Deutschlandfunk, Büchermarkt. Morgen wird ein neuer Bundestag gewählt. Deshalb stehen heute auch in den Büchern für junge Leserinnen und Leser politische Themen im Mittelpunkt. Wir haben ein Buch im Programm, das erklärt, wie der Politikbetrieb in Deutschland überhaupt funktioniert. Und eins, das die Auswirkungen von Migration über Generationen hinweg in den Blick nimmt.
Ein Comic beschreibt jüdisches Leben und Antisemitismus im Hamburg des 17. Jahrhunderts und ein Bilderbuch beschäftigt sich mit den Folgen des Klimawandels. Dina Netz ist am Mikrofon. Guten Tag. Bundestagswahl, Kanzlerkandidat, Erst- und Zweitstimme. Viele Begriffe, die man Kindern gar nicht so einfach erklären kann, sind wegen der morgigen Wahl gerade in der Welt.
Die Autorin Andrea Paluch und die Illustratorin Stefanie Marian versuchen in einem aktuellen Sachbilderbuch das Wichtigste rund um die Bundespolitik zu erklären. Hier wird Politik gemacht, heißt es, und mit hier ist der Berliner Reichstag gemeint. Denn von diesem Gebäude gehen Paluch, verheiratet übrigens mit Vizekanzler Robert Habeck, und Marian aus. Meine Kollegin von der politischen Literatur Katrin Stöwesand hat das Kindersachbuch gelesen.
Wahrscheinlich kennen viele noch Puck, die Stubenfliege. Eine Figur bei Biene Maja, ein schlaues, etwas naseweises Kerlchen.
Eine ganz ähnliche Fliege führt durch dieses Buch. In Sprechblasen liefert sie wichtige Ergänzungen oder stellt Fragen. Und gleich zu Beginn präsentiert die Fliege, was das Buch bieten möchte. Es will gleichzeitig die Geschichte und Bedeutung des Reichstagsgebäudes erklären, sowie die Grundlagen der Bundespolitik. Das ist viel, an manchen Stellen etwas zu viel. Aber der Reihe nach.
Es fängt niederschwellig und durchdacht an. Oft sagt man zum Reichstagsgebäude Bundestag. Genauso oft wird das Gebäude aber auch Reichstag genannt. Warum ist das so? Und was bedeuten diese Namen? Einzelne Begriffe wie Bundestag erklärt Autorin Andrea Palluch im Folgenden kurz und griffig, sodass man sich vorstellen kann, dass junge Leserinnen und Leser Lust haben, den Gedanken zu folgen und mehr zu entdecken.
Was ein Parlament ist oder was der Begriff Abgeordnete bedeutet, erläutert das Buch schlüssig. Die entsprechende Seite bietet aber auch Zusatzinformationen, etwa wie die Parlamente in anderen Ländern heißen. Hier wird es dann schon mal unübersichtlich.
Das Verfahren zur Bundestagswahl wirkt etwas zu kindlich formuliert, wenn es heißt, die Bürgerinnen und Bürger könnten sich auf einer Liste eine Lieblingskandidatin oder einen Lieblingskandidaten aussuchen und ankreuzen. Ebenfalls sehr vereinfacht und dadurch stigmatisierend fällt die Beschreibung der NichtwählerInnen aus, sowohl im Text als auch im Tortendiagramm, wo sie als Couch-Potatoes zu sehen sind.
Andere schwierige Zusammenhänge, wie etwa demokratische Regeln, fasst Andrea Paluch dagegen sehr treffend zusammen. Wenn die Bevölkerung herrschen soll, muss es für jeden Bürger, jede Bürgerin eine Möglichkeit geben, mitzubestimmen. Deshalb gibt es Wahlen.
Die Kapitel heißen Schwierige Wörter 1 bis 5 oder Das Reichstagsgebäude erlebte drei Staatsformen.
Das Buch lässt auch komplizierte Punkte wie Demokratieskepsis oder Autokratien nicht aus. Fast alle Länder der Welt geben vor, demokratisch zu sein. Und selbst autokratisch regierte Staaten berufen sich auf die Demokratie.
Die Erklärungen zum Grundgesetz enthalten naturgemäß mehr Text als andere Punkte. Hier bedarf es auf jeden Fall einer Vorleserin oder eines erwachsenen Mitlesers.
