Deutschlandfunk, Kulturfragen. Die Kulturfragen im Deutschlandfunk mit der Kulturwissenschaftlerin Aleida Aßmann. Schönen guten Tag. Guten Tag. Mein Name ist Wladimir Balzer. Ich freue mich sehr, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen, aus Anlass von 20 Jahren Holocaust-Mahnmal. Wir wollen über die Erinnerungskultur und ihren Wandel sprechen und natürlich auch...
Beginnend mit dem, was eben dieses Holocaust-Mahnmal bis heute bedeutet, 20 Jahre nach der Eröffnung. Es gibt ja eine lange Vorgeschichte dieses Holocaust-Mahnmals, mit der sind Sie ja auch verbunden in den späten 80er Jahren. Sie haben im Westen von Berlin gelebt und waren aktiv daran beteiligt, dass es überhaupt entstehen konnte.
Wir sitzen hier mal auf Tschadstudio des Deutschlandfunks, wirklich nicht weit vom Holocaust-Mahnmal entfernt. Das wären vielleicht zehn Minuten zu Fuß von hier aus. Es ist eine interessanterweise Touristenattraktion geworden. Ein Mahnmal, was an eines der größten Menschheitsverbrechen überhaupt erinnert. Geplant von hier aus, von Berlin aus und trotzdem ein Anziehungspunkt. Wie ist das zu erklären? Ja, es war ja mal fast so definiert worden als ein Ort, wo man gerne hingeht.
Das ist tatsächlich auch geschehen. Es ist ein Attraktionspunkt. Aber wenn man es sozusagen von seiner Anmutung her mal betrachtet, also wie fühlt es sich an, dort zu sein, dann unterscheidet es sich radikal von anderen Denkmälern. Und man kann es vielleicht mal vergleichen mit dem Denkmal für die Sinti und Roma. Das ist ja auch ein Denkmal für die Ermordung einer Minderheit.
In dem Fall aber steht im Zentrum die Trauer, die Emotionen, die Gefühle. Das Wasser symbolisiert die Tränen. Es gibt auch eine Blume. Es ist ein geschlossener Kreis. Man kann sich da geborgen fühlen in einer Trauergemeinde. All das geht gar nicht auf dem großen Stelenfeld. Es ist genau das Gegenteil. Es gibt kein Wasser, es gibt nur Beton.
Es gibt Steine, es gibt Engpässe, es gibt viel Schatten, es gibt das Gefühl der absoluten Isolation. Und das in einer Großstadt, wo alles wimmelt, plötzlich eine Wüste, ein Steinmeer, in dem man sich vereinzelt und plötzlich auch den Weg nicht mehr finden kann. Also das ist eigentlich ganz großartig, dass hier auch für die, die da hinkommen,
sofort deutlich wird, wir sind hier nicht mehr in der Stadt, die wir gerade besuchen, sondern wir sind in einem Niemandsland. Auch das Gefühl des Verlorenseins, glaube ich, dass man auf sich selbst gestellt ist und verloren ist. Ich glaube, das ist auch ein Gefühl, was man bekommen kann, wenn man durch dieses Dellenfeld läuft. Ganz genau. Deswegen kann man sich da auch nicht mit anderen zusammentun. Jeder muss da alleine durch. Und es gibt auch keinen Ort für Gemeinschaftsverlust.
oder Gesten. Es gibt dann natürlich noch den Ort der Erinnerung, sozusagen das Untergeschoss, in dem man lernen kann. Aber oben ist man völlig für sich allein. Und man sieht Menschen eigentlich nur immer so für Sekundenbruchteile, wenn sie durch diese verschiedenen Teile dort laufen. Wirklich nur ganz kurz sieht man sie, dann verschwinden sie wieder, was Kinder und Jugendliche gerne mal nutzen, um
um einfach Fange zu spielen. Und es ist zum Teil sogar, und das ist ja auch die Ambivalenz, ein fröhlicher Ort. Ist das gut so? Es ist sehr gut, dass dieser Ort so intensiv aufgesucht wird. Er ist auch, glaube ich, eine Attraktion, ein Anziehungspunkt für Menschen geworden aus aller Welt, die mit dieser Geschichte gar nichts zu tun haben. Es ist als Kunstdenkmal einfach überragend aufregend,
ausstrahlung strahlungskräftig und etwas was man nicht nur gesehen haben muss sondern gefühlt haben muss das heißt es ist ein ort von dem es sehr viele bilder gibt und jeder nimmt auch seine eigenen bilder mit das ist ein sehr gut fotografierbares denkmal
Aber der Punkt sind nicht die Bilder, sondern ist das Gefühl des Ausgesetztseins. Und diese Erfahrung, die ist auch für alle, die aus anderen Kulturen kommen, unmittelbar spürbar, weil es so extrem aus dem Rahmen der üblichen Denkmäler kommt.
