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Harald Höflein - Engagierter Lehrer stärkt Erinnerungskultur und Demokratie

2025/4/18
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Kulturfragen

Transcript

Shownotes Transcript

Am Mikrofon ist Ludger Fittkau. Oberramstadt ist eine 15.000-Einwohner-Stadt in Südhessen. Sie liegt im vorderen Odenwald, einige Kilometer westlich von Darmstadt. An der dortigen Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule unterrichtet Harald Höflein das Fach Geschichte und auch Politikwissenschaften. Aber auch außerhalb der Schule ist Harald Höflein jemand, der nicht meckert, sondern macht. Unterrichtet

Unter anderem als Teilzeitarchivpädagoge am hessischen Staatsarchiv Darmstadt sowie als Mitglied des Vereins Gegen Vergessen für Demokratie engagiert er sich gegen Hass, Diskriminierung, Antisemitismus und Rassismus.

Für dieses Engagement ist er zu Jahresbeginn im Berliner Abgeordnetenhaus mit dem US-Aurikanischen Obermeier Award ausgezeichnet worden. Beteiligt war neben dem Berliner Parlament auch das Leo Beck-Institut in New York. Ich treffe Harald Höflein an einem seiner Arbeitsplätze im Darmstädter Haus der Geschichte, einem ehemaligen Theatergebäude, in dem heute das Hessische Staatsarchiv Darmstadt untergebracht ist. Herzlich willkommen, Herr Höflein. Hallo.

Hallo Herr Fittkau. Sie sind zu Jahresbeginn mit mehreren Schülerinnen und Schülern nach Berlin gereist, um den Preis im Empfang zu nehmen. Keine gewöhnliche Klassenfahrt, oder? Nein, kann man sagen, ja. Es war eine ganz besondere Klassenfahrt, natürlich auch mit Schülern, die aus den letzten 20 Jahren Projekten zur Erinnerungskultur und Demokratiebildung teilgenommen haben. Ja.

Wie war es für die Schüler? Ich muss es, glaube ich, andersrum sagen. Ich muss sagen, für mich war es sehr rührend, weil ich nämlich gar nicht wusste, dass die kommen. Weil die sich nämlich selbst gemeldet haben und haben also auch Würdigungen für mich geschrieben. Und ich habe erst im letzten Moment gewusst, welche Schüler aus welchen Jahrgängen, also die teilweise vor 18 Jahren ein Projekt gemacht haben, da erscheinen. Also ich wusste es gar nicht richtig. Und es war eine sehr, sehr schöne Veranstaltung gewesen.

Und es kamen ja auch die amerikanischen Familien, mit denen wir seit 18 Jahren in Kontakt sind und auch bleiben werden. Und ja, also ich muss sagen, es war für mich ein bisschen überwältigend und ich glaube, für die Schüler war es tolle Wertschätzung, für mich war es manchmal emotional ganz schön überwältigend.

Sie sprechen schon die Familien an. Sie haben eine Besonderheit entwickelt in Ihrer Arbeit. Sie haben Kontakte aufgenommen mit den Schülerinnen und Schülern zu Menschen, die von den Nazis nach Amerika geflohen sind und deren Nachkommen. Die waren auch in Berlin? Ja, genau. Also eine Familie war komplett nach Berlin gefahren und in Kontakt bin ich mit vielen Familien. Mit zwei größeren Familien bin ich sehr intensiv in Kontakt, die auch nachkommen.

praktisch eigentlich an allen Projekten irgendwie teilhaben, weil sie sich für die gleichen Dinge einsetzen, nur halt in Amerika, was dort genauso relevant ist wie bei uns mindestens mal. Vielleicht sogar noch schlimmer im Moment die Situation gerade. Und deswegen haben sie auch ähnliche Themen und man bestärkt sich gegenseitig, zum Beispiel in Zoom-Konferenzen, wenn

Wir erzählen, welche Projekte wir gerade machen. Dann nehmen die auch inhaltlich teil und freuen sich darüber, dass es hier Menschen gibt, die sich für Menschenrechte, Demokratie, Toleranz einsetzen, weil sie doch auch in ihrer Gesellschaft diese Werte erodieren sehen und auch manche Dinge kaum glauben können, was auch in Amerika mittlerweile möglich ist. Ich las einen Namen, der eine Rolle gespielt hat in dem Kontakt, Julius Bendorf. Was ist das für eine Geschichte?

