Liebe Zuhörerinnen, liebe Zuhörer, liebe Zuschauerinnen, liebe Zuschauer. Herzlich willkommen hier an der Universität der Künste im großen Konzertsaal. Wir freuen uns total, dass wir hier sind. Das ist der Abschluss unserer Podcast-Tour dieses Jahr. Ja. Und ehrlich gesagt, wir sehen nicht so wahnsinnig viel von euch, weil die Scheinwerfer uns zu bedienen. Aber ich sehe, dass einige meiner Gäste offenbar nicht gemerkt haben, dass für sie hier vorne besetzt ist,
Also wer noch Lust hat, in der ersten Reihe zu sitzen. Du stiftest gerade Unruhe, Sabine. Wenn dann noch irgendwo einer stehen muss oder so, hier vorne ist noch Platz. Genau, so sind wir. Was ich gerade sagen wollte, wir finden diese Podcast-Tour, wir fanden sie dieses Jahr ganz großartig, weil wir ganz viele von euch
Und wir haben ein unfassbar nettes Publikum, muss man sagen. Unfassbar jung. Sind ja alle deutlich jünger als wir. Das kannst du von hier sehen. Unsere Kinder und Kindeskinder sitzen da. Sag mal, Sabine, du bist doch jetzt im Fernsehen. Ja, stimmt. Wir sind verfilmt worden von den X-Filmern, die auch Babylon Berlin gemacht haben. Die haben auch uns verfilmt. Und das kann man sich angucken auf RTL Plus. Na gut, also...
Also man kann es nicht anders, es ist wirklich toll. Ja, ehrlich gestanden müssen wir RTL sehr dankbar sein und eigentlich ihnen die Füße küssen, denn der Streamingdienst, der uns eigentlich haben wollte und der diese ganze Aufnahme und diese Verfilmung von vier Kriminalfällen bezahlt hat und vier Dokumentationen, wo ich ständig was sage, der das alles bezahlt hat,
Der ist ja eingegangen. Also der hat uns mittendrin heißen die Kuh ausgegangen. Nein, nein, nein. Also es ist so ein bisschen wie Trump und Deutschland. Trump findet Deutschland nicht so wichtig und dieser amerikanische Verleiher fand Deutschland auch nicht mehr so wichtig. Ja, aber er hat natürlich seine gesamten deutschen Geschäfte eingestellt. Ja, das stimmt. Aus finanziellen Gründen. Und da standen wir dann da. Also es war abgedreht, es waren auch vier Dokumentationen fertig und auf einmal hat er gesagt, nee, also wir...
Wir strahlen das nicht aus, wir haben jetzt keine Lust mehr und auch kein Geld mehr. Und dann standen wir da mit unseren Filmen und dann kam RTL und hat uns die Hand gereicht. Vorher kam noch was anderes, nämlich ein ganz großes Kompliment an unsere Filmkollegen. Die haben nämlich so großartige Verfilmungen aus vier Fällen von uns gemacht, dass sie dafür eine ganze Reihe von Preisen eingeheimst haben. Alle? Ja.
Sie haben alle Preise gekriegt, die man kriegen kann. Ich bin ständig zu irgendwelchen Preisfeiern eingeladen, ich geh da schon gar nicht mehr hin. Aber, und das ist ganz wichtig, wir waren im letzten Jahr im Zoopalast.
Bei der Berlinale. Und die ganze Reihe, also alle vier Filme wurden bei der Berlinale gezeigt. Und das ist für eine Serie ganz außergewöhnlich. Und sie ist wirklich toll. Also wir haben auch unglaublich gute Presse gehabt. Also erstaunlich, nicht? Auch die Konkurrenz hat sich... Du meinst die Konkurrenz, die freundlich über uns geschrieben hat? Die Konkurrenz hat sich tatsächlich freundlich über uns geäußert. Und zwar sehr freundlich. Also es lohnt sich wirklich, bei RTL Plus mal reinzuschauen.
Now to something completely different. Sabine, wir kriegen ja eine Menge Post. Es gibt so Briefe, die sind mir sehr in Erinnerung geblieben, muss ich sagen. Es gibt auch heute einen Brief, mit dem alles anfängt. Zu dem kommen wir später. Gab es so eine Lieblingszuschrift? Bei mir? Eine Lieblingszuschrift? Ich kriege jeden Tag zehn Zuschriften. Ich nenne den Beispiel. Es gab diesen jungen Mann, der war gerade Vater geworden.
Es gab das ganz, ganz, ganz kleine Neugeborene und die Mutter. Und beide hatten Einschlafschwierigkeiten. Und er schrieb, wenn die beiden uns zuhören. Musst du das jetzt hier erzählen? Ist das so ein tolles Kompliment, was jetzt kommt? Naja, aber ich fand deine Antwort gut. Weißt du die noch? Nein. Du hast ihm geschrieben... Er hat geschrieben, die schlafen dann ein. Ja, genau. Und du hast ihm geschrieben, er soll aufpassen, wann das Kind anfängt, unsere Fälle zu verstehen. Das könnte dann...
Weniger förderlich für den Schlaf sein. Ja, das stimmt. Man soll ja die Jugend fördern. Ich fand auch großartig die Menschen, die ihren Spanien-Urlaub auf dem Balkon des Hotels mit uns verbracht haben, statt irgendwie rauszugehen. Ja, man kann uns aber auch mitnehmen. Es gibt ja iPods. Also ich weiß gar nicht, warum die auf dem Balkon geblieben sind. Das weiß ja sogar ich, dass man mit iPods weggehen kann. Es soll ja auch Menschen geben, die mit uns davonrennen sozusagen. Das stimmt, Jogger. Es sind immer die Schlanken.
Aber nun zum Fall, oder? Jetzt kommen wir zu dem Schreiben, glaube ich, das alles ausgelöst hat. Ja, also wir haben heute einen Fall, der sehr lange her ist, aber gleichzeitig total aktuell. Wir haben keinen klassischen Kriminalfall, sondern einen Fall, der eher in die Adventszeit passt, finde ich. Ein Fall, wo es eigentlich um eine große Kriminalermittlung geht. Ja.
die wochenlang durchgeführt worden ist und doch ist es kein klassischer Kriminalfall. Und es gibt einen Toten, aber es gibt keine Festnahme und keine Verhaftung und auch kein Urteil. Sondern es gibt die Frage nach der Verantwortung, weil die jemand sein Leben lang mit sich rumschleppt und es gibt die Problematik, dass jemand mit seiner Schuld verurteilt
eingekapselt 20 Jahre leben muss, bis er dann irgendwann mal sich dieser Schuld stellt oder dieser eingebildeten Schuld, aber das könnt ihr dann selbst beurteilen. Und das Ganze ist gleichzeitig eine irrsinnige Liebesgeschichte. Eine irrsinnige Liebesgeschichte, wenn man es als Liebesgeschichte bezeichnen mag. Ich weiß nicht, ob die Protagonistin es sagen würde, es ist eine Liebesgeschichte. Ich fange mal an. Ich habe einen Brief bekommen vor etwa einem Jahr.
Und zwar am 25. Januar 2024. Und da schrieb mir eine Frau Folgendes. Ihnen diese Nachricht zu schreiben, schiebe ich seit Monaten vor mir her, denn sie ist vielschichtig und ich weiß nicht recht, wo ich beginnen soll. Vielleicht so. Zu aller Vorderst möchte ich Ihnen erzählen, dass Sie unversehens ein unbezahlbar wichtiger Bestandteil meines Lebens geworden sind.
Und bevor Sie sich jetzt gruselnd abwenden, sage ich auch gleich warum. Ich bin 41 Jahre alt und seit drei Jahren schwer krebskrank. Nachdem der Krebs versucht hat, mich aufzufressen, tut das nunmehr seit einem Jahr die Behandlung mit einem sogenannten Tyrosinkinase-Inhibitor. Was ist das? Ein Tyrosinkinase-Inhibitor ist ein Stoff, ein pharmazeutisches Molekül, das
die Tyrosinkinase behindert. Und die Tyrosinkinase ist ein Enzym in unserem Körper, ein Stoff in unserem Körper, der Energie transportiert von einem Molekül auf ein anderes. Wer sich an seinen Schulunterricht erinnert, es geht um Phosphatreste, ADP, ATP, klingelt da was?
Und man versucht, diese Energieübertragung zu verhindern. Es ist ein relativ modernes Krebsmedikament. Also es ist kein Inhibitor, da denkt man, es ist eine Maschine. Ist es aber nicht. Es ist ein Medikament. Ein Molekül, das als Maschine funktioniert.
Nachdem der Krebs versucht hat, mich aufzufressen, tut das seit nunmehr einem Jahr die Behandlung mit einem sogenannten Tyrosinkinase-Inhibitor, der mich im Laufe des vergangenen Jahres in die Knie gezwungen und mit Nebenwirkungen außer Gefecht gesetzt hat.
Zu einem treuen Begleiter ist mir in der schlimmen Zeit der Verbrechenspodcast geworden, dessen Folgen ich durchgehört und dann wieder von vorne begonnen habe. Stetig vor mich hin dämmernd und jeden Tag den Zeitpunkt herbeisehnend, mich in den Schatten eines Baumes oder in einen dunklen Raum legen und ausschalten zu dürfen.
Die größte onkologische Gefahr scheint derzeit gebannt zu sein. Ich bin als Palliativpatientin weiter und lebenslang in Behandlung, begebe mich aber weiterhin allabendlich in die verlässliche Gesellschaft Ihres Podcasts und hoffe, das noch lange, lange tun zu können. Und dann möchte ich Ihnen noch etwas erzählen, was mich nicht loslässt.
Vor etwas mehr als 20 Jahren war ich in einen schweren Unfall verwickelt, der bundesweit nicht zuletzt für hämische Schlagzeilen gesorgt hat. Die lauteten »Schäferstündchen endet tödlich«.
und berichteten darüber, dass eine junge Frau beim Sex mit einem jungen Mann durch einen vorbeifahrenden Zug so schwere Verletzungen erlitten hat, dass die Frau nur knapp dem Tode entkommen ist, der junge Mann aber kurz darauf im Krankenhaus verschied. Gabriel und ich, ich war damals 21, wir sind uns nachts nach der berühmten Erlanger Bergkirchweih
schicksalhaft begegnet und haben uns in der Dunkelheit der Nacht und mangels Ortskenntnis tatsächlich nicht realisiert, dass wir uns nur wenige Zentimeter neben der vielbefahrenen Strecke desjenigen ICE niedergelassen hatten, da er kurz darauf Gabriel quasi enthauptet und mir den Schädel aufgerissen hat. Ich wollte dem Ganzen oft nachspüren.
