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Tiefer sinken auf sandigen Grund

2025/5/25
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Das Berlin Hörspiel

AI Chapters Transcript
Chapters
Die Episode beginnt mit einer Frau, die einen Schwangerschaftstest macht und positiv testet. Sie beschreibt ihre Gefühle der Unsicherheit und des Wartens. Die Kapitel beschreibt den Prozess des Wartens auf eine Schwangerschaft und die damit verbundenen Emotionen.
  • Positiver Schwangerschaftstest
  • Unsicherheit und Zweifel
  • Warten auf eine Schwangerschaft

Shownotes Transcript

1. Den Test mache ich, als es in der Wohnung friedlich ist. Ich stehe neben dem Klo, werfe wie beiläufig einen Blick auf das Ergebnis. Eigentlich kenne ich es schon. Dann, betont gelassen zum Sessel im Zimmer zurück, das Buch nehmen und sehr vertieft lesen. Du denkst, wartet da irgendwo irgendwer, um von mir geboren zu werden? All the unborn, all the humans to become.

Wie viel Hoffnung in dieser Frage. Wie viel freudige Möglichkeit. Und wenn da irgendwo irgendwer wartet, nur darauf wartet, von dir geboren, von dir in die Welt gebracht, auf die Erde geworfen zu werden. Wenn es also so ist, was musst du tun, damit es den Weg zu dir findet? Tiefer sinken auf sandigem Grund. Ein Hörspiel von Lena Müller und Leo Weyrether. Ich fange nochmal an.

Nach drei Tagen Müdigkeit, Übelkeit und leichten Nasenbluten gehe ich in den Laden und besorge einen Test. Wieder zu Hause lege ich ihn neben das Klo auf die Waschmaschine, schiebe den Sessel im Zimmer ans Fenster, setze mich hinein und schlage das Buch auf, das in Reichweite liegt. Ich konzentriere mich auf die Buchstaben, sodass nichts anderes mehr Platz hat. Ich lese einen Satz, vergesse ihn sofort wieder, lese den nächsten.

Dann renne ich ins Bad, reiße die Packung auf und lasse Urin über den Teststreifen laufen. Aus dem Augenwinkel beobachte ich, wie sich zuerst ein Streifen und dann der zweite deutlich bilden. Zwei. Raus. Schnell raus. Nur ein paar Züge aus der Zigarette, ein paar Schlucke vom Gin Tonic, einen Eiswürfel behalte ich im Mund. Das Entscheidende sind die Körper neben mir, vor mir, hinter mir.

Das Entscheidende sind die Boxen, die uns die Bässe unter die Haut jagen. Ein Dröhnen wie ein Ton aus großer Tiefe. Genau jetzt ist es gut, einen Körper zu haben. Einen Bauch voll Bässe. Du denkst, ein Kind wird ein Kind mit der Zeit. Wenn du dir jetzt vorstellst, dass da etwas wachsen könnte in deinem Bauch, in deinem Uterus, deinem Unterleib, deinem Körper, in dir, dann stellst du dir kein Kind vor.

Du denkst an Zellen, Zellteilung, eine Morula. Und daran, dass all das, sollte es gerade in dir passieren, sehr weit weg davon ist, ein Kind zu sein. Das lehrt dich das Warten, das ewige Warten. Das geht etwa so. Du zählst die Tage. Seit Monaten ist dein Kalender durchnummeriert nach Zyklostagen. Du weißt immer genau, an welchem du dich befindest. Du weißt auch immer genau, in welchem Zeitraum der Eisprung sein wird, so genau du das eben wissen kannst.

Dein Unvorhergesehenes ist dabei, na klar. Eine zwei Tage später anfangende Menstruation. Eine Ärztin, die feststellt, dass die Eizelle bereits sprungbereit ist. Eine Zyste, die nur vorgab, ein Follikel zu sein. Obwohl du all das weißt. Die Sicherheiten und die Unsicherheiten. Obwohl du gar nichts schieben kannst an den Zahlen, an den Fakten. Rechnest du ständig nach. Eins, zwei, drei, sieben, acht. Dann ein kleines gemaltes Ei.

12, 13, 23, 24, 25, 26, 1, 2, 3, 4. Du zählst nochmal und nochmal und nochmal. Dabei solltest du offen sein. Nichts forcieren. Nichts festhalten. Trotzdem ständig der Gedanke, was kannst du dazu tun? Was braucht es über das Zählen hinaus? Nichts wird dem Zufall überlassen.

Es wird genauestens geschaut, geplant und gemessen. Die Größe der Eizellen, der Aufbau der Uterusschleimhaut, der Hormonspiegel, die Samenqualität, der Zyklustag. Und trotzdem ist am Ende alles Zufall. Du kannst nichts dazu tun, außer alle Hoffnung hineinzustecken. Hoffen, es möge etwas in dir entstehen und wachsen.

Nach einer Ewigkeit im Wartebereich ruft mich die Gynäkologin ins Sprechzimmer und schiebt mich Richtung Behandlungsstuhl. Sie führt einen Ultraschall durch, nickt bestätigend und druckt mir ein Bildchen aus, auf dem etwas Kaulquappiges abgebildet ist. Zwei Zentimeter. Neunte Woche. Ungefähr. Vier. Ich sitze in der Küche und vorm Fenster ein gleichmäßiges Licht. Nicht sonnig und nicht besonders grau. Nicht mehr früh und nicht mehr früh.

Und auch noch nicht spät. Ich sitze da und beobachte die vorbeifahrenden Busse, die Menschen hinter den Scheiben. Fünf. Ich vereinbare einen Beratungstermin. Fahre mit dem Rad durch den Feierabendverkehr. Trotz der vollen Straßen scheint mir die Stadt wie gedämpft. Vor dem Gebäude schließe ich mein Rad an und setze mich auf ein Mäuerchen in die Sonne. Dort bleibe ich, bis die Stunde, die das Gespräch hätte dauern sollen, abgelaufen ist.

Dann fahre ich zurück und lege mich ins Bett. Im Halbschlaf schreibe ich meiner Mutter eine Textnachricht. Dann schlafe ich ein, sinke tiefer und tiefer auf einen weichen, sandigen Grund. Alle sagen dir, es braucht einfach Zeit. Es gibt immer noch einmal die Chance. Du wirst bestimmt eine ganz tolle Mutter. Es wird kommen, wenn es kommen soll. Hab Geduld.

