Deutschlandfunk Büchermarkt
Heute geht es um abwendbare und nicht abwendbare Katastrophen, um den süßesten Bruder der Welt, um Schorf und Schlamm und um die Gabe des stillen Beobachtens und genauen Hinsehens. Sie hören im Büchermarkt mit der besten Liste des Deutschlandfunks die besten sieben im Monat Mai. Es begrüßt Sie Ute Wegmann und zugeschaltet aus Wien unser langjähriger Juror Franz Lettner, der Chefredakteur des Fachmagazins »Tausend und ein Buch«.
Franz Lettner, was ich Sie noch nie gefragt habe, inwieweit fließt eigentlich unsere Auswahl, die wir hier treffen, die Auswahl der besten sieben in Ihre redaktionelle Arbeit ein? Ja, hallo von mir aus Wien. Und sie fließt natürlich ein, das ist völlig klar. Es wird jedes Monat kontrolliert, was ist da alles oben.
Und sollten wir irgendein Buch noch nicht wahrgenommen haben oder noch nicht so wahrgenommen, wie wir es sollen, wenn es auf den besten Sieben ist, dann machen wir das sofort und schauen uns das an und in der Regel besprechen wir das dann auch.
Wir beginnen ja heute gleich mit den Katastrophen, wobei, wie gesagt, es sind ja auch Abwendbare dabei. Oder wie in unserem ersten Buch kommt es darauf an, kreativ damit umzugehen. Die Illustratorin und Autorin Hanna Brückner, geboren 1989 in Berlin, Master hat sie in Hamburg gemacht, wo sie auch lebt.
Mir ist sie erstmals aufgefallen mit dem Bilderbuch »Ich wäre gern ein Baum«. Jetzt in kolossaler Katastrophe nimmt sie uns mit ins Museum, in ein DINU-Museum.
Was passiert, wenn der Wellensittich des Garderobiers zum abendlichen Rundflug aufbricht, nicht ahnend, dass es im Museum einen Jungen gibt, der sich entsetzlich vor Vögeln fürchtet und der Junge panisch zurückzuckend in das riesen Dinos klettfällt und, wie heißt es im Text, eine richtig, richtig große Katastrophe?
Franz Lettner, kein Sachbuch, sondern eine Bilderbuchgeschichte über Kreativität, Miteinander. Es ist ziemlich viel drin in diesem wunderbaren Buch, oder? Ja, da ist ziemlich viel drin und es ist außerordentlich unterhaltsam, muss man sagen. Auch wie hier der Umgang mit dieser richtig großen Katastrophe dann tatsächlich stattfindet. Er führt dazu, dass alle hier zusammenarbeiten und eigentlich, muss man sagen,
was Besseres machen als das, was wir vorher gesehen haben. Also wenn Sie jetzt sagen zusammenarbeiten, heißt das, alle Leute, die gerade noch im Museum waren, helfen jetzt, dieses Skelett wieder zusammenzubauen? Genau, das sind eine ganze Menge von Knochen gelegen, direkt auf einem Haufen. Alle, die dann noch da sind, das ist ja schon ein später Abend, haben schon noch gesehen, wie der Dinosaurier vorher ausgesehen hat.
Aber so ganz genau haben sie das nicht mehr im Kopf und sie bauen ihn sozusagen kreativ zusammen. Aber was da am Ende rauskommt, ist tatsächlich auch ganz schön. Was mir gut gefallen hat, ist diese Geschichte quasi in einem Nachtspiel. Das beginnt am Abend in der Dämmerung, ist ganz schönes Licht in diesem Museum. Und dann wird hier gearbeitet und in der Morgendämmerung verlassen wir und die Protagonisten das Museum wieder. Eigentlich sind alle zufrieden.
Jetzt müssen wir natürlich über die Illustrationen sprechen. Hanna Brückners Farbgebung ist ja eher zurückhaltend, man könnte fast sagen pastellig. Ihre Dynamik, die ist aber durchaus kraftvoll und energetisch. Wie gestaltet sie und wie malt sie diese Seiten? Ja, das ist ganz schön. Also die Figuren sind ja mit feinem Strich, mit Konturlinien eigentlich nur gezeichnet. Das sind so müde Erwachsene am Anfang, auch die Kinder sind.
