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Große Wohnungen, kleine Gefühle

2025/1/11
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Was liest du gerade?

Transcript

Shownotes Transcript

Hallo und herzlich willkommen zum ersten Zeitbuch-Podcast des neuen Jahres. Was liest du gerade? Das fragen wir uns. Und zwar mein lieber Kollege, der mir schon hier in Berlin ganz erwartungsfroh entgegenlächelt, Adam Soboschinski. Ja, und mir gegenüber sitzt Iris Radisch.

Meine Kollegin, ja, wir beschäftigen uns ja schon seit etwas längerer Zeit mit Literatur beide und sprechen auch für die, die uns vielleicht zum ersten Mal hören, alle vier Wochen über Literatur. Und ja, haben auch heute vier Bücher insgesamt mitgebracht. Das erste Buch, das nennen wir noch nicht, da haben wir nämlich immer ein Zitat und wir suchen uns immer Zitate, die so schön sind, dass es fast egal ist, in welchem Buch sie stehen. Der erste Satz.

Sein Vater hatte ihm eingetrichtert, in schwierigen Situationen niemals eine überstürzte Entscheidung zu treffen. Bis 10 zählen, bis 100 zählen, bis 1000 zählen. Auf den nächsten Morgen warten. Je schwieriger eine Situation, umso wichtiger war das Warten. Jedes Unglück vergrößerte sich durch voreilige Entschlüsse und unbedachte Entscheidungen. Ist doch eine große Lebensweisheit, findest du nicht, Iris? Ich glaube, das ist eine große Lebensweisheit, ja. Ja.

Ich denke auch, dass man sie, umso älter man wird, umso öfter beherzigt. Das ist ja eher, wenn man sehr jung ist und keine Lust hat, jetzt noch lange nachzudenken, dass man sofort...

Entscheidungen trifft oder sofort losbrüllt, sofort mit der Faust auf den Tisch haut, oder? Ich weiß es nicht. Also gerade wenn man ärgerlich ist, wenn man wütend ist, dann sollte man ja zum Beispiel auf Mails nicht sofort antworten. Das lernt man ja schmerzlich im Laufe seines Lebens, dass sich das nicht gerade empfiehlt oder auf den sozialen Medien da sofort reinzupöbeln, dass das vielleicht immer alles nicht so gut ist. Also mindestens bis 1000 zählen finde ich gut.

Die Frage ist natürlich, ob man nicht auch manchmal zu lange zählt. Also nämlich endlos zählt und dann nie zu einer Entscheidung kommt.

Aber das ist ja mit dem eine Nacht schlafen und bis tausend zählen, das ist ja gut. Tausend Nächte schlafen sollte man vielleicht von abraten. Also irgendwie muss man natürlich auch mal zu einem Entschluss finden und Skrupel überwinden können. Also dieses Problem ist in der väterlichen Weisheit jetzt noch nicht gelöst. Naja, es ist ja interessant. Es hängt ja, und das wurde schon gesehen, vor allen Dingen...

bei vielen, die so mit Moralistik, also mit Alltags- und Lebenskunst es zu tun hatten. Also die Frühen, die so einen realistischen Blick auf die Politik vor allen Dingen hatten, Balthasar Grasian oder Machiavelli oder solche Leute, die haben ziemlich früh eigentlich schon im 17. Jahrhundert das eigentlich immer als Grundregel des politischen Handelns verstanden, dass man also nicht sofort sagt,

Preis gibt, was man denkt, nicht sofort reagiert, nicht sofort impulsiv wird. Und das hängt mit einer Asymmetrie des Sprechens zusammen, so hat das mal Niklas Luhmann genannt, der berühmte Soziologe Niklas Luhmann, nämlich, dass die banale Tatsache, dass was einmal gesagt worden ist, nicht mehr zurückgenommen werden kann. Das Schweigen erlaubt einem, die Handlungsoptionen noch offen zu halten.

Deswegen ist das Schweigen so elementar, dann auch wenn es darum geht, klug zu sein in taktischer oder strategischer Hinsicht. Zu der besonderen Kunst gehört ja, dass man allerdings auch sofort begreift, wann man sofort reagieren muss. Denn das gibt es natürlich manchmal auch. Manchmal kommt es darauf an, dass man keine Sekunde zu spät ist mit einem Widerspruch. Gibt es da ein schönes Beispiel für?

Ich glaube, wenn man, nehmen wir mal an, wir sind in einer Runde so im Betrieb, irgendeine Art kleine Versammlung und man wird beleidigt. Es ist einfach unter der Gürtellinie, was dann passiert. Dann ist es oftmals sinnvoll, sofort darauf zu reagieren, weil sonst wird es allgemein als Akzeptanz der Niederlage gewertet. Wenn es aber um schon leicht kompliziertere Situationen geht,

Wo ein Missverständnis auch folgen könnte, wo man sich dann ins Unrecht setzt, dadurch, dass man harsch reagiert. Und die meisten, allermeisten Situationen sind ja eher von dieser zwielichtigen Art. Ja.

