Herzlichen Glückwunsch, Wendler. Heute ist dein Geburtstag. Du bist 14 Jahre alt. Ich weiß, du weißt es, aber ich muss es laut sagen, damit ich es glauben kann. 14 Jahre. Meine Tochter ist 14 Jahre alt. Hier, dein Geschenk. Ich packe es aus.
Das hässlichste Kleid, das ich je gesehen habe. Hässlich, stimmt's? Ja. Hier noch ein Geschenk. Ein zweites Kleid. Genauso hässlich wie das erste. Zwei Kleider, die mir vom Kinn bis unter die Zehen reichen. Ich sag mir, das ist ein Witz. Das kann bloß ein Witz sein. Und da kommt meine Mutter auf mich zu, stellt sich viel zu nah vor mich und sagt...
Jetzt, wo du 14 bist, ist es sehr wichtig, genauso hässlich zu sein wie diese beiden Kleider. Verstehst du mich? Du genauso hässlich wie die Kleider. Das ist die einzige Lösung. Lösung wofür? Die Schule geht bald los. Such dir ein Kleid aus und zieh es an. Aber warum denn? Such dir ein Kleid aus und zieh es an, habe ich gesagt. Ich weiß, bei meiner Mutter hat Widerspruch keinen Sinn. Ich gehe in mein Zimmer.
Ich lasse meine normalen Sachen drunter und ziehe das am wenigsten hässliche der beiden Kleider an. Obwohl beide gleich hässlich sind. Als ich aus dem Zimmer komme, mustert mich meine Mutter von Kopf bis Fuß. Ja, du bist perfekt. Otto, du heißt wirklich Otto. Dann sag mal, Otto, warum willst du zum großartigen Team von "Beim Kartoffelmann gibt's super super Pommes" gehören?
Ich muss arbeiten. Mir bleibt nichts anderes übrig. Und ich will Geld. Ist notiert. Als Antwort ist das ziemlich, wie soll ich sagen... Ehrlich? Ja, ich meine eigentlich ungewöhnlich. Aber ja, das auch. Also in Bezug auf deine Vorerfahrung habe ich mich gefragt... Ich habe keine. Gar keine. Gar keine. Gar keine. Gar keine. Gar keine. Tja, vermutlich muss man irgendwo anfangen.
Äh, trotzdem, ich muss gestehen, normalerweise stellen wir Leute ein, die über ein Minimum, um nicht zu sagen, eine solide Erfahrung verfügen. Ich bin hier, weil meine Mutter einen Schlaganfall hatte. Sie hat vier Monate gebraucht, bis sie wieder Hallo sagen konnte. Das ist immer noch das einzige Wort, das sie aussprechen kann. Hallo. Mein einziger Trost ist, dass Hallo so ähnlich klingt wie Otto, mein Name. Ich vermisse das.
Mein Name aus dem Mund meiner Mutter. Und bis dahin suche ich eben einen Job. Denn jetzt muss ich die Elternrolle übernehmen. Willst du morgen anfangen? Ich sage ja zu der Dame von Beim Kartoffelmann gibt's super super Pommes. Sobald ich meinen Computer ausmache, sage ich zu meiner Mutter Bäm! Du schuldest mir 200 Mäuse.
Hast du den Job bekommen? Otto! Otto, Otto, ich bin so stolz auf dich. Aber du hast doch überhaupt gar keine Erfahrung. Wie hast du es geschafft, sie zu überzeugen? Das ist nicht wichtig. Wichtig ist, wir haben um 200 Mäuse gewettet, dass ich noch diese Woche einen Job finde. Ich habe es geschafft. Ich will mein Geld. Melchior, du bist dran. Die ganze Klasse hört dir zu. Bitte. Guten Morgen. Guten Morgen.
Eigentlich wollte ich mein Referat über die Auswirkungen unseres übermäßigen Fleischkonsums auf die Umwelt halten. Aber ich habe es mir anders überlegt. Ich habe es mir anders überlegt, weil ich gestern den besten Orgasmus meines Lebens hatte. Melchior. Und ich beschlossen habe, euch heute stattdessen davon zu erzählen. Nein. Von meinem Orgasmus.
Also, ich war gerade im Wald spazieren, als plötzlich... Nein, nein, nein! Was? Nein, nein, nein, nein, nein! Nein, was? Nein, wir wollen den Weltuntergang. Wir wollen lieber den Weltuntergang. Warum? Das ist privat. Wir sind nicht hier, um über unsere Körper zu sprechen. Na, daher hat gerade ein Referat über Ihre Zuckerkrankheit gehalten. Was ist Ihnen lieber, Orgasmus oder Insulin? Wir können nicht...
über diese Region unseres Körpers sprechen. Alissa hat ein Referat über weibliche Beschneidung gehalten. Wieso dürfen wir über Genitalverstümmelung sprechen, aber nicht über Lust? Melchior, essen wir zu viel Fleisch? Ja. Bravo. Eine glatte Eins. Setz dich. Aber zuerst würde ich gerne... Bitte setz dich hin. Gestern habe ich auf einer Nachrichtenseite gesehen, wie jemand enthauptet wurde. Live. Enthauptet.
Ich habe nicht danach gesucht, aber ich habe es gesehen. Ich habe sein Blut gesehen, sein Fleisch und seine Nerven. Danach lief ein Bericht über das Stillen. Die Brüste waren mit komischen kleinen Vierecken zensiert. Schlussfolgerung. Ich darf zusehen, wie ein Mensch einen anderen umbringt, aber nicht wie eine Mutter ihr Kind füttert.
