Deutschlandfunk, Büchermarkt. Der ehemalige Weseler Dompfarrer Werner Abresch hat die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit auf ganz besondere Weise festgehalten. Drei Jahrzehnte lang hat er Gegenstände aus dieser Zeit gesammelt. Mehr als 2000 Objekte kamen dabei zusammen, darunter zahlreiche sogenannte Notbehälfe, mit denen die Menschen in Zeiten, in denen alles knapp war, improvisierten.
Wie zum Beispiel ein Brautkleid aus Fallschirmseide, ein Fahrrad für den Transport von Lebensmitteln und anderem, ein Kochtopf, der aus Wrackteilen eines Flugzeugs hergestellt wurde. Eine in ihrer historischen Bedeutung einzigartige Sammlung nennt das Haus der Geschichte NRW in Düsseldorf die Sammlung Abresch. Die Familie Abresch überließ sie dem im Aufbau befindlichen Museum im Jahr 2021.
Nun hat das Haus der Geschichte NRW eine Graphic Novel zu dieser Sammlung veröffentlicht. Stell dir vor, Comics über die Nachkriegszeit, heißt sie. Und einer der Herausgeber ist der Illustrator Tobi Dahmen. Ich habe ihn gefragt, Herr Dahmen, Sie waren ja der eigentliche Initiator dieser Graphic Novel, weil Sie die Ausgangsidee hatten, von den Sammlungsgegenständen in einem Comic zu erzählen. Wie kamen Sie drauf?
Ja, ich saß beim Esstisch meiner Mutter in Wesel, wo die Sammlung herstammt, und habe den Artikel gelesen, dass die Sammlung, die ich halt auch aus meiner Jugend noch aus Wesel kannte, nach Düsseldorf verkauft worden ist. Und ich arbeite gerade an einer Graphic Novel über Düsseldorf.
den Zweiten Weltkrieg und war quasi im Thema und dachte, wie interessant es wäre, die Gegenstände, die ja alle irgendwie ihre eigene Geschichte haben, abzubilden in Comics. Sie haben ja schon in der Graphic Novel Kolumbusstraße die Geschichte Ihrer Familie während des Zweiten Weltkriegs erzählt. Sie haben es gerade angedeutet. Warum bietet sich denn das Medium Comics so an, um von Vergangenen zu erzählen? Ja, ich glaube, der große Vorteil an den Comics ist, dass sie die Leserschaft so einbeziehen. Man muss selber die Bilder verbinden und
Und gleichzeitig kann man auch über den Hintergrund sehr viel Informationen parallel vermitteln, neben der eigentlichen Handlung. Und gleichzeitig ist es ein sehr niedrigschwelliges Medium, was eine Leserschaft, die vielleicht sich scheuen würde, ein dickes Buch in die Hand zu nehmen, sehr direkt erreichen kann. Gleichzeitig kann man sehr schnell eine emotionale Bindung aufmachen über die Figuren, mit denen sich die Leser dann befinden.
identifizieren können. Niedrigschwellig haben Sie gesagt, die Graphic Novel richtet sich ja an alle ab 14 Jahren. Jetzt haben Studien zuletzt immer wieder ergeben, dass Jugendliche erschreckend wenig konkretes Wissen über die NS-Zeit haben. Kann so eine Graphic Novel da vielleicht gerade für junge Leute ein Türöffner zum Thema sein? Das hoffe ich natürlich. Diese Entwicklung macht mir große Sorgen und ich
Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, uns darüber bewusst zu werden, was wir erreicht haben nach diesen sehr heftigen Jahren voller Not. Ich glaube, darauf spielt eigentlich auch der Titel unseres Buches an, dass wir uns solch einen Elend, solch eine Not eigentlich gar nicht mehr vorstellen können. Gleichzeitig passiert sowas natürlich auch
nur relativ wenige Kilometer von uns entfernt wieder, genauso wie im Gazastreifen und an vielen anderen Brandherden der Welt. Und ich glaube, es ist sehr wichtig, eine Situation erstmal zu verstehen, um dann auch Empathie aufzubringen und gleichzeitig aber auch eben für uns selber zu begreifen, wie wichtig unsere Demokratie ist und dass wir alle gefragt sind, dass sowas nicht mehr wieder passiert.
