We're sunsetting PodQuest on 2025-07-28. Thank you for your support!
Export Podcast Subscriptions
cover of episode Zauberberg an der Ostsee

Zauberberg an der Ostsee

2024/11/16
logo of podcast Was liest du gerade?

Was liest du gerade?

AI Chapters Transcript
Chapters
Iris Radisch und Adam Soboczynski diskutieren über Botho Strauß' neues Buch 'Das Schattengetuschel', das eine Mischung aus früheren Themen und neuen Reflexionen darstellt.
  • Botho Strauß wird 80 Jahre alt und veröffentlicht 'Das Schattengetuschel'.
  • Das Buch reflektiert frühere Themen wie in 'anschwellender Bocksgesang'.
  • Strauß zeigt in seinen neuen Arbeiten eine größere Nachdenklichkeit über seine früheren Positionen.
  • Das Buch besteht aus Aphorismen und kurzen Szenen, die stilistisch beeindruckend sind.
  • Strauß' Erzählposition bleibt moralisch anspruchsvoll und überheblich.

Shownotes Transcript

Ja, herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Was liest du gerade? Der Bücher-Podcast der Zeit.

Mein Name ist Adam Soboczinski und ich spreche wie immer mit meiner Kollegin Iris Radisch über neue Bücher und über alles, was uns sonst in der Welt einfällt, die mit Literatur zu tun hat. Hallo Iris. Hallo Adam. Wie immer haben wir vier Bücher und ganz am Anfang steht immer ein Zitat, wo wir nicht verraten, woher es kommt. Der erste Satz.

Der allzeit Unzeitgemäße, der allen Ernstes glaubte, anderen mit seinen unbequemen Moralitäten auf ihre eingeschlafenen Füße treten zu müssen, hatte durchaus nicht bemerkt, dass diese Füße sich in Wirklichkeit mit äußerst aparten, flinken Tanzschritten bewegten. Und ausgerechnet in ihren kunstvollen Ruhestellungen war er draufgetrampelt.

Ja, so lautet dieses Zitat. Nicht ganz hundertprozentig eingängig, aber doch recht poetisch, findest du nicht? Ja, also wer könnte dieser Allzeit-Unzeit-Gemäße sein, der sich da so reuevoll auf offenbar zurückliegende Trampeleien bezieht, wo er nicht feinfühlig genug war zu sehen, dass die Menschen, denen er da...

moralisierend gegenüber tritt, vielleicht doch ganz leichtfüßige Wesen sind und dieser Moralisierung gar nicht bedürfen. Also wer könnte das sein, wenn wir sagen, wir wollen das zunächst mal ganz allgemeingültig besprechen, dann passiert einem das ja oft, dass man ein Trampel ist, würde ich sagen. Also ich glaube, jeder hat das schon mal erlebt, ich auch.

Dass man moralisiert, dass man trampelig ist, dass man glaubt, im Recht zu sein und einfach die Position des anderen dabei nicht sensibel genug wahrgenommen hat. Ich glaube, das kennt absolut jeder. Welcher Vorfall hier gemeint ist, ist natürlich das große Rätselraten. Iris, mach es mal konkreter bei dir. Mich würde interessieren, welche Situation dir denn einfällt, wo du voreilig oder zu rabiat fühlst.

Also jetzt unabhängig von unserer Sendung, wo das ja sehr häufig geschieht, aber wo du sozusagen sehr rabiat jemandem gegenüber gewesen bist und dann hinterher gedacht hast, naja...

Mit ein bisschen Abstand der Zeit war es doch nicht so ganz gewesen. Das ist mir, glaube ich, in meinem Literaturkritikerinnen-Dasein häufiger passiert. Also ich erinnere mich, wenn du jetzt so meine Sünden wissen willst, erinnere ich mich an eine frühe Rezension des Schweizer Autors Paul Nison, den ich fertig gemacht habe und für einen kitschigen und völlig unlesbaren Autor angehalten habe und auch...

darüber geschrieben habe, über sein Frühwerk, wie furchtbar das sei. Und da muss ich sagen, da war ich einfach jung, rechthaberisch, habe nicht wirklich gesehen, um was es ihm da ging. Mir ist dieser Kind schrecklich auf die Nerven gegangen. Und da würde ich auch sagen, dass ich heute sagen würde, dem bin ich ein bisschen ungerecht auf die Füße getreten. Und wenn er mich denn jetzt hört, kann ich ihm sagen, das tut mir leid. Als Beispiel.

Ja, ja, dass man hinterher, ja, aber ich habe das Gefühl, dass dieses Zitat noch etwas allgemeiner ist. Es steht ja

Der Allzeit ungeahnt, zeitgemäße, gut, das ist ja klar. Dass man auf die Füße getreten ist, weil man die Gegenseite für eingeschlafen, für kaputt, für unbeweglich gehalten hat. Und in Wahrheit waren sie beweglicher als derjenige, der das gedacht hat, der sozusagen diese Vorwürfe betrieben hat. Das ist ja auch interessant, dass man jemanden für viel zu beobachten

bockig empfunden hat, das Gegenüber, als es viel zu bockig empfunden hat und dann doch festgestellt hat, naja, ganz so leicht darf man es sich nicht machen. Und sehr häufig, das ist ja das Schreckliche, dass einem erst im Nachhinein eigentlich so bestimmte

Naja, Fehlschlüsse auffallen. Wir können ja verraten, von wem es ist. Das sollten wir auch unbedingt, weil sich dann auch ein wenig der, spricht ja hier über sich in der dritten Person, der Allzeit-Unzeitgemäße. Es gibt ja natürlich ein paar Autoren in Deutschland, die sich besonders unzeitgemäß auch dargestellt haben, sich als solche auch verstanden haben. Gibt es mehrere, aber der berühmteste ganz bestimmt ist Boto Strauß.

Ist das ein Autor, der dir zugesagt hat, Iris, oder der dir zusagt, mit dem du etwas anfangen kannst? Also natürlich in dem Fall ganz sicher mit dem Frühwerk. Anders als bei Paul Nison ist das Frühwerk natürlich etwas, was mich sehr begleitet hat. Auch die Theaterstücke, die dann an der Berliner Schaubühne uraufgeführt wurden.

Und dann kam eben diese, ja, ich weiß nicht, ob es eine Wende war für ihn, so weit würde ich vielleicht nicht unbedingt gehen, aber doch seine eher kulturell-politischen Stücke, wo er sich so doch als sehr konservativ, sehr zeitkritisch verliebt.

gezeigt hat, eben vor allen Dingen der anschwellende Boxgesang, der im Spiegel 1993 veröffentlicht wurde. Ja, ein Essay, der abgerechnet hat mit dieser Bundesrepublik, mit ihrer eben die eingeschlafenen Füße, mit ihrer Eingeschlafenheit, ihrer Freundlichkeit, Friedlichkeit, ihrer Verschlafenheit.

