von Dunja Anassos. Ich lasse ihn frei. All seinen Lieblingsplätzen. Zum Beispiel in den sandigen Hügeln in der Heide. Im Oktober ist die Heide schon verblüht.

Statt 50 Ausflüglerinnen gibt es noch sieben, die ich von der Bank neben dem alten Schafstall aus sehen kann. Die Papptüte mit Jimmy drin habe ich in einen Rucksack geräumt, der neben meinen Füßen im Heidesand steht. Er mochte es hier. Guter Ausblick. Ab und zu Schafe, die man beschützen kann. Die Wölfe sollen wiederkommen, das würde ihm gefallen. Oder würde er gegen die Wölfe vielleicht den Kampf verlieren? Ich mein, so ganz alleine? Ich weiß nicht. Ich glaub, ich nehm den wieder mit.

Vielleicht an der Ostsee? Da waren wir im Winter oft am Strand. Er immer nur mit Zehenspitzen im Wasser. Total wasserscheu. Das war klasse. Immer trocken nach Hause. Bei Regen den Spaziergang lieber verschieben. Den musste man nie duschen. Höchstens vielleicht drei, vier Mal im Jahr, wenn er eine tote Ratte oder eine verweste Flunde am Strand gefunden hat. Zum drin wälzen. Den kann ich doch nicht ins Wasser schütten. Und hier am Strand?

Da laufen Leute durch meinen Hund mit ihren pilzigen Füßen oder verschütten ihren Cocktail auf ihn. Jimmy und ich haben gerne zusammen auf dem Balkon rumgelungert und in den Park geguckt. Das wäre ja schön nah. Nee, da kann ich den nicht begraben. Wenn seine ehemaligen Rivalen auf den drauf markieren, da würde er sich doch im Grab umdrehen. Oder der ganze Park wird umgestaltet. Davon reden sie immer mal wieder. Dann finde ich den nie mehr wieder.

Oder ein Kind buddelt ihn aus und schreit rum wegen der Zähne, die die Zeit vielleicht nach oben tragen wird. Und dann geht die Krakelerei erstmal richtig los. Wie damals, als auf der Seite, an die der Nordfriedhof grenzt, ein großer, wie sich herausstellte, menschlicher, weiblicher Hüftknochen aus dem Jahr 1770 gefunden wurde. Von zwei Achtjährigen neben der Rutsche. Statt das Ding einfach wieder über das Mäuerchen zu den anderen Toten zu werfen,

Lokalpresse, Fachleute und der ganze Kladderer Datsch. Nee. Ich könnte die Uhrzeit sagen, wenn mir jemand einen Filmausschnitt vom Treiben in den Park zeigt. Jetzt gegen sieben bis halb neun: Jogger und Leute mit Hunden. Einer davon, so ein blonder, untersetzter Hühner mit orangenen Joggingshirts, hopst jeden Wochentag angriffslustig fünfmal auf der Wiese zehn Meter vor der niedrigen Friedhofsmauer auf und ab

Dann rennt er drauf zu und eins und zwei und drei und vier und fünf. Komm, komm, komm, komm, komm, komm, komm. Jolt nervig rum, fliegt übers Mäuerchen, setzt mit rudernden Armen auf der anderen Seite auf. Ja, Mann, so kommt das. Feiert sich selber und rennt weiter den Kiesweg des kleinen Friedhofs entlang, kurvt mit Trippelschritten um ein paar kleine Grabsteine.

Seine strohblonde Friese hoppelt hinter der hohen Thujenhecke noch ein paar Mal auf und ab und weg ist er. Auf der anderen Seite der Hecke: Easton Lawrence, Friedhofsgärtner und studierter Garten- und Landschaftsbauer. Hat nicht zufällig die Neuanlage eines Grabbeetes auf just diesen Platz gelegt.

Er ist ein vorausschauender, planungsfreudiger Visionär seiner Branche. Kniet in diesem Moment in der leicht sauren Erde entlang der Nordmauer des ihm unterstehenden Gemeindefriedhofs. In der linken hält er ein Knäuel Abspannschnur.

Knoten an die Messleiste und die Hecke. Dann robbt er, den Kopf eingezogen, hinter der Thujenhecke entlang auf die andere Seite der zu planenden Grabstelle und verteut die Abspannschnur in der angestrebten Höhe an einer nahegelegenen Tulpenmagnolie. Er hat noch 20 Sekunden. Hier.

Die Tulpenmagnolie ist Easton für gewöhnlich ein Dorn im Auge, denn der Biodiversitätsindex dieser Zierpflanze liegt bei mageren 1,5 von 5 möglichen. Also ist sie schlecht für den Boden und es können sich quasi null Tiere von ihr ernähren. Wenn er dazu kommt, wird er sie nach einer Aufwertung des Bodens und dem Abriss der Thuien aus demselben Grund verursachen.

Mit einer Vogelkirsche oder einer Silberweide ersetzen. Noch sieben Sekunden. Komm, komm, komm. Normalerweise hätte er das Vermessen seinen Mitarbeitern überlassen. Aber diese Aufgabe ist ihm ein persönliches Anliegen. Und er widmet sich ihr mit aller Hingabe. Ah! Ah! Ah!

So geht das. Hörst du das? Kinder schreien eben. Kommst du, Alison? Ich bin gleich fertig. Ja, ja, ich komm ja. Marilla kommt eigentlich gut voran. Den Verpackungsmüll von meinen Essensbestellungen hat sie schon runtergebracht. Gelüftet, meinen Treppendienst gemacht. Jetzt schrubbt sie die Eierflecken vom Küchentisch. Typischerweise so richtig. Echt jetzt? Das Sofa? Mhm.

