We're sunsetting PodQuest on 2025-07-28. Thank you for your support!
Export Podcast Subscriptions
cover of episode Vom Alltag in der Schwerelosigkeit

Vom Alltag in der Schwerelosigkeit

2024/12/14
logo of podcast Was liest du gerade?

Was liest du gerade?

Transcript

Shownotes Transcript

Was liest du gerade? Ein Podcast über Bücher und was sie über die Welt erzählen. Ganz herzlich willkommen zu unserem Zeitbuch-Podcast Was liest du gerade? Dieses ist jetzt die letzte Ausgabe unseres Jahres, also die sogenannte Weihnachtsausgabe, könnte man sagen. Und wie immer sind dabei ich, nämlich Iris Radisch und Adam Sobutschinski, so heiße ich. Und wir sind beide Redakteure bei der Zeit und

Wir beginnen wie immer mit einem Zitat der Woche, wo wir nicht gleich verraten, woraus das Zitat ist, aus welchem aktuellen Buch. Wir werden dann über zwei aktuelle Bücher sprechen und schließlich über unseren Klassiker. Ja, fangen wir mit dem Zitat der Woche an. Der erste Satz.

Wirklich romantisch aber ist es doch, sich zum ersten Mal zu küssen. Im Neonlicht der Notaufnahme. Das hast du ausgesucht, Iris. Ich hatte das Gefühl, dass dir so etwas schon mal begegnet ist. Warum habe ich das ausgesucht? Ich fand es vor allen Dingen lustig. Also, dass es wirklich romantisch ist. Im Neonlicht kann ich ja noch verstehen, aber der Notaufnahme, also noch eine Steigerung des Unromantischen, das war einfach dieses schöne Paradoxe.

Ja, wo ist Liebe wirklich spannend? Natürlich nicht bei Kerzendimmer und irgendwie, wenn die schöne Musik da ist und wenn man das ewig vorbereitet hat und auch das passende Kleid endlich gefunden hat und ich weiß nicht was noch alles und alles rasiert ist und man gebadet hat. Nein, man ist in der Notaufnahme und vielleicht ja auch in einem existenziellen Augenblick, aber

Einen, auf den es keine Vorbereitung gab, wo also dieses ganze Klimbim der Liebesvorbereitung ja gar nicht da war, wo es einen vielleicht geradezu überfällt. In einem Schock, in einem existenziellen Schock vielleicht und wo es dann auch völlig wurscht ist, wie die Beleuchtung aussieht. Also das fand ich eigentlich einen schönen existenziellen Moment. Ob das so stimmt, da muss ich sagen, fehlt mir leider die Erfahrung. Ich habe nun in der Tat...

auf dem Weg hierher, ernsthaft, aber auch das ist ja gut, dass Literatur uns dazu bringt, über meine ersten Küsse so nachzuhalten. Hab die mal versucht zusammenzuzählen. Da war, glaube ich, kein einziger mit Neonbeleuchtung dabei. Aber ich halte es nicht für unmöglich. Und

Dass es sowas gibt. Also eben gerade das Lustige ist ja, dass die Gegenbewegung hier so liebesbefördernd ist. Also eigentlich ja die Nicht-Romantik, die eigentliche Romantik ist. Und da ist vielleicht was dran, da ja Romantik auch so unendlich kommerzialisiert ist.

heutzutage, wie man so sagt, also alles Mögliche einem angedreht wird und man alles Mögliche kaufen und machen und sprühen und ich weiß nicht, Muster, damit es funktioniert, ist vielleicht das radikale Gegenprogramm gar nicht so ein schlechter Versuch.

Ja, das stimmt schon. Es ist ja gar kein Versuch, denn man gerät dann hinein in so eine Situation. Also die ist halt eben nicht inszeniert, die ist nicht vorbereitet. Wobei ich, wenn ich ganz ehrlich sein soll, es gibt ja doch immer beide Situationen, die beide funktionieren können. Nämlich auch das Vorbereitete kann funktionieren. Wir werden das im Übrigen in einem Buch ja auch noch sehen, dass das Vorbereitete auch funktionieren kann, wenn es um die Liebesdinge geht. Und das Geplante und das Zielgerichtete.

Und hier ist es aber eine filmische Szene, letztlich aus so einer Filmkomödie, so könnte man es sich vorstellen. Irgendetwas Absurdes passiert, man ist in einer Notaufnahme, okay, vielleicht doch nur ein schlimmer Beinbruch, aber jetzt nicht total existenziell und dann kommt jemand vorbei und so und dann entsteht das dann. Wobei diese Person, die das sagt in diesem Buch, schränkt sofort ein, im Übrigen, jetzt wo ich sage, hört es sich auch furchtbar klingelnd an.

kitschig an, auch diese Vorstellung. Das heißt, ich glaube, das ist mit dieser Kommerzialisierung der Romantik so stark geraten, dass auch schon das Gegenteil selbst schon Teil des kitschigen Programms ist. Auch die Anti-Romantik ist ja letztlich Romantik. Und diese ganze Trash-Ästhetik spricht ja auch dafür. Die ist ja irgendwie auch toll und schick. Diese Notaufnahme ist ja auch ein bisschen Trash-Ästhetik, ja?

Auf jeden Fall. Ja, verraten wir, woher das Buch, das Zitat kommt, woher das Buch kommt, wissen wir. Es kommt vom Diogenes Verlag und geschrieben oder vielmehr besprochen haben es Martin Suter und Benjamin von Stuckrad-Barre. Ein etwas älterer Herr, großer Erfolgsautor, Martin Suter, Benjamin von Stuckrad-Barre.

