Deutschlandfunk, Kulturfragen. Mit Enne Seidel, herzlich willkommen. Die russische Bedrohung ist da und sie betrifft die Länder Europas, uns alle. Russland ist zu einer Bedrohung für Frankreich und Europa geworden.
Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron schon seit Jahren mahnt und warnt er und fordert ein Zusammenrücken in Europa und eine starke europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Bisher wurden seine Appelle hier in Deutschland aber nicht wirklich gehört.
Jetzt aber, wo die Bedrohung durch Russland immer realer wird und die USA unter Donald Trump kein verlässlicher Partner mehr sind, da horcht Deutschland plötzlich auf. Spätestens seit Macrons Angebot, Frankreichs Nuklearwaffen auch zum Schutz Deutschlands und anderer europäischer Länder einzusetzen, richten sich wieder viele Augen auf Paris.
Wie aber steht es in diesen Tagen um die deutsch-französische Freundschaft, die über Jahrzehnte als Herzstück galt der Europäischen Union, die in den letzten Jahren aber etwas abgekühlt zu sein scheint? Darüber spreche ich in diesen Kulturfragen mit dem Romanisten Markus Messling. Er ist Direktor des Käthe-Hamburger-Kollegs für kulturelle Praktiken der Reparation in Saarbrücken. Herzlich willkommen, Herr Messling. Ja, hallo Frau Seidel, ich grüße Sie.
Dass Deutschland und Frankreich in diesen Tagen wieder näher zusammenrücken in Sachen Sicherheit und Verteidigung. Ist das eine gute Nachricht für Europa?
Ja, das ist auf jeden Fall eine gute Nachricht. Zunächst mal ist die Initiative von Macron ja schon Ausdruck schlicht und ergreifend der inneren Befriedung und des inneren Friedens in Europa, auch der Solidarität unter den europäischen Gesellschaften. Und das ist das Ergebnis eines langen historischen Prozesses. Das muss man sich immer wieder klar machen. Es ist ja mitnichten so, dass Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg
eigentlich eine Hinwendung zu Deutschland und eine auch strategische Allianz mit Deutschland.
im Blick hatte. Das muss man sich immer klar machen. Denken wir etwa an Alexandre Kogel, den russischen Immigranten und Philosophen, der ja diese berühmte Doktrin für eine französische Außenpolitik 1945 schreibt, die auch de Gaulle übergibt und in der er die Einrichtung eines lateinischen Reiches fordert, also eine Allianz zwischen Frankreich, Italien und Spanien, weil er der Meinung war, dass Deutschland sich doch mittelfristig, langfristig mit Großbritannien und Amerika in eine Nordallianz begeben würde und
Das heißt, das Ergebnis der Hinwendung und die deutsch-französische Versöhnung war nicht alternativlos, dass sie heute...
so substanziell ist, ist eben das Ergebnis harter politischer Kämpfe und eine sehr gute Nachricht. Ich habe es gerade schon angedeutet, Emmanuel Macron hat diesen Vorschlag zu den Atomwaffen jetzt nicht zum ersten Mal gemacht. Er hat das auch vor Jahren schon mal so gesagt und hat eigentlich seitdem er im Amt ist immer für ein starkes und souveränes Europa geworben. Aber aus Deutschland hat er dafür bisher nicht so richtig viel Unterstützung bekommen. Warum nicht?
Da gibt es natürlich viele Gründe. Zunächst mal sind natürlich die verteidigungspolitischen Grundstrategien der beiden Länder vollkommen verschieden. Frankreich gründet seine Force de Dissuasion Nucleaire, also seine nukleare Abschreckung Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre, um den Bedeutungsverlust Frankreichs zu kompensieren und in der Völkergemeinschaft eine große Rolle zu spielen. Deutschland natürlich nach dem Krieg.
wollte eben genau das Gegenteil, nämlich sich wesentlich integrieren und sich unter den Schutz der Amerikaner stellen. Und diese zwei Perspektiven, die waren immer schon relativ schwierig miteinander zu vereinen. Insofern gibt es da eine verteidigungsstrategische Dimension. Ganz sicher, dass die Initiative sozusagen das zu verbinden auch eine komplexe Geschichte ist, hat man auch vergessen. Deutschland, es gab also konservative Kreise in Deutschland etwa in den 1960er Jahren, die unbedingt
sich schon mit der französischen Nuklearmacht verbünden wollten, weil sie die Politik Kennedys nicht antirussisch genug fanden. Das heißt, diese Geschichte ist auch schon eine lange Geschichte und dass das sozusagen seit den 2000er Jahren jetzt wieder wesentlich aus Frankreich kommt, hat sicher auch haushalterische Gründe. Diese Nuklearkraft Frankreichs ist natürlich unendlich teuer und Frankreich verspricht sich durchaus auch davon, dass Deutschland mitbezahlt.