Weißt du, damit ein Kind entsteht, ist es keine leichte Sache. Da müssen drei Ja sagen. Die Mutter, der Vater und das Kind. Du brauchst keine heteronormativen Ratschläge. Du brauchst eine Krankenkasse, die die Inseminationen bezahlt. Du brauchst den Mut, dich spontan krank zu melden, um keine Chance zu verpassen. Du brauchst eine queersensible Ärztin. Du brauchst eine, die mitgeht im Weitermachen. Du weißt nicht mehr, was du brauchst. Du brauchst Trost. 6.

Die Stimme meiner Mutter am Telefon klingt unsicher, vorsichtig freudig, als sie sich erkundigt, wie es mir geht. Die Vorsicht und die Freude in ihrer Stimme möchte ich kaputt machen, als ich sage, schlecht. Und dann nochmal, heftiger als beabsichtigt, schlecht, schlecht, schlecht. In meiner Heftigkeit der Wunsch, dass sie meine Wut aushält. Stattdessen fragt sie, hast du mit der Ärztin gesprochen? Ihre Sorge, ihr Wunsch, mich glücklich zu sehen.

Ich wehre ihre Versuche ab, wische ihre vorsichtige Freude beiseite. Sie gibt auf, wird ärgerlich. Warum bist du so? Wie? So? Ich lege auf. Sieben. Ich sitze in der Küche und schaue aus dem Fenster. Stunden vergehen, bevor ich überhaupt den ersten Satz denke. Tausend Wege führen zu ihm. Tausend Wege an ihm vorbei. Und am Schluss ist er ein ganz anderer als erwartet.

Jetzt sitze ich in der Falle. Und du möchtest sagen, ich weiß, dass es klappen wird. Jeden Monat von Neuem weißt du es. Wünscht es dir so sehr. Du setzt alles auf die Potentialität, auf die Möglichkeit, wirklich zu werden. Und alles wechselt so schnell die Bedeutung. Was sich in einem Moment wie das sichere Vorzeichen einer baldigen Blutung anfühlt, wird demnächst zum möglichen Anzeichen einer Schwangerschaft.

Jedes kleinste Signal, das dein Körper von sich gibt, schreibt sich ein in dieses Koordinatensystem. Nicht schwanger, schwanger. Geklappt, nicht geklappt. Scheitern, was wäre denn das Gegenteil von Scheitern? Fragt dich eine und dir fällt partout nichts ein. So sehr hat es dich eingenommen, dieses Gefühl. So tief sitzt du drin. Und einmal sagt eine, sie sähe nichts, was dagegen spreche, dass du ein Kind bekommst. Das kannst du hören.

Das macht dir Mut. Und manchmal fühlst du Erleichterung. Nochmal ein wenig allein bleiben zu können. Eine zarte Freude darüber, deinen Körper nicht teilen zu müssen. Noch nicht zu teilen. Du in dir. Und manchmal ist es unerträglich. Das starke Wollen. Warten, warten, warten. Nichts davon fühlt sich passiv an. Du hast noch niemals so viel Kraft gespürt. 8. Anto kommt vorbei und sagt...

Ein Kind in diese Welt? Niemals. Welche dann? Keine. Das hatte ich geahnt. Ist es grausam, ein Kind zu bekommen, wenn man mit Blick auf das Ganze keinen Optimismus entwickeln kann? Fast noch grausamer scheint es mir, einen Menschen auf solch fatale Weise an sich selbst zu binden. Und trotzdem gibt es manchmal diesen Ort in mir, an dem ich ruhig und unbedingt zuversichtlich bin. Zumindest mit dieser Ahnung trete ich an.

Im Kinderwunschzentrum denkst du nach über das Verhältnis von Queerness und Schwangerschaft. Wie kannst du dir deine Queerness an diesem Ort bewahren? Im Wartezimmer ein Paar. Sie besorgt, die Beine übereinander geschlagen, den Kopf leicht geneigt. Er genervt, nervös. Wir sitzen jetzt schon seit einer Stunde hier. Sie tröstet, wirft entschuldigende Blicke in die Runde. Er steht auf, geht zur Rezeption. Wie lange dauert das jetzt noch?

Zehn Minuten. Zehn Minuten? Was bitte ist hier queer an diesem Ort? An der Insemination im Kinderwunschzentrum. Du bist es. Dein Körper. Dein Zyklus. Dein Wunsch, ein Kind zu gebären.

»Ist Schwangerschaft an sich schon queer?«, fragt sich Maggie Nelson in »Argonauten«. »Weil Schwangerschaft den Zustand des Menschen grundlegend verändert. Weil sie eine radikale Intimität mit dem eigenen Körper und gleichzeitig eine radikale Entfremdung von ihm mit sich bringt. Die Vermutung scheint dir sehr einleuchtend. Du verzehrst dich danach, sie am eigenen Leib zu erforschen. Du möchtest es so gern wissen. Nachdenken können. Weiterdenken über diese Fragen von innen heraus.«

Die Befürchtung im Nacken, es könnte schon zu spät sein. Das Gefühl, dein Körper hat dir gestern mehr als deutlich gezeigt, dass es soweit ist. Da sitzt du und denkst, vielleicht wieder selbst verschuldet. Deinen richtigen Moment verpasst. Die Ärztin kommt herein und sieht dich aufmunternd an. Sie werden ein Kind bekommen, da bin ich sicher. Aber mit ihren 36 Jahren wird die Eizellenqualität auch nicht besser.

Die Untersuchung der Durchlässigkeit der Eileiter ist natürlich eine Möglichkeit. Sie sind ja Selbstzahlerin. So eine Untersuchung würde dann an die 600 bis 800 Euro kosten. Es ist natürlich die Frage, ob sich das lohnt.

Ich würde ja dazu raten, lieber gleich über die Möglichkeit einer In-vitro-Fertilisation nachzudenken. Das sind so 2000 Euro. Das hört sich jetzt erstmal nach sehr viel Geld an, aber Sie müssen auch bedenken, dass Sie dann mit einer Sperma-Portion gleich mehrere befruchtete Eizellen haben könnten. Also da sparen Sie das ganze Geld für die unzähligen Sperma-Proben bei jedem Versuch. Und Sie sparen natürlich Monate. Die vielen Monate der gescheiterten Versuche, das ist ja nicht irrelevant in Ihrem Alter.