Wir leben in einer Welt, in der eine Brustwarze mehr Angst macht als ein Maschinengewehr. Deswegen muss ich von meinem Orgasmus erzählen, um die Heuchelei einer Gesellschaft anzubrangern, die geil nach Blut ist. Außer nachdem das alle 28 Tage zwischen meinen Beinen rinnt. Ich setze mich wieder hin mit meiner glatten Eins. Martha, die immer auf ihr Telefon schaut, starrt mich an. Sie denkt an meinen Orgasmus. Das sieht man in ihren Augen. Musik
Melchior zwinkert mir zu. Ich versuche nicht rot zu werden und stehe auf, um mein Referat zu halten. Ich spreche über die Frau, die erfroren neben einem leeren Hochhaus voller Eigentumswohnungen gefunden wurde. Warum gibt es Wohnungslose in einer Stadt voller leerer Wohnungen? Ich habe dazu nicht nur ein Referat gemacht, sondern auch eine Story. Wie alles, was ich online stelle, wird sie ein paar tausend Mal geteilt. Umso besser. Es gibt Sachen, die dabei helfen, die Kältewellen zu vergessen. Likes und Melchior.
Ich sitze in der Schule beim Berufsberater. Ich sage ihm dasselbe, was ich immer wieder zu meinen Lehrern und zu meinem Vater sage. Ich mache nichts anderes mehr außer lernen. Es ist nicht so, dass es mir egal ist. Es ist nicht so, dass ich mich nicht anstrenge. Es ist nur so, dass nichts in meinen Kopf reingeht. Wenn ich eine Prüfung schreibe, braucht man mir gar keine Note zu geben. Ich kenne das Ergebnis schon. Moritz, du bist eine Null. Egal welches Fach, das ist meine Note. Moritz, du bist eine Null.
Wenn es eine Prüfung gibt, eine einzige, die ich gerne bestehen würde, dann diese. Lerne etwas anderes zu sein als dieser Moritz. Warum spielst du nicht Theater? Da könntest du in die Rolle von jedem beliebigen Menschen außer dir selbst schlüpfen. Jemand anderes werden, genau das versuche ich, seitdem ich auf der Welt bin. Das ist perfekt. Ich bin auf dem Schulhof mit meinem Kleid.
Als meine Freunde mich sehen, sagen sie... Entschuldigen Sie, der Eingang für die Eltern ist da drüben. Hallo, Martha. Guten Tag, sind Sie Marthas Mutter? Hallo, Mädels. Und, oh, gnädige Frau. Hallo allerseits. Ich habe zwei Kuchen gekauft. Wer ist die denn? Mann, ich bin's, okay? Ich bin Wendla. So sehe ich jetzt aus.
Ich weiß, ich bin so voll hässlich. Keiner hat mir gesagt, dass das eine Kostümparty ist. Nein, es ist auch keine Kostümparty. Es ist die Abschiedsfeier von meinem Leben als wohlbehütetes junges Mädchen. Ich bin doch nicht blöd. Ich weiß genau, was hier gespielt wird.
Ich brauche keinen Schutz. Die anderen brauchen dringend Erziehung. Und der erste Schritt ist, alle hässlichen, damit wirst du nicht vergewaltigt, Kleider zu nehmen und sie in hässliche, alte, damit vergewaltigst du nicht, Hosen zu verwandeln. Yes! Ja, Mann, scheiß auf das Kleid.
Wendler, als einziger hier anwesender, weißer, heterosexueller Cis-Mann... Aber ich bin doch auch... Ja, ja, würde ich gerne Folgendes sagen, Wendler. Ich nehme alles auf mich, was du anprangerst und ich verspreche dir, in Bezug auf mein eigenes Privileg, wachsam zu sein. Aber vor allem, schau her, ich habe dir zwei Kuchen gekauft. Und Wendler, ich will, dass du weißt, mit Augen wie deinen ist es egal, was man anhat. Danke, Otto. Was ich meine ist, Wendler, du bist schön.
Du bist so schön, dass... Danke, Otto, wirklich. Ich meine aber, ich habe gar nicht das Bedürfnis, schön zu sein. Ich habe das Bedürfnis, frei zu sein. Was anderes will ich gar nicht zu meinem Geburtstag. Ich weiß, wo wir feiern können. Ja? Im Wald. Ja, im Wald. Das ist perfekt. Wir machen ein Lagerfeuer und verbrennen mein Kleid. Kann irgendjemand Feuer mitbringen? Ja, ich...
Ich kümmere mich drum. Ich übernehme das. Ich mache das. Für Wendler. Ich bringe Streichhölzer mit, Feuerzeuge, eine Fackel, Zeitungspapier, dünne Zweige und zwei Steine. Wendler, Wendler. Komm, und jetzt alle. Macht mit. Wendler, Wendler, Wendler. Otto? Ja? Liebst du mich? Nein. Also nicht bäh, bloß nein. Nein, also ja. Manchmal ja. Ich dich auch. Als Freund. Autsch.
Als Freund? Cool. Cool. Cool. Hey, super. Das ist genau das, was ich auch will. Uff. Was für ein Glück. Ist irgendwas komisch? What? Komisch? Oh Mann, du hast Paranoia. Du faselst rum, sprichst im Fieber. Mann, ich liebe dich. Warum liebst du mich nicht? Otto, ich hab doch bloß gesagt... Ich hab 200 Mäuse für dich ausgegeben. Geht's noch romantischer? Jetzt hör mal auf, mich ständig zu unterbrechen. Das wäre schon mal... Dich unterbrechen? Wendler, das würde ich nie tun. Hä? Du hast mich gerade schon... Ich bin also das Problem.
