Deutschlandfunk, Büchermarkt. Heute geht es um die ganze Welt. Die Artussage, Jugend im Faschismus, Mobbing, erkrankte Eltern und jede Menge Neuanfänge. Sie hören den Büchermarkt mit der besten Liste des Deutschlandfunks, die besten sieben im Monat Juni. Es begrüßt Sie Ute Wegmann. Zugeschaltet aus Mainz unser Juror Michael Schmidt, Literaturexperte auch und im Besonderen im Kinder- und Jugendbuch.
Michael Schmidt, gerade sind Sie verabschiedet worden als Redakteur bei der Kulturzeit, aber Sie bleiben uns ja zum Glück in der Kinder- und Jugendbuchbranche erhalten. Was sind denn aktuelle Projekte? Ich kann mir jetzt Zeit lassen oder Zeit nehmen für Dinge, die ein bisschen länger irgendwie bearbeitet werden müssen. Und das ist natürlich komfortabel. Das ist auch jetzt auch mal ganz schön, wenn man so aus dem...
Rhythmus einer täglichen Sendung raus ist. Und ein Thema war jetzt zum Beispiel mich mit den autobiografischen und für Erwachsene gedachten Schriften von James Criss ein bisschen länger zu beschäftigen. Eine andere Geschichte ist, die mich eraltert und die höllisch viel Arbeit macht.
Ein Lehrauftrag an der Uni in Aachen für eine Einführung in Kinder- und Jugendliteratur als Vorlesung. Und da muss man sich schon mal sehr, sehr bemühen, alles das zu sortieren, was man so an Einzeleindrücken über die Jahre eingesammelt hat, um das ein bisschen auf den Punkt zu bringen. Auch für sich selber. Das ist also von daher irgendwie anstrengend, aber auch ganz gut. Und in Aachen sind das Germanistikstudentinnen? Das sind Germanistikstudenten, die für Lehramt in den Anfangssemester eine Einführung brauchen, ja. Spannend.
Wir kommen zu den besten sieben und beginnen mit einem Bilderbuch und gleichzeitig geht es um die ganze Welt in diesem Bilderbuch. Ulrike Möltgen, Wuppertaler Künstlerin, vor langer Zeit, muss man sagen, Schülerin von Wolf Erlbruch, mehrfach im Deutschlandfunk vorgestellt, mehrfach mit Preisen ausgezeichnet.
hat ein kleinformatiges Buch geschaffen in Bild und Text und in ihrer ganz eigenen Arbeitsweise. Auf dem warmroten Cover sieht man ein schlafendes Mädchen, das vielleicht auf einer dunkelblauen Decke liegt, die aber auch ein Meer, ein Fluss oder ein See sein könnte. Ich war die ganze Welt. Ein Traum, der hier erzählt wird. Michael Schmidt, worum geht es in diesem Traum? Ich glaube, im Kern versteckt sich hinter diesem Traum eine Vorstellung oder eine Geschichte über Kreativität.
über künstlerisches Ausdrucksvermögen, darüber, dass in einem Menschen die ganze Welt sozusagen Platz finden kann, wenn dieser Mensch, in dem Moment dieses Kind, sich damit beschäftigt und sich darüber Gedanken und Geschichten erzählt.
Dieses Mädchen liegt auf dieser Decke, wie schon gesagt, und irgendwie auf den Füßen sieht man Details der Welt. In den Haaren sitzt ein Löwe, es gibt irgendwo ein Zirkuszelt. Sie ist sozusagen eine Landkarte und auf dieser Landkarte spielt sich dann dieser Traum ab, der diese einzelnen Elemente miteinander in Verbindung bringt und dann eine locker gestrickte Geschichte. Das ist ein ganz, ganz klein bisschen sperrig, weil es natürlich aus sehr vielen Materialien kollagiert, teilweise auch mit dicken Ölfarbstrichen dargestellt wird.
Der Text ist auch manchmal gereimt, manchmal aber eben auch nicht. Es wird einem nicht ganz einfach gemacht, sich in dieses Buch irgendwie einzufinden, aber ich glaube, darum genau geht es. Es geht darum, wie kann man sich Geschichten erzählen und nicht zuletzt, wie kann ich die Herrin meiner Geschichte bleiben, auch wenn das ein Traum ist. In diesem Traum agieren dann die Figuren, die in den Zelten zum Beispiel vorkommen, in einem Zirkuszelt.