Es ist nun einmal dem Gegenstand entsprechend kompliziert. Aber dafür ist auch alles zu finden, was als Frage auftauchen kann. Alle Staaten haben so ein Regelwerk, die sogenannte Verfassung. Die Verfassung regelt den Staatsaufbau, die Grundrechte und Pflichten der Einwohner und die Begrenzung der Staatsgewalten.
Mal bestechend einfach, mal dem Gegenstand angemessen etwas komplexer treffen die Texte meist den richtigen Ton und eine gute Form, um junge Leserinnen und Leser anzusprechen. Es wird was durchgehend gegendert, was nur selten irritiert. Etwa beim Bundeskanzlerinnenamt. Gemeint ist hier das Gebäude, das offiziell bekanntlich nicht so heißt. Es wird oft passiv formuliert. Das wirkt nicht kindgerecht.
Die optische Struktur von Illustratorin Stefanie Marian erinnert ein wenig an Bildschirmfenster oder Social-Media-Kacheln. Das spricht mal an, mal wirkt es überladen. Immerhin bietet dann die Reporterfliege noch Orientierung.
Manchmal scheitert das Buch an seinen Ansprüchen auf Vollständigkeit. NGOs zu erklären, alle Achtung. Ja, die gehören natürlich zum politischen Betrieb, aber man hätte sich hier besser beschränkt. Denn diese Erklärung gelingt zum Beispiel nicht so gut. Der geschichtliche Teil hat ebenfalls seine Stärken und Schwächen. Wie Monarchie und Diktatur erklärt werden, wirkt sehr einleuchtend.
Wenn Andrea Paluch aber schreibt, dass die Besatzungsmächte den Deutschen dabei geholfen hätten, das Militär abzuschaffen, Nazis vor Gericht zu stellen und demokratische Strukturen zu schaffen, verkürzt und verfälscht das Buch hier doch auf bedenkliche Art.
Wie schon erwähnt, lässt das komplexe Vorhaben das Buch an einigen Stellen unübersichtlich erscheinen. Es wäre besser gewesen, sich thematisch zu beschränken. Nichtsdestotrotz hat man hier ein gutes Erklärwerk an der Hand, aus dem man gezielt Punkte herausgreifen kann. Eltern, Tanten und Großväter werden damit also um keine Antwort vor der Bundestagswahl verlegen sein. Selbst auf die Frage, was machen Abgeordnete den ganzen Tag?
Und spätestens das Glossar am Ende sorgt für Struktur und Auffindbarkeit. Das Fazit von Katrin Stövesand. Sie hat sich das Kindersachbuch »Hier wird Politik gemacht – Das Reichstagsgebäude« von Andrea Paluch und Stefanie Marian angesehen. Der Karibu-Verlag empfiehlt es ab zehn Jahren.
Das Thema Migration hat den Bundestagswahlkampf dominiert wie kein anderes. Und zwar fast ausschließlich aus der Perspektive derer, die Migration begrenzen wollen. Der Autor von Romanen und Drehbüchern Abdi Nazemian stammt aus dem Iran, ist in Paris, Toronto und den USA aufgewachsen und lebt heute in Los Angeles. Sein Roman Like a Love Story von 2019 wurde vom Time Magazine unter die 100 besten Jugendbücher aller Zeiten gewählt.
Seinen aktuellen Jugendroman nennt Nasamian sein bisher persönlichstes Buch, weil er darin eigene Erfahrungen verarbeitet. In »Nur dieser eine Augenblick« legt er den Fokus auf die Gründe dafür, warum Menschen ihre Heimat verlassen. Und darauf, was Migration auch noch für die Identitätssuche der folgenden Generationen bedeuten kann. Christoph Formweg über Abdi Nasamiens Jugendbuch »Nur dieser eine Augenblick«.
Abdi Nazemian fackelt nicht lange. Im Präsenz, das Unmittelbarkeit und Nähe erzeugt, setzt er gleich in den ersten Zeilen einen provozierenden, hochaktuellen Fokus. Spannend.
Schwulsein im Internet ist anstrengend. Dieser Gedanke geht mir durch den Kopf, als ich meinen Social-Media-Account entschwulisiere. Verschwunden ist jedes jemals von mir gepostete Foto, auf dem Shane und ich uns küssen oder Händchen halten. Doch warum will der Iran-Stämmige nach dem frühen Tod seiner Mutter allein beim Vater in Los Angeles aufgewachsene Mut sein Coming-out rückgängig machen?