Ich kaufe dir Kuchen und Kerzen, aber ich bin das Problem. Otto, warum weinst du nicht einfach? Du würdest doch gern. Schau, du bist verletzt. Es ist total normal. Heul einfach. Na los. Nein, ich werde doch nicht... Doch, bist du. Nein. Doch. Nein. Heul doch mal los. Heul. Du brauchst gar keinen Kleidwendler. Du bist so hässlich, dass dich sowieso niemals jemand anfassen will. Oh. Kuchen Nummer eins, ab in die Tonne. Kuchen Nummer zwei, ab in die Tonne.
Aber ich liebe dich! Na klar, hau schon ab. Umso besser. Dann wird es eine Mädelsparty. Ich bin kein... Moritz, du kommst. Schluss. Aus. Keine Diskussion. Und treib irgendwo Feuer auf. Ich habe ein Kleid zu verbrennen. Mein Sohn. Theaterspielen. Eigentlich, wenn ich es mir recht überlege, sage ich mir, äh, nein. Nein, nein, nein, nein. Oder vielmehr, wie man im Theater sagen würde, nein, nein, nein, nein, nein.
Weißt du, wenn die Aufführung vorbei ist und wir klatsch, klatsch applaudieren, klatsch, klatsch applaudieren, dann heißt das nicht, bravo, liebe Schauspieler, bravo, sondern wow, wir sind noch am Leben. Standing Ovation bedeutet ein Publikum, das aufsteht, um sich zu beweisen, dass es noch am Leben ist. Was willst du denn da lernen im Theater? Stromfosen anziehen? Deine Chakren finden? Sexuell uneindeutig werden? Nein, sag schon, das ist eine echte Frage.
Was willst du im Theater lernen, das irgendeinen Nutzen hat? Ich höre? Ich habe das Gefühl, dass... Lauter! Deine Stimme muss doch tragen, Moritz. Dass alles um uns herum unecht ist. Das Essen aus der Kühltheke ist kein echtes Essen. Die Körper in der Werbung sind keine echten Körper. Das Geld an der Börse ist kein echtes Geld. Alles, was so tut, als wäre es echt, ist eigentlich unecht. Indem ich Theater spiele, will ich gleich etwas Unechtes machen. Vielleicht wird mir das dabei helfen, etwas Echtes zu finden.
Eine Wahrheit. Eine Wahrheit. Die Wahrheit ist, Moritz, dass die Schule angerufen hat. Ich weiß, dass du versetzungsgefährdet bist. Die Wahrheit ist, dass ich dich für einen Sommerkurs angemeldet habe. Denn eins ist klar: Du schaffst dieses Schuljahr. Die Wahrheit ist, dass ich dich auf ein Internat schicke, wenn du sitzen bleibst. Vielleicht kriegst du die Schuljahr besser in den Schädel, wenn du in der Schule lebst. Wer weiß?
Willst Schauspieler werden? Mach's doch wie alle anderen. Mach deinen Abschluss, such dir einen echten Job und tu so, als würde dir gefallen. An diesem Tag begreife ich zwei Dinge. Wenn man jemandem seinen Traum zertrampelt, zertrampelt man sein Herz. Und ich, Moritz, weigere mich, dass mein Vater überall auf mir seine Fußabdrücke hinterlässt. Ich melde mich zum nächsten Vorsprechen der Theatergruppe an.
Für die Hauptrolle. Als Otto das hört, sagt er, ich wette 20 Mäuse, dass du sie nicht kriegst. 50 Mäuse. Ich wette 50 Mäuse, dass ich sie kriege. Melchior und ich sind vor allen anderen im Wald. Wir haben uns freiwillig gemeldet, um einen Spot für Wendlers Fest zu suchen. Wir schmücken Bäume. Wir bereiten das Feuer vor und dann... Das ist alles. Es bleibt nichts mehr zu tun, als zu warten. Gemeinsam, Seite an Seite. Zoll.
Ich näher ranrutschen oder warten, bis sie näher ranrutscht. Soll ich ihre Hand nehmen? Hat sie Lust oder geht das bloß mir so? Sollte ich vielleicht etwas sagen? Aber was denn? Ist das ein uns geht's gut zusammen schweigen oder ein wir haben einander nichts zu sagen schweigen? Gerade als ich den Mund aufmache, um komm näher zu sagen, höre ich... Das ist kein Ton. Auch kein Geräusch. Es ist eine Welle.
Ein Pulsieren, das meinen ganzen Körper durchdringt. Sofort beginne ich zu schwitzen. Meine Kleidung ist pitschnass. Ihre Augen. Ist das ihr Atem oder meiner? Oder ist es der Wald? Etwas kitzelt mich doch. Nichts berührt mich. Es ist, als würde ich unsere Namen hören. Milchohr. Milchohr. Etwas kommt näher. Etwas, das von überall gleichzeitig kommt. Aber was ist das? Eine Herde? Ein Monster? Ein Sturm?
Eine Mücke? Lernen, Internat, tut mir leid. Tja, Moritz kommt nicht. Wann begreift er endlich, dass die richtigen Dinge nicht in der Schule... Autsch! Tut mir leid, aber sie wollte dich gerade stechen. Sorry. Ähm...
Was glaubst du, wann kommt Wendler? Melchior? Melchior? Mach das nochmal. Was das? Die Mücke, mach sie platt. Da ist keine Mücke mehr. Da ist eine, hier auf meinem Arm. Achso, du willst, dass... Ja. Hier ist noch eine Mücke, hier auf meiner Schulter. Da ist noch eine, richtig fette, hier auf meinem Hintern. Bitte, Martha, bitte. Nochmal. Nochmal. Fester? Fester! Oh!
Auf einmal stelle ich mir unwillkürlich vor, dass alle Leute das, was wir gerade machen, als Story sehen. Nein! Ich haue ab. Martha, was ist denn? Warum denn Martha? Die vier schlimmsten Wörter der Welt. Seit 17 Tagen. Die vier schlimmsten Wörter der Welt. Noch nie dagewesene Hitzewallung.
