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Kultur unter Druck? - Sven Lehmann: "Kultur ist für mich Demokratiepolitik"

2025/6/22
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Kulturfragen

AI Chapters Transcript
Chapters
Sven Lehmann, the new chair of the Bundestag's Culture and Media Committee, defines culture as encompassing high culture and everyday cultural practices. He emphasizes its importance in addressing fundamental questions of freedom of expression, artistic freedom, and diversity.
  • Lehmann defines culture as encompassing high culture (opera houses, theaters) and everyday cultural practices (choirs, clubs, music festivals).
  • He views culture as the most important socio-political area, dealing with fundamental questions of freedom of expression, artistic freedom, and diversity.
  • Culture should not be politically instrumentalized or misused by the state; artistic freedom is crucial for its societal impact.

Shownotes Transcript

Deutschlandfunk, Kulturfragen. Am Mikrofon ist Elena Gorges. Seit ziemlich genau einem Monat arbeitet der neue Ausschuss für Kultur und Medien des 21. Deutschen Bundestages. Zum Vorsitzenden ist Sven Lehmann gewählt worden, Grünen-Politiker und damit Mitglied der Opposition im Bundestag.

In der vergangenen Legislaturperiode war er Queer-Beauftragter der Bundesregierung und er könnte in den kommenden vier Jahren so etwas wie der kulturpolitische Gegenspieler zum konservativen Kulturstaatsminister Wolfram Weimar werden. Erste Wortmeldungen in den Medien lassen das vermuten. Sven Lehmann ist heute zu Gast. Herzlich willkommen. Schönen guten Tag, Frau Gorgess.

Es gibt so konkrete Wörter wie Eis, Hund oder Gummistiefel. Da hat jeder sofort ein Bild im Kopf und weiß, was gemeint ist. Und dann gibt es so abstrakte Begriffe wie Kultur. Darunter versteht jeder ein bisschen was anderes. Was ist Kultur für Sie?

Ja, sehr gut auf den Punkt gebracht. Kultur ist erstmal natürlich sehr, sehr vielfältig. Also ich glaube, bei Kultur verstehen die meisten natürlich die Hochkultur, die Opernhäuser, die Theater, die Bühnen und so weiter. Aber Kultur ist sehr viel mehr. Kultur ist auch der ehrenamtliche Chor, Kultur ist die Clubkultur, Kultur ist das Musikfestival und

Und vieles, vieles mehr. Und das macht Kultur auch so reizvoll, dass es durch die Vielfalt erst stark ist. Und deswegen ist Kultur für mich auch tatsächlich letztlich der wichtigste gesellschaftspolitische Bereich, den wir gerade haben, weil dort wirklich grundlegende Fragen von Meinungsfreiheit, von Kunstfreiheit und von Vielfalt auch verhandelt werden.

Wir leben in einer Zeit, in der viele große Krisen und Kriege gleichzeitig existieren und über Smartphone direkt in Echtzeit zu uns kommen. Das kann ein Gefühl der Überforderung auslösen. Was muss erfüllt sein, damit Kultur es schafft, nicht nur Raum für Eskapismus zu bieten, sondern auch für Reflexion, Begegnung, ja vielleicht sogar für Lösungsansätze?

Ja, Kultur ist für mich Demokratiepolitik, weil Kultur die Kraft hat, wirklich Menschen zusammenzubringen, Emotionen zum Ausdruck zu bringen, aber natürlich auch, wie Sie sagen, Eskapismus, also auch einen Raum der Reflexion, der Ruhe, des Abstands vom Alltag zu gewinnen, aber dann wiederum auch sehr politisch zu agieren, indem eben große gesellschaftliche Konflikte auch vielleicht oder hoffentlich in produktive Bahnen gelenkt werden.

Und all das ist Kultur, aber Kultur darf natürlich nicht politisch instrumentalisiert und schon gar nicht vom Staat missbraucht werden. Kultur und Kunstfreiheit bedeutet halt eben auch frei von politischer Einflussnahme des Staates agieren zu können, Freiräume zu haben. Und ich glaube erst dann kann Kultur wirklich in ihrer Vielfalt auch eine große gesellschaftliche Wirkung erzielen.

Am Sendetag dieses Interviews sind Sie ziemlich genau einen Monat der Vorsitzende des neuen Ausschusses für Kultur und Medien im Bundestag. Wir zeichnen das Interview ein paar Tage vorher auf. Wann haben Sie eigentlich gedacht, Kulturausschuss, das wäre was für mich und den Vorsitz, den traue ich mir auch zu?

