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Abdi Nazemian: Nur dieser eine Augenblick"

2025/2/22
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Bücher für junge Leser

AI Chapters Transcript
Chapters
Der erste Abschnitt beleuchtet die Themen Migration und Identitätssuche im Jugendroman 'Nur dieser eine Augenblick' von Abdi Nazemian, basierend auf seinen eigenen Erfahrungen.
  • Migration ist zentrales Thema im Bundestagswahlkampf und im Roman.
  • Der Roman ist das persönlichste Werk von Abdi Nazemian.
  • Hauptfigur Mut kämpft mit seiner Identität und familiären Konflikten.

Shownotes Transcript

Das Thema Migration hat den Bundestagswahlkampf dominiert wie kein anderes, und zwar fast ausschließlich aus der Perspektive derer, die Migration begrenzen wollen. Der Autor von Romanen und Drehbüchern Abdi Nazemian stammt aus dem Iran, ist in Paris, Toronto und den USA aufgewachsen und lebt heute in Los Angeles. Sein Roman Like a Love Story von 2019 wurde vom Time Magazine unter die 100 besten Jugendbücher aller Zeiten gewählt.

Seinen aktuellen Jugendroman nennt Nasamian sein bisher persönlichstes Buch, weil er darin eigene Erfahrungen verarbeitet. In »Nur dieser eine Augenblick« legt er den Fokus auf die Gründe dafür, warum Menschen ihre Heimat verlassen. Und darauf, was Migration auch noch für die Identitätssuche der folgenden Generationen bedeuten kann. Christoph Formweg über Abdi Nasamiens Jugendbuch »Nur dieser eine Augenblick«.

Abdi Nazemian fackelt nicht lange. Im Präsenz, das Unmittelbarkeit und Nähe erzeugt, setzt er gleich in den ersten Zeilen einen provozierenden, hochaktuellen Fokus. »Schwulsein im Internet ist anstrengend. Dieser Gedanke geht mir durch den Kopf, als ich meinen Social-Media-Account entschwulisiere.«

Verschwunden ist jedes jemals von mir gepostete Foto, auf dem Shane und ich uns küssen oder Händchen halten. Doch warum will der Iran-Stämmige nach dem frühen Tod seiner Mutter allein beim Vater in Los Angeles aufgewachsene Mut sein Coming-out rückgängig machen?

Für den 17-Jährigen steht die erste Reise in den Mullerstaat an. Homosexuelle wie er werden dort von der Polizei verfolgt. Deshalb will Mut das Risiko für sich minimieren und löscht verfängliche Spuren im Internet. Vor der Abreise aber rückt der immer wieder verdrängte Vater-Sohn-Konflikt in den Vordergrund. »Nicht selten ertappe ich mich dabei, wie ich meinen homophoben Dad verteidige, sobald Shane ihn angreift.«

Ebenso würde ich Shane verteidigen, wenn mein Vater ihn jemals angreifen würde, aber das tut er nicht. Er lässt ihn einfach außer Acht. Vielleicht ringe ich im Grunde ja gar nicht mit Shane. Der Kampf findet zwischen zwei Seiten in mir selbst statt. Die eine Seite fühlt sich verpflichtet, meine Familie zu verteidigen, die andere Seite will bedingungslos meine Sexualität feiern.

In seinem Familienroman »Nur dieser eine Augenblick« überzeugt er in den USA erfolgreiche Jugendbuchautor Abdi Nazemian immer wieder mit solchen subtilen psychologischen Deutungen.

Zudem besticht er mit einem großen Schatz an Wissen. Sei es über die Geschichte des Iran, sei es über die heutigen Diskurse in der internationalen queeren Szene. So entdeckt Mut im Iran erstaunt eine geheime, bestens informierte, oppositionelle Parallelwelt, in der alles möglich scheint.