Das habe ich damals nicht richtig verstehen können, weil im Grunde uns doch dieses friedliche und nicht heroische und nicht tragödiale und eher humorvolle und leichte und am Westen, an Frankreich, an Amerika orientierte Deutschland doch zugesagt hat. Von dem haben wir doch alle profitiert und

Damals konnte ich nicht ganz verstehen, warum, das wurde ja dann auch in dem Essay genannt, warum das Tragische fehlte, warum das Heroische fehlte, warum das Mythische fehlte, gar das Blutopfer, von dem in diesem Essay die Rede war. Da habe ich ihn ein bisschen verlassen und auch später in seinen Werken, die

die ja immer diese zweite Ebene des Mythischen hatten. Da habe ich nicht mehr ganz verstanden, warum diese schönen kleinen Dramolette, die er dann mehr und mehr geschrieben hat, warum die alle diese mythische, urzeitliche Ebenen

Ich habe es nicht verstanden. Und ob das jetzt wirklich eine späte Reue ist, das weiß ich nicht. Es ist eigentlich ja nur eine kleine Anekdote in so einem neuen Anekdotenbuch, als die große neue Kehre in seinem Werk beginnt.

so hochwürdig ist, vielleicht nicht veranschlagen. Was meinst du, Adam? Naja, ich habe es mir schon angeschaut. Das Buch heißt Das Schattengetuschel. Es ist jetzt gerade bei Hansa erschienen. Im Übrigen feiern wir auch seinen Geburtstag, nicht wahr? Er wird jetzt 80, Boto Strauß und

Ich finde schon, dass dieses Buch bemerkenswert ist, weil es, was das anbetrifft, was seine früheren Texte anbetrifft, die ja auch so ein bisschen dieses, ja, so etwas berüchtigt sind wie anschwellender Boxgesang oder auch der letzte Deutsche ist auch so ein Essay, der erschienen ist 2015 und bezog sich da durchaus auf die Migrationskrise.

Davon nimmt er es schon jetzt auch nicht so häufig, dass meinungsstarke Autoren auf einmal zu einer größeren Nachdenklichkeit über das, was sie einmal geschrieben haben, fähig sind. Die meisten sind ja doch eher sehr, gerade wenn es um heiß umkämpfte Positionen sind, doch eher, beharren sie viel stärker auf ihren Positionen. Er schreibt beispielsweise natürlich, dass die Gesellschaft in ihrer Zeit

Beweglichkeit, in ihrer Reformfähigkeit, dass er die unterschätzt hat und das finde ich ist schon interessant. Im Übrigen ist das auch wieder so ein Buch, erinnert, eigentlich setzt es das Projekt fort, was mit Paare und Passanten, ich glaube es erschien 1981,

Erschienen ist also diese kurzen auch Aphorismen oder Szenen und Bilder, die es gibt. Das ist schon noch einmal ziemlich stilistisch, natürlich wahnsinnig beeindruckend. Ja, nicht nur stilistisch, das ist fast schon zu eng gefasst, sondern da steht ja eine echte Poetologie dahinter. Es geht ihm ja darum, so etwas wie durch den Stil, durch die Darstellung. Ja, das ist ja auch wirklich Teil seines Stils.

Teil seines, sagtest du? Dass diese Alltagsbeobachtungen, ich nannte es ja schon die kleinen Dramolette,

Das ist wirklich ein, vielleicht sogar der stärkste rote Faden in seinem ganzen Werk. Eben »Paare Passanten« war vielleicht ein früher Versuch, aber das zieht sich auch durch das ganze Alterswerk. Immer diese kleinen Szenen, die dann aber eigentlich doch immer mehr für ein großes Ganzes stehen, also die eben nie nur die kleine Anekdote sind.

Aber auch hier, würde ich wieder sagen, hat er eigentlich die alte Position, also dass derjenige, der da schreibt, doch von einer höheren Warte betrachtend auf dieses irdische Geschehen, auf dieses irdische Gewusel, irdische Geplänkel da unten guckt und sich seine Gedanken macht, dass eben, das ist ja auch der Titel, für Schattengetuschel hält. Also auch hier ist am Ende wieder doch so ein

herausgehobene, also erhöhte Erzählposition, die eben sehr viel Bescheid weiß, die also Einblick auch ins Mythische hat,

Ein Blick in antike Mythen, ein Blick in die Weltliteratur und sozusagen immer die Brücke baut ins literarisch-philosophisch-mythische. Das ist eine interessante und eben natürlich auch stilistisch sehr anspruchsvolle Erzählposition, die aber nicht ganz frei von dem eigentlich jetzt beklagten Moralismus ist, weil er auch in dem neuen Buch ja die Heute-Anbeter, also die Leute, die ganz in der Gegenwart stecken, die diese erhöhte Position haben,

nicht mitreflektieren. Da ist schon nach wie vor, finde ich, das darf er ja, das meine ich gar nicht kritisch, aber da ist eigentlich nach wie vor eine moralische Überheblichkeit. Werbung.

Wo soll's denn hingehen? Vielleicht zu Zielen, die sich langfristig auszahlen? Mit der Allianz Lebensversicherung habt ihr einen Partner an eurer Seite, der große Ziele verfolgt. Denn die Allianz investiert einen Großteil der Beiträge in ein Kapitalanlageportfolio, das sich unter anderem durch drei Dinge auszeichnet. Stabilität, Renditechancen und Zukunftsfähigkeit. Informier dich jetzt auf allianz.de slash deinweg.

Also, wir kommen jetzt zu unserem ersten Buch. Das hat geschrieben Joachim Mayrhoff und es heißt Man kann auch in die Höhe fallen. Gerade erschienen bei Kiepenheuer und Witsch. Joachim Mayrhoff ist ein wahnsinnig bekannter Schauspieler.

Er ist nicht nur Schriftsteller, er ist zunächst einmal bekannt geworden als Schauspieler, als sehr gefeierter Schauspieler am Wiener Burgtheater, ist dann später nach Berlin gezogen und hat für die Schaubühne gearbeitet und hat eine unglaublich treue und riesige Fan- und Lesegemeinde. Er hat nämlich fünf Bücher insgesamt geschrieben vor diesem Jahr.

die sich an seiner Biografie entlang lesen lassen und die sind so versammelt unter dem Obertitel Alle Toten fliegen hoch und wir haben jetzt das Neueste, man kann auch in die Höhe fallen, heißt das jetzt. Ja, was ist das für ein Romanprojekt und wie gefällt dir dieses Buch, Iris?

Also das habe ich mit sehr viel Freude, auch sehr viel Lachen zwischendurch immer wieder gelesen. Das ist sehr unterhaltsam geschrieben, aber es ist kein Unterhaltungsbuch. Also es ist wirklich wie immer bei Joachim Meyerhoff wunderbar gemischt. Also das Anekdotische, das Pointierte und aber auch das, was...

was richtig existenziell ist, was ihm selbst unter die Haut gegangen ist, das vermag er wirklich wahnsinnig gut zu mischen. Von einem Satz zum anderen kommt er eigentlich in

In dem Fall wirklich vom Tragischen zum ganz Leichten. Und das fällt ihm überhaupt nicht schwer. Ich mochte auch schon seine anderen Bücher, wo er aus seiner Jugend erzählt hat, aus seinem Amerika-Aufenthalt, den er als Schüler hatte, wo er von dem tragischen Tod seines einen Bruders erzählt. All das fand ich schon unglaublich gut gemacht, also faszinierend.

Ohne viel Aufwand, ohne dass er da wirklich versucht, jetzt sich so einen hochliterarischen Stil zuzulegen. Es ist eigentlich relativ einfach erzählt, aber...

Sehr geschmackvoll, irgendwie nie sentimental, nie kitschig, nie zu aufgedreht. Also er findet eigentlich eine wunderbare Erzählbalance und das ist auch hier wieder der Fall. Allerdings fällt der Roman, also der sechste in dieser ganzen Reihe, für mich doch ein bisschen raus, weil mein Gefühl ist, ihm ist so sein Thema nicht abhandengekommen, sondern er hat es abgeschlossen.

Er hat eigentlich bis zur Gegenwart jetzt erzählt. Er hat seine Jugend erzählt, die Geschichte seiner Eltern erzählt und, und, und. Er hat von seinem Schauspielerwerden erzählt. Und jetzt ist er ein, sagtest du ja, ein mega erfolgreicher Schauspieler, ein mega erfolgreicher Autor. Und irgendwie weiß er nicht so richtig, wie es weitergeht. Er ist jetzt nach Berlin gezogen und hat eine Lebenskrise. Auch davon, er hat schon ein Band erzählt, er hat ja einen Schlaganfall erlebt.