Nicht so wischiwaschi, nee. Lehnt sich voller Pulle auf den Schwamm auf dem Tisch und schrubbt mit dem ganzen Körper hin und her. Bis ihr Pferdeschwanz nur noch ganz schlapp an ihrem Hinterkopf runterhängt. Sie schwitzt. Wo ist eigentlich Miro? Bei unseren Eltern. Was? Du hast ihn doch nicht ernsthaft bei unseren Eltern gelassen. Nein, nein. Nein, Alison, hab ich nicht. Er ist bei einem Freund. Wirklich? Ja, ich schwör. Ich wollte nur, dass du aufstehst. Boah, ätzend.

Du wohnst seit zwei Monaten auf dem Sofa oder launchst auf dem Balkon rum. Du musst mal wieder hochkommen. Muss ich nicht. Ich kann hier sitzen bleiben und traurig sein, solange ich will. Ich mach mir halt Sorgen um dich. Willst du dir vielleicht einen neuen Hund besorgen oder so? Dann kommst du auch mal wieder raus. Kann ich einen Kaffee? Hm. Ab Montag muss ich wieder arbeiten. Dann kann ich nicht mehr hinter dir herräumen, ja? Brauchst du auch nicht. Bist schließlich nicht meine Mutter. Ach nee, halt. Hinter dir hätte ich ja aufgeräumt.

Wenn unsere Tür nicht abgeschlossen war. Ja. Das war düster. Danke, dass du auf mich aufgepasst hast, Alison. Guck mal, erst habe ich dir geholfen, jetzt hilfst du mir. Du warst zu klein für Dresche. Ja, aber du auch. Nur weil sieben älter ist als vier, warst du immer noch zu klein für Dresche. Dein Kaffee. Mit Milch. Sie zieht die Gummihandschuhe aus und legt sie zum Abtropfen über den Spülbeckenrand.

Ist das hier der Zucker? Nee, warte, warte, warte. Eins, zwei... Kann ich doch nicht ahnen, dass sie neuerdings Zucker nimmt. Vier, fünf. Du, falls in Miros Klasse wieder mal so viel Unterricht ausfällt, kann ich den dann vielleicht mal wieder zu dir bringen? Komisch irgendwie. Da hatte ich Jimmy zwischengeparkt in der Dose. Jimmy ist mein erster sehr naher Toter.

Bei uns ist noch nie jemand Nahes gestorben. Ich verstehe, dass Marilla nicht versteht, dass ich Jimmys Asche bei mir haben will. Jimmy im Rucksack beim Spazierengehen, Jimmy im Handschuhfach neben den Ersatzglühlampen, Jimmy im Kaffeefilter, als ich ihn aus Marillas Kaffeeresten rette. Ich muss sie leider anrufen. Ich dachte, du hast ihn begraben. Nein, das habe ich doch nie gesagt. Na dann, tschüss Allison. Warte mal, ich begrabe ihn ja. Wann? Morgen.

Wo? Im Jedesvogler Forst, da waren wir so oft. Glaube ich nicht. Doch, doch, komm doch mit. Bring Miru auch mit. Marilla, du kannst Miru immer bringen, ist doch klar. Mal gucken. Herr Olsen lag auf dem Schotter unter der Tulpenmagnolie am Weg. Die orangenen Arme ausgestreckt, mit abgeschürftem Handballen und dreieckigem Einriss über den Knie.

Easton rollte ungerührt den Messfaden ein, nicht ohne den schniefenden Gefällten zuvor noch zu belehren. Und zwar so. Der Friedhof ist ein Ort der Ruhe und Trauer und kein Sportplatz. Ihre morgendlichen Sprintrunden hier sind echt nicht in Ordnung. Also Schluss mit dem Quatsch.

Das war der Moment, in dem das Schniefen aufhörte und der feindselige Blick in Olsens grauen Augen erwachte. Das nehmen Sie zurück? Nein. Doch. Warum? Man drückt sich immer zweimal. Na gut. Echt? Ja. Auf die Entschuldigung bin ich aber gespannt. Damit hatte Olsen sich halb aufgerappelt und, auf dem Fußweg sitzend, mit dem unverletzten orangenen Arm die rot geheulte Nase abgewischt.

Ich hätte sie nicht Mämme nennen sollen. Was? Ja, Männer dürfen auch heulen. So, weitermachen. Aber... Mit Gefühle ausdrücken, meine ich. Tja, so ist Easton. Offenherzig, ja. Diplomatisch, echt nicht. Weiter gehe ich nicht, Alison. Wir sind da. An der Wurzel hat er immer gegraben. Ist das Loch von ihm? Ja, genau. Siehste? Ganz schön tief. Bist du traurig wegen Jimmy? Ja, genau.

Wie ist das, wenn er die Spritze kriegt? Hab ich vergessen. Hat er den Tierarzt gebissen? Nein. Da vorher weiß der das, dass er gleich stirbt? Weiß ich nicht. Kann ich bitte ein bisschen Asche von ihm haben? Wo ist die Urnung? Mensch, die hab ich vergessen. Schade. Wie bitte? Tja, ich musste Jimmy wieder mitnehmen. Ich kann den nicht auseinandernehmen. Der muss zusammenbleiben. Am nächsten Tag gehe ich rüber zum Nordfriedhof.