Sowohl die Figuren als auch die Hintergründe sind, wie Sie schon gesagt haben, in so pastellig-warmen Farben dargestellt, eher flächig, sehr weich, viele unterschiedliche Gelb- und Rosa- und vor allem auch Blautöne. Auch das gefällt mir gut, wenn der Blick nach außen geht, durch ein Fenster oder durch das Kuppeldach aus Glas wird es dann ein ganz dunkles Blau, ein Nachtblau. Und dazwischen macht sie das vor allem mit den Einstellungen. Diese Dynamik, die sie da erzeugt, entsteht dadurch, dass sie zum Beispiel in diesem einen Moment
wo die Katastrophe gerade in Form der fliegenden Knochen da zu sehen ist, geht sie ganz nah ran und zoomt ganz nah ran. Und wir sehen, wie diese Katastrophenknochen durch die Luft fliegen. Und dann kommt ein Gegenschuss und wir schauen auf die Besucherinnen, die noch da sind. Und wir sehen, wie sie ganz entsetzt schauen. Alle sehen etwas, was wir noch nicht sehen. Und das
Das ist sehr klug, wie sie hier auch eine gute Stimmung, Atmosphäre und Dynamik hineinbringt. Auch durchaus ein Buch mit Lerneffekt. Ich habe zum Beispiel gelernt, dass dieser Dinosaurier 283 Knochen hat. Die werden auch alle aufgeführt und es gibt sogar Seiten zum Ausklappen. Also ein tolles Buch, Kolossale Katastrophe von Hanna Brückner, Nord-Süd Verlag, 40 Seiten, ab 4 Uhr.
Eine wahre Katastrophe, die nicht glimpflich endete, ereignete sich am 11. März 2011. Fukushima. Ein Seebeben löste einen Tsunami aus, der prallte auf die japanische Ostküste und zerstörte unzählige Gebäude, vor allem aber das Atomkraftwerk Fukushima. 150.000 Menschen mussten ihre Heimat verlassen, fast 20.000 Menschen starben.
Die bekannte Berliner Künstlerin Bea Davis beginnt ihren Comic am Tag des Ereignisses mit einem Prologue.
Also 11. März 2011, Ortszeit etwa 14 Uhr. Wir sind in Sendai, 80 Kilometer nördlich von Fukushima. Es gibt eine Tsunami-Warnung. Ein Mann versucht mit dem Handy zu telefonieren. Wir sehen, es ist eine deutsche Nummer. Offenbar sind die Netze schon gestört. Er sieht eine Telefonzelle rundherum, stürzen Gebäude ein, reißen Straßen auf und dann rollt die Wasserwand mit Autos und allem anderen auf ihn zu.
Supergau heißt dieser Comic, schwarz-weiß gehalten, der nicht geradlinig von einer Katastrophe erzählt, sondern Bea Davis erzählt Parallelgeschichten. Was erzählt sie? Ja, das ist im Prolog ein ganz seriöses Bild, wenn wir den Mann von hinten in der Telefonzelle stehen sehen und diese Riesenwelle sehen.
heranrollt und dann ist ein Schnitt und dann sind wir in Berlin und wir sehen ein Mädchen über Berlin fliegen, im Wasser landen und untergehen, eigentlich gleich nochmal eine Katastrophe.
Das stellt sich als Traum heraus. Was wir in der Folge lesen, sind die Geschichten von Menschen in Japan und in Berlin. Das meiste spielt allerdings in Berlin. Menschen, die alle miteinander verbunden sind. Vielleicht ist das auch eine der zentralen Botschaften dieser Geschichte. So eine Katastrophe hat für ganz, ganz viele Menschen entsetzliche Folgen. Es sind ganz viele Einzelschicksale, die wir erleben.
wenn wir nur die Zahl hören, der Toten, der Verletzten, der Vermissten gar nicht wahrnehmen. Hier wird von einigen Figuren in Berlin erzählt, von denen wir am Anfang wenig wissen. Es ist auch schwer reinzukommen, weil wir mitten ins Leben hineinsteigen. Wir bekommen keine Erklärung. Wir sehen eben dieses junge Mädchen. Lea feiert gerade ihren 18. Geburtstag. Wir sehen einen Freund von ihr, er arbeitet in einem asiatischen Restaurant. Wir sehen einen
türkischstämmigen Mann, einen Freund von ihm, der ein Schriftsteller ist. Wir sehen eine Frau mit zwei Kindern.