Ja, also ich war schon immer sehr, sehr kulturaffin. Natürlich vor allem im Privaten. Also bei mir hat auch wirklich Kultur in all ihrer Vielfalt Platz. Also von Thomas Mann bis Annie Ernaux, von Helene Fischer bis Igor Levitt, von Rosa von Braunheim bis...

Romy Schneider und vielen, vielen Regisseurinnen und Regisseuren der Gegenwart. Also ich habe immer Kultur sehr, sehr stark natürlich konsumiert und habe jetzt auch tatsächlich festgestellt, auch angesichts der Debatten, die wir in der Gesellschaft führen, dass auch Kultur und Medien für mich wirklich der gesellschaftspolitisch wichtigste Ausschuss im Deutschen Bundestag ist.

Und habe mich da dann beworben und freue mich wirklich sehr, zum Vorsitzenden gewählt worden zu sein, weil ich glaube, das kann wirklich eine Arena für die großen gesellschaftspolitischen Debatten, die wir haben, sein und bestenfalls auch so konstruktiv agieren, dass wir insgesamt zwischen Regierung und Opposition auch die Kultur und die Medienfreiheit stärken.

Sie haben ja einiges an Politprominenz im neuen Kulturausschuss. Also Nancy Faeser, die ehemalige Bundesinnenministerin der SPD, Gregor Gysi, Bundestagssilberlocke der Linken, Katrin Göring-Eckardt aus Ihrer Partei, ehemalige Vizepräsidentin des Bundestages und auch Sie selbst haben als ehemaliger parlamentarischer Staatssekretär einiges an Erfahrung im Rücken. Ist der Kulturausschuss jetzt so eine Art Abklingbecken für Politikerinnen und Politiker geworden?

Vielleicht eher das Gegenteil, also vielleicht eher so, dass da Menschen drin sitzen von allen Fraktionen, die auch eine hohe politische Erfahrung haben, wie Sie gerade gesagt haben, also sowohl in anderen Themen als auch in diesen Themen und ich finde, das kann der Kultur- und Medienpolitik nur gut tun, wenn da in den Fraktionen auch Menschen sitzen, die auch schon in anderen Themenbereichen gearbeitet haben, die eine hohe Prominenz mitbringen. Ich finde, Kulturpolitik muss man auch immer öffentlich natürlich werben für die Kultur, da kann eine gewisse Prominenz und Erfahrung natürlich nicht schaden.

Und mein Ziel ist es tatsächlich, dass wir über die Fraktionsgrenzen hinweg auch uns unterhaken, weil es wird natürlich auch in dieser Wahlperiode Verteilungsauseinandersetzungen geben, Stichwort Gelder, Haushalt. Und ich glaube, das macht sehr viel Sinn, dass auch dann in den Fraktionen Menschen sitzen, die auch wiederum in ihren eigenen Fraktionen für die Kultur- und Medienpolitik auch kämpfen. Und deswegen freue ich mich da wirklich sehr, dass dieser Ausschuss so prominent besetzt ist und auch auf die Arbeit mit den Kolleginnen und Kollegen.

Auf die Verteilungskämpfe komme ich gleich nochmal zu sprechen. Ich würde jetzt aber ganz gerne erstmal auf die Konstellation Kulturausschuss und Kulturstaatsminister blicken. Wir haben ja jetzt seit längerer Zeit mal wieder die Konstellation, dass mit Ihnen ein Mitglied der Opposition diesen Ausschuss leiten wird. Wollen Sie so etwas wie der Gegenspieler zum konservativen Kulturstaatsminister Wolfram Weimar sein?

Das weiß ich noch nicht, das kommt ein bisschen darauf an, wie er jetzt agiert. Also ich sag mal so, grundsätzlich bin ich immer dafür, jemanden an seinen Taten zu messen und der neue Staatsminister hat auch schon durch einige aufsehenerregende Vorhaben ja von sich sprechen gemacht, beispielsweise eine Digitalabgabe einzuführen, das unterstütze ich.

Auf der anderen Seite war er in der Vergangenheit publizistisch tätig und hat beispielsweise ein sogenanntes konservatives Manifest geschrieben. Das trieft nur so vor Blutboden, Deutschtümelei und Ausgrenzung und ich hoffe, dass sich das nicht in der Kulturpolitik widerspiegelt, weil Kultur sehr vielfältig, sehr kosmopolitisch ist, sehr international ausgerichtet.