Oh mein Gott. Ja, Julius Spendorf ist, eigentlich war die Geschichte die, dass Julius Spendorf der Mensch war, mit dem wir zuerst Kontakt in Amerika bekommen haben. Als wir 2007 angefangen haben, Projekte zu machen in Oberramstadt, also damals kam ich nach Oberramstadt, habe dort dann angefangen mit Jugendlichen, auch mich mit der Regionalgeschichte mit ihnen so zu beschäftigen und zu engagieren und da kamen wir auf Julius Spendorf. Vielleicht müssen wir kurz noch erklären, wieso ist er überhaupt in Amerika? Na ja, die Grundgeschichte ist, dass Julius Spendorf eigentlich ein bekannter Mensch,

sogar gewesen ist seiner Zeit. Also er ist kein Superspitzensportler, aber er war ein bekannter Mensch im Ort. Er war in allen Vereinen tätig. Er war Vereinsmeister im Turnen im Leichtathletik. Er war später auch Mitglied in der jüdischen Olympia-Auswahl, nachdem Juden aus allen Vereinen rausgeworfen wurden. Das war eine schwere Kränkung für ihn.

Er ist dann praktisch schon in Arbeitslager mit seinem Bruder gekommen und dann auch nach Auschwitz deportiert worden. Und seine Familie ist nach Lublin-Piaski gekommen und auch dort in den Konzentrationslager ermordet worden. Also er hat Auschwitz überlebt. Er war jung, war ein super Sportler und sein Bruder hat es aber nicht überlebt. Das war auch eine der schlimmsten bleibenden Verletzungen, denke ich. Die hat man auch im hohen Alter, war das immer noch ein Thema.

Und ja, seine Grundgeschichte war natürlich für Jugendliche und auch für mich super spannend. Und deswegen wollten wir natürlich wissen, lebt er denn noch, dieser Julius Bender? Und dann haben wir über ihn so einiges herausgefunden und wussten aber nicht, wo er denn verblieben ist in Amerika. Es ist ja auch nicht so einfach, in Amerika jemanden jetzt zu finden. Die haben also nicht so ein tolles Personenstandsregister, was man so in Deutschland hat. Naja, und da war das erstmal ein bisschen schwierig zu wissen, wo ist er denn abgeblieben? Der letzte Kontakt war mal 1980, glaube ich, damals, also 2018.

Da war er mal ganz kurz in Oberamstadt gewesen für ein, zwei Tage. Und ja, und wir haben ihn dann gesucht und haben ihn dann glücklicherweise dann gefunden. Also ich habe ihn im Internet gefunden, dann in einer Telefonliste. Und erkennbar war er an seinem Geburtsjahr 1915, 4. Januar 1915. Also das wäre dann schon ein sehr großer Zufall, wenn jemand Julius Spendorf heißt und auch am gleichen Tag geboren wurde. Also ich hatte eine Telefonnummer und...

Und dann haben wir uns mit den Schülern ein bisschen rumgedrückt und wussten nicht, okay, was machen wir jetzt? Also anrufen, wir haben uns nicht so richtig getraut. Der hat vielleicht gar keine Lust mit uns zu reden, aus verständlichen Gründen. Ist er denn noch da? Und wir wollen Stolpersteine für ihn verlegen. Ja, und dazu wollten wir natürlich Kontakt zu ihm aufnehmen. Und da war diese Telefonnummer dann, die wir gefunden haben. Na gut, wir haben uns dann erstmal nicht getraut.

Und haben erstmal einen Brief geschrieben dann. Dann nach 14 Tagen kam ein Brief zurück mit akkurater Handschrift, auf alle Fälle beeindruckender Handschrift, auf Englisch mit leichten deutschen Erkennungszeichen im Text. Hat er uns auch Bilder mitgeschickt, hat sich bedankt für die Aufmerksamkeit, dass wir uns um seine Geschichte kümmern. Und wir hatten ihm auch ein bisschen was beigelegt, wir hatten Flyer zu ihm gemacht, wir hatten Plakate gemacht.

