Deutschlandfunk, Büchermarkt. Der Mars ist in unserem Sonnensystem der Erde am ähnlichsten. Wobei am ähnlichsten dabei ein ziemlich dehnbarer Begriff ist. Wo die Erde blau von Wasser und voller Leben ist, ist der Mars rot und tot, so denkt man jedenfalls. Ganz so unbewohnt ist der Mars tatsächlich nicht. In den letzten 30 Jahren sind immer wieder Forschungssonden auf seiner Oberfläche gelandet. Und bald könnten erste menschliche Bewohner folgen. Davon sind viele Forschende überzeugt.
Wie es wäre, auf dem Mars zu leben? Darüber hat ein Experten-Team aus Physikern und Astrophysikern ein Sachbuch geschrieben, das jetzt auf Deutsch erscheint. Anneke Meyer hat es gelesen.
Ein sehnsüchtiger Blick in den Himmel. Schon das Cover verrät, in diesem Buch geht es nicht um das, was war, sondern um das, was sein könnte. Der Himmel, in den die Figur im Raumanzug guckt, leuchtet rostrot über einer Marslandschaft. Darin versteckt sich, erst beim zweiten Hinschauen sichtbar, eine Stadt. Passend dazu ist das Vorwort mit einem Zitat des Urvaters der Raumfahrt Konstantin Tsiolkovsky übertitelt. »Die Erde ist die Wiege der Menschheit.«
Aber der Mensch kann nicht ewig in der Wiege bleiben. Mit Vergangenem und Geschichten über Marsmännchen halten sich die Autoren nicht auf. Was Menschen vor Beginn des Weltraumzeitalters über den roten Planeten zu wissen glaubten, wird auf zwei Seiten abgehandelt. Nach
Nach diesem fast lieblosen Einstieg entwickelt das Buch eine Leidenschaft, die mitreißt. Und das trotz schwieriger Startvoraussetzungen. Wer auch nur theoretisch auf dem Mars landen will, muss einiges an Physik verstehen. Die Gasschicht, die einen Planeten umgibt, nennt man Atmosphäre. Seine Schwerkraft zieht die Gase an und hält diese fest, wenn sie stark genug ist.
Je schwächer die Schwerkraft ist, desto weniger kann der Planet die Gasteilchen an sich binden, die die Atmosphäre bilden. Temperaturen, Gaszusammensetzung, Magnetosphäre, komplexe Stichwörter. Dennoch, mit jeder Seite wird man tiefer in eine unbekannte Welt hineingesogen, bis der Mars kein fremder Planet mehr ist.
Mit Sheddad Kail Salahferon hat sich das Thema einen erfahrenen Kindersachbuch-Didakten an Bord geholt, dem es gelingt, die Lesenden an die Hand zu nehmen und unbemerkt von »Weiß ich doch schon« nach »Krass kompliziert« zu führen. Dabei helfen die überall im Buch verstreuten Randnotizen. Ein Schatz für Sammler und Jägerinnen von Nerdwissen. »Wir Menschen werden auf der Marsoberfläche nur mit Schutzanzügen überleben können, die uns mit Sauerstoff versorgen«,
Ohne Helm und Anzug würden wir ersticken und aufgrund des geringen atmosphärischen Drucks würde unser Blut fast im gleichen Moment anfangen zu kochen. Auch die genialen Illustrationen von Eduard Altariba Irigas helfen sehr dabei, die nicht immer einfachen Inhalte zu verstehen. Für die naturwissenschaftlich interessierte Zielgruppe haben sie einen weiteren Vorteil. Man muss keine Leseratte sein.
Die Bilder sind schnörkellos und trotzdem detailverliebt. Klare Linien und flächige Formen mischen sich mit technischen Zeichnungen und Grafiken, die voller Informationen stecken. Von der Topografie der Marsmonde über den Bauplan eines Raumschiffs bis zur grafischen Aufbereitung aller bisher erfolgten Marsmissionen. Ganz nebenbei werden die Kinder an das Lesen wissenschaftlicher Abbildungen herangeführt.