Aber sie soll nicht so agieren, wie sie wollen, sondern sie soll so agieren wie das Mädchen in seinem Traum und als Erschafferin der Welt gerne möchte, dass sie agieren. Dann kann man im Grunde auch sagen, es geht um die Freiheit, die man durch die Kreativität hat, oder? Ja, darum geht es, glaube ich, ganz zentral. Das hat Ulrike Möltgen in den verschiedenen Phasen ihres Schaffens ja immer schon mal für sich auch selber ausprobiert, indem sie den Stil gewechselt hat. Und ich glaube auch, das hier ist ein Buch darüber, was ist die Arbeit einer Künstlerin?
Sie haben es eben schon erwähnt, Ulrike Möltgen, kollagiert. Wir haben pastose, dicke Aufstriche. Es gibt Wildes, es gibt Haariges, es gibt Detailliertes, ganz Kleines und Großes und Grobes. Gibt es noch mehr zu sagen zu den Illustrationen oder habe ich es damit halbwegs erfasst? Ich glaube, damit ist alles erfasst, was in dieses Buch hineingepackt worden ist. Und auf einer kurzen Strecke eigentlich bietet das ganz, ganz viele Möglichkeiten.
Angebote, ja, man muss sich eben da, glaube ich, auch ein ganz klein bisschen hineinwühlen. So wie man sich in Traumwelten immer hineinwühlen muss, weil der Zugang nicht in jedem einzelnen Bild gleich ganz einfach ist. Ich war die ganze Welt von Ulrike Möltgen, Peter Hammer Verlag, 32 Seiten, ab vier Jahren.
Quest, so lautet der Titel des nächsten Buches, Untertitel von Teil 1, Die Dame vom See. Quest bedeutet Suche oder eine Aufgabe im größeren Sinne. Und darum geht es im folgenden Kindercomic des französischen Autors und Illustrators Frederic Maupommet und des belgischen Künstlers Walter Mennert, bekannt durch Jasmina. Er hat den Comic gezeichnet.
Die Artussage steht im Mittelpunkt und ein über tausend Jahre zu leistendes Vermächtnis, von Generation zu Generation weitergegeben, die Bestie zu suchen. Welche Bestie? Wo soll man beginnen? Und braucht man definitiv das magische Schwert? Scheinbar ja, denn damit beginnt die Geschichte. Unser Protagonist aus dem Hier und Heute sucht das Schwert bei der Dame vom See.
die es ihm aushändigt, aber ihn gern begleiten möchte. Und er, ein Student auf einer Vespa ohne Ritterrüstung, erkennt, dass es um den Weg und nicht um das Ziel geht. Michael Schmidt, eine Suche, auf die sich jeder, ich sag mal Klammer auf, Mann, Klammer zu, begeben muss?
Wenn man jetzt wirklich vor allen Dingen diesen Satz in den Mittelpunkt stellt, »Zur Weg ist das Ziel, das diesem Studenten mitgegeben wird«, ja, dann ist es natürlich so, dass jeder sich einen Weg suchen muss, zu welcher Bestie im Leben auch immer und was auch immer dann mit dieser Bestie später dann passieren kann.
Diese Geschichte hier zunächst mal ist natürlich eine Parodie und es ist eine sehr lustige, kann man schon sagen, Verballhornung der ganzen Artussage, wenn da dieses Vermächtnis weitergegeben worden ist von Urgroßvätern auf Großväter. Der Vater dann sich dem mal entzogen hat und der Großvater jetzt dem Jungen die Vespa schenkt, damit er sich auf eine Suche machen kann, die kein festes Ergebnis mehr haben muss. Dabei spielt aber natürlich trotzdem eine Rolle und wir haben nur den ersten von drei Bänden jetzt im Moment vor uns.
Es gibt diese Bestie, die taucht in diesem Comic schon auf, aber was die am Ende in der Handlung wirklich für eine Rolle spielen wird, können wir schlecht ermessen. Und vor allen Dingen, in welchem Gewand sie daherkommt. Vielleicht sagen wir noch zwei Sätze zur Illustration von Walter Manet?