Diese zwei Kinder sind auch die Kinder dieses Mannes aus der Telefonzelle, die wir am Anfang im Polo gesehen haben und die der Mann noch anrufen wollte. Und je länger wir in diesen Geschichten drin sind, die ständig werden hier die Schauplätze gewechselt, desto mehr merken wir, wie sich diese einzelnen Biografien, diese Geschichten der einzelnen Menschen immer wieder treffen oder wie die auch miteinander verbunden sind. Wie hat B.A. Davis denn illustriert?
Ja, es ist eine Graphic Novel, ein Comic, die bleibt immer im Schwarz-Weißen, aber sie ist auch sehr dynamisch in ihrer Gestaltung der Panels. Also manchmal hat man das Gefühl, es ist so ein ganz gut sortierter, kontrollierter Erzählfluss und dann wird es wieder sehr dynamisch, ganz andere Panelgestaltung, manchmal Panels ohne Rahmen, manchmal ganzseitige Panels.
wo fokussiert wird auf einen ganz bestimmten Moment oder auf einen Zusammenhang. Es wird nur mit Dialogen gearbeitet, also im Grunde nur mit Sprechblasen.
Und was wir noch dazu haben, ist eine Art Subtext, ist Nachrichtenmeldungen, die wir bekommen aus dem Fernsehen oder auch aus dem Radio, die von den Menschen gelesen, gesehen, gehört werden, die wir quasi unten im Blocktext dann auch mitverfolgen können. Also es ist sehr viel, es ist sehr dicht, finde ich. Es nimmt einen emotional sehr mit, auch wenn viele Leerstellen da sind und man erst nach und nach die Zusammenhänge erkennt.
Brillant illustriert, Supergau von Bea Davis, Carlsen Verlag, 208 Seiten und der Verlag sagt ab 12.
Das Ende der Katastrophen ist noch nicht erreicht. Eine der schlimmsten Katastrophen ist sicherlich, wenn ein junger Mensch keinen Sinn in nichts mehr sieht und seinem Leben ein Ende setzen möchte. Nils Mohl, preisgekrönter Hamburger Autor, bekannt durch seine Indianerland-Romane, widmet sich diesem Thema auf besondere Weise in seinem neuen Roman »Engel der letzten Nacht«. Das Abi beendet immer der beste des Jahrgangs, jetzt Party am Meer, aber was heißt eigentlich das Lebensspüren?
Mohl wählt nicht einfach einen Perspektivwechsel und erzählt dennoch drei unterschiedliche Varianten. Wie macht er das, Franz Lettner? Vorgesetzt ist ein kleiner Prolog, wo wir schon diesen Jungen, diesen Ich-Erzieler, diesen Käster haben, der in einen Autounfall verwickelt ist. Er könnte da schon tot sein.
Und dann schaltet sich der Autor ein und sagt, so könnte die Geschichte ausgehen, schon direkt am Anfang, aber es gibt natürlich auch eine andere Möglichkeit, diese Geschichte zu erzählen.
Und er setzt dann sozusagen mindestens dreimal wieder neu an, beginnt jedes Mal ein bisschen früher zu erzählen. Wir erfahren also immer ein bisschen mehr von der Vorgeschichte dessen, was wir hier am Anfang haben, dieser Feier der Abiturienten, wo es darum geht, dass sie sich fragen, was ist die Nacht der Nächte, was ist der totale Rausch, den alle in diesem Alter einmal auskosten wollen. Und Kester ist ja der Meinung...
Diese Nacht der Nächte kann ja nur tatsächlich in vollem Ausmaß genossen werden, wenn es die letzte Nacht ist. Woraufhin dann eine Diskussion über Suizid stattfindet und dieser Kester sich ins Auto setzt und Richtung Hamburg fährt. Kester begegnet ja in allen Varianten immer unterschiedlichen Menschen. Also er bewegt sich durch die Stadt und mit jeder Figur, kann man glaube ich sagen, nähert er sich selbst ein bisschen mehr an.