Auch nicht mehr ein Jungspund, aber ein gutes Stück jünger, um die 50. Ja, das ist immer dieses schreckliche Wort der Popliteratur. Also jemand, der sozusagen sehr stark sich auf Oberflächen immer gekümmerte popkulturelle Phänomene auch als solche natürlich beschrieben hat. Und die beiden haben ein Gesprächsband veröffentlicht. Das haben sie schon mal gemacht vor ein paar Jahren. Da heißt es kein Grund, gleich so rumzuschreien. Und in diesem Buch unterhalten sie sich eigentlich über alles, eigentlich auch über...

um so etwas wie Alltag, wie es ist im Hotel zu wohnen, überhaupt welche Hotels gut sind, ob es gut ist, sich zu beschweren oder nicht, über Krawatten

über überhaupt so etwas, wie man sich im Alltag eigentlich verhält. Also so eine Lebensklugheit des Alltags aufgeschrieben. Das haben sie schon mal gemacht. Und was sich so oberflächlich anhört, wird immer wieder durchbrochen dadurch, dass du sagtest schon den Begriff des Existenziellen. Das kommt hier sehr, sehr deutlich vor, weil Martin Suthers Frau Margret vor nicht allzu langer Zeit gestorben ist. Und die kommen eigentlich immer wieder auf die Liebe und Liebesverlust zu sprechen. Und das gibt dem ganzen Buch dann

Gerade aufgrund dieser Beiläufigkeit, auf einmal so ein Durchbruch immer wieder ins ernste Fach. Aber auch das wird ja immer wieder aufgehoben, weil sie... Sie bohren nicht drin, nicht? Sie bohren nicht drin. Naja, sie bohren nicht drin, sie suhlen sich nicht darin, sagen wir es so. Oder so, ja. Aber das heißt nicht, dass darüber nichts gesagt werden würde, was interessant wäre.

Und was auch anrührend wäre, las das ganz gerne. Und immer wieder finden sich solche Reflexionen über unsere, ja eigentlich ist es so eine Gegenwartsanalyse in Gesprächsform. Ja, wobei, was du das Oberflächliche nennst, das ist natürlich schon auch das Programm. Also es ist ganz wichtig, auf diese Existenzialien, also Tod, Liebe, Ehe, das kommt in der Tat natürlich alles vor, nie geradeaus zuzugehen, sondern eben immer den Umweg übers Leichte, übers sogenannte Oberflächliche, also

Du hast es ja aufgezählt, was die da alles besprechen. Man könnte diese Liste endlos verlängern. Also wie sollten gestreifte T-Shirts, wie sollten die Streifen, sollen die dick oder kurz? Soll man sich als ältere Haare die Haare färben, ja oder nein? Und wenn nicht, was macht man? Also alles solche...

vermeintlich so leichten Dinge und dann da eben eingewoben immer wieder wirklich sehr große Themen, also auch von Benjamin von Stuckrappacher, der Vater ist gerade gestorben, er geht auch auf seine Drogenproblematik immer wieder ein, also es kommen schon auch existenzielle Lebensfragen, aber das Wichtige ist eben wirklich,

das nie direkt anzugehen. Und das ist in der Tat, glaube ich, ein Merkmal geradezu der Popliteratur, die Dinge indirekt zu sagen. Oder vielleicht manchmal auch einfach ganz obsessiv und direkt nicht zu sagen, auch die Ausklammerung. Das Ganze ist natürlich, finde ich,

sehr dandiesk. Also es ist ein bisschen die Fortsetzung der alten Dandy-Literatur. Die Dandys, die im alten Paris mit ihren, weiß ich nicht, mit ihren Schildkröten an der Leine Spaziergänge machten. Also das eigentlich erstmal völlig blöde und sinnlose zu betreiben und eben zu hoffen, darin die Menschen zu schockieren, zu amüsieren. Das ist natürlich auch eine große Unterhaltungskunst, die uns hier

Das sind ja beides Unterhaltungskünstler, darf man ja nicht vergessen, Bestsellerautoren. Und in diese Unterhaltung eben immer wieder ernste Elemente einzumischen. Das liest sich amüsant, da gebe ich dir schon recht.

fand es trotzdem manchmal ein bisschen erschreckend, weil... Also für mich spielte schon eine Rolle, in welchen sozialen Kontexten das stattfindet. Und das wird auch immer wieder erwähnt. Also man ist hier in großen Hotels, man sitzt in den Hotelsuiten, also in den Hotelsuiten der Autoren. Oder man sitzt über dem Zürichsee, was ja bekanntermaßen nun wirklich eine der besten Wohnadressen der Welt ist, in Villen. Und gibt Ratschläge, wie Ehen funktionieren können, indem man eben vor allen Dingen...

nicht zwei Schlafzimmer, sondern zwei En-suite-Bäder hat. Also das ist natürlich alles lustig, aber dieser überlegene soziale Kontext und dann die beiden Herren auf dem Cover mit dem schönen Einstecktuch, mit diesen Maskenschweinen. Aber was ist jetzt genau der Vorwurf? Dass ich mich da sehr fremd fühle. Und dass ich also auch diesen

Ja, dieser Hochmut, der natürlich bei allem Witz dabei ist, es so besser zu wissen und diese kleinbürgerlichen Leute und deren ganzen Macken sich darüber so spaßend hinwegzusetzen. Das ist lustig. Ich finde es auch lustig. Aber ich fühle mich am Ende da immer sehr als eben genau die kleine arme Maus, die

über die sich hier lustig gemacht wird, weißt du, und das ist dann eben doch ein zweifelhaftes Vergnügen. Ich wollte das nur vermelden, dass ich mich da oft sehr ausgeschlossen fühle von diesen Scherzen und sie gleichwohl auch durchaus genießen kann. Es gibt aber unabhängig von diesem sozialen Milieu, nun hat jeder Roman, jedes Buch, jede Selbstreflexion ein soziales Milieu, das reflektiert wird.

Und Literatur ist ja auch manchmal dazu da, dass man auch in fremde Regionen gerät, ohne das sozusagen genauso zu wollen. Deswegen

würde ich das ein bisschen einschränken wollen, was du sagst. Aber ich verstehe, was du meinst, dass es manchmal dieses Deklassierende hat hier und da. Ja, ein bisschen dieses Scheckertum. Man weiß schon, wieso die Leute alle so blöd sind. Das blickt man da vom Zürichsee hinab oder von der Suite auf den Berliner Hauptbahnhof. Da tummeln sich die kleinen Leute und man weiß eigentlich Bescheid, dass die alle ein bisschen bescheuert sind. Es ist einfach so ein reiches Scheckertum dabei.

Ja, ich gebe dir recht, die Welt des Bundes muss es alles geben. Und ich vermelde ja auch nur, dass es mir manchmal ein bisschen komisch vorkam. Vermelden ist ja auch nicht, wir vermelden ja hier nur Dinge. Nein, ich habe darüber auch nichts zu urteilen. Es muss auch diese reichen Einstecktücher geben, die über uns kleine Idioten Scherze machen. Da weiß ich schon, dass die Welt all das auch enthalten muss.