Und deswegen bin ich da sehr gespannt auf die Zusammenarbeit. Ich glaube, das kann eine gute Zusammenarbeit dann werden, wenn der neue Staatsminister sich wirklich an die Seite der Kunstfreiheit stellt, an die Seite der Kulturschaffenden und nicht sozusagen bestimmte Arten wie zum Beispiel die freie Szene ausgrenzt. Wenn er das aber tut, dann muss er auch mit meinem starken Widerspruch rechnen. Aber das ist ja auch okay, weil Demokratie ohne Streit ist keine Demokratie.

Es gab schon so einen ersten Schlagabtausch. Sie haben vor einigen Tagen in der Süddeutschen Zeitung auf einen Beitrag von Wolfram Weimar in derselben Zeitung kurz zuvor geantwortet und vieles kritisiert. Weimar hatte zum Beispiel den Neonationalismus in China und Russland verurteilt, genauso wie den Trumpismus in den USA. Allerdings auch der Linken freiheitsfeindliche Übergriffigkeit und aggressive Cancel Culture vorgeworfen. Er

Er hat gefordert, die Korridore des Sagbaren, Erkundbaren und Darstellbaren möglichst zu weiten, anstatt sie zu verengen. Sie sind grüner, er ist konservativer, Sie haben es erwähnt. Klar gibt es da Differenzen, aber Sie haben ja auch schon gesagt, dass die Freiheit der Kunst wichtig ist. Also gibt es da gar keine Basis für eine Zusammenarbeit?

Doch die gibt es. Ich glaube, uns eint, dass wir sozusagen extremistische und übergriffige Versuche, die Kultur- und Kunstfreiheit einzuschränken, dass wir uns da beide dem entgegenstellen werden. Ich finde nur, dass er in seinen Thesen und auch in seinem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung sich ja sichtlich bemüht hat, das Image des rechten Kulturkämpfers abzustreifen, das ihm anhaftet.

Und ich finde, das ist wirklich unzureichend gelungen, weil er eine Gleichsetzung vollzieht zwischen rechtsextremer Einschränkung der Kultur- und Medienfreiheit und linker Kulturkritik. Und ich finde, das ist hochgradig problematisch, weil es bei rechtsextremer Einschränkung, man sieht das beispielsweise mit Trumps Bücherverbotslisten, mit seinem Angriff auf Harvard,

mit der Einschränkung der Medienfreiheit in Russland, dass das wirklich immer zum Ziel hat, autoritär zu sein, Freiheit einzuschränken. Während zum Beispiel linke Kulturkritik, wo ich auch nicht alles teile, aber meistens das Ziel hat, wirklich Debattenräume zu weiten und auch eine Stimme denjenigen zu geben, wie zum Beispiel Rassismuskritik oder Kolonialismuskritik, die bisher in den letzten Jahrzehnten noch nicht so im Fokus standen. Und deswegen ist diese Gleichsetzung hochgradig problematisch.

Aber wir sehen ja gerade weltweit, dass es einen Backlash gibt in Sachen Feminismus, Antirassismus und Minderheitenrechte. Spricht Wolfram Weimar da vielleicht einfach vielen aus dem Herzen, denen es zu schnell gegangen ist mit den Veränderungen?

Ja, deswegen muss man ja unterscheiden. Also ich habe ja eben Donald Trump angesprochen. Also wie gesagt, der geht vor in der Methode des Faschismus, muss man leider so sagen, indem er die Wissenschaftsfreiheit einschränkt, beispielsweise in Harvard, indem er zum Beispiel die Kulturfreiheit einschränkt, indem er ganze Bücher verbietet, die hier in Deutschland oder in Europa als Prozesse,

progressiv gelten und auch sozusagen damit als wichtige Stimmen im kulturellen Diskurs. Und das, wie gesagt, gleichzusetzen, indem zum Beispiel gesagt wird, naja, auch Kritik an J.K. Rowling sei ja übertrieben oder Kritik an Dieter Nuhr. Da kann ich nur sagen, J.K. Rowling ist eine der weltweit anerkanntesten und reichsten und einflussreichsten Kulturschaffenden und hat sich aber in den letzten Jahren massiv dadurch hervorgetan, dass sie eine Kampagne gegen transgeschlechtliche Menschen führt.

Und hat sich auch dafür feiern lassen, dass sie jetzt in Großbritannien es mitgeschafft hat, die Rechte von Transmenschen einzuschränken. Und da muss Kritik erlaubt sein und ich finde sie sogar notwendig und legitim. Und das kann man nun wirklich nicht auf eine Stufe stellen mit Trump. Und da ist mir sehr, sehr wichtig, dass wir die Verhältnismäßigkeit klar bekommen. Und ich finde, da hat der Staatsminister Weimar zu Unrecht eine Gleichsetzung vollzogen und die ist politisch sehr problematisch.