Und wir haben damals ja auch schon den ersten Gedenktag gestaltet, auch mit seiner Geschichte. Ja, und dann tatsächlich mit diesem schönen Brief haben wir gedacht, ja gut, dann freut sich ja darüber, was wir da machen. Dann rufen wir doch mal an. Und dann habe ich natürlich angerufen und das habe ich alleine gemacht das erste Mal ohne Schüler, musste auch spätabends, bei uns ein Zehn-Stunden-Zeit-Unterschied. Also auf alle Fälle, ich rief dann dort an und dann hatte ich jemanden am Telefon, wo ich erst dachte, ja ist denn Ihr Vater da, ne?

Dann sagt er, ich bin Julius Spendorf. Also eine jugendliche Stimme, sehr offen, tolerant und ein witziger, geistreicher Redner. Und wir waren gleich irgendwie auch im Gespräch. Und nach wenigen Minuten war klar, zu der Stolperstein-Verlegung, da wollte er auf alle Fälle kommen. Und das fand ich natürlich toll. Ich habe es den Schülern gesagt und da waren wir natürlich begeistert.

Zwei Tage später bekam ich einen Anruf, relativ spät abends, spät, 10, 11 Uhr von seinen Töchtern. Wusste ich aber damals noch nicht, Margot Shapiro, eine amerikanische Stimme am Telefon, die dann sagte, sind Sie Harald Höflein?

Da dachte ich, ja. Und dann war eine relativ reservierte Stimmung so ein bisschen. Also sie hatten so das Gefühl, ihr Vater ist jetzt quasi nicht mehr zurechnungsfähig. Er hat ihnen erzählt, er fährt nach Deutschland zur Verlegung von Stolpersteinen. Ich versuchte ihnen zu erklären, dass er noch bei Sinnen ist und eigentlich was Stolpersteine sind, was wir uns dabei gedacht haben. Und dann entspannte sich eine sehr, sehr schöne Unterhaltung, die empfand

im Prinzip zu einer Freundschaft geführt hat, die bis heute geht. Und er war zu diesem Zeitpunkt schon 95 Jahre alt. Das muss man dazu sagen. Er war 95 Jahre alt. Und deswegen waren die Sorgen nicht ganz unbegründet. Das stimmt. Aber Julius Bendorf war lebendig, geistreich. Er war ein liebevoller Mensch. Das hat sich auch gezeigt bei den ersten Begegnungen hier in Deutschland. Und er hat alle Menschen eingefangen für sich in seiner ganzen Art.

Stolpersteine haben Sie gerade erwähnt. Für Julius Bendorf haben Sie diese Stolpersteine verlegt. Mit Jugendlichen machen Sie das aber häufiger. Ja, naja, ich mache Projekte zu Stolpersteinen und wir haben gar nicht mehr so viele jetzt verlegt, obwohl man wieder welche verlegen müsste. Das mache ich in Oberramstadt, in Darmstadt gibt es ja andere Initiativen.

Aber ich begleite auch hier dann die Jugendlichen dabei bei dem Prozess und ich mache Projekte zu den Stolpersteinen und zu deren Geschichte. Und ich versuche, die Projekte so zu gestalten, dass auch gerade bei uns jetzt in Oberamstadt, dass Jugendliche für Jugendliche das machen können.

Das heißt, Jugendliche machen Stadtführungen für andere Jugendliche. Zu den Stolpersteinen, zu deren Geschichte. Ja, und das ist eine bessere Geschichte, als wenn der Lehrer was erzählt, wenn ich was erzähle. Gut, mittlerweile bin ich quasi Zeitzeuge oder Zweitzeuge besser. Und da habe ich doch auch irgendwie nochmal eine spezielle Rolle. Also nicht als Lehrer, aber als Mensch, der den Julius wirklich gekannt hat noch, ne.

Das ist ein interessanter Punkt. Sie haben ja schon sehr früh angefangen, sich mit Geschichte auseinanderzusetzen. Sie haben hier an der Technischen Universität Darmstadt in den 80er Jahren studiert, trafen dann schon während des Studiums auf Leute, die historisch unterwegs waren.