Ich wollte nur sagen, es ist auch eine sehr zugespitzte Perspektive. Zwischendurch ist es nur, was mir daran gefallen hat, dass es zwischendurch einfach ganz banal recht kluge, interessante Gedanken auch enthält. Wenn Sie die Sprache des Todes in unserer Zeit analysieren beispielsweise, dass man sagt, Verstorbenen und nicht die Gestorbenen beispielsweise, dass wir es umschreiben, dass wir die Sprache sofort in Watte tauchen.

Also ich finde, man kann das von diesem soziokulturellen Umfeld auch an ganz vielen Passagen auch ganz gut lösen. Und da gibt es ganz gute Szenen. Das wollte ich nur vermelden. Wollen wir zum nächsten kommen? Ja, klar. Samantha Harvey, Umlaufbahn. Samantha Harvey hat mit diesem kleinen, ungefähr 200 Seiten starken Buch den Bookerpreis dieses Jahr gewonnen.

Ich muss sagen, mir ist das irgendwie alles gar nicht, ich habe das alles nur so halb mitbekommen. Natürlich deine wunderschöne Rezension in der Zeit gelesen, aber kannte das Buch noch nicht. Und jetzt habe ich es gelesen und ich muss dir sagen, ich war dir noch nie für etwas so dankbar in diesem Podcast, wie für diesen Buchtipp.

Du bist einverstanden. Ja, das ist jetzt ein bisschen gemein. Ich muss das Buch ja erst mal vorstellen. Aber ich bin in dem Fall wirklich so umgehauen von diesem Buch, dass ich gar nicht anders kann, als das sofort zuzugeben, dass ich das lange, lange, lange nicht...

nichts gelesen habe, was mich so beeindruckt hat, muss ich wirklich sagen. Also worum geht es? Das ist erstmal, finde ich schon mal ein wahnsinnig toller Einfall. Die Autorin schildert nämlich die Wahrnehmung oder die Erlebnisse einer Weltraumbesatzung. Das ist eigentlich schon mal ein irrer

ein irres Spin. Sie denkt sich das nicht aus, das gibt es ja. Es gibt ja diese internationale Raumstation, also ISS, genau, wo auch immer wieder Astronauten sind und da kann man sich auch in der Tat, kann man auch die Aufnahmen, die diese Weltraumstation macht, das gibt es natürlich alles. Und die Autoren hat sich eben in diese Astronauten versetzt und

Und hat dann probiert zu beschreiben, wie anders man alles sieht, wenn man da oben diese ewig um die Erde kreist. Das ist unglaublich. Also 400 Kilometer über der Erde. Man sieht sie also dauernd noch, sieht aber die Menschen nicht mehr, sieht auch ein bisschen noch die Lichter. Aber eigentlich, man weiß dann zwar immer, gerade Japan, gerade Australien, aber im Grunde sieht man die Einzelheiten nicht mehr. Man fliegt mit einer Geschwindigkeit von 27.000 Kilometern und man erlebt...

An einem Tag, also was ursprünglich mal ein Tag war, erlebt man 16 Sonnenuntergänge. Allein dieser Wahnsinn. Also man hat eigentlich die ganze gewohnte Perspektive nicht mehr. All das, wovon Kant gesagt hat, was uns Menschen eigentlich ausmacht, nämlich, dass wir in diesen Fest

Kapseln von Raum und Zeit stecken. Und alles, was wir nur wissen über die Welt, wissen wir eben, weil es die Zeit gibt und weil es den Raum gibt. Und das alles ist ja weggesprengt, sobald man im All ist. Die wissen überhaupt nicht mehr, was der Tag ist, was die Nacht ist. Sie wissen nicht mehr, was Schwere ist. Und das finde ich, also diese Wahrnehmung allein und daraus so einen spannenden Roman zu machen, ist toll. Dann macht sie es auch ganz toll, indem sie, es sind sechs Astronauten,

indem sie also immer wieder in die verschiedenen Köpfe dieser Astronauten geht, deren Wahrnehmung. Bei der einen Astronautin stirbt die Mutter, der andere hat irgendwie eine Ehe. Also es gibt ganz viele Geschichten, die da alle hineinspielen und sie sind neun Monate im All. Auch das ist toll. Also wie ein Mensch entsteht, so haben sie da wirklich diese, eigentlich diese völlige Umwertung von allem, was sie mal ausgemacht hat. Und all das, was sich da auch philosophisch

In so einem kosmischen Jahr nennt sie das. Es ist ein kosmisches Jahr. Also es gibt auch die Vorstellung, dass der Kosmos eben seine eigene Zeit hat und dass

Und dass die ganze Menschwerdung eigentlich dann nur ein paar Minuten sind und dass die Industrialisierung eigentlich nur ein paar Sekunden zurückliegt und dass das Verlöschen der Sonne in vier Monaten stattfinden könnte. Also all das, das ist eine solche, auch für das eigene Gehirn finde ich, eine solche Leistung der Fantasie, des Nachdenkens, des Philosophierens.

Ein umwerfend tolles Buch. Jetzt darfst du mal was sagen. Sie hat ja auch, glaube ich, sehr gut, das merkt man auch im Nachwort, es gibt so eine kleine Danksagung, da wird schon deutlich, wie sehr sie recherchiert hat, bei der NASA und so. Sie war selbst die Autorin, ja nie im Weltall. Sie ist für das Buch ausgezeichnet worden mit dem Booker Prize gerade und so. Er ist übersetzt worden von Julia Wolf, übrigens finde ich ganz toll.

Er hat das in einer ganz wunderbaren, auch verknappten Sprache, die dem Englischen sehr nahe kommt, geschrieben. Es ist ja gar nicht kompliziert. Es liest sich ja vollständig weg. Es wechselt zwischen diesen Perspektiven, die

dieser Personen und immer wieder auch zur Erde. Es tauchen dann auf einmal Personen auf, die mit denen natürlich assoziiert sind und das macht es natürlich ganz, ganz toll. Im Übrigen auch dieses Recherchieren. Ich habe ja so unabhängig davon, die literarische Qualität hast du schon sehr gelobt, ich habe ja zwischendurch einfach auch Dinge gelernt. Ich bin