Ihr habt es erraten, ich befinde mich in einer noch nie dagewesenen Notlage. Zuhause haben wir eine Politik, keine Klimaanlage. Warum? Weil die Klimaanlage eine Menge heiße Luft nach draußen pustet. Man tut nichts gegen den Klimawandel, indem man selbst zum Klimawandel beiträgt. Mit dieser Politik ist jetzt Schluss. Mama, wir... Mit dieser Politik ist jetzt Schluss! Seit einem Jahr ist mir heiß.
Seit einem Jahr ist mir ständig heiß. Morgens ist mir heiß. Nachmittags ist mir heiß. Abends ist mir heiß. Und mitten in der Nacht ist mir sehr, sehr, sehr heiß.
Ja, das ist die Menopause. Übrigens verstehe ich beim besten Willen nicht, warum das Menopause heißt. Denn ganz eindeutig gibt es bei der Menopause keine Pause. Eigentlich sollte das Menostress oder Menonerven heißen. Oder warum nicht ganz einfach Menoscheißdreck? Ja, genau so, wenn da ist das. Oh. Menoscheißdreck! Claire, ich liebe und begehre dich. Für mich bist du... Stopp! Claire, ich liebe und begehre dich.
Woran denkst du, wenn du das sagst? An nichts. Das merkt man. Denk an etwas. Oder eine Person, die dich anmacht. Okay, gute Idee. Bist du schwul? Nein, das heißt, ich weiß nicht. Vielleicht bist du bisexuell. Oder pansexuell. Oder autosexuell. Das wäre heiß. Wie findet man raus, was man mag? Ganz einfach. Ich habe dir gerade einen Link geschickt. Das ist ein Libido-Menü.
Ein Kompass der Begierde. Je mehr es dich erregt, desto besser kennst du dich. Ich weiß, du hast Angst. Hab keine Angst. Das ist bloß ein kurzer Überblick über alle möglichen Arten zu Vögeln, die es gibt. Gibt es mehr als eine? Moritz, die menschliche Sexualität ist ein Kontinent. Willst du wirklich dein ganzes Leben im selben Dorf verbringen? Michio geht. Ich schaue meine Hausaufgaben an. Meinen Computer. Meine Hausaufgaben? Meinen Computer.
Meine wahre Hausaufgabe, meine wahre Pflicht ist es, meinen Computer anzuschauen. Ich stehe auf, ich ziehe die Vorhänge zu, ich schließe die Tür ab. Ich setze meine Kopfhörer auf und drücke auf Play. Wenn die menschliche Sexualität ein Kontinent ist, bin ich ein Schiffbrüchiger auf hoher See. Ich bin zu Hause. Ich habe Hunger. Ich öffne den Kühlschrank. Plötzlich sehe ich meine Mutter. Und? Geht's dir besser, seit du im Kühlschrank wohnst?
älter werden. Das heißt, aus seinem Körper verdrängt werden. Eines Tages wirst du dich bücken und gegen deinen Willen Laute ausstoßen, wie eine Comicfigur. Du wirst deine Schuhe anziehen. Uff. Oder vom Sofa aufstehen. Du wirst etwas aufsammeln. Du weißt es noch nicht, aber diese Laute bedeuten den Anfang vom Ende. Und Jahre später steigst du aus einem Kühlschrank, siehst dich im Spiegel und kannst ein Wirk nicht unterdrücken. Mama,
Es ist Zeit. Zeit wofür? Zeit, dass wir ein Profil für dich anlegen. Wir? Jo, Martha. Hi, Leute. Kopf hoch. Kopf runter. Kopf bisschen drehen. Lächeln. Mama lächeln. Bisschen weniger lächeln. Mama, nicht lächeln. Versuch doch mal natürlich auszusehen. Aber nichts davon hier ist natürlich. Schau hier hin. Perfekt. Großartig.
So, die Beschreibung: Junge Berufstätige, stabile finanzielle Situation. Ja, das ist gut. Moment, das stimmt gar nicht. Du hast nie Geld, Mama. Das ist voll stabil. Outdoor-Fan. Also, das geht wirklich nicht rum. Du trinkst Wein auf dem Balkon. Das ist Outdoor. Reise-Junkie, Reise-Junkie. Kommt immer gut an. Wirklich, meine letzte Reise war 2000. Mama, das ist ein Dating-Profil und kein Lügendetektor. Sucht Vertrautheit mit Reifemann.
Oh, nee, nee, warte. Schreib lieber mit reifen Männern. Sehr gute Idee. Das geht ganz schön schnell, finde ich. So, ah, zeig mal. Wie finden wir den? Bah. Den hier? Bah. Oh, den hier? Oh. Ist das etwa... Warte mal. Sieht fast so aus, dass es Moritz' Vater ist. Ist der nett? Warte, ich rufe Moritz an und frage ihn. Ja.
Hallo Moritz, sag mal, ist dein Vater nett? Mein Vater ist der Allerschlimmste. Alles klar, hau rein. Er hat ja gesagt. Dann ist es ein Match. Wendler Moritz wird dein Halbbruder. Was? Digga, was? Mama, du hast heute Abend ein Date. Heute Abend? Wie bitte? Ein Ratschlag noch: Wenn Sie eine Mücke sehen, bringen Sie sich lieber in Sicherheit. Sonst machen Sie bloß Sachen, die andere Leute nicht in einer Story sehen wollen.