Ja, relativ schnell bin ich in der Geschichtswerkstatt gelandet bei Hannes Kobles. Ja, und das war natürlich eine ganz, ganz wichtige Geschichte. Wenn ich da nicht gelandet wäre, dann wäre ich ja ein bisschen vertrocknet, glaube ich, im Geschichtsstudium. Und das war von Anfang an natürlich ein Glück. Bis heute sind wir auch befreundet noch und sehen uns regelmäßig. Ja, die Geschichtswerkstatt war im Prinzip der Weg, der damals ja noch gar nicht so akzeptiert und anerkannt war. Also heute ist Regionalgeschichte was völlig Normales, es ist an den Universitäten angekommen.

Das war aber damals eigentlich barfußler Historik oder historische Wissenschaft, wie es genannt wurde manchmal. Aber ja, für mich war das im Prinzip ein großes Glück, dass wir diese Bekanntschaft gleich gemacht hatten. Das kann ich ja dann nur weitergeben an andere. Stichwort Barfußwissenschaft, das ist ja ganz konkret. Sie haben dann schon an der Uni, habe ich gelesen, angefangen mit Rundgängen zur NS-Geschichte in Darmstadt.

Ja, das wichtigste Thema war natürlich Ernestgeschichte. Gut war natürlich ein Thema im Geschichtsstudium, aber auf eine vielleicht nicht ganz so regionalgeschichtlich verordnete Art. Also das war natürlich wichtig, dass überhaupt diese Forschung auch regionalgeschichtlich läuft. Die gab es bis dahin noch gar nicht so richtig. Und Pingel-Rollmann zum Beispiel, mit dem ich übrigens mittlerweile auch befreundet bin, also das sind alles Leute, die vor mir schon daran gearbeitet haben, wichtige Wegweisende, Arbeiten gemacht haben, sich noch ziemlich streiten mussten teilweise in der Stadtgesellschaft.

Vielleicht für die nicht Darmstadt-Herrk-Pinger-Rollmann ist ein Historiker, der auch zur Geschichte des Widerstandes gearbeitet hat. Also das war ja bis weit in die 60er Jahre hinein nicht ganz selbstverständlich. Nein, das war gar nicht selbstverständlich und die Beschäftigung mit solchen Themen, die war auch nicht unbedingt gewollt und da stieß man nun wirklich auf Widerstände und im Archiven hieß es immer, da haben wir nichts dazu, da gibt es nichts, da haben wir nichts.

Und das hat natürlich alles gar nicht gestimmt. Ja, und da war er natürlich im Henner. Er war übrigens da zum Projekt 1933, 80 Jahre 1933. Auch ein Jugendprojekt, was ich hier gemacht habe. Dann ist er da praktisch als, was war er gewesen? Historiker, aber auch Zeitzeuge. Und das war besonders interessant, weil die Schüler ihn praktisch als beides irgendwie dann die ganze Woche über nutzen konnten, eine Ausstellung gemacht haben. Das ist eine Seitengeschichte ein bisschen. Aber der Punkt war ja für mich, dass ich gesehen habe, das ist ein wahnsinnig wichtiger Ansatz.

um die Bedeutung dieser Geschichte Menschen näher zu bringen. Ich selber wusste auch gar nichts. Ich habe einen klassischen Durchgang durchs Gymnasium gemacht. Ich kam aus Bensheim. Ich habe erst zehn Jahre später über die jüdische Gemeinde in Bensheim überhaupt was gewusst. Ich habe als Jugendlicher nicht gewusst, dass es eine große Synagoge gegeben hat, eine große jüdische Gemeinde. Ich wusste quasi nichts, als ich aus der Schule gekommen bin.

Und das schien mir auch so vollkommen fremd, dass man über seinen eigenen Herkunftsort, über den Ort, an dem man praktisch seine ganze Zeit verbringt, wo man jede Ecke kennt, nicht mehr so viel weiß.

Nicht mal da weiß man praktisch über das Zusammenleben von Juden und Christen über 1700 Jahre. Nicht mal da weiß man was über die NS-Geschichte und nicht im Ansatz. Sie haben irgendwann im Interview gesagt, Sie haben ja einen Vater gehabt, der auch Arbeiter war, der im Krieg war. Sie kommen aus einer Arbeiterfamilie. Hätte man ja auch sagen können, vielleicht spricht man drüber, aber es wurde nicht darüber gesprochen. Nein.