Diese Illustrationen sind auf eine bestimmte Art sehr eingängig. Das ist ja auch ein Buch, das für Acht-, Neunjährige schon gedacht ist. Das heißt, es wird alles wirklich sehr heruntergebrochen. Es wird irgendwie sehr leicht identifizierbar gemacht. Es wird dann in diese Geschichte ja alles das eingeschrieben, was die heutige Gegenwart ausmacht, also nicht nur die Vespa. Es kommt das ganze Thema Umweltschmutz bei dem Teich, wo die Fee gelebt hat, hinzu und vieles andere, was sozusagen unseren Alltag prägt. Also das ist irgendwie sehr heruntergebrochen und sehr leicht zugänglich. Arthus kann man dann entziffern. Man muss es vielleicht noch nicht mal.
Quest, Teil 1, die Dame vom See von Frederic Maupommet und illustriert von Walter Mennert aus dem Französischen von Christiane Bartelsen, Reproduktverlag, 120 Seiten und Sie haben es gesagt, ab 18.
Der nächste Comic richtet sich an Jugendliche, denn er beschäftigt sich mit den Themen Manipulation und Widerstand im Dritten Reich. Ingrid und Paul, so der Titel. Geschrieben hat den Ingo Hepp, geboren in Hamburg, Regiestudium an der Kunsthochschule für Medien in Köln und Drehbuch an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin. Er blieb Köln treu und bekam für dieses Projekt das Kölner Stipendium für Kinder- und Jugendliteratur. Gezeichnet hat die Münchner Illustratorin Luise Merdita, die in Hamburg studierte.
Ingrid und Paul, wer sind die beiden? Sie sind Geschwister, sie die Ältere, erkennt früh die Gefahren des Faschismus, der zehnjährige Bruder verliert mit dem Tod der Mutter den Halt und lässt sich von der HJ beeindrucken. Der Comic zeigt in 13 Kapiteln die Jahre 1933 bis 1945. Jedem Kapitel ist eine Faktenseite zur Seite gestellt.
Michael Schmidt, wozu dient die Einteilung? Spiegeln die Kapitel mit jedem Jahr eine fortschreitende Verhärtung der Situation und auch der Menschen?
Das kann man so ganz pauschal auf jeden Fall sagen. Es geht wirklich darum, so durch die Geschichte des Dritten Reiches hindurch zu gehen, aber tatsächlich nicht festgemacht sozusagen an den ganz großen signalartigen Ereignissen, die wir aus Geschichtsbüchern kennen. Die Geschichte selber spielt sich relativ alltagsnah in fast allen ihren Episoden ab. Das heißt, es wird irgendwie im familiären Umfeld erzählt, es wird erzählt im Umfeld der
von Hitler-Jungen-Strukturen, wo der Junge dann hineingerät, weil er total indoktriniert ist. Oder es wird erzählt im Umfeld des Mädchens, dass sich dem von Beginn an entzieht, das mit großer Sorge sieht, wie der Bruder sich entwickelt, wie da eine wirkliche Feindschaft im Kinderzimmer schon irgendwo entsteht. Und es wird dann irgendwie weitergeführt, wenn dieses Mädchen seinen eigenen Weg geht, der immer wieder mit dem System kollidiert und dieses Mädchen am Ende ja auch in ein Lager führt.
Die Bilder sind schwarz-weiß. Was ist jetzt neu und was ist anders an diesem Comic? Ich glaube, es ist tatsächlich neu, wie systematisch man hier sozusagen Indoktrination und was sie mit jungen Menschen machen kann. Und das ist ja das Entscheidende hier bei dieser Geschichte, wie das nachgeht.
nahezu idealtypisch gezeichnet wird. Und wie es dann eben unterstützt wird durch diese Informationsseiten, die dann das begleitende geschichtliche Wissen immer noch irgendwo dazuliefern. Wir sind hier sozusagen die ganze Zeit in einem kleinen, überschaubaren Raum, sei es ein Familienzimmer, sei es irgendeine Nische im Wald, wo junge Menschen von Hitlerjugenden angegriffen werden, weil sie einfach den Fundamentalität her, von der Ideologie her widerstreben müssen.
Es ist im kleinen Raum das ganz große Drama der zwölf Jahre Drittes Reich geschildert. Kindheit und Jugend im Dritten Reich am Beispiel einer Familiensituation, einer Geschwistersituation. Ingrid und Paul von Ingo Hepp und Luise Merdita. Verlagshaus Jakobi und Stuart, 176 Seiten ab 14.
Wir kommen zu den erzählenden Büchern für Kinder und für Jugendliche. Erin Bowe, in Iowa geboren, Teilchenphysik hat sie studiert, lebt jetzt in Kanada. Umzug in die National Quiet Zone, der einzige Ort ohne Internet. Wie prickelnd kann das für einen Jungen von zwölf Jahren werden?