Wollte die Erstretter und Polizisten aufsuchen, die Armada von Menschen, die mich nach außen abgeschirmt haben und alle Puzzleteile zusammenfügen, die dieser eine falsche Schritt, dieser völlig falsch eingeschätzte halbe Meter zur Folge hatte. Ich bin selbst Journalistin. Ich besäße alle Möglichkeiten und auch das Handwerkszeug, aber ich schaffe es nicht.
Alle Ausreden der Welt halten mich davon ab, auch nur mit meinen Eltern über diese Zeit zu sprechen. Ich möchte Ihnen die Geschichte gerne übergeben. Mit herzlichen Grüßen, Josefine. Du hast diesen Brief bekommen, wie du viele Briefe bekommst. Hast du ihr sofort geglaubt?
Also sie heißt nicht Josefine, das müssen wir vielleicht noch dazu sagen. Gabriel heißt auch nicht Gabriel. Nein, Gabriel heißt nicht Gabriel. Wir haben ihnen Namen gegeben, weil alle Beteiligten uns stark darum gebeten haben, nicht identifizierbar zu sein. Und wenn ihr das jetzt gehört habt, wisst ihr auch warum. Denn die Presse spielt da auch eine Rolle in dieser Sache.
Mir ist aufgefallen, dieser Brief ist total vernünftig, klingt total vernünftig, sehr gut geschrieben. Man merkt, er ist ein strukturierter Mensch, ein kluger Kopf dahinter, der es gewöhnt ist, sich gut auszudrücken. Andererseits ist die Geschichte so abgedreht. Wem passiert sowas? Das ist so irre, dass ich mir gedacht habe, naja, ob das wirklich wahr ist. Ich kriege sehr viel Post und
Und da werden mir die dollsten Geschichten berichtet. Angeblich unschuldig Verurteilte, wenn man da näher hinguckt, also da ist die Schuld unübersehbar. Es gibt Schwerkranke, die beim näheren Hinsehen überhaupt nichts haben. Wir haben auch kürzlich im Kriminalmagazin hatten wir eine Geschichte über eine junge Frau, die über Jahre...
Leute genasführt hat als Sterbenskranke. Die war sogar im Hospiz, die hatte einen Platz in einem Hospiz und war pumpbalg gesund. Und hat dann, irgendwann ist sie verschwunden, als es dann sozusagen auf Sterbegabung zu ging, war sie weg. Und hat dann auch eine Journalistin an der Nase herumgeführt, die eine rührende Geschichte über sie geschrieben hat. Und hinterher stellt sich heraus, es war alles Humbug.
Und die Frau ist verschwunden. Und diese beiden haben sich dann Jahre später, diese Frau hat diese Schwindlerin gefunden und hat sie gestellt. Und sie haben sich dann Jahre später darüber unterhalten. Und darüber hat sie eine Geschichte geschrieben bei uns im Kriminalmagazin. Also es gibt solche Fälle. Also es gibt unglaubliche Schwindelfälle und verrücktes Zeug, was man sich nicht vorstellen kann. Was da an Journalisten herangetragen wird. Natürlich mit der Bitte, schreib mal über mich.
und mache mal Publicity für mich. Und ich war jetzt mir nicht sicher, ob ich es jetzt hier auch mit so jemandem zu tun habe, der einfach in die Öffentlichkeit drängt und hier mal eine Angel auswirft und schaut, ob ich anbeiße. Also habe ich ihr zurückgeschrieben, vielen Dank für Ihren Brief und Ihr Vertrauen und so weiter. Was Sie erlebt haben, ist ja unvorstellbar. Und haben Sie eigentlich Unterlagen, die diese ganzen Dinge beweisen?
Oder haben Sie einen Rechtsanwalt, habe ich auch geschrieben, haben Sie einen Rechtsanwalt, der damals tätig wurde, der irgendwie involviert hat, noch Akten hat oder so. Und dann hat sie mir geschrieben, ich bin die einzige Zeugin. Also war jetzt nicht so toll, aber...
Ich bin dann ins Archiv gegangen und da habe ich Folgendes gefunden. Das hast du gefunden? Genau. Diesen Fall hat es gegeben. Es hat diesen Fall gegeben. Und tatsächlich, hier ist auch die Stelle abgebildet, in der das passiert ist. Sogar die Bild-Zeitung war da und das hier. Schreckliches Ende eines Schäferstündchens. Also diese Artikel hat es gegeben und jetzt wusste ich aber nicht...
ob es wirklich stimmt, dass sie da auch daran beteiligt war. Es hätte ja auch sein können, dass sie das gelesen hat oder dass sie sich das zu eigen gemacht hat. Ich wollte also juristische, historische, medizinische, in irgendeiner Weise beweisbare Unterlagen haben. Ich habe mir dann gedacht, was mache ich jetzt? Ich besuche sie, ich schaue sie mir an.
Einerseits ist der Brief überzeugend, andererseits ist die Geschichte verrückt. Dann war ich dort bei ihr. Also es hat sehr lange gedauert, weil sie sehr zögerlich nur geantwortet hat, was mich auch erst misstrauisch gemacht hat, aber später habe ich dann begriffen, warum. Weil sie ununterbrochen in irgendwelchen Sonderbehandlungen war und gar nicht ansprechbar war und so schwach war, dass sie nicht schreiben konnte.
Also es gab Gründe und ich hatte sehr viel zu tun. Das heißt, wir haben uns dann erst im Juni oder Juli 2024 getroffen. Und da hat sie mir was überreicht, immerhin eine fachärztliche Bescheinigung. Ich erzähle gleich, wie sie auf mich gewirkt hat. Sie hat mir etwas überreicht, das war das Einzige, was sie hatte. Eine fachärztliche Bescheinigung eines Neurologen, eines Psychiaters, der geschrieben hat, dass sie an einer Prüfung in der Universität nicht teilnehmen kann,
wegen eines vor einem Jahr erlittenen schweren Schädel-Hirn-Traumas, Impressionsfraktur, multiple kleine intrazerebrale Einblutungen und dass ihre zerebrale Leistungsfähigkeit zunächst deutlich eingeschränkt war und bis heute immer noch mittelgradig beeinträchtigt ist und dass sie deswegen an einer bestimmten Prüfung nicht teilnehmen kann. Und da habe ich gedacht, ja, also es erscheint wirklich was zu sein. Ich habe sie dann angeguckt, sie hat mir geöffnet
Sie hat mir erst geschrieben, wo sie wohnt, dann bin ich dahin. Und dann habe ich geklingelt und dann hat sie mir aufgemacht und zunächst sah man ihr nichts an. Also es war eine nette, junge Frau, also 41, aus meiner Perspektive total jung. Und sie war sehr freundlich aufgeschlossen, hat mir gleich was zu trinken angeboten. Ich setzte mich dann zu ihr und zuerst sah man ihr nichts an. Und später hat sie dann aber ein Gerät geholt,
auf das sie ihren rechten Arm ablegen konnte. Also der Krebs war bereits so fortgeschritten, dass sie ihren Arm nicht mehr schmerzfrei bewegen konnte. Und deswegen hatte sie ein extra Gerät, auf dem sie diesen Arm abgelegt hat.
Und als ich sie dann das nächste Mal, zwei oder drei Monate später, wieder besucht habe, da war sie dann, als sie mir öffnete, ganz bleich wie ein Albino. So ganz weiß. Ganz weiß, wie mit Mehl bestäubt. Und auch die Wimpern waren weiß, die Haare waren fast weiß. Also sie hatte jetzt ein Medikament bekommen, das alle Farbe ihr entzogen hat. Es war so eine Nebenerscheinung dieses Medikaments. Sie war wie ein Gespenst.
Aber da wusste ich, dass das alles gestimmt hat, was sie mir erzählt hat. Was mich auch überrascht hat, war, dass sie vollkommen direkt war. Also es war, normalerweise kommt man ja rein und dann schaut man erst mal, was mit dem anderen so auf sich hat. Aber sie war sofort bei der Sache.
Und sie war ein Mensch, oder sie ist ein Mensch, oder sie war bei dieser Begegnung ein Mensch, den man ansah, dass sie keine Zeit mehr hat für Firlefanz. Weißt du? Okay, verstehe. Kein Geschwafel, kein Rumgerede, sondern sie ist sofort auf den Punkt gekommen. Aber man muss nochmal dazu sagen, in dem Moment, wo ihr jetzt anfangt, ihr beide, darüber zu sprechen, liegt das Ganze 21 Jahre zurück. Ja.
Und zwar, wie wir noch im Laufe des Abends sehen werden, 21 Jahre Schweigen quasi. Ja, 21 Jahre Schweigen. Ich war eigentlich die erste Person, mit der sie da richtig drüber gesprochen hat. Und das war das Ungeheuerliche an dieser Geschichte, dass sie mir das alles erzählt hat. Dass sie erzählt hat, dass der Krebs in der Halswirbelsäule sitzt. Und dass sie damals bei diesem Unfall, war die Halswirbelsäule auch verbreitet.
und die ganze Körperstatik aus der Fassung geraten. Die ganze Körperstatik stimmt seither nicht mehr, hat sie zu mir gesagt. Und sie hat seither immer Schmerzen gehabt. Ihnen ist alles irgendwie instabil. Und da genau, wo die Brüche waren und wo die Verletzungen waren, da ist jetzt der Krebs.
Das hat ihr sehr zu denken gegeben. Sie hatte auch den Eindruck, dass das kein Zufall ist. Und das war auch der Grund, weshalb sie mir geschrieben hat. Die Josefine ist ein Mensch, der sozusagen das verrückte Huhn in ihrer Familie ist. Also sie hat Geschwister, die alle wahnsinnig zielstrebig sind und erfolgreich. Nur sie war irgendwie ein schräger Vogel.
hat dann Germanistik und Soziologie studiert, sie wollte Kunst machen, aber sie wusste gar nicht genau, ob sie überhaupt wirklich studieren wollte. Sie hat es eigentlich gemacht für ihren Vater, der ist Ingenieur, Mutter ist Lehrerin, also total gutbürgerliches Zuhause. Sie wollte eigentlich da raus, sie wollte aus diesem ganzen Gutbürgerlichen raus.