Und in diesen Situationen hat dieser Vater dieses Protagonisten, hat er schon sehr recht, wenn er ihm einrichtet, in schwierigen Situationen, deswegen steht ja da in schwierigen Situationen, niemals eine überstürzte Entscheidung treffen. Das ist sozusagen das Lebenskluge darin. Das kommt, wir können es ja verraten, von einem sehr berühmten Autor, dieses Zitat, Wolf Haas heißt der, ist ein österreichischer Autor,

Autor, der ein sehr großes Publikum hat. Vor allen Dingen ist er berühmt geworden durch Krimis, durch die sogenannte Brenner-Reihe, wo er im Dialektalen hinreißend komische Krimis geschrieben hat, aber dann immer mehr und dann auch je, ich würde schon sagen, je älter er wurde, immer

stärker ernsthaftere Fach so gewechselt ist, beziehungsweise nicht ernsthaft, das ist blöd, das würde man das so werden. Er hat große Literaturpreise auch bekommen. Das meine ich damit. Mit dem Wetter vor 15 Jahren, der Verteidigung der Missionarstellung, sehr schöne Titel, hat er also sehr renommierte, den Wilhelm-Rabe-Preis zum Beispiel bekommen, sehr renommierte Literaturpreise und ich glaube, der Wackelkontakt, der jetzt gerade erschienen ist, dieser Tage, das ist auch

Und ja, es gibt da wohl auch einen Todesfall, aber es ist kein klassischer Krimi. Es ist, glaube ich, auch ein recht kompliziert gebautes Buch mit zwei Geschichten, die ineinander greifen. Also ich denke, durchaus wieder ein sehr ernstzunehmender Roman. Ja, dieser Roman hat durchaus auch sehr stark auch burleske Anteile. Es geht ja um...

um so einen Mafiaboss, der sich genau überlegt hat, wie er irgendwie aus dem Knast kommt und so. Also es gibt da auch sehr stark humoristische Anteile, aber das ist ja kein Widerspruch im Zweifel. Aber man merkt doch, finde ich, ja, großer Literatur immer wieder an, dass es auch diese Art von lebensverdichtenden Sätzen gibt, wenn man so sagen kann. Und

Ich finde, das trifft in ganz besonderem Ausmaß auch auf die Autoren zu, die du jetzt vorstellst. Werbung

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Ja, das ist jetzt, in dem Fall dürfen wir es ja sofort verraten, Julia Schoch. Und der Roman heißt »Wild nach einem wilden Traum«.

Das klingt sehr nach einem Zitat und die Figuren des Romans fragen sich selber, wo das Zitat herkommt. Es wird nicht entschlüsselt in dem Buch. Julia Schoch ist eine Autorin, die in der ehemaligen DDR groß geworden ist. Sie ist jetzt 50 Jahre alt.

Und dieser Roman, der ist der letzte Teil einer sogenannten Trilogie. Also es gab schon zwei Vorgängerromane, die ganze Trilogie hat sie genannt, hat dieser Trilogie einen Übertitel gegeben, Biografie einer Frau. Und wir haben also schon das Vorkommnis, das war der erste Roman dieser Serie und dann das Liebespaar des Jahrhunderts.

Ich verfolge diese Autoren schon lange. Ich mag die wahnsinnig gern, muss ich sagen, weil die eine...

wunderbar stoische, humorvolle, ganz unsentimentale, aber trotzdem auch wieder ironische Sprache hat. Die hat wirklich einen Sound, würde ich sagen, die Julia Schort. Und das findet man in all ihren Büchern wieder. Übrigens auch wunderbare Sentenzen. Wir hätten auch in diesem Buch herrliche Sentenzen gefunden. Das ist auch etwas, was sie aber auch immer wieder ironisch einbaut, eine trockene Komik.

Auch hier wieder sehr schön, worum geht es? Das Ganze ist ja eine Biografie einer Frau und das ist in einer gewissen Weise immer wieder, all diese Bücher sind auch eine Reflexion auf das eigene Leben von Julia Schoch. Insofern als in all diesen drei Bennen eine Schriftstellerin.

in der man sie irgendwie erkennt. Hier ist diese Schriftstellerin in einer sogenannten Schriftstellerkolonie in Nordamerika an der Ostküste mit ganz vielen anderen Schriftstellern. Also es ist so eine typische Autorensituation unserer Zeit. Da sind die alle in irgendwelchen schönen Wohnungen und sollen an ihren Buchprojekten arbeiten.

Und sie beginnt eine sehr komische, fast wortlose, slapstickhafte Liebesgeschichte mit einem sogenannten, sie nennt ihn immer den Katalanen. Jetzt habe ich natürlich sofort alle Buchprogramme durchforstet. Doch, doch, gibt es doch.

Gibt es, gibt es. Katalanen mit, so wie sie es beschreibt, mit dieser prallen Literatur, die sich nochmal so ganz zurücksehend in eine spanische Zeit, die es nicht mehr gibt, als die Frauen, was weiß ich noch, Brot auf dem Kopf trugen und man in den Dörfern so ein bisschen…

urtümlicher noch lebte. Also solche Autoren findet man, wenn man die Verlagsprogramme forstet, durchaus. Und mit so einem hat sie eine sehr lustige Liebesbeziehung, indem ihr ihr also zum Beispiel, ich glaube gleich an einem der ersten Abende, wo sie sich kaum kannten, einfach nur so ein Handzeichen macht. Und sie versteht das sofort und klettert ihm hinterher. Also es ist eine sehr

Lustige Auseinandersetzung mit dem Literaturbetrieb, dem internationalen Literaturbetrieb, aber natürlich auch sehr viel tiefer mit der Liebe. Sie geht dann immer wieder zurück, sie reflektiert das Thema ihres vorigen großen Buches, das Liebespaar des Jahrhunderts. Da ging es ja um das langsame Erlöschen, müde werden einer 30-jährigen Ehe. Also immer wieder gibt es auch diese Rückblicke auf den Ehemann.

Das spielt in einer Zeit, in der sie, glaube ich, noch ganz jung verheiratet ist. Sie springt in ihrem Leben hin und her. Und sie reflektiert eine Figur, die auch schon in früheren Werken vorkam, der sogenannte Soldat. Weil Julia Schoch ist ja in einer...