Azud, Augen zu und durch, so nennt Simon den Ort, wo seine Mutter künftig ein Bestattungsinstitut betreiben wird und auch der Vater Arbeit findet. Simon erzählt, teils mit bissigem, witzigem Blick auf Menschen und Welt. Und eigentlich lässt sich das alles ganz gut an, aber mehr und mehr merken Lesende, dass der Junge etwas Schlimmes erlebt haben muss. Etwas, das den Wechsel in diesen Ort begründet.
Michael Schmidt, wir haben ein umfangreiches Werk, 400 Seiten, der Titel Alpakas, Agate und mein neues Leben. Wie schreibt Erin Bow lustig, spannend und welche Rolle spielen die Alpakas oder die eine Agate? Die Alpakas spielen eine ganz entscheidende Rolle ganz am Anfang, denn sie tauchen als Thema auf. Es wird eine lustige, sehr komische Szenerie erzählt.
Danach tauchen die Alpakas nie wieder auf, aber damit ist vorgegeben, was dieses Buch macht und was vor allen Dingen der Erzähler, dieser Junge, dieser zwölfjährige Junge, die ganze Zeit mit uns als Lesern macht. Er führt uns ständig in die Irre, er führt um den heißen Kern seines Lebens, seiner Traumatisierung, das muss man sagen und das kann man auch sagen, ohne zu viel zu verraten, immer erstmal bestimmt 250, 300 Seiten lang herum.
Weil er es nicht erzählen will, weil dieser Ort, wo kein Internet ist, wo kein Fernsehen ist, wo kein Radio ist, wo niemand etwas über ihn herauskriegen kann, über seine Vergangenheit, über die Dinge, die er erlebt hat, das ist für ihn der ideale Ort. Und an diesem Ort konzentriert Erin Bow dann eine ganze Menge sehr komischer, sehr skurriler Episoden und auch sehr skurriler Menschen und teilweise auch Tierepisoden.
Und sie erzählt also einerseits eine Geschichte, die einen todtraurigen Kern hat und sie erzählt es mit unglaublich komischen Mitteln, komisch im Sinne der Dialoge, die da geführt werden, komisch im Sinne der Gesamtsituation, komisch, wenn es darum geht, diesen Astrophysikern, die da auf Signale aus dem Weltall warten, einen Streich zu spielen in einem ganz klassischen Sinne.
Ich denke, man kann sagen, es geht um das Thema, dass man so gesehen werden möchte, wie man jetzt im Hier und Jetzt ist und nicht interpretiert wird auf der Basis dessen, was im Netz aus der Vergangenheit kursiert. Ich denke, das ist ein wichtiges Thema für die Zukunft für viele junge Menschen.
Hier ist es amüsant erzählt in einem witzigen Ton Alpacas, Agate und mein neues Leben von Erin Bow aus dem Englischen von Ute Mir, DTV-Reihe Hansa 398 Seiten ab 11.
Wir bleiben in dieser Alderskategorie und gehen zu Miriam Master, eine iranische Schriftstellerin, die mit neun Jahren nach Australien flüchtete. Heute bekannte Drehbuchautorin und Dramaturgin, für ihren Roman »Wort für Wort« wurde sie in Australien mehrfach ausgezeichnet. Übersetzt ins Deutsche hat den Roman die bekannte Kinderbuchautorin mit ebenfalls persischen Wurzeln Isabel Abedi.
Die Geschichte Hero, die zwölfjährige Ich-Erzählerin mit bester Freundin und einem manisch-depressiven Vater, sorgt sich um den Neuen in der Klasse. Es ist nicht nur, dass er von dem bekannten Ärgermacher gemobbt wird, sondern Aria, so der Name, spricht nicht. Niemand weiß, was er denkt und was er fühlt und was er möchte. Erzählt wird aus zwei Perspektiven, aus Heroes und aus Arias Sicht. Wie ist der Ton dieses Buches?
Der hat zwei verschiedene Ebenen, weil es eben zwei Erzähler sind. Das eine ist diese Hero, die ist...
