Die Autorin Marguerite Aboué, geboren 1971 in Abidjan in der Elfenbeinküste, ist mit ihrer Graphic-Novel-Reihe »Aya aus Yopougon« bekannt geworden, die sich an Jugendliche und junge Erwachsene richtet. Danach startete Aboué eine zweite Comic-Reihe für Jüngere, gezeichnet von Mathieu Sapin. Sie dreht sich um das Mädchen Akissi.
Grundschulkinder konnten deren Aufwachsen in der Elfenbeinküste fünf Bände lang verfolgen. Nun ist Akissi älter geworden. Und Marguerite Abouet und Mathieu Sapin widmen ihr eine neue Reihe, die ebenfalls im Reproduktverlag erscheint. Akissi aus Paris. Denn für die weiterführende Schule zieht Akissi um. Und obwohl sie Französisch spricht, spielen Missverständnisse eine große Rolle. Dina Netz stellt den ersten Band vor.
Die fünf ersten Comics um die freche, selbstbewusste Akissi sind auch im deutschsprachigen Raum ein großer Erfolg. Sie zeigen ein authentisches Bild einer Kindheit in der Elfenbeinküste, mit einem Affen als Haustier, aber frei von Afrika-Klischees und ohne die sozialen Probleme wie Armut oder patriarchale Strukturen zu verschweigen.
Was sich in den letzten Comic-Bänden schon abzeichnete, wird nun in der neuen Reihe »Akissi aus Paris – Wirklichkeit«. Akissi wechselt für die weiterführende Schule in die französische Hauptstadt. Auf dem ersten, emblematischen Bild steht sie mit ihrem großen Bruder Fofana, der mitgekommen ist, und dem Großonkel Opi, bei dem sie künftig wohnen, vor dem Eiffelturm.
Akissi, 12 Jahre alt, ist ein fröhliches, temperamentvolles, cleveres Mädchen, das das Leben beim Schopf packt. Sie grüßt die Leute in den Pariser Straßen, die überrascht oder nicht zurückgrüßen, und staunt darüber, dass die Autos am Zebrastreifen für die Fußgänger halten.
Der Umzug nach Paris bedeutet weit mehr als nur einen Schulwechsel. Nicht nur der Umgang mit Tieren ist hier ganz anders als in Akissis ivorischer Heimat. Weg da, blöde Tauben! Wenn ihr mich vollkackt, könnt ihr was erleben. Warum isst euch hier bloß keiner?
Im Gymnasium fällt Akissi auf. Sie ist schwarz, hat viele vom Kopf abstehende Zöpfe. Kein Handy, versteht die Pariser Jugendsprache nicht. Schon nach dem ersten Schultag ist das Heimweh groß. Akissi schüttet Monsieur Emile ihr Herz aus, einem Obdachlosen, der die Tage auf einer Bank vor ihrem Wohnblock verbringt.
»Was ist das für ein Land? Der Wecker klingelt um sieben, aber draußen ist es immer noch dunkel. Also schlafe ich weiter und denke, der Wecker spinnt. Da weckt mich mein Bruder mit lautem Gebrüll. Aber, Fofana, es ist erst... Nein! Ich war noch nie so schnell angezogen. Dabei war es immer noch stockdunkel draußen. Ich will zurück nach Hause, Monsieur Emil.«
Akissis Bruder ergeht es kaum besser. Beide betteln den Großonkel an, wieder nach Abidjan zurückzudürfen. Der Großonkel ist zwar ein älteres Semester, streng und mit konservativen Ansichten, zum Beispiel machen Handys dumm, aber er ist absolut loyal und durchaus bereit, den Kindern neue, angesagtere Klamotten zu kaufen. Durch die cooleren Outfits wächst zwar die Aufmerksamkeit für die beiden, ist aber noch nicht das Problem der neuen Freundinnen und Freunde gelöst.
Die Grüppchen in Akisis Klasse bleiben unter sich. Der Einzelgänger Marcel, der von allen gehänselt wird, fordert Akisis Sinn für Gerechtigkeit heraus. Er ist immer allein. Keiner will was mit ihm zu tun haben. Keine Ahnung warum. Dabei ist er ganz nett.
Akissi setzt sich für Marcel ein, gerät dabei zwischen alle Fronten und macht zwischenzeitlich alles nur noch schlimmer. Dass sie zugleich in die Clique der angesagten April aufgenommen werden will, macht Akissis Situation nicht einfacher.
Marguerite Abouet erzählt die Geschichte in knappen, authentischen und pointierten Dialogen, mit vielen Einsprängseln aus der Jugendsprache. Mathieu Sapin hat seinen Illustrationsstil an die Bilderwelt Clément Oubreries angelehnt, des Zeichners von Marguerite Abouets Aya-Geschichten. Die Comics über Ayas Coming of Age in Abidjan waren ein weltweiter Erfolg.
Sapin erzählt Akissis Geschichte in dieser Tradition. Farbenfroh, aber nicht knallig, im Cartoon-Stil und so dicht und wuselig, wie Akissis Alltag eben ist. Auf den meisten Seiten bringt Sapin sieben bis acht Panels unter und verleiht der Geschichte so Dynamik. Einzelnen wichtigen Szenen gönnt der französische Zeichner auch mehr Raum.
Den Kontinent zu wechseln ist nicht leicht, auch wenn man die Landessprache spricht. Das macht Akissi aus Paris auf vielen Ebenen nachvollziehbar. Akissi versteht die Codes der Jugendlichen nicht, bekommt vom Kantinenessen Durchfall, muss die unausgesprochenen Regeln einer anderen Kultur erlernen. Dass man über Körperausscheidungen lieber schweigt, will ihr zum Beispiel nicht in den Kopf. Freimütig erzählt sie ihrem neuen Freund Marcel. Uns verbindet ein Geheimnis.
Auch wenn es bei mir eigentlich kein Geheimnis ist. Ich muss jedes Mal nach dem Essen kacken. Marcel erklärt Akissi immer wieder geduldig, was man in der Pariser Schule sagt und was besser nicht. Ihre Hilfsbereitschaft, ihr Einfallsreichtum, ihre Klugheit und nicht zuletzt ihr Humor geben Anlass zur Hoffnung, dass Akissi es im zweiten Band schon ein bisschen leichter haben wird.
DINANETZ mit einem zuversichtlichen Ausblick auf die Reihe ACISSI aus Paris. Erschienen ist bisher Band 1 von Marguerite Abouet und Mathieu Sapin, aus dem Französischen von Sylph Bannenberg. Reprodukt Verlag ab 10 Jahren.