Das liegt unter anderem aber auch daran, weil alle noch so unterschiedlichen Figuren, denen er begegnet, männlich, weiblich, queer, wie auch immer, die richtigen psychologischen Fragen stellen. Also hier wird sehr viel beim Sprechen verhandelt, es wird sehr viel psychologisiert. Das ist richtig, es wird sehr viel psychologisiert, es wird sehr viel geredet. Es sind natürlich auch Typen, denen er begegnet, die...
Mohl hier aufmarschieren lässt, weil er sich auch braucht, weil er bestimmte Aspekte der Fragestellung nochmal betonen will. Beim Erzählen heißt es hier im Text einmal, beim Erzählen wird mir aufgehen, dass alle, denen ich begegnet bin, mir in schwachen Momenten begegnet sind, dass sie alle etwas gebraucht haben,
um sich selbst von ihren Problemen abzulenken. Drogen, Rollenspiel, Geld, Macht, alle sind also unglücklich auf eine bestimmte Art und Weise und jeder dieser Aspekte wird im Dialog, im Gespräch abgehandelt und durchdiskutiert und durchgesprochen. Einer ist nicht unglücklich, glaube ich, sagen zu können, nämlich der Engel. Welche Funktion hat diese Engelfigur?
Ja, der Engel heißt Bruno und taucht ganz am Anfang gleich auf. Ich konnte gar nicht anders, als an Bruno Gans zu denken. Natürlich aus gutem Grund, weil er in Engel über Berlin diesen Engel gespielt hat. Dieser Engel ist eine Beschützerfigur. Er behauptet immer da zu sein, wenn der Held, wenn Kester ihn braucht. Und er ist tatsächlich auch immer da und unterstützt ihn. Ich muss gestehen, ich bin nicht so richtig schlau geworden aus dem Engel.
Engel der letzten Nacht von Nils Mohl, Rotfuchs im Fischer Verlag, 224 Seiten und hier sagt der Verlag ab 14. Schluss mit den Katastrophen oder vielleicht doch nicht. Zumindest können wir versprechen, dass es jetzt lustig wird.
Was wäre zum Beispiel, wenn du deinen Vater nicht kennst, allein mit deiner Mutter lebst und dir schon immer einen Bruder wünschst und dann lernte deine Mutter jemanden kennen und der hätte auch noch einen Sohn und der könnte doch wirklich der süßeste Bruder der Welt sein. So ein Babybruder, mit dem man tolle Sachen machen kann. Aber was wäre, wenn dieser neue Bruder eine Art Grufti mit schwarzen Klamotten, langen, fettigen Haaren
Schlafzimmerblick und Pflaum über der Oberlippe wäre, oh mein Gott, und dann würde die Sache mit der Mutter und dem Freund noch ernster und das bedeutet umziehen, neue Schule, neues Leben. Und das ist schon auch eine Katastrophe.
Elin Lindl, schwedische Kinderbuchautorin aus Stockholm, hat geschrieben und gezeichnet und hier sicherlich eine der lustigsten Geschichten des Jahres verfasst. Ein durch und durch bebildertes Kinderbuch, aber Franz Lettner nicht im üblichen Comicstil. Was ist das Besondere neben den wirklich auch sehr witzigen Bildern? Ja, es ist eine sehr unkonventionelle Methode des Erziehens, würde ich mal sagen, weil sie sehr viele Dinge hier zusammenbringt, die Illustratorin, die Autorin.