Und er ist jetzt wirklich in einer entsetzlichen Mitleidkreise. Er weiß weder, wie es im Theater weitergeht, soll er diese Festanstellungen mit 56 und immer noch Urlaubsscheine ausfüllen, um mal ein bisschen frei zu haben. Soll das wirklich so weitergehen? Über was soll er noch schreiben? Er hat alles auserzählt über die Gegenwart, über seine Kinder, über seine zwei Ehen. So richtig will er darüber nicht schreiben. Er findet Berlin schrecklich erschreckend.

Er sagt, hier wird man ja nur angebrüllt, überrollt, gemaßregelt. Es ist eine ganz entsetzliche Stadt. Also er hat eine richtige Krise.

Und er hat auch eine Schreibkrise. Er weiß nicht so richtig, über was er schreiben soll. Und das macht er aber wieder wunderbar selbst zum Thema und sich als den scheiternden Schriftsteller dabei gleich mit. Ja, ich habe ja das Gefühl, dass das ein besonders gelungener Roman ist, auch gegenüber den Vorliegenden, weil er macht den Mangel, also das Problem, was er hat, dass er eigentlich eine Schreibkrise hat,

selbst wiederum produktiv, auf ganz besondere Weise. Er thematisiert es ja und es ist ja urkomisch. Da haben wir diesen Mann Mitte 50, der ist also ziemlich am Ende mit seiner Kraft und seiner Energie, hat ständig diese Wutausbrüche, ist auch Ehe und Kinder, ja ist jetzt nichts kaputt, aber schon alles sehr angespannte Situationen, weil er oft sich nicht im Griff hat und

Er zieht dann, um wieder zu schreiben und auch überhaupt, um zu sich selbst zu finden,

Zu seiner Mutter für eine Weile. Und diese Mutter ist eine 86-jährige Frau, die sich als deutlich fitter herausstellt als ihr Sohn, der aus dem letzten Loch pfeift, da irgendwo im Norden ankommt und dementsprechend irgendwie nicht mehr weiterweist. Und dann thematisiert der Roman das selbst, wie er versucht zu schreiben. Er fängt dann auf einmal an, dann doch Anekdoten zu erzählen. Und diese Anekdoten werden...

auch in diesem Buch dann abgedruckt. Also er baut dann darum eine Rahmengeschichte. Es ist eigentlich ein Buch über das Making-of eines Buches. Das ist natürlich relativ interessant und amüsant auch. Und was ihn überhaupt auszeichnet, ist, dass er natürlich sehr humorvoll ist. Er ist ein Anekdoten-Erzähler in diesem Buch. Also es wird nicht einfach irgendetwas chronologisch erzählt, sondern...

Er ist da auf dem Land und erinnert sich an Szenen, an wahnsinnig grandiose, schreckliche Szenen beim Theater beispielsweise, wo er...

irgendwie auf der Bühne so leicht verdeckt hinter so einem Kasten irgendwie onanieren muss, beispielsweise weil der Regisseur irgendwie so eine tolle Idee hatte, was man machen könnte und so. Und das bitte auch in echt, was dann für peinliche Situationen sorgt. Dann geht es um Schulszenen, Erinnerungen daran, wie er eine Fahrradprüfung machen soll, was...

Ein ganz kleines, auf wenigen Seiten, ich glaube es sind so fünf, sechs, sieben Seiten, so das gesamte Panorama der alten Bundesrepublik, wie so eine Schulsituation eigentlich aussah und wie das sozusagen auszusehen hat. Und ja, das liest man irgendwie wahnsinnig gerne. Ich kann es nicht anders sagen. Es ist nicht so, dass jedes Mal eine riesige Pointe hinter diesen Geschichten steckt. Aber es gibt so etwas wie so eine...

Ja, wie so eine Art von Szenerie oder Stimmungsbeschreibung oder auch eigentlich so etwas wie ein, auch so eine historische Erkenntnis für die bestimmte Zeit, in der man gelebt hat. Und diese sehr offene Form, nämlich immer wieder neu anzusetzen, fast wie ein Kneipengespräch. Und weißt du, wie das war damals 1995, als ich da diesen...

Schauspieler getroffen habe, der sich dann in mich verliebt hat und so. Das war eine furchtbare Situation. Ich erzähle es dir mal, wie die gewesen ist. So ungefähr funktioniert dieses Buch. Also diese Szene kommt jetzt auch vor. Und gleichzeitig wird immer wieder die Gegenwart eingeblendet, also die Gegenwart des Romans, wo er mit seiner Mutter letztlich Gartenarbeit betreibt. Das vielleicht sogar...

fast das Allerkomischste, weil diese Szenerie bei der 86-jährigen Mutter an der Ostsee, die wohnt ja auf einem Gut. Da kann ich fast schon so was vorwegnehmen, was bei uns jetzt noch kommt im Podcast. Das wird für ihn zu einer Art Zauberberg, weil er ja da ganz ablöst von der sonstigen Welt, von seinem Alltag, in der Natur ist, bei der alten Mutter ist.

Und das ist so eine Art Heilanstalt, kann man sagen. Die Mutter fragt nicht groß, er muss gar nicht sagen, warum es ihm so schlecht geht, aber sie serviert immer zu derselben Stunde, das ist wie in einem Kurheim, immer zur selben Stunde werden die heilenden Getränke, in diesem Fall Whisky, serviert. Dann fährt man zu Meerbädern, also auch das sehr therapeutisch. Gartenarbeit wird verordnet, Fußmassage wird abgesichert.

Die Mutter als eine Meisterin in Fußmassage. Also das sind diese auch wirklich sehr lustig beschriebenen Heilmethoden, die hier am Ende des ja doch auch sehr langen Buches doch zu dem Erfolg führen, dass er ganz geheilt und wohlgemut in sein Berliner Familienleben, dem er ja auch ein Stück weit entflohen ist, wieder zurückkehrt.

Mit dem großen Entschluss, jetzt endlich beim Theater zu kündigen und ein freier Mensch zu werden. Also insofern auch wirklich ein gewisser Therapieerfolg sich ja eingestellt hat. Mutter und Sohn sich prächtig verstanden haben.

Und im Grunde auch die Schreibkrise gelöst ist, weil die Mutter ja unterwegs ihm durchaus den Rat gegeben hat, ja, wenn du nicht mehr weißt, über was du jetzt noch schreiben sollst, und sie nennt ihn ja immer Liebersohn, dann schreib doch einfach über mich. Und genau das hat er ja auch gemacht, hat ihr auch immer wieder vorgelesen aus dem entstehenden Buch. Einmal, als sie beide gemeinsam zu einer Lesung gefahren sind, war es dann sogar die Mutter, die aus dem entstehenden Buch dem Publikum vorgelesen hat, weil er...

immer noch nicht in der Lage ist, wieder den Schauspieler zu geben und aus seinen Büchern zu lesen. Er konnte das noch nicht und es war ein Riesenerfolg. Also all das, dieses Making-of wird eben in das Buch auch eingeblendet. Also all das ist sehr unterhaltsam erzählt.