Und sie hat auch was Draufgängerisches. Und das habe ich auch gemerkt. So abenteuerlustig meinst du? Sie hat was abenteuerlustiges. Ich werde auch diese Geschichte jetzt beweisen. Ich habe ihr dann mal gesagt, dass ich sie mutig finde. Das hat sie von sich gewiesen. Sie hat gesagt, sie sei nicht mutig. Aber ich finde es trotzdem, dass sie es ist. Ich meine, wer so einen Brief schreibt, eine wildfremde Person, dieser Person, die das ganze Leben anvertraut, ja?
Nur weil man diese Person im Radio gehört hat oder im Podcast gehört hat. Das ist doch ein unglaublicher Schritt. Und auch der Schritt von jemandem, der es einfach jetzt drauf ankommen lässt. Und so ein Mensch ist sie. Und so ein Mensch ist sie vielleicht auch immer gewesen, aber jetzt besonders auch geworden. Jetzt jemand, der keine Zeit mehr zu haben, glaube ich. Und es war damals, so hat sie es mir erzählt,
Einmal im Jahr gibt es in Erlangen eine riesige Kirchweih, die kennt in Franken jeder und da geht man dann hin. Also das ist ein großes Ereignis. Und sie war damals 21 und wohnte noch zu Hause, das war ja 2003.
Und danach ging man, da war sie auch nicht die Einzige, das war auch so ein Kult, nachher ging man in eine berühmte Disco in Erlangen, die heißt E-Werk. Vielleicht sagen wir noch kurz was zur Bergkirchweih. Erlangen war historisch einmal ein ganz wichtiges Brauzentrum, Bierbrauzentrum. Warum? Es gibt einen Berg, den Schlossberg, und in diesem Berg gibt es tief hineingegrabene Stollen.
Und eine der großen Herausforderungen für die Brauer war immer, das Bier haltbar zu machen. Das ist eigentlich, zumindest wenn es draußen warm ist, eine ziemlich verderbliche Substanz. Man kann es filtrieren oder man kann viel Hopfen reintun, dann wird es haltbarer. Oder aber man gräbt Stollen tief in den Berg und schleppt im Winter große Eisblöcke hinein. Und das war die Erlanger Technik. Und es gibt jetzt doch immer noch 13 dieser Keller.
Bis zu 800 Meter lang oder sogar drüber. Ich glaube, 816 ist der oder 861 Meter ist der längste. Und da ist diese Disco drin? Nein. Da wurde Bier drin gelagert und aus dieser Tradition heraus gibt es seit 1755 diese Bergkirchweih. Man kann sich schon vorstellen, das ist eigentlich so ein Fest...
So jetzt nicht gerade für junge Menschen sozusagen, sondern so ein Familiending. Du hast diese Biergärten. Du kommst doch aus Bayern, das muss ich dir ja nicht erzählen. Ja, das ist ja Franken, da komme ich jetzt nur genetisch her. Da komme ich zwar genetisch her, aber nicht persönlich. Der Söder kommt daher, ne? Genau. Jedenfalls ist sie in dieses E-Werk gegangen und ist dort im Gedränge geflogen.
einem Mann begegnet. Sie hat sich dann auch selbst vorgestellt, sie hat mir auch Fotos von sich gezeigt, wie sie damals aussah. Sie hat gesagt, ich war einfach sehr, sehr hübsch, sehr schlank, ich hatte lange blonde Haare, ich wollte was erleben. Und da steht sie auf einmal vor einem jungen Mann, der ist groß und braun gebrannt, hat lange schwarze Locken, hat in diesen Locken ein Tuch drin, hat große Ohrringe,
hat ein Flammen-T-Shirt, also ein Hemd an, auf dem Flammen sind. Klingt sehr abenteuerlich. Das ist eine abenteuerliche Erscheinung, passend zu ihr. Und sie hat gesagt, ich war nicht betrunken, ich war höchstens ein bisschen angeheitert. Von ihm weiß man, dass er praktisch kein Alkohol im Blut hatte.
Sie waren beide nüchtern und trotzdem waren sie wie berauscht. Sie hat gesagt, es war der Blitzschlag der Liebe. Sie sahen sich und waren hin und weg. Ich kann es nicht nachvollziehen. Also mir ist das noch nie passiert, so was. Ich habe ein eher elefantöser, ein elefantöses Innenleben.
Langanhaltend. Bitte? Langanhaltend sozusagen. Ja, langanhaltend, aber bis es mal so weit ist, auch langanhaltend. Wie ist das bei dir? Also ich muss sagen, mir fehlt diese Erfahrung tatsächlich auch. Also blitz, ich gucke schon gerne zweimal hin. Ja, also es ist, ich weiß, dass es das gibt und ich weiß, dass es Leute erlebt haben. Ich bin auch manchmal neidisch. Ja, ich bin auch manchmal neidisch. Ja.
Aber ich habe es nicht erlebt, ich kann es mir irgendwie nicht vorstellen. Aber sie hat es erlebt und das war an diesem Tag. Ich glaube, sie hat dir erzählt, es hat keine zehn Minuten gedauert, dann lagen die sich in den Armen. Genau, so ist es. Sie haben erst mal versucht, sich zu unterhalten, haben dann gemerkt, es geht nicht.
Weil sie vollkommen verschiedene Sprachen reden und da meine ich jetzt nicht auf verschiedenen Ebenen, sondern ich meine richtig. Also er konnte kein Wort Deutsch und sie hat nicht gewusst, was er spricht. Sie hat gedacht Spanisch vielleicht oder es war dann Portugiesisch, aber es war überhaupt kein Hin und Her. Man konnte sich über nichts unterhalten, aber es war auch gar nicht nötig, denn man fiel sich in die Arme und nach zehn Minuten küssten die sich schon. Und zwar leidenschaftlich.
sind dann aus der Disco rausgegangen und haben einen Platz zum Schmusen gesucht. Und wenn ich dir jetzt zeige, wie es in der Disco-Umgebung aussieht, dann könnt ihr euch mal vorstellen, warum es dann dazu kam, dass sie sich da verdrückt haben. Das ist das E-Werk und so sah es aus. Die Aufnahme ist von mir. Ich muss für die Menschen, die das nicht sehen können, sondern uns nicht hören können. Entschuldigung, wir müssen eine Mauerschau machen. Sie kennen das aus dem Theater? Ja.
Da blicken dann, wenn die Helden, die Herzogin auf dem Theater die Schlacht betrachten, dann stellen sie sich auf eine Burgmauer, die aus Papachir besteht und beschreiben dieses Schlachtengeschehen da hinten. Oh, und der ist umgekommen und jetzt schießt der und so weiter. Mauer, schau. So, das machen wir jetzt auch.
Für unsere Podcast-Hörer. Für unsere Podcast-Hörer. Das E-Werk in Erlangen ist ein gar nicht so großes Gebäude. Man stellt sich ein E-Werk etwas größer vor, ein Elektrizitätswerk. Aber es gibt diesen typischen Blitz am Gebäude. Das Ding ist gar nicht so groß. Ich habe mir das eigentlich größer vorgestellt, als ich das gelesen habe erst mal. Ich glaube, da ist aber hinten noch ein großer Anbau dran. Das ist nur der Vorspann.
Und es ist auch jetzt angenehm bestrahlt. Ich habe es dann selbst aufgenommen, als ich dort war. Da sah es so aus, das war der Eingang. Also ein sogenannter Unort. Wir gucken in eine betonierte Tristesse sozusagen. Und dann kommen hier noch ein paar Mülltonnen dazu. Das ist, wenn man rauskommt, rechts.
Ja, also auch hier. Und da hinaus irrten die und suchten einen Platz. Für die Liebe. Für die Liebe. Und du siehst, hier ist er nicht. Da ist ein Parkhaus.
Diesen Weg gingen sie dann nach hinten und was da passierte, das erzähle ich jetzt und ich habe auch nachher noch Bilder von dem Ort, den sie dann erreicht haben. Also die beiden versuchen jetzt sozusagen so einen Ort zu finden, an dem sie alleine sind. Genau, an dem sie alleine sind, wo es ein bisschen kuscheliger ist als mit Mülltonnen und Waschbeton. Also suchten sie die Natur, hat man ja gesehen, da hinten waren ein paar Bäume hinter diesem Parkhaus und dann...
Fehlt ihr die Erinnerung? Also sie weiß noch, dass sie, sie hat nur noch so Wahrnehmungen, also Bilder in Erinnerung. Sie weiß noch, dass sie irgendwie raufgeklettert sind. Sie sind nach oben geklettert. So zwischen Büschen und... Ja, nicht wissend, dass das ein Bahndamm ist. Also sie hat gedacht, es ist ein Berg.
den man da hochklettert. Und sie sind dann, es ist ziemlich steil, ich bin dann da auch hochgekrabbelt. Da muss man sich richtig festhalten an den Bäumen, um sich da hochzuziehen. Sie haben da oben sich geküsst und sie haben sich ausgezogen und sie haben sich hingelegt und haben sich da geliebt. In den Schotter. Sie hat gesagt, später bei der Vernehmung, ich habe nichts gemerkt. Es ist mir unbegreiflich,
Aber ich habe nichts gemerkt von Steinen. Es war ein solcher Rausch, die müssen auf dem Schotter gelegen haben. Sie hat gesagt, sie hat nichts gemerkt. Sie waren wie verzaubert. Und sie lagen da, er lag oben. Das spielt jetzt eine gewisse Rolle, weil dann auf einmal ein unvorstellbarer, ein Hammer aus dem Weltall geschah. Auf einmal war ein Teil seines Kopfes weg, weil eine Lokomotive...
an ihm vorbeigefahren ist und ihn schwer beschädigt hat. Und sie wurde skalpiert. Sie wurde skalpiert und wurde auch schwer beschädigt. Das war übrigens nicht der ICE, wie sie vermutet hat. Da hat sie sich geirrt, genau. Sondern es war der Euronight 228 von Wien nach Berlin, der um diese Zeit, also etwa halb zwei Uhr nachts... Noch ein bisschen später. Ich habe die Protokollnotiz hier. Wir reden die ganze Zeit vom 7. Juni 2003...
Und es ist 2.54 Uhr. Und der rast mit 140 kmh an dieser Stelle vorbei. Und wer sich jetzt fragt, warum haben die den nicht gehört? Da kommen wir nachher drauf. Die Polizei hat das untersucht. Die Polizei hat das also wirklich ausführlich untersucht.