Für den 17-Jährigen steht die erste Reise in den Mullerstaat an. Homosexuelle wie er werden dort von der Polizei verfolgt. Deshalb will Mut das Risiko für sich minimieren und löscht verfängliche Spuren im Internet. Vor der Abreise aber rückt der immer wieder verdrängte Vater-Sohn-Konflikt in den Vordergrund. »Nicht selten ertappe ich mich dabei, wie ich meinen homophoben Dad verteidige, sobald Shane ihn angreift.«
Ebenso würde ich Shane verteidigen, wenn mein Vater ihn jemals angreifen würde, aber das tut er nicht. Er lässt ihn einfach außer Acht. Vielleicht ringe ich im Grunde ja gar nicht mit Shane. Der Kampf findet zwischen zwei Seiten in mir selbst statt. Die eine Seite fühlt sich verpflichtet, meine Familie zu verteidigen, die andere Seite will bedingungslos meine Sexualität feiern.
In seinem Familienroman »Nur dieser eine Augenblick« überzeugt er in den USA erfolgreiche Jugendbuchautor Abdi Nazemian immer wieder mit solchen subtilen psychologischen Deutungen. Zudem besticht er mit einem großen Schatz an Wissen. Sei es über die Geschichte des Iran, sei es über die heutigen Diskurse in der internationalen queeren Szene.
So entdeckt Mut im Iran erstaunt eine geheime, bestens informierte, oppositionelle Parallelwelt, in der alles möglich scheint.
Das ist während der iranischen Revolution 1978 gegen das Schah-Regime nicht anders. Hier erzählt Muts Vater, die zweite von drei Erzählstimmen, wie eng erste Liebe und politischer Aufruhr oft verquickt sind. Während der Straßenkrawalle lernt er Shirin kennen, aber sie werden getrennt. Wie
Wie soll er sie wieder treffen? Jeder Gedanke, der bis heute von der Revolution vereinnahmt wurde, gilt jetzt ihr. Als wäre Schirin die Revolution meines Lebens geworden. Die Veränderung, die ich brauche. Als ich zu Hause ankomme, bin ich noch immer außer Atem. Die Schüsse klingeln in meinen Ohren. Wo warst du, fragt Bobo. Hab ich doch gesagt, für die Uni lernen.
Mein Atem geht schwer. Sie merken, dass ich lüge. Das hier könnte der Moment sein, meinen Eltern zu erzählen, woran ich glaube, wer ich bin. Die dritte Perspektive des Romans nimmt Mutes Großvater ein, der, wie sich herausstellt, ebenfalls homosexuell ist. Er erzählt von der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg in Kalifornien, als er kurz vor einer Filmkarriere in Hollywood steht.
Mal ist er verzweifelt über die Gängelung und Ausbeutung der hochtalentierten Schwulen, mal mokiert er sich voller Ironie über seine Helikoptermutter. »Ich wünschte, ich wäre mehr für sie als nur ein Ticket zur Berühmtheit. Die unausgesprochene Wahrheit unserer unglücklichen Familie ist nämlich die, dass Mutter und Willy es nicht geschafft haben, selbst die Stars zu werden, die sie werden wollten.«
Deshalb benutzen sie mich, um an den Applaus zu gelangen, nachdem sie sich immer gesehnt haben. So leuchtet Abdi Nazemian drei Epochen aus. Die Zeitsprünge und Ortswechsel geben dem Roman seine innere Dynamik, die familiären Konflikte und die ganz konkrete Bedrohung durch das heutige Mullah-Regime seine Spannung.
Nur dieser eine Augenblick entpuppt sich als lebenskluge Reflexion über die Facetten der Liebe in den letzten 100 Jahren. Über ihre Kompromisse, ihre Versteckspiele, ihre fatalen Besitzansprüche. Jede Generation, so die Botschaft, muss die Liebe mit neuem Sinn erfüllen. Nicht anders als die Politik und ihre Ideale von Freiheit und Demokratie.
Als erfahrener Drehbuchautor kombiniert Abdi Nazemian konfliktreiche Dialoge mit konstruktiven Gesprächen der Annäherung. Nur über Klartext, so der Tenor, lassen sich für die Zukunft andere Perspektiven eröffnen. Gerade für Mut und seine erste große Liebe Shane.
