Deutschlandfunk, Büchermarkt. Eine politische Folge des Zweiten Weltkriegs war die Teilung Deutschlands. Und das Land, das im Osten in der sowjetischen Besatzungszone gegründet wurde, ist inzwischen schon wieder Geschichte. 40 Jahre DDR, das waren auch 40 Jahre Kinder- und Jugendliteratur. Welche Titel aus dieser Zeit sind noch erhältlich und werden auch nachgefragt?
Erzählen heutige KinderbuchautorInnen von der Deutschen Demokratischen Republik und wenn ja, wie? Siggi Seuss hat sich einen Überblick über Wiederauflagen und Neuerscheinungen verschafft. Zunächst hören wir rein in die Erzählung »Das Katzenhaus«. »Tili Bom, denkt euch ein Haus, wie ein Prunkschloss sieht es aus.«
Tor und Fenstersims und Giebel fein geschnitzt, bemalt, nicht übel. Schon der Teppich goldgewirkt vor der Tür für Reichtum birgt. Ja, es gibt sie noch, Kinderbücher aus der DDR, die kleine Bücherwürmer schon vor mehr als einem halben Jahrhundert erfreuten.
Sie sind weit langlebiger als der Staat, in dem sie entstanden. Zum Beispiel die 1957 im Kinderbuchverlag der DDR erschienene geniale Nachdichtung der lyrischen Erzählung des Russen Samuel Marschak durch Martin Remané, hier der Beginn der Audiofassung von 1977.
Die einfachen Endreime, die eingängige Rhythmik und die liebevoll altmodischen Bilder des Illustrators Erwin Gürzig gehen einem nicht mehr aus dem Kopf. Ja, natürlich wird die Kinderliteratur der DDR noch nachgefragt. Wir haben ja da ein großes Repertoire.
bestätigt die Leiterin der Stadt- und Kreisbibliothek Anna Segers im thüringischen Meiningen, Sylvia Kramann-Rebschläger. Das sind eigentlich die jungen Familien oder mitunter auch mal die Großmutter oder der Großvater, die ihren Enkeln, Kindern die Erinnerung nochmal wachrufen möchten. Das Buch findet sich in der 40 Kinderbuchklassiker umfassenden Backlist des vom Belz Verlag übernommenen Kinderbuchverlags der DDR.
Natürlich ist das nur ein Bruchteil der Geschichten, die nach wie vor lesenswert wären. Gerade Bücher für junge Leser und Leserinnen ab 13 Jahren findet man eigentlich nur noch antiquarisch.
Bei Belz ist eben eine Anthologie der schönsten Kindergeschichten aus 40 Jahren DDR erschienen. Andrea Baron, Herausgeberin von Hirsch, Hase, Bär und noch so viel mehr. Unser Ziel war es, diese Geschichten einer neuen Generation zugänglich zu machen. Der letzte Band dieser Art liegt bereits fünf Jahre zurück. Höchste Zeit also, die Auswahl zu aktualisieren und vielleicht sogar zu erweitern. 39 Geschichten von Fried Rotrian, Friedrich Wolf, Hannes Hüttner, Herbert Friedrich,
von Illustratorinnen und Autorinnen wie Elizabeth Shaw und Ingeborg Meyer-Rei und von Benno Plutra, dem wohl bedeutendsten Kinderbuchautor der DDR. Seine beiden hier veröffentlichten Erzählungen unterscheiden sich in der Tonart von denen der anderen Autorinnen und Autoren.
Die meisten Geschichten handeln von Tieren, sind humorvoll, ja pfiffig, märchenhaft, mal mehr, mal weniger moralisch unterfüttert und die grafische Gestaltung zeugt von der hohen Qualität der Illustrationskunst in der DDR. Etwa Klaus Enzikats zarte Gouachen zu Erwin Strittmatters Ponyweihnacht oder die aquarilierte Tierwelt von Gerhard Lahr zu Hans Fallers Märchen Mäuseckenwackelohr.
Da in einem Überwachungsstaat den Augen der Zensoren nicht einmal die geringste Darstellung von Verwerfungen im realsozialistischen Alltag entging, blieb vielen Autorinnen und Autoren nur eines, wie Benno Blutra im Jahr 2000 in einem Interview mit dem Deutschlandfunk bemerkte.
Kinderliteratur war für mich immer am besten schreibbar, weil ich eigentlich so einen absoluten Freiraum gesehen habe, wenn ich für Kinder schreibe. Es war eine Nische, das zeige ich Ihnen nachher erst. Als das Wort Nische kam, ich glaube durch Gauss, dachte ich, oh Gott, was für eine schöne Nische gehabt hat. Diese Nische war mehr oder weniger in allen sozialistischen Ländern die Kinderliteratur.
In ihr konnte man in den fantastischsten Welten leben. Am ehesten nähert sich in der bei Belz und Gelberg erschienenen Anthologie noch Hannes Hüttners Erzählung »Bei der Feuerwehr wird der Kaffee kalt« und Fred Rodrians »Die Schwalbenkristine« der Wirklichkeit eines DDR-Alltags.
Hüttner stellt ein Feuerwehrkommando vor, das nicht zu einer ordentlichen Kaffeepause kommt, weil ständig Notrufe eingehen. Und Rodrian lässt seine kleinen Helden, ohne den Staatsapparat in Kenntnis zu setzen, zusammen mit Bauarbeitern, Feuerwehrleuten, Hubschrauberpiloten und einem Großvater ein Schwalbennest aus einer Abbruchmauer retten.