Ihr fehlt die Erinnerung, sie weiß sonst nichts mehr. Aber es gab einen Zeugen und es war ein junger Arzt. Da hat sie großes Glück gehabt. Also sie hat einen jungen Mann, der auch aus der Disco ausgetreten war, also im wahrsten Sinne des Wortes, der ist ausgetreten in diesem Gebüsch und hört auf einmal Rufe, Hilfe, Hilfe, ganz kläglich, Hilfe, Hilfe.
Und erst denkt er sich, was ist das denn? Und nachdem es immer weiter ruft, Hallo, Hilfe, klettert er dann da hoch. Er sagt, es war stockdunkel. Man hat nichts gesehen. Und dann nimmt er sein Feuerzeug, er ist Raucher, und leuchtet da und sieht da eine Frau, eine blutüberströmte Frau, sieht er da sitzen und dann sieht er noch Beine und dann sagt er, wer ist denn dieser Mann? Und sie sagt, weiß ich nicht, weiß ich nicht.
Und dann sagt er, was ist denn los? Und sie sagt, ich weiß es nicht. Und dann schickt er sie weg. Bevor er sie wegschickt, kommt auf einmal ein Zug. Und er sagt, der Zug hätte ihn fast erwischt. Also der Zug fuhr praktisch zehn Zentimeter an seiner Nase vorbei und hat einen wahnsinnigen Schreck bekommen. Aus dem Nichts ein ungeheuer schneller Zug, völlig dunkel.
Und es war ein Güterzug, der an ihm vorbeigerattert ist. Und während er dann, er hat dann die junge Frau runtergeschickt, diesen Hügel runter. Also sie konnte noch selber laufen? Sie konnte noch laufen und er hat gesagt, gehen Sie runter. Die Kopfhaut hing hier runter, das war ja skalpiert worden vom Zug. Und alles war voller Blut. Und er hat sie dann den Hügel runtergeschickt und unten rief sie weiter, Hilfe, Hilfe.
Und er blieb oben bei dieser Gestalt, die da lag, und hat geguckt, was mit dieser Gestalt ist, und hat gesehen, der ist um Gottes Willen, der hat ja eine furchtbare Kopfverletzung. Er konnte am Anfang noch atmen, dann aber im Laufe der Wartezeit nicht mehr. Er ist im Krankenhaus gestorben, glaube ich. Ja, er wurde noch ein bisschen am Leben gehalten, aber dann künstlich. Also eigentlich war er so gut wie tot. Und er hat dann den Notarzt gerufen und die Polizei gerufen, und die kamen und haben...
ihn abgeholt und währenddessen, während er da in der Stockfinsternis bei diesem Sterbenden saß, kamen ununterbrochen Züge, die in ganz großer Nähe an ihm vorbeigefahren sind. Am 10. oder 11. Juni setzt die Erinnerung der Josefine wieder ein.
Und auch die ihrer Eltern. Also ich habe die Eltern gesprochen und die Familie hat sie dann besucht im Krankenhaus. Josefine ist natürlich in der Klinik. Josefine wurde in die Klinik gebracht. Beide wurden in die Klinik gebracht. Gabriel starb dort oder auf dem Weg und Josefine ist dort verarztet worden und genäht worden. Ich zeige euch mal, wie sie aussah. Das ist der operierte Kopf und...
Das kann ich deshalb zeigen. Man sieht für die Menschen, die uns nur hören können, einen kahlen Schädelteil mit einer großen Naht. Ich sage dir auch, warum ich das zeige, weil es ist ein Bestandteil der Akte. Wie ich an die Akte kam, erzähle ich gleich. Und dass es eine gab, erzähle ich auch gleich. Aber sie selber geht mit ihren Verletzungen, ihren körperlichen Verletzungen inzwischen vollkommen offen um.
Das ist auch ein Teil ihrer Persönlichkeit jetzt, dass sie sagt, meine Verletzungen kann jeder sehen. Da komme ich aber dann nachher drauf. Deswegen kann ich dieses Bild zeigen. Ihre Eltern haben jedenfalls erlebt, dass sie in das Krankenzimmer reinkommen. Da sitzt Josefine, bester Stimmung, bester Stimmung und sagt als allererstes, also vergesst nicht, ich muss unbedingt mein Auto umparken.
Und die Eltern denken sich, das darf ja wohl nicht wahr sein, was denn hier los. Und merken erst dann, dass sie aufgrund dieses Schocks, aufgrund der Kopf-OP und aufgrund einer massiven Medikation einfach neben sich steht, also die Realitäten gar nicht wahrnimmt. Sie merken dann auch, dass das Fenster vergittert ist, weil man fürchtet, dass sie, wenn sie die Situation einschätzt, sich aus dem Fenster stürzt.
Also man geht davon aus, dass sie suizidgefährdet ist. Aber diese Wirkung, die sie hatte auf die Eltern, war total befremdend. Und sie erinnert sich auch daran, dass sie das vollkommen weggedrückt hatte. Und die Tatsache, dass es gerade einen Toten gegeben hat, war für sie unerwartet.
gar nicht begreifbar oder hat sie gar nicht wahr an sich herangelassen. Ich glaube, heiter und sorglos steht im Polizeiprojekt. Heiter und sorglos war sie? Genau. Und unten stand die Presse. Natürlich hatte sich das inzwischen rumgesprochen, was da passiert war. Und das war eine so ungewöhnliche Situation, dass die Presse anrückte und zwar mit Übertragungswagen und alles. Also sie hat mir auch die Briefe von RTL noch gegeben, die versucht haben, in diese Familie heranzukommen und
Und die hatte sie auch noch. Das war auch interessant. Also unten sucht die Presse nach weiteren Sensationen. Die Presse wollte natürlich die Eltern sprechen, wollte sie sprechen, wollte irgendwie sprechen. Sex am Bahngleis und dann ist einer tot. Das ist natürlich super für die Bild-Zeitung oder sonst wen. Und da drückten die richtig rein. Und das war dermaßen massiv. Die drangen auch in die Klinik ein und boten den Eltern 2.000, 3.000 Euro für ein Interview.
sodass die Eltern Angst bekommen haben und der Vater dafür gesorgt hat, dass sie aus ihrem Zimmer rauskommt und in die Kinderstation verlegt wird. Damit man sie nicht findet. Genau, wo man sie nicht findet. Sie wird nachher ihrem Vater sehr dankbar sein, dass er sie so versteckt hat, aber wir werden auch hören, dass dieses Gefühl sehr ambivalent ist. Und dann hat sie erfahren, dass der junge Mann, der da gestorben ist, beim Liebesakt mit ihr, dass er 16 Jahre alt war.
Das hat sie dann erfahren und das hat sie umgehauen. Sie hat gesagt, der Boden tat sich auf. Ich war auf einmal eine Mörderin von einem Kind und die Verantwortung war auf einmal allein bei mir. Und ich habe gedacht, werde ich jetzt strafrechtlich verfolgt? Bin ich jetzt eine Kinderverführerin oder ich war erwachsen eher nicht, er war Jugendlicher.
Und ich habe das überhaupt nicht erkannt. Ich habe das überhaupt nicht erkannt, dass das kein Mann war, sondern ein Junge. Und es war für sie ein riesiger Schock.
Und ich muss jetzt vielleicht vorausschicken, wie ich an die Akte kam. Also ich habe mir gedacht, ich muss mal sehen, ob es da nicht eine Akte gibt. Ich meine, es war eine riesige Kriminalermittlung, da war die Polizei, war da Tage und Wochen lang damit beschäftigt, allein schon den Zugführer zu finden und den Zugführer zu vernehmen und festzustellen, wie das gekommen ist.
dass das überhaupt passieren konnte, dieses Unglück. Und auch natürlich festzustellen, und das war das Allererste, festzustellen, ob da nicht ein Dritter die Hand im Spiel gehabt hat. Also die Kriminalpolizei musste erst mal damit rechnen, dass da vielleicht jemand vor den Zug gestoßen hat. Dass es in irgendeiner Form eine Auseinandersetzung gegeben hat zum Beispiel. Oder dass ein Dritter dabei war, eine Eifersuchtsszene oder sonst was. Das muss man ja alles in Betracht ziehen.
Und deswegen wurde da relativ ausführlich ermittelt und es gab eine ziemlich dicke Ermittlungsakte. Aber wie lange werden solche Akten denn normalerweise aufgehoben? Normalerweise werden die nicht länger als zehn Jahre aufgehoben. Und wir reden hier über 21. Hier reden wir über 20 Jahre. Und dann habe ich gesagt, wenn man an die Akte kommen will, dann brauchen wir jetzt einen Rechtsanwalt, der die beantragt. Haben Sie einen? Und dann hat sie gesagt, nein.
Und dann habe ich den Rechtsanwalt gefragt, ob er nicht in ihrem Namen, sie hat dann ein Mandat unterschrieben und es hat sie natürlich nichts gekostet, klar. Und er hat dann in ihrem Namen angefragt bei der Staatsanwaltschaft Erlangen, ob es da eine Akte gibt. Und dann haben die zurückgeschrieben, ja, die Akte gibt es noch. Und warum wollen sie die haben? Sie können ja nicht einfach eine Akte bestellen.
Und dann hat er gesagt, ja, also das Verhalten ist so, die Frau hat vor 20 Jahren diesen schweren Unfall gehabt, sie ist jetzt sehr, sehr, sehr krank, todkrank und sie möchte diesen Unfall verstehen. Und deswegen brauchen wir die Akte. Und dann haben die diese Akte rausgerückt. Ich habe sie gelesen zuerst, weil ich
Wissen wollte, was drinsteht, bevor ich es ihr gebe. Ich wusste nicht, wie traumatisierend das dann ist. Aber es war nichts drin, was ich jetzt gesagt habe, das wusste sie nicht. Oder das ist für sie ein Riesenschock. Sondern ich habe es ihr dann gegeben und sie hat es dann gelesen. Und sie hat dann gesehen, und das war ganz wichtig, und deswegen war die Akte auch wichtig, sie hat dann gesehen, dass sowohl die Polizisten als auch die Rechtsmediziner ihn für 22 Jahre gehalten haben.