Es spricht einen da gar nichts an. Man bringt seine eigenen Gefühle mit, aber mit denen ist man auch alleine. Und die Notwendigkeit, mehr hören oder lernen zu wollen, die kommt nach einem solchen Besuch vielleicht und nicht nur vorher.
Und deswegen ist es ein Ort, der eigentlich für alle zugänglich ist. Weil Sie die Selfies erwähnt haben, da wurde ja immer wieder diskutiert, welche Art von Selfies sind da eigentlich okay? Wie ist der Umgang überhaupt? Auch das, was ich vorhin erwähnt habe, spielende Kinder, darüber wurde ja lange diskutiert. Ist das okay? Kann man das zulassen? Inwieweit darf das eben auch so ein Offizielland?
Ein offener, ja wie gesagt fast schon fröhlicher Ort zumindest für Kinder sein. Die Debatten sind fast verstummt dazu, oder? Ja, weil das eine gewisse Normalität bekommen hat. Das ist ein sehr gutes Zeichen. Das Denkmal ist in der Stadt angekommen und auch bei den Besuchern. Man ist nicht mehr so nervös, dass man da einen Ort hat und nicht genau weiß, was da passiert. Das ist eine totale Innovation, so etwas zu machen und das ist ein Experiment in gewisser Weise, aber...
Aber ich würde sagen, ein gelungenes Experiment. Die Menschen haben das Denkmal kennengelernt und das Denkmal zeigt sich mit den Menschen als einen Zusammenhang mitten in dieser Großstadt. Es funktioniert. Aber wenn man so sagt, eine Generation sind ungefähr 20 Jahre, dann ist es praktisch ein Generationsdenkmal, wenn man so will.
Als sie aktiv geworden sind in den 80er Jahren, hat es ja immer noch sehr lange gedauert. Dann fiel irgendwann die Mauer, Deutsche Einheit, Hermuth Kohl war Kanzler und wir wissen ja, er hatte eine ganz eigene Vorstellung von Erinnerungspolitik. Er hat ja hier das Deutsche Historische Museum mit initiiert, vielleicht auch nochmal ein ganz eigenes Deutschlandbild versucht zu erzeugen.
zu etablieren, dann die neue Wache, die ihm ja sehr wichtig war als eine Art zentraler Ort für die Opfer von Gewalt und Kriegen. Und er galt als skeptisch gegenüber einem Holocaust-Mann. Wie haben Sie diese Zeit erlebt? Diese Zeit habe ich sehr gut erlebt, denn es ist die erste Zeit, in der ich eingespannt wurde in das Projekt.
von einer kleinen Berliner Gruppe. Das waren nicht mehr als sieben, acht Personen. Was deutlich war, dass Kohl kein Interesse hatte, dieses Denkmal zu bauen. Die hatten ihm einen Vorschlag gemacht und die Antwort war, ihr müsst mir erstmal beweisen, dass das aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Und bevor ihr mir nicht ungefähr 500 Unterschriften vorlegt, nehme ich das Projekt nicht an. Da reden wir von welchem Jahr? Anfang der 90er? Das ist Anfang der 90er.
Und an dieser Unterschriftenaktion waren wir beteiligt. Da sind wir eingestiegen. Und ich erinnere mich noch, auf dem Marktplatz in Hanschusheim in der Kälte, die Leute, die eigentlich Gurken oder Obst kaufen wollten, anzusprechen. Das ist in Süddeutschland? Das ist in Heidelberg, ein Stadtteil. Dort gibt es einen sehr schönen Markt. Und da findet man dann Menschen, ansprechbare Menschen. Aber die haben natürlich anderes im Sinn. Trotzdem, ich habe denen allen erklärt, worum es ging und hatte immer eine...