Was war denn eigentlich Werner Abreschs Antrieb, so leidenschaftlich Kriegs- und Nachkriegsartefakte zusammenzutragen? Was hat ihn so fasziniert an diesen Gegenständen?
Also Sammler war grundsätzlich schon vorher, also er hatte sich auch immer mit Alltag beschäftigt. Darüber hinaus war aber, glaube ich, sein Ansinnen genau das Gleiche, was ich gerade schon beschrieben habe. Also über Verbindung, über Empathie, über ein Miteinander, auch unsere Gesellschaft davor zu schützen, wieder auseinander zu driften. Einerseits erstmal das Leid zu verstehen, das zu illustrieren mit diesen Gegenständen, weil sie eben so viel betrifft.
über diese Zeit erzählen und dann im Austausch miteinander sich zu verabreden eigentlich, um sowas nie wieder vorkommen zu lassen. Jetzt haben Sie, Herr Dahmen, für diese Graphic Novel ja eine Vorauswahl der Objekte aus der Sammlung Abrech getroffen, in Absprache mit dem Haus der Geschichte NRW. Wie mussten denn die Gegenstände beschaffen sein, um davon ausgehend eine Comicgeschichte zu erzählen?
Ja, also das ist natürlich immer eine subjektive Entscheidung. Im Endeffekt waren das dann die Objekte, wo direkt Bilder in mir und dem Jakob Hoffmann, mit dem ich das zusammen ausgewählt habe, aufgetaucht sind eigentlich. Wo man direkt merkt, okay, hier ist eine Geschichte, da entstehen direkt Bilder in meinem Kopf, die ich erzählen möchte und die vielleicht aber auch
eine Möglichkeit geben, dass das bei mir passiert. Das heißt ja nicht, dass es auch bei den anderen ZeichnerInnen passiert, aber wir haben halt einen relativ großen Katalog zusammengestellt, aus dem sich dann die ZeichnerInnen was auswählen konnten, wo eben bei ihnen auch der
direkt Bilder aufgetaucht sind. Nun sind ja die Geschichten in den Comics fiktiv. Sie sollten aber möglichst authentisch über die Kriegs- und Nachkriegszeit Auskunft geben. Wie haben denn die IllustratorInnen die zeithistorischen Umstände recherchiert? Und wie lief die Zusammenarbeit mit dem Haus der Geschichte NRW? Das Haus der Geschichte hat als Ratgeber fungiert. Natürlich haben die IllustratorInnen selber auch Recherche angestellt. Also abhängig von der jeweiligen Geschichte-
Parallel lief das aber auch dann im Prozess, dass die ZeichnerInnen erste Entwürfe gemacht haben und darauf dann kommentiert wurde. Beispielsweise dieses Flugzeug war dort nicht im Einsatz oder die Uniform müsste hier ein bisschen angepasst werden. Solche Dinge sind oft Details, aber grundsätzlich haben die meisten Arbeit, würde ich auch schon sagen, also in der Recherche, die ZeichnerInnen erstmal geleistet und darauf aufbauend dann das Haus der Geschichte. Ne.
Mögen Sie uns vielleicht mal ein Beispiel nennen, an dem man gut zeigen kann, wie aus so einem Gegenstand eine Comicgeschichte wurde? Ein gutes Beispiel ist vielleicht diese Geschichte des Topfes. Es ist ja ein recht profanes Objekt. Aber der Ausgangspunkt war eigentlich, dass die Zeichnerin Melanie Garanin, wenn ich das jetzt richtig erinnere, auch in ihrer Familie jemanden hatte, der mit diesen Töpfen gehandelt hat. Da werden eigentlich so Querverbindungen hergestellt, also dass natürlich auch die Wirtschaft...