Am Stettiner Haft.

Aber immer verbunden mit den Reflexionen, ob das überhaupt möglich ist. Inwiefern das Erinnerte nicht eigentlich nur als Erzähltes nochmal geborgen werden kann. Inwiefern es im Grunde verschwunden ist. Und ob Liebe denn überhaupt in dieser Weise, vergangene Liebe, verlorene Liebe, sich in dieser Weise überhaupt erzählen lässt. Naja, sie lässt sich erzählen, natürlich lässt sie sich erzählen.

Es gibt eine Stelle, die finde ich ganz toll, da schreibt sie, es gibt ja diese, genau wie du sagtest, diese verdichteten Sätze, auch auf das Vergessen ist Verlass, ohne Vergessen gäbe es keine Geschichten, schreibt sie an einer Stelle, also das Erinnern ist immer ein Kondensat, da ist immer irgendetwas übrig geblieben an Szenischem und sowas, was sie ganz besonders toll macht, also es geht ja um drei Männer in diesem Buch im Wesentlichen, also diesen Katalanen, den sie immer Katalanen nimmt, diese Heimschützer,

Affäre, die sie da hat. Dann den Mann, der dann irgendwie betrogen wird, dem das auch vorenthalten wird, diese Geschichte. Vielleicht haben sie auch schon vor dem Buch drüber gesprochen. Ich hoffe doch. Und drittens eben diesen Soldaten, was ja, da ist ja noch ein Mädchen, er ist erwachsen, das wird keine sexuelle Beziehung, aber schon eine stark erotisierte, das ist völlig klar. Also was ich sagen wollte ist,

Sie ist eine Meister darin, eigentlich Situationen, die gar nicht so bedeutend sind oder die gar keine besondere Story jetzt beinhalten, dass sie jetzt viermal da irgendwie im Wald irgendeinen Soldaten getroffen hat. Einfach nur durch die szenische Prägnanz so stark zu machen, dass einem die Figuren so haften bleiben und dass die Situationen selbst so einen Eigenwert gewinnen. Das ist schon sehr, sehr gleichzeitig wichtig.

Hat sie auch etwas Kaltes? Also sie schreckt ja vor Pathos zurück, würde ich sagen. Es ist nicht eine...

Es ist kein pathetisches Liebessprechen, sondern eigentlich fast schon so etwas wie eine Reflexion über Liebe eigentlich eher die ganze Zeit. Genau, sehr kühl, aber auch humoristisch. Humoristisch, ja. Ich finde, man mag sie auch als Erzählerin. Auf irgendeine Weise ist es so, dass sich so Sympathie überträgt und das hängt mit so etwas zu tun,

Wie Lebensklugheit, was in diesen Büchern stark hervortritt. Also, weil sie auch nicht, sie ist ja auch niemand, die die ganze Zeit sich überlegt, ähm,

Ist das jetzt okay? War das richtig oder nicht? Es geht auch nicht, was auch untypisch ist für unsere Zeit, es geht nie um Täter und Opfer beispielsweise. Man hat sofort immer zu jedem Zeitpunkt so eine Ambivalenz des menschlichen Vorsicht. Das finde ich recht beeindruckend. Und es ist unterhaltsam, auf jeden Fall.

eine bestimmte Weise. Man liest es die ganze Zeit. Ich war am Anfang, also ich sage mal ganz ehrlich, dass ich eigentlich finde, dass wir zu viele Bücher haben, in denen Schriftsteller auf Schriftstellerkongressen umsitzen und auf Schriftstellerlesereisen machen und so weiter. Ich finde,

Ich finde das eigentlich ein bisschen zu selbstbezüglich, weil es auch etwas inflationär in dieser sogenannten autofiktionalen Literatur ist. Weil es ist ja klar, wenn Autoren autofiktional schreiben, dann treten sie als Autoren in ihren Büchern auf. Das war mir erst ein bisschen zu viel. Aber ich fand dann doch, dass sie es wunderbar verwandeln kann. Und dass es dann mich immer weniger gestört hat, weil es doch ganz genau, wie du sagst, am Ende doch eine Reflexion war,

über Erinnerung, über Liebe und natürlich auch über das Schreiben ist. Und da ist das dann wieder sehr sinnvoll, dass natürlich Schriftsteller, es ist eine Reflexion über Literatur und inwiefern sie am Ende in so einem Autorenleben auch stärker ist als die Liebe. Das sagt sie ja, dass sie lange Zeit überhaupt nicht richtig, also immer nur so zeitversetzt Liebe empfinden konnte, weil

weil da, wo sie war, hatte sie ja keine Zeit, weil sie schreiben musste. Dann war die Liebe weg, dann konnte sie über die Liebe schreiben. Also dieses schöne Paradox, was ja wahrscheinlich in vielen Schriftstellerleben so ist, dass die Autoren gar keine richtige Zeit zum Erleben haben, sondern immer hinterher über Nicht-Erlebtes oder nur Halb-Erlebtes oder Verlorenes schreiben und es sich so zurückerobern.

Das finde ich, diese paradoxe Figur des Schreibens, die hat sie hier wunderbar aufgegabelt. Und das hat eben dann diesen komisch-melancholischen Aspekt, oder sagen wir gar nicht Aspekt, das ist so eine komisch-melancholische Stimmung, die über dem ganzen Buch liegt und die mir das Buch wirklich sehr, sehr sympathisch gemacht hat. Ja, es ist ja auch lustig. Ich meine, dieser Typ, dieser Katalane, der ist ja so ein bisschen so ein Angeber auch einerseits, aber...