Das passt zum Gesamtkonzept. In vieler Hinsicht ist Zukunft auf dem Mars kein typisches Sachbuch, sondern eher eine wissenschaftliche Publikation, die für junge Lesende aufbereitet ist. Die beiden Astrophysiker im Autorenteam, Guillaume-Angla Dias-Cudet und Miquel-Syrida-Anfres, bringen ihre Leserschaft auf den Stand der Forschung und oft auch ein Stückchen darüber hinaus. So wird zum Beispiel im Direktvergleich verschiedener Antriebssysteme auch die Warp-Geschwindigkeit von Raumschiff Enterprise mit einbezogen.
Nicht immer ziehen die Autoren eine deutliche Grenze zwischen in Planung, in Anwendung und in der Fantasie. Wirklich in die Science-Fiction driften sie aber nie ab. Auch nicht in dem Teil des Buches, der eine Besiedlung des Roten Planeten beschreibt. Die ersten BewohnerInnen auf dem Mars werden WissenschaftlerInnen, ArchitektInnen, IngenieurInnen und ArbeiterInnen sein, die die Grundlage für den Bau der ersten Stadt legen.
Die lebensfeindliche Umgebung stellt sich jedoch vor ganz andere Herausforderungen als auf der Erde. Wie kann man auf dem Mars bauen? Wie erzeugt man dort Lebensmittel? Und was können Marsianer in ihrer Freizeit machen, um nicht depressiv zu werden? Die skizzierten Ideen stützen sich auf tatsächliche Forschungsprojekte. Darunter auch eines, an dem die beiden Astrophysiker im Autorenteam selbst mitgearbeitet haben.
Nach und nach entsteht der Entwurf einer autarken Marskolonie, die von einer Gesellschaft mit eigenen Regeln und Traditionen bewohnt wird. Nachhaltigkeit, die das Überleben sichert, ist dabei oberstes Gebot. Auf dem Mars sind die Bürger auf ein funktionierendes Gemeinwesen angewiesen.
In so einer lebensfeindlichen Umgebung muss man seinen Nächsten vertrauen und zum Überleben der Gruppe beitragen. Für Newbies im Raumfahrtthema lohnt es sich, das Buch beim ersten Mal chronologisch durchzugehen. Für Kinder, die schon viel Weltraumwissen haben, ist es aber durchaus möglich, zu den Aspekten zu springen, die sie am meisten interessieren. Die collagenhafte Zusammenstellung lädt dazu ein, das Buch immer wieder zur Hand zu nehmen und Neues zu entdecken.
Wofür braucht man auf dem Mars eine Polizei oder würden Marsianer ein Erd- oder ein Marsjahren altern, sind Fragen, die bleiben, wenn das Buch zu Ende ist. Die Frage, ob man selbst bereit wäre, auf dem Mars zu leben, beantworten gerade die jüngeren Lesenden spätestens dann, wenn erklärt wird, was es zu essen gibt. Viel Gemüse, Algen, Insekten und Ein Teil der Nahrungsmittel könnte aus synthetisch hergestelltem Fleisch oder in Bioreaktoren kultivierten Pilzen bestehen.
Langfristig entstehen sicher eigene Marsrezepte und Zubereitungsformen. Zukunft auf dem Mars enthält, was der Titel verspricht. Ein Abenteuer, das gerade erst beginnt. Wer von dieser Lektüre aufblickt an einen sternenklaren Himmel, wird ihn mit anderen Augen sehen.
Das sagt Anneke Meier über Zukunft auf dem Mars. Geschrieben von Shedad Kaizalachferon, Mikel Sureda-Anfres und Guilhem Anglada-Eskudé. Mit Illustrationen von Eduard Altariba-Ibigas. Aus dem Katalanischen übersetzt hat Ursula Bachhausen. Erschienen bei Mixed Vision ab acht Jahren.