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Mehr als 100 Bücher in 40 Jahren, das ist die beeindruckende Schaffensbilanz der Hamburger Autorin Kirsten Beuier. Sie wird nächste Woche 75 Jahre alt. Kirsten Beuier hat Bilderbücher für die ganz Kleinen genau wie Romane für Jugendliche verfasst. Sie hat erfolgreiche Reihen mit vielen Bänden wie »Sommerby«, »Wir Kinder aus dem Möwenweg« und die beliebten Vorlesegeschichten rund um den kleinen Ritter Tränk veröffentlicht.
Historische Romane gehören auch zu Kirsten Borjes Repertoire, darunter zuletzt zwei Jugendromane, die sich mit dem Aufwachsen während des Zweiten Weltkriegs und in der Nachkriegszeit beschäftigen. Und bei all dieser Produktivität nimmt Kirsten Borje sich seit langem die Zeit, unermüdlich für mehr Leseförderung in Deutschland zu werben.
Die Direktorin der Internationalen Jugendbibliothek in München, Christiane Rabe, würdigt Kirsten Bojes Werk so. »Ich wünsche mir ein Land der lesenden Kinder« schrieb Kirsten Boje 2019. Bücher, die sie als Kind in den 1950er und 60er Jahren las, ebneten der vielleicht produktivsten und erfolgreichsten Kinder- und Jugendbuchautoren Deutschlands den Weg in eine selbstbestimmte Zukunft.
In beengten, aber liebevollen Verhältnissen aufgewachsen, brachten Geschichten aus Groschenheften aus dem Tabakladen von nebenan und Bücher, die sie zum Geburtstag oder zu Weihnachten geschenkt bekamen, Glanz in das ansonsten eher ereignislose Nachkriegskinderleben Kirsten Bojes. Bis heute weiß sie, wie es sich anfühlt, ein lesendes Kind zu sein, erinnert Leseblück als größtes Abenteuer ihrer Kindheit.
Astrid Lindgren, das große literarische Vorbild von Kirsten Boje, wusste, wie es sich anfühlt, ein Kind zu sein. Sie schrieb für das Kind in sich, beschwor etwa in Bullerbü die Erinnerung an ihre glückliche Kindheit in Wimmerby herauf.
Kirsten Boje schreibt für das lesende Kind in sich. Sie spürt in erfolgreichen Reihen, wie die Kinder aus dem Möwenweg oder Sommerbie, der Erinnerung das tröstende Wohlgefühl nach, das ihr etwa die Lektüre von Bonabü gab. Am Anfang stand in Kirsten Bojes Leben also das Lesen. Das Schreiben kam erst später dazu.
Ihr erstes Buch handelt von einem Adoptivkind, das behütet aufwächst, sich aber wegen seiner Hautfarbe mit Rassismus konfrontiert sieht. »Paule ist ein Glücksgriff«, so der Titel, erschien 1985. Das Buch wurde auf Anhieb einer Folgenschaft des 1986 auf die Auswahlliste des Deutschen Jugendliteraturpreises gewählt.
In dem Kinderbuch ist bereits viel von dem angelegt, was für Kirsten Bujes Erzählen charakteristisch werden soll. Knappe Dialoge, ein frischer, temporeicher Erzählton, ein feiner Humor und eine gesellschaftskritische Intention, die die Autorin beinahe beiläufig einbringt. Ermutigt von dem Erfolg begann sie eine Schreibkarriere, die in der deutschsprachigen Kinderbuchlandschaft ihresgleichen sucht.
Kirstenboje hat in den letzten 40 Jahren weit über 100 Bücher geschrieben und ein Werk vorgelegt, das keine Begrenzung der Genre kennt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat sie deshalb einmal die deutsche Arbin von Astrid Lindgren genannt. In der Tat hat Kirstenboje von Astrid Lindgren viel gelernt und stellt sich mit einem Titel wie »Wir Kinder aus dem Möwenweg« sogar bewusst in die Tradition der schwedischen Autorin.
Wie diese versucht sie sich in den unterschiedlichsten Genres. Sie hat erfolgreiche Reihen wie Juli, Lena oder Möwenweg geschrieben, die sich wie eine Chronologie normaler deutscher Kindheiten lesen lassen. Sie hat spannende Kinderkrimis verfasst, zuletzt die Erstleserei von Tabo, dem Meisterdetektiv aus Eswatini, einem kleinen Land in Südostasien, in dem sich Kirsten Boje seit Jahren engagiert.
Mit den Ferienbüchern »Sommerbee« hat sie jüngst wieder die Sehnsucht nach einem einfachen, entschleunigten Leben am Meer als Gegenentwurf zum hektischen Alltag der Großstadt geweckt. Das tut sie übrigens ohne ein sentimentales, vormodernes Vergangenheitsbild heraufzubeschwören.