Ich habe ja immer gedacht, die Leute leben in der Schwerelosigkeit, weil die Erdanziehungskraft vielleicht nicht mehr wirkt. Das stimmt natürlich nicht. Das ist ja ein ganz tolles Motiv, was sie hat. Eigentlich fast schon so eine Allegorie auf alles. Die Raumkapsel, die wird natürlich die ganze Zeit angezogen von der Erde. Denn sie fällt die ganze Zeit ununterbrochen. Dadurch, dass sich die Erde aber sozusagen wegdreht,

stürzt sie nie auf die Erde, also ist in dieser Umlaufbahn. Das heißt, es ist ein ewiger Sturz, in dem die sich befinden. Und dadurch entsteht diese schwere Losigkeit. Wenn irgendein Physiker sagt, ich hätte es nicht ganz wiedergegeben, entschuldige ich mich im Voraus, bitte keine Leserbriefe. Es wird genug Leute geben, die das noch besser darstellen können. Aber ich fand es sozusagen faszinierend, dass es auch ein einziger großer Fall ist, den man beschreibt. Und dann werden ganz viele Motive auch angesprochen in diesem Roman,

die aber nie ausgebreitet werden oder nie zu einem Thesenroman münden. Natürlich geht es um Umweltzerstörung und um die Klimaerwärmung und darum, dass auf einmal ein Taifun, wo man nicht mehr weiß, ist der menschengemacht oder ist das tatsächlich so etwas wie Wetter gewissermaßen, der sozusagen ganze Inseln dort vernichtet und die sehen das von oben herab. Aber was das eigentlich, finde ich, sehr anrührende ist dieses Romans, ist das

die Erde als solches aus dieser Perspektive von oben, als so etwas paradiesisch Kleines in einem Meer von Nichts ist. So heißt es sinngemäß. Das heißt, diese Fragilität von allem und jedem und diese wirklich, ja, Kontingenz würde man philosophisch sagen, also

völlige fragile Zufälligkeit, dass es dann da ist irgendwo. Das wird einfach sehr, sehr wahnsinnig deutlich. Auch die Einsamkeit natürlich. All das weiß man ja. Natürlich wissen wir, dass wir...

zumindest bis auf weiteres einsam im All sind. Wie das anschaulich wird, wie sie plötzlich auch diesen Sog der anderen Seite, also dieses des Weltraums selber, dass das auch wie so ein pulsierendes Nichts ist, was auch, die machen ja dann auch Weltraum, diese sogenannten Weltraumspaziergänge, natürlich immer an irgendwelchen Leinen, wie sie dann draußen sind und wie sie spürt, dass da sich so ein Sog entwickelt und auch

Auf der anderen Seite immer der Rückblick auf diese leuchtende, wunderschöne Heimat, die irgendwie vor allen Dingen schön ist. Ja, es ist auch gut über Ästhetik. Erde ist auch ein ästhetisches Phänomen. Absolut. Und was ich eigentlich auch sehr, einmal zum Nachdenken anregend, aber dann irgendwie auch ultramodern, dieser Gedanke,

dass unser Planet eben nicht das Zentrum ist. Dass der menschliche Egoismus oder das immer nur vom Menschen ausdenken, wie wir ja eigentlich nicht anders können natürlich.

Dass das aber nicht das Einzige ist. Also dass man aus dieser Zentralperspektive, die man auf der Erde natürlich immer hat, kann man gar nicht anders, dass dieser kosmische Blick aber das zumindest relativieren kann, dass es sich öffnet. Ja, das stimmt. Gleichzeitig wird die Erde so manisch betrachtet, dass man das Gefühl hat,

Es ist das eigentliche Zentrum des Universums. So wie überhaupt dieser Roman ja aus vielen, immer wieder aus Paradoxien besteht. Die entwickeln diesen Sog, hast du gesagt, eigentlich ab einem bestimmten Grad will man einfach draußen bleiben. Und gleichzeitig hängen die natürlich. Und in dieses Schwarze, diese absolute Dunkelheit, die eine Kraft hat. Also da geht durchaus auch das, was dann in der Psychoanalyse ja vielleicht auch Todestrieb ist.

Genau. Genannt wird, dass es das gibt, wenn man diese Schmerze des Weltall zieht. Ich habe keine Ahnung, ich war da noch nie, aber es ist jedenfalls ziemlich genial beschrieben. Man kann sich das schon vorstellen. Und dann besteht er natürlich auch aus ganz, ganz vielen Motiven. Dieser Mutter Erde, du sprachst schon von den neun Monaten.

Dann stirbt auch tatsächlich eine faktische Mutter auf der Erde. Also es ist auch ein Spiel mit unseren klassischen Entitäten, könnte man sagen. Also Fixpunkten, basalen Fixpunkten des Lebens. Und dann gibt es auch wieder ganz Banales. Diese Forschung, die die da betreiben und so beispielsweise mit irgendwelchen Mäusen, glaube ich, wenn ich recht erinnere. Oder auch diese Banalität des Toilettengangs. Da merkt man, dass es auch wieder politische Spannungen gibt. Es wird eigentlich gesagt...

von den jeweiligen Regierungen, dass die Westler die russische Toilette nicht aufsuchen sollen und umgekehrt und so, was dann natürlich aufgehoben wird, weil diese sechs Leute, die da unterwegs sind, das ist ja auch interessant, das ist ja auch ein Spiel mit so etwas, das ist ja fast wie so eine kleine Menschheitsfamilie, ja, inmitten, während unten auf der Erde sich alle zerfleischen. Das heißt, auch dieses politische spielt da nur indirekt eine Rolle. Es kommt alles sehr gefiltert nur noch an, ja, was auch interessant ist. Ja, und dieser olympische Blick,

Kann dir nur zustimmen. Er ist eines der, finde ich, schönsten Bücher dieses Jahres, würde ich sagen. Also für mich sehr. Und es bringt eben auch mal was ganz Neues. Wir haben ja das Nature Writing, das haben wir ja auch hier oft schon gesprochen, wo man sich auch mal aus dieser menschlichen Zentralperspektive probeweise wegbewegt und die Perspektive der Natur selbst einnimmt.

Aber so weit, dass man versucht, eine kosmische Perspektive zumindest sich zu imaginieren. Es gab mal in der vorvorigen Jahrhundertwende so etwas wie die Kosmica.