Und sicherlich, ich weiß nicht, ob es sein bestes Buch ist, ich mochte natürlich die, wo er wirklich das Making-of seiner Persönlichkeit aufgedeckt hatte, die mochte ich schon sehr. Hier ist ein sehr erfolgreicher Autor, sehr erfolgreicher Schauspieler, der eben ein bisschen auch aus dem Nähkästchen plaudert und die lustigsten Begebenheiten sieht.

seines Lebens sehr humorvoll erzählt. Ja, ja, schon. Wobei die ja eine Funktion haben. Es ist nicht ganz so, das ist einfach nur, hier, ich erzähle jetzt mal ein paar lustige Geschichten aus meinem Leben, denn es ist ja ein Roman über das Schreiben selbst. Und das Schreiben selbst entsteht ja aus genau dem Anekdotischen, sehr häufig jedenfalls, sehr häufig aus dem Anekdotischen,

Weißt du, was mir passiert ist? Das ist eine typische Erzählhaltung. Das heißt, das ist nicht ganz belanglos. Er reflektiert es auch an einer Stelle. Er spricht ja auch von der Anekdote selbst als solche, als Gattung auch an einer Stelle. Das ist wie ein Gebirgsbach, wie eine Quelle, die man beim Wandern, wenn man etwas Längeres liest, zwischendurch muss man sich auch mal entspannen und ausruhen können. Im Übrigen, auch das ist natürlich amüsant,

Es ist ja so etwas, was man vielleicht Bildungsroman oder Entwicklungsroman nennen könnte, was hier stattfindet. Also ein Held tritt auf, der durch viele Lehren gehen muss, um sozusagen zum Erwachsenen-Dasein zu finden und zu einer Persönlichkeit, zu einer reifen Persönlichkeit, ja.

Hier findet sozusagen der Reifeprozess ab Mitte 50 statt, was die Gattung ein ganz kleines bisschen sprengt. Und das ist aber ja ganz weise, weil wir immer wieder aufs Neue, fürchte ich, nochmal ganz neu jedes Mal...

erlernen müssen, wie es mit unserer gegenwärtigen Situation so aussieht. Das heißt, es ist nicht mehr ans Lebensalter gebunden. Und das finde ich eigentlich ganz charmant, auch als Idee. Absolut. Also charmant ist sicherlich das schönste Wort, was man zu diesem schönen Buch sagen kann. Und natürlich auch ein wunderbares Mutterporträt. Diese 86-jährige Frau,

die sich von niemandem etwas sagen lässt, die ins kalte Meer springt, die auf jeden Baum klettert, die irgendwie so sorglos ist und ihn mit ihrer Lebenslust und Sorglosigkeit ansteckt. Also mir war diese Mutter manchmal fast zu perfekt. Die hatte ja überhaupt keine Schattenseiten. Das war eigentlich so eine Traummutter, wie sie jeder haben möchte. Und die

Die hat er nun mal und er hat sie auch sehr, sehr liebevoll beschrieben. Und es war ihm auch sehr wichtig, dass sie dieses Porträt zu Lebzeiten noch liest, da er diese sechs Bände seiner Autobiografie ja doch auch häufig von Familienmitgliedern handeln, die das nicht mehr lesen konnten, weil sie früh verstorben sind. Und ich glaube, das war ihm eine große Freude, der Mutter dieses Geschenk des liebenden Porträts noch zu machen zu Lebzeiten. So kam es mir vor. Okay.

Wunderbar. Gehen wir zu einem noch wieder, eigentlich noch mal autofiktionalem Buch und wieder eine lange Serie von autofiktionalen Büchern.

Also Bücher, die, vielleicht müssen wir das manchmal erklären, dieses Autofiktional ist ja so ein Modewort geworden in der Literatur. Also letztlich eine Literatur, wo man sein eigenes Leben reflektiert, aber wo es trotzdem fiktional in irgendeiner Weise dann trotzdem ist, nicht? Ja, wo man nicht genau weiß, ist das nun eine Romanfigur oder eine authentische Figur.

Also ich finde bei Meyerhoff und jetzt auch bei der Autorin, zu der wir jetzt kommen, da würde ich sagen, dass die fiktionale und die authentische Figur sehr nah beieinander liegen. Also unsere Autorin jetzt ist Tove Dietlefsen, eine dänische Autorin, die 1917 bis 1976 gelebt hat.

Und die eben ihre Kindheit, ihre Jugend beschrieben hat. Romane, die auch so heißen. Kindheit, Jugend, dann Abhängigkeit, Veränderung.

die ihr Erwachsenenalter, auch das Alter ihres schriftstellerischen Erfolges noch beschrieben hat in Büchern, die Suchtgesichter heißen. Und jetzt kommt zum ersten Mal auf Deutsch, aber noch mal neu übersetzt auf Deutsch, Wilhelms Zimmer. Das ist der Roman, den sie im Jahr vor ihrem Freitod geschrieben hat. Der ist, wie ich eben schon andeutete, eigentlich schon mal auf Deutsch erschienen, aber es ist ewig her, 40 Jahre her.

Und ist damals nicht so beachtet worden. Jetzt, seitdem sie auch ins Englische übersetzt wurde, hat sie plötzlich einen Welterfolg. Sie ist, kann man sagen, eine Vorläuferin der großen autofiktionalen Autoren und Autorinnen. Also von Annie Ernaux vor allen Dingen, aber natürlich auch von Knausgart. Viele vergleichen sie auch mit Sylvia Plath, also mit dem halb autobiografischen Roman »Die Glasklocke«.

Sie hat eine sehr, sehr traurige Lebensgeschichte. Sie ist ähnlich wie Annie Ernaux, kommt sie aus relativ armen Verhältnissen. Hier in ihrem Fall vielleicht sogar bitterarm. Annie Ernaux ja nicht ganz so. Vater Heizer, aber überzeugter Sozialdemokrat. Zur Mutter ein ganz schwieriges Verhältnis. Eine offenbar auch sehr strenge Mutter. Keine sehr liebevolle Mutter. Sie selbst hat...

war schon seit ihrer Jugend immer wieder von Psychosekrankheiten bedroht, war immer wieder in psychiatrischen Anstalten, war tablettensüchtig, hatte alle möglichen entsetzlichen Probleme, war viermal verheiratet, hatte drei Kinder von verschiedenen Männern. All das wissen wir eben nicht nur aus der Biografie, die inzwischen natürlich erschienen ist, sondern vor allen Dingen aus ihren eigenen Romanen.

Jetzt geht es eigentlich um sie, um sie in ihren letzten Lebensjahren und um sie am Ende ihrer letzten und vierten Ehe. Sie nennt sich aber nicht Tove Dietlefsen in dem Roman, sondern Lise Mundus, einen Namen, den sie sich schon in anderen Romanen gegeben hat.

Und ja, sie beschreibt sich in ihrer Verzweiflung. Ihr Mann hat sie verlassen, ein berühmter dänischer Chefredakteur. All das entspricht auch in dem Fall wirklich der Wahrheit. Sie ist sehr abgesichert, sie lebt in einer großbürgerlichen Wohnung mit Dienstmädchen, mit ihrem Sohn. Aber sie ist todunglücklich, sie kommt auch wieder in die Psychiatrie, hat wieder Rückfälle, wird wieder krank.

nimmt dann einen Mann in ihrer Wohnung auf, den sie per Heiratsannonce, ich glaube im Konkurrenzblatt, nicht im Blatt ihres Mannes, im Konkurrenzblatt gibt sie eine Heiratsannonce auf und nimmt einfach dann, weil es so praktisch ist, den Untermieter von der Witwe über ihr, der zieht dann bei ihr ein, aber einfach nur, damit jemand da ist. Und all das ist wirklich interessant, weil es ist natürlich tragisch und es endet auch ganz entsetzlich, traurig.

Aber ich finde, dass diese tragische Geschichte trotzdem mit einer gewissen Leichtigkeit, ich würde fast sogar sagen mit einem Witz, mit einer Selbstironie erzählt wird. Es gibt die unheimlich komischsten Passagen, wie sich dann beide zerstrittene Eheleute Psychotherapeuten nehmen und wie dann diese Psychotherapeuten sich gegenseitig bekämpfen. Bekämpfen.