Sie haben es gesagt, die Verteidigungspolitik in beiden Ländern hat ja eine sehr unterschiedliche Geschichte, eine unterschiedliche Tradition. In Deutschland wurde ja auch sehr lange darum gerungen, ob und in welcher Form die Bundeswehr zum Beispiel überhaupt wieder im Ausland eingesetzt werden soll. Frankreich dagegen war immer wieder in Konflikten in afrikanischen Ländern militärisch mit dabei. Wie realistisch ist es vor diesem Hintergrund, dass beide Länder in Sachen Verteidigungspolitik jetzt wirklich zusammenkommen?
Also ich bin überhaupt kein Militärexperte. Da gibt es, soweit ich das höre, viele Probleme schon technischer Natur. Und es wird ganz sicher nicht dazu kommen, dass es sozusagen eine deutsch-französische Armee gibt oder eine europäische Armee. Aber dass die Integration der Verteidigungsfähigkeiten notwendig ist, davon gehen glaube ich mittlerweile alle aus, auch die Deutschen, schlicht aus realpolitischen Gründen.
Die französische Position hat ja auch immer Vor- und Nachteile gehabt. Sie hat natürlich den Nachteil gehabt, dass sie immer selbst auch nach weltpolitischer Größe strebte. Sie hat aber den Vorteil, dass sie sehr früh die Notwendigkeit erkannt hat, einer gewissen europäischen Souveränität. Und deswegen ist die Initiative von Macron auch aus meiner Sicht nicht nur militärpolitisch interessant, sondern die Hinwendung zu Europa ist ganz fundamental im Moment. Denn es geht ja eben nicht nur darum,
Putins Russland entgegenzutreten, sondern es geht auch darum, die Demokratie in ihrem Innern zu verteidigen. In Anbetracht der Vereinigten Staaten von Amerika, die sozusagen immer stärker sich von der Demokratie verabschieden, faschistische Kultur und Wissenschaftspolitik betreiben, Leute entlassen und so weiter. Und es wird darauf ankommen, die Stärkung
der europäischen Gesellschaften auch weit über das Militärische hinaus vorzunehmen. Insofern sehe ich in der Initiative Frankreichs vor allen Dingen die große Chance, auch jetzt viel umfassender für Europa zu denken. Ich will trotzdem noch kurz einen Punkt ansprechen mit Blick auf die Geschichte beider Länder in Sachen Verteidigungspolitik, weil Teil der deutschen Geschichte ist ja auch die Anti-Atomkraft-Bewegung, die sich
Zum Teil eben auch ganz explizit gegen Frankreich gewendet hat, zum Beispiel gegen Frankreichs Atomwaffentests im Pazifik in den 90er Jahren unter Präsident Jacques Chirac. Und ja, jetzt sind es plötzlich genau diese französischen Atomwaffen, die Deutschland vor Russland schützen sollen. Das hätte sich vor 30 Jahren wahrscheinlich niemand vorstellen können, oder?
Ja, das ist in der Tat schwierig und ich muss gestehen, ich bin selber ein Kind der 80er Jahre. Ich bin massiv geprägt durch die Friedensbewegung. Wir haben diese französischen Nuklearbestrebungen nie gut gefunden. Man erinnert sich auch ungern an die
Atombombentests, die Chirac dann wieder eingeführt hat in Mikropolinesien. Da gab es damals diese Geschichte mit der Versenkung des Greenpeace-Schiffes in Auckland, der Rainbow Warrior und so weiter. Und das führte bis hin zu einer Initiative in Deutschland in den 90er Jahren, die lautete Fuck Chirac. Und natürlich, ich würde sagen, in der jetzigen Situation stellen sich verschiedene Fragen wahrscheinlich doch neu. Also ich denke, dass
einerseits ganz sicher realpolitisch gedacht werden muss und hier ist vielleicht der französische Schutz tatsächlich in Erwägung zu ziehen und vielleicht auch eine gewisse deutsche Hypokrisie aufzugeben, nämlich zu sagen, wir machen uns die Hände nicht schmutzig, wir sind keine Atommacht.