Er sah so erwachsen aus. Er sah so erwachsen aus und ich habe ihn irgendwann auch selbst gesehen, Fotos von ihm. Da komme ich am Schluss drauf. Aber er sah aus wie ein Mann. Das war kein Kind. Hast du den, fällt mir jetzt gerade ein, hast du den Schachweltmeister gesehen? Den jetzigen? Ja, der ist 18 Jahre alt. Glaubst du das? Der sieht aus wie 28. Der sieht aus wie 28. Den kann man auch für 35 halten. Also es ist ein...
Ein total, dieser ganze Habitus, aber auch das Äußere hat mit dem Alter, mit dem Passalter praktisch nichts mehr zu tun. Und das war hier auch so. Für Sie war das eine ganz große Erleichterung, oder? Für sie war das eine riesige Erleichterung. Sie hat gesagt, ich war ein blödes Blondchen, verführt ein Kind. Das war meine Rolle auf einmal. Und das war es eben nicht. Es war eben nicht so.
Und sie kam raus aus der Klinik und hat gesagt, sie war vollkommen verändert äußerlich. Also sie war äußerlich verändert, auch innerlich verändert. Sie hat ganz kurze Haare jetzt gehabt, einen zernarbten Kopf. Und dazu hat sie es ausgedrückt, ich habe mich von einer blonden Fee in eine Skinhead-Braut verwandelt. So sah sie aus. Die Leute rückten von ihr weg. Und was auch interessant war, war,
Die Leute haben sie nicht angesprochen. Also niemand hat mit ihr über dieses Erlebnis gesprochen. Sowohl außerhalb als auch an der Uni oder so. Alle wussten es ja. Alle hatten es ja auch gelesen und die meisten wussten ja auch, dass sie das ist in ihrem Umfeld. Aber niemand hat sie darauf angesprochen. Ihre Eltern haben nicht mit ihr darüber gesprochen. Ihre Eltern haben sich zu Tode geschämt.
Das ist ja genau der Punkt. Es gibt dieses irrsinnige, schon schwer zu erklärende Unglück. Ja.
Und dann kommt noch dieses schambehaftete Sexuelle dazu. Ja, das war das Furchtbare, sagt sie. Dieses ganze Sexuelle, das über diesem... Und dann noch dieses Alter dieses jungen Mannes, dass er praktisch aussah wie ein erwachsener Mann. Das wussten ja niemand. Die hatten ja nur die Zahlen. Die haben gesehen... In dem Artikel vorhin übrigens auch. Den müssen wir jetzt nicht noch mal zeigen. Aber das stand natürlich genau zentral im Artikel. Klammer auf, 16, Klammer zu. Ja.
Und das alles war so furchtbar, vor allem für ihre Großeltern, aber auch für ihre Eltern. Da wurde nicht drüber gesprochen. Der Gabriel ist dann begraben worden und sie wollte dann zur Beerdigung gehen. Wollte ich gerade fragen, hat sie überlegt, oder? Ja, aber die Polizei hat gesagt, gehen Sie da bloß nicht hin. Also sie wissen nicht, was Sie da auslösen, wenn Sie da hingehen. Dann gibt es am Schluss Schlägereien auf dem Friedhof oder irgendeine furchtbare Eskalation mit den Hinterbliebenen. Lassen Sie das bleiben.
Sie hat auch danach überlegt, ob sie Kontakt zur Mutter aufnimmt. Ja, sie hat überlegt, ob sie Kontakt zur Mutter aufnimmt. Das hat ihr Vater aber abgewürgt. Er hat gesagt, lass das sein. Du bist der Allerletzte auf dieser Welt, den die jetzt sehen wollen. Und du bist auch der Allerletzte, der ihnen Trost spenden kann auf der ganzen Welt. Und deswegen hat sie es nicht gemacht. Sie ist dann ausgezogen zu Hause. Sie hat ihr Studium nach einiger Zeit abgebrochen.
Sie hat auch diese Prüfung ja nicht mehr gemacht, von der ich gerade vorgelesen habe. Sie ist sehr viel durch Deutschland gereist und hat die Sache mehr oder minder vergessen. Sie hat sie natürlich nicht vergessen, aber sie hat sie vergessen. Sie hat versucht, sie sozusagen mit Leben zuzuleben, mit einem wilden Leben zuzuleben. Ich lese mal vor, was in dem Obduktionsbericht steht. Trümmerfraktur.
Also furchtbar, das kann man eigentlich gar nicht vorlesen, was da steht. Im Vordergrund der bei der Sektion erhobenen Befunde steht die massive Schädelzertrümmerung, eine große Knochenaussprengung aus dem rechten Schläfen und Scheitelbein. Die rechte Großhirnhälfte war praktisch vollständig zerstört. Es fanden sich auch Blutungen in der gesamten linken Großhirnhälfte. Dieses offene Schädel-Hirntrauma stellt auch die unmittelbare Todesursache dar.
Typische Verletzungen, die auf eine Einwirkung durch dritte Hand schließen lassen, hat die Sektion nicht ergeben. Das war eben das Wichtige. Dass man wusste, der ist da nicht vorher noch angegriffen worden oder Verletzungen gegen den Hals oder irgendeine Auseinandersetzung. Also die haben wirklich sehr ernsthaft untersucht, ob noch jemand anderes im Spiel war oder ob das hier wirklich ein Verbrechen war. Wir müssen, glaube ich, noch erklären, warum die diesen Zug nicht gehört haben. Ja, genau.
Das hat die Polizei auch herausgefunden. Diese Züge sind nicht beleuchtet. Die sind nicht beleuchtet. Warum sollten sie auch beleuchtet sein? Denn sie laufen ja auf einer Schiene. Und sie haben ein ganz mattes Licht vorne dran, aber manche auch nicht.
Und der Zugführer, der orientiert sich an den digitalen Reflektoren rechts und links der Strecke. Das ist nicht wie beim Auto, weißt du, Scheinwerfer und dann schauen wir mal, wo wir hinfahren, sondern der Zug fährt geradeaus und der Lokführer hat es vor allem mit digitalen Abtastmechanismen zu tun, aber nicht mit einer Lampe.
Und deswegen... Der hat nichts gemerkt. Der hat nichts gemerkt. Den haben sie vernommen, der ist auch in der Akte drin, der hat gesagt, keine Ahnung. Und man hört ihn auch nicht. Das ist auch interessant. Man hört den Zug erst wahnsinnig schnell. Der Kriminalhauptkommissar hat sich hingestellt, man hat dann auch Geräusche aufgenommen, wie wann hört man das, stimmt das alles, was hier erzählt worden ist, kann das alles sein? Und man hat festgestellt, ja, es kann sein, er ist nicht zu hören. Man hört ihn drei Sekunden vor Eintreffen.
Also die hatten keine Chance, diese beiden. Die hatten keine Chance. Und der Lokführer hätte auch, selbst wenn er sie gesehen hätte, keine Chance gehabt, rechtzeitig zu bremsen. Denn der Bremsweg eines solchen Zuges liegt etwa bei 1000 Metern. Liebe Hörerinnen und Hörer von Zeitverbrechen, wir wollen euch auf ein Angebot aufmerksam machen.
In der ZEIT und auf ZEIT online berichten wir über Kultur, Politik, das Weltgeschehen und immer wieder, ihr wisst es, auch über Verbrechen. Ein gratis Probeabo mit unbegrenztem Zugang, digital oder ganz klassisch gedruckt, gibt es unter abo.zeit.de slash Verbrechen. Und jetzt geht es weiter mit der heutigen Folge. Jetzt können wir mal dir uns das angucken, wie das heute aussieht.
Du bist mit ihr an die Stelle gegangen? Ich bin mit ihr an die Stelle gefahren. Das ist von unten rauf fotografiert. Es sieht jetzt flacher aus, als es ist. Aber ich bin da raufgekrabbelt. Sie konnte gar nicht mehr mit raufgehen. Sie war zu schwach. Man sieht vorne so breitblättriges Gebüsch und im Hintergrund deutet sich schon an, da steht eine Schallschutzwand. Ja.
So sieht das heute aus. Jetzt, das ist die Stelle, nur eben nicht zwischen mir und den Gleisen ist eine riesige, wie hoch wird die sein, fünf Meter oder noch höher? Wage ich jetzt nicht abzuschätzen. Errichtete Schallschutzwand, die auch eben verhindert, dass man, und das siehst du hier, dass man da durchgeht. Alles ist vergittert und zu und es gibt keine Möglichkeit auf die Gleise. Nein, keine Möglichkeit. Und da war ich mit ihr...
War sie zum ersten Mal wieder an dieser Stelle mit dir? Nein, sie war vorher schon mal da gewesen. Und sie hat festgestellt, dass es unvorstellbar ist, dass sie dort gelegen hat. Sie hat gesagt, das kann nicht sein. Das gibt es nicht. Das sind riesige Schottersteine hier. Wie kann ich hier gelegen haben? Es ist mir unbegreiflich. Da siehst du mal, in welche Ausnahmesituationen die Liebe die Menschen bringt.
Ja, sie durfte nicht zur Beerdigung, aber ein Jahr später ist sie hingefahren zum Grab. Und es war gar nicht so einfach, das Grab zu finden, denn es gibt kein richtiges Grab. Es war eine Urnenbestattung.
Der Tote wurde in einen Friedhof versenkt, in dem man heute gar nichts mehr findet, aber wo es keinen Grabzwang gibt. Man muss dann kein Kreuz aufstellen oder Blumen pflanzen, sondern man kann jemanden einfach in die Erde senken und im wahrsten Sinne des Wortes Gras drüber wachsen lassen.
Also es gibt schon so Urnengräber, die man mieten muss. Ja, ja. Also 80 mal 100 Zentimeter habe ich gelesen. Ja, 80 mal 100 Zentimeter. Und wir sehen gleich auch noch, so ähnlich hätte sein Grab damals aussehen können. Ich war auch auf dem Friedhof mit ihr und man sieht das Grab heute gar nicht mehr. Die Eltern haben gute Gründe, also Gabriels Eltern haben gute Gründe, die Grabstätte so zu wählen. Ja, auch die wurden natürlich verfolgt von der Presse.
und haben deswegen auch keinen Namen und keinen Hinweis auf irgendeine Identität haben wollen. Und deswegen wurde, da war das mehr oder weniger fast ein anonymes Grab, obwohl es kein anonymes Grab ist. Also ich habe ja bei der Friedhofsverwaltung angerufen und habe gefragt, ob es dieses Grab noch gibt. Und dann sagte man mir, ja, es gibt dieses Grab in der Abteilung F28 oder so.