Und Emotionen, die sparen Sie auch. Also unterm Strich. Mit Medikamenten und allem sind Sie insgesamt für eine In-vitro-Fertilisation bei uns bei 3.500 Euro ungefähr. Aber Sie umgehen ja die Eileiter. Ist ja dann egal, ob die durchlässig sind oder nicht. Das machen wir direkt. Ich würde mir das auf jeden Fall überlegen. Neun. Das Bett ans Fenster in die Sonne gerückt. Zu schwer geschoben. Es trotzdem gemacht. Dann Freude.

Ich überlasse mich dem dösenden Zustand. Jeden Sonnenstrahl kann ich gebrauchen. Der Blick hoch in die Bäume. Eine Vielzahl unterschiedlicher Äste, Zweige, Blätter, Farben, die sich im Wind zueinander neigen, sich sanft berühren. Eine Dankbarkeit dem Hausmeister gegenüber, der die Pflanzen gießt und all seinen Vorgängern bis zurück in die 70er, als das Haus gebaut wurde. 10. Ich spüre die Sonne auf dem Bauch.

Und schrecke hoch bei dem Gedanken, im Innern reift etwas. Reift schneller und schneller in der Wärme. Reift, köchelt, gärt. Und ich liege da und lasse es geschehen. Ich schreibe Anto, bitte komm. Alles drängt voran, boxt sich den Weg frei und reißt mich mit. Elf. Der Schmetterling auf dem Fensterbrett schlägt mit den Flügeln. Auf, zu, auf, zu, auf.

Rote Seite? Schwarze Seite? Wie triffst du Entscheidungen? Rote Seite? Schwarze Seite? Triffst du sie überlegt? Weißt du, wofür und wogegen du dich entscheidest? Nein. Zwölf. So wie ich dich kenne, willst du kein Kind. Du willst eine Mutter, sagt Anto. Ich nicke und räume ihre Tasse ab. Ich habe etwas im Bauch und es macht mich zu... Ja, zu was eigentlich?

Anto sitzt eine Weile ruhig auf dem Sofa. Ich könnte einen zusammengekehrten Haufen an Möglichkeiten auf die Welt bringen. Ein Gewirr an Richtungen, die ich nicht überblicken kann, sage ich. Von denen ich noch nicht einmal etwas ahne. Stell dir das vor. Es geht vielleicht gar nicht so sehr um dich, sagt sie. Es geht vielleicht gar nicht so sehr um mich? 13. Nachts schweißgebadet aufgewacht.

Auf der Straße vorm Fenster eine Ratte, die unter ein parkendes Auto rennt. Es ist ein fetter Rattensommer. Du träumst, ihr seid an einem See. Du bist mit dem Kind im Wasser, ihr schwimmt. Plötzlich werdet ihr schwer und sinkt. Da ist keine Panik, nichts Unheimliches. Keine Ringen um Luft oder darum, wieder an die Oberfläche zu kommen. Vielleicht ein kurzer Schreck. Und dann einfach die Erkenntnis, dass ihr sinkt. Und du weißt, dass ihr nicht mehr da seid.

Die einzige Chance, die du hättest, um dich zu retten, läge darin, das Kind loszulassen und selbst an die Oberfläche zu schwimmen. Das würdest du schaffen. Aber das Kind hätte keine Chance. Es würde alleine untergehen. Und du weißt, dann könntest du nicht weiterleben, nicht mehr glücklich werden. Also entscheidest du, bei ihm zu bleiben. Euch gemeinsam der Schwerkraft hinzugeben und ruhig zu sinken. Denn ruhig fühlt es sich an. 14. Es klingelt an der Tür.

Kurz darauf zerrt meine Mutter den Staubsauger wie eine widerwillige Kuh durch die Wohnung. Es ist ein erstaunlicher Anblick. Diese äußerlich ruhige Frau verwickelt in einen Kampf mit der Maschine. Ich halte den Atem an, angesichts ihrer tobenden Energie mir etwas Gutes zu tun. Keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung, sagt sie dann. Und ich nicke. 15. Es ist heiß und wird immer heißer.

Der Wunsch, mich aufzulösen in der Landschaft. Der Wunsch, mich selbst an der Straße abzustellen, stehen zu lassen und Stein zu werden. 16. Ich bin sieben, als meine Mutter sich für einen Abbruch entscheidet und niemandem davon erzählt. Sie ist für einige Tage weg und kommt etwas blass zurück, zieht mich auf ihren Schoß. Ich bin 25, als sie es auf einem gemeinsamen Spaziergang beiläufig erwähnt.

Sie hat vergessen, dass ich es nicht weiß. Ihre Beiläufigkeit überrumpelt mich. Zuerst bin ich erstaunt. Es gab ein Geheimnis. Sie hat mir etwas verschwiegen. Dann kommt die Wut. Sie hat mich belogen. Immer wieder hatte sie erzählt, sie hätte sich viele Kinder gewünscht. Sie versteht meine Wut nicht. Erst langsam begreife ich, dass es beides gleichzeitig sein kann. Viele Kinder wollen und kein Kind wollen. 17

Die eine gebiert die andere, die die nächste gebiert. Wie drei aus einem Körper. Du träumst, zwischen hier und dort bleibt der Zug stehen. Ihr sitzt fest. Du schaust aus dem Fenster. Weiter brauner Morast. In der Ferne Vögel, die am Boden nach Essbarem suchen. Du legst das Kind an deine Brust. Vorher hast du es noch nie gesehen. Es saugt sich sofort fest.

Du beäugst es misstrauisch, wie es da hängt und schmatzt, das würdet ihr euch schon seit Jahren kennen. Trink nur, darauf kommt es an, würdest du ihm gerne sagen, mit der Ruhe des stehenden Zuges. Das wäre die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte ist, dass dich nichts im Leben darauf vorbereitet hat. 18. Ich schaue mir die Instastories von Frauen an, die ich bewundere. Ihre Wohnungen, ihre Inneneinrichtungen, ihr Essen, ihre Kleider, ihr Lächeln, ihre Blicke.

