Deutschlandfunk, Büchermarkt. Sid Sharp aus Kanada hat es mit Märchen. Schon das Debüt der Wolfspelz spielte mit der Form, löste sich dabei aber von klassischen Märchenstrukturen.
In der Geschichte für Kinder ab sechs Jahren zieht sich ein Schaf einen Wolfspelz über, um im Wald nicht gefressen zu werden. Es geht um Anpassung, Angst, um Freundschaft und um Freiheit. Der Wolfspelz ist eine Mischung aus Bilderbuch und Graphic Novel und war vergangenes Jahr für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Sid Sharps zweites Buch für Kinder ab acht Jahren ähnelt formal und mit seinem düsteren Stil dem Debüt und hat wiederum etwas von einem Märchen.
Svenja Kretschmer beginnt ihre Besprechung von »Moor, Myrte und das Zaubergarn« mit den ersten Sätzen des Buches. Am Rande der Stadt lebten zwei Schwestern in einem hässlichen, alten, zugigen Haus. Eine hieß Beatrice. Hallo. Und die andere Magnolia. Sie waren so arm, dass sie zum Frühstück Ratten aßen und zu Mittag Kakerlaken. Obwohl sie Schwestern waren, unterschieden sie sich sehr.
Beatrice hatte Spaß am Singen und beobachtete heimische Tiere, wohingegen Magnolia mit Vorliebe Mürre schaute und Spinnen die Beine ausriss. »Mormyrte und das Zaubergarn« beginnt zwar nicht mit »Es war einmal«, aber wie im klassischen Märchen ist auch hier das Setting sofort klar. Da sind zwei Schwestern, eine gut, eine böse, und ihnen fehlt das Geld.
Sitcharp arbeitet mit Wasserfarbe oder Gouache. Die Details werden mit Buntstiften hinzugefügt. Besonders dominant ist das Tintenschwarz. Die anderen Farben sind leuchtend und bunt. Die Mischung aus analoger Technik und klaren, beinahe grafischen Formen unterstreicht die märchenhaft stereotypen Figuren. So hat Beatrice einen leuchtend roten, runden Körper, während Magnolia matschgrün und eckig daherkommt.
Magnolia friert und ihre gutmütige Schwester fasst den Plan, im Wald nach Gegenständen zu suchen, von deren Erlös sie Wolle für einen wärmenden Pullover kaufen kann. Aber Magnolia freut sich nicht darüber. Das ist lächerlich. Jeder weiß, dass man nicht einfach etwas aus dem Wald wegnehmen darf, weil die alte Frau aus dem Moor dich sonst in eine Fliege verwandelt und aufisst. Und jetzt verschwinde und lass mich für den Rest des Tages in Ruhe.
Beatrice lässt sich nicht beirren. Allerdings will der Wolleverkäufer ausschließlich Geld, weshalb Beatrice die Gegenstände wieder in den Wald zurückbringt. Dort trifft sie auf die Frau, vor der sie gewarnt wurde, Mor Myrthe, eine riesige Spinne, die sie jetzt tatsächlich in eine Fliege verwandeln will.
Die düsteren Illustrationen in Comic-Panels mit Sprechblasen tragen maßgeblich zu Grusel und Spannung bei dieser Begegnung bei. Doch Moor Myrte entpuppt sich nicht als Monster, sondern als konsequente Naturschützerin. Als sie merkt, dass Beatrice den Wald schätzt, lässt sie sie frei und gibt ihr ein besonderes Geschenk. Zauberseide. Das könnte die Lösung für die frierende Magnolia sein, doch stattdessen spitzt sich mit der wertvollen Seide die Situation weiter zu –
Magnolia will mehr. Sie wittert ihre Chance auf Reichtum und gründet ein Zauberpullover-Unternehmen, bei dem sie Beatrice und die Helferspinnen ausbeutet. Sprechen verboten, krank werden verboten, auf die Toilette gehen verboten. Bis die Spinnen zu streiken beginnen und Beatrice sich ihnen anschließt.
Dieser Dialog der Schwestern ist eines von vielen Beispielen für Sid Sharps scharfen und düsteren Humor. Tut mir leid, Magnolia. Solange gestreikt wird, kann ich nicht arbeiten. Dann wäre ich eine Streikbrecherin und das wäre unfair. Das ist eine Katastrophe. Was mache ich bloß? Du könntest freundlicher sein. Vielleicht könnte ich die Arbeit rausgeben. Meinst du, ich könnte Lagerarbeiter einstellen und sie in Ratten bezahlen?
Ich glaube, es wäre leichter, einfach freundlicher zu sein. Ach, das ist sinnlos. Alles läuft schief. Heutzutage will niemand mehr arbeiten. Mehr sei nicht verraten, als dass Magnolias Gier und Egoismus ihr noch zum Verhängnis werden.
Sid Sharp hat mit Moor Myrte und Das Zaubergarn ein modernes Märchen geschaffen. In der gruselig spannenden und schrägen Geschichte steckt eine große Portion Kritik an Konsum und Kapitalismus. Und im Speziellen an der damit einhergehenden Ausbeutung der Natur, der Feindseligkeit gegenüber denjenigen, die die Natur schützen wollen, an schlechten Arbeitsbedingungen und am Profit weniger. Und all das mit ausdrucksstarken Bildern, präzisen Figuren und einer Menge Witz.
Svenja Kretschmer überzeugt von Sid Sharps Buch Moor, Myrte und das Zaubergarn. Alexandra Raag hat es aus dem Englischen übersetzt. Nord-Süd Verlag ab acht Jahren.