Was ja de facto nie stimmte, denn es gab ja immer die amerikanischen Waffen hier, es gab die NATO-Beteiligung an diesen Waffen und auch sozusagen die deutschen Möglichkeiten, diese Waffen einzusetzen unter amerikanischer Kontrolle. Und vielleicht ist es dann jetzt eben ein europäischer Wechsel in dieser Frage.
Andererseits würde ich aber auch sagen, dass in all diesen Diskussionen jetzt auch ganz wichtig ist, Augenmaß zu halten. Also die Betrunkenheit hat man manchmal das Gefühl, in der Debatte möglichst massiv jetzt aufzurüsten und so weiter. Die sollte man doch zurückführen ein bisschen in einen gewissen Rationalismus und sollte das Maß nicht verlieren und sollte sich immer klar machen, dass wir eigentlich das Ziel langfristig immer noch verfolgen sollten einer nuklearen Abrüstung und einer Friedenspolitik.
Wenn wir jetzt nochmal zu ein paar anderen Punkten kommen, abgesehen vom Thema Verteidigung, was würden Sie sagen, in welchem Zustand sind die deutsch-französischen Beziehungen zurzeit, also insgesamt?
Also die deutsch-französischen Beziehungen sind, das ist ja kein Geheimnis, runtergekühlt in dem Sinne, dass es im Moment eigentlich keine großen Initiativen gibt. Und hier liegt auch ein großer Fehler meines Erachtens der deutschen Politik und Außenpolitik der letzten Jahre. Man hätte viel stärker doch auf die Handreichung der Franzosen immer schon eingehen sollen und müssen. Und ich denke, das ist jetzt dramatisch notwendig. Wir brauchen jetzt...
Ganz klar in der Krise, in der Europa steckt, eine europäische Antwort auf viele Dinge. Und das betrifft ja eben, das hatte ich vorhin schon kurz gesagt, nicht nur den militärisch-geostrategischen Bereich, sondern vor allen Dingen unseren zivilgesellschaftlichen. Also ich denke etwa daran, dass wir dringend in Europa etwas tun müssen, um uns zu verändern.
etwa von den Social-Media-Plattformen der Amerikaner unabhängiger zu machen. Wir wissen mittlerweile, dass diese Tech-Firmen ganz klar faschistische Ziele zum Teil verfolgen mit ihren Instrumenten, die sie da haben. Und wir müssen uns in Europa davon unabhängig machen. Da brauchen wir eine europäische Initiative. Wir müssen sehen, dass wir auch die Öffentlichkeit frei halten, die zivilgesellschaftliche Beteiligung stärken und so weiter. Das heißt also, die europäische Dimension hier ist absolut entscheidend aus meiner Sicht.
Woran liegt es denn, dass die deutsch-französischen Beziehungen in den letzten Jahren so abgekühlt sind, wie Sie sagen? Also in früheren Jahrzehnten war ja oft die Rede von den sogenannten Couples Franco-Allemands, also den Duos aus französischen Präsidenten und deutschen Bundeskanzlern, die oft sehr eng zusammengearbeitet haben. Manchmal so eng, dass sie sogar einen gemeinsamen Spitznamen verpasst bekommen haben. Erinnern wir uns an Merkel und Sarkozy, die irgendwann nur noch Mercosy genannt wurden. Wann hat das aufgehört und an wem lag es?
Also ich glaube, die Frage, wer Schuld hat, ist uninteressant. Die deutsch-französischen Beziehungen sind immer dann gut gewesen, wenn sie wirklich aus realpolitischen Gründen getrieben wurden. Da muss man vielleicht auch nochmal zu den Anfängen gehen. Also die große Erzählung ist natürlich immer eine der Befriedung, der Versöhnung, der persönlichen Freundschaften und das stimmt sicher auch alles.
Aber gleichwohl ist es ja so gewesen, dass Frankreich seine Hinwendung Anfang der 60er Jahre nach Deutschland vor allen Dingen auch aus realpolitischen Gründen vorgenommen hat. 1960 verliert Frankreich seine afrikanischen Kolonien. 1962 Algerien, was aus französischer Perspektive ja noch nicht mal eine Kolonie war, sondern Teil des Mutterlandes, also französische Departements.