Andererseits sagt er dann auch wieder überraschend schlimme und kluge Sätze. Ja, dieses trotzdem sich in jemanden verlieben, obwohl der eigentlich seltsam ist, kommt ja auch deutlich hervor. Das gibt es ja manchmal. Das hat mir großen Spaß gemacht. Und das Literarische spielt natürlich eine enorme Rolle. Es gibt ja eine Stelle, die finde ich ist ganz interessant. Da schreibt sie, das sagt jemand anderes in diesem Roman,

Die Wirklichkeit ist nie eine Begründung für die Literatur, was ganz schön ist. Vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass sie ja so eng offenbar, da redet sie ja auch halbwegs offen in Interviews drüber, ja nun tatsächlich sich selbst und ihr Leben in den Mittelpunkt rückt und eben die sogenannte Wirklichkeit, aber das ist es ja bei ihr nicht, es ist ja tatsächlich so.

Eine literarische Rekonstruktion immer dessen, was passiert ist und eine literarische Ausgestaltung dessen, was passiert ist. Wobei natürlich noch hinzukommt, dass sie ja eben aus der ehemaligen DDR kommt. Und das ist ja in ihren früheren Romanen immer wieder reflektiert, natürlich aus einer Lebenswelt, vor allen Dingen diese Garnisonsstadt, die es gar nicht mehr gibt. Die ist längst abgerissen worden und alles, was damals da so wichtig war, ihr Vater war...

Bei der NVO, ja. ... spielt überhaupt keine Rolle mehr. Also sie sagt, ich komme im Grunde nicht aus einer verschwundenen Welt, ich komme aus einem verschwundenen System.

Und dieses auf den Trümmern seiner Vergangenheit schreiben, ist natürlich auch eine spezielle Situation, die sie eben sehr von diesem sentimentalen Katalanen, der irgendwie groß in den katalanischen Dorftraditionen schwelgt, das unterscheidet sie. Und das macht aber vielleicht auch ihre schöne Nüchternheit und eben auch ihren trockenen Humor aus, dass sie gar nichts zum Schwelgen, sondern eher was zum Spotten hat.

wenn sie zurückblickt. Naja, sie schreibt ja auch darüber, wie sie mit ihrem Mann und den zwei Kindern dann zu ihrem Ort, wo sie aufgewachsen ist, fährt und da ist sprichwörtlich ja tatsächlich nichts, weil da ist eine Plattenbausiedlung einfach dem Erdboden gleich gemacht worden. Und jetzt irgendwelche Kataloghäuser auf die grüne Wiese gesetzt. Was auch seltsam ist, dass man gar nicht mehr an den Ort der Kindheit kommen kann, das ist ja gar nicht so häufig. Es passiert ja

normalerweise nur nach Kriegen, dass man das Gefühl hat, den Ort gibt es nicht mehr. Der entwickelt sich normalerweise organisch weiter. Aber das ist offenbar... Ja, ja, das stimmt schon, was du sagst, dass sie zu diesem...

tollen Katalanen irgendwie eine Gegenfigur ist. Ganz stimmt es nicht, weil er sagt beispielsweise, es gibt so eine Autofahrt, ich glaube es war während der Autofahrt, da sagt er ganz großspurig, Schriftsteller sind besondere Menschen. Ja,

Sie sind durchlässiger als die meisten Leute. Sie spüren die vergangene Zeit und sie spüren die Zukunft, spüren das, was noch kommt. Sie haben eine Verbindung zu den Toten und eine Verbindung zum Schmerz in der Welt. Und dann sagt sie, Herrgott, im Ernst und so und rollt mit den Augen. Und dann sagt sie kurze Zeit darauf, naja, natürlich hatte er recht. Ja.

Da ärgerte sie sich darüber, dass sie sozusagen klischeehaft die Geerdete spielte. Ja, aber gleichzeitig glaube ich schon, dass sie sich sehr abhebt gegen dieses vollblütige Erzählen und auch gegen dieses Pathos des Erzählens. Sie ist eine reflektierende und reflektierte Schriftstellerin, eine eben, wie wir auch kennen.

Jetzt schon mehrfach erwähnt haben, eine sehr ironische und sie spiegelt das übrigens auch nochmal in ihrer wissenschaftlichen Arbeit, weil ich habe noch gar nicht erwähnt, dass Julia Schoch ja auch Romanistin ist, dass sie in Potsdam in der Tat lange Zeit an der Universität gelehrt hat, dann aber sich ganz...

der Schriftstellerei überlassen hat. Und auch diese Bewegung ist hier in dem Buch nochmal mit aufgenommen. Sie erzählt von einer gescheiterten Doktorarbeit, wo sie über Utopien schreibt. Also auch ein sehr pathetisches, erst über Utopien, später über die Seele. Sehr pathetische Worte, die sich mit einer Literaturtradition verbinden, von der sie immer mehr Abstand nimmt. Das finde ich auch so, das ist auch so ein...