Das war eine ganz interessante Bewegung. Da gehörte so jemand wie Ludwig Klages dazu, Alfred Schuller, auch ein bisschen Stefan George. Die haben eben auch versucht, probeweise kosmische Gedankengebäude zu entwickeln und wirklich so etwas wie ein radikal offenes Leben sich vorzustellen. Nämlich ein Leben, das eben frei ist von diesen menschlichen Begrenzungen in der Wahrnehmung, in den Denkkategorien und so. Davon hat es natürlich auf ganz

Auf ganz moderne Weise und nicht so pathetisch, wie das diese Kosmiker gemacht haben. Aber ein bisschen knüpft es auch an solche alten, vielleicht ein bisschen esoterische, aber auch interessante Dichterschulen an. Man hatte das Weltraum ja fast schon vergessen. Diese riesigen Kult, den es in den 60er Jahren aus naheliegenden Gründen gab.

weil man auf einmal auf dem Mond herumspazierte und schon vorher natürlich in den 50ern. Das war natürlich etwas, was man fast schon aus den Augen verloren hat. Und in Wahrheit ist es so, dass ständig um uns herum nicht nur ziemlich viel Weltraumschrott, sondern auch einfach übermanntes Raumschiff um die Erde fliegt. Das ist doch interessant. Okay.

Okay, unser zweites Buch heute. Ja, das zweite Buch ist von der Autorin Lucy Fricke und es heißt Das Fest. Es ist im Klassenverlag erschienen, verkauft sich wahnsinnig gut, wie ich gesehen habe, hat auch einen bestimmten Grund und der Grund ist, dass dieses Buch sehr unterhaltend ist, sehr unterhaltsam ist. Es geht um einen

Sie beschreibt einen Mann, der gerade 50 wird. Sie beschreibt eigentlich den 50. Geburtstag. Schrecklich genug, ja. Ist ja so ein Termin der Midlife-Crisis mittlerweile. Früher war die ja früher, aber jetzt sozusagen nicht. Man führt Lebensbilanz und so. Und die führt dieser Jakob, so heißt der Hauptprotagonist, auch sehr stark und kommt zu doch eher ernüchternden Ergebnissen. Kein Haus, kein Kind, kein Kind.

Kein Baum. Karriere eigentlich so halb so geglückt, eher nicht geglückt, eigentlich jetzt ziemlich am Ende, ist Regisseur, relativ erfolglos und ja, er bekommt Besuch an diesem Tag von Ellen, seiner jahrzehntelangen

Bekannten, Freundin, guten Freundin, wie man so sagt. Und die treibt ihn hinaus, indem sie ihm eine Badehose schenkt. Es ist September, er soll doch bitte schön ins Freibad gehen. Er trifft dort ganz zufällig auf seine erste langjährige Beziehung, Frau, die er dort trifft. Und dieser Tag wird ganz seltsam, indem er die ganze Zeit eigentlich Leuten begegnet.

die früher in seinem Leben eine große Rolle gespielt haben und die er schon Ewigkeiten nicht mehr gesehen hat. Man merkt dann ziemlich schnell, ich glaube, so weit kann man das verraten, dass

dass das ein sehr seltsames Geburtstagsgeschenk ist. Es wird alles darauf geachtet, dass er den ganzen Tag über nur Leute trifft, die er schon mal getroffen hat und die ihm etwas bedeutet haben im Leben. Hoch amüsant übrigens auch der Roman. Fanden Sie nicht auch? Ja, also dieses Problem mit 50 solche Krisen zu haben, ja, ja. Und wie man dem begegnet, durchaus witzig.

Wichtig alles, ja, kann ich schon nachvollziehen. Also, ja, gibt es dann noch, das ist ja ein bisschen die Frage, was kommt dann noch? Das ist ja ein bisschen die Frage, die sie auch an diesem Geburtstag, diese dann eben so zufällig arrangierten Freunde, die sie ja alle mit dem

Jakob dann auch besprechen. Also so eine zweite Jugend, sagen sie dann auch mit Aktienpaket und Bauchfett, wie macht man das? Wie startet man nochmal? Oder kann man überhaupt nochmal starten? Und was mir eigentlich ganz gut gefällt, ist die Haltung von Jakob. Also er sagt irgendwie, ach Mensch, was

Was soll denn dieser ganze Quatsch? Leute, die mit 78 noch Präsident der USA werden wollen, haben vom Leben auch nicht alles verstanden. Also dieses ewige, weiter, weiter, noch mehr, noch mehr. Und das muss doch auch nicht sein. Und es gibt doch auch eigentlich sowas wie eine schöne Trostlosigkeit. Ja, so schön wirkt die aber nicht, offengesagt. Nee, offengesagt, ja. Also die, die dann hier als die entspannt Trostlosen sind, sind ja irgendwelche Leute, die im Freibad beim so und so vielten Pilz am Kiosk

abhängen und so. Auch nicht schlimm. Er ist da irgendwie ganz entspannt. Die eigentlich treibende Kraft scheint mir ja diese Ellen zu sein, die irgendwie mit dem Jakob noch was vorhat. Die hat ja dieses ganze Treffen arrangiert, die hat die Leute alle aufgetrieben.

Dann gibt es ja auch so ein Unfallgeschehen, was sich wie so ein roter Faden durch das Buch zieht. Also auf jeder Station, also jeder, er wird ja durch den Tag gebracht. Also nach dem Schwimmbad kommt irgendwie, weiß ich nicht, geht er am Lausitzer Platz, glaube ich, essen mit einem Freund. Dann geht er mit einer anderen Freundin ins Kino, die gucken die alten Jarmusch-Filme.

Und er trifft überall seine Freunde und immer hat er hinterher einen Unfall. Und dann schlägt er sich einen Zahn aus. Einmal wird ihm irgendwie das Auge blau geschlagen, dann verknickt er sich den Fuß. Und nachher kommen die ja alle...

Sollten wir nicht verraten. Sollen wir nicht verraten, okay. Finde ich nicht, weil es läuft natürlich auf eine große Pointe hinaus. Und in dem Fall wäre es, glaube ich, falsch. Lass ich mich sofort überzeugen, ja. Es gibt natürlich sehr viele Slapstick-Elemente in diesem Buch. Das finde ich aber ganz hübsch, weil es ist kein Zufall, dass wir es hier mit einem Regisseur zu tun haben. Mhm.

