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Liz Kessler: "Geheimname Eisvogel"

2025/4/26
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Der Beitrag stellt Liz Kesslers Jugendroman "Geheimname Eisvogel" vor, der vom Widerstand gegen die deutschen Besatzer in den Niederlanden handelt und die Spuren in die Gegenwart verfolgt. Zuvor wurde Liz Kessler 2023 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.
  • Liz Kesslers Jugendroman "Geheimname Eisvogel" thematisiert den Widerstand gegen die deutschen Besatzer in den Niederlanden.
  • Die Geschichte schildert die Grauen der NS-Herrschaft expliziter als in anderen Kinderbüchern.

Shownotes Transcript

Deutschlandfunk, Büchermarkt. Ab zwölf Jahren empfiehlt der Verlag Fischer-Sauerländer den ersten Jugendroman der britischen Autorin Liz Kessler, als die Welt uns gehörte. Darin schildert sie die Grauen der NS-Herrschaft schon etwas expliziter als im gerade vorgestellten Kinderbuch. Eine der drei Hauptfiguren wird ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert.

Für ihre Geschichte über drei Freunde in Wien, die der Zweite Weltkrieg auseinandertreibt, wurde Liz Kessler 2023 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Jetzt hat sie nachgelegt, Geheimname Eisvogel erzählt vom Widerstand gegen die deutschen Besatzer in den Niederlanden und von damals hinterlassenen Spuren, die bis in die Gegenwart reichen. Christoph Formweg über Liz Kesslers neuen Jugendroman.

Großeltern spielen in vielen Familien eine wichtige Rolle. Nicht nur als Babysitter, sondern auch als unbeschwerter Rückzugsort für Enkelinnen und Enkel, wo es spannende Geschichten von früher zu hören gibt.

Liv, die im heutigen England in die achte Klasse geht, hat nur noch ihre 80 Jahre ältere Oma Bobbe. »Uns verbindet einfach nichts miteinander. Bei Bobbe ist fast alles ein Tabu. Ihre Kuchenrezepte, ihre Kindheit. Kein Wunder, dass wir uns nie näher gekommen sind. Sie ist kalt wie ein Eisblock. Vor allem mir gegenüber. Es ist, als habe es immer eine unsichtbare Tür zwischen uns gegeben und ich wusste nie, wie man sie öffnen könnte.«

Livs Geschichtslehrerin bringt Bewegung in das festgefahrene Verhältnis. Sie fordert ihre Schülerinnen und Schüler auf, zu, so wörtlich, Familiengeschichtsdetektiven zu werden. Ein Stammbau muss her, Informationen über die früheren Generationen. Zu Hause ist Livs Familiengeschichte bisher kein Thema gewesen. Bei der Vorstellung, vor der gesamten Klasse zu stehen und zu reden, wird mir jetzt schon schlecht. Aber mit einem leeren Blatt dort zu stehen, wäre noch viel schlimmer.

Ich werde Miss Vorschau's Rat befolgen. Ein bisschen genauer nachforschen, und zwar nicht allein für das Projekt, sondern auch für mich. Wenn ich ein bisschen mehr über meine Vergangenheit erfahren würde, wer weiß.

Dann würde ich vielleicht ein bisschen schlauer, wie ich die Gegenwart bewältigen kann. Die Recherche ist der innere Motor von Liz Kesslers Roman »Geheimname Eisvogel«. Sie verschränkt die im Präsenz geschilderte Gegenwart von Liv mit der im Präteritum erzählten Vergangenheit ihrer Oma in den Niederlanden. Beim Umzug ins Pflegeheim taucht eine alte Kiste mit Erinnerungsstücken aus deren Jugend auf.

Der besondere Reiz, Bobbe war damals genauso alt wie Liv jetzt, 12, 13 Jahre. Mit einem dramatischen Unterschied. Bobbes Familie wird während des Zweiten Weltkriegs wegen ihrer jüdischen Herkunft von der deutschen Besatzungsmacht verfolgt. Ihre Eltern geben sie deshalb zusammen mit ihrer drei Jahre älteren Schwester Hanni in eine niederländische Pflegefamilie.