Also schon so klassische Comic-Szenen und Stränge baut sie hier ein. Es gibt aber auch immer wieder Listen. Es gibt dann auch Illustrationen, die einfach über eine ganze Doppelseite gehen. Es ist natürlich vor allem der Witz, der dieses Buch einfach so großartig macht. Weil, wie Sie schon gesagt haben, es geht ja schon um ganz ernste Themen, um Familie, vor allem natürlich um Veränderung in Bezug auf Familie, in Bezug auf Wohngegend, was ja dann immer auch...
dass man seine besten Freundinnen verliert, dass man auf eine andere Schule kommt. Es geht um Vatersuche. Auch das, finde ich, ist in der Jugendliteratur, auch in der Kinderliteratur ja immer eine
zentrale Frage. Aber wie das hier abgehandelt wird, ist schon sehr, sehr speziell und sehr unterhaltsam, ohne dass den Dingen der Ernst genommen wird. Ich glaube, das ist das Tolle. Man sieht es schon beim Einstieg. Dani hätte gerne einen Bruder und dann werden elf Methoden am Anfang gezeigt, wie sie mit ihrer Mutter das auszuhandeln versucht.
Zum Beispiel die Gewissensmethode, hier steht, dass Einzelkinder egoistisch und unsozial sind. Soll ich etwa auch so werden? Die Mutter sagt, zu spät, haha. Lauter so kleine Szenen, in denen irgendwie klar wird, wie sehr die beiden einander mögen, wie nahe sie einander auch sind, aber wie viel Offenheit und Vertrauen da auch da ist.
Diese erste Begegnung da mit ihrem neuen Bruder, der eben keine Löckchen hat. Das ist ein kleiner Moment, wenn die beiden Figuren da einander gegenüberstehen, wo man sehr lachen muss, ohne dass die Figuren vorgeführt werden. Und sie finden ja dann auch zusammen. Ja.
Nun hat dieses Buch einen Titel, der süßeste Bruder der Welt und auch einen Untertitel und andere Irrtümer. Und wie die Autorin nochmal eine Nebenhandlung aufmacht, nämlich dass Dani einen Jungen entdeckt in der neuen Schule, der ihr scheinbar total ähnlich sieht und sie dann vermutet, dass sie beide vielleicht den gleichen Samenspendervater haben. Das ist nochmal eine eigene, sehr lustige Geschichte. Also ich habe mich lange nicht so amüsiert wie bei
Der süßeste Bruder der Welt und andere Irrtümer von Elin Lindl aus dem Schwedischen von Katharina Erben, Klett Kinderbuch, 136 Seiten, ab 10. Jetzt bleiben wir mal bei den Brüdern. Um den großen Bruder geht es auch in Ihre Hoheit Matsch, Prinzessin von Schlammland.
Eins der beiden aktuellen Bücher der weltweit bekannten und beliebten italienischen Kinderbuchautorin und Illustratorin Beatrice Alemagna. Wenn ich sage, eins der beiden, will ich an dieser Stelle gleich hinzufügen, dass ein ungewöhnlicher Fall bei den besten sieben aufgetreten ist. Das erste Mal in 31 Jahren, dass eine Künstlerin mit zwei Büchern auf derselben Liste steht. Das heißt, Sie werden gleich auch das zweite neue Bilderbuch von Beatrice Alemagna kennenlernen, aber gleich.
Nun zuerst zu ihrer Hoheit Matsch, Prinzessin von Schlammland. Es erzählt von einem Mädchen, das jeden Tag vom älteren Bruder von der Schule abgeholt wird. Das macht der Bruder offenbar nicht gern. Er läuft vor, Kapuze des Hoodies über den Kopf gezogen, völlig abgeschirmt. Das Mädchen denkt, der Bruder mag sie nicht, weil sie oft wütend ist oder schnell weint und nervt. Ein wildes Kind vielleicht, vielleicht auch ein trauriges Kind.
An diesem Tag auf dem Weg nach Hause lässt sie die Hausschlüssel in einen offenen Gully fallen. Das ist blöd. Sofort steigt sie hinab und gerät in das Schlammland. Da gibt es eine ungewöhnliche Prinzessin Farbe Braun, den Ärgerwald, die Möffelinus, die jedem Schuldgefühle machen, den Verbergsee und ein Museum der Zornobjekte.