Nee, ich glaube aber, das ist auch typisch, dass die Generation meines Vaters über ihre Kriegserlebnisse nicht gesprochen hat. Wenn, dann nur in Anekdoten und kurzen Anmerkungen, aber da wollte er nicht drüber sprechen. Und ich habe dann auch nicht weiter gefragt, weil ich doch gemerkt habe, dass er da zumacht.

War auch vier Jahre in Kriegsgefangenschaft und das war eine klassische Familie. Also mein Vater kam aus der Kriegsgefangenschaft zurück und heiratete eine jüngere Frau. Meine Mutter war das klassische BDM-Mädchen, muss man sagen, 1930 geboren und mein Vater 1919 geboren. Das war schon eine deutliche Generation dazwischen, also durch die Erfahrung einfach. Und man hat auch natürlich bei meiner Mutter gemerkt, dass sie doch ganz stark auch von der NS-Erziehung geprägt war im Nachhinein.

Und auch später in der Pflege natürlich polnische Pflegekräfte. Und die Haltung meiner Mutter dazu war, ja auch schon früher, waren ganz klassische rassistische Stereotypen, die sie einfach nicht weggekriegt hat so richtig. Die waren einfach da. Das hat sich so fest eingebrannt auf die Festplatte. Aber trotzdem, das hört sich fast zynisch an, aber im Verlauf der Demenz hat sich das aber verändert. Es hat sich so verändert, dass meine Mutter die Pflegekräfte als Menschen sehen konnte.

Das hört sich vielleicht zynisch an, aber es war eine positive Geschichte, dass sie emotional die Pflege, gerade eine Pflegegaststätte, mit der sie viel zu tun hatte, die hat sie als ihre Tochter gesehen dann. Und das fand ich auf eine gewisse Weise irgendwie gut. Sie haben auch mal gesagt, wenn man Jugendliche heute erreichen will, dann muss man ins Archiv gehen. Ab ins Archiv, haben Sie in der Zeitung geschrieben. Ab ins Archiv. Was soll denn hier im Archiv sein?

Ja, ich meine, ich will sie ja ins Archiv irgendwie entführen von selber. Kommen die ja nicht ins Archiv so einfach so. Das ist ja das Problem. Aber ja, da habe ich für mich eine Mission irgendwie, weil ich denke, wir haben hier Schätze. Für mich ist das ein Gedenkort, ein Gedenkort im Sinne von über Denken auch zum Gedenken kommen. Weil in der Mangelung von tatsächlichen Zeitzeugen haben wir hier praktisch einen wahnsinnigen Bestand an unserer gesamten Geschichte und vor allem auch über den Kampf für Menschenrechte und Demokratie.

Und dieser Bestand, der ist unglaublich wirksam, wenn man sich dann auch die Mühe gibt, Jugendlichen Zeit zu geben, sich damit zu beschäftigen, wenn man offen genug ist, auch Fragen zuzulassen, also auch neue Perspektiven mal zu übernehmen. Ja, und deswegen denke ich, ist hier noch ein ganz, ganz großer Bereich, den wir noch gar nicht sehen oder der noch nicht gesehen wird, dass hier das Archiv eigentlich eine Bildungsinstitution wird, die gerade für Jugendliche, aber nicht nur für Jugendliche, eine ganz wichtige Bedeutung hat, für Demokratiebildung eine wichtige Bedeutung hat.

So ist es. Sie kommen gerade aus dem Seminar mit Jugendlichen. Ich habe die Plakate gesehen, KPD-Plakate obendrauf. Wie wichtig sind diese Originalobjekte für die Jugendlichen? Ja, sehr wichtig. Also ich glaube, dass heute genau das Problem ist, dass wir alle, also da schließe ich mich ja selbst ein, also mein Handy liegt rechts neben mir, ne?

dass wir alle eigentlich die Welt durch einen digitalen Filter sehen und das zwischen Authentizität und Realität also praktisch verschwimmt. Man kann es kaum noch wahrnehmen. Das gilt übrigens auch für die Begegnung von Menschen, die meiner Ansicht nach praktisch verschwindet hinter dem Spiegel von digitalen sozialen Räumen. Die bieten eine ganz andere Beziehung, also meiner Ansicht nach halt nicht so nachhaltige Beziehungen. Natürlich ist es eine ganz andere Situation. Aber Beziehung zwischen Menschen und das Begegnen von Menschen ist auch eine ganz wichtige Geschichte.