Die so irritierende Nähe und Ferne des Iran schaffen für Mut ganz neue Erkenntnisse. »Ich weiß noch, wie Shane mir zum ersten Mal empfahl, den Kontakt zu meinem Dad abzubrechen, der meine Sexualität nicht so annehmen konnte, wie Shanes Eltern es taten. Und gerade dämmert mir, was Shane da vorgeschlagen hatte. Nicht nur meinen Dad zu opfern, sondern meine Verbindung zu meiner gesamten Kultur. Ja, er liebt mich.«
Aber wäre ich seinem Ratschlag gefolgt, dann wäre ich jetzt nicht hier. Ich hätte nicht gewusst, wie es sich anfühlt, irgendwo dazuzugehören. Schön geredet wird im Familienroman nur dieser eine Augenblick nichts. Der dramatische Plot dürfte nicht nur Jugendliche mit Migrationshintergrund ansprechen, die ihren Ort zwischen den Kulturen suchen, sondern auch Entdeckungsfreudige, die über den nationalen Tellerrand hinaussehen möchten.
Abdi Nazemian plädiert für das Ideal einer Offenheit, die ohne verlogene Doppelmoral auskommt, gerade was die oft widersprüchlichen sexuellen Neigungen angeht. Sein Roman ist eine kämpferische Parabel über den schwierigen Begriff der Toleranz. Eine Coming-of-Age-Story, eingängig und packend erzählt und komplex konstruiert.
Das sagt Christoph Formweg über Abdi Nazamiens Jugendroman »Nur dieser eine Augenblick«. Isabel Abedi und Merit Gelpiel haben ihn aus dem amerikanischen Englisch übersetzt. Arktis Verlag ab 14 Jahren. 28 Jahre lang hat die jüdische Juwelen- und Perlenhändlerin Glückel von Hameln Begebenheiten aus ihrem Leben aufgezeichnet.
Glickl Bas Judah Leib, wie sie eigentlich hieß, lebte im 17. Jahrhundert in Hamburg. Und ihre Erinnerungen sind ein berührendes Dokument der deutsch-jüdischen Geschichte. Der Hamburger Kinderbuch-Illustrator Jens Kornils greift in seinem ersten Comic nun einen historischen Kriminalfall auf, von dem Glickl von Hameln in ihren Erinnerungen erzählt. Zeta und Mordio heißt der daraus entstandene Comic. Judith Leister hat mit Jens Kornils darüber gesprochen.
Im Jahr 1691 begann in Hamburg eine Juwelen- und Perlenhändlerin namens Glickl Bas Juderleib, ihre Erinnerungen zu verfassen. Die Witwe musste nach dem Tod ihres Mannes die Geschäfte übernehmen. Sie hat ja angefangen, die Memoiren zu schreiben, nachdem ihr geliebter Mann gestorben ist. Sie schreibt, um nicht dem Trübseil zu verfallen, habe ich mich entschieden, mein Leben aufzuschreiben.
Es kommen immer wieder so jüdische Lebensweisheiten und religiöse Geschichten. Manchmal auch nur so Klatsch und Tratsch aus der Nachbarschaft, aus der Verwandtschaft. Erzählt der Hamburger Zeichner Jens Kornels, der in seinem ersten Comic CETA und Mordio eine Episode aus Glickls Tagebuch als Krimi in Szene setzt. Darin berichtet die Händlerin von einer großen Geschichte. Nämlich vom Verschwinden zweier jüdischer Männer in Hamburg.
Einer davon ist ein Verwandter. Glickl steht in diesem Comic aber nicht im Mittelpunkt. Sie ist eher eine Randfigur, die der eigentlichen Heldin Rebecca hilft. Die schlaue Detektivin Rebecca findet nämlich schnell heraus, wer der Mörder der beiden Vermissten ist und heftet sich an seine Fersen.
Einmal schleichte sie sich dabei von Hamburg nach Altona. Altona, heute ein Stadtteil von Hamburg, war damals ein Dörfchen in Dänemark, in dem jüdisches Leben sich relativ frei entfalten konnte. Die Dänen haben diese sehr liberale Judenpolitik eingeführt. Die Juden durften da Synagogen bauen und hatten jüdische Friedhöfe und eben bestimmte Rechte, die sie in Hamburg nicht hatten.
Die Dänen waren vor allem an den Handelsbeziehungen der jüdischen Gemeinden interessiert, denen man in Hamburg das Leben schwer machte und die man teils als vogelfrei ansah.
Ein Thema, das Corniels beschäftigt hat. Es ging auch darum zu erzählen, in welcher Angst die Juden damals die ganze Zeit lebten in Hamburg, dass sie zu jeder Zeit aus der Stadt geworfen werden konnten. Obrigkeit und Kirche hatten daran großen Anteil. Besonders schlimm hetzten in Hamburg lutherische Geistliche, die den Juden Gotteslästerei vorwarfen.