Benno Plutras Geschichten dagegen künden in einer bemerkenswert knappen, unverblümten Sprache von einer kalten und gefährlichen Welt, die dennoch ein Sehnsuchtsort ist, meist der einer Küste oder eines Meeres. Die größere Kraft geht vom Meer aus, glaube ich. Und dadurch ist auch die Ferne, also auch der Sog, dass man wegkommt.
Die Erzählung der Hundeskapitäns berichtet von der wundersamen Rettung eines schiffbrüchigen Seemannes und eines Hundes, den einzigen Überlebenden einer Schiffskatastrophe im Südatlantik. Eine zweite in der Anthologie veröffentlichte Kurzgeschichte vom Bären, der nicht schlafen konnte, entstand 1960.
Sie erzählt, illustriert von Ingeborg Mayerei, von Bern Mischka, der vor den steigenden Wassermassen nach Bau eines Staudamms in Sibirien aus seinem angestammten Revier fliehen muss. Und da habe ich dann geschrieben eine Geschichte von Bern, der nicht mehr schlafen konnte. Der ist müde, haut sich hin und immer wieder schläft.
kommen die Arbeiter und noch schlimmer, das Wasser kommt auch, der See steigt. Und da haben wir wirklich gesagt, weißt du, das sind die Großbauten des Kommunismus. Und du erzählst da von einem Bären, der
der nicht mehr schlafen kann. So ein Quatsch. Welch Unterschied zur Rettungsaktion der Schwalbenkristine. Da geht es ebenfalls um eine sozialistische Großbaustelle, um die Errichtung eines Neubauviertels. Während Fred Rodrians kleine Helden das Schwalbennest durch kollektive Anstrengungen retten, entlässt Benob Lutra den Bären in eine ungewisse Zukunft irgendwo in der Taiga.
Genauso bleibt das Ende seiner Geschichten offen, selbst wenn die Menschen für den Augenblick gerettet scheinen. Ich halte schon lange, lange nichts mehr von dieser didaktischen Draufsicht in der Kinderliteratur. Und auch nichts natürlich über Schönung, wenn man das so nennen kann. Schönung war nach dem Zerfall der DDR in der Kinderliteratur nicht mehr gefragt.
Weggesperrt, Gritt Poppes Roman über das Leben in den berüchtigten Jugendwerkhöfen ist das beste Beispiel dafür. Gab es im ersten Jahrzehnt nach der Wende noch einige Bücher für junge Lesende, die sich mit dem Alltagsleben in der DDR beschäftigten, sank die Zahl danach. In den vergangenen Jahren hat vor allem der in Leipzig ansässige Verlag Klett Kinderbuch ein Augenmerk auf Geschichten aus der DDR gelegt.
Zuerst mit Franziska Gehms schrägem Roman Pullerpause im Tal der Ahnungslosen von 2016. Eine mit Stereotypen überfrachtete Zeitreisesatire. Kann man mögen, muss man aber nicht.
Wesentlich realitätsnäher geht es in der Kletz-Kinderbuchreihe »Wir Kinder von früher« zu, wo nach der Ostberlinerin Gerda Reit mit »Wie ein Vogel« nun der Journalist Stefan Schwarz, geboren 1965, geheime Einblicke in eine besondere DDR-Kindheit, so der Klappentext, liefert.
Besondere Kindheit deshalb, weil Schwarz der Sohn eines Offiziers der Staatssicherheit ist. Geschichten über Menschen, die an und in der DDR litten, schreibt Schwarz im Nachwort zu Der Große Wurf, gibt es Gott sei Dank mittlerweile viele.
Und sie müssen alle erzählt werden, weil diejenigen, die sie erlebten, sie in der DDR nicht erzählen durften. Dabei entsteht oft der Eindruck einer Welt, in der alle immer dagegen waren. Das ist aber wahrscheinlich unverhältnismäßig und nicht die ganze Wahrheit.
Diese Geschichte hier erzählt davon, wie es für mich war, ein Kind in einer Familie zu sein, die für den Sozialismus war. Das tut der Autor mit Witz und Ironie, wenn er von den Tücken des Alltags eines kleinen Steppkes erzählt, die von Danja Schäckesi freundlich realistisch illustriert werden.
Mit Augenzwingern berichtet Schwarz vom Leben in einer stramm sozialistischen Familie, ohne dabei zu verhehlen, dass er seine Kindheit als geborgen und glücklich empfand. Der Tag, als der Vater befördert wurde, war für den Fünfjährigen natürlich ein Freudentag. Mein Vater hatte zwar jetzt zwei goldene Sterne, aber das wussten nur wenige, denn er ging nie in Uniform zur Arbeit. Vater war Offizier in einem Geheimdienst.
Und wenn man Offizier in einem Geheimdienst ist, darf das niemand wissen. Deswegen bleibt die Uniform auch geheim. Und wenn er einmal die Uniform anzog, wurde er immer gefahren. So freundlich und ironisch Stefan Schwarz auch von seiner Kindheit erzählt, das Büchlein ist nicht mehr als ein winziges Teil in einem Puzzle aus erzählter Kindheit und erinnerter Geschichte und Geschichten, mit dem wir uns ein differenziertes Bild vom Leben junger Menschen in der DDR machen können.
In die Lebensverhältnisse in den ostdeutschen Bundesländern heute kann sich sicher eher hineindenken, wer die Geschichten aus diesem und über dieses Land vor unserer Zeit kennt.
Diese Kenntnis setzt voraus, dass es Verlage gibt, die weiterhin dafür sorgen, dass die Quellen nicht verloren gehen und auch Texte wieder aufgelegt werden, die Autoren wie Christoph Hain, Volker Braun, Sarah Kirsch, Stefan Heim oder Franz Fühmann vornehmlich für Jugendliche schrieben.