Sonst müssen sie sich zwischen den Likes und der Liebe entscheiden und dann entscheiden sie sich für die Likes, aber es bricht ihnen das Herz. Ich komme zum Vorsprechen. Die Regisseurin mustert mich von Kopf bis Fuß. Also, Moritz, du sprichst vor für die Rolle von... Jakob. Ja, das bin ich. Wer ist das? Das ist Melchior, meine Stichwortgeberin. Hallo. Gut. Ja, wir sind ganz oha. Wir stellen uns auf...
Ich hole tief Luft und gebe alles, was ich habe. Ich denke an gar nichts mehr. Es gibt keinen Druck mehr, keine Angst. Es gibt bloß Jakob. Als ich wieder zu mir komme, ist es lange still. Dann höre ich: Melchior? Das war dein Name, Melchior? Ja. Dein Charisma, das ist phänomenal. Das ist toll. Man sieht nur dich. Melchior wird die Rolle von Jakob angeboten.
Ich bekomme die Rolle von Eichhörnchen Nummer 3, das in einem Tierkostüm steckt und nur einen Satz zu sprechen hat: "Auf Wiedersehen, Jakob." Am selben Nachmittag bekomme ich die Ergebnisse von der Sommerschule: "Moritz, wenn ich eine Note für Hartnäckigkeit zu vergeben hätte, bekämpfst du eine glatte Eins. Leider interessiere ich mich für Talent. Tut mir leid, du fällst dieses Jahr durch." In meinem Kopf ein einziger Satz: "Auf Wiedersehen, Moritz."
Ich bin nicht bloß eine Mutter. Ich bin eine bescheuerte Mutter. Warum? Heute Morgen bin ich, ohne anzuklopfen, in das Zimmer meines Sohnes Otto gegangen. Natürlich war er gerade dabei zu masturbieren. Das ist nicht weiter überraschend, er macht ja nichts anderes. Das Problem ist nicht, dass ich meinen Sohn beim Masturbieren gesehen habe. Das Problem ist, dass ich diesmal gesehen habe, was sich mein Sohn beim Masturbieren anschaut.
Das werde ich nie wieder los. Dieses Bild wird mir für den Rest meines Lebens ins Gedächtnis eingebrannt bleiben. Was hast du da gerade angeschaut, Otto? Auf deinem Bildschirm. Was habe ich da gerade gesehen? Das geht nicht. Von allem, was du anschauen könntest, schaust du das da an? Das? Du bist krank. Weißt du, dass du krank bist? Ich dachte, du wolltest, dass ich mich nicht schäme.
Ich schäme mich nicht. Ja, ja. Aber, aber, Jeff Bezos. Du schaust beim Masturbieren Jeff Bezos an. Du Perverser. Das bist du. Pervers. Jeff Bezos macht mich geil. Wenn ich Jeff Bezos in seiner penisförmigen Rakete durch den Himmel zischen sehe, stelle ich mir vor, ich wäre an seiner Stelle und ich bekomme sofort einen Steifen.
Wenn ich könnte, würde ich meinen Penis mit Amazon Prime an alle Leute verschicken, die eine Postleitzahl haben. Und je häufiger ich meinen Penis verschicke, desto mehr Geld verdiene ich.
Und je mehr Geld ich verdiene, desto dicker wird mein Penis. Und je dicker mein Penis wird, desto teurer wird es, ihn zu verschicken. Und je teurer es wird, ihn zu verschicken, desto mehr Geld verdiene ich damit. Doch, das reicht mir nicht. Nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein. Denn ich ersetze die Dickpics durch Dickdogs. Du bist zu Hause. Es klingelt. Du machst die Tür auf. Bäm! Hast du meinen Penis im Gesicht. Dickdong, man. Dickdong.
Du gehst über die Straße. Bäm! Mein Penis ist da. Du nimmst den Aufzug. Welches Stockwerk? Ganz egal. Mein Penis ist in jedem Stockwerk. In jedem Stockwerk auf dem ganzen Planeten. Meinem Planeten.
Meine Planeten, auf denen ich runterschaue, während ich mir in meiner Rakete einen runterhole und mir sage, das da gehört alles mir. Die Natur, die Ressourcen, die Leute, alles meins. Mein Planet besteht aus drei Kategorien von Personen. Angestellte, Kunden und ich. Alle anderen Sklaven, Steuerzahler, die dazu beitragen, mich zum Herrn zu machen, zum Top.
Zum Dom, zum Boss, zum Daddy, zum Riesen, zum Imperium, zum Orgasmus. Ist das alles? Nein. In fünf Jahren bin ich ganz oben auf der Leiter und schiebe mir alles, was unter mir ist, in den Arsch. Erstens. Analverkehr ist keine Strafe. Ich mag das. Dein Vater übrigens auch. Zweitens. Otto, was ist los mit dir? Was ist wirklich mit dir los? Eine Frau, die neben einem Gebäude voller leerer Eigentumswohnungen erfriert.
Das ist nicht normal. Neben einer leeren Eigentumswohnung erfrieren ist nicht normal. Aber es ist die Wirklichkeit. In dieser Welt lebe ich, Mama. In dieser Welt werde ich erwachsen. Und du wirst mich nicht davor retten. Und meine Freunde auch nicht. Auch Wendler nicht. Nur das Geld. Mein erstes Date seit Jahren. Ich will sie auf einen Drink einladen. Sie sagt...
Irgendwas auf Eis. Egal was. Nach vier Negronis erfahre ich, dass sie eine Tochter genau in Moritz' Alter hat. Sofort frage ich sie: Wie stellt man das an, auf ein Kind stolz zu sein, das nichts auf die Reihe kriegt? Indem man lernt, dass hinter jedem Scheitern ein Versuch steckt. Wenn du das schaffst, wird dein Sohn ein Champion. Wenn nicht, bist du wie dein Sohn, dann hast du es wenigstens versucht. Ich sage ihr, ich muss nach Hause.