All das entspricht übrigens auch wirklich den wahren Abläufen. Also das ist mit sehr viel Humor erzählt, Adam. Was sagst du? Ja, nein, ich kann dir ausnahmsweise wirklich nur zustimmen. Wir sind uns eh einig jetzt in dieser Folge viel zu sehr. Aber das können wir ja manchmal nicht ändern. Manchmal streiten wir uns auch nur. Ich finde, das ist ein wahnsinnig starkes Buch.

und es ist ja auch eine ganz seltsame Mischung, die da drin ist. Es ist ungeheuer drastisch, also dieser Alkoholmissbrauch ist selbst für das Milieu, für das Schriftstellermilieu beachtlich. Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass es so Künstler und Journalisten sind, geht es enorm heftig zu Sachen mit entsprechenden Folgen, nämlich Brutalität und diesen Ausrastern. Es ist ja eine Ehe, die schon kaputt ist, die zwischen dieser Lise und diesem Wilhelm

die ja natürlich auch mit körperlicher Gewalt einhergeht. Also es ist das, was man heute toxische Beziehungen nennen würde, ist da voll erfüllt mit allen Bestandteilen. Gleichzeitig natürlich, und das gehört dann eben auch dazu, natürlich offenbar auch eine große Liebe gewesen, eine enorme Anziehung, die es gegeben hat, was die Sache nicht einfacher macht, sondern im Gegenteil sozusagen überhaupt erst zu dieser dramatischen Konstellation kommt.

Und gleichzeitig werden so viele Themen berührt, so viele unterschiedliche Aspekte, die das Ganze zu einem Gesamtbild fügen, dass die beide aus proletarischen Zusammenhängen kommen. Du sagst es schon, wird ja thematisiert. Das heißt, da gibt es irgendwie so eine Art von

von Aufholbedürfnis etwas nicht Verdautes. Dieses Aufsteigertum wird auch nicht verkraftet so richtig von diesen Figuren. Die fühlen sich trotzdem immer wieder letztlich nicht gewertschätzt. Die können gar nicht richtig gewertschätzt werden. Fühlen sich auch ungeliebt, fühlten sich auch immer ungeliebt. Also da gibt es sozusagen so etwas wie so eine durchgängige Kränkung. Tablettensucht kommt noch hinzu. Und dann gibt es

immer wieder Szenen, die manchmal in so einmontierten Briefen beispielsweise auch gefunden werden, dort von Protagonisten zum Teil gefunden werden, manchmal einfach abgedruckt werden und da wird deutlich, was auch die wahre Ursache oder interessante Ursache auch von

Gewalt oder Abstoßung oder Trennung auch sein könnte. Dieser Wilhelm sagt einmal an einer Stelle, wenn ich jemandem wirklich wehtue, also wenn ich jemandem wirklich mal wehgetan habe, so habe ich die Szene verstanden, dann muss ich mich letztlich trennen. Vor lauter Schuldgefühlen wird er bösartig. Das heißt paradoxe Gefühle die ganze Zeit, ja.

Also im Prinzip, er verzeiht der Person, der er übles anrichtet, es nicht. Das heißt, ganz viele auch so seelische Paradoxien, die ausgebreitet werden, das ist schon auch recht manisch, muss man sagen. Also diese Unausgeglichenheit ist schon enorm. Ich habe das zuletzt, eigentlich ist mir das nochmal eingefallen, zuletzt in dieser

Künstlerbeziehungsdramatik zuletzt gelesen bei dem Briefwechsel, den wir ja auch im Podcast hatten zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch, wo das auch auf die Spitze getrieben wird, wie man sich heftigst und möglichst neurotisch lieben kann. Ja, da gebe ich dir völlig recht. Die Parallele sind interessant.

Wichtig ist ja auch, dass das ja zwei, eben sagst du es ja, kreative Menschen sind. Also gut, er ist Journalist, sie auf alle Fälle auch damals schon eine der berühmtesten Autorinnen Dänemarks. Und die waren, da er ein wirklich bekannter Chefredakteur war offenbar, die waren ein Prominentenpaar. Mit anderen Worten. Und das war ja auch ein bisschen vergleichbar bei Frisch und Bachmann, die ja auch große Autoren der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur. Und hier auch

Das wurde auch schon damals, das erfährt man eben dann in der Biografie auch, das wurde damals auch schon alles öffentlich verhandelt, was mit diesen beiden passiert. Dieser öffentliche Status wird ja auch wieder Thema in dem Roman. Die reflektieren das selber, dass sie mit ihrer scheiternden Ehe in der Öffentlichkeit stehen.

Zum Beispiel, und das entspricht auch wieder der Wirklichkeit, wird die Autorin ja von dem Chefredakteur des Konkurrenzblattes für ein unglaubliches Honorar aufgefordert, ihre Ehekrise literarisch zu beschreiben. Und das wird dann in, ich glaube, sieben oder acht Folgen im Konkurrenzblatt abgedruckt. Das alles hat wirklich stattgefunden. Irre, ne?

Und gibt der Sache natürlich noch mal so eine fast...

Wie soll ich sagen? So ein hysterisierendes Gewürz, was da noch mit dazukommt, eben durch den Blick der Öffentlichkeit auf dieses Paar. Ja, Dänemark scheint ja doch ein wildes Pflaster zu sein. Vor allen Dingen, was die Öffentlichkeit anbetrifft. Vielleicht ist es aber auch ein bisschen Signum der Zeit. In den 70er Jahren waren Schriftstellerinnen und Schriftsteller natürlich noch Portalsfiguren der Öffentlichkeit, was in diesem Ausmaß zumindest nicht mehr stattfindet. Also dass eine Lyrikerin in diesem Fall

derart zum Skandal wird in der Gesellschaft. Im Übrigen habe ich mir noch gedacht, dass sie diese Anzeige setzt, was ja tatsächlich passiert ist. Ihr Mann hat sie verlassen, sie braucht aber jetzt einen neuen und setzt es in die eigene Zeitung, im Übrigen des Mannes, wo der Mann Chefredakteur ist, setzt sie diese Anzeige. Die Artikel reiten in den anderen, was natürlich bewahrheitlich.

also ich meine brillant und famos ist. Ich dachte ja, ich bin mir natürlich vollständig sicher, dass sie sich damit auch im echten Leben natürlich in ein literarisches Programm eingeschrieben hat, denn es gibt dafür ein berühmtes Vorbild, die Marquise von O, natürlich, die auch per Anzeige zwar nicht einen Mann sucht, aber auch einen Skandal erzeugt, in dem sie sagt, sie wisse jetzt nicht, von wem sie schwanger ist, der Vater solle sich doch bitte melden und früher vorbeikommen.

Da haben wir so eine ganz ähnliche Situation. Also eine Frau, die alle Konventionen bricht, indem sie die größtmögliche Öffentlichkeit sucht und damit einen Skandal erzeugt. Und dann wird das wiederum im nächsten Schritt, nachdem es passiert ist, Teil eines Buches. Aber das eigentlich markerschütternde haben wir noch gar nicht erwähnt, nicht wahr? Das Buch handelt ja davon von einem Selbstmord. Sie bringt sich ja dann um, schließlich diese und

Ein Jahr später, damit wird der Selbstmord von Tove Ditlevsen vorweggenommen, denn das Buch erscheint 1975 und 1976 bringt sie sich tatsächlich um. Es ist hier schon wirklich präfiguriert, es ist hier schon sozusagen vorgeschrieben worden.