Eine sehr lustige, ironische Wendung. Heute würde sie eigentlich viel lieber über das Seufzen der Frauen eine wissenschaftliche Arbeit schreiben. Also das Ganze mindestens zehn Etagen runtergeholt. Und auch das ganze Paradoxe unserer heutigen Leben, also das Seufzen der Frauen, das heißt ja, man macht etwas, so beschreibt sie das auch, und seufzt dabei.

ach, muss ich das schon wieder machen? Muss ich schon wieder, weiß ich nicht, den Kindern die Butterbrot, muss ich schon wieder, aber eigentlich will ich es auch. Ich will dieses Leben, über das ich seufze. Also diese im Grunde kleinen großen Gefühle und kleinen großen Probleme, in denen die Menschen Ende des 20. Anfang des 21. Jahrhunderts stecken,

Das ist ihr Feld und auch das Feld ihrer Komik. Und das, finde ich, spiegelt sich in solchen Entwicklungen oder in solchen Thematiken nochmal wunderbar. Ja, es ist eigentlich so etwas Posttheoretisches bei ihr. Und das, finde ich, ist hochinteressant. Sie ist gestartet als Literaturwissenschaftlerin und war dann in Seminaren über Poststrukturalismus und weiß der Teufel was und so. Und alle anderen Ismen auch mitgemacht und so. Und stellt dann irgendwann fest, eigentlich kommt man da mit dem...

den eigentlichen Dingen vielleicht, die mit Literatur zu tun haben, vielleicht nicht ganz so nah, wie sie es auf anderem Weg, nämlich literarisch, versucht. So, jetzt kommen wir aber mal zu einem neuen Buch, auch wieder sehr aktuell, jetzt gerade erschienen, Ursula Grechel heißt die Autorin, sehr geehrte Frau Ministerin heißt das Buch. Ursula Grechel ist keine Unbekannte, wurde

mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet für ihren Roman Landgericht, hat sich sehr, sehr, sehr verdient gemacht mit Romanen, sehr dokumentarischen Romanen, sehr recherchierten Romanen über

Ja, Rückkehrern nach 1945, also wenn Verfolgte zurückgekehrt sind, welches Schicksal die ereilt haben. In einem Fall auch ein Jurist und das sind natürlich schreckliche Lebensschicksale auch nach 1945 in Deutschland. Und das rekonstruiert sie, hat sie auf fantastische Weise rekonstruiert. Und dieses Buch allerdings ist etwas...

Etwas finde ich etwas völlig Neues, das hat sie so in der Weise noch überhaupt nicht gemacht und das ist ein interessantes, sehr lesbares, trotzdem sehr experimentelles Buch, würde ich sagen, was gar nicht so einfach zusammenzufassen ist, aber vielleicht so, dass es um drei Frauen im Wesentlichen handelt, um eine Fachverkäuferin in einem Bioladen, das ist die eine, die hat einen

Der hatte ein Schicksal zu erleben, weil so diese kleine Bioladenkette mit allen möglichen Kräutern, Salben und Dingen für Haarwuchs und weiß der Teufel was, dass die Pleite geht und sie verliert den Job und damit vor allen Dingen ihren Lebenssinn. Hatte einen seltsamen Sohn zu Hause die ganze Zeit sitzen, der...

etwas typisch spätpubertär rund um die Uhr am Computer sitzt und seltsame Dinge macht, wo sie nicht genau weiß, was treibt der da die ganze Zeit eigentlich, wohin entwickelt der sich eine

die vor allen Dingen Latein unterrichtet und eine unglaubliche Faszination auch entwickelt, vor allen Dingen für die, nicht nur, aber vor allen Dingen für die dominanten Frauenfiguren, die es in der antiken Literatur gibt, vor allen Dingen in der Geschichtsschreibung bei Tacitus.

wo dann Agrippina vorkommt, die Mutanerus und auch Figuren, andere Figuren wie die keltische, glaube ich, Utica, die gegen die Römer kämpft und so weiter und so fort.

Und schließlich eine Justizministerin, die in eine gefährliche Situation gerät. Und diese drei Schicksale, diese drei Figuren hängen auf eine ganz bestimmte, etwas vertrackte, manchmal auch motivisch nur Weise zusammen. Im Übrigen auch die antiken Geschichten hängen mit diesen Figuren alle zusammen.

auf sozusagen sehr subtile Weise zusammen. Es wird ja viel aus der Antike noch einmal nacherzählt, was ich auch faszinierend fand. Ich mag das immer wahnsinnig gerne. Und es ist auch noch ein, habe ich das Gefühl, auch so etwas ein Spiel mit

literarischen Formen mit der Frage eigentlich, wer spricht eigentlich? Denn es stellt sich ja nach und nach so heraus, dass die Erzählerin in Wahrheit die Lehrerin ist. Obwohl diese Figuren fast schon gleichrangig, die anderen Figuren gleichrangig auftauchen. Das heißt, dass

letztlich Objekte der Literatur und Subjekte der Literatur verschwimmen in diesem Buch. Es lässt sich nicht mehr sozusagen auseinanderklamüsern. Er erzählt über wen, das ist die Frage. Und es sind auch beide Frauen, also sowohl die Lateinlehrerin als auch diese Gesundheitsverkäuferin erzählen beide auch immer wieder in der Ich-Form.

Das macht es so verwirrend, dass man eigentlich zwei Perspektiven von zwei, die sind glaube ich fast gleich alt, also älteren Frauen, die in Essen, also beide irgendwie ein schwieriges Leben, du hast ja den Sohn erwähnt, die Lateinlehrerin hat irgendwie einen Freund, der aber immer nur kurz kommt, den Rucksack abstellt und sofort wieder weg ist und eben richtig die Lateinlehrerin

wird krank im Laufe der Erzählung. Auch das ist an dem Buch sehr auffällig. Lange Passagen. Es wird ja immer sehr viel darüber geredet, dass...