Auch Liv hat also jüdische Wurzeln. Doch wird sie nicht deshalb ausgegrenzt. Ihr Problem ist Carly, ihre langjährige Freundin, die sich plötzlich von ihr abwendet. Darüber kommt Liv mit Bobbe ins Gespräch. Ihre Großmutter erzählt nicht nur, wie sie von den Nazis ausgeschlossen wurde, sondern auch von ihrer Schwester Hanni. Wir waren uns ganz nah. Wir hatten aber auch sonst niemanden.

Und dann kam eine Zeit, da genügte ich ihr plötzlich nicht mehr. Sie war nicht gemein wie diese Kali, aber sie veränderte sich. Sie wollte keine Zeit mehr mit mir verbringen. Sie wollte etwas anderes. Sie wollte mehr. Ständig stand sie in irgendwelchen dunklen Ecken und redete mit Leuten, nur nicht mit mir. Das war die Zeit, als sie mir entglitt.

Wie es sich anfühlt, ausgegrenzt zu werden, ist eines der vielen Motive, das Liz Kessler aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Das Recherchieren selbst gehört ebenfalls dazu. Mal ist es gewinnbringend und erweitert den eigenen Horizont, mal bekommt es einen Beigeschmack von Herumschnüffeln. Oder das Mobbing, das es in unterschiedlicher Brutalität zu allen Zeiten gab und gibt.

In den Fokus rückt dann immer stärker das Motiv des Widerstands im Gestern und Heute, sowie die Frage, ab wann man selbst Schuld auf sich lädt, wenn man das Böse bekämpft. Zur Heldin wird Bobbes Schwester Hanni. Sie schließt sich der niederländischen Widerstandsbewegung an, um so viele jüdische Kinder wie möglich vor dem Zugriff der Nazis zu retten.

Doch es tauchen immer neue Rätsel auf. Weshalb versteckt Bobbe bestimmte Dokumente in einem Geheimfach der Kiste? Etwa den Zeitungsartikel über einen Anschlag in Amsterdam? Könnte es mit der Grund sein, warum sie nie über ihre Vergangenheit redet? Vielleicht wurde jemand, den sie kannte, bei der Bomben-Explosion getötet. Ihre Schwester?

Wieder überläuft mich der Schauer. Und wieder einmal begreife ich, dass ich nicht einfach nur in Bobbes Vergangenheit blicke und das nicht nur für meine Geschichtsnote tue. Ich tue es für mich, um mehr herauszufinden, wer ich bin, wer ich werden könnte, wenn ich mich damit beschäftige.

Geheimname Eisvogel ist ein klar und eingängig geschriebener, ungemein spannender, emotional aufgeladener Roman. Erzählt wird er aus vier Ich-Perspektiven, die Liz Kessler mit viel Gespür für Dramatik verzahnt. Zu Liv heute und Bobbe 1942-43 kommt Hanni.

In ihrem Tagebuch, das aus den nie abgeschickten Briefen an ihre vermutlich deportierte Mutter besteht, beschreibt sie ihren gefährlichen Alltag im Widerstand. Über den ebenfalls bei Pflegeeltern untergetauchten jüdischen jungen Willem ebnet Liz Kessler dann den Weg zum Romanfinale in der Gegenwart, das für die Überlebenden die ganze Wahrheit ans Licht bringt.

Die große Stärke des Romans liegt in der Zeichnung der Nuancen, in den Zwischentönen, die Verbindungslinien zwischen gestern und heute zulassen. So macht Liz Kessler nachvollziehbar, dass man das Vergangene nie abhaken kann und wie wichtig der Austausch zwischen den Generationen ist.

Christoph Formweg über Geheimname Eisvogel von Liz Kessler. Aus dem Englischen von Eva Riekert, Verlag Fischer-Sauerländer, ab zwölf Jahren. Die gehörten Zitate sind dem Hörbuch entnommen, eingesprochen von Simona Pahl, erschienen im Argon Verlag.