Blatt dabei und sammelte und sammelte und sammelte Unterschriften, aber damit kommt man nicht zum Ziel. Und der Grund war, der Widerstand von Kohl war viel grundsätzlicher. Er hatte ein eigenes Denkmal dieser Art im Blick und das war die Neue Wache, die 1993 und zwar am Volkstrauertag eingeweiht wurde. Und diese Verknüpfung mit dem Volkstrauertag,
Aber auch diese Umgestaltung der neuen Wache, allein die Widmung dieser Gedenkstätte den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft.
denen ist es gewidmet. Das ist eine so inklusive Formel, mit der man eigentlich dieses Schweigen, das ja von Adenauer bis zu Kohl geht, eigentlich nochmal nicht nur verlängert, sondern auch abschließt. Also den letzten Akt des Schweigens, dann ist Schluss sozusagen. Der Schlussstrich, so heißt ja auch diese Regierungsphase, der wurde mit diesem Denkmal bestätigt und deswegen war er nicht daran interessiert, das zu realisieren. Nun, an der Universität Konstanz habe ich aber auch eine Geschichte erfahren,
direkt von Ignaz Bubis. Der wurde eingeladen. Damals Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland. Genau, wir sind zehn Jahre weiter, schon Ende der 90er Jahre. Ich war inzwischen an der Uni Konstanz.
angestellt, tätig und es gab einen jüdischen Rektor, Rudolf Cohen. Und der hat als erstes Ignaz Bubis an die Uni Konstanz eingeladen und der hat uns seine Geschichte dieses Denkmals erzählt. Und was er erzählte war, er kam zu Kohl, hat sich mit ihm ausgetauscht über die Gedenkprogramme des Landes, hat seine neue Wache besucht und
hat dann gesagt, schön und gut, das ist dein Denkmal, aber jetzt gestattest du mir auch mein Denkmal. Das waren so ungefähr seine Worte und damit meinte er das andere Projekt in Berlin. Und damit war aber tatsächlich auch das grüne Licht gegeben und damit nahm das ganze Projekt des Denkmals Fahrt auf. Nun ist es da, nach langer Vorgeschichte. Sie haben es beschrieben als ein Erfolgsprojekt, als ein Denkmal, als ein Mahnmal, was funktioniert.
28 Jahre nach der Entstehung funktioniert, seine Rolle erfüllt, auch über den Wandel der Zeit hinaus. Und dennoch lässt es natürlich an die Debatten denken, wie mit der deutschen Geschichte umzugehen, wie mit dem Holocaust umzugehen. Wir sehen ja, dass die letzten Zeitzeugen versterben, dass die nächsten Generationen erreicht werden müssen, auch mit einer gewissen Erinnerungskultur, dass eine migrantische Gesellschaft auch erreicht werden muss.
dass diese gesamte Erinnerung an den Holocaust natürlich immer stärker auch verwoben ist mit dem Streit um die Lage im Nahen Osten und dem Gaza-Krieg. Wie erleben Sie die Debatten der letzten Wochen und Monate? Ja, ich möchte vielleicht auch nochmal auf den dritten Punkt eingehen, die Eröffnung, an der ich ja auch teilgenommen habe. Denn was ich da erlebt habe, ist verbunden auch mit dieser Zukunft, die Sie gerade ansprechen.
Mai 2005. Das war 10. Mai 2005. Da war ich in Begleitung von zwei Holocaust-Überlebenden aus den USA. Das eine war Jeffrey Hartman, mein Professor aus Yale und seine Frau René Hartman, Überlebende aus Bergen-Belsen. Die beiden sind extra angereist, um das hier mitzuerleben. Sie gehörten also zu denen, die sich voll hinter das Projekt auseinandersetzten.
auch stellten. Und Jeffrey Hartmann reiste noch mit etwas anderem an, nämlich mit seinen Video-Holocaust-Zeugnissen. Seit den 80er Jahren war er nämlich schon dabei, sich auf diese Zukunft nach dem Ende der Zeitzeugen vorzubereiten. Das ist ja nicht eine neue Perspektive, sondern daran wird längst gearbeitet. Und die Universität Yale, das Fortunoff-Archiv, ist die erste Institution dieser Art, die damit begann.