Aber die Begegnung mit Objekten kann genauso nachhaltig sein, wenn man der Sache Zeit gibt und den Jugendlichen Zeit gibt, sich mit diesen Objekten auch zu beschäftigen und das auf sich wirken zu lassen. Zum Beispiel, wenn ich hier sogenannte Judenkennkarten habe aus Darmstadt, wo Menschen praktisch von normalen Staatsbürgern zu Nichtbürgern, zu Untermenschen dann sogar werden, einen Zwangsnamen bekommen und ein J reingestempelt bekommen. Und man hat Fotos von Menschen unterschiedlichen Alters auf diesen Kennkarten.

dann sind das Dokumente, die, ich denke, in vielen Teilen auch eine Begegnung zulassen mit den Menschen von damals. Durch diese Bilder, durch diese Dokumente, die sprechende Dokumente für mich sind und die was bei Jugendlichen bewirken. Das ist jedenfalls meine Erfahrung. Und das ist auch eine Art Begegnung mit unseren Dokumenten, mit unseren Objekten, die wir hier haben.

Und mit der Authentizität von Briefen aus dem Konzentrationslager zum Beispiel, Wilhelm Leuschner schreibt an seine Kinder oder die Kinder schreiben an ihn. Da kann in so einem Brief, der vielleicht noch kommentiert wird von einem KZ-Wächter oder so, da kann mehr Verständnis und mehr Verstehen dahinter dann sich entwickeln als durch manche Geschichtsstunde.

Wilhelm Leuschner erwähnen Sie, der ist natürlich hier in Hessen sehr bekannt, bundesweit noch nicht überall so, obwohl viel dafür getan wird durch Theaterstücke und Ähnliches. Aber wir müssen kurz noch sagen, Wilhelm Leuschner ist hier für das Staatsarchiv in Darmstadt eine wichtige Person.

Ich denke schon, ja. Ja, wir haben den Nachlass von Wilhelm Leuschner hier und er war schon immer eine wichtige Figur für Darmstadt, denke ich. Widerstandskämpfer, einer der wichtigsten sozialdemokratischen Widerstandskämpfer im 20. Juli, in der Umsturzplanung des 20. Juli. Und hier ist ein Teil seines Nachlasses. Ja.

Ein großer Teil seines persönlichen Nachlasses ist hier und das ist zum Beispiel auch ein ganz großer Schatz für die Beschäftigung mit Widerstand und mit der Beschäftigung zur NS-Geschichte hier mit Jugendlichen. Sehr viele persönliche Dinge und gerade diese persönlichen Dinge, die erlauben es halt, dass man eine Beziehung entwickeln kann zu einer Person.

Und ich glaube gerade ja gut heutzutage, wenn wir uns umschauen, da geht es um Zivilcourage, da geht es um Haltung auch und es geht um Werte und es geht auch um Kampf für Werte. Und ich glaube, dass Jugendlichen gerade jetzt heute bei der Beschäftigung mit dem Nachlass von Leuschner und seinem doch auch ziemlich nachhaltigen und überzeugenden Kampf für diese Werte, ja, dass man sich mit dem verbinden kann.

Und wie geht man um mit Rechtsradikalen? Redet man mit denen, redet man nicht mit denen? Leuschner hat mit ihnen versucht zu reden, auf einer rationalen Ebene. Aber er war auch klar, wo die Grenzen sind. Das sind ganz, ganz viele Dinge, auch Entscheidungen, die gefällt werden müssen, ob man in einen bewaffneten Widerstand geht oder nicht, ob das Reichsbanner aufmarschiert, 1933 oder nicht. Das Reichsbanner war eine Widerstandsvereinigung der SPD und dann auch der anderen demokratischen Gruppen, das Eiserne Front und Freie Demokraten.

Ja, dass man tatsächlich Entscheidungen fällen muss im Leben und dass man tatsächlich heutzutage vielleicht in der Bus oder Bahn, ob ich was sage oder nicht sage, wenn jemand rassistisch beleidigt wird, ob ich mich traue, mich einzumischen oder nicht.

ob ich Dinge zulasse oder nicht zulasse. Im Kleinen machen wir das heute auch. Und Wilhelm Leuschner war jemand, der halt für mehr verantwortlich war als nur seine eigene Lebenswelt. Und in dem Rahmen, fand ich, hat er für mich jedenfalls eine ziemlich überzeugende Biografie hinterlassen. Mit sehr, sehr vielen persönlichen Dokumenten, Briefen, die auch ihn als Mensch halt zeigen.