Also diese Wechselwirkung von Leben und Fiktion, die ist nun wirklich auf gruselige Weise sehr nah in diesem Buch, in vielfacher Hinsicht. Ja, das ist mir sehr schwer gefallen, muss ich sagen, als ich das immer stärker im letzten Drittel abzeichnete, worauf das Buch hinausläuft. Und ich natürlich wusste, wie du sagst, dass das eben wie alles in dem Buch eigentlich eins zu eins der Wirklichkeit entspricht.

Ist mir das schwer gefallen. Also vor allen Dingen in der Kombination, dass ja wirklich das Ganze auch damals schon öffentlich verhandelt wurde. Also dass ihr Liebeskummer, ihre Reflexion über das Ende dieser Ehe, auch dass sie schreibt, wenn er mich verlässt, werde ich mich umbringen. All das wurde damals schon öffentlich verhandelt.

Und auch hier in diesem Buch wieder gibt es, das hat mich, das ist vielleicht das Einzige, so ein Buch kann man überhaupt keinen Vorwurf machen. Das ist vollkommen unmöglich. Eigentlich entzieht sich das den üblichen Kategorien des Urteils, weil das ist einfach mit Lebensblut geschrieben. Aber wenn sie dann schreibt, genau wie mir,

Geht es auch meiner Heldin, gibt es auch für meine Heldin keine andere Freiheit mehr, als die Freiheit zu sterben und wie sie dann auch immer fast fröhlicher wird, als der festgesetzte Tag sich nähert und so. Also das...

Ist mir schwer gefallen, weil das natürlich ein Zeugnis einer vollkommenen Verzweiflung ist. Man ist hier quasi live dabei, das ist nicht mehr Literatur. Nein. Das ist schon Jenseits von, ja, da möchte man sie eigentlich nur noch rausholen und man weiß, es ist kein Roman, aus dem man sie rausholen muss, sondern man müsste sie aus ihrem eigenen Leben rausholen.

Also wie sie wirklich bis zum letzten Schritt alles beschrieben hat. Und soweit ich weiß, gibt es sogar einen Nachruf, den sie auf sich selbst verfasst hat. Also wie sie wirklich bis zum allerletzten ihr ganzes Leben so zur Literatur gemacht hat. Es ist eine, ja, es ist...

Es ist so nah an der Wahrheit, dass es einem manchmal die Kehle abwirkt, muss ich sagen. Gut, das stimmt. Ich meine, es ist ja jetzt ein paar Jahrzehnte her, deswegen gibt es für uns jetzt zumindest, glaube ich, schon noch eine größere Distanz als für Leute, die das 1976 gelesen haben. Da muss das, glaube ich, noch vollständig sozusagen seltsamer gewirkt haben. Aber ich finde schon, dass sie mit sehr stark literarischen Mitteln arbeitet. Das würde ich schon sagen.

Denn sie, was ja ganz interessant und auch literarisch fein gearbeitet ist, es gibt ja eine Erzählerin, die wiederum diese Lise beschreibt. Die beiden fallen aber an zwei, drei Stellen des Romans, gehen die so ineinander über als Figuren.

Man kann das durchaus so interpretieren, dass die Erzählerin diejenige ist, die letztlich diesen Selbstmord überlebt hat und fast als Gespenst schon wiederum schreibt. Weil sie sagt, auch sie lebt nur um diese Geschichte zu erzählen und nichts anderes mehr nur noch. Also fast schon so etwas wie eine Botschaft aus dem Jenseits, könnte man sagen.

Das bleibt ja so ein bisschen offen. Die Erzählerin ist ja eine völlig seltsame Figur. Sie bringt sich manchmal ein und wir wissen nicht warum. Und wir wissen auch nicht, warum sie manchmal die Rolle tauscht mit ihrer Protagonistin. Auf einmal kommt so ein Ich rein, was sozusagen gar nicht passt. Wo sie sich verrät, könnte man auch sagen. Hier spricht jemand, der das eigentlich ist. Und

Und das finde ich ist schon extrem faszinierend, auch etwas rätselhaft und ich glaube es hängt mit dieser fast schon, es weht da einen etwas an, als wäre Immanenz und Transzendenz nicht ganz immer sozusagen ganz klar getrennt in diesem Buch. Es ist ein Gespensterbuch auch.

Ja, absolut. Und ich denke, das hängt auch mit dem öffentlichen Blick ein bisschen zusammen. Sie sieht sich eben von innen und sie sieht sich von außen. Und das sind vielleicht zwei verschiedene Figuren, die hier auf dasselbe Drama gucken. Aber natürlich ohne diese Doppelung oder diese Aufspaltung in eine Figur und das erzählende Ich, wäre natürlich dieser Humor gar nicht da, der das Buch am Ende doch so wahnsinnig lesenswert macht. Werbung

Ich bin Sheda Saad. In Tausend und eine Nacht erzähle ich euch in jeder Folge eine andere Geschichte. Damit der König mich im Leben lässt, muss jede Geschichte spannender sein als die davor. Wir treffen auf Genies, auf Kaufmänner, Fischer, aber vor allem geht es um die kämpferischen Frauen. Es geht um Liebe, Abenteuer, Verführung, Angst. Es geht um Tausend und eine Nacht, der Hörspiel-Podcast. Am besten in der kostenlosen Deutschlandfunk-App. Musik

Ja, an vierter Stelle kommt ja immer ein Klassiker und wir haben diesmal einen ganz besonderen. Es ist schon das zweite Jubiläum in unserem Podcast heute. 80 Jahre Boto Strauß und 100 Jahre Zauberberg von Thomas Mann. Das ist natürlich einer der ganz großen, gigantischen Romane in deutscher Sprache. Vielleicht sogar der bekannteste Buch.

Ja, wovon handelt er? Er handelt davon, dass Hans Castor, der junge Mann aus Hamburg, aus einer Kaufmannsfamilie stammend, in die Schweizer Berge fährt, um seinen Vetter Joachim zu besuchen, der dort in der Bergwelt, in einer Art Bergkirche,

Klinik sozusagen zu sich selbst finden muss, hätte ich fast gesagt, gesunden soll, denn alle dort sind lungenkrank und es ist eine Gesellschaft von ganz seltsam morbidem Reiz, die dort versammelt ist, die skurrilsten Personen, weltabgewandt, ja, könnte man sagen und das Ganze findet statt, diese gesamte Geschichte im Vorfeld des Ersten Weltkriegs, also

kurz vor der großen europäischen, nicht nur europäischen, sondern letztlich auch Welttragödie, aber vor allen Dingen europäischen Tragödie, die stattfindet. Und diese Situation, diese Art von Verdichtung, von Stimmungsverdichtung, gerade in der Weltabgewandtheit, das zeichnet diesen Roman ungeheuer aus. Und ich habe den jetzt in den letzten Wochen mir noch einmal vorgenommen und fand...

in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Vor allen Dingen auch, weil man natürlich solche Bücher, die kurz vor so großen Entscheidungen spielen, wie dem Ersten Weltkrieg, Entscheidungen nicht, ich meinte damit natürlich Tragödien, aber kurz vor der Entscheidung, dass man in den Krieg zieht, führen, vor der Tragödie, vor der Entzivilisierung letztlich der Welt, dass

Da sucht man natürlich immer Parallelen für unsere Gegenwart, weil wir uns auch vermuten oder manchmal auch so empfinden, als würden wir vor einer großen Gefahr stehen. Vielleicht denken wir das auch zu Recht. Und

Und es gibt in diesem ganzen Set ein Figurenpaar, was immer wieder auftritt, manchmal einzeln, manchmal zusammen, die miteinander ringen und streiten und sich ganz am Ende auch noch duellieren werden, nämlich Ludovico Settembrini und Leo Nafta. Und die stehen für zwei verschiedene Prinzipien. Vielleicht magst du das noch etwas erläutern, Iris.