Und er und seine Frau haben da beide ihre Videozeugnisse abgelegt. Und ich habe dieses Archiv auch kennengelernt. Er hat nun bei dieser Gelegenheit 2005 die Öffnung des Mahnmals geöffnet.
hat er für die Universität Berlin und Frankfurt, hat er ins Archiv eben große Teile seiner Sammlung mitgebracht. Also da gab es ein Transfer und es war durchaus der Blick auf die Zukunft, wie kann man diese Erinnerung lebendig halten. Die Frage ist jetzt nach weiteren 20 Jahren, was ist aus diesem Archiv oder auch dieser Investition in die Zukunft geworden,
Spielberg, der dieses Archiv ja auch weiter enorm erweitert hat, hat umgeschaltet inzwischen auf neue Techniken, auf interaktive digitale Zeitzeugen, die es inzwischen auch gibt. Mit 3D und vielem anderen. Da gibt es die Möglichkeit, dass man in einer Projektion, ich habe es im Technikmuseum ausprobiert,
durfte ich mit Anita Lasker-Wallfisch sprechen und ihr etliche Fragen stellen. Und ich muss sagen, ich war sehr beeindruckt von ihren Antworten. Das ist sicher etwas Großartiges, wenn das in die Schulklassen auch kommt. Ein technisch unterstützter Gang in die Zeitgeschichte. Ja, und das sind so sicher 15 bis 20 Zeitzeugen, die auf diese Weise arbeiten.
am Sprechen gehalten und in die Gespräche eingebaut werden können. Aber das ist natürlich auch nicht die Lösung. Die Lösung ist, wie ich finde, die, dass jeder zum Zweitzeugen wird. Also jeder Zeuge sagt ja auch, Margot Friedländer ist
Wer kann zum Zeugen werden? Ihr müsst die Zeugen werden, die wir bald nicht mehr sein können. Und darauf müssen wir uns tatsächlich vorbereiten. Aber gleichzeitig geht es ja nicht nur um die Erinnerung, sondern auch um die politische Sprengkraft, die ja auch immer wieder entsteht aus der Debatte darum, was ist eigentlich Antisemitismus? Wie übergibt
Israel reden, wie über den Ostkrieg reden, wie eben auch, wie gesagt, zum Beispiel auch die migrantische Gesellschaft erreichen. Da sind ja oft viele, gerade auch junge Menschen, die eben in einem anderen Kontext groß geworden sind. Viele von denen sagen, hier in Deutschland, das ist eure Geschichte, das ist nicht unsere Geschichte, wir gehen anders damit um. Welchen Wandel braucht es da?
um diesen, dieser aktuellen Entwicklung, um dem noch zu begegnen? Ich glaube nicht, dass es einen Wandel braucht, sondern es braucht nur eine Entscheidung, wie man erinnern möchte. Möchte man ausschließend erinnern oder einschließend? Also damals bei Helmut Kohl war das Problem, dass er einschließend erinnern wollte und alle Opfergruppen zusammennahm, was dann einem völligen Beschweigen gleichkam. Das war der Schlussstrich.
Jetzt ist es umgekehrt eigentlich. Jetzt sind wir an dem Punkt, einzuschließen statt auszuschließen. Und die Holocaust-Erinnerung kann so verstanden werden als ein Ausschlusskriterium. Und viele migrantische Mitbürgerinnen und Mitbürger hier empfinden das als eine Barriere. Sie können nie richtig Deutsche werden, weil sie diese Erinnerung nicht haben. Und für mich ist eigentlich die Antwort auf diese Frage ein inklusives Begriff.
und erinnern und für mich sind da Wortführer, als Wortführer ganz wichtig, die Holocaust-Überlebenden selbst. Die haben nämlich bekräftigt etwas, was wir tatsächlich allen Menschen und allen Teilnehmern der Gesellschaft mitgeben müssen und das ist ihr elftes Gebot. Die haben, Roman Kent war dafür wichtig, aber auch Marian Turski,
Sie haben dieses elfte Gebot formuliert und erstens mal haben Sie ausgeschlossen, dass die Politiker in Auschwitz noch reden dürfen. Sie haben sich gewehrt gegen eine Politisierung und Instrumentalisierung des Gedenkens.