Die Bänke sind nicht mal mies. Da steht auch die Magnolie, unter der ich Jimmy begraben will. Wenn ich auf der Bank sitze, hätte ich Jimmy in meinem Rücken, wo er sich immer hingelegt hat, sobald ich mich hingesetzt habe. Setzen Sie sich doch. Die Frau, Mitte 70, geht am Arm einer jüngeren Frau mit schwarzer Jacke und kleinem Diamanten an der Nase. Sie können gerne mal Sitzkissen haben. Die Pflegerin. Das ist aber nett. Enkelin. Geht's? Ja.

Hannah, bist du mal so nett? Gehst du mal eben für mich zum Auto? Ja klar, Oma. Danke. Bitte, Enkel. Sie ist wirklich aus Gold. Brustkrebs. Wie bitte? Ihre Mutter ist an Brustkrebs gestorben. Die war erst 52. Oh Gott. Bitte. Dankeschön.

Ach, Entschuldigung. Nein, nein, nein, das stört mich gar nicht. Ich hab auch mal, also ich riech das gerne. Ach, Martin. Die haben sich hier so bemüht. Das war schön, oder? Ja, das war richtig schön. Die sind hier überall mit uns rumgelaufen. Und wir durften uns den Platz aussuchen. Das ist auch ein schöner Magnolienbaum. Na, deshalb haben wir das genommen. Ja, ist wirklich schön. Zart. So, und Sie?

Wen besuchen Sie? Haben Sie eben Magnolie gesagt? Ja, ist'n, haben wir. Darf ich Ihnen und dir mein neues Bepflanzungskonzept für den Nordfriedhof vorstellen? Hm? Ja.

Ich weiß, das ist immer so einerseits, andererseits, wenn man mit jemandem vom Friedhof spricht, weil sie natürlich alle nicht so dringend schnell zu uns wollen, aber irgendwann halt doch kommen. Also sie sind ja schon da. Ja. Und wenn man erst mal da ist, so, dann hat man es auch gerne schön. Hast du noch mal das Feuerzeug ran? Ja.

Dankeschön. Ein Bepflanzungskonzept. Manchmal weiß man das auch nicht vorher, welche Kinder dann da immer an der Grabstelle stehen und denen das ganz viel bringt und andere kommen halt nie. Und dann ruht man da halt alleine, mehr oder minder.

Aber das ist jetzt auch nicht so der Punkt. Was ist denn der Punkt? Der Punkt ist, dass eben in den Städten ja immer mehr gebaut wird und der Friedhof eine ökologische Nische für eine Vielzahl gefährdeter Arten bilden kann. Zum Beispiel die Klesandbiene oder die Kuckuckshummel. Klesandbiene. Schön. Find ich auch. Knäublockenblumen, Weinwelt oder Milchterne.

Oder für die anonymen, rohlen Bestattungen, da muss nicht nur Rasen auf der Wiese sein. Und Streuobst und Blumenwiesen, sag ich nur. Natankopfhornklee und Flockenblumen. Die sehen nicht nur schöner aus, ist auch viel besser, wenn es über unseren Aschen noch ein bisschen brummt. Wenn wir aus der Vergangenheit noch irgendwas Schönes für die Zukunft unserer Kinder machen können. Mir stelle es ein guter Blumenname, oder? Und wer soll das bezahlen?

Für uns als Friedhof ist es immer schwieriger, mit den Flächen was Gutes zu machen. Es lassen sich ja immer mehr Leute verbrennen, möglichst billig, ne? Also, preisbewusst.

Haben ja auch nicht alle so viel Geld für den Liegeplatz und den Getischlatten-Sarg und nachher die Pflege. Wir müssen die Flächen leider trotzdem kostendeckend unterhalten. Da sind Wiesen eben auch ökonomisch erfolgreicher als Beete, die dann noch gewässert werden müssen und so. Susu. Haben Sie jetzt das Gefühl, dass Sie sich für eine ökologische Bepflanzung des Friedhofs aussprechen würden? Warum? Ich muss morgen eine Rede vor dem Gemeinderat halten.

Also den Teil, wo sie uns erzählen, dass wir irgendwann alle tot sind. Kürzen. Ja. Oder weglassen. Genau. Weniger ist mehr. Ja. Danke.

Ja? Ich hab echt keinen Bock drauf, dass Sie das Grab von meiner Mutter zweit verwerten. Aber... Nee, wenn ich da irgendjemand mit einer Tüte Brennnesselsaat erwische, dann werde ich den ganzen Friedhof persönlich mit Glyphosat oder Napalm spritzen. Oh, aber das ist ja überhaupt nicht das, was wir... Gut! Aber ganz kurz, ist denn irgendwas an der Rede okay? Also, ich würde die Milchstern da drin lassen und die Kuckuckshummeln.

Eigentlich stelle ich mir das richtig schön vor. Ich würde dafür stimmen. Ja. Und wo waren wir stehen geblieben? Und was hast du den beiden gesagt, wegen wem du da bist? Naja, erstmal habe ich nichts gesagt. Hilfst du mir Zwiebeln schneiden, Miro? Wieso kann Tante Ali ihre Zwiebeln nicht selber schneiden? Sie ist krank, so nun los. Genau. Kriege ich dann das scharfe Messer mit dem Holzgriff? In der oberen Schublade, guck mal da. Ja, okay.

Hast du gesagt, dass da dein Mann liegt oder dein Vater? Der ist ja gerade nicht mein Mann. Das ist ja ekelhaft. Nee. Oder ein anderer Verwandter? Soll ich echt dieser Frau, deren Tochter gerade gestorben ist und dieser anderen Frau, deren Mutter gerade gestorben ist und die nur noch von einem Spazierstock und etwas Rauch über Wasser gehalten werden, vorlügen, dass da mein Bruder liegt, den ich nicht habe? Oder meine Schwester?