Sobald ich zurück bin, gehe ich in Moritz' Zimmer. Ich klopfe und mache einen Spalt breit die Tür auf. Ich schalte kein Licht ein. Reden ist einfacher, wenn man sich nicht sieht. Moritz, also ich, ähm... Moritz, ich habe dir das Sprechen beigebracht, aber ich weiß nicht, was ich zu dir sagen soll. Als du klein warst, hast du hoch zum Himmel gezeigt und gesagt, schau mal, Papa, Sternschnupfen.
Ich habe dich nicht verbessert. Ich habe mir gesagt, Sternschnupfen ist der schönste Schnupfen, den man sich vorstellen kann. Als du älter wurdest, habe ich langsam Angst bekommen, dass du ausgelacht wirst oder dass deine Lehrer denken, du hättest nichts gelernt. Eines Tages habe ich zu dir gesagt, Schnuppe, Moritz, Sternschnuppe heißt das. Du hast geantwortet, nein, Papa, es heißt Schnupfen, weil die Nacht so doll friert, dass sie niesen muss und schnuppert.
Dann fallen die Sterne vom Himmel. Und ich, ich habe dich ausgeschimpft. Ich habe gesagt, geh in dein Zimmer. Irgendwann hast du angefangen, Schnuppe zu sagen. Aber du hast aufgehört, den Kopf zu heben und Sternschnuppen schön zu finden. Entschuldige, dass ich dir die Poesie genommen und daraus ein Problem gemacht habe. Ich weiß, ein guter Vater tut das Gegenteil. Ich will versuchen, ein guter Vater zu sein. Ich weiß nicht, ob ich das schaffe, aber...
Ich will es versuchen. Hätte mein Vater das Licht eingeschaltet, dann hätte er gesehen, dass er ins Leere spricht. Ich bin nicht in meinem Zimmer. Ich bin im Wald. Mit einer riesigen Tasche. Ich bin mit Wendler verabredet. Als ich ankomme, trinkt sie ein Bier. Hier, das ist von Martha. Sie ist gerade gegangen. Ich habe nur zwei Schlucke getrunken. Schmeckt voll eklig. Probier mal. Ich mache die Augen zu. Ich trinke einen Schluck. Ich trinke die ganze Dose. Okay...
Ähm, was ist das eigentlich für eine große Tasche? Das ist für dich. Herzlichen Glückwunsch, nachträglich. Äh, danke. Die ist sowas von gefloppt, meine Party. Weißt du, als ich an dem Abend aufgetaucht bin, habe ich Melchior und Martha dabei gesehen, wie sie nett zueinander waren. Ich habe natürlich sofort umgedreht und ihnen nie davon erzählt, klar. Aber weißt du, ich habe das irgendwie nicht. Lust darauf, anzufassen oder...
Oder angefasst zu werden. Das Bedürfnis, verliebt zu sein. Vielleicht bin ich einfach nicht normal, aber ich bin wunschlos glücklich, wenn ich allein bin. Ich meine, es gibt doch so viel mehr als Liebe und Sex. Findest du nicht, Moritz? Alles in Ordnung? Hier, dein Geschenk. Das ist ein Eichhörnchen Nummer 3 Kostüm. Äh, danke. Und was mache ich jetzt damit? Du ziehst es an und gehst spazieren. Kein Mensch wird dich erkennen.
Du kannst hingehen, wo du willst und wann du willst. Ich weiß, es ist ungerecht. Aber durch dein Verschwinden bekommst du das Recht, da zu sein. Okay. Ich ziehe mir das Kostüm über. Das ist der Beweis dafür, dass wir in einem zuleben. Um sich vor den Tieren zu schützen, muss man selbst eins werden. Ich verlasse den Wald. Ich gehe überall hin. Ich gehe auf der Straße frei, in Sicherheit, nach Mitternacht. Ich bin ein Mann.
Ein Mann mit einem riesigen Schwanz. In meiner Tasche befindet sich ein zweites Geschenk. Nur für mich. Ein Fjoll. Ich habe jemanden um Hilfe gebeten. Ich habe zu ihm gesagt, weniger Druck, mehr Trieb. Er hat mir ein Glasröhrchen verkauft und hinzugefügt ein Tropfen. Nur einer. Ich träufle einen Tropfen auf meine Zunge und warte. Ich warte. Ich war ein Arschloch.
fliegt genau vor mir. In seinen Augen sehe ich alles. Alles. Ich sehe, dass die Pubertät eine Medaille verdient. Unsere Arme und Beine sind unterschiedlich lang. Wenn wir laufen, sehen wir aus wie aufblasbare Schlauchmännchen. Und trotzdem laufen wir mit hocherhobenem Kopf.
Ich sehe, dass ich das Recht habe, mittelmäßig zu sein. Verwirrt, verletzlich. Das sind Worte, die eigentlich tabu sind. Ich sehe alles, was nicht 0815 oder normal ist. Und ich finde es schön. Vielfalt ist das Leben, das überall hin will. Ich sehe, dass... Kein Adler mehr. Gar nichts mehr. Nur Dunkelheit. Aber es ist schlimmer als Dunkelheit. Es ist Dunkelheit nach einem plötzlichen Lichtschimmer. Ich nehme mein Glasröhrchen und trinke es leer. Als wäre es ein Bier.
Nachdem ich überall in der ganzen Stadt war, kehre ich in den Wald zurück, um mich bei Moritz zu bedanken. Ich nehme meinen Eichhörnchenkopf ab. Moritz? Ich ziehe das restliche Kostüm aus. Moritz? Ich finde ihn nicht. Stattdessen findet mich ein Bär. Ein zottliger Bär. Voller Sabber. Er mustert mich von Kopf bis Fuß. In seinen Augen eine Drohung. Er kommt näher. Viel zu nah.