Und dass das jemand arrangiert und einen Tag lang Regie übernimmt über ihn. Ja, so könnte man es sagen. Das spielt ja dementsprechend auch eine große Rolle. Es ist eigentlich ein filmisches Buch. Und dieser Slapstick ist fast schon wie aus diesen Stummfilmen, wo die Situationskomik naheliegenderweise eine ganz besonders große Rolle eingenommen hat. Das geschieht alles ganz, ganz beiläufig. Und das gefällt mir ganz gut. Und es ist auch so, dass es natürlich...

zum Teil relativ dramatisch ist. Manche Leute will man ja aus der Vergangenheit zwar treffen, aber auch nicht so richtig, wenn man sich das genau überlegt. Denn man ist ja auch schuldig geworden, notgedrungen einfach, weil man lebt und zwischendurch Mist gebaut hat. Also hier vor allen Dingen ganz dramatisch die Begegnung mit seinem alten Freund Georg, den er seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hat, wie er auch damals...

angehender Regisseur und der verunglückt dann sehr ungünstig, ist dann lange Zeit im Krankenhaus und in dieser Zeit übernimmt er seinen Film, unser Jakob, und wird dann zur großen Regiehoffnung, was sich dann später nicht erfüllt, aber zu dem Zeitpunkt ist es so, dass er in letztlich seinen gesamten Vorarbeiten von denen profitiert und es

Es ist dann richtig Schuld, naja, alle fragten ihn, kannst du das nicht machen und er kennt doch sein Werk so gut und er könnte es natürlich dann auch, das stimmt schon, gleichzeitig ist die Situation nicht aufzulösen und wie die sich treffen und wie dann so nach und nach die sich wieder näher kommen, das ist schon ziemlich gut gemacht, ja.

So gibt es mehrere Personen. Was auch, finde ich, interessant ist in diesem Roman, ist auch ein sehr spezielles Berlin-Porträt, weil diese Leute, von denen der Roman handelt, die hatten ihre große Zeit dann so in den 90er und Nullerjahren, als man in Berlin gewesen ist.

Wo die Welt noch vermeintlich offen war. Angeblich noch so toll war. Naja, so offen war es. Und das stimmt ja auch insofern, als dass es ein Spielfeld war. Alles war unfassbar günstig. Man konnte, vor allen Dingen, wenn man aus dem Westen kam, allerhand anstellen, nicht wahr? Und

Es fügt sich tatsächlich alles fester ineinander, fester zusammen und man sieht die ganze Zeit, wie so die Optionen immer stärker schwinden. Nicht nur durch das Lebensalter, sondern auch durch die faktische Geschichte. Das korrespondiert in diesem Fall miteinander.

Und das mochte ich ganz gerne, man mochte den Roman ganz gerne. Ja stimmt, dass da so eine Nostalgie nach einem wilden, es heißt dann alles noch umarmenden Leben und das wird dann eben in den 90er Jahren. Ich habe die 90er Jahre irgendwie so nicht wahrgenommen, ich weiß gar nicht warum.

Aber das stimmt schon. Weil es, glaube ich, ein Generationen-Pronomen gewesen ist. Das ist wahrscheinlich nur, wenn man wirklich jung war in den 90er Jahren, richtig jung, dann war es vielleicht so. Und ja, natürlich, es ist absolut ein Roman für alle, die jetzt bald 50 werden oder es gerade geworden sind. Und natürlich gibt es da auch so dieses...

Es gibt sehr viel Slapstick, sehr viel Lustiges, aber schon auch, ich fand schon auch was Existenzielles. Also es gibt eine letzte Chance. So wird das schon ein bisschen präsentiert. Aber die muss man schon auch packen. Und die muss man packen. Also man muss die, nicht vielleicht unbedingt gerade am Geburtstag selbst, wäre aber auch eine schöne Option. Also man muss diese letzte Chance ergreifen. Und wenn, dann wirklich auch sofort, sobald sie sich bietet. Also diese

Dieses Torschussgefühl, jetzt werden alle Türen langsam geschlossen und nun macht mal, setzt den Fuß rein, das ist da durchaus drin in dem Buch. Ja, ja. Und stimmt ja auch. Stimmt ja auch.

Da ich nun schon weit hinter diesem Tor bin, kann ich das nicht mehr so ganz beurteilen. Aber auch da nehme ich es zur Kenntnis, dass es offenbar für die 50-Jährigen heute sich so anfühlt. Es gibt einen sehr schönen Schlusssatz. Je älter wir werden, desto mehr geht es um das, was wir verlieren können, weniger um das, was es zu gewinnen gibt.

Das ist eigentlich sehr schön, ne? Ganz bestimmt. Okay. Ja, kommen wir zu unserem Klassiker. Werbung.

Vor fünf Jahren begann in Deutschland der erste Corona-Lockdown. Zwei Jahre lang waren wir im Ausnahmezustand und das hat Spuren hinterlassen bis heute. Was können wir aus der Zeit lernen? In unserem neuen Podcast War da was? Geschichte einer Pandemie diskutieren wir drüber. Unter anderem mit dem Virologen Christian Drosten, mit dem damaligen Chef des RKI Lothar Wieler und mit der Ethikerin Alena Bück.

Ich bin Maria Mast, Wissensredakteurin bei ZEIT online und ich würde mich sehr freuen, wenn Sie reinhören. Waderbas hören Sie auf ZEIT online und überall da, wo es Podcasts gibt. Der Klassiker In diesem Fall, es ist natürlich ein Klassiker, aber er ist wirklich gerade auch neu erschienen.

Und zwar ist es von Simone de Beauvoir die Mandarins von Paris. Auf Deutsch darf man vielleicht auch sagen die Mandarine von Paris, aber hier steht eben auch die Mandarins von Paris. Und das Tolle ist, es ist eben nach fast 70 Jahren neu übersetzt worden ins Deutsche von Amélie Thoma und Claudia Marquardt. Und ich finde wirklich...

Das hat sich absolut gelohnt. Das liest sich so frisch, das liest sich so heutig. Also das ist ganz toll, jetzt nochmal zu diesem neu übersetzten Roman zu greifen. Was ist das für ein Buch? Also das ist eigentlich das wichtigste Romanwerk von Simone de Beauvoir.

1954 erschienen. Und es fängt gleich an mit einer Weihnachtsfeier. Und zwar einer Weihnachtsfeier, die 1944 schlug. Also nach der Befreiung. Das erste Mal ein Weihnachten in Freiheit.