Woher kommt meine Unfähigkeit zu wohnen? Einen Ort wohnlich zu gestalten? Wie sollte ich einem anderen Menschen vermitteln, dass es sich lohnt, diese Welt zu bewohnen? Die an sich naheliegenden Dinge gelingen mir nicht. Eine Untersuchung vereinbaren, den Mutterpass abholen. Allein das Wort ist mir unangenehm. Nach neun Behandlungen auf dem gynäkologischen Stuhl merkst du, dass es langsam reicht. Dass du den medizinischen Blick nicht mehr willst. Dein Körper rebelliert.

Du bekommst schon Herzrasen und ein flaues Gefühl im Bauch, wenn du nur die Musik in der Warteschleife hörst, als du einen neuen Ultraschalltermin ausmachen möchtest. Vielleicht rebelliert dein Körper auch nicht, sondern wird einfach nicht schwanger. Vielleicht wirst du einfach nicht mehr schwanger. Punkt. Und ohne weitere Bedeutung. Im Kinderwunschzentrum, wieder in diesem Wartezimmer mit den Danke-für-unser-Baby-Karten an der Wand, plötzlich der Gedanke, es ist eine Möglichkeit, kein Kind zu bekommen.

Auch das kann sein. Ein Kind zu bekommen, ist nur eine Möglichkeit von vielen. Und später dann, während du durch die Straßen nach Hause wanderst, für einen kurzen Moment die Erkenntnis, dass dein Glück nicht davon abhängt, schwanger zu sein. Dann Schiele Hetty. Wenn man über etwas im Zweifel ist, empfiehlt es sich zu warten. Du hast keine Zweifel. Selten warst du dir so sicher. Noch nie wolltest du etwas so sehr. Und es rennt dir wirklich die Zeit davon.

»Aber du hast doch noch Zeit«, sagt dein Freund. »Na klar, du bist 36. Viele werden mit 40 noch einfach so schwanger. Nur lässt sich der Faktor Zeit nicht messen an den vier bis fünf Jahren, die dir statistisch möglicherweise noch bleiben. Die Eile, die dich treibt, kommt von innen heraus. Da gibt es keine Objektivität. Du gehst am dritten Tag schon ins Kinderwunschzentrum. Auf dem Bildschirm ist der schwarze Punkt ungewöhnlich groß.«

Geht das bei Ihnen immer so schnell mit der Follikelreifung? Fragt der Arzt. Mit etwas Stolz in der Stimme, vielleicht auch mit einem Hauch von Selbstberuhigung, sagst du Ja. Es ist kein gutes Zeichen in diesem Bereich, wenn etwas aus der Berechenbarkeit läuft. An Tag 5 bist du dir sicher, dass du einen Eisprung hast, du kennst das ziehende Gefühl im Unterleib und auch diese Lust zu empfangen. Das Wort Empfangen macht dich stutzig. An Tag 8 ist der Punkt dann verschwunden.

Eine Ahnung von der Stelle, an der er war. Und als du da liegst auf dem Untersuchungsstuhl mit gespreizten Beinen und schwerem Herzen, stellt die Ärztin unvermittelt eine Frage, die du erst beim zweiten Mal verstehst. Hatten sie Verkehr? Wenn du schnell wärst und nicht so bloß in dem Moment, könntest du die Frage missverstehen. Du könntest sie queer verstehen. Du könntest sagen, ja, was spielt das für eine Rolle? Oder nein, warum wollen sie das wissen? Oder einfach nur,

Weshalb, fragen sie? Aber du bist langsam und verteidigst dich. Ich lebe in einer lesbischen Beziehung. Beim Spazieren mit einer Freundin. Die Freundin hakt sich bei dir unter, holt Luft, sagt, ich weiß, sowas sollte man vielleicht nicht sagen, aber es wäre wirklich sehr, sehr schade, wenn das nichts würde. Du gehst, du hörst, du nickst. Ja, das wäre sehr schade. Jetzt schmeckt es salzig, voll, nach aufsteigenden Tränen.

Du probierst Sätze wie unbekannte Desserts. Vielleicht wird es einfach nichts. Ich weiß, dass ich auch ohne Kind glücklich sein könnte. Ich denke, ich möchte nicht mehr dahin. Ins Kinderwunschzentrum. Du machst eine Pause. Die Pause tut gut. Oder besser, dein Körper macht eine Pause. Er fällt aus dem Rhythmus. Er tickt nicht richtig. Dein Körper produziert eine Zyste. Dein Körper hat dir eine Pause eingeräumt. Dein Körper tut dir gut.

Dann bist du unterwegs. Dein Körper macht vielleicht einen Eisprung, aber du bist nicht da, wo die Geräte sind, die den Eisprung identifizieren im Moment und deshalb ist es egal. Urlaub für dich und deinen Körper. Du weißt, dass ihr nicht zwei seid, du und dein Körper. Nur manchmal ist es schwierig, euch zusammenzuhalten in dieser Zeit. Ein paar Wochen Pause, ein paar Monate ausruhen, wieder optimistisch werden. When you're down and troubled and you need

To see you again

Winter, Spring, Summer or Fall, all you have to do is call. Yes, I'll be there. You've got a friend. Keep your head together and call. And soon you'll hear me knocking at your door.

Hallo, ich bin's. Wir sitzen heute hier in deinem Garten unter den Pflaumenbäumen und wollen über dich sprechen, über dein Leben und wirken. Also, eine gemeinsame Freundin hat dich vor Jahren mal Mother of Many genannt. Und wir alle hatten das Gefühl, das passt zu dir. Und da stellt sich die Frage, wie bist du die geworden, die du bist? Diese Mother of Many. Was war der Ausgangspunkt?

Als ich mich in meinen 30ern fragte, wie ich es mit dem Muttersein, Mutterwerden usw. halten sollte, war die Bestandsaufnahme deprimierend. Da waren diese großartigen Menschen um mich, einander zugetan und auf vielfältige Weise verbunden. Die haben ihr Leben gelebt, diskutiert, gemeinsam Kunst und Politik gemacht, zusammengearbeitet. Aber wenn sie sich entschlossen, selbst Kinder zu bekommen, waren sie meist doch vereinzelt in dieser Entscheidung.