Und in dieser Situation fürchtet de Gaulle um den Einfluss Frankreichs unter den ehemaligen Siegermächten und in der Welt. Und es entsteht die Überlegung, wie kann man sozusagen neue Allianzen bauen, französischen Einfluss ausdehnen.
Das heißt, die Hinwendung nach Deutschland, die berühmte Szene in Reims 62, der Élysée-Vertrag, das alles entsteht auch aus realpolitischen Gründen, neue Stärke zu finden, neue Allianzen zu bauen. Und Deutschland hat natürlich genauso realpolitisch davon profitiert, weil die Versöhnung mit Frankreich natürlich fundamental war für die Einbindung Deutschlands in die Völkergemeinschaft, für einen Neubeginn.
Und schlussendlich ist daraus dann aus solchen realpolitischen Erwägungen die Geschichte der Versöhnung entstanden, die Einrichtung europäischer Institutionen. Und ich würde deswegen auch sagen, die strategische Einsicht muss auf jeden Fall da sein, dass Frankreich unser engster Partner ist und dass wir in dieser schwierigen weltpolitischen Lage überhaupt nur deutsche Interessen vertreten können, wenn wir sie gemeinsam mit Frankreich vertreten.
Die deutsch-französischen Beziehungen hatten immer auch einen kulturellen Unterbau, kann man es vielleicht nennen. Also die ganzen Kulturinstitute, die Austauschprogramme, die Städtepartnerschaften, ein gemeinsamer Fernsehsender wie Arte und so weiter. Wie sieht es aus mit dieser kulturellen Partnerschaft? Würden Sie sagen, die funktioniert aktuell noch?
Naja, da sprechen Sie jetzt einen ganz wesentlichen Punkt an. Also man möchte immer gerne, dass die deutsch-französischen Beziehungen auch ein bisschen Pathos haben, dass sie unterlegt sind, aus Erfahrung hervorgehen und so weiter. Das gibt es auch alles noch. Es gibt die Milieus, ich selber bewege mich auch darin, die sehr deutsch-französisch sind, die ihr ganzes Leben sozusagen zwischen diesen zwei Ländern gestalten.
Aber die Sparpolitiken im Bereich vor allen Dingen von Kultur und Bildung und insbesondere die, die jetzt kommen, sind natürlich absolute Killer für die deutsch-französischen Beziehungen. Denn wenn niemand mehr die Sprache des anderen spricht, wenn sie kaum noch Verlagshäuser haben, die zum Beispiel in Frankreich deutsche Literatur verlegen, wenn sie kaum noch berichten über die anderen Partner.
Dann gibt es natürlich irgendwann auch überhaupt keine lebensweltliche Kenntnis mehr der anderen. Und das ist ein Riesenproblem. Wir müssen dringend, auch hier denke ich, zum Schutz unserer republikanischen Gesellschaften eine deutsch-französische Initiative haben, die ganz klar sozusagen versucht, Kultur, Wissenschaft, Öffentlichkeit auch zu einem großen Thema zu machen.
Es wurden ja zum Beispiel in Frankreich mehrere Goethe-Institute geschlossen, unter anderem das in Straßburg, direkt an der deutsch-französischen Grenze. Kann man jetzt schon was dazu sagen? Hat das konkrete Folgen? Also die Folgen sind natürlich da gewesen. Ganz besonders eklatant war das im Fall Bordeaux, wo es einen großen Freundeskreis um dieses Goethe-Institut herum gab, eine große Gruppe.
zivilgesellschaftliche Solidarität mit dem Institut, auch Verbundenheit. Also die politischen Schäden dieser Schließung der Goethe-Institute in den letzten Jahren sind groß und sie sind auch überhaupt nicht notwendig und eigentlich auch unverständlich, denn solche Institute kosten ganz wenig Geld.
Wenn wir hier die ganze Zeit reden über Aufrüstung in Maßstäben von Milliarden und Abermilliardensummen, dann ist die Kultur immer viel, viel günstiger zu haben. Und trotzdem ist sie der Bereich, an dem immer die paar Millionchen gespart werden, um das andere zu finanzieren. Das ist grundfalsch.
Ich meine, die Entwicklung zwischen Deutschland und Frankreich ist ja so, dass die Sprachkenntnisse sinken, der Sprachunterricht in den Schulen wird zurückgefahren. Das erleben wir selbst im Saarland in gewisser Weise, obwohl das ja ein Land ist, was zum Beispiel eine spezifische Frankreich-Strategie hat.