Im Comic sieht man den Pastor Johann Friedrich Mayer, eine historische Figur, mit zornrotem Kopf auf der Kirchenkanzel toben. Juden dagegen müssen sich zu jedem Zeitpunkt klug und vernünftig verhalten. In einer Szene in der Synagoge etwa überlegen sie genau, wie man den Mörder vor Gericht bringen könnte.
Gefährlich wird es, als Rebecca sich traut, den christlichen Mörder der beiden Juden öffentlich zu beschuldigen und damit ein großes Zeta und Mordio auslöst. Trotz des ernsten Themas gelingt es Corniels mit hellen, leicht zurückgenommenen Farben, das Hamburg um 1700 in eine insgesamt freundliche Atmosphäre zu tauchen. Mir war es wichtig...
dass es nicht so eine braun-düstere Mittelalter-Ästhetik gibt. Deswegen habe ich Violetttöne benutzt und auch immer mal wieder gelb und blau und rosa und so weiter. Weil ich klar machen wollte, was ihr hier seht, ist eine interpretierte Comicwelt.
Obwohl Cornels sich Rat von Experten holte, musste er gelegentlich improvisieren. Egal ob es die Kleidung war, die Architektur, die Bräuche. Man kam immer wieder an den Punkt, wo auch die Experten aus dem Museum für Hamburgische Geschichte oder vom Institut für die Geschichte der deutschen Juden gesagt haben...
Wir wissen es einfach nicht. Vertreter der jüdischen Gemeinschaft erkennt man im Comic an den Schabbesdeckeln, großen Barretts, die die Männer an Feiertagen trugen. Und an Bräuchen und Gegenständen, die teilweise für die Handlung eine Rolle spielen. Zum Beispiel führt ein gestohlener silberner Dreidel, ein Kinderspielzeug für das Lichterfest Chanukka, Rebekka auf die Spur des Mörders.
Jens Cornels fängt die für jüdische Menschen so gefährlichen Lebensumstände in seinem Comic überzeugend ein, ohne didaktisch zu werden. Zugleich gelingt es ihm, Humor ins Spiel zu bringen. Zum Beispiel sind Männer im Vergleich zu den tatkräftigen und geschäftstüchtigen Frauen hier eindeutig das schwächere Geschlecht. Cornels Figuren erinnern ein bisschen an die Asterix-Comics, ein
Ein stinkender, von Fliegen umsurter Käse spielt eine Rolle und alle Charaktere sind mit dicken Knobelnasen ausgestattet. Das macht sie von vornherein sympathisch, ja fast schon vertraut und betont ihre Gemeinsamkeiten. Denn angesichts der aktuellen Ereignisse in Deutschland ist dieser Comic auch eine Warnung davor, Menschen auszugrenzen, damit sich die dunkle Vergangenheit nicht mehr wiederholt.
Judith Leister über den Comic Zeta und Mordio, frei nach den Memoiren der Glöckel von Hameln von Jens Kornils, erschienen im Avant Verlag ab 13 Jahren.
Klimawandel und Umweltschutz haben im Bundestagswahlkampf kaum eine Rolle gespielt. Dabei sind die Folgen der Umweltzerstörung längst erlebbar. Ein Bilderbuch ruft jetzt ein Ereignis in Erinnerung, das inzwischen Jahrhundertflut genannt wird. Im Juli 2021 starben bei der Naturkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen mehr als 180 Menschen. Zahlreiche Gebäude, Straßen, Brücken wurden zerstört. Der Wiederaufbau ist bis heute nicht abgeschlossen.
Die Autorin und Illustratorin Bille Weidenbach hat die Flut im Ahrtal selbst miterlebt und ein Buch darüber gestaltet. Hätte, hätte Eimerkette. Ein Bilderbuch von Flut, Mut und Wiedergut, heißt es. Anne-Kathrin Weber hat es sich angeschaut.
Es ist Dienstag, 14 Uhr, in einer kleinen Stadt, die so aussieht, wie Städte in klassischen Wimmelbüchern aussehen. Es gibt eine Schule, die Kinder spielen auf dem betonierten Schulhof, daneben ein Supermarkt, dahinter ein Krankenhaus mit Rettungshubschrauber. Vor einem Café gab es gerade einen Auffahrunfall mit zwei Autos, die Polizei ist schon da. Pittoreske Bogenbrücken führen über einen Fluss, der mitten durch die Stadt fließt.