Frauenangelegenheiten so wenig in Romanen vorkommen. Also das wird hier umfassend wieder gut gemacht in dem Sinne, dass hier sehr lange von den Menstruationsschwierigkeiten dieser älteren Lateinlehrerin erzählt wird und deren Frauenarztbesuchen, man ist da mehrfach in der Frauenarztpraxis, kriegt verschiedene Untersuchungsmethoden. Also es wird

Ja, ja, es wird sehr direkt.

in diesen Frauengeschichten nicht nur Menstruationsblut, sondern auch anderes Blut. Also es ist auch eine Geschichte, also ein Buch, was sich damit auseinandersetzt, wie Frauen zum Opfer werden. Auf ganz vielen Ebenen. Also wirklich, das merkt man jetzt, das ist ein sehr kompliziertes Buch. Ja.

Was auf ganz kunstfertige Weise auf ganz vielen Ebenen verlinkt ist. Also die eine Figur schreibt der anderen einen Brief. Die eine Figur ist Kundin im Laden der anderen. Der Sohn der einen Figur steht, wenn die andere Figur eine Rede hält im Publikum. Der Sohn sieht die Ministerin mal im Fernsehen. Und so weiter und so weiter. Es gibt also ganz, ganz viele Links, wo diese Geschichten...

die ja sonst separat erzählt werden, erstmal immer wieder verlinkt werden. Lange Zeit fragt man sich natürlich, was hat denn das alles miteinander zu tun? Und dann sucht man ein bisschen wie im Kreuzworträtsel diese ganzen Verlinkungen zusammen. Und das ist in der Tat äußerst kunstvoll gemacht, auf so, ich glaube, 370 Seiten, wie diese ganzen Geschichten dann doch so raffiniert miteinander verhakt sind, dass fast keine Öse...

Alleine bleibt, ja, sozusagen. Die Frage ist natürlich, ja, was nimmt man mit? Was nimmt man mit? Also ich meine, es gibt natürlich wie bei allen guten Literaturen kann man sich darüber streiten, welche Interpretationsangebote man dann für so ein Buch, so eins liefert. Natürlich könnte man sagen, dadurch, dass hier

Objekt und Subjekt vollständig getrennt sind, könnte man, könnte man, soweit würde ich gar nicht gehen, aber könnte man natürlich auch diskutieren, ist sozusagen hier in diesem Buch das Weibliche wirklich das Subvertive und das Subvertierende, beziehungsweise das und alles, alle Ordnung unterlaufende, so etwas wie eine anarchische Kraft, das wäre mir sozusagen fast schon zu...

zu essenzialistisch gedacht. Sehe ich auch gar nicht, weil diesen Frauen geht es doch gar nicht so gut. Die sind ja gar nicht so anarchisch. Nein, nein, aber ich meine jetzt nur wirklich in der Erzählperspektive, die hier sozusagen so gewissermaßen durcheinander... Nein, die sind nicht anarchisch. Die sind alle auf einer bestimmten Weise, es werden die irgendwie schon recht prägnant. Am Ende des Tages geht es schon um so etwas wie eine Gewaltgeschichte gegen Frauen seit der Antike. Das verbindet natürlich diese...

Ja, vier Figuren, wenn man so will, wenn man Agrippina dazuzählen will, die von ihrem Sohn umgebracht wird. Wir haben hier auch einen schwierigen Sohn. Es geht auch immer um Mutter und Söhne und genau dieses Verhältnis natürlich in diesem Buch und dass die Mutter...

Also einerseits, wie es bei Nero, also bei Tacitus in Optima Mater, also die beste Mutter, ja, andererseits dann wird sie zu Problemen in dem Moment, wo sie dann auf der faktischen, auf der Machtebene, auf der Staatsebene eine Rolle versucht einzunehmen, muss sie weggeschafft werden. Da wird sie dann natürlich auf einmal zu einem bestimmten Problem, ja. Also...

Während hier der junge Mann natürlich nicht keine Nero-Figur ist. Genau, wir dürfen ja leider, wollte ich gerade sagen, nicht alles verraten. Aber man kann zumindest so viel sagen, dass der Sohn der Justizministerin am Ende die geradezu konträre Rolle von Nero einnimmt. Das zumindest darf man ja sagen. Sodass also Anfang und Ende, also diese Bluttat, die Nero an seiner Mutter verübt,

Und der heldenhafte kleine Sohn der Justizministerin, dass da doch zumindest eine gewisse Entwicklung zum Thema Grausamkeit und Mütter in den paar tausend Jahren dazwischen stattgefunden hat. Das ist also auch sicherlich sehr schön gebaut. Sie hat sich unendlich viel bei all dem gedacht. Ist auch eine große Stilistin, muss man sagen. Ich finde, dass es immer wieder wahnsinnig starke, verdichtete Passagen gibt. Ist auch eine sehr

Das ist schlanke Prosa auch. Ja, das ist natürlich sehr objektiv, objektivierend geschrieben, weil eben die Erzählerinnen ja so ineinander übergehen. Und da kann man schon sagen, keine entwickelt einen Personalton, sondern das Ganze ist eigentlich so in einem umfassenden, neutralen Ton, der dann für alle beinhaltet.

Der ist so ein bisschen, ja, er hat Kraft, er hat auch Tempo. Ja, es gibt auch poetische Stellen. Er verdichtet sich immer wieder. Aber was natürlich fehlt, ist so ein bisschen das Persönliche. Der Strich, wo man jemanden auch mal von innen sähe. Da ist sie eigentlich eine ganz klassische Erzählerin.