Und wir müssen da etwas gegenstellen. Das müsste man tun mit zum Beispiel Übersetzungsfonds, mit einem Forum für die Geisteswissenschaften. Man müsste viel stärker wieder versuchen, diese Bereiche zu beleben, um da sozusagen den Unterbau, den politischen, auch wieder herzustellen.
Das heißt also dieses Argument, was man jetzt zur Zeit ja auch wieder häufiger hört, dass Kultur sozusagen ein Nice-to-have ist, auf das man aber in Krisenzeiten, wenn es finanziell knapp wird, zur Not auch mal verzichten kann. Dieses Argument würden Sie sagen, mit Blick auf die deutsch-französischen Beziehungen stimmt das nicht?
Also ganz im Gegenteil, die Sparmaßnahmen an der Kultur, also wir haben das etwa in Berlin ja besonders eklatant jetzt mitbekommen, die Maßnahmen von Herrn Cialo, das sind katastrophale Maßnahmen, die immer der internationalen Verbindung entgegenlaufen. Denn der Sektor der Kultur ist immer der Bereich, der vom anderen lebt, der übersetzt, der in anderen Sprachen spricht, der versucht Dinge aus anderen Ländern zu uns zu holen und das gilt selbstverständlich auch für Deutschland, Frankreich.
Also dieses Sparen an der Kultur und an der kulturellen Gesellschaft, das ist ein massives Unterlaufen eigentlich unserer republikanischen Vorstellungen von Öffentlichkeit, von Kultur, von Teilhabe. Das muss dringend geändert werden. Da brauchen wir eher sogar, würde ich sagen, europäische Initiativen regelrecht.
Ich denke übrigens auch an die Wissenschaftspolitik. Wir müssen ja sehen, dass wir jetzt gerade in Bezug auf Deutschland und Frankreich auch zwei Gesellschaften haben, die auch zum Beispiel solche Probleme wie Wissenschaftsfreiheit in Anbetracht der zunehmenden Technologisierung, der Einflussnahme durch die Medien aus den USA und so weiter wirklich auch strategisch in den Blick nehmen müssen.
Die Kulturfragen im Deutschlandfunk mit dem Romanisten Markus Messling. Wir sprechen über den Zustand der deutsch-französischen Beziehungen. Sie haben vorhin schon einige Zukunftsaufgaben angesprochen, die Sie jetzt sehen für Deutschland und Frankreich und die deutsch-französische Zusammenarbeit, also die Wissenschaft haben Sie gerade genannt, Social Media war vorhin ein Stichwort. Was wären weitere Punkte, wo Deutschland und Frankreich in Zukunft vielleicht noch mehr zusammenarbeiten sollten?
Ich denke, dass Deutschland und Frankreich im Gegensatz zu dem, was man oft sagt, weil man so gewisse verwaltungskulturelle und politische Unterschiede sehr stark macht, Gesellschaften sind, die sehr viel Gemein haben im Moment. Es gibt eine große Verwaltungskrise in beiden Ländern. Es gibt eine Notwendigkeit politischer Reformen. Das gilt vielleicht besonders für das Präsidialsystem in Frankreich. Die Rentenfrage ist drängend in beiden Ländern. Und vor allen Dingen, beide Länder haben eigentlich Jahre auch der Aushöhlung öffentlicher Infrastruktur hinter sich.
Was ein wesentlicher Grund auch sein dürfte, durch die Zerstörung der Bürgerämter, der öffentlichen Infrastrukturen, der Bahnen, der urbanen Strukturen und so weiter, für den Erfolg der Rechten, die ja immer sagen, also der Staat muss sich um seine Bürger kümmern und so weiter. Das heißt, ich sehe hier eigentlich ganz gemeinsame Aufgaben. Wir brauchen eine Politik der Öffentlichkeit vor allen Dingen wieder. Und das vor allen Dingen in Anbetracht der Tatsache, dass genau diese Bereiche ja die sind, die jetzt von den Amerikanern im Grunde geschleift werden.
Also wir haben in den USA ja nun die Nachrichten gehabt, dass das Bildungsministerium mehr oder weniger erst zur Hälfte entlassen werden sollte und dann geschlossen werden sollte. Die Unis erhalten massive Kürzungen. Denken Sie an die Columbia University, die gerade 400 Millionen Dollar gekürzt bekommen hat.