Direkt am Ufer ist ein Campingplatz und einige Leute gehen baden. Die aquarellierten Illustrationen sind entsprechend bunt und fröhlich gehalten.
Am nächsten Tag um diese Zeit verdunkelt sich der Himmel. Oben auf dem Berg zieht ein Gewitter auf. Es beginnt stark zu regnen. Juhu, Pfützen springen, freuen sich einige Kinder in der Stadt, während andere mit Blick auf den anschwellenden Fluss den Ernst der Lage schon früh verstehen. Schnell, wir müssen eine Sandsäcke-Mauer bauen, ruft einer und ein weiterer sagt Auweia.
Ob das gut geht? Immer mehr Braun ist in den Illustrationen zu sehen. Denn einige Stunden später rasen Schlammlawinen ins Tal. Straßen sind nicht mehr zu erkennen. Die ersten Menschen retten sich auf die Dächer von Autos und Häusern. Kurz vor Mitternacht steckt auch die Feuerwehr in den Fluten fest. Viele Häuser stehen unter Wasser. Mensch und Tier fürchten um ihr Leben.
Die Naturkatastrophe im Wimmelbuch erinnert an die Jahrhundertflut, die 2021 Teile von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen stark zerstört und viele Todesopfer gefordert hat. Die Autorin und Illustratorin Bille Weidenbach lebt im Ahrtal, der Region, die am stärksten von den Fluten betroffen war.
Bis heute ist dort, in den überfluteten Gebieten, das kollektive Trauma noch lange nicht verarbeitet, der Wiederaufbau längst nicht abgeschlossen. Anders im Wimmelbuch. Ein Jahr später sieht die kleine Stadt nämlich fast wieder so aus wie vor der Flut. Bis auf einige Neuerungen, die dem Hochwasserschutz dienen.
So wurden die Bogenbrücken beispielsweise gegen Konstruktionen ausgetauscht, an denen kein Treibgut hängen bleiben kann. Autos sind im Straßenbild nicht mehr zu sehen, dafür Windkrafträder am Horizont und Solarpaneele auf den Dächern. Und der Schulhof ist nicht mehr grau, sondern grün. Wo es geht, Beton weg und Grünfläche hin, heißt es dazu am Ende des Buches.
Die Stadt erscheint wieder in bunten, freundlichen Farben. Hier gibt es also das bereits im Titel versprochene Wiedergut. Nur ein Detail passt nicht ganz dazu. An einem Bildrand ist ein Kreuz abgebildet, vor dem eine Karotte liegt. Ein Stoffhase ist in den Fluten umgekommen. Er ist das einzige Todesopfer im Buch.
Damit macht Bille Weidenbach an ihre Leserinnen und Leser ab fünf Jahren literarische Zugeständnisse, die nicht den realen Gegebenheiten entsprechen. Trotzdem ist es der Autorin eindrucksvoll gelungen, Kindern und Erwachsenen ein Bild von einer Katastrophe zu vermitteln, die uns angesichts des Klimawandels immer öfter treffen wird.
Auf den Bilderbuchseiten, die die Tage direkt nach der Katastrophe zeigen, lässt sie die vielfältigen Emotionen der Betroffenen plakativ nebeneinander stehen, die zwischen tiefer Erschütterung, Trauer und Erschöpfung, aber auch Hoffnung und Dankbarkeit schwanken.
Bille Weidenbach zeigt in ihrem Buch aber vor allem, wie wichtig Solidarität und Zusammenhalt sind. Denn nur gemeinsam gelingt es den Protagonistinnen und Protagonisten, ihre Stadt wieder aufzubauen und zukunftsfähig zu machen.
Mit »Hätte, hätte, Eimerkette« hat Bille Weidenbach ein plastisches Bilderbuch über die Folgen des Klimawandels geschaffen. Ein Buch, das den schmalen Grad zwischen Realismus und Idealismus sensibel und kindgerecht meistert. Die Meinung von Anne-Kathrin Weber. Sie besprach »Hätte, hätte, Eimerkette«, ein Bilderbuch von Flut, Mut und Wiedergut von Bille Weidenbach. Verlag Klett Kinderbuch. Ab fünf Jahren.
Nächste Woche Samstag stellen wir Ihnen hier die besten sieben Bücher für junge Leserinnen und Leser des Monats März vor. Heute war Dina Netz am Mikrofon. Ich empfehle Ihnen jetzt im Anschluss Computer und Kommunikation und wünsche Ihnen ein gutes Wochenende.