Ja, das stimmt. Die sich sehr eben auf die Konstruktion und auf die Figurenführung konzentriert und offenbar nicht so interessiert ist an den Innenwelten ihrer Figuren. Ja, vielleicht nicht. Ja, das stimmt. Wobei, wenn man an die

Ja, das stimmt. Man muss das nicht als Einwand sehen. Das ist natürlich heute so selbstverständlich. Man sagt ja, man will Personen auch gerne, obwohl das auch gar nicht stimmt. Es gibt ganze Stränge von moderner Literatur, die die Figuren nur von außen schildert. Ganz so ist es hier nicht. Es gibt schon ein bisschen Introspektionen. Vor allen Dingen, wenn sie durch die Frauenarztpraxen

der so verzweifelt auf der Suche ist nach irgendeiner Hilfe unterwegs ist, da reflektiert sie schon ein bisschen was. Bei dieser Lehrerin gerade finde ich es interessant, dass sie so diesen starken Gegenstand hat. Tazitus. Nicht nur, auch noch andere, aber

Letztlich könnte man sagen, meine Vermutung ist ja, dass ein ganz anderes lateinisches Werk im Hintergrund steht, dieses ganzen Buchs, das ist in Wahrheit Ovid's Metamorphosen. Warum? Warum?

Ja, weil es um die Verwandlung geht dieser Figuren. Es ist ja unklar, wer spricht letztlich. Wenn sozusagen unterschiedliche Figuren als Ich-Erzählerin auftauchen. Gut, eine behauptet sich irgendwie so. Aber sie schreibt ja so, als würde sie sich die ganze Zeit in andere Figuren verwandeln. So wie sie sich hinein verwandelt. Ja, auch hinein in die Antike letztlich. Das ist das, glaube ich. Aber gut, darüber kann man lange sprechen. Auf jeden Fall ist es...

Ja, es ist eines der reizvolleren Bücher, die ich in letzter Zeit gelesen habe, muss ich sagen. Und wirklich so eine Art große Wiedergutmachung in einer Geschichte, von der die Erzählerin selber sagt, sie ist eine, in der Frauen meistens lästig waren und aus der sie verschwinden mussten. Da kann man wirklich sagen, hier haben wir nun einen wirklich unvergesslichen,

Hier sind alle Frauen, die da auftauchen, stehen im Mittelpunkt und bilden die Zentralperspektive dieses Buches. Also insofern wirklich auch ein Akt der literarischen Wiedergutmachung. Ich bin Sheda Saad. In Tausend und eine Nacht erzähle ich euch in jeder Folge eine andere Geschichte. Damit der König mich am Leben lässt, muss jede Geschichte spannender sein als die davor. Wir treffen auf Genies, auf Kaufmänner, Fischer, Schauspieler,

So, dann kommen wir mal zu einem ganz anderen Gegenstand. In dem Fall kann man ja auch Gegenstand sagen.

Erzähl mal, Iris, war dein Vorschlag, nochmal Thomas Mann hier hervorzukramen? Naja, wir feiern ja in diesem neuen Jahr den 150. Geburtstag von Thomas Mann, der 1875 in Lübeck bekanntermaßen geboren wurde. Und wir begehen den, und das war für uns der Anlass, uns nochmal eine kleine Schrift von Thomas Mann anzugucken, von der ich glaube...

dass sie uns sozusagen in sein Herzzentrum führt. Also wer ihn nochmal von einer anderen Seite kennenlernen will, eben nicht, indem er die großen Romane alle nochmal liest, was man natürlich sowieso immer empfehlen kann, nochmal den Zauberberg zu lesen oder die Buddenbrocks zu lesen. Aber wenn man sich fragt, was ist das eigentlich für ein Erzähler? Aus welcher Welt kommt der? Welche Gedanken haben ihn geprägt? Was ist...

sozusagen seinen Kosmos, dann empfiehlt sich eben dieser schöne Aufsatz Lübeck als geistige Lebensform. Den Aufsatz hat er 1926 eben in Lübeck, diese Rede, es ist ein Aufsatz, aber er hat das als Rede 1926 in Lübeck

Und enthält eben eigentlich seine geistige Geschichte und seine Gründe und Hintergründe, die ihn mit seiner Geburtsstadt Lübeck bezeichnen.

und eben mit deren Bürgerlichkeit vor allen Dingen verbinden. Warum er eigentlich in dieser Herkunft so tief verwurzelt ist und ohne diese Herkunft gar nicht denkbar ist, warum sein ganzer Romankosmos, was er auch dann alles umfasst hat, im Grunde seine Herkunft, seine Quelle, seine Wurzeln in Lübeck hat. Und das kann man in diesem Buch

sehr schön nachvollziehen. Er fängt eben so an, dass er nochmal daran erinnert,

Seinen großen Erfolg, seinen ersten großen Roman, die Buddenbrocks in der Jahrhundertwende, veröffentlicht ganz in der alten Lübecker Zeit, der alten Patrizia-Zeit, noch wurzelnd, aber schon die Auflösung, den Verfall dieses alten Patrizia-Bürgertums schildernd. Er erzählt, wie er eigentlich, als er das schrieb,

im Grunde sehr interessant einerseits geprägt war, natürlich von...