Ja, also das sind ja beides schon ältere Herren, sehr gebildet, die sich um Hans Castorp und seinen Vetter, die beide noch ganz jung, Anfang 20 sind und eben beide aus Hamburger Kaufmannsfamilien kommen und eigentlich durchaus nicht ungebildet, aber doch eher, naja, eben, ja.

der einfachere Naturen sind. Der eine möchte gern zum Militär, der andere möchte Schiffsbauingenieur werden. Also die haben mit großen philosophischen Theorien erstmal nicht viel am Hut. Aber diese beiden, eben beide auch Patienten da auf dem Zauberberg, beide krank sind.

Die nehmen sich an und die liefern sich unglaubliche Wortgefechte. Also dieser Roman ist natürlich zu großem Teil sowieso ein Wortgefecht. Es wird gesprochen, es wird gestritten. Das macht diesen Roman zu ganz großen Teilen aus, weil es passiert ja nichts. Sie sitzen ja immer nur auf dem Zauberberg, machen Liegekur, essen unglaublich viel und reden und reden und reden. Und dieser Settembrini, das ist ein Typ, und das ist ja bei...

Bei Thomas Mann nun schon sehr typisch, er hat ja immer so ein bisschen Stellvertreterfiguren. Also die hanseatischen Kaufmannsleute, die kennt man aus seinem Werk ja nun schon zur Genüge. Und hier kommt nun Settembrini, der Aufklärer, derjenige, der für den Fortschritt steht, der für die Zivilisation steht, der für die Demokratie steht.

Das treibt er so weit und der für die Vernunft steht. Das treibt er so weit, dass er sogar die Musik, etwas, was ja auch Thomas Mann in allen Romanen immer wieder behandelt, Bedeutung der Musik, der die Musik verachtet, weil er sie für zu gefährlich hält, weil sie nicht vernünftig genug ist. Also so dieser Settembrini, eine auch durchaus nicht unkomische Musik,

Aber sehr entschiedene Figur, die also ganz genau weiß, wofür sie steht. Man muss die Zeit nutzen. Man darf sich der Krankheit nicht hingeben. Man muss gegen sie kämpfen. Hans Castorp ist da nicht so. Der findet dieses...

sich da auf dem Liegestuhl so ein bisschen dem Nichtstun überlassen und ein bisschen träumen, ein bisschen Musik hören. Der findet das eigentlich ganz schön. Settembrini ist der Fortschrittsmann. Man muss die Welt gestalten, man muss kämpfen, man muss vernünftig sein. Jetzt Leon Nafta. Leon Nafta ist ein ganz anderer Typ.

Auch ein Fanatik, also ich sage auch, weil natürlich Settembrini sehr unbarmherzig in seinen Anschauungen ist. Nachta ist auch sehr unbarmherzig, steht aber für was ganz anderes. Der steht im Grunde nicht für die Aufklärung, nicht für die Regierung des Verstandes. Der findet die Instinkte eigentlich ganz schön. Vor allen Dingen findet er das Mittelalter schön, wo die Vernunft eben noch nicht so an der

an der Macht war, sondern wo man noch an Gott geglaubt hat, wo es eine natürliche Hierarchie gab.

Es ist ein Jude, der Jesuit geworden ist. Also eine ganz interessante Biografie. Es heißt ja immer, dahinter steckt eigentlich der jüdische Literaturwissenschaftler Georg Lukacs, der nun aber, glaube ich, nicht Jesuit geworden ist, aber eben auch etwas hatte, der eben auch für kollektive Gedanken war. Der durchaus etwas, was man später präfaschistisch genannt hat,

für gut befunden hat, nämlich ein Denken, was zu einem finalen Heil führt, wo man sagt, dafür lohnt es sich auch persönliche Opfer zu bringen, weil das sozusagen ein übergreifendes Heil ist. Das ist etwas, was Settembrini, der für den Individualismus ist,

niemals gut gefunden hätte. Also dieser Kampf zwischen Ideologien, die einen kollektiven Zuschnitt haben, wo sich das Individuum für ein Heil auch opfern muss unter Umständen, und demjenigen, der für Aufklärung, Freiheit und Individualismus ist. Das sind die ideologischen Kämpfer, zwischen denen dieser arme Hans Castorp, Schiffsbauer in Spee, hier eingespannt ist auf dem Zauberberg.

Naja, bei NAFTA muss man sagen, ist das Ganze noch etwas radikaler.

Er ist ja durchaus ein Vertreter des Terrors, so eine Art Zwangsbeglückung der Welt. Und er ist jemand, wo man, es ist die Figur, es deutet sich so ein bisschen an, dass es hier in dem Fall um eine kommunistische Vision sich handelt, das ist klar. Gleichzeitig könnte sie auch faschistisch sein, also das bleibt ein bisschen vage.

Entscheidend ist, glaube ich, auch ein Satz, die Welt feindlich gespalten sehen, das ist Geist.

Und das kennt man ja tatsächlich von sehr vielen ideologisch überspannten Figuren. Es kommt ja auch so etwas wie religiöser Fanatismus da auch noch hinzu. Das heißt, hier sind ja im Prinzip alle Figuren oder alle Ideologeme, die antiliberal, antidemokratisch sind, in dieser Figur auch vereint.

Und das Interessante ist natürlich, das darf man glaube ich auch nicht vergessen, dass Thomas Mann jemand gewesen ist in seiner Biografie, der sagen wir mal nicht zwingend auf Settembrinis Seite gestanden hat, sondern im Gegenteil.

den Ersten Weltkrieg befürwortet hat, zunächst sich über Zivilisationsliteraten lustig gemacht hat, sie kritisiert hat, vor allen Dingen seinen Bruder dann dementsprechend Heinrich in den Betrachtungen eines unpolitischen Parteiergriffen hat, nun wirklich nicht für die demokratische Seite hochproblematisch,

Und im Laufe des Schreibens des Zauberbergs ist er zum Demokraten geworden. Das ist das Interessante. Dementsprechend ist dieser Streit zwischen den Figuren natürlich der Streit, den er selbst austrägt und ausgetragen hat.

Das stimmt. Das glaube ich auch. Ich denke auch, dass Thomas Manns Sympathien natürlich sehr viel mehr am Ende bei Settembrini liegen. Also diesem Mann, der einer entschiedenen Westbindung des Denkens ist. Aber vielleicht doch nicht ganz und gar. Ich denke, da sind schon auch große Vorbehalte mehr.

Mehr gegen NAFTA, da gebe ich dir recht, aber auch gegen Settembrini. Weil letztlich fragt ja auch Castorp am Ende immer, na ja gut, wofür steht der denn dann eigentlich? Also nur das Fortschritt, also Fortschritt in welche Richtung? Fortschritt wozu? Vernunft? Vernunft, um was damit zu machen? Also diese Frage, ist das nicht vielleicht auch nur...

So eine Art zweckrationales Denken, was der Settembrini hier vorstellt. Es wird ja auch immer wieder gesagt, das ist doch der reine Ökonomismus. Hier geht es doch nur, dass alles irgendwie glatt läuft. Aber wozu soll alles glatt laufen? Warum soll alles immer weiter fortschreiten? Diese Frage ist ja hier nicht beantwortet.