Also irgendeine Zahl wurde mir dann genannt, so ähnlich wie beim Schachbrett. Aber das war nicht mehr auffindbar. Und da haben die mir das erklärt, mit dem Grabzwang, den es da nicht gibt und dass man das einfach verschwinden lassen kann. Sie hat dann, als sie dort war, ein Jahr später, ein Lied hingelegt. Also es ist interessant.
Sie hat dem Gabriel einen Brief geschrieben. Sie hat aber keine Worte gefunden. Sie sagt, ich kann alles Mögliche schreiben. Sie hat ja auch mir geschrieben. Aber sie hat keine Worte gefunden, was sie ihm hätte schreiben wollen. Und dann hat sie irgendwann ein Lied gehört von den Go-Go-Dolls. Goo-Goo-Dolls. Goo-Goo-Dolls. Ja.
Und dieses Lied hat sie dann abgeschrieben und ist auf den Friedhof gefahren und hat es ihm aufs Grab gestellt. Das Grab war damals noch aufzufinden und da hat sie es hingestellt, einerseits um ihm zu schreiben und andererseits um auch seinen Eltern irgendwie ein Zeichen zu hinterlassen, dass sie an ihn denkt. Und vielleicht magst du mal vorlesen, was sie geschrieben hat. Ich lese mal vor. Ich sage kurz vorher was zu den Gugudolls.
eine amerikanische Band, 1986 gegründet. Und wer sich jetzt hier im Saal fragt, kenne ich die? Ich habe mich das auch gefragt. Meine Antwort war Nein. Und dann habe ich das Lied gehört, dann war meine Antwort doch Ja. Aber das werden wir gleich noch hören. Ich lese erst mal den Text. Ich werde es für immer aufgeben, dich zu berühren, weil ich weiß, dass du mich irgendwie fühlst. Du bist im Himmel so nah wie nie zuvor und ich möchte jetzt nicht nach Hause gehen. Alles, was ich schmecken kann,
ist dieser Moment. Alles, was ich atmen kann, ist dein Leben. Und früher oder später ist es vorbei. Ich möchte nicht, dass die Welt mich sieht, weil ich nicht glaube, dass sie es verstehen würden. Wenn alles dazu gemacht ist, zerstört zu werden, möchte ich nur, dass du weißt, wer ich bin. Sollen wir mal reinhören? Ja. Können wir mal reinhören? Ja, das ist ganz berühmt, ne? Ganz berühmtes Lied.
Im Juli 2024 bin ich dann mit ihr auf den Friedhof gegangen. Dann haben wir versucht, Gabriels Grab zu finden. Das hier ist der Friedhof.
Wir verraten jetzt nicht, wo dieser Friedhof ist. Nein, wir verraten das nicht. Aber es ist ein sehr schöner Friedhof. Ich war erstaunt, was das für ein schöner und gemütlicher und liebenswürdiger Friedhof ist. Ja, man sieht Bäume, man sieht so wenige zerstreute Gräber unter den Bäumen. Ja, es sind ganz wunderschöne Bäume. Und es ist eine sehr friedliche Stimmung.
Das sind die Gräber gewesen. Das sind die Gräber der Urnen. Und so ähnlich sah das damals aus. So ähnlich muss sein Grab früher ausgesehen haben. Es gibt so eine Steineinfassung, aber drin eben keinen Grabstein, der irgendwie hinweist, wer hier gerade bestattet ist. Einfach nur so ein Quadratmeter. Jetzt ist sein Grab ganz weg. Jetzt sieht man es gar nicht mehr. Sie selbst hat nie eine Therapie gemacht. Sie hat sich einfach ins Leben gestürzt und hat mit diesem Grab
Trauma, was anderes ist es ja nicht, weitergelebt und hat es einfach verschüttet in sich. Sie hat eben dadurch, dass sie es nicht thematisiert hat, der Vater hat mir erzählt, dass er einen Freund hat, der Psychologe ist, der hat gesagt, es kann sein, dass es irgendwann mal ausbricht. Die hat das von sich weggeschoben und es kann sein, dass es in 10 oder 20 Jahren für sie ein Thema ist und dass es dann aus ihr heraus will.
Und lass sie in Ruhe damit. Grab jetzt da nicht nach. Also es war jetzt nicht nur so, dass die Eltern aus Scham nicht mit ihr gesprochen hätten, sondern auch, weil sie nicht dran rühren wollten, weil sie nicht wussten, was das in ihrer Tochter auslöst. Eine Retraumatisierung, wenn man das wieder hervorkehrt. Ja, dass sie irgendwie dann durchdreht oder
depressiv wird oder sonst was. Sie haben da nicht dran gerührt. Sie hat ja nach außen hin funktioniert und das Leben ging ja irgendwie so weiter. Und dann haben sie gesagt, komm, wir reden da nicht drüber. Also es war jetzt nicht nur, weil es peinlich war, sondern es war auch, sie haben sich auch überlegt, dass sie es nicht machen. Ich kann ja mal diese Stelle aus deinem Text vorlesen, wo du das am 24. Oktober 24 zusammengefasst hast. Eine Therapie, schreibst du, wird Josefine, soweit sie sich erinnert, nie angeboten.
Sie verlässt ihr Elternhaus, bricht ihr Studium ab, ist dauernd unterwegs, stürzt sich in Abenteuer, wird Journalistin mit tausend Projekten, zieht mit ihrem Partner zusammen und lebt als sei nichts gewesen. Bleibt all die Jahre allein mit diesem Trauma, diesem schwarzen Kern in ihrer Seele. Nur sie allein, sagt sie, sei in der Lage, jene Schärfe zu sehen, die ihr seither umhängt. Mit dem verblichenen Schriftzug, Schuld am Tod von Gabriel. Aber es war doch ein Unfall.
Das weiß ich, antwortet sie. Doch selbst wenn man alle strafmildernde Umstände abzöge, bliebe doch diese eine Tatsache. Hätte er mich nicht getroffen, wäre er heute noch am Leben. Ich weiß, dass ich nicht schuld bin und bin doch schuld. Bricht sie deshalb, fragt Sabine in ihrem Text, bricht sie deshalb jetzt ihr Schweigen? Will sie Gabriel abschütteln?
Will sie sich ihm stellen, diesem schattenhaften Begleiter, diesem Gespenst ihres Lebens? Ist ihr Brief an mich eine Art der Verarbeitung, die sie noch kontrollieren kann, bevor ihre Krankheit die Kontrolle übernimmt? Hast du eine Antwort? Das war meine, ich habe keine Antwort, weil ich es letztlich nicht weiß. Deswegen habe ich mir ja auch die Mühe gemacht,
diese ganze Sache zu recherchieren. Sie hat mir erzählt, dass sie natürlich nach außen hin mit Gabriel nichts mehr zu tun hatte und es war für sie ein Fremder. War es ja auch.
Aber wenn sie einen Zug gesehen hat, immer wenn sie beim Friseur war, immer wenn irgendein Wort über Südamerika gesprochen wurde, immer wenn sie Kirchweih war, immer wenn sie am E-Werk vorbeigefahren ist, immer dann war die Geschichte wieder da. Also ist sie nicht losgeworden. Sie hat dann nach dem Unfall eine Autoimmunerkrankung gehabt, eine Zeit lang im Unterleib und dann musste sie sich dann auf...
Coolpads setzen, weil es so wehgetan hat. Und da hat sie auch gedacht, das könnte eine Reaktion gewesen sein auf dieses fürchterliche Erlebnis. Und dann, 20 Jahre später eben, oder 17 Jahre später, der Krebs. Und sie selbst, nehme ich an, hat einen Zusammenhang gesehen zwischen diesem Erlebnis und ihrer Erkrankung. Sonst hätte sie mir nicht berichtet, dass der Krebs da sitzt, wo die Verletzungen gewesen sind.
Und in diesen langen Wartephasen, die sie hatte, in diesem ewigen Ausruhen und in diesen ewigen verdunkelten Räumen und in diesem ewigen Warten-sie-mal-jetzt-kommt-gleich-die-nächste-Untersuchung, in dieser Zeit hat sie angefangen, den Podcast zu hören. Und sie glaubt deshalb, weil es dort ununterbrochen um Leute geht, deren Leben sich von einem auf den anderen Moment ändert. Für immer. Sie glaubt, dass das der Grund ist, weshalb sie diesen Podcast in Dauerschleife hört.
weil sie auch zu diesen Menschen gehört, obwohl sie kein Kriminalitätsopfer, sondern ein Unfallopfer gewesen ist. Und was auch interessant war, war, dass sie alle Tabus gebrochen hat. Dieser Brief ist das Ende gewesen einer langen Kette von Tabubrüchen. Ihre Eltern haben zum Beispiel gesagt, als die Diagnose kam, sie hat durch einen Zufall entdeckt, dass sie einen Tumor auf der Niere hat. Da war sie 37 Jahre alt.
Und da hat man gesagt, was ist das denn? Und hat sie operiert und hat gesagt, das ist Krebs, aber es wird jetzt gut. Es wurde dann aber nicht gut, sondern das nächste Mal wurde sie ein Jahr später wieder operiert und ein Jahr später wieder und ein Jahr später wieder. Sie wurde also operiert, weil der Krebs einfach nicht aufgehört hat. Und es war ein unheilbarer Krebs. Es ist ein Krebs, den eigentlich alte Männer bekommen und keine jungen Frauen. Und ein typischer Altherrenkrebs ist das.
Und es gibt auch nichts dagegen. Also es gibt kein richtiges Medikament gegen diese Sorte des Krebses. Am Anfang haben auch ihre Eltern gesagt, oder ihr Vater, man muss das nicht an die große Glocke hängen. Und man ist ja auch, ich bin jetzt krebskrank. Sie hat zu mir gesagt, seit ich krank bin, bin ich ein Puzzlestück, das herausfiel und nicht mehr hineinpasst.
Das ist ein tolles Bild. Und so hat sie die ganze Zeit gesprochen, auch das mit der Scherpe, die umhängt, die keiner außer ihr sieht, Schuld am Tod von Gabriel. Das sind so ganz starke Bilder, die sie verwendet hat. Und auch dieses hier, ich bin ein Fasselstück, das herausgefallen ist.
und nicht mehr hineinpasst. Ich muss alle paar Monate zu einer Untersuchung, und zwar zu einer Generaluntersuchung, an deren Ende es sein kann, dass man mir sagt, sie werden sterben, und zwar jetzt in absehbarer Zeit. Damit muss ich immer rechnen.