Franz Lettner, das ist eine großartige Welt da unten, eine braune Welt. Wohin führt uns Beatrice Alemannia? Ja, auf jeden Fall nach unten, tief nach unten, würde ich sagen. Das ist schon eine sehr, sehr schräge Geschichte, eine sehr intensive Geschichte und eine Geschichte, wie ich sie so auf diese Art selten gelesen habe, auch hier mit Bildern.
umgegangen wird auf der Textebene und auf der Bildebene, ist, finde ich, total ungewöhnlich. Die Juki selbst sagt von sich, ich bin Juki, ich habe einen schlechten Charakter, ich bin fies und umgezogen und wenn ich müde bin, schreie ich und haue mit den Fäusten, heißt sie auf dem Boden. Ein Kind mit einem leichten Aggressionsproblem, das aber davon erzählt. Und es wird ganz realistisch beginnt, dass wir sehen hier Hochhäuser, wir sehen die Drähte, die da durch die Luft gespannt sind, alles in mir verknotet sich, heißt es so, wie die Stromkabel in der Straße.
Und dann wirft sie den Schlüssel in diesen Kanal und dann steigt sie sozusagen hinunter eine Stiege ganz tief.
Und damit verlassen wir natürlich diese realistische Ebene und sind im Schlammland, wo all das ist, was Sie hier auch schon aufgezählt haben. Die Autorin, Illustratorin sagt ja selbst, es ist so eine Art Alice im Wunderland, also auch ein Abstieg in die eigenen Tiefen oder Untiefen, könnte man sagen. Ist das Schlammland, ist es nur ein innerer Klumpen von Wut und Schlamm? Kann man darin versinken?
Was ist mit dieser Prinzessin tatsächlich los? Ist sie nur die Wut des Mädchens oder hat das ein Eigenleben da unten und im Inneren? All das stellt sich als Frage, aber man ist letztendlich so gebannt von dieser Vielfalt dieser Welt. Also das ist nicht nur unangenehm, da gibt es auch Witz. Die Schlammprinzessin und das Mädchen haben ja eine enge Beziehung. Die mögen einander ja auch, die kennen einander. Es ist alles sehr ambivalent, auch das mochte ich sehr, aber es ist halt faszinierend.
vor allem so toll illustriert, dass man ganz gefangen ist von dieser zweiten, tiefen, unten drinnen Welt.
Ein großformatiges Bilderbuch, einzigartig in der Illustration, Ihre Hoheit Matsch, Prinzessin von Schlammland von Beatrice Alemanja, aus dem italienischen von Henrike Markert, Rotopol Verlag, 56 Seiten ab 4. Und wir bleiben bei Beatrice Alemanja und ihren besonderen Mädchenfiguren. Neonfarben spielen ja immer eine Rolle bei ihr. Jetzt war es im Schlammland vorhin gelb.
So ist es jetzt in dem neuen Buch ein strahlendes Orange. Orange, rote Buntstiftlinien auf dem Vorsatzpapier. Orange sind die Haare der Protagonistin, die strahlen richtig aus den Seiten raus. Orange ist Pepper und das ist der Titel des Buches Der Sommer mit Pepper. Wer ist Pepper?
Ja, das ist super, oder? Ich meine, eine Sommergeschichte, man erwartet sich, super, da hat irgendwie ein Kind vielleicht eine gute Zeit mit einem anderen Kind oder mit einem Tier, was auch immer. Und was dann kommt, ist eine Geschichte, in der man ein sehr blasses Kind mit sehr orangefarbenen Haaren hinfällt und einen Schorf bekommt, dann auf der Wunde und den Sommer mit diesem Schorf verbringt.
Das Tolle ist, es ist ja völlig anders als ihre Hoheit Matsch, aber auch hier geht es um Kindheit, nur natürlich sehr viel fröhlicher, sehr viel leichter nochmal. Es ist eine sehr kindliche Erzählstimme, eine sehr charmante Erzählstimme. Es ist ja ein total netter Schorf, der Schorf spricht ja auch mit diesem Mädchen.
Am Ende, als er nicht mehr da ist, sorgt er ja dann auch für Wehmut. Eine ganze Gefühlspalette löst er für diesen Mädchen auf. Darin ist ja Beatrice Schalemann ja sowieso extrem stark, wirklich diese Kindheitsgefühle aufs Papier zu bringen, in die Gesichter der Figuren zu bringen. Und Sie haben jetzt gerade gesagt, das ist leichter.