Wir hören von State Universities, also in den verschiedenen Bundesstaaten der USA, dass dort Boards eingesetzt werden, die die Trumpschen Dekrete sozusagen unmittelbar in die Unis reinregieren sollen. Die National Science Foundation in den USA hat Begriffe geflaggt, also sozusagen für Zensur markiert und das betrifft nicht nur diese berühmten Begriffe wie Diversity, Equity und Gender, sondern auch
wichtige Begriffe wie Bürgerrechte, Sklaverei, Historisierung und so weiter. Das heißt für Deutschland und Frankreich, aber das ist auch eine gesamteuropäische Aufgabe, wir brauchen ganz stark eine Politik unserer Institutionen und das gilt zum Beispiel auch für die Universitäten. Wir müssen
offene Universitäten fördern. Wir müssen eine Universitätskultur der harten Debatte zulassen. Die Meinungsfreiheit muss unbedingt geschützt werden. Und da zum Beispiel haben sich ja auch Deutschland und Frankreich in den letzten Jahren nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert. Ich erinnere etwa an den massiven Angriff von Frédéric Vidal, der französischen Bildungsministerin, mit diesem Begriff des Islamoguschisme gegen sozusagen die gesamten sehr diversen postkolonialen Milieus in Frankreich. In Deutschland erinnere ich nur
an den Skandal um Stark-Watzinger, die mal prüfen lassen wollte, ob das BNPF, also das Bundesministerium für Bildung und Forschung, nicht eventuell Projekte nicht mehr fördern möchte, die politisch nicht genehm sind. Also wir müssen den Schutz unserer Institutionen, unserer demokratisch-republikanischen Öffentlichkeit, den müssen wir ganz wesentlich strategisch betrachten. Und das ist eine deutsch-französische Aufgabe. Hier könnte man Expertenräte zusammensitzen, die Pläne entwickeln, auch für eine europäische Öffentlichkeit.
Lösung in diesen Fragen. Da muss viel, viel mehr passieren. Wir sind eben nicht nur der Propaganda Putins ausgesetzt, sondern vor allen Dingen auch der massiven Zersetzung unserer westlichen Ideale und dem, was wir sozusagen wichtig finden an unseren republikanischen Gesellschaften durch die amerikanische Politik.
Und natürlich auch durch Kräfte im Inneren, Stichwort rechtspopulistische bis rechtsextreme Parteien, die es in beiden Ländern in Deutschland und Frankreich gibt und die in beiden Ländern mittlerweile viele Sitze in den Parlamenten haben. Jetzt muss man allerdings sagen, dass in Frankreich diese Entwicklung schon viel früher begonnen hat. Könnte Deutschland irgendetwas lernen von Frankreich für den Umgang mit diesen Kräften?
Unbedingt. Also das ist etwas, was mich eigentlich überhaupt in der ganzen Debatte, auch jetzt im Wahlkampf sehr erstaunt hat, wie schlecht beraten die konservativen Parteien hier waren. Wenn man nach Frankreich guckt, kann man sehr klar konstatieren, dass die Übernahme der rechten Diskurse durch die konservativen Parteien ganz klar zur Zerstörung der konservativen Parteien geführt hat. Die Républicains, mit denen Sarkozy sozusagen noch regiert hatte, die sind innerhalb kürzester Zeit gestorben.
indem sie sich eigentlich beschränkt haben auf die Bereiche Sicherheit und Migration, in der vollkommenen Bedeutungslosigkeit verschwunden. Das droht hier in Deutschland der CDU, CSU auch. Wir haben gesehen, dass die Übernahme von Wahlkampfthemen wie Migration, Grenzen und so weiter als ausschließliche Themen letztlich fast des Wahlkampfes der CDU überhaupt nicht zuträglich war. Hier kann man nur...
Immer wieder den Leuten raten, guckt nach Frankreich. Das ist nicht klug. Wir brauchen gesamtgesellschaftliche Antworten. Wir müssen die Zivilgesellschaft stärken. Insofern sind auch solche Aktionen, wie dann die deutschen NGOs in Frage zu stellen, die demonstriert haben gegen Merz, natürlich eigentlich katastrophal. Ja, genau das Gegenteil muss passieren. Wir müssen die Institutionen, die zivilgesellschaftlichen Einrichtungen stärken von der Regierungsseite her und vom Staat her. Und da kann man von Frankreich einiges lernen.
