Deutschlandfunk, Büchermarkt. Gerade jungen Kindern vom Holocaust zu erzählen, ist nicht so einfach. Viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller haben sich besonders in den vergangenen Jahren Gedanken darüber gemacht, wie man Kindern die Schrecken des Zweiten Weltkriegs vermitteln kann, ohne sie zu verstören.
Die Autorin Maja C. Klinger hat sich entschieden, eine Geschichte über Freundschaft, Liebe und Herzensgüte zu erzählen, wie sie im Nachwort zu ihrem aktuellen Buch für Grundschulkinder schreibt. Maja Klinger wurde in Israel geboren, hat dort lange als Lehrerin gearbeitet und als Führerin durch die internationale Gedenkstätte Yad Vashem. Inzwischen lebt sie in den USA.
Die Geschichte, die Maja Klinger in »Wie ein Foto unser Leben rettete« erzählt, beruht auf wahren Begebenheiten. Melanie Longerich hat das Buch gelesen. Sie beginnt ihre Rezension mit einem Zitat daraus.
Der Zweite Weltkrieg begann lange, bevor meine Familie ihn zu spüren bekam. Damals hatte niemand einen Fernseher oder Internet zu Hause und nur über das Radio erfuhren wir, wo der Krieg schon wütete. Maja Klinger erzählt die Geschichte der Familie Mandil aus der Perspektive des fünfjährigen Gavra.
Er hatte sie als längst erwachsener Mann aufgeschrieben und sich mit einem Brief an Yad Vashem in Jerusalem gewandt und darum gebeten, seinem albanischen Retter Refik und dessen Eltern Fatima und Vesel Veseli den Titel der Gerechten unter den Völkern zu verleihen, was die internationale Holocaust-Gedenkstätte 1987 auch tat. Gavras Geschichte beleuchtet einen nur selten thematisierten Aspekt des Holocaust.
Als im April 1941 Nazi-Deutschland und seine Verbündeten das damalige Königreich Jugoslawien angreifen, leben Gavra und seine Familie in der serbischen Stadt Novi Sad.
Seine Eltern führen ein Fotogeschäft und seine kleine Schwester Irene, kurz Bebba genannt, ist nicht einmal drei Jahre alt. Was genau passiert, thematisiert Klinger nicht. Sie bleibt eng an der Perspektive des Kindergartenkindes Gavra, der nicht alles versteht. Doch die Weise, wie die Eltern abends, wenn er und seine Schwester eigentlich schlafen sollen, miteinander sprechen, beunruhigt ihn. »Ich verstand nicht, warum die Deutschen uns Juden nicht mochten.«
Ich kannte keinen einzigen Deutschen und dachte, wenn ich doch nie einem begegnet war und ihm nichts Böses getan hatte, warum sollte er mich dann nicht mögen?«
Den Wochenendausflug nach Belgrad zu Oma und Tante verbringt die Familie im Luftschutzbunker. Die Wehrmacht besetzt die Stadt, die deutsche Militärverwaltung verbietet den Mandils, nach Novi Sad zurückzukehren. Die systematische Entrechtung jüdischer Menschen beginnt sofort. Jedes Mal, wenn wir auf die Straße gingen, fühlten wir, wie man uns geringschätzig anschaute und schlecht über uns redete. Wir
Wir waren anders als alle anderen, gekennzeichnet mit dem gelben Stern. Die Eltern wagen die Flucht mit dem Zug in Richtung Kosovo, das zum größten Teil von italienischen Soldaten besetzt ist, die als weniger antisemitisch gelten als die Deutschen.
Da auch in Serbien jüdischen Menschen das Zugfahren verboten ist, reist die Familie mit gefälschten Pässen und neuen Namen. Aus Vater Mosche ist Mirko geworden, aus dem Familiennamen Mandil Mandic. Alles scheint zu klappen, bis der Zug bei der Ausfahrt aus dem Bahnhof anhält und die Familie im Büro des Bahnhofsoffiziers landet. Der deutsche Offizier sagte zu Vater, in ihrem Ausweis steht, dass ihr Vater David heißt, ihr seid Juden.