Und dann beißt er mich. Ich schreie. Der Bär beißt mich ein zweites Mal. Ich schreie. Hashtag Nein. Auf einmal verwandelt sich der Wald in eine Gerichtsverhandlung. Hinter einem Pult sitzt ein Richter mit Robe und zeigt mit dem Finger auf mich. Ruhe, Wald, Ruhe! Setzen! Wendler Bergmann. Ja.
Sie beschuldigen einen hier abwesenden Bären, Sie gebissen zu haben. Wie waren Sie gekleidet? Wie ich gekleidet war? Ja. Es ist gerade eben erst passiert. Also trugen Sie löchrige Kleidung, durch die man Ihre Haut sehen kann. Vor dem Biss waren da keine Löcher. Die Löcher sind ein Beweis, keine Ursache. Wie Sie meinen.
Wenn ich mich nicht irre, haben Sie zu Ihrem Geburtstag ein Kleid bekommen, das Ihren gesamten Körper bedeckt. Warum haben Sie sich geweigert, dieses Kleid zu tragen, das Ihren gesamten Körper bedeckt und Ihnen dadurch vielleicht geholfen hätte? Ich werde dieses Kleid erst tragen, wenn auch Männer welche tragen müssen. Aber, Fräulein Bergmann, sehen Sie mich ein.
Ich bin ein Mann und ich trage ein Kleid. Sehen Sie diese Robe? Sie ist hier direkt vor Ihren Augen und bedeckt meinen Körper von Kopf bis Fuß. Fräulein Bergmann? Ja? Haben Sie schon einmal Alkohol konsumiert? Ich verstehe nicht, was das... Eine leere Bierdose mit Ihren Fingerabdrücken wurde am Tatort des angeblichen Verbrechens gefunden. Sind Sie schon 16 Jahre alt, Fräulein Bergmann?
Nein. Ich fasse zusammen. In dem Augenblick, in dem Sie behaupten, belästigt worden zu sein, denn genau darum handelt es sich, eine Behauptung, waren Sie leicht bekleidet, gesetzeswidrig angetrunken, alleine, nachts, in einem Wald. Fräulein Bergmann!
Wenn das Ihr wirklicher Name ist, ich frage Sie: Was beweist mir, dass Ihre Belästigung kein Hirngespinst ist? Ich bin 14 Jahre alt und habe mich entschieden, hier vor Ihnen zu stehen. Ich sollte in der Schule sein oder im Kino oder in einem Park, aber nein, ich bin hier, um mir Gehör zu verschaffen, auch auf die Gefahr hin, gedemütigt zu werden. Niemand opfert die ersten Jahre seines Lebens, wenn es nicht wirklich notwendig ist. Verstehen Sie das?
Ja. Nein, nein, das verstehen Sie eben nicht. Wenn Sie sagen, Ihre Belästigung, dann täuschen Sie sich. Es ist nicht meine Belästigung. Es ist die Belästigung, die mir angetan wurde. Sagt man, mein Wirbelsturm, der das Haus zerstört hat. Nein, es ist nicht und es wird auch niemals sein mein...
mein Wirbelsturm, so wie es auch niemals meine Belästigung oder meine Vergewaltigung oder mein Fehler sein wird. Und wenn sie das Bedürfnis verspüren, deine Belästigung zu sagen, dann nennen sie sich gefälligst an den Bären und nicht an mich. Ja, einverstanden. In dem Prozess Wendler-Bergmann gegen den zotteligen Bären erklärt das Gericht...
ohne jegliche Bedenkzeit den Bären als der Belästigung schuldig? In meinem persönlichen Namen möchte ich dem Opfer für ihren Mut und ihre Entschlossenheit danken. Ich hoffe, dadurch eine klare Botschaft auszusenden, dass man von nun an den Opfern zuhört und zuhören wird.
Sobald ich höre, wie meine Tochter weggeht, komme ich unter der Robe des Richters hervor. Ich stehe auf und spucke in einen Lappen. Ich wische mir den Mund ab, die Lippen, ich wische sie gründlich. Als ich wieder nach Hause komme, klingt Wendler so froh wie damals, als sie acht Jahre alt war. Sie sagt zu mir, »Mama, rate mal, man kann der Justiz vertrauen.« Ich antworte, »Umso besser.«
und gehe ins Bad und putze, putze, putze mir die Zähne. Es brennt, als hätte sich die gesamte Wärme meines Körpers in meinem Mund konzentriert. Der Adler ist nicht vor mir. Er fliegt über den Wald. Nach und nach klettere ich in einen Baum, klettere ich immer höher, klettere ich hoch bis zum Wipfel. Der Adler kommt näher. In seinen Augen sehe ich mich selbst. Moritz Stiefel.
Moritz Beerdigung.
Wir stehen in einer Reihe, um seinem Vater unser herzliches Beileid auszudrücken. Mein Beileid, Monsieur. Mein Beileid. Mein Beileid. Mein Beileid. Mein Beileid, Monsieur. Sobald alle sitzen, ergreift ein Priester das Wort. Guten Tag. Wir alle sind hier versammelt, um dem Leben von Maurice zu gedenken. Maurice war ein junger Mann. Maurice war ein hervorragender Sportler. Moritz heißt er. Einverstanden.
Maurice liebte Wackelpudding, Regen, Dinosaurier. Nichts von dem, was Sie sagen, ist wahr. Maurice liebte Brokkoli. Er war ein versierter Numismatiker. Um seine Briefmarkensammlung wurde er weithin beneid. Ein Numismatiker sammelt keine Briefmarken. Maurice liebte Reitsport, Penicillin. Nein! Nein! Ich... Mein Sohn... Ihr Sohn schuldet mir 50 Mäuse.