Oder soll ich einfach sagen: "Da liegt mein Hund, aber ich bin trotzdem verzweifelt"? Ich finde das Messer nicht. Wo hast du es denn zuletzt gesehen, Tante Ali? Oder soll ich sagen: "Da liegt mein Neffe"? Nein! Schwierig. Was hast du denn gesagt? Kein Freund. Das gesuchte Küchenmesser ist in meinem grauen Mantel in der rechten Außentasche neben den mürbe gewordenen Hundekeksen. Das spitze Ende habe ich in einen Korken gesteckt, damit es sich nicht durch das Futter bohrt.

Das ist nicht ideal. Wenn ich das mal richtig schnell brauche, dann kann ich da ja nicht ewig an dem Korken rumpohlen. Jetzt, wo mich Jimmy nicht mehr beschützt. Natternkopf, Hornklee oder Flockenblumen, die sehen nicht nur schöner aus, damit es über unseren Aschen noch ein bisschen brummt. Weil wir aus der Vergangenheit noch etwas für die Zukunft unserer Kinder machen wollen. Ja, sehr schön.

Ja, wer sind Sie? Ich kann Sie leider von hier aus nicht gut sehen. Jetzt besser? Olsen, Gemeinderat. Oh, Tag, Herr Olsen. Man trifft sich immer zweimal. Er erkannte ihn auch ohne orangenen Sportanzug.

Das feindselige Blinzeln sah genauso aus, wie es an dem Tag des, sagen wir, Tulpen-Magnolien-Vorfalls ausgesehen hatte. Ostentativ trug Olsen seinen rechten Arm in einer Schlinge. Leute, die so schlecht abrollen konnten wie Olsen, sollten lieber nicht über Hecken springen, fand Easton. So beknackt. Ich würde gerne an dieser Stelle meinen Gefühlen, Bedenken, Austrag geben. Oh Mann, ja.

Der geplanten Umwidmung eines Friedhofs, der ja immerhin ein Ort der Ruhe und Trauer sein soll, zu einem ökologischen Insektenstreichel zu, kann ich nicht ohne weiteres zustimmen, Herr Easton. Und die ganzen Fliegen und Wespen im Sommer? Ja, ich verspreche euch und Ihnen, dass die allermeisten Bienen und Hummeln, die wir anziehen wollen, keine Absicht sind.

haben, jemanden zu stechen. Wer Tiere etwas kennt, weiß das. Oh, oh, oh, ich kenne Tiere etwas. Immerhin nennen mich nicht nur eine, nein, zwei Katzen hier ein. Die eine ist inzwischen so steinalt, dass ich ihr jeden Tag Brei kochen muss, weil sie keinen einzigen Zahn mehr hat. Es geht hier nicht um meine Tierliebe, eher um Menschenliebe. Manche Leute sind schließlich allergisch gegen Bienenstiche. Denen reicht das nicht. Wenn die allermeisten Stiche sie nicht töten...

Sie werden Ihre Toten ja wohl noch woanders finden, als mitten auf dem Friedhof veristen. Auch wenn die Toten Ihnen anscheinend geradeaus gehen. Na gut, das war jetzt geschmacklos. Haben Sie aber gesagt, geben Sie es zu. Aber Spaß beiseite. Mich überzeugt das halt nicht und... Ja, also wie wäre es denn mit einer gemeinsamen Besichtigung? Wieder sollen wir alle zum Friedhof kommen, oder was? Um sich ein Bild zu machen, ja, vor Ort. Was ist das? Was? Ja.

Wenn Sie das hier alle meinen. Ja, lass mal gucken gehen. Ich kann aber erst wieder im November. Unterdessen treffe ich immerhin eine Entscheidung, was Jimmys Zukunft angeht. Dann nehme ich jetzt eben den Friedhof. Das ist doch nur ein Katzensprung. Da bin ich in 3 Minuten zu Fuß. Manche Gräber stehen voller Blumen, Rosen. Zwischendrin kleine Rondelle mit Springbrunnen. Und vielleicht gibt es später da wirklich Sternblumen.

Drei Wochen vergingen, in denen der Abwaschberg meiner Depression bis unter die Oberschränke wuchs und meine Schwester sich ungewöhnlich beharrlich nicht gemeldet hatte. Bis eben doch wieder alle Lehrerinnen in Miros Klasse ausfielen. Naja, Familie ist halt Familie. Oder bist du nicht wahr? Warum flüsterst du? Ich will dich nicht wecken, falls du... Das ist aber sehr rücksichtsvoll von dir. Können wir dann bald los?

Und weil Kinder so eine Art haben, die schönste Sofa-Depression zum Martyrium werden zu lassen, nehme ich Miros Besuch zum Anlass, Jimmy wieder in den Rucksack zu räumen und einen kleinen Ausflug zum Friedhof zu initiieren. Na pass auf, dann pack ich dich mal, Fubiko. Alles wirkt sehr angenehm langweilig, oder? Ah, eine öffentliche Toilette. Gut, gut, gut. Das ist gut. Was machst du da, Tante Ali? Astra the Wild One Swanson.

Geboren 1980, gestorben 2010. Punk not dead. Eingemeißelt. Keine Blumen, nur was halt so wächst. Tante Ali? Punkerinnen haben doch Hunde. Tante Ali? Punk not dead. Das ist sogar sehr gut. Was ist sehr gut? Dass du da vorne mal zur Toilette gehen kannst. Wieso ist das sehr gut? Da musst du später nicht. Aber ich muss jetzt auch nicht.