Durch ihre Familiensituation in vieler Hinsicht irgendwo belastbar. Sie spricht sehr offensiv über sich. Sie spricht auch offensiv sozusagen über den inneren Konflikt, den sie hat, weil sie lange Zeit zuschaut, wie diese Aria gemobbt wird und nichts tut, sich aber eigentlich als Heldin fühlen möchte. Dann aber müsste sie was irgendwie für diesen Aria tun. Das tut sie dann auch irgendwann. Das tut sie genauso offensiv, wie sie sonst auftritt, mit einer Freundin zusammen dann auch noch. Und der Aria ist der genaue Gegenpol dafür. Aria...
schweigt in der Schule, ist auf eine bestimmte Art höflich, er ist zurückhaltend, er ist eigentlich nicht da, er reagiert auch nicht wirklich auf dieses Mobbing, erträgt das alles. Wir merken aber relativ bald, weil seine Stimme dann auch im Buch zur Geltung kommt, dass er im Inneren sehr eloquent ist und dass er viel zu erzählen hat, was seine Familiengeschichte angeht, die Familiengeschichte, die ihn überhaupt erst dahin getrieben hat, wo er jetzt ist.
Das ist dann ganz leise, das ist ganz eindringlich, das ist auch wieder mal eine Traumatisierung, aber eine noch von ganz anderer Qualität als die in dem Buch von Erin Bow. In diesem Buch wird nichts bebildert, aber trotzdem haben wir Bilder, weil wir ja ein Spiel mit grafischen Elementen haben. Welche Bedeutung hat das? Das hat die Bedeutung von Ausrufezeichen, würde ich mal sagen. Und das ist vielleicht für meinen Geschmack auch ein ganz klein bisschen zu dick aufgetragen, wenn es irgendwo darum geht,
diesem Buch und der Haltung von Hero vor allen Dingen, wenn es darum geht, diesen Aria zum Sprechen zu bringen, dem auch eine Bühne zu geben, wo er sich selbst darstellen kann. Das ist ja am Ende auch ein Thema in diesem Buch, dass dieser Aria aus sich selbst herauskommt. Es geht ständig sozusagen um appellative Funktionen in diesem Buch, um appellative Strukturen. Und die werden durch dieses Druckbild, durch diese herausgehobenen Wörter, durch diese in riesigen Buchstaben hingeschriebenen Wörter natürlich dann sehr betont.
Können wir dennoch als Fazit sagen, es geht um die Kraft des Wortes, um die Kraft vielleicht sogar der Poesie und aber auch tatsächlich hier um einen Neubeginn? Ja, ganz bestimmt, weil, wie gesagt, diese Aria zur Sprache kommt.
Ich will jetzt wirklich nicht zu viel verraten, weil er wirklich dazu gebracht wird, in der Öffentlichkeit über sich selbst zu reden und das auch noch in einer künstlerischen Form. Das Potenzial hat er immer gehabt, das ist das Entscheidende in diesem Buch, aber er musste einfach dazu gebracht werden und das ist die Leistung von Hero, dieses Potenzial dann tatsächlich auch zur Geltung zu bringen. Wort für Wort von Mariam Master aus dem australischen Englisch von Isabel Abedi, Wow Books, 232 Seiten ab 11.
Neuanfang, das ist unser Thema heute und darum geht es auch in dem norwegischen Roman »Auch am Tag leuchten die Sterne«. Geschrieben hat ihn Hilde Mucklebust in Norwegen, bekannt durch ihre Bilderbücher und Lyrik für Kinder.
Eine Freundesgruppe, drei Jungs, zwei Mädchen, immer, immer Freunde. Die Mädchen verlassen nach dem Sommer die Insel, um auf dem Festland ein neues Gymnasium zu besuchen. Are bleibt als einziger zurück. Are spürt in diesem Sommer, dass er für ein Mädchen, für Mia, mehr empfindet als nur Freundschaft. Aber Mia weiß nicht, wie sie damit umgehen soll und eigentlich weiß sie auch gar nicht, was sie genau für Are empfindet. Eins weiß sie allerdings. Erstmal will sie alles Neue genießen und dazu gehört auch ein anderer Junge.