Das ist während der iranischen Revolution 1978 gegen das Schah-Regime nicht anders. Hier erzählt Muts Vater, die zweite von drei Erzählstimmen, wie eng erste Liebe und politischer Aufruhr oft verquickt sind. Während der Straßenkrawalle lernt er Shirin kennen, aber sie werden getrennt. Wie

Wie soll er sie wieder treffen? Jeder Gedanke, der bis heute von der Revolution vereinnahmt wurde, gilt jetzt ihr. Als wäre Schirin die Revolution meines Lebens geworden. Die Veränderung, die ich brauche. Als ich zu Hause ankomme, bin ich noch immer außer Atem. Die Schüsse klingeln in meinen Ohren. Wo warst du, fragt Bobo. Hab ich doch gesagt, für die Uni lernen.

Mein Atem geht schwer. Sie merken, dass ich lüge. Das hier könnte der Moment sein, meinen Eltern zu erzählen, woran ich glaube, wer ich bin. Die dritte Perspektive des Romans nimmt Mutes Großvater ein, der, wie sich herausstellt, ebenfalls homosexuell ist. Er erzählt von der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg in Kalifornien, als er kurz vor einer Filmkarriere in Hollywood steht.

Mal ist er verzweifelt über die Gängelung und Ausbeutung der hochtalentierten Schwulen, mal mokiert er sich voller Ironie über seine Helikoptermutter. »Ich wünschte, ich wäre mehr für sie als nur ein Ticket zur Berühmtheit. Die unausgesprochene Wahrheit unserer unglücklichen Familie ist nämlich die, dass Mutter und Willy es nicht geschafft haben, selbst die Stars zu werden, die sie werden wollten.«

Deshalb benutzen sie mich, um an den Applaus zu gelangen, nachdem sie sich immer gesehnt haben. So leuchtet Abdi Nazemian drei Epochen aus. Die Zeitsprünge und Ortswechsel geben dem Roman seine innere Dynamik, die familiären Konflikte und die ganz konkrete Bedrohung durch das heutige Mullah-Regime seine Spannung.

Nur dieser eine Augenblick entpuppt sich als lebenskluge Reflexion über die Facetten der Liebe in den letzten 100 Jahren. Über ihre Kompromisse, ihre Versteckspiele, ihre fatalen Besitzansprüche. Jede Generation, so die Botschaft, muss die Liebe mit neuem Sinn erfüllen. Nicht anders als die Politik und ihre Ideale von Freiheit und Demokratie.

Als erfahrener Drehbuchautor kombiniert Abdi Nazemian konfliktreiche Dialoge mit konstruktiven Gesprächen der Annäherung. Nur über Klartext, so der Tenor, lassen sich für die Zukunft andere Perspektiven eröffnen. Gerade für Mut und seine erste große Liebe Shane.

Die so irritierende Nähe und Ferne des Iran schaffen für Mut ganz neue Erkenntnisse. »Ich weiß noch, wie Shane mir zum ersten Mal empfahl, den Kontakt zu meinem Dad abzubrechen, der meine Sexualität nicht so annehmen konnte, wie Shanes Eltern es taten. Und gerade dämmert mir, was Shane da vorgeschlagen hatte. Nicht nur meinen Dad zu opfern, sondern meine Verbindung zu meiner gesamten Kultur. Ja, er liebt mich.«

Aber wäre ich seinem Ratschlag gefolgt, dann wäre ich jetzt nicht hier. Ich hätte nicht gewusst, wie es sich anfühlt, irgendwo dazuzugehören. Schön geredet wird im Familienroman nur dieser eine Augenblick nichts. Der dramatische Plot dürfte nicht nur Jugendliche mit Migrationshintergrund ansprechen, die ihren Ort zwischen den Kulturen suchen, sondern auch Entdeckungsfreudige, die über den nationalen Tellerrand hinaussehen möchten.

Abdi Nazemian plädiert für das Ideal einer Offenheit, die ohne verlogene Doppelmoral auskommt, gerade was die oft widersprüchlichen sexuellen Neigungen angeht. Sein Roman ist eine kämpferische Parabel über den schwierigen Begriff der Toleranz. Eine Coming-of-Age-Story, eingängig und packend erzählt und komplex konstruiert.

Das sagt Christoph Formweg über Abdi Nazamiens Jugendroman Nur dieser eine Augenblick. Isabel Abedi und Merit Gelpiel haben ihn aus dem amerikanischen Englisch übersetzt. Arktis Verlag ab 14 Jahren.