Und deswegen hat sie dann angefangen, alle Tabus fallen zu lassen. Also diese ganzen Ratschläge, behalte es für dich und das geht doch niemandem was an und so, hat sie gesagt, nö. Also dann die Leute sollen es wissen. Ich bin ein Störfaktor im Leben der anderen. Ich kann nicht mehr bis in die Puppen ins E-Werk gehen. Ich werde um 10 Uhr abends müde oder um 8 Uhr oder um 6 Uhr.
Ich kann kein Alkohol mehr trinken, ich vertrage ihn nicht mehr. Ich bin einfach nicht mehr kompatibel im klassischen Sinne. Und dann ist es eben so. Es ist eben so. Und dieses, dann ist es eben so, ist eine unglaubliche Befreiung. Wenn mich dann alle verlassen, dann verlassen sie mich eben. Aber es ist die Wahrheit.
Und sie hat darüber hinaus noch ganz was anderes gemacht. Sie hat nämlich einen Freund von sich, der Fotograf ist, gebeten, sie zu fotografieren. Und zwar ihre Narben zu fotografieren. Deswegen habe ich auch die Narben eben von ihrem Kopf gezeigt. Denn es gibt von ihr noch ganz andere Narben zu sehen auf ihrem Instagram-Account. Sie hat ihre Bauchnarben gezeigt und alles, ihre ganze Zerstörung, die die Krankheit und die Bekämpfung der Krankheit mit ihr angestellt hat, die zeigt sie.
Weil sie will, dass die Leute es sehen. Und deswegen hat sie mir auch geschrieben, weil sie will, dass die Leute es wissen. Und das war für sie eine unvorstellbare Befreiung. Und sie hat zu mir gesagt, ich habe es satt, die Dinge zu verbergen. Meine Krankheit kann jeder wissen. Ich bin jetzt frei. Und die Krankheit und den Unfall schüttelt sie jetzt ab. Und dieses Bürgerliche, das tut man nicht. Darüber spricht man nicht. Darüber spricht man nicht. Das alles liegt hinter ihr.
Und ich habe es wirklich mit einer sehr gut gelaunten Person zu tun gehabt. Und diese Draufgängerei, die hat sie auch noch. Also wir sind zum Beispiel spazieren gegangen. Und sie ist also so fragil, dass sie mir gesagt hat, wenn mir irgendwas passiert und ich falle um, heben Sie mich bitte nicht auf. Rufen Sie einen Krankenwagen. Man kann mich nicht einfach aufheben. Also sie ist richtig zerbrechlich.
Und dann sind wir spazieren gegangen und dann sind wir auf einem Weg am Fluss entlang gegangen. Da kamen ununterbrochen Radfahrer und zwar mit einem Tempo, das mir also Hören und Sehen verging. Und ich habe mich dann immer so, ich habe sie an den Rand gestellt und bin dann so zwischen ihr und dem Verkehr gegangen. Aber ich dachte, wenn einer in uns reinbrettet, dann zerfällt die in tausend Stücke. Also es ist...
Aber es war ihr Wurscht. Sie wollte jetzt spazieren gehen. Und das hat mir gefallen. Sie hat dieses Draufgängerische und dieses Gutgelaunte. Sie war unglaublich gut gelaunt.
Also ich habe mir dann gedacht, es gibt so viele Leute, die den ganzen Tag mosern, weil ihr blöder Zug nicht kommt oder drei Minuten zu spät kommt. Und die Bundesbahn und sonst irgendwas. Ständig wird an irgendwas rumgemeckert. Und das Heizungsgesetz und dieses ist schlecht. Wenn du die Bild-Zeitung aufschlägst, nur Gemecker und Gemoser den ganzen Tag. Ich meine, wir leben in einem Land...
für das sich Leute an die Räder abhebender Flugzeuge klammern und in Schlauchboote setzen. In diesem Land leben wir und es wird nur geschimpft und gemeckert. Und das ödet mich an. Und da saß ich mit dieser Person, die dem Tod geweiht ist,
Und die war bester Dinge. Und da habe ich auch gesehen, dass sie zum Beispiel die Krankenversorgung, die sie hatte, sie lebt, weil die Medizin sie engmaschig überwacht und umsorgt. Sie ist eine Kassenpatientin. Es ist unglaublich, mit welcher Zuwendung das öffentliche Gesundheitswesen sich ihre angenommen hat.
Und das sieht sie und das schätzt sie. Und dass es eben Leute gibt, die sich Mühe machen im Leben. Und das alles sieht sie. Und das hat mir sehr an ihr gefallen. Und sie wollte eben jetzt diese dunkle Sache aufklären, bevor die Krankheit die Kontrolle übernimmt. Und damit muss sie ja immer rechnen. Ich habe mit einem Traumatologen über sie gesprochen.
Und der hat gesagt, wenn man sowas erlebt, dann verliert man den Glauben und das Vertrauen in das Leben selbst. Also es war jetzt keine Straftat. Aber wenn du sowas erlebst, erlebst du die Konfrontation mit dem Bösen. Das ist für dich in deiner Weltsicht, dass so etwas geschieht. Das ist natürlich alles magisch und nicht wahr. Aber es gibt es trotzdem. Es ist eine Konfrontation mit dem Bösen, mit dem unbegreiflichen Bösen.
destruktiven, aus dem Nichts. Und davon erholt man sich nur noch bedingt. Und das ist das Problem, das viele Traumaopfer haben. Und deswegen verschließen sich auch viele vor einem Gespräch darüber, weil es ihnen zum Überleben weiterhilft. Und er hat auch erzählt, dass bei Folteropfern
ist das auch oft so. Da weiß oft die Verwandtschaft gar nicht, was da vorgefallen ist. Es wird nicht darüber gesprochen. Wir haben ja jetzt auch im Podcast diese Sonderfolgen gehabt von Stefan Lebert und Britta Stuff.
deutsche Geister. Da ging es doch auch um einen alten Juden, der der Großvater oder der Vater einer Frau ist, mit der sie gesprochen haben und der sein Leben lang nie erzählt hat, dass er das Warschauer Ghetto unter unvorstellbaren Umständen überlebt hat. Das wussten die nicht. Das haben die Jahrzehnte später aus den Akten, nachdem der Mann tot war, erfahren. Hunderte und Tausende dieser nicht erzählten Geschichten. Ja.
Es hat eben einen Grund. Man verschließt sich und irgendwann geht es auf. Bei Dementen gibt es das auch. Das fällt mir ein, dass demente Frauen im Altersheim auf einmal erzählen, wie sie im Zweiten Weltkrieg von den Soldaten der Roten Armee vergewaltigt worden sind. Diese ganzen Sachen
die gibt es. Und der Vater hat gar nicht verstanden, ihr Vater hat nicht verstanden, dass sie mit mir spricht. Also der fand das eigentlich, sie hat doch jetzt wirklich was anderes zu tun. Noch ein Tabubruch. Ja, und sie hat was anderes zu tun. Sie muss sich jetzt um sich selber kümmern. Und jetzt redet sie da mit der Presse. Und ihre Mutter...
hat gesagt, das ist kümmern, dass ihr mit der Presse redet. Das musste jetzt sein. Und sie kann das gut verstehen, sowas muss raus. An dieser Stelle, Sabine, könnte diese Geschichte zu Ende sein. Denn du hast sie recherchiert, rekonstruiert. Aber es gibt noch eine ganz, ganz große Fehlstelle, finde ich, und das ist Gabriel selbst. Ja, und das hat auch Josefine Angst gemacht, als ich ihr gesagt habe,
Was machen denn die Eltern? Da gibt es doch Leute, die ihn verloren haben. Die muss ich jetzt finden. Und in den Akten waren zwar Aussagen von dem Stiefvater, aber die Mutter hat damals kein Deutsch gesprochen, jedenfalls nicht in dem ausreichenden Maße, dass man sie hätte vernehmen können oder hätte vernehmen wollen. Die hätte auch nichts anderes gesagt als der Stiefvater.
Aber diese ganzen Telefonnummern stimmten natürlich nicht mehr. Die waren ganz woanders inzwischen. Ich habe sie dann aber doch gefunden, auf sehr umständliche Weise. Und ich habe es der Josefine gesagt, ich muss jetzt die Eltern finden. Und das hat ihr Angst gemacht, weil sie natürlich, ich habe ihren Sohn umgebracht. Die Schuldzuweisung, jetzt kommen sie, jetzt werden sie personifiziert. Irgendwo sind Leute, die wünschen mir den Tod oder die verfluchen mich. Ja.
Und ich habe dann gesagt, es geht aber nicht, wir müssen die suchen. Und wenn es ganz schlimm wird, ich gehe hin, dir wird nichts geschehen. Dann habe ich die tatsächlich gefunden, jedenfalls habe ich eine Telefonnummer gefunden, hinter der ich die beiden vermutet habe. Ich wusste ja gar nicht, sind die noch zusammen?
Wie haben die diesen furchtbaren Tod überstanden? Darüber gehen ja ganz viele Beziehungen in die Brüche. Du verlierst deinen Sohn. Ich kenne auch selber welche, die da über den Tod eines Kindes kaputt gegangen sind. Und wie werden die reagieren? Werden die eisig sein? Werden die wütend sein? Also furchtbar. Man kann sich das Furchtbarste vorstellen. Und ich habe dann eine Telefonnummer gefunden, hinter der ich diesen Vater vermutet habe. Und ich habe dann gesagt,
Und dann habe ich gedacht, bevor ich jetzt da hinschreibe, rufe ich mal an. Dann habe ich da angerufen. Dann habe ich gesagt, guten Tag, ich heiße Sabine Rückert von der Zeit oder aufgelegt. Dann habe ich mir gedacht, das ist ja, das kann ja lustig werden. Und dann habe ich mir aber auch wieder gesagt, vielleicht hat er gedacht, ich will ihm eine Zeitung verkaufen. Ach so. Denn ich lege auch auf, wenn einer anruft und sagt, guten Tag, ich bin vom Lübecker Tagblatt.
Dann lege ich auch auf. Dann frage ich auch, denke ich mir doch nicht, dass der mich interviewen will, sondern ich denke, dass er mir jetzt ein Abo aufquatschen will. Und deswegen hat er aufgelegt. So habe ich mir dann gedacht und deswegen habe ich gedacht, gut, auf diese Weise lasse ich es jetzt bleiben. Ich schreibe ihm. Du hast ihm einen langen Brief geschrieben, oder? Ich habe ihm einen langen Brief geschrieben am 27. August 2024 an ihn und vor allem an Sie.