der deutschen Philosophie von Schopenhauer, von deutscher Musik, von Wagner, von deutscher Philosophie, von Nietzsche. Und wir aber andererseits im Stofflichen ganz tief von den Werten, von den Tönen, von der ganzen stofflichen Welt, aus der er kommt, besessen war. Und wie das im Grunde immer stärker blieb,

als das, was dann als sogenannte Dekadenzliteratur, also die Auflösung, dass man sich mit seinen großen Thematiken, die Todesverfallenheit, das Romantische, der Liebestod, all das ihn einerseits beschäftigt hat, aber dass das andererseits nie stärker geworden ist als

als die bürgerlich nüchterne, humorvolle Wurzel seines großen Elternhauses. Seine unmittelbare Umgebung, ja. Andererseits sagt er an gleicher Stelle in diesem Essay, dass das ja auch überhaupt kein Widerspruch ist. Einerseits, also das Ganze, er schreibt ja, dass er eigentlich,

kosmopolitische Romane geschrieben hat, aber dass die immer in dem lokalen Wurzeln eigentlich ein sehr, ja, im guten Sinne ein deutsch-föderaler Gedanke ist, hängt natürlich und er positioniert sich natürlich als

hier gleichzeitig als europäischer und als internationaler Schriftsteller. Er erzählt ja, wie er überhaupt dazu kam. Und das ist ja ein interessanter Widerspruch zu dem, was du sagst, wie er überhaupt dazu kam, dass er die Bodenbruchs geschrieben hat. Naja, indem er andere Literatur gelesen hat, nämlich die Brüder Goncourt. Er hat, ich glaube, es kommen noch andere Beispiele vor, die skandinavischen großen Familienromane. Das heißt, der

das ist beides, ja, das ist die Lektüre internationaler Literatur und gleichzeitig die unmittelbare Umgebung, ja, und er erzählt darin auch, dass ihm immer wieder Leute aus ganz anderen Kreisen, eben nicht nur sozusagen Lübeck, sondern

Ich glaube, das ist eben eine Dialektik, die er sich da gewünscht hat oder vorgestellt hat.

die besagt, dass wenn ich ganz tief ins jeweilige gehe, also ins Lokale, nicht nur ins Nationale, sondern eben auch hier in dem Sinne in seine alte Patrizierstadt, dass ich nur dann allgemein werde. Dass

Dass wenn ich von Anfang an eine internationale Perspektive habe, dann funktioniert es nicht. Sagt Thomas Mann. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob er recht hat, aber es ist sein Programm, das sozusagen nur durch die Verschärfung des jeweiligen, des lokalen, des nationalen, des tief

Dass es überhaupt erst übertragbar ist. Dass es überhaupt dann erst übertragbar ist. Und sein Gegenbild zu dieser sogenannten Lebensbürgerlichkeit oder auch Bürgerlichkeit, die er immer wieder auch in allen Büchern in seinen Romanen, geht es ja immer darum, dass der Bürger am Ende die maßvolle, die anstrebsame Figur ist. Und er unterscheidet ihn eben vom Bourgeois. Ja.

Und der Bourgeois, das ist für ihn eine Figur, die eben diese lokalen Wurzeln nicht mehr hat, der nicht mehr in seinen nationalen Traditionen lebt, sondern der irgendeine international kapitalistische Figur ist, jemand, der überall auf allen Märkten sich gleich gut orientiert.

Und gleich agil zurechtfindet. Und das ist eine Figur, die er nicht so erstrebenswert findet. Er möchte wirklich dieses alte, altväterliche, was sich für ihn eben überhaupt erst öffnet,

einem allgemeinen Menschlichen. Ja, das stimmt. Aber interessant ist doch auch, ich meine, man darf nicht vergessen, sieben Jahre später sind die Nazis an der Macht. Man merkt doch, wie weit es doch entfernt ist von diesem deutschnationalistischen, auch in diesem, wenn der

Er feiert ja hier irgendwie Lübeck, nicht? Und er feiert es insofern, als dass er sagt, Marzipan sei so toll in der Stadt und so. Der komme aber aus Venedig und so, ja? Das ist sofort gewissermaßen dieses...

Ja, kosmopolitische Netz, was er entwirft. Die Perspektive ist halt, und am Ende, und er zitiert ja auch Goethe und so, und versucht das maßvolle, gegen die Zeit, die ja da auch schon 1926 die extremen Auseinandersetzungen politischer Extremisten, ja auch Extremismus natürlich sehr, ähm,

sehr geprägt hat. Der Nationalsozialismus, das muss man ja sagen, war für ihn eben eine kleinbürgerliche und gleichzeitig natürlich auch maßlose Unternehmung, gegen die er eben dieses bürgerliche, dieses, ja,

städtische, maßvolle, vernünftige immer wieder in Stellung gebracht hat. Das war für ihn vollkommen klar, dass das, was er mit Lebensbürgerlichkeit meint, nichts zu tun hat mit nationalsozialistischen Positionen. Überhaupt nicht. Nein, nein.

Aber schön ist eben doch noch mal zu sehen, dass er dieses Herkommen im Grunde auch nie überwinden wollte. Ja, ja, das stimmt. Und das ist eben sein ganzes Leben. Das sieht man ja auch bis zum Dr. Faustus, wo eben eine Lübeck-ähnliche Stadt ja auch wieder entworfen wird. Dass das für ihn eigentlich sozusagen die Wiege seines Schreibens bleibt und wie mutig und offen er sich auch zu dieser Form von Bürgerlichkeit bezieht.

Und das ist ihm, glaube ich, auch sehr, sehr gedankt worden. Weil natürlich es auch schön ist, wenn ein Bürgertum sich in einem sich selbst bürgerlich titulierenden Schriftsteller wiederfinden kann. Ja, ja, klar. Wirkt ja bis heute. Wir haben jetzt in dieser Ausgabe, wenn unser Podcast erscheint, kann man auch die Zeit-Titel-Geschichte lesen. Die ist Thomas Mann gewidmet auf vier Seiten im Feuilleton-Schriftstück.

schreiben sehr viele, sehr unterschiedliche Leute über das gesamte Werk und auch darüber, was an Thomas Mann manchen auch sehr nerven kann. Und in zwei Wochen werden die Kollegen Sackbücher vorstellen und wir sind wieder in vier Wochen dabei. Was liest du gerade? Ein Podcast von Zeit und Zeit Online. Produziert von Polartis.