Wie bitte? Ihr Sohn schuldet mir 50 Mäuse. Wir haben gewettet, er hat verloren. Wie immer. Ausgerechnet das sagst du zu mir? Ausgerechnet in diesem Augenblick? Wer heißt du? Otto. Otto. Hast du irgendeine Ahnung, was Anstand ist? Ich weiß, zum Beispiel, dass es wichtig ist, anständig zu verdienen. Wenn ich ausgerechnet das in diesem Augenblick zu Ihnen sage, dann weil ich ganz genau weiß, dass Anstand immer mit Wohlstand zu tun hat.
Magst du Theater? Nein. Ich finde das teuer, nutzlos und sowas von langweilig. Ich habe auch eine Frage an Sie. Würden Sie gerne in die Luftfahrtbranche investieren? Ich bin ein junger Unternehmer mit großen Plänen. Sag das noch einmal. Ich bin ein junger Unternehmer mit großen Plänen. Seit 15 Jahren träume ich davon, so einen Satz zu hören. So, an alle!
Das Begräbnis ist abgesagt. Hiermit stelle ich euch meinen neuen Sohn vor: Otto. Wirklich? Wirklich. Ich habe ein Erbe übrig. Ich schenke es dir. Danke. Papa? Komm mit, ich habe eine Idee. Was ist das denn? Das einzige, was noch instabiler ist als ein pubertierender Teenager: ein trauernder Elternteil. Schau, da am Himmel. Was siehst du?
Nichts? Genau. Da fehlen doch Raketen. Ich habe eine Idee. Umso besser. Mein Junge hatte nie welche. Wusstest du, dass ein toter Baum mehr Geld bringt als ein lebendiger? Das finde ich super. Ist das ein Businessplan? Noch mehr als das. Es ist eine Startrampe. Ich nehme mein Handy und gebe eine Bestellung auf.
Ein paar Sekunden später landet ein Paket vor unseren Füßen. Ich mache es auf. Drinnen ist mein Penis. Und meiner auch. Double Dick Dong Man. Unsere Penisse und zwei Kettensägen. Wir nehmen sie in die Hand. Wir schalten sie ein. Und rammen sie in alle Bäume, die wir sehen.
Soll ich weitermachen, auch wenn der Papa weg ist? Gerne. Wir fahren nun mit der Schweigeminute fort. Ja, danke. Die Getränke sind... Wartet! Moritz, an diesem Tag, einem der ersten Frühlingstage, bin ich allein im Wald. Ich fühle mich gut und frei. Und wenn ich mich gut und frei fühle, regt mich das.
Wie bitte? Ich masturbiere, seit ich elf bin. Nein! Nein, nein! Aber jetzt mache ich es zum ersten Mal im Wald. Stopp! Stopp! Ich setze mich hin und lehne mich an einen Baum. Ich schiebe die Hand in meine Hose. Ich mache alles wie sonst auch, aber mein Körper ist viel, viel mehr von allem. Es ist, als würde ich an eine Tür klingeln und fragen, wer wohnt hier?
Meine Haut antwortet: "Klingele weniger laut, klingele weniger schnell und ich lass dich rein." Ich fange an, mit beiden Händen zu klingeln. Ich bin mit mir selbst verabredet. Mein Körper ist nicht bloß eine Tür, er ist ein Fahrstuhl. Wenn ich ihn an der richtigen Stelle berühre, steige ich hoch bis in den siebten Himmel. Ich spüre eine Aufwallung, ein Anwachsen. Es breitet sich in mir aus, überall.
Als ich wieder zu mir komme, höre ich nichts, außer dem Atmen des Waldes. Als ich aufstehe, merke ich, dass der Boden feucht ist. Und im Baum die Knospen, die ersten Knospen des Frühlings. Wenig später bin ich plötzlich an einem anderen Ort gelandet, an dem ich überhaupt nicht sein will. Einer Abtreibungsklinik. Eine Krankenschwester kommt zu uns. Sie sagt, Frau Bergmann, Frau Bergmann. Ich stupse vorsichtig die Hand meiner Mutter.
Ich antworte, das bin ich. Die Krankenschwester sagt, wir sind fast so weit. Ich komme bald wieder und hole sie ab. Nicht weinen, Mama. Ich meine, immerhin. So weit ist deine Menopause noch gar nicht. Jetzt versuch nicht, mich zum Lachen zu bringen. Das klappt nicht. War es Moritz' Vater? Es war der danach. Ich war betrunken und hatte Sex ohne Kondom. Alles das, was ich bei dir immer verhindern wollte. Wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich dir ein altes, hässliches Kleid geliehen. Die Krankenschwester kommt wieder.
Als ich aufstehe, um ihr zu folgen, sagt meine Tochter, meine 14-jährige Tochter zu mir, Ich bin hier, Mama. Gleich nebenan. Alles wird gut. Von hier aus über den Wald kann ich alles sehen. Ich sehe den Winter kommen. Ich sehe meinen Vater, der nachts weint. Ich sehe Martha, die Melchior vermisst. Melchior, die Martha vermisst. Ich sehe Otto, der von einer Rakete träumt. Ich sehe Wendler, die ohne hässliches Kleid spazieren geht.
Sternschnupfen von David Paquet aus dem kanadischen Französisch von Frank Weigand.
Es spielten Moritz Max Hegewald, Wendler Anne Müller, Otto Paul Sies, Melchior Janina Rudenska, Martha Olga von Luckwald, Wendlers Mutter Katharina Marie Schubert, Ottos Mutter Ulrike C. Czare, Moritz Vater Matthias Matschke.
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Produktion saarländischer Rundfunk und Rundfunk Berlin-Brandenburg 2024