Und habe geschrieben, wir kennen einander nicht, ich wende mich an Sie, weil mein aktuelles Projekt indirekt auch Sie beide betrifft. Und dann habe ich mir vorgestellt, wer bin ich und was will ich und was hat das mit Josefine auf sich. Und ich habe geschrieben, bei diesem Unfall wurde ja nicht nur Frau XY verletzt, sondern auch ihr Stiefsohn Gabriel getötet.
Deshalb schreibe ich Ihnen, ich weiß nicht, in welcher Verfassung ich Sie beide antreffe, hoffe aber sehr, dass ich Ihnen mit diesem Brief nicht zu nahe trete. Ich möchte Sie als Eltern des Verunglückten über meine Bemühungen in Kenntnis setzen und Sie fragen, ob Sie bereit wären, mir von Gabriel zu erzählen. Er ist ja nicht nur ein Unfallopfer gewesen, sondern offenbar auch ein sehr besonderer Mensch.
Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir ein Zeichen geben, dass dieser Brief Sie überhaupt erreicht hat. Wenn Sie keinen Kontakt zu mir wünschen, verstehe ich das natürlich und entschuldige mich dafür, Sie nach so langer Zeit beunruhigt und geschmerzt zu haben. Ich wollte auf gar keinen Fall, dass die den Artikel lesen und aus dem Artikel dann erfahren, dass es hier Recherchen zu Ihrem Sohn gegeben hat. Das war das Allerwichtigste. Und ich habe auch nicht mit einer Antwort gerechnet. Hast du nicht?
Nein, nein. Nach so langer Zeit? Ja, ich habe immer mal wieder an Leute geschrieben und es passiert manchmal, dass Leute antworten, aber sehr oft antworten sie auch nicht, weil sie mit der Sache abgeschlossen haben und nicht mehr jetzt wieder von vorn anfangen wollen und wieder Wunden aufreißen und es tut weh. Und deswegen habe ich es durchaus für möglich gehalten, dass hier keine Antwort kommt. Es kam auch zunächst keine und dann kam eine.
Auf einmal, und zwar ein Anruf auf meinem Handy, er rief auf einmal, nee, Quatsch, es kam eine Mail, dass er telefonieren möchte. Und dann habe ich mit dem Stiefvater von Gabriel telefoniert. Der lebt irgendwo in Süddeutschland, das Paar ist noch zusammen. Und er sagte zu mir, ich muss erst mal mit meiner Frau sprechen, ob wir uns mit ihnen treffen und ob sie das verkraftet. Ich wollte mir erst mal anhören, wie sie so klingen. Und dann hat er mit der Frau gesprochen.
Und dann durfte ich die besuchen. Und dann bin ich da vorgefahren mit einem Taxi irgendwo in Süddeutschland vor einem sehr hübschen Haus und gehe da rein. Und dann sehe ich ihn gleichzeitig ankommen. Und er war beim Konditor gewesen und kam mit so einem Tablett Kuchen. Mit fünf oder sechs verschiedenen wunderbaren, riesigen Kuchenstücken. Und die wurden dann aufgetischt. Da sollte ich mir dann was aussuchen aus diesem Kuchen. Und es wurde ein unglaublich starker Kaffee gemacht.
der mich drei Tage lang wachgehalten hat. Ein brasilianischer Sonderkaffee. Und ich, das sagt auch schon, dass jetzt hier gelächter ist, es war total lustig. Also es war eine total gelöste und freundliche Stimmung, als ich da reinkam. Und es war also weit davon entfernt, dass irgendwie Trauer und Groll in der Luft gehangen hätten. Sondern sie wussten, warum ich da war. Sie wussten, dass ich über Josefine schreibe.
Und sie wollten mich kennenlernen und wollten hören, was ich vorhabe. Und sie haben mir dann erzählt, was los war bei ihnen. Und sie haben mir erzählt, dass sie in jener Nacht auf der Kirchweih waren mit ihrem Sohn und mit noch einem weiteren Freund und dass man hinterher ins E-Werk ging. Und sie auch und dass man da was getrunken hat und der junge Mann war auch dabei. Irgendwann ist er im Gewühl verschwunden. Und sie haben dann gesagt, ja, wo ist er denn? Wo ist denn der Gabriel?
Sie, die Mutter, hat kurz vorher den Herrn kennengelernt, einen Franken, sieht aus wie ein Erdkundelehrer. Ich habe dann auch zu ihm gesagt, ich habe ihn gefragt, was er für ein Beruf ist und er hat es mir dann gesagt. Da habe ich gedacht, Sie sehen aus wie ein Erdkundelehrer. Ich denke gerade darüber nach, wie ein Erdkundelehrer aussieht. Und sie hat dann gesagt, stimmt.
Sie, das muss ich vielleicht auch sagen, sie war eine unglaublich herzliche Frau. Sie hat mich also umarmt und war unglaublich freundlich. Diese ganze Szene war unglaublich freundlich.
Und diese Küche war freundlich und dieser Kaffee und der Kuchen. Und dann haben sie mir eben erzählt, dass der Gabriel verloren gegangen ist in der Menge und dass sie ihn dann gesucht hätten. Dann sind sie nach Hause gefahren und haben gedacht, vielleicht ist er da. Und dann haben sie sich gedacht, nee, das kann ja eigentlich gar nicht sein. Er kann die Sprache nicht. Wir müssen dazu sagen, der ist erst wenige Tage zuvor nach Deutschland gekommen. Genau, er war eben gerade erst nach Deutschland gekommen und sollte jetzt bei diesem Paar leben. Ja.
Und sie hat ihn erst zurückgelassen, sie hatte ihn geheiratet, ihren deutschen Mann, und hat dann den Sohn erst zurückgelassen, noch bei Verwandten. Und dann hat sie ihn nachgeholt nach einer Zeit. Und er war erst eine Woche da. Er war erst eine Woche da. Und das war sozusagen, man hat das gefeiert, dass er da war. Und deswegen ist man in diese Disco gegangen und hat dann Bier getrunken und hat es sich gut gehen lassen. Und er verschwand.
Und sie haben ihn nicht gefunden. Dann sind sie nach Hause gefahren, da war er auch nicht. Dann sind sie wieder ins E-Werk gefahren und haben ihn da auch nicht gefunden. Und dann haben sie gesagt, jetzt gehen wir zur Polizei. Also vielleicht hilft die. Und dann sind sie zur Polizei und dann hat man ihnen gesagt, er ist tot. Stell dir mal das vor. Also unvorstellbar. Unvorstellbar. Und ich habe dann gefragt, wie es dann weiterging. Ja.
Er hat es dann erzählt, dass sie in ein unglaubliches Loch gefallen ist nach dem Tod ihres einzigen Kindes und dass sie da fast draufgegangen ist an diesem Schmerz. Sie wurde dann sehr fromm. Sie hat dann eine starke religiöse Erleuchtung gehabt. Sie wurde dann unglaublich fromm und sehr fromm.
Und hat auch ihn dazu genötigt, sich taufen zu lassen. Er hat sich taufen lassen. Ja, ihretwegen. Und so ist sie darüber weggekommen. Das war der Weg, den sie gehen konnte, um über diesen Schmerz hinwegzukommen. Und ja, das habe ich akzeptiert und man kann nur Respekt davor haben. Und sie waren auch jetzt völlig entspannt geworden.
Und sie waren auch gegenüber der Josefine sehr, sehr freundlich. Sie haben zu mir gesagt, ich soll ihr ausrichten, dass längst alles gut ist und dass Gabriel ihr verziehen hat, schon lange. War irre. Das hat die Mutter zu mir gesagt. Und dann haben sie mir Fotos gezeigt von ihm. Und zwar aufgenommen, kurz vor dem Tod. Im E-Werk? Die haben in diesem E-Werk Fotos geschossen. Und sie hat noch zu mir gesagt...
Ich hatte, seit er da war, ein schlechtes Gefühl. Ich weiß nicht, ob das im Nachhinein hineininterpretiert worden ist oder ob sie das wirklich hatte, das weiß ich nicht. Aber sie hat zu mir gesagt, sie habe ihn immer wieder im Vorfeld angesehen, immer ganz lange angesehen und habe ein schlechtes Gefühl gehabt. Und er habe dann, der Gabriel, zu ihr gesagt, Mama, warum starrst du mich die ganze Zeit so an? Ja.
Und dann haben sie die Fotos geholt, das war auf ihrem Laptop, hatten sie die gespeichert und dann habe ich das gesehen. Dann habe ich den Mann gesehen und neben seiner Mutter, die damals natürlich 20 Jahre jünger war, ich habe die Haare gesehen und das Tuch gesehen und die Ohrringe gesehen und alles, was ich aus der Akte kannte. Das Flamment-T-Shirt. Ja, das in der Akte abgebildet war, in einem fürchterlichen Zustand. Das hatte er da an. Und das war wirklich...
Erschütternd, sowas zu sehen, wenn du vorher die Akte gelesen hast und weißt, wie es endet. Und du siehst die beiden kurz noch voller Zuversicht, kurz und du weißt, in zwei Stunden ist der tot. Das ist ein wahnsinniges, das ist ein unglaublicher Schrecken, den du da kriegst in so einem Moment. Aber ich habe die gesamte Geschichte gesehen und ich habe sie dann verlassen und sie hat mich dann noch umarmt und hat gesagt, sie würde Josefine gerne kennenlernen.
Und mit dieser Botschaft bin ich dann losgezogen und habe es ihr erzählt. Und das hat sie unglaublich glücklich gemacht. Und das ist die Geschichte. Danke für diese Geschichte, Sabine.
Zum Abschied sage ich euch noch eben, dass sie eine der ganz wenigen Menschen ist, oder vielleicht der einzige Mensch, zu dem ich nach einer solchen Recherche weiter Kontakt habe. Ich weiß auch, dass die beiden Parteien, also die Eltern von Gabriel und sie, inzwischen mindestens schriftlichen Kontakt haben. Ob es inzwischen auch ein Telefonat gegeben hat, das weiß ich nicht. Und ich bin nach wie vor mit ihr in Kontakt und wir schreiben uns. Und sie hat mir jetzt auch Nürnberger Lebkuchen geschickt.
Zu Weihnachten. Ganz, ganz herzlichen Dank fürs Zuhören.