In den Lebenswirklichkeiten. Sie hatten mit ihren Beziehungen zu kämpfen, mit ihrem finanziellen Auskommen. Sie kämpften um guten Wohnraum und Betreuungsplätze für ihre Kinder. Oft blieb für das Gemeinsame wenig Raum.

Die feministische Utopie aufgerieben an der kapitalistischen Wirklichkeit. Du meinst, es gab keinen Raum, in dem das Muttersein sich lustvoll entfalten konnte? Ja, genau. Es fehlte an Bildern, an Vorbildern, an Entwürfen, wie das Muttersein, Mütterlichkeit und Fürsorglichkeit in die eigene Lebensweise, in die Freundinnenschaften und Arbeitswelten mit hineingenommen werden konnten.

Wir arbeiteten uns noch immer an traditionellen Familienbildern ab, am restriktiven Abstammungsgesetz, an den engen Grenzen des eigenen und des anderen. Dabei gab es doch längst auch eine ganze Reihe an anderen Entwürfen. Was waren damals deine Gedanken? Also die Grundidee für mich war, dass Menschen, auch unabhängig von eigener Gebärfähigkeit beispielsweise,

zur Mother werden können, wenn sie sich reif dafür fühlen, wenn sie genug Lebenserfahrung gesammelt haben und nicht mehr nach den Regeln anderer leben wollen, wenn sie selbst etwas aufbauen wollen und sich in der Lage fühlen, Jüngeren etwas zu geben. Das heißt nicht, dass die Mother nur gut ist. Sie ist nicht nur aufopfernd, sie ist auch machtbewusst und verfolgt Interessen. Aber sie schafft ein Zuhause für andere, die es brauchen. Sie hat eine gewisse Haltung.

Ich erinnere mich jedenfalls, dass diese Freundin damals zu mir sagte: "Vielleicht wirst du Mutter von ganz vielen, wenn es nicht klappt mit dem eigenen." Zuerst war ich angekratzt. Ich hatte ja doch schon lange ein riesiges Begehren, diese Erfahrung zu machen, schwanger zu sein, zu gebären. Der Gedanke, dass es nicht klappen könnte mit dem eigenen Kind, brachte mich ins Wanken. Diese Idee vom eigenen musst du vielleicht noch mal genauer erklären. Was meinst du damit?

Beim eigenen ging es mir schon damals mit keinem Millimeter um Gene, um Vererbung, um Weiterleben. Es ging mir darum, dass ich diese leibliche Erfahrung machen wollte. Ich stellte mir vor, wenn ich schwanger bin, bekomme ich meine ganze Kraft zu spüren. Ich stellte mir vor, ich wachse über mich hinaus und dass ich endlich einen Ort für all die überwältigende Liebe haben würde, die ich manchmal in mir spürte.

Also das Schwangersein als etwas grundlegend anderes zu allen sonstigen machbaren Erfahrungen. Meinst du das? Ja, genau. Das Schwangersein auch als dieser Zustand, nicht eins und nicht zwei zu sein. Diese Form des Seins, die sich so schwer denken lässt in unseren geläufigen Vorstellungen. Und ich dachte mir, ich habe die Möglichkeit, diese Erfahrung zu machen. Ich möchte sie machen. Hm.

Viele haben schon versucht, diese Erfahrung literarisch oder philosophisch zu fassen. Marguerite Duras spricht vom Wahnsinn, der in der Mutterschaft liegt, und meint das durchaus lustvoll. Simone de Beauvoir hingegen sieht die Schwangere ja eher als eine Vase, ein Gefäß für die Ideen anderer. Dann gibt es in der Philosophie die Geburt als Metapher. Der Schaffensprozess als eine Art Schwangergehen mit,

dann das Schmerzhafte zur Welt bringen, das Wundersame aus sich selbst hervorbringen eines Werks. Die klassische Idee von Genialität, quasi aus dem Nichts entsteht etwas Neues, etwas noch nicht Dagewesenes. Mein Eindruck ist, dass die Metapher hinkt. Ein Kind ist in gewisser Weise nie so unabhängig wie im Uterus, wo es alles hat und gewissermaßen für sich selbst existiert, wenn auch angeschlossen an einen erwachsenen Organismus, der seine Ressourcen teilen kann.

Das Werk hingegen braucht im Entstehungsprozess jede erdenkliche Fürsorge und Zuwendung. Es ist launisch, unrechenbar, will nicht weiter wachsen, obwohl man es unter größten Anstrengungen füttert und pflegt. Dann wieder gedeiht es wie von allein und ist irgendwann fast aus Versehen zur Welt gebracht. Es stürmt los, entzieht sich, geht seiner Wege. Nicht so das Kind, das kaum ist es auf der Welt, erst einmal jede Unabhängigkeit aufgibt.

Seiner sorglosen Existenz entrissen muss es fortan und für längere Zeit vor Hunger, Kälte, Schmerz, Einsamkeit und Krankheit bewahrt werden. Es wird geworfen in einen Zustand, der das Zusammenleben der Menschen überhaupt erst notwendig macht. Die Abhängigkeit von ständiger und verlässlicher Fürsorge. Vielleicht stand dies den Philosophen, als sie die Geburtsmetapher prägten, nicht allzu klar vor Augen. Das hast du schön gesagt.

Und da wären wir bei der Frage der menschlichen Fürsorge, der Care, ein eigentlich unbegrenzt vorhandener Reichtum, aber eben verknappt in der Gesellschaft, in der wir leben. Und ich schaute mir dieses Trauerspiel an und dachte, ja, vielleicht wirst du Mutter von ganz vielen. Und etwas an diesem Gedanken gefiel mir sehr gut, zog mich regelrecht an oder sprach etwas aus, was ich bisher nicht gewagt hatte zu denken.

Das Bild nämlich, das ich mir durch jenen Spiegel zeigte, war dieses. Ich sitze in einem großen Garten. Ich habe Brötchen gebacken und Pflaumen gepflückt. Ich habe riesige Berge Sahne geschlagen. Ich habe alles auf den Tisch gestellt und jetzt sind sie um mich. Lasset die Kinder zu mir kommen.

Sie sind jung, sie sind alt, sie essen, sie lachen, sie spielen. Sie zeigen sich, sie tanzen, sie schaukeln, sie genießen, sie sind da. Irgendwann sind sie müde. Sie kuscheln sich aneinander und an mich. Ich erzähle und singe. Und um uns rauscht der Wind in den Bäumen. 19. Meine Mutter holt mich mit ihrem alten Passat ab.