Und mit ihrem elften Gebot wollten sie eben ein allgemeines, menschliches, menschheitliches Gebot aussprechen, das sich an alle richtet. Und das Gebot heißt, seid nicht gleichgültig. Und was sie deutlich machen ist, dass mit dem Mangel an Empathie, mit dem Desinteresse, dem Entzug von
von Mitgefühl für andere ganz problematische Entwicklungen entstehen können, die nämlich die Gesellschaft spalten. Und in dem Moment, wo diese Spaltung entsteht, verliert man das Interesse an ihnen und entsteht hinterher auch kein wirkliches Schuldgefühl, weil man es ja gar nicht verarbeiten kann.
kann, was man übersehen hat. Das Wegschauen, das sich davon distanzieren, innerlich, auch durch die Gefühle. All das ist das, was wir hier schon mal erlebt haben, ganz intensiv. Und dieses Gebot, würde ich sagen, auch dieses politische Engagement. Turski zum Beispiel selbst war in Amerika beim
Marsch of Washington bei Martin Luther King mit dabei. Also auch das Engagement für andere, die in einer solchen Situation sind. Also das ist etwas, was überhaupt nicht spaltend sein muss, sondern man muss es aus seinen menschheitsverbindenden und mitmenschlichen Dimensionen wieder heraus befreien und aktivieren. Und dann sind wir diese Probleme los. Das heißt...
Das Leiden der Israelis am 7. Oktober genauso sehen wie das Leiden der Bewohner von Gaza? Wir wollen nicht in eine Art von Vergleich hineinkommen. Wenn wir solche Formeln benutzen, dann haben wir auch immer bereit den Maßstab, mit dem wir das messen. Das ist wie ein Lineal und wir messen, das ist mehr und das ist weniger Formel.
Der Punkt ist der, dass Empathie und Gefühle dieser Art gar nicht messbar sind, weil sie gar nicht verausgabt werden können. Sie werden ja erneuert. Das ist nicht so, wenn man dem einen etwas abzieht, wenn man einem etwas gibt, dann zieht man es jemand anderem ab. Das ist dieses berühmte Nullsummenspiel. All das kann nicht gelten.
Und sobald wir uns überlegen, wie eine Zukunft im Nahen Osten aussehen kann, ist das erste Gebot tatsächlich, seid nicht gleichgültig, versetzt euch in die Lage des jeweils anderen und versucht,
eure Ansprüche und eure Bedürfnisse gegeneinander oder gegenüber miteinander so zu verhandeln, dass ihr beide Platz habt vor Ort. Aber ohne diese Grundregel, würde ich sagen, dieses Elften Gebotes, ist es sehr schwer, aus dieser Situation herauszukommen, die uns ja, wie wir gesehen haben, in eine völlige Paz-Situation gebracht hat. Eine Paz-Situation einer hundertprozentigen Sicherheit, die für die eine Person
Partei gelten soll, kann aber nur eigentlich ein völliger Ausschluss oder Ausstoß der anderen Seite sein, um hier auf eine Art neue Form des Austarierens und des Aufeinanderzugehens
überhaupt zu kommen, wäre einfach ein solcher Wandel der Gefühle wichtig. Das klingt ja eher nach einer ethischen Herausforderung als nach einer akademischen oder politischen. Das ist eine ethische und auch emotionale Herausforderung, würde ich sagen.
Was vielleicht nicht einfach wird, wenn man sich die Entwicklung der letzten Wochen und Monate so anschaut. Wir erleben ja, wie mit dem Begriff Antisemitismus oft auch Politik betrieben wird. Das erleben wir von dem, was Sie Jel vorhin erwähnt haben, von der Situation der Unis in den USA bis hin zu Fragen, ob es eine Antisemitismus-Klausel geben sollte für
Kulturförderung in Deutschland, auch das wird ja alles debattiert, überhaupt die Lage des akademischen Betriebs weltweit. Das merkt man ja richtig, wie er gerade so erschüttert wird von dieser ganzen Debatte. Es gibt ja verschiedene Definitionen, was Antisemitismus sei.
Bringt das was, diese Definitionen gegeneinander immer wieder ins Verhältnis zu setzen? Wir können jetzt, glaube ich, an dieser Stelle auch gar nicht so sehr in die Tiefe gehen, aber da gibt es den grundsätzlichen Unterschied, inwieweit man eben Israel als Staat mit einbezieht oder eben nicht mit einbezieht in dieser Antisemitismus-Debatte. Hilft das weiter? Also diese Diskussionen und die Definitionen waren sicher alle wichtig. Auch das Konzept des Antisemitismus hat sich ja historisch verändert.