Glaub ich. Denk nochmal nach. Hab fertig nachgedacht. Ich muss nicht. Aber wenn du jetzt nicht gehst, dann musst du nachher und da weiß ich nicht, ob wir dann auch so eine gute Toilette haben. Komm mal mit. Ich find das hier nicht gut. Guck mal, ist das eine Spinne? Ist nur ein Wehwack nicht, der tut nichts. Kommst du mit rein? Nein, ich pass hier draußen auf. Okay. Schließt du ab? Dann kommt niemand plötzlich rein.

Jimmy, Punk not dead. Und du bist auch not dead. In meinem Herzen. Ruhig schön in Ruhe. Er hätte das gemocht, wie die Sonne auf die Erde scheint. Im Winter hätte er seine kalte, schwarze Nase unter seiner Schwanzspitze verstaut. Man hätte gedacht, dass er schläft, wenn man ihn nicht gekannt hätte. Man hätte nicht gewusst,

dass die halb hoch stehenden Ohren immer auf Empfang sind. Dass er auch aus einem Auge, das ab und an langsam öffnet, blinzelt und wieder schließt, genau einschätzen kann, ob jemand kommt, um uns anzugreifen, um uns unerwartet anzufassen, zu bestehlen, auszurauben, zu erschlagen, zu erwürgen, zu Fall zu bringen, in den Wandschrank zu sperren, anzubrüllen, mit dem Gürtel zu verdreschen, so ins Gesicht zu schlagen,

Dass das Ohr taub wird. Brauchen Sie die Gießkanne noch? Nein, sagen Sie mal, was denken Sie sich eigentlich, sich hier so anzupirschen? Entschuldigung. Ich will einfach nur in Ruhe gelassen werden. Istens steht da mit der Kanne in der Hand und sieht die Frau an. Eine Viertelstunde bestimmt hat sie an dem ungepflegten Reihengrab gewerkelt. Er denkt, dass er die Kanne gar nicht braucht. Ich wollte eigentlich nur wissen, wer die Pankerin besucht. Sie sind verwandt? Das geht Sie doch nichts an.

Sie haben sich doch neulich meine Rede angehört. Ich habe jetzt aber keine Zeit, mir noch mehr Reden anzuhören. Weil sie so düster aussieht, traut er sich nicht zu fragen, ob sie es ist, die im November am Totensonntag das Bier und die Zigarette für die Verstorbene zurücklässt. Entschuldigung, ich wollte nicht stören. Er macht sich daran, den Wasserwagen zu holen. Heute soll die Westseite gesprengt werden.

Was ist das wohl für ein Leben, wenn man sich so schnell erschreckt? Denkt er und dann vergisst er es gleich wieder, weil er echt keine Ahnung hat, wie das ist, wenn man sich schnell erschreckt. Außerdem freut er sich, dass der neue Minibagger morgen geliefert wird. Er läuft dem Pfad entlang auf das Wirtschaftsgebäude zu.

In dem kleinen Klohäuschen neben dem Bestattungsfeld für die anonymen Urnenbestattungen erfährt Miro gerade seinen ganz eigenen Schrecken. Tante Ali? Hallo? Tante Ali? Hallo! Sieh da! Uhu! Die Dämmerung macht alles grau. Sogar den Weberknecht, der weiterhin unbewegt auf dem rauen Balken zwischen Brettern und Blechdach sitzt. Als Easton den Wasserwagen wieder in den Schuppen fährt,

wird der Weberknecht dunkelgrau und schließlich schwarz. Wo ist er denn? Oder er ist weg. Na du? Komm rein. Ist erstmal Abwehr da? Ja, danke. Ist kalt draußen. Setz dich. Wie war die Fortbildung? Toll. Aber dann ist mir das Rad geklaut worden. Hattest du es abgeschlossen? Vielleicht nicht.

Das war aber auch ein altes Rad. Ja, aber du hast doch kein anderes. Ja, kann sein. Naja. Du passt überhaupt nicht auf dein Shit auf. Ich wollte sowieso mal ein neues. Man kann sich auch ein neues Rad kaufen, ohne sich vorher beklauen zu lassen. Letzten Monat die Handtasche. Mein Jellison. Was war das die Woche davor? Mein Auto kriegst du jedenfalls nicht mehr. Das lässt du mit Stecken im Schlüssel und laufendem Motor irgendwo in der Stadtmitte stehen. Ich würde nie den Motor laufen lassen.

Wegen der Abgase? - Ja, genau. Sehr rücksichtsvoll von dir. - Ja, ich weiß. Ja, also und hier? - Hattet ihr Spaß? Was? - Marilla, das tut mir total leid. Was tut dir leid? - Wir müssen sofort. Es tut mir so leid. Wo ist Miro? - Komm, komm. Wo ist mein Kind? So kommt es, dass ich heute zum zweiten Mal auf den Nordfriedhof gehe. Und später noch ein drittes Mal. Aber das kommt erst später. Jetzt kommen wir am Holzhäuschen an.