Das verlässlichste Auto, das je gebaut wurde, sagt sie. Nach diesem Modell hätten sie die Automobilproduktion einstellen sollen, wenn du mich fragst. Der Passat bringt uns ans Wasser. Die Fahrt dauert zu lange. Die Hitze setzt uns zu. Irgendwann überzeuge ich sie, mir das Steuer zu überlassen. Und ich überhole riskant. Drücke aufs Gas. Sie sieht mich von der Seite an, runzelt die Stirn. Dann sind wir, wie alle anderen, am Wasser.

Ich schiebe mich durch das Gedränge, über den steinigen Untergrund, vorbei an Tretbooten und Wasserhüpfbogen, ziehe Schwimmbrille und Schnorchel auf, lege mich aufs Wasser. Es trägt. Der Sauerstoff kommt, das Wasser verschließt meine Ohren vor den Geräuschen der Menschen. Nur noch Gluckern und Schwappen. Winzige Fische und der Einfall des Lichts auf der Felsenlandschaft unter Wasser. Plötzlich der Gedanke...

dass ich dem Wesen in meinem Bauch näher nicht kommen kann. Zwei schwimmende, unter Wasser atmende Existenzformen in einem Körper, einander verbunden und jede für sich. 20. Die Liebe meiner Mutter hatte eine heikle Seite, ihren Verdruss an sich selbst. Irgendeine geheime Tasse lief langsam voll damit, lief über und ergoss sich über alle, die in ihrer Nähe waren.

Wenn sie sich selbst nicht mochte, konnte sie die, die sie mochten, nicht leiden. Dass ich sie liebte, war ihr in diesen Momenten unerträglich. Sie ertrug sich und mich nicht, weil ihr schienen wir seien einander zu ähnlich. Sie war misstrauisch gegen sich selbst. Dann wieder konnte sie sich und mich durchs ganze Land buxieren. Allein mit ihrer Willenskraft, mit ihrem wütenden Willen. Für mich war sie eine Riesin, ein Rätsel. 21. Ich bin 5,

Stehe in meinem Zimmer und rechne nicht mit einem Angriff, als meine Mutter hereinkommt, mich packt, aufs Bett wirft, mir die Hose herunterzieht und mich schlägt. Immer wieder. Wie blind. Ich erinnere mich nicht, wie es endet. Ich stelle mir vor, dass ihre Wut irgendwann aufgebraucht ist und nur die Traurigkeit bleibt. Ich stelle mir vor, dass sie geht. Aus meinem Zimmer in ihr Zimmer und die Tür hinter sich schließt.

22. Anto kommt und wir laufen zusammen zum Bäcker und frühstücken im Lärm der Autos und der vielen anderen Menschen um uns. Auf einmal fällt es leicht, die Stimmen der anderen auszublenden, denn Antos Stimme ist ganz nah an meinem Ohr. Sie ist guter Laune und ich erzähle ihr, dass ich mir Sorgen mache, weil ich kein fürsorglicher Mensch bin. Das kann nicht gut sein für ein Kind. Sie sagt, es gibt ja auch noch uns. Wir sind ja da. Das erste und einzige Bild,

Ein Astronaut. Ein kleiner, verlorener Astronaut. Fern, abgewandt, unverbunden. In den Wochen davor die zunehmende Präsenz deiner Schwangerschaft. Dein wachsender Bauch, wie er wippt, wenn du lachst, sich nach vorne schiebt. Deine wachsende Vertrautheit und Selbstsicherheit, wenn du dich als Schwangere bezeichnest. Und jetzt dieses Bild, das so wirkt, als hättet ihr euch schon lange verabschiedet. Als hättest du den Moment verpasst.

Der Abschied ist über dich gekommen, unvorbereitet. You got the power over me, my, dieser Graben, der sich breit macht zwischen dir und der Aufnahme deines toten, ungeborenen Kindes. Ein heller, sehr kleiner Embryo in einer dunklen, viel zu großen Höhle, deinem Uterus. Dem Abbild fehlt es an allem, was da eigentlich ist. Wärme, Feuchte, Faszien, Haut,

Wie es dir den Rücken zuwendet. Die vagen Umrisse eines Kopfes, kleiner Arme. Wie die Gynäkologin immer wieder aufs Neue versucht, dein Kind einzufangen. Dabei ist es schon meilenweit weg. Merkt sie es nicht? Aber nein, da schwimmt es doch in dir. Noch seid ihr verbunden. So leicht lässt es dich nicht los. Du wirst es gebären müssen. Wie die Gynäkologin schließlich sagt, das ist leider kein lebendes Kind.

Wie sie das Wort lebend verschluckt, obwohl du es schon weißt, obwohl dich die Ahnung davon hierher getrieben hat. Wie trotzdem, als du mit Lu kurz darauf Hand in Hand den Krankenhausgang entlang gehst, wie betäubt eine kleine Hoffnung in dir glüht, die Ärztin könne sich getäuscht haben. Und dein Kind sei einfach eines, das ich nicht anschauen lassen will, solange es in dir haust. Wie du, noch beim Warten vor der Kreißsaaltür gesagt hattest,

Wahrscheinlich spielt es uns nur einen Streich, um uns auf die Sorgen und Ängste vorzubereiten, die wir als Mütter noch haben werden. Wie die Gewissheit, dass es kein Streich ist, mit der nachtfrischen Luft beim Verlassen des Krankenhauses und dem Ziehen in deinem Unterleib sich dir ins Bewusstsein schiebt. Momente. Früh am Morgen wachst du auf, weil du realisierst, wie anders sich dein Bauch anfühlt. So leer, sagst du, und fällst ins Bodenlose.

Es ist sechs Tage her, dass du das viel zu kleine geboren hast. Da überkommt dich eine furchtbare Lust darauf, ein Baby im Arm zu halten. Du windest dich um die Worte. Probierst, kleine Geburt. Einmal sagt eine, Fehlgeburt sei die Geburt derer, die dann fehlen. Jetzt fühlt es sich richtig an. Jetzt kannst du es beim Namen nennen.