Aber dann erfahren die Freunde, dass Are schwer erkrankt ist. Ein Buch über Freundschaft und wie sie sich wandelt oder über Trauer oder über alles zusammen? Über alles zusammen, da kann man dann auch noch das Thema Liebe dazu rechnen. Da kann man das Thema Kunst dazu rechnen. Das Ganze spielt ja letzten Endes irgendwie an einer Musikschule. Es geht darum, ein Musical zu arrangieren. Also wir kommen tatsächlich so in ein
Zuweilen ein ganz klein bisschen Süßliches mit Jera in. Und dann ist es eben die Kunst der Autorin, wie sie diese Geschichte erzählt, wie sie eine Dreiecksgeschichte aufbaut oder vielleicht sogar noch mehr als eine Dreiecksgeschichte, denn da kommen noch viele Freunde im Umfeld dazu.
bei der nahezu alle Personen zunächst einmal auf eine bestimmte Weise, neudeutsch formuliert, sehr achtsam miteinander umgehen, verständnisvoll miteinander umgehen, es aber trotzdem zu dieser Dynamik kommt, die Sie gerade beschrieben haben, dass der Junge, der nicht mitgeht an dieses Gymnasium, an diese neue Schule, dass dieser Junge aus dem Leben der anderen sozusagen herauszupurzeln droht und dann tatsächlich ja irgendwie den Bruch erlebt, dass er krank wird, damit zu einem Sorgenfall wird, aber
aber noch weiter entrückt am Ende erscheint.
Das Tolle an diesem Buch sind tatsächlich die sehr sensibel gearbeiteten Dialoge, einzelne Szenen, die es nicht verbergen, dass es ab und zu so eine gewisse Härte gibt. Wenn zum Beispiel Mia über Are sagt, ich will, dass er mich mag, aber ich will nichts dafür tun. In dem Moment, wo sie selber den Ort gewechselt hat, das Leben gewechselt hat und eben einen neuen Jungen kennengelernt hat, den sie anschmachtet, könnte man sagen, der jetzt sozusagen die Mitte ihrer Empfindungswelt ist.
Ich denke, man kann auch sagen, es geht tatsächlich um so Gleichzeitigkeiten im Leben, dass man einerseits unheimlich glücklich ist, diesen Platz auf diesem Gymnasium bekommen zu haben, eine Rolle in einem Musical und dann erlebt man, dass einer der besten Freunde lebensbedrohlich erkrankt und, so viel kann man ja auch tatsächlich verraten, auch sterben wird.
Auch am Tag leuchten die Sterne von Hilde Muckelbust aus dem norwegischen von Maike Blattheim. Carlsen Verlag, 256 Seiten, ab 14. Unser letztes Buch, Michael Schmidt. Nicht zum ersten Mal ist die aus dem Ruhrgebiet stammende Schriftstellerin und praktizierende Lehrerin auf dem besten Sieben. Schon ihr Debüt Nordstadt wurde hier und an anderen Orten begeistert aufgenommen. Annika Büsing schreibt über die Zeit vor dem Abitur und über eine Familie, die keine mehr ist.
Das schreibt sie in »Wir kommen zurecht«. Auch hier begegnet uns ein manisch-depressiver Elternteil. Es ist die Mutter, die aber nicht mehr zu Hause lebt, denn dort lebt Stella, die neue Freundin des sehr beschäftigten Arztvaters. Aber so einfach macht es uns Büsing nicht. Sie stellt uns eine Vielzahl von anderen interessanten Nebenfiguren vor, um sie dann am Ende alle zu verknüpfen. Was erfahren wir über Philipp, den Erzähler, und wie erzählt Annika Büsing?
Annika Büsing erzählt aus vielen Perspektiven. Das ist schon mal toll an diesem Buch, sodass also der zentrale Held, eben dieser Philipp, irgendwie immer auch gespiegelt ist in dem, was die anderen über ihn denken, was andere über ihn reden, wenn er nicht dabei ist. Philipp
in einem gewissen Sinne vor sich hin. Er ist ja irgendwie schon so gut wie erwachsen, könnte man irgendwo sagen. Er ist in einem einigermaßen gesicherten Umfeld einerseits materiell, er hat genügend Freunde, er hat eine, sagen wir mal, Bettgenossin,
Er hat immer irgendwie was zu kiffen in der Nähe. Das heißt, er kann vor sich hintreiben, ohne allzu aktiv auf diese Situationen, auf diesen ständigen Brüche in seinem sozialen Umfeld direkt zu reagieren und selber aktiv zu werden, um sein Leben in den Griff zu bekommen.