Ich sah kleine Schweißperlen über Vaters Stirn rinnen. Er zog weitere Dokumente aus seiner Hemdtasche. Plötzlich hob er den Kopf und ich hörte, wie er zu dem verärgerten Offizier höflich sagte, »Bitteschön, Herr Offizier, sehen Sie hier, ein Beweis, dass wir keine Juden sind.«
Er legte ein Foto auf den Tisch, auf dem er Beba und mich neben einem Weihnachtsbaum fotografiert hatte. Gavra im dunklen Matrosenanzug und seine Schwester Beba mit großer Schleife im Haar. Der Vater, erzählt Gavra, hatte in seinem Laden in Novi Sad seine Kinder oft fürs Schaufenster fotografiert, um so Kunden zu locken. Nun soll der Geschäftssinn des Vaters das Leben der Familie retten. Ein entscheidender Moment, der auch Klingers Buch seinen Titel gibt.
Ein Foto, das wirklich existiert. Es veranschaulicht den Lesenden neben vielen anderen Fotos die vielen Begegnungen der Mandils. Da, wo überraschende Wendungen, gefährliche Situationen, aber keine sorgsam komponierten Fotos zuließen, sind es die schwarz-weißen Zeichnungen der Hamburger Illustratorin Isabel Kreitz, die den jungen Lesenden eine zusätzliche Ebene bieten, die Geschichte zu verstehen.
Kreiz hat sich spätestens mit ihren Comic-Adaptionen verschiedener Erich Kästner-Werke einen Namen gemacht als Spezialistin für Kinderbuchillustrationen, die von vergangenen Zeiten erzählen. Auch für die Flucht der Familie Mandilins Ungewisse findet sie starke Bilder, die Kindern ermöglichen, unmittelbar dabei zu sein, etwa bei einem nächtlichen Ritt auf Eseln durch die Berge oder zusammengepfercht mit anderen Flüchtenden in einem alten Lastwagen ohne Dach.
So viel sei schon verraten, die Flucht der Familie endet nicht im Kosovo, sondern in Albanien, vorerst in der Hauptstadt Tirana, wo der Vater Arbeit findet, in einem Fotoladen. Doch als im September 1943 die deutsche Wehrmacht auch dort einmarschiert, muss die Familie untertauchen. Refek Veseli, ein Arbeitskollege von Gavras Vater, bringt sie im Haus seiner Eltern in einem Dorf in den Bergen unter.
Auch in Albanien hatten die deutschen Besatzer versucht, Juden zu deportieren. Dass die mehrheitlich muslimische Bevölkerung sich weigerte, sie auszuliefern, hat mit dem Ehrenkodex Besa zu tun, dem sie sich verpflichtet fühlten. Auch die Familie Mandil spürt diese Gastfreundschaft, die besagt, dass jeder Albaner die Pflicht hat, seine Gäste bedingungslos zu beschützen, auch um den Preis des eigenen Lebens.
Sie müssen helfen, auch wenn der, der um Hilfe bittet, kein Muslim ist wie sie, sondern Christ oder Jude. Geschätzt 1800 jüdische Menschen aus Deutschland, Österreich, Griechenland und Jugoslawien konnten dank dieses Ehrenkodexes überleben. 1945 kehrten die Mandils nach Novi Sad zurück und wanderten 1948 mit der Staatsgründung nach Israel aus.
Maja Klinger erzählt Kindern den Holocaust vor allem als eine Geschichte über Freundschaft, Liebe und Herzensgüte, um zu zeigen, wie sie, Zitat, auch in den finstersten Zeiten den Weg erleuchten, wie sie in ihrem Nachwort schreibt. Der Autorin ist diese Gratwanderung gelungen.
Mit einfachen Worten, unsentimental, schafft Klinge es zum einen überzeugend, aus der Sicht ihres fünfjährigen Protagonisten zu erzählen, zum anderen geleitet sie gerade junge Lesende durch eine schwierige und schmerzhafte Thematik, ohne sie zu überfordern. Ein wichtiges Kinderbuch zur richtigen Zeit. Das sagt Melanie Longerich über Maja C. Klingers Buch »Wie ein Foto unser Leben rettete«.
Gundula Schiffer hat es aus dem Hebräischen übersetzt, Isabel Kreitz hat es illustriert, Inselverlag ab sieben Jahren. Die hebräische Fassung wurde übrigens 2022 mit dem Yad Vashem Kinder- und Jugendbuchpreis ausgezeichnet.