Und es wird immer gesagt, und ich glaube auch, dass man das so sagen kann, das ist ein Schlüsselroman, dieses Buch. Also es spielt eben wirklich unter den Menschen, die sie kannte, mit denen sie gelebt hat. Natürlich hat sie das alles abgewandelt. Ja, ja, und die Personen verändern sich auch. Ja, hat das in eine fiktionale Form gebracht, das ist keine Frage. Aber der Roman ist eben oder liest sich auch deswegen so spannend, weil es natürlich wirklich auch ein Porträt dieser Zeit ist, dieser Menschen ist, dieser Lebensgefühle.

dieses Versuchs, alles neu zu machen, anders zu leben, anders zu lieben vor allen Dingen auch. Hier geht es auch sehr viel um Liebesbeziehungen zwischen diesen Figuren, aber auch um die Verantwortung von Intellektuellen, unmittelbar nach dem Krieg, wo diese Generation ja wirklich das Gefühl hatte, die Politiker haben versagt, wir kommen aus einer absoluten Katastrophe und jetzt braucht es uns.

Das spielt ja auch in den Kreisen. Selbstverständlich müssen dann auch die Namen fallen. Jean-Paul Sartre, Albert Camus, Arthur Köstler. Also alle mit denen Simone de Beauvoir damals in diesem Nachkriegsparis gelebt hat. Die kommen hier natürlich verwandelt und nicht eins zu eins. Aber die Positionen sind relativ klar verteilt. Genau, kommen sie in diesen Romanen unter Namen wie Robert Dubreuil oder Henri.

Man erkennt auch sie selber in dem Roman, in der Figur der Ann, die in vielen Kapiteln die Ich-Erzählerin ist. Und es geht vor allen Dingen eben darum, wie bringen wir unsere Welt voran? Was ist die Verantwortung von uns Intellektuellen? Die fühlten sich unendlich verantwortlich, muss man wirklich sagen. Sie waren eben zum Teil, kamen sie wie Camus noch aus der Résistance raus,

auch die Zeitung, für die Camus ja verantwortlich war, sowohl im Widerstand als auch in der Nachkriegszeit. Der Combat kommt hier vor als Espoir. Also jedenfalls irgendwie. Was heißt denn Mandarin eigentlich? Ja, gute Frage.

Also das sind chinesische Weisheitsfiguren, ein bisschen komischer Titel eigentlich. Ja, aber es sind Begriffe, intellektuelle. Ja, es ist so ein Bild aus dem alten China-Kommen. Und ist das schon ironisch gemeint bei Ihnen?

Das glaube ich nicht. Also sie wusste, glaube ich, einfach keinen Titel. Das ist ein Titel, der ist Lanzmann eingefallen, offenbar. Sie selber hatte, glaube ich, die fallen mir jetzt nicht an. Claude Lanzmann, mit dem sie auch zusammen war. Mit dem sie später auch der einzige Mann, der je in ihrer Wohnung leben durfte. Hat er immer gesagt, ja, genau. Das stimmt.

Also leben durfte. Übernachten vielleicht öfter. Der lebte dafür für einige Zeit. Wie auch immer, sie hatte keinen guten Titel. Sie haben sie halt denen genommen. Keine Ahnung. Zum Teil ist das ja auch ein bisschen selbstironisch. Es ist keine Heldengeschichte. Es geht also eher auch sehr ehrlich um die Ratlosigkeit.

Darum, dass sie das Gefühl hatten, damals an Bedeutung zu verlieren. Obwohl sie die Zukunft gestalten wollten, das spürt man eben alles. Es ist ein Roman, der sehr viele Widersprüche zulässt. Deswegen ist er auch heute noch so lebendig. Es ist keine Siegesgeschichte, obwohl, finde ich, da ich ja nun mal...

lebenslang eine unbelehrbare Camus-Anhängerin bin, finde ich, dass Sartre zu gut wegkommt in diesem Buch. Ja, als jemand, der sich auch noch belehren lässt und so weiter. Es gibt ja auch ein paar Sachen im Roman, die anders sind als im wirklichen Leben. Es kommt ja zu einer Versöhnung hier zwischen Camus und Sartre, was dann im faktischen, glaube ich, so nicht stattgefunden hat. Ganz im Gegenteil, ja. Finde ihn sehr, sehr stark. Ich war auch überrascht davon. Ich kannte ihn vorher nicht, habe ihn...

gelesen und war überhaupt von der Raffinesse auch nochmal sehr überzeugt, mit der sie schreibt. Also beispielsweise, dass diese Anne sowohl aus der Ich-Perspektive schreibt, dann aber auch aus der Perspektive von anderen betrachtet wird. Das irgendwie eine tolle multiperspektivische Szenario auch ergibt. Und es werden mal

mal indirekt Themen auch angesprochen der Zeit natürlich, die Rolle der Frau, wie man früher gesagt hätte, das spielt hier natürlich eine große Rolle und das ist auch kein Zufall bei Simone de Beauvoir. Da ist es manchmal aus heutiger Sicht vielleicht etwas zu ausführlich, manchmal werden manche Debatten beschrieben, aber auch völlig in Ordnung. Es ist vor allen Dingen die Frage, wie geht man mit der Sowjetunion um?

Das ist natürlich essentiell gewesen. Wo steht Frankreich? Werden wir, wie es an einer Stelle hieß, irgendwie kolonialisiert von den Amerikanern oder überrannt von den Sowjets? Und wie verhält man sich überhaupt zu diesem linken Projekt des Ostblocks und so? Da merkt man, dass Henri Sartre natürlich derjenige ist, der schonungslos aufzeigen will, wie so stalinistische Schauprozesse und andere Widerwärtigkeiten sind.

sich vollziehen im Osten, während es eine große Fraktion gibt, um dann du Bré, also Sartre, das alleine schon um die Linke nicht zu schwächen, ist ja auch so ein altes Argument, was man immer wieder heute hört. Um dem Feind nicht in die Hände zu arbeiten. Es nutzt ja nur den anderen, deswegen sprechen wir am besten nicht darüber. Sozusagen kennen wir das Argument bis heute.

Darüber entzweien die sich natürlich auch. Und haben sie sich im wirklichen Leben auch unversöhnlich zerstritten. Darf man nicht vergessen, dass das wirklich die Auseinandersetzung war und dass Sartre in der Tat eine Phase hatte. Ich muss das zu seiner Ehrenrettung sagen, dass er nicht aus dieser Sackgasse wieder rauskam. Aber er hatte eine Phase, er ist sogar in die Sowjetunion gereist.

Und kam zurück und hat in Frankreich Interviews gegeben, wo er alles geleugnet hat. Die Leute leben in Frieden und Freiheit, wo er von den Schauprozessen, vor allen Dingen auch von den Lagern nicht gesprochen hat. Und das war Taktik, das war politische Strategie. Und die große Auseinandersetzung mit Camus ging eben darum. Für Camus war die Sowjetunion ein neuer Totalitarismus-Mitglied.