sehr verschoben oder ausdifferenziert. Und den alten gibt es noch, aber der neue ist dazugekommen, der israelbezogene. Und da geht es immer um die Frage, wird so etwas wie ein Grundrecht auf nationale Selbstbestimmung, staatliche Selbstbestimmung, das ist praktisch ja auch das Thema, was wir mit der Ukraine haben heute, damals eben für die Juden, ob das akzeptiert wird auf der einen Seite oder nicht und andererseits,
Dann die Frage, wie dieses Recht auf Selbstbestimmung dann umgesetzt wird politisch und mit welcher Regierung und mit welchen Werten und Prämissen. Und dort, wo sich dann natürlich eine Gruppe als ethnisch exklusiv absolut setzt und damit auch die Möglichkeiten einer Demokratie sozusagen untergräbt,
in der es eine Partizipation für die auch gibt, wie in unserer Gesellschaft ja auch. Wir sprechen zwischen von einer diversen oder multiethnischen Gesellschaft. Und das reine Deutschsein kann nicht mehr bestimmen,
wer dazugehört und wer nicht und schon gar nicht, wenn es auch noch nachgewiesen wird und juristisch untermauert wird, das haben wir erlebt. Also es geht darum, eine Art von Koexistenz zu erlernen nach diesen Jahren der Trennung und des Hasses. Und die große Hoffnung ist die, dass auch auf der Seite der Palästinenser so etwas wie Strukturen,
geschaffen werden, staatliche Strukturen, die es ermöglichen, diese Gruppe auch in einen Rahmen zu bringen, der sich selbst gut verwaltet und auch in demokratischen Formen mit existiert, in diesem sehr, sehr geschichtsbeladenen Land, auf diesem Boden. Und wenn wir da am Ende des Gesprächs den Bogen zurück nach Deutschland schlagen, die migrantischen Communities hier, was bedeutet das für
Was wir gerade besprochen haben für deren Bewusstsein, für deren Erinnerungskultur, für ein Gesamtbild, was in Deutschland entstehen sollte vielleicht auch in der Zukunft. Ganz sicher ist der Fall, dass wir keine Monokultur der Erinnerung haben. Also wenn wir uns fragen, wie hat sich die verändert und entwickelt, dann ist es ganz wichtig, wie ich finde, auf der einen Seite zuzumachen,
die in dieses Land hinzukommen, hierher reisen. Auf der einen Seite zu zeigen, dass in Deutschland diese Holocaust-Erinnerung eine wichtige und eine zentrale Rolle spielt und spielen wird und spielen muss. Und dass sie aber auch zu dieser Erinnerung einen Bezug hat.
Ich nenne mal als Beispiel einen in Duisburg geborenen türkischstämmigen deutschen Burak Yilmaz, der überall wo er hinkommt als erstes mal in die Stadtarchive geht und sich dann Fotos holt aus den 30er Jahren.
Und dann geht er in diese Städte und zeigt den Leuten, wo damals die jüdischen Läden waren, dass es diese Läden früher mal gab und was mit ihren Bewohnern passiert ist. Und wenn er dann in so einen Laden kommt und die Tochter sitzt neben der Inhaberin, dann sagt sie, Mama, schau mal, das ist unser Laden. Dann merkt man,
merken sie schon, sie sind ein Teil dieser Geschichte und fangen an, sich für diese Geschichte der Deutschen zu interessieren. Also sie haben dadurch einfach, dass diese Geschichte ja nicht endet, sondern auch weiter in dem ganzen Bestand, materiellen Bestand der Gebäude und seiner Strukturen, alles ja auch noch greifbar ist, man kann das auch noch erfahren, sind Teil dieser Geschichte. Und die andere Seite ist, dass sie auch mit einer Geschichte kommen,
die auch uns wiederum interessieren und weiterbringen kann. Das ist am allerklarsten mit Händen zu greifen bei der Kolonialgeschichte. Also da haben wir jetzt Partner, die uns dabei helfen können, eine Geschichte, die nicht nur 40 Jahre beschwiegen wurde, sondern doppelt so lange, auch wieder zurückzuholen und zu erobern. Und erobern im Sinne, dass sie wieder Teil unserer Geschichte wird. Denn wir haben sie völlig ausgegliedert.
Und obwohl sie überall mit allen Zeichen vor Ort präsent ist, man hat sie nur nicht gesehen. Die Kulturwissenschaftlerin Alayda Aßmann hier im Deutschlandfunk bei den Kulturfragen. Ich danke Ihnen sehr für Ihre Zeit. Vielen Dank, Herr Balzer. Danke, dass Sie hier im Hauptstadtstudio des Deutschlandfunks waren. Gleich Kultur heute. Mein Name ist Wladimir Balzer.