Rau gesägte Bretter biegen sich schwarz und schwer. Das Kind wird von dem Häuschen bereits verdaut. Marilla öffnet mit fliegenden Fingern das klemmige Schloss. Ihre Mama ist da! Keine Angst, diese verdammte Schmerzkriege! Wo ist er? Marilla, da hängt ein Zettel. Gib her! Wo ist die Friedhofsgärtnerei? Hier runter und dann rechts. Ich komme mit. Nein, danke, Alison. Du brauchst nie wieder mitzukommen. Ich ziehe die Tür hinter mir zu. Das Holz ist klamm.

ist alles ziemlich dunkel. Marilla findet Miro in Eastons Werkstatt wieder. Er durfte beim Kränzeflächen helfen. Sie gehen am Häuschen vorbei. Marilla hält Miros Hand auf dem Weg zum Bus. Wenn wir tot sind, haben wir schon gleich einen Kranz, Mama. Sehr praktisch. Sie dreht sich nicht mehr um und wird lange nicht mehr wiederkommen. Alison lässt ihnen Vorsprung. Was ich brauche, ist ein Springmesser oder zwei. Für jede Tasche eins. Kaufe ich mir morgen.

Ein guter Gedanke zum Einschlafen. Ist doch geil, dass ich 'nen Hund hab. Weiß ich, wen ich heute täten kann. Komm wir tanzen auf dem frischen Grab. Sitz fast ran, sitz fast ran. Ob's im Winter regnet oder schneit, auf der Straße wohnen wir zu zweit.

Du bist Kot, du Köter, du bist tot. Und Töter, sitz vors ran, Jimmy, sitz vors ran. Jimmy, sitz vors ran, Jimmy, sitz vors ran. Sitz vors ran, Jimmy, sitz vors ran. Oh nein, oh nein, oh nein, oh nein. Jimmy. Also ziehe ich meinen Parka über den Schlafanzug, hole den Spaten aus dem Keller und kehre zurück zu Jimmys Grab.

Weil die Papptüte doppelwandig ist, hat der nächtliche Regen ihr nichts anhaben können. Das Loch in der Erde lasse ich erst mal offen stehen. Da pflanze ich morgen Pankerblumen rein. Um für den zweiten Verbuddlungsversuch ausreichend gerüstet zu sein, trägt Alison ihren aufgescheuchten Geist in einen Messerladen. Ich finde, die sehen alle gut aus. Dort lässt sie sich die Damascener Klingen vorführen,

Genau wie den handgeschmiedeten Schweißverbundstahl. Das ist wirklich toll. Und die Variante mit in die Musterung der Klinge anschließendem Holzgriff. Aus Walnuss. Prächtig. Nehme ich. Sowie ein Jagdmesser, das mit einem Monostahlkern stabilisiert worden ist. Das nehme ich auch. Sie findet, dass es ihr jetzt wieder so richtig gut geht.

Frau Brehme ist am 26.06.2004 gestorben. Und es sieht so aus, als habe sich nie jemand um ihr Grab gekümmert. Vielleicht hat sie sich das alles selbst gekauft und hat keine Nachkommen, keine Freundinnen, Geschwister oder die mögen einfach keine Gartenarbeit? Niro und Marilla würden ja auch nicht ihre Freizeit verbringen.

Bestimmt würde ich mich dann freuen, wenn da jemand käme und mir ein, zwei neue Rosen und einige Karpatenglockenblumen dazu pflanzt. Auch wenn das bedeuten würde, dass ich dann neben deren Hund liegen würde. Das wäre mir dann egal. Darüber würde ich mich sogar freuen, dann wäre ich nicht so alleine. Ich meine...

Wenn ich wüsste, dass das ein bissiger Herdenschutzhund ist, neben dem ich liege, dann wäre mir vielleicht etwas mulmig. Aber ich würde mich gleich wieder beruhigen, wenn ich mir verdeutlichen würde, dass der ja schon tot ist, genau wie ich. Und außerdem zu Asche verbrannt und deswegen gar nicht mehr beißen kann. Ich hoffe, das ist so in Ordnung für Sie, Frau Brehme.

Hallo? Entschuldigung. Easton denkt halt, es reicht, wenn man eine Person von einiger Entfernung aus anspricht, damit sie sich nicht erschrecken kann. Aber so ist es halt nicht. Moment, Moment, Moment, Moment. Keine Bewegung! Deswegen sieht er sich nun einer im Abendlicht glitzernden Damascener Klinge gegenüber. Mensch. Du schon wieder. Du musst aufhören, dich an Leute anzuschleichen. Ja, okay. Aber wieso hast du denn...

Kannst du das bitte wieder wegstecken? Ja, klar. Was willst du denn schon wieder? Du musst aufhören, Leute mit Messern zu bedrohen. Mensch! Sagt sich so leicht. Das ist bestimmt auch verboten. Ah ja? Und was soll man machen, wenn man niemanden hat, der guckt, ob sich vielleicht von hinten wer anschleicht? Ich wollte jedenfalls fragen. Ich dachte, du bist vielleicht mit Frau Bremer bekannt? Und wenn...

Da ist nämlich im Juni die Ruhezeit abgelaufen, weißt du? Aha. Was heißt das? So, dann wird das Grab abgeräumt. Wenn jemand die Ruhezeit verlängert, wird das abgeräumt. Ich hätte das eigentlich vor fünf Monaten schon machen sollen, aber jetzt habe ich den neuen Minibagger. Aber man ist doch für immer tot. Ja, aber die Ruhezeit bieten wir hier für 15 oder 20 Jahre an. Danach können die Nutzungsberechtigten verlängern. Hm. Falls du da also jemanden kennst. Wie schnell...

Räumst du das denn ab? Spätestens Dienstag. Am Mittwoch ist nämlich hier die Besichtigung von den Gemeinderatsleuten. Da soll das nicht vernachlässigt wirken. Mittwoch. Am sehr frühen Mittwoch war es das dritte Mal, dass ich Jimmy wieder ausgraben musste. Nachts um drei. Die Tüte war jetzt brüchig und weich. Ich musste sie mit beiden Händen aus dem Loch heben, damit sie nicht einreißt. Ich dachte an Frau Bremer. Wer holt denn jetzt ihre Knochen hier raus? Wo kommen die denn dann hin?