im SS-Regime von diesem profitiert hat. Nach dem Krieg profitiert dann wieder eigentlich jemand von der Not, die der Krieg hervorgerufen hat. Man muss vielleicht sagen, Herr Dahmen, dieser Topf, von dem die Geschichte von Melanie Garenin ausgeht, der besteht aus eingeschmolzenen Flugzeugteilen. Genau. Alles wurde quasi wiederverwendet, weil kaum noch was intakt war. Und da stellt sich halt die Frage, wo kommt dieser Topf her? Über ganz naive Kinderfragen wird also diese Geschichte dieses Topfs nachgezeichnet, weil
Waren die jetzt von den Feinden oder waren das vielleicht auch unsere Flugzeuge? Haben unsere Flugzeuge vielleicht auch irgendwelche Häuser zerstört? Also diese Schuldfrage wird da auf eine naive Art und Weise erörtert. Und die Mutter will eigentlich auf keine dieser Fragen antworten, weil da eben dieses Schweigen der Nachkriegszeit einzieht. Und weil die Leute einerseits beschäftigt sind mit ihrem Alltag, andererseits aber natürlich diese drängende Schuldfrage sich selber nicht stellen wollen.
Diese vier Comic-Geschichten und Ihre Rahmenerzählung, die Sie selber beigesteuert haben, Herr Dahmen, die sind ja ganz verschieden, sowohl gestalterisch als auch inhaltlich, schwarz-weiß oder bunt, erschreckend oder mutmachend. Vielleicht mögen Sie mal so die Spannbreite, die gestalterische Spannbreite der Comics umreißen.
Also das haben wir eigentlich den ZeichnerInnen selber überlassen. Wir wollten nicht irgendwie allzu sehr eingreifen. Es war uns auch wichtig, dass es da einen künstlerischen Freiraum gibt. Wir haben im Vorfeld ein paar Themen vorgestellt, mit denen man sich beschäftigen könnte. Also Alltagssituationen, das Schweigen, vielleicht auch Schmuggel, wo dann irgendwie das Organisieren von Lebensmitteln eine Rolle gespielt hat. Aber wir wollten natürlich auch,
die Opfer der NS-Zeit nicht außen vor lassen. Und dafür war es halt wichtig, auch eine Geschichte darüber zu erzählen. Und das ist eben das Bandoneon, dessen Geschichte Michael Ross erzählt hat. Allzu viel haben wir nicht vorgegeben. Wir wollten nur so grobe Themen angeben. Aber im Endeffekt, diese Ausrichtung der Geschichte haben dann doch auch die Zeichnerinnen gemacht. Und dass sie so verschieden geworden sind, finde ich gerade das Spannende an dieser Graphic Novel.
Werner Abrisch hat mal gesagt, eigentlich ist immer Nachkriegszeit. Ihm war es, wie wir schon gesagt haben, wichtig, die Erinnerung an das Grauen des Kriegs und an die Nachkriegszeit wachzuhalten. Ist Erinnerungsarbeit heute angesichts der politischen Stimmung in Deutschland, aber auch in der Welt wichtiger denn je? Würde ich sagen. Ich glaube daran, dass man sieht, dass sie bekämpft wird.
sieht man, wie nötig sie ist. Also ich finde es extrem wichtig, dass wir uns über die Erinnerungsarbeit bewusst werden, wie wertvoll unsere Demokratie ist, dass es hier sehr anders aussehen könnte. Und dafür sind dann eben solche Beispiele sehr wichtig, um den Leuten das vor Augen zu führen, wortwörtlich.
Und weil es darum geht, vor Augen zu führen, heißt die Graphic Novel auch Stell dir vor, Untertitel Comics über die Nachkriegszeit. Der Band mit Comic-Beiträgen von Julia Bernhard, Tobi Dahmen, Melanie Garanin, Michael Ross, Volker Schmidt, Julia Zane ist im Avant-Verlag erschienen. Altersempfehlung ab 14 Jahren.