Ja, da können sich Jugendliche, das ist jedenfalls auf alle Fälle mein fester Eindruck, den ich habe, sehr gut mit verbinden und man muss ihnen auch produktive Möglichkeiten geben, wie sie das machen können. Wir haben eine Webseite gemacht, machen regelmäßig Projekte, es gibt ein Theaterstück, das sich entwickelt hat, auch aus der Beschäftigung mit Wilhelm Leuschner.

das von Jan Ubleger gespielt wird und der das toll macht. Und Schüler können aktiv was dazu gestalten und machen auf der Webseite und können eigene Ausstellungen machen mit eigenen Ideen, eigenen Perspektiven auf die Figur, auf seinen Nachlass und seine Geschichte. Sie sind ja auch Lehrer. Diese ganzen Aktivitäten, da scheint mir die Unterrichtszeit nicht auszureichen. Wie gelingt es denn jetzt, die Schüler...

Neben dem Unterricht noch zu Ausstellungsplanungen, Theaterplanungen zu bewegen?

Und deswegen ermutige ich ja und an meiner eigenen Schule bin ich ja auch nachhaltig hartnäckig und da kommen sehr viele Jugendliche. Wir machen natürlich auch nach dem Unterricht oft weiter, aber natürlich ein bisschen, also muss auch Unterricht mal dran glauben.

Ja, und ich glaube, dass der Zuspruch sehr groß ist und kommt nur deswegen, weil die Jugendlichen merken, dass sie was machen, was interessant ist und wo sie auch eine gewisse Selbstwirksamkeit, würde man heute sagen, fühlen. Weil wenn wir jetzt hier Ausstellungen machen, das ist das eine, aber wir gehen auch immer in die Diskussion mit Historikern oder mit der Politik dann über bestimmte Dinge und so weiter.

Und wir mischen uns ein in auch erinnerungskulturelle Debatten, die gerade so vor Ort sind. Zum 11. September in Darmstadt zum Beispiel waren wir unterwegs. 11. September in Darmstadt ist auch für die Nicht-Darmstädter die Nacht des großen Bombenangriffs 11. September 1944, jetzt gerade 80 Jahre her, vor einigen Monaten, für die Darmstädter eine ganz prägende, traumatische Geschichte. Ja, es ist eine prägende, traumatische Geschichte und man muss halt auch so immer ein bisschen aufpassen, dass das praktisch nicht eine Geschichte wird, wo man sich nur gegenseitig sozusagen trauert.

sondern dass das auch praktisch eingeordnet wird historisch. Deswegen sage ich ja immer, was wir hier machen, ist ja auch praktisch Perspektiven öffnen. Ganz konkret zum 11. September, da gab es natürlich schon eine Ausstellung, die hat der Peter Engels gemacht, wie immer. Das ist der Stadtarchivar. Das ist der Stadtarchivar, der sehr nette Stadtarchivar, der auch mit uns immer mit kooperiert und das freut sich auch, wenn Jugendliche sich engagieren, ne?

Aber mit den Jugendlichen versuche ich dann halt, aber andere Perspektiven noch einzubringen. Zum Beispiel die Perspektiven der Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen. Auch mit den tollen Dokumenten, die wir dazu im Archiv haben. Und dass man sieht, dass es nicht nur die eine Perspektive auf diese Brandnacht gibt. Oder Mischehen, Menschen aus sogenannten Mischehen, aus der Nazisprache heraus Mischehen, die es immer noch gegeben hat. Wir haben Menschen interviewt, die aus solchen Mischehen kommen, die gesagt haben, das war unsere Geburtsstunde, weil unsere Eltern wären damals noch deportiert worden.

Wenn diese Brandnacht oder diese Bombardierung nicht gekommen wäre, und das stimmt, es gab tatsächlich schon den Abtransport von Menschen aus Mischehen, Viktor Klemperer, jeder kennt wahrscheinlich Viktor Klemperer, Selbstbetroffener, da wird auch durch die Bombardierung Dresdens diese Deportation der Menschen aus Mischehen, aus privilegierten Mischehen nicht mehr durchgeführt.