Ich hob Jimmy in den Rucksack, wollte das Loch wieder zuschaufeln. Ein Teufel, schwarz gekleidet mit hämischer Fratze. Hinter mir aufgetaucht, durch das Gesträuch getaucht, auf mich zu.

Mein Messer ist zugeklappt. Ich muss das jetzt aufklappen, so schnell wie ich ja gar nicht kann. Das ist ja ekelhaft. Weil er nicht stehen bleibt. Zeigen Sie mal her. Immer auf mich zu. Was haben Sie denn da? Und auf Jimmy in seiner stillen Tüte. Nur die Schaufel. Die habe ich noch. Warum hatte er den orangenen Anzug nicht an? So bescheuert.

Dann hätte ich ihn doch wiedererkannt. Dann hätte ich gedacht, ach so, der joggt jetzt früh morgens, da ist es ja auch ruhiger, verstehe ich. Oder warum ist er denn nicht einfach weitergegangen? Wenn ich gesehen hätte, dass jemand nachts auf dem Friedhof gräbt, da wäre ich doch nicht hingegangen. Höchstens am nächsten Tag wiedergekommen. Hinter dem Busch sieht man ihn gar nicht mehr, finde ich. So muss das erstmal gehen. Was liegt denn hier? Das war so ein Gefühl im Mittwochmorgen-Grauen.

An der Nordmauer, unter der verdammten Magnolie, unter der Magnolie hebt sich der dichte Bodennebel allmählich und offenbart die seltsamste Pietà. Die größte Trauer, die Mutter Maria fühlt, als ihr Kind vom Kreuz genommen wird. Wie sie es, sitzend, zum letzten Mal im Arm hält. Wie der Kopf ihres Sohnes in einigen Darstellungen über ihren Arm kraftlos nach hinten fließt.

Die Maria ist eine von den Frauen, die sich meine Übungsrede angehört hat. Allison, die ich neulich erschreckt habe. Zweimal. Und jetzt verstehe ich, was sie da immer gemacht hat.

Denn was sie im Arm hält, was sie mit dem Schrecken der Trauer anstarrt, beweint, mit heißen Tränen, die ihr über die Wangen laufen... Also die Tränen kann Easton im Morgengrauen nicht erkennen. Aber er denkt sich das so, weil er eine romantische Natur ist. Was sie jedenfalls im Arm hält, ist ihr geliebtes Haustier, ihre Katze. Der teuflische Jogger muss sie mitgebracht haben. Eine grau gestreifte Katze in eine braunkarierte Decke eingewickelt.

Gestorben. Schon länger. Ihr magerer Kopf hängt raus. Oder er hat den gar nicht eingewickelt. Wie bei Jimmy sind die Augen nicht ganz geschlossen. Das finde ich sehr traurig. Sehr. Und als ich aufstehen will, um die Katze auch zu begraben, ist da der Naturliebhaber. Mitten auf dem Weg. Du kannst deine Katze hier nicht begraben, Alison. Es tut mir sehr leid. Ja.

Am Josselsee an der Ausfallstraße, da gibt's einen Kleintierfriedhof. Bitte lass dein Messer stecken. Mach ich ja. Möchtest du ein Taschentuch? Nee, geht. Und nimm bitte deine Katze wieder mit. Ja. Du, das tut mir leid. Ist ein großer Tag. Ich hab echt noch viel zu tun. Ja, Entschuldigung. Tut mir auch wirklich leid. Mein Beileid. Allison. Ach, was machst du hier? Mich entschuldigen. Entschuldigung. Na gut. Komm rein.

Setz dich. Darf ich Miros restliche Fischstäbchen essen? Ja, mach mal. Siehst nicht gut aus, Alison. Geht mir auch nicht gut. Willst du nicht mal wieder bei mir aufräumen? Nee, das ist vorbei. Schade. Was ist denn das für ein Prachtkerl, dein Garten mit Miro? Aus dem Tierheim. War ein Abgabehund. Er heißt Schmittchen. Etwa 42 Kilo. So ähnlich wie Jimmy. Du kriegst unseren Hund nicht.

Miro hat keinen einzigen Albtraum mehr, seit der Hund in seinem Zimmer schläft. Hast du Jimmy begraben? Ja, beinahe. Du brauchst Hilfe. Ich stecke in der Klemme. Du, Marilla, mir ist was passiert. Nee, Alison. Ich meinte nicht mich mit der Hilfe, ja? Ich bin nicht mehr deine Aufräumerin. Das war mir ernst. Komm, jetzt setz dich mal bitte.

Ich will das nicht mehr. Aber diesmal... Nein, ich passe auf Miro auf und du auf dich. Wie es sein soll, weißt du? Aber... Ich danke dir wirklich sehr, dass du mich beschützt hast, Alison. Sonst hätte ich unsere Kindheit nicht überlebt ohne dich. Das glaube ich wirklich. Aber ich bin dann auch... Ich habe mich halt nie gewehrt. Und ich mich immer. Ja.