Und am Ende kommt eben der eigentlich so ein bisschen Unbeholfene und Tumbe, Hans Castorp, der kommt doch dann eigentlich auf die Lösung, als er in diese Schneeträume verfällt, die Thomas Mann ja erst nach dem Ersten Weltkrieg geschrieben hat, wo er dann irgendwie so Fantasien entwickelt in ein Schneesturmgerät und alles Mögliche.

komplizierte passiert, was wir hier vielleicht nicht ausführen können, weil es zu umständlich ist. Aber da, glaube ich, versucht er doch in diesen Träumen so eine Art Kompromiss zwischen diesen weltanschaulichen Kämpfen zu finden und irgendwie sowas wie Güte und Liebe und Ausgleich, also irgendwie so eine Freundschaft

freundliche Balance zwischen diesen weltanschaulichen Polen zu finden. Oder wie hast du das gelesen? Ja, klar, natürlich. Letztlich geht es darum, dass der Mensch größer ist als sozusagen diese Art von

Dichotomen denken, was in diesem Roman dargestellt ist. Man könnte auch sagen, der Mensch ist größer als die Pappfiguren, die ich hier aufstelle. Das ist ja fast schon ein ironischer Kommentar zum eigenen Buch, was da stattfindet. Aber darüber hinaus zeigt sich darin auch noch eine kleine Unentschiedenheit. Was auf jeden Fall klar ist, ist, dass er nicht auf der Terror- und Kriegspartei-Seite sich verschlägt, denn das hätte leicht passieren können bei diesem Schriftsteller. Ja.

Dieser Leo Nafta, der ja nun wirklich eine böse Figur ist, ein bisschen schwierig finde ich, dass der von ätzenderer Bullistik ist, dass der eine jüdische Nase hat und entsetzlich hässlich sein soll. Dass das ihm nun ausgerechnet passiert bei der Figur, die für das Negativste in seinem Buch steht,

Gut, da kann man immer sagen, das ist der Zeit geschuldet, aber das ist so ein bisschen etwas, was mich jetzt beim Wiederlesen, und es hat mir eigentlich wirklich sehr viel Spaß gemacht, dieses Buch wieder in die Hand zu nehmen und auch diesen Stil zu genießen und diese erhobene Erzählhaltung zu genießen, aber das ist ein Punkt...

den ich wirklich als schwierig empfunden habe und wo ich doch das Gespür hatte, dass Thomas Mann immer noch, immer noch sehr tief in den schwierigen Ideologien seiner Zeit auch durchaus drin gesteckt hat. Ja, sicher. Ich meine, das kann man ja auch in seinen, das ist ja auch etwas, was unbestritten ist. Das zeigt sich auch im Übrigen auch in den Tagebüchern immer wieder. Das kennen wir, diese

diese Ebene und auch im Übrigen, dass es letztlich seine Kinder waren, die ihn überzeugt haben, wirklich nicht etwa nach Deutschland, nach 1933, als er schon in der Schweiz war, zurückzukehren. Er musste schon überzeugt dazu werden, dass er sich richtig lösen muss. Dann gehört es allerdings auch dazu, dass er wiederum

schon vor 1933 ein wirklich entschiedener Gegner der Nazis gewesen ist, ja von denen regelrecht verfolgt worden ist bei Auftritten und so weiter. Es ist eine komplexe Figur, er trägt halt einfach vieles mit sich in seiner Zeit. Dann wiederum hat er schon spät, aber dann schon die entscheidenden Worte gefunden für all das, für all die ganze Brauerei, die dann gefunden worden ist.

Aber es ist völlig klar, dass er nicht sozusagen wie ein Unschuldslamm hier vor uns tritt, sondern eine Entwicklung, eine Persönlichkeitsentwicklung. Das ist ja das Faszinierende an dieser Person und diesem Werk, dass sie auch durch die Zeitgeschichte natürlich geschuldet ist.

sich zwingend zu Einstellungs- und Wechseln durchringen musste. Er musste in dieser Zeit beweglich bleiben und auch Opfer bringen und einsehen, okay, er verliert jetzt einfach letztlich seine deutsche Leserschaft.

Das ist ja auch keine Kleinigkeit gewesen für einen Schriftsteller in dieser Zeit. Und umso größer die Leistung hier, das auch auf offener Bühne alles auszudiskutieren. Und sozusagen all die Kämpfe, die ja dann sogar bis zum Zweiten Weltkrieg, sind das ja die deutschen Auseinandersetzungen, die am Ende ja nicht nur zum Ersten, sondern auch noch zum Zweiten Weltkrieg geführt haben, hier fast schon wie hellseherisch vorweggenommen zu haben.

und das eben öffentlich zu machen, was Deutschland umtreibt, in welchen Debatten es zerrissen ist. Würdest du denn sagen, dass diese Debatten uns eigentlich in einer gewissen Weise heute immer noch verfolgen?

Oder ist das jetzt Geschichte? Also ich würde sagen, ja, vollständig. Also natürlich sind vielleicht die Figuren, die jetzt mit Settembrini und Nafta, die gibt es vielleicht seltener, so abgerissene intellektuellen Typen, die jetzt so... Wobei, es gibt alles, ja. Das darf man auch wiederum nicht vergessen. Aber es gibt schon das vielleicht nicht... Natürlich atmet der Roman auch kolorit seiner Zeit. Das ist klar. Aber das ist eine...

Auseinandersetzung davon handelt, ob man sozusagen diesen Liberalismus, also Marktwirtschaft plus Demokratie, ob das jetzt so etwas ist, was noch so ganz zeitgemäß ist. Da gibt es schon in fast allen westlichen Ländern eine Debatte drüber, die oder politische Strömungen, die mächtig geworden sind, das hat es vor 20, 30 Jahren in dieser Weise nicht gegeben. Das ist schon etwas komplett Neues und

Man hat das immer, diesen Konflikt immer gelesen als etwas Historisches. Man hat den Zauberberg gelesen als ein historisches Buch. Gut, dass wir mit dieser Zeit nichts mehr zu tun hatten. Ja, da kam ja sowas Schreckliches auf. Mittlerweile lesen wir diese Bücher, im Übrigen auch Stefan Zweig und da gibt es ja andere auch noch, wie die Welt von gestern, die auf einmal so eine seltsame Aktualität bekommen. Natürlich funktioniert die Aktualisierung nie eins zu eins.

Aber in dem Fall gibt es schon ganz klare und deutlich konturierbare Debatten, die verhandelt werden, die sich übertragen lassen. Ganz banal, nämlich ist es sozusagen geistvoll, die Welt feindlich gespalten zu sehen oder gehen wir weiterhin den Weg des beständigen, zähen, anstrengenden Kompromisses, wie unsere Regierungen. Ja.

in demokratischen Staaten. Das sieht dann nicht immer schön aus, ist aber letztlich am Ende des Tages natürlich das Menschenfreundlichere. Ja, also insofern würde ich sagen, hat dieser Roman eine ganz interessante Aktualität immer wieder. Ich würde dem nicht zustimmen, dass das Ganze jetzt so, wie das auch manchmal...

gesagt wird, dass wir da schlaftrunken irgendwo hineinfallen, das sehe ich nicht so. Davon gibt es schon ein großes Bewusstsein. Es gibt nur leider ein paar Leute, die trotz dieses Bewusstseins eine andere Welt haben wollen. Ja, insofern finde ich, hat das eine gewisse Aktualität. Ganz sicher sogar.

Tolles Buch, ja. Schön. Absolut, ja. Schön, gut. Dann hören wir uns wieder und sehen uns und Sie hören uns vor allen Dingen in vier Wochen wieder. Wir hatten große Freude und ich hoffe, Sie auch ein bisschen da hinten, da draußen und wo immer Sie uns gehört haben. Tschüss. Tschüss. Was liest du gerade? Ein Podcast von Zeit und Zeit Online. Produziert von Polartists.