Also eine zweite Form des Totalitarismus und für Sartre eben nicht. Und das war eine damals sehr wichtige Auseinandersetzung. Die wird hier diskutiert und im Grunde, wie unerbittlich die diskutiert wird, zeigt eben auch,

wie wichtig die sich genommen haben. Also dass sie sich in einer gewissen Weise wirklich auch noch für intellektuelle Weltenlenker hielten, die von deren Meinung und von deren Publikationen das alles abhing, wie man das sieht. Bringen wir die Wahrheiten über die Lager, ja oder nein? Also das war wie auf einer UNO-Konferenz ging das dazu. Aber es waren in Wahrheit die Redaktionssitzungen ihrer Redakteure,

ihrer selbst gegründeten Zeitungen. Also dieses ein bisschen irre, dieses sich so wahnsinnig wichtig nehmen dieser Intellektuellen und dann natürlich auch große Diskussionen, ob eben Literatur sich nicht in den Dienst dieser politischen Auseinandersetzung stellen muss, war ja auch lange Zeit unerwartet.

Eine große Frage, muss Literatur sich nicht in den Dienst der Weltpolitik stellen? Darf sie denn eigentlich sorglos und was wir heute so besprochen haben, einfach nur heiter sein? Darf sie das überhaupt? Nicht nur die Literatur, sondern auch, und da wird es dann natürlich besonders dramatisch, auch der Journalismus. Da gibt es genau die zwei Fraktionen. Die einen sagen, ich mache ein Blatt, aber hier kommen unterschiedlichste Positionen vor und wir machen hier sozusagen eine offene Debatten-Schlacht. Und so natürlich mit einer gewissen Tendenz irgendwo hin, aber nicht...

Nicht im Sinne einer ideologischen Engführung von irgendetwas. Naja, die Position, die dann im faktischen Leben von Camus übernommen hat, steht da auch im schroffen Gegensatz zu Sartre. Wobei das natürlich auch, das müssen wir schon sagen, eine Pariser Spezialität ist, über was wir da reden. Also dieses...

Diese Selbstüberschätzung der Intellektuellen als die eigentlichen politischen Weichensteller, das hat es glaube ich so in Deutschland nie. War bei Günter Grass vielleicht ein bisschen.

dass Frankreich natürlich in Wahrheit gar nicht zu den Siegermächten gehörte, sich aber immer noch so den Anschein geben musste, eine große Siegermacht zu sein. In Wahrheit aber natürlich wie Deutschland auch von den Amerikanern.

befreit wurde und das, also dieses, auch dieses anti-amerikanische Ressentiment, was hier eine große Rolle spielt. Die fahren ja alle nach, alle reisen nach Amerika. Vor allen Dingen diese Ann hat dann eine große, wird auch kapitelweise wunderbar erzählt. Eine Affäre. Eine große Liebesaffäre in Amerika. Offenbar auch etwas biografisch nicht angelegt. Ja natürlich, Nelson Orgreen, dem das Buch ja auch gewidmet ist, der amerikanische Schriftsteller, war ja der jahrelange Geliebte von Simone de Beauvoir, aber

Eben dieses sich Abreiben an der wahren Siegesmacht Amerika, das ist schon alles sehr interessant, weil man spürt schon, dass sie im Grunde mit diesem welthistorischen Bedeutungsverlust, dass ihre Grande Nation ja im Grunde gar nicht mehr so grande war, sondern den beiden großen Weltmächten eigentlich auf der politischen Weltbühne weichen musste. Das haben die immer noch lange versucht,

glaube ich, mit ihrer Intellektualität und ihren wichtigen Publikationen zu überbrücken oder zu kompensieren. Auf der anderen Seite, man darf nicht vergessen, es hatte ja vielleicht auch deswegen eine unglaubliche Energie, die noch einmal von der französischen Literatur ausging nach 1945. Also ich meine, die haben ja wirklich...

Wahnsinn. Mich hat es bis heute nicht losgelassen, na klar. Spezifische Form auch der öffentlichen Intellektualität, die auch der öffentliche Raum Paris natürlich dann gewesen ist. All die Cafés, die man jetzt noch besichtigen kann und besuchen kann. Und ich finde auch ganz wichtig, und das ist ja das zweite sehr breit Erzählte, ist natürlich schon auch neue Lebensformen finden. Das ist auch wichtig.

in der französischen Literatur viel radikaler durchgeführt worden. Auch zu beschreiben, wie kann man anders leben als diese kleinbürgerliche Form mit Mutter, Vater, Kind, diese ganze Wie kommen wir da raus? Gibt es die freie Liebe? Gibt es die offene Beziehung? Alles Dinge, die dann natürlich ab 68 auch in Deutschland virulent wurden. Aber das ist viel, viel früher

Also dieser Roman ist eben schon 1954 erschienen und hier gibt es schon ganz wilde, freie Beziehungen und natürlich auch Menschen, die darunter sehr leiden. Also es gibt auch Frauen, die darunter zerbrechen. Diese Paul, das ist die Ehefrau von Henri, hinter dem Camus steckt. Also Frauen, die das überhaupt nicht aushalten, weil sie eben an ihren Männern hängen und sie nicht mit anderen Frauen teilen wollen. Also das ist alles wunderbar ausgebreitet, auch in dem, was es an Leid und Schmerz dieser

Auch diese sexuelle Revolution, was es an Leid und Schmerz mit sich gebracht hat und an Überforderung, auch vor allen Dingen für die Frauen in diesem Buch. Ja, auf jeden Fall. Ja, schön. Sollte man lesen. Ist was jetzt für die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr? Haben wir doch fast nur Empfehlungen. Absolut diesmal, ja. Ja, ist ja auch ganz gut. Jetzt haben alle Zeit. Jetzt muss man sich nur noch kaufen.

Hat unglaublich viel Spaß gemacht heute. Ich hoffe, dass Sie auch da draußen ein schönes Weihnachtsfest haben werden und gut ins neue Jahr rutschen. Und dann hören wir uns wieder. Und in zwei Wochen kommt unser Kollege aus dem Sachbuch, Alexander Kammern. Der hat wie immer derzeit einen Gast mit dabei. Ja, und wir sehen uns wieder im nächsten Jahr. Tschüss. Was liest du gerade? Ein Podcast von Zeit und Zeit Online. Produziert von Polartis. Musik