Das ist eine Leichtigkeit, die sie sich erarbeitet hat in ihren Zeichnungen, in ihren Bildern, die sehr besonders ist, finde ich. Und hier gibt es ja Buntstiftzeichnungen und einige wirken fast wie richtig, richtig gute Kinderzeichnungen.
Ja, also sie wirken vielleicht auf den ersten Blick so und man sieht hin und merkt, wie toll diese Kompositionen sind, wie fein hier mit den Hintergründen gearbeitet wird, wie die manchmal nur angedeutet werden. Und dann wieder, wenn Sie an dieses Bild denken, wo sie da den Schorf in dieses Mohnblumenfeld streut, das ist einfach umwerfend, auch in dieser Farbigkeit. Also das ist, muss man auch dazu sagen, hervorragend hergestellt, perfekt gedruckt.
Es ist schön, dass die Verlage das dann auch in der Herstellung auch rüberbringen. Und wie beim ersten Bilderbuch von ihr verraten wir das Ende nicht. Es gibt nämlich in beiden Bilderbüchern eine großartige Überraschung. Der Sommer mit Pepper von Beatrice Alemania, hier aus dem Englischen von Maria Höck, Aladin Verlag, 48 Seiten, ab 4.
Unser letzter Titel ist ein Sachbuch, der erste ins Deutsche übertragene Titel der neuseeländischen Illustratorin und Comiczeichnerin Giselle Clarkson. Schau genau hin, das außergewöhnliche Handbuch der Beobachtologie. Teich, Gehweg, zugewucherte Ecken, Vorhänge, überall verbergen sich kleine Tiere. Wie entdeckt man sie? Worauf muss man achten? Wie leben sie? Und wie kann ich sie unter Umständen auch hören?
Wie hat Giselle Clarkson ihr, auch das ist ein überaus heiteres Buch, ihr Sachbuch angelegt? Mein erster Blick auf dieses Buch war auf das Cover und auf diese Figur. Man muss sich hier vorstellen, eine Kinderfigur, die total gebügt hier auf den Boden schaut und so konzentriert ist und gleichzeitig sich so entspannt vorbeugt, umgeben vom kleinen Getier. Das ist total anregend. Also man hat sofort das Gefühl, das ist eine Haltung, die müsste man selbst auch wieder mal beobachten.
Sehr humorvoll, sehr leicht, aber dann doch auch mit vielen Informationen, sehr vielen Zeichnungen. Und der Witz ist auch hier wieder ganz zentral. Man muss ja dazu sagen, das sind ja Tiere, mit denen wir es hier zu tun haben. Kleine Tieren aus den feuchten Ecken, aus den Orten hinter dem Vorhang, dort wo wir vielleicht in der Wohnung mit dem Putzlappen nicht richtig hingekommen sind.
Aber wie zärtlich sie mit diesen Tieren umgeht, wie freundlich sie sie vorstellt, das hat mir ganz gut gefallen in der Illustration wie auch im Text. Haltung ist ganz wichtig, Neugier ist ganz wichtig, aber vor allem Geduld wichtig. Und dann findet man einfach überraschend viel in der unmittelbaren Umgebung.
Und weil wir ein Sachbuch haben, haben wir natürlich sehr naturalistische Illustrationen, manchmal sogar ganzseitig. Spannendes Buch für Entdeckerinnen und Entdecker. Schau genau hin. Das außergewöhnliche Handbuch der Beobachtologie, das finde ich übrigens sehr, sehr schön übersetzt, von Giselle Clarkson aus dem Englischen von Katharina Distelmeier-Moritz Verlag. 128 Seiten abgedruckt.
Das waren die besten sieben im Mai. Ich bedanke mich bei Ihnen, Franz Lettner, in Wien und natürlich bei der Jury. Alles das ist nachzuhören in unserer Deutschlandfunk-App. Nächste Woche an dieser Stelle der bekannte Hamburger Autor und Illustrator Ole Könnecke. Es folgt jetzt Computer und Kommunikation und es folgt der Mai mit gutem Spargel und der ein oder anderen Maibohle. Das wünscht Ihnen jedenfalls Ute Wegmann.