Was also wäre Ihr Appell an Deutschland und Frankreich in diesen sowohl innenpolitisch als auch außenpolitisch herausfordernden Zeiten? Was müssten beide Länder jetzt tun, um den deutsch-französischen Motor wieder in Schwung zu bringen?
Also ich denke, erstmal ist ganz wichtig, dass Deutschland jetzt diese Makronsche Initiative nicht wieder an der langen Hand vertrocknen lässt. Deutschland muss jetzt das aufnehmen. Das gilt ganz sicher militärpolitisch. Aber ich denke, dass mit diesem Aufruf von Macron...
eigentlich vor allen Dingen eine Initiative zur Europäisierung einhergehen müsste. Das ist die Antwort jetzt, die wir brauchen. Es muss dringend eine viel stärkere kulturelle, wissenschaftspolitische, öffentliche Initiative geben für europäische Medienplattformen, für europäische Medien. Wir müssen die Verlagsmonopole in Frage stellen. Man könnte Politiken machen zur Förderung kleinerer Verlage. Wir müssen den Austausch stark fördern.
Man müsste regelrecht so etwas wie eine Kulturinitiative eigentlich starten, gesamtgesellschaftlich, um Europa zusammengehörig und zusammen agierend zu haben und das umso mehr.
Und das, glaube ich, ist ein ganz zentraler Punkt, als wir in einer medialen Revolutionszeit leben, die die republikanischen Fundamente unserer Gesellschaft massiv infrage stellt. Der Technofaschismus, so wie er von einigen aus dem Silicon Valley betrieben wird, dem müssen wir dringend etwas entgegenstellen. Und da hilft aus meiner Sicht vor allen Dingen eine Förderung von Wissenschaft und Kultur. Der französische Philosophen, Wissenschaftshistoriker Michel Zerr hat in seinem großen Werk immer wieder darauf hingewiesen, dass
Und wenn ich Ihnen so zuhöre, dann...
Würden Sie sagen, dass der deutsch-französische Motor für all diese europäischen Aufgaben, die jetzt anstehen, tatsächlich immer noch das richtige Modell ist? Also man könnte ja auch darüber nachdenken, ob man vielleicht noch andere Länder mit in dieses Bündnis holen müsste. Vielleicht ein Land wie Polen, das immerhin eine gemeinsame Grenze mit Russland hat?
Selbstverständlich. Deswegen habe ich ja die Europäisierung so ins Zentrum gestellt. Natürlich sollte man unbedingt die anderen Länder einbeziehen. Italien, Spanien, Polen, wer immer sozusagen mag. Aber natürlich wissen wir aus der Geschichte heraus, dass wenn Deutschland und Frankreich Vorschläge machen, wenn sie Geld in die Hand nehmen, wenn sie Reformen machen, es ist immer gut, wenn Deutschland und Frankreich dabei schon mal an einem Strang ziehen.
Die europäische Idee war wahrscheinlich noch nie so bedroht wie jetzt, sowohl von außen als auch von innen, das haben Sie mehrfach gesagt. Abschließend noch die Frage, wie optimistisch sind Sie, dass diese europäische Idee, die so eng verbunden ist mit der deutsch-französischen Freundschaft, dass die überlebt?
Also Optimismus in diesen Tagen ist immer ein relativ seltenes Gut, aber es ist unsere einzige Chance, würde ich sagen. Wenn wir es nicht schaffen, den europäischen Zusammenhalt zu stärken, stärker eine gemeinsame europäische Sozialpolitik zu haben und vor allen Dingen auch wirklich eine Zukunft für unsere demokratischen, republikanischen, öffentlichen Gesellschaften zu entwickeln,
dann werden wir unter dem Druck der Großmächte, die alle an uns zerren und uns nichts Gutes wollen, große Probleme kriegen. Insofern denke ich, dass wir diese Herausforderung jetzt annehmen müssen.
Und ich hoffe, dass wir daraus was machen. Markus Messling, Romanist und Professor an der Universität des Saarlandes. Vielen Dank für diese Kulturfragen über den Zustand und die Zukunft der deutsch-französischen Beziehungen. Ich danke Ihnen sehr, Frau Seidel. Und wir haben dieses Gespräch am Freitag vor aufgezeichnet. Jetzt geht es hier im Deutschlandfunk weiter mit Kultur heute. Ich bin Anne Seidel. Danke fürs Zuhören bis hierhin. Schönen Abend.