In ihren gesellschaftskritischen und zeithistorischen Kinder- und Jugendbüchern widmet sie sich Fragen von Gewalt, Ausgrenzung, Mobbing oder Rassismus. Und das tut sie in letzter Zeit mit einem neuen, sehr schonungslosen Ton, der aufhorchen lässt. Es ist beinahe unmöglich, sich einen vollständigen Überblick über das breite Werk von Kursten Boje zu verschaffen. Zu vielfältig und unterschiedlich ist das Spektrum der Themen und Genres.
Will man dennoch etwas Verbindendes suchen, so sind es vielleicht zwei Eigenschaften. Ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn, der in einem tiefen Humanismus verwurzelt ist und die unbedingte Solidarität mit Kindern. Kirsten Buje beschreibt nie heile Kinderwelten, sondern webt in all ihre Bücher auch in die scheinbar harmlosen Geschichten aus dem Möwenweg oder auf Sommerby kleine Störfeuer ein, mit denen sie den Bezug zur Realität nicht verliert.
Als Humanistin ist ihr ein emanzipatorisch-aufklärerisches Anliegen wichtig. Aber sie vermittelt Werte wie Gleichberechtigung, Selbstbestimmung oder Meinungsvielfalt unaufhängig, mit großer Leichtigkeit und feinem Humor immer unter der Oberfläche der spannenden Handlung und fesselnden, pointierten Sprachebene.
Ihre Solidarität gilt uneingeschränkt den Kindern und Heranwachsenden, den Bedrohten, Vernachlässigten, ihrer Kindheit Beraubten, wie den Kindern in Eswatini, denen sie in dem kleinen Erzählband »Es gibt Dinge, die kann man nicht erzählen« ein erschütterndes Denkmal gesetzt hat. Ihre Solidarität gilt ebenso den Jugendlichen, die durch den Nationalsozialismus um ihre Kindheit und Jugend und Schuld und Zukunft gebracht wurden.
Ihre Solidarität geht aber auch allen Kindern, die in ihrem jungen Leben weniger bedrängt aufwachsen, aber dennoch mit kleinen kindlichen Dramen zu kämpfen haben. All diese Kinder sind starke, eigenwillige Persönlichkeiten, die die Leserinnen und Leser durch Kirsten Bojes großartige Gabe, sich in kindliche Innenwelten einzufühlen, liebgewinnen. Ihre Charaktere bleiben nie hölzern, sondern werden lebendig, wachsen einem ans Herz.
Ihre Naivität und Stärke berühren uns Erwachsene, Mitlesende deswegen so sehr, weil wir ihre Verletzlichkeit erkennen, von der sie noch nichts wissen. Kirsten Boje weiß um die Macht guter Geschichten, die einen hineinziehen in eine andere Realität bzw. herausreißen aus der Enge des eigenen Alltags.
Sie hat aber auch viel über die Bedeutung des Lesens nachgedacht. Aus ihrer eigenen Lesebiografie hat sie die Gewissheit gezogen, das Lesen befähigt, aus sozial benachteiligten Verhältnissen auszubrechen, um später wirtschaftlich und kulturell an der Gesellschaft teilzuhaben. Studien zeigen seit fast 25 Jahren, dass die Lesefähigkeit von Grundschülern in Deutschland dramatisch abnimmt. Diese Studie haben Kirsten Buja aufgerüttelt.
Und sie setzt ihre zunehmende prominente Stimme ein, um die Bildungspolitik immer wieder auf diesen Missstand und die verheerenden Folgen für Deutschland und die Zukunft aufmerksam zu machen. 2018 initiierte sie die Hamburger Erklärung »Jedes Kind muss lesen lernen«.
Sie nutzt jede sich ihr bietende Bühne, um unermüdlich für einen nationalen Lesepakt zu werben. So auch 2019, als sie die Hamburger Ehrenbürgerschaft erhielt und der versammelten Stadtspitze ins Gewissen redete.
Um das Offensichtlichste in ein einfaches Gleichnis zu kleiden, erzählte sie, »Mein Großvater war Landwirt in Dithmarschen und er hätte über jeden gelacht, der versucht hätte, ihm einzureden, man könne im Sommer oder Herbst ernten, ohne im Frühjahr ausgesät zu haben.«
Sie hat die Möwenwegstiftung gegründet, die Hilfs- und Bildungsprojekte für Kinder in Eswatini unterstützt. Und sie gehört zu den prominentesten und engagiertesten Botschafterinnen der Leseförderung in Deutschland. Sie hat ausgesät, sehr viel ausgesät und dafür auch reichlich Ernte eingefahren, Preise und Ehrungen, die aufzuzählen den Rahmen hier sprengen würden.
Nun feiert Kirsten Brouillet ihren 75. Geburtstag und ich bin mir sicher, sie wird weiter kämpfen, am Schreibtisch und auf der Bühne. Herzlichen Glückwunsch, liebe Kirsten Brouillet.
Christiane Rabe, Direktorin der Internationalen Jugendbibliothek in München, würdigte Kirsten Beuhe und ihr Werk. Zum 75. Geburtstag Kirsten Beuhes hat der Oettinger Verlag drei Bände der Reihe um das Meerschweinchen King Kong in neuer Aufmachung aufgelegt, illustriert von Christian und Fabian Jeremies.