Viel später, in unerwarteten Momenten, die jähe Erinnerung an das Gefühl, wie etwas aus dir kommt, das eigentlich in dir sein und wachsen sollte. Und manchmal eine leise Wut auf das Kind, dass es sich einfach so still und heimlich aus dem Staub gemacht hat. 23. Ich bin neun, als ich das Tagebuch meiner Mutter finde, in dem sie schreibt, dass sie sterben will.

Ich lese ihre Sätze, folge ihrer Schrift und den nicht für mich bestimmten Gedanken gebannt und zunehmend alarmiert. Vorher bin ich unruhig durch die leere Wohnung gestreift. Ich ziehe Bahnen durch die Räume und finde wie zufällig, wonach ich nur unbewusst gesucht habe. Den Beweis ihrer Verzweiflung, die es nach außen hin nicht geben darf. Wollte sie mich zu ihrer Zeugin machen? 24

Es gibt viele Fotos aus meinen ersten Lebensjahren. Schöne, sorgfältig aufgenommene Fotos. Meine Mutter zog mich an, kämmte mich, machte mir Spangen ins Haar und fotografierte mich. Es gibt auch eine Serie von Fotos, auf denen ich schreiend und protestierend im Bett liege. Ich sollte wohl Mittagsschlaf halten und tat es nicht. Meine Mutter holte den Fotoapparat und dokumentierte meinen Protest. Warum?

Um sich an das Gefühl von Ohnmacht zu erinnern? Daran, dass sie vielleicht sehnsüchtig auf mein Einschlafen wartete? 25. Ich liege neben Anto im Bett. Das Licht des anbrechenden Tages ist blass. Dann der Gedanke. Die Verzweiflung der Mütter. Niemals bleibt sie den Kindern verborgen. Nie. Panik steigt in mir auf. Unter der Decke neben Anto ist es warm. Wir hängen Gedanken nach. Jeweils eigenen Gedanken.

Jede für sich eine eigene Welt. Ich frage Anto, warum sollte ich nochmal versuchen, woran schon meine Mutter gescheitert ist? Du erinnerst dich an einsame Tage und Nächte, als du 15 warst. An den sehnlichen Wunsch, ein Kind zu bekommen, schon damals. Wie du das Schwangerwerden ein paar Mal geradezu provoziert hast. Die Nachlässigkeit im Verhüten, der verschämte Sex, dir der möglichen Konsequenzen sehr bewusst.

Wie du einmal sicher warst, schwanger geworden zu sein. Wie du schon Listen von Namen für das Kind führtest. Wie du schließlich, als deine Periode kam, eine Kerze anzündetest für diese verlorene Hoffnung. Wie du dann wirklich schwanger warst. Wie du es lange verheimlichtest vor deiner Mutter, vor der Welt. Wie dir morgens übel war und du mit den Tagen Expertin wurdest in der Einschätzung, ob das Essen oder das Fasten dir besser helfen würde in diesem Moment.

Wie du lerntest abzuwägen, was dich eher in die Schule bringen, dich unentdeckt durch die Alltagsroutinen kommen lassen würde. Wie der, der zudem beigetragen hatte, dass der Indierwuchs wortkarg wurde, Nacht für Nacht durch die Straßen zog und gegen Autos trat, bis man ihn dabei erwischte und nach Hause brachte. Wie seine Mutter es schon ahnte. Wie sie ihm in dieser Nacht die Frage stellte, ob es sein könne, dass du schwanger bist. Wie dir nichts anderes blieb, als deiner Mutter nun auch davon zu erzählen,

Wie ihr zu viert in der kleinen Küche saßt. Du, deine Mutter, er, seine Mutter. Schweigen, unbeholfene Gesten. Wie deine Mutter schließlich verkündete, sie würde keinen Job aufgeben, keine 180-Grad-Wendung in ihrem Leben vornehmen, um sich nochmal einer Kindererziehung zu widmen. Dann liegst du das erste Mal in deinem Leben auf einem gynäkologischen Stuhl. Deine Mutter hat dich hergebracht und als du wieder gehst, hältst du ein kleines Papierbild in der Hand.

Du weißt nicht mehr, ob du dieses Bild überhaupt sehen wolltest. Aber jetzt, da du es hast, knallst du es dem, der dazu beigetragen hat, aufs Bett. Er weiß nichts damit anzufangen. Und weil du plötzlich auch nicht mehr weißt, warum du überhaupt gekommen bist, ziehst du seine Jugendzimmertür hinter dir zu und gehst. Dann sitzt du auf dem Sofa einer Beratungspraxis, deine Mutter neben dir. Eine Entscheidung muss gefällt werden. Die Beraterin versucht, die Situation zu verstehen.

Nacheinander fragt sie deine Mutter und dich nach eurer Sicht auf die Dinge, nach euren Gefühlen darin. Deine Mutter weint viel. Du hältst dich hinter knappen Sätzen versteckt. Du kannst die Tränen deiner Mutter nicht mehr ertragen. Unter deiner Reserviertheit köchelt leise eine Wut. Die Entscheidung kommt auf leisen Sohlen. Später wirst du eine Zeit lang sagen, deine Mutter hätte entschieden. Später wirst du trotzdem froh darüber sein.

Später wirst du ab und zu rechnen, wie alt das Kind nun wäre. Später wirst du einmal sagen, jetzt wäre es wahrscheinlich schon fast aus dem Haus. Ich möchte noch mal darauf zurückkommen. Irgendwann hast du entschieden, anzugehen oder anzunehmen, was dir eine Freundin längst zugetraut hatte, Mother of Many zu werden. Die zu sein, die du nun bist. Was war ausschlaggebend dafür? Und wie hast du das gemacht? Nun ja, ich hatte ja dieses große Drängen in mir.

Ich spürte einfach, dass ich sehr viel zu geben hatte. Und dass auch Bedarf da war nach einem Ort, an den Menschen kommen können, um sich zu erholen, um zusammen zu sein. Einen Ort, wo sie nicht vereinzelt sind und sich nicht beweisen müssen. Ich habe angefangen, meine Lieben einzuladen. Ich habe gekocht, regelmäßig ein Essen auf den Tisch gestellt. Daraus wurden Feiern. Manche kamen mit kleinen Darbietungen. Es hat sich herumgesprochen.