Das ist zunächst mal so die Ausgangssituation. Daran ändert sich auch erstmal gar nicht so viel im Verlauf des Romans, weil dieser Roman nicht eine dramatische innere Entwicklung von diesem Philipp zunächst mal erzählen will, sondern wirklich, wie ist dieses Umfeld strukturiert und wie...
treibt man in einem solchen Umfeld vor sich hin und was macht es mit allen Beteiligten? Was sind die Kleinigkeiten im Alltag, mit denen sich der Vater und die Freundin oder der Vater und die Mutter oder Philipp und seine Mutter oder Philipp mit seinem Freund oder Philipp mit seiner Wettgenosse streiten und oder einigen? Das macht diesen Roman aus. Das macht auch die Wucht aus, die das hat. Lauter kleine Szenen, in denen erzählt wird, was hier die Probleme sind und denen nicht erklärt wird, was die Probleme sind.
Wenn wir jetzt von der Handlungsebene weggehen, Sie haben gesagt, es passiert nicht wirklich viel, es sind die Kleinigkeiten, schwebt aber ab irgendeinem Punkt was ganz, ganz Großes im Raum. Es schwebt quasi zwischen den Zeilen immer wieder hindurch und das ist die unverarbeitete Vergangenheit und wie sie einen gefangen hält.
Die Mutter, obwohl abwesend, ist eigentlich immer da und ist eine Wahnsinnsbelastung für diesen Jungen. Und das, finde ich, hat Annika Büsing sehr subtil und sehr besonders in diesem Buch dargestellt. Ja, der Junge kann sich dem nicht entziehen, auch der Vater kann sich dem nicht wirklich entziehen. Diese Mutter und die Geschichte ihrer Krankheit, die Geschichte der Familie, die sich dann da eben aufgelöst hat,
Das hat man sich wirklich nie erzählt. Darüber hat man sich nie wirklich Rechenschaft abgegeben. Das ist das eine. Und dann kommt mit großer Wucht diese Mutter immer wieder ins Spiel, weil sie Ansprüche hat, weil sie auch Wünsche hat, weil sie mit Sicherheit auch berechtigte Wünsche hat an das, was mal früher ihre Familie war. Und weil sie diese Wucht entfaltet und weil alle anderen eher ein klein bisschen, würde ich sagen, vor sich hintreiben, sich treiben lassen, weil es bequemer ist,
Deswegen wirkt diese Mutter dann immer wie so ein kleines Erdbeben in diesem gesamten Zusammenhang. Das kommt wunderbar raus in diesem Buch. Das ist keine Nebenrolle für eine Frau, die sozusagen aus dieser Familie rausgefallen ist. Die ist der Motor.
Sie ist der Motor, genau. Und das Tolle ist ja, obwohl sie sagen, die lassen sich alle treiben, sind die doch irrsinnig strukturiert in ihrem Alltag und haben ihre Abläufe und ihre ganz klaren Rollen und Schubladen, in denen sie funktionieren. Und diese Mutter ist ja völlig unberechenbar. Plötzlich steht die Polizei vor der Tür und dann wurde ihr Wagen irgendwo gefunden. Sie macht einfach, was sie will. Ist völlig impulsiv.
Und ist dadurch natürlich einfach wie ein Vulkan im Leben einer Familie, kann man glaube ich sagen.
Ja, kann man. Und dieses Strukturierte ist ja der Halt für alle anderen. Deswegen muss man auch nicht irgendwie über die Dinge reden, die diese Struktur vielleicht mal auch zum Gleichgewicht gebracht haben. Vielleicht aber auch diese Struktur erforderlich machen, damit man überhaupt irgendwie so weitermachen kann im Alltag. Das ist die Grundstruktur. Alle klammern sich an was, was ihrem Leben die Struktur gibt. Und dann kommt die Mutter und es kommen dann Geschichten um die Drogen, die ein Freund möglicherweise irgendwie verkauft. Und die bringen das dann zwackelnd.
Ein starker Roman von Annika Büsing, ein starker Roman für Jugendliche, für junge Erwachsene, für alle würde ich sagen. Wir kommen zurecht. Erschienen im Steidl Verlag, 288 Seiten, ab 14.
Das waren die besten sieben im Juni. Ich bedanke mich bei der Jury, im Besonderen natürlich bei Ihnen, Michael Schmidt, alles nachzuhören in unserer Deutschlandfunk-App. Nächste Woche an dieser Stelle die ukrainische Illustratorin Anna Savira über die Illustrationsszene in der Ukraine vor und während des Krieges. Es folgt jetzt Computer und Kommunikation. Alles Gute wünscht Ihnen Ute Wegmann.