Und ich bin sogar noch weiter gegangen und habe gedacht, wenn ich mich nicht wehre, dann werde ich auch nicht zum Opfer, weil niemand meinen Willen gebrochen hat. Also gewissermaßen hat niemand mein Fahrrad gestohlen, weil es ja da eben nur stand. Verstehst du? Also ist mir nichts gestohlen worden und ich bin auch nicht zum Opfer geworden. Guter Trick. Ja. Leider kommt man dann irgendwann nicht mehr vor im eigenen Leben. Und hat kein Fahrrad. Ach. Also ich wehre mich schon. Ja. Aber zu viel. Ja. Ja.

Zu viel, zu doll, zu früh. Du kommst dann auch nicht mehr vor in deinem Leben. Ja, weil das Leben einfach nicht mehr an dich rankommt. Weil du immer alarmiert bist. Die Messer schon alleine. Der Kampf ist vorbei, Alison. Ja. Wir müssen jetzt einfach nur noch normal auf uns aufpassen. Es geht nicht mehr um Leben und Tod und Vernichtung. Verstehst du? Ich hab vorhin einen Typen auf dem Nordfriedhof mit einer Schaufel erschlagen.

Herr Olsen liegt hinter der kleinen Thulin-Hecke, nur fünf Meter von der Magnolie entfernt, wo ich ihn vor sechs Wochen zu Fall gebracht hatte. Er ist mausetot. Nach meiner professionellen Einschätzung. Beinahe hätte Easton ihn übersehen, während er Frau Bremes Grab abtrug. Dann hatte das Scheinwerferlicht des Minibuggers sich an Olsens dunklen Jeans und den reflektierenden Outdoor-Schuhen verfangen. Mausetot.

Ausgerechnet heute? Also das rutschte ihm halt nur so raus. Was ihm nicht rausrutschte, war ein anderer Gedanke. Dann hat er wenigstens kein Stimmrecht mehr. Tja, ja, ja. Tja. Und dann steht da die frisch ausgehobene Grube von Frau Bremes ehemaliger Ruhestätte weit auf. Direkt neben dem Körper von Herrn Olsen. Es steht ja auch einiges auf dem Spiel. Alles! Denkt Easton.

Und zu diesem Zeitpunkt glaubt er auch ernsthaft, dass er morgen oder sogar noch heute Abend den toten Olsen wieder ausgraben und die Sache zur Meldung bringen wird. Bestimmt sogar. Ui, noch was. Nein, nein, bitte nicht. Sie kriegen ja ihre blöde Blumenwiese. Sie können sich so viel Zeit nehmen, wie Sie wollen mit Ihrem Schatz. Ich weiß. Sie erinnert sich nicht an mich.

Das Rosenrot ihrer Weste und Hose ist ausgewaschener. Sie ist gelassener. Vor dem Hinterhof haben sie sich unterdessen etwas mehr Mühe gegeben und ein schmiedeeisernes Einfahrtstor anbringen lassen, auf das Silhouetten von Haustieren geschweißt wurden. Katzen, Hunde, Vögel, Fische. Für immer nebeneinander. Als wäre nichts. Als würden nicht gleich die einen die anderen fressen. Schattenrisse im Frieden. Wissen Sie, dass es irgendwie anmaßend rüberkommt, wenn Sie mein Tier Schatz nennen?

Sie kennen uns doch gar nicht! Entschuldigen Sie bitte, ich will Ihnen und Ihrem Liebling nicht zu nahe treten. Auch nicht Liebling! Gut, gut, gut, auch nicht Liebling. Katze? Nun mal rein damit! Ach Mensch, Sie sind das! Sie haben echt kein Glück, gerade. Ja, das können Sie laut sagen. Später lässt sie die bordeaux-rote Falturne stehen und drückt mir die Papptüte mit der Mieze direkt in die Hand. Erinnert sich jetzt wirklich.

Bitte einmal hier lang. Das freut mich. Meinst du, der kriegt das durch? Vielleicht. Milchstern, oder? Genau, Milchsterne. Darf ich mich setzen?

Wer sind Sie denn überhaupt? Olsen. Haben Sie Angst vor Bienen? Nee. Haben Sie die Beulen etwa von Bienen? Nein. Von Menschen. Von einem Menschen. Die ist jetzt in Urhaft, wurde mir gesagt. Also kann sie mir nichts mehr tun. Bienen sind okay. Mehr als okay. Bienen sind was Gutes. Ja, ja. Weiß ich ja. Bienen sind was Gutes. Möchtest du noch was sagen?

Wie so Tschüss oder so? Ja, Tschüss hört sich doch gut an. Ist das die Tüte mit Jimmy? Ja, die schwerere. Nee, erst die Katze. Okay, in Ordnung. Tschüss. Tschüss, Katze. Komisch, Jimmy zu begraben, wenn Tante Ali nicht da ist. Finde ich auch. Kommt sie bald wieder? Wissen wir noch nicht. Immer weiß man so viel nicht. Ja, doof. Tschüss, Jimmy. Tschüss, Jimmy. Jetzt habe ich doch noch was vorbereitet. Holst du den zu? Ja, gib mal den Spaten.

Lieber Jimmy, es wollten nur spielen. Als Marilla... Du musst jetzt deinen Namen sagen, Mama. Ach so. Als Marilla Luisa Heyer. Danke. Und ich bin Juno Walser als Miro.

Und wer bist du noch mal? Als Easton Benjamin Rajaypur. Und der hier ist? Als Olsten Rainer Reiners. Sowie Toni Norens als Hanna und Franziska Trögne als Frieda. Und du? Tierkrematoriums-Mitarbeiterin Hewin Tekin. Und Tante Ali? Katrin Wichmann als Allison. Und du bist, na? Die Erzählerin Jutta Hoffmann. Aha.

Ganz schön viele. Jetzt fertig.