Wann hatte ich das Glück, dieses Gelände zu finden? Ich habe Bäume gepflanzt, Beete angelegt, Ruheplätze geschaffen. Es gab viele, die mir dabei geholfen haben. Ich wollte einen Ort der Großzügigkeit, der Verschwendung, der Sorglosigkeit. Et voila. Das scheint mir ein bemerkenswertes Zusammenspiel. Ich frage mich nur, da gibt es doch eine Lücke zwischen deinem Kinderwunsch und dem Schritt zu diesem Ort.

Wie hast du Abschied genommen von deinem Herzenswunsch? Was hat dich zu dieser Trennung, diesem Loslassen bewegt? Ich bin mir nicht sicher, ob der Begriff der Trennung es trifft. Es stimmt, es war ein Verlust, ein Abschied von etwas Ersehntem, von einer Vorstellung meiner selbst. Das war schwer, schmerzhaft. Und dennoch, ich spreche lieber von Transformation. Etwas in mir hatte sich unbemerkt verändert auf diesem Weg.

Irgendwann konnte ich entscheiden, mein Begehren über mich hinauszuwachsen ernst zu nehmen und etwas anderes daraus entstehen zu lassen. Ich habe versucht, diesen fürsorglichen, gestaltenden, vielleicht auch tonangebenden Seiten an mir einen Ort zu geben, einen einladenden Ort. Kommen und Gehen sollte möglich sein und bleiben. Vor kurzem habe ich noch mal gelesen, was Adrian Rich über die Beziehung von Müttern und Töchtern schreibt.

die starke Ambivalenz in dieser Beziehung, das Nebeneinander von Liebe, Hass und Selbsthass. Aber meinem Gefühl nach läuft es auf diese eine Einsicht hinaus: In den meisten von uns lebt ein kleines Kind, das sich immer noch nach der Pflege, Zärtlichkeit und Anerkennung einer Frau sehnt, nach der Macht einer Frau, die uns verteidigt.

Bist du diese mächtige Frau? Das klingt vielleicht im ersten Moment idealisiert. Eine Art Harmonie, in der die Widersprüche aufgehoben sind. Aber eigentlich geht es bei diesem Gedanken meiner Meinung nach weniger um ein Ideal, als um einen realistischeren Blick auf Fürsorge und Mütterlichkeit. Sie sind weder eine natürliche Gabe noch eine Rolle, sondern eine Haltung zur Welt und in der Welt.

Sie sind nicht an Geschlecht gebunden bzw. müssten es nicht sein. Fürsorge ist eine komplexe menschliche Praxis. Eine Übung darin, zu wachsen, über sich hinaus zu wachsen, während ganz nah, quasi dicht gedrängt am eigenen Körper, andere wachsen sollen. Gewissermaßen eine Dialektik des Raums. Alle wachsen und der Raum wird größer. Im Traum hast du Eier im Kompost gepflanzt.

Die haben lange Fadenwurzeln gesponnen. Ein Wurzelnetz. Zäh und lang und rot wie rote Beete. Im Traum bist du auf einem Gehöft irgendwo draußen. Wahrscheinlich am Meer. Du findest sehr viel Bernstein. Man findet ihn unter Bettdecken. Da wächst er unten dran. Du musst die Hand unter die Bettdecke schieben und dich dann langsam vortasten. Du pflückst faustgroße Stücke ab. Im Traum fällt das Kind in den Kanal.

Panisch springst du hinterher. Als du auftauchst und dich umsiehst, schwimmt das Kind ruhig und sicher an der Oberfläche. Dabei hat es niemals schwimmen gelernt. Wo hört Freundschaft auf? Wo fängt Familie an? Über queere Freundschaft, sagt Brian Washington, sie sei amorph und endlos. Sie setze sich über alle Grenzen hinweg, die man versucht, ihr aufzuerlegen. Ich finde, das trifft das ganz gut.

Es stellt sich ja die Frage, wie fürsorglich sind wir unseren FreundInnen gegenüber? Welche Verantwortung übernehmen wir füreinander? Wie stehen wir füreinander ein? Und nicht zu vergessen, wie gebieterisch, autoritär, bestimmerisch sind wir unseren FreundInnen gegenüber? Wie leichtfertig gehen wir über ihre Grenzen hinweg? Schließlich kann sich Mütterlichkeit und Bemutterung auch so Bahn brechen.

Das ist gut, dass du die Kehrseite dieses mütterlichen Elans ansprichst. Klar. Du und ich, wir wollen immer gestalten, Erfahrungen weitergeben. Das hat auch etwas mit Macht zu tun. Da müssen wir alte Fuchteln uns etwas im Zaum halten. Ja, und auch in unseren Wahlfamilien stellt sich ja die Frage nach Zugehörigkeit. Wer gehört dazu? Wie interessant muss eine Person sein, um aufgenommen zu werden?

Was ist mit denen, deren Anwesenheit nicht inspiriert und nicht schmückt, die am Ende gar kompliziert, unsympathisch oder unangenehm sind? Ja, was passiert, wenn wir alt oder krank oder sonst abhängig sind? Wenn wir uns nicht mehr einbringen und die Beziehungen gestalten können? Wenn wir einfach nur unsere Ruhe möchten? Tiefer sinken auf sandigem Grund. Ein Hörspiel von Lena Müller und Leo Weyrether.

Mit Anne Müller, Veronika Bachfischer, Maren Kreumann und Tatja Seibt. Musik Margarete Kammerer. Ton Bernd Bechtold und Katrin Witt. Regieassistenz Eunike Kramer. Dramaturgie Juliane Schmidt. Regie Anoushka Trocker. Eine Produktion des Rundfunk Berlin Brandenburg 2023. Meist geht es darum, eine Sprache zu finden für die Dinge, die uns geschehen. Und dass jemand vielleicht diese Sprache versteht.

26. Meine Mutter kommt, ist geduldig, als ich lange brauche, mich anzuziehen und aufzubrechen. Ich habe Lust, sie zu fragen, wie oft musstest du mich abweisen, von dir wegschieben, um deiner Wege zu gehen? Wie oft musstest du dich losreißen? Aber ich suche bloß den Schlüssel und wir gehen. Sie führt mich aus, auf die Terrasse eines Restaurants, in dem ich noch nie war, und bestellt mir ein Schnitzel. Sie sitzt freundlich schweigend neben mir.

Schau zu, wie ich mich stärke, in der Sonne sitze und esse.