Das mögen jetzt auch Einzelschicksale in diesem Fall sein, aber es sind durchaus relevante Einzelschicksale, die zeigen, warum die Bombardierung eigentlich überhaupt stattgefunden hat und Ursachen und Wirkungsgeschichten gibt.

Und da suche ich immer nach Geschichten, die noch nicht erzählt sind, Geschichten, die noch herausgefunden werden können, die spannend sind, die Perspektiven eröffnen, die natürlich eher auch aus relevanten Perspektiven demokratiebildungsmäßig eine Rolle spielen. Wenn man konsequent nicht über Zwangsarbeiter redet, über 10.000 Zwangsarbeiter, die die Bombennacht irgendwie auch überleben wollten, aber die auf der anderen Seite auch wollten, dass der Krieg zu Ende ist und dass Deutschland natürlich diesen Krieg verliert und sie nach Hause kommen können.

Das muss man verstehen. 10.000 Zwangsarbeiter allein in Darmstadt? Ja, genau. Die Schule, Sie haben sie erwähnt, muss ja dann aus Ihrem Trott heraus, wenn solche Projekte stattfinden. Ist das immer einfach?

Einfache Antwort, nein. Nein, es ist nicht einfach. Man muss viel Überzeugungsarbeit leisten. Man muss sich auch mal streiten mit der Mathelehrer am Kopierer zum Beispiel. Für andere Schulen, also in meiner eigenen Schule mache ich das seit 20 Jahren und da hat sich aber auch eine gewisse Kultur entwickelt, dass wir das auch als Schule fördern. Ich kann das jetzt so sagen.

Aber das war natürlich nicht immer so. Und ich versuche das auch zu etablieren, auch mit den neuen und auch jungen Kollegen, die das auch mit unterstützen und mit einer Schulleitung, die das auch fördert. Wir sind eine Kulturschule und Erinnerungskultur und Demokratiebildung ist praktisch ein zentraler Teil dieser Kulturschule. Insofern habe ich gar keine Probleme mehr. Andere Schulen haben natürlich schon auch Ängste, ihre Schüler zu befreien für solche Projekte und man muss da viel Überzeugungsarbeit leisten.

Aber trotzdem, also es ist ja so, ich habe eine ganze Menge zu tun, ist ja auch gut so, aber ich finde, es müsste noch mehr getan werden. Wir müssten eigentlich ein Team hier sein von drei Leuten, die solche tollen Projekte also entwickeln und es müssten Schulen wesentlich öfter aus dem Schulgebäude rausgehen, um Demokratiebildung, Geschichte zu entwickeln.

und auch andere Dinge in der richtigen Welt da draußen zu machen. Sie sind ja auch in einem Verein engagiert, der bundesweit bekannt ist, gegen Vergessen für Demokratie. Können die Ehrenamtlichen dieses Vereins da etwas auffangen oder ist das schwierig, wenn Sie sagen, wir brauchen eigentlich mehr Stellen? Ich habe natürlich jetzt ein bisschen Glück immer gehabt,

dass im Verein Menschen da sind, die bei der Organisation von Projekten vielleicht auch ein bisschen helfen und auch vielleicht helfen beim Auftreiben von Sponsorengeldern für Projekte. Ich gucke gerade auf Projekte, die vielleicht auch ein bisschen Geld gekostet haben, nämlich auch Kunstprojekte. Kunst, Streetart, Meets History haben wir mal gesagt, aber auch Erinnerungskultur und Demokratiebildung über Kunst.

Da gibt es so viele tolle Möglichkeiten, die auch wirklich, finde ich, nachhaltig an Haltungen bei Leuten arbeiten. Der Verein macht seit 15 Jahren ganz tolle Arbeit und klar bin ich da auch mit drin. Ich habe selbst auch viel profitiert natürlich davon. Zivilgesellschaftliche Vereine sind halt ein großer Schatz, das stimmt. Danke Harald Höflein, Lehrer und Archivpädagoge in Südhessen. Gleich im Anschluss folgt die Sendung Kultur heute. Mein Name ist Ludger Fittgau.