Weil Sie jetzt gerade die Debatte um J.K. Rowling angesprochen haben, die scheint mir so ein bisschen beispielhaft für die Kulturdebatten der letzten Jahre zu sein. Also ja, natürlich ist es so, sie ist nicht gecancelt worden, aber gleichzeitig haben Sie sie als Mitglied einer globalen kulturellen Machtelite bezeichnet. Und da frage ich mich, geht es vielleicht auch eine rhetorische Nummer kleiner? Also J.K. Rowling hat eine Organisation for Women Scotland unterstützt mit 70.000 Pfund, damit die wiederum den Klageweg einschreiten können,

um einzufordern, dass geklärt wird, ob die Gleichstellungsrechte nur für Frauen gelten, die mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen zur Welt gekommen sind oder auch für Menschen, die eine Transition hinter sich haben. Und das ist geklärt worden vom obersten Gericht in Großbritannien, nicht von J.K. Rowling selbst.

Das ist richtig, aber die Tatsache, wie sie agiert, das ist ja sozusagen jetzt nur ein Beispiel, aber wie sie auch agiert hat in den letzten Jahren durch entsprechende Tweets, durch Äußerungen in der Öffentlichkeit, ist das aus meiner Sicht und aus Sicht von vielen eine klare transfeindliche Position, die sie da einnimmt, weil es um die Einschränkung von Grund- und Menschenrechten geht. Das kann sie machen, das gehört zur Meinungsfreiheit dazu, natürlich.

Aber es hat ihr offensichtlich ökonomisch nicht geschadet. Sie gehört ja auch zu einer der reichsten Kulturschaffenden der Welt und das meine ich auch mit Machtelite, weil bei diesen Auseinandersetzungen geht es halt eben auch natürlich um Macht- und Verteilungsfragen. Also wer kritisiert und wer wird kritisiert und wenn eine sehr, sehr erfolgreiche und auch wohlhabende Autorin kritisiert wird,

weil sie sich grund- und menschenrechtswidrig positioniert, dann ist das eine absolut legitime Kritik, die muss man wie gesagt nicht teilen, aber dass sie da ist, ist keine Einschränkung der Kunstfreiheit oder der Kulturfreiheit, sondern eben eigentlich eine Erweiterung des Spektrums, weil dort auch Machtfragen thematisiert werden.

Ich muss da nochmal nachbohren. Also natürlich hat sie eine gewisse Macht, weil sie viele Follower auf den sozialen Netzwerken hat, aber sie hat keine politische Macht. Also man könnte ja auch genauso gut sie als globale politische Machtelite bezeichnen, also sie als Sven Lehmann, weil sie Mitglied im Kulturausschuss eines der reichsten Länder der Welt sind. Also J.K. Rowling hat zum Beispiel Millionen Pfund an ihre Lumos Foundation gespendet, die

Kinder mit Behinderungen in den ehemaligen Sowjetstaaten unterstützt. Also was macht sie zu einer globalen Machtelite? Selbstverständlich gehöre ich als Abgeordneter und viele Abgeordnete, sage ich mal, in Deutschland oder Europa auch zu einer politischen Elite, selbstverständlich.

Und ich habe in den letzten Jahren ja als Staatssekretär im Bundesfamilienministerium auch beispielsweise ein Gesetz durchgesetzt, das Selbstbestimmungsgesetz, was die Rechte von Transmenschen stärkt und bin dafür massivst kritisiert worden und habe das im Großen und Ganzen alles ertragen und ausgehalten, weil ich fand, dass das zuversichtlich ist.

sozusagen auch Teil der Meinungsvielfalt ist. Aber das ist ja genau der Punkt, den Wolfram Weimar ja kritisiert. Er sagt, weil J.K. Rowling kritisiert und angegangen wurde von bestimmten aktivistischen Gruppen, sei das eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Und das ist der Punkt, wo ich sehr, sehr klar widerspreche. Ich halte diese Kritik an ihr und ihrer Position nicht nur für legitim, sondern auch persönlich für richtig. Aber selbst wenn man sie nicht richtig findet, ist sie legitim.

vielleicht blicken wir noch auf andere Kulturkämpfe oder politische Kämpfe, die die Kulturszene spalten. Also zum Beispiel das Thema Antisemitismus. Das wird seit Jahren besonders deutlich in der Kulturszene, dass dieses Thema ein Dilemma ist. In Deutschland soll es

für Antisemitismus natürlich keinen Platz mehr geben. Aber die im Grundgesetz verankerte Kunstfreiheit, die geht ziemlich weit. In Berlin hat es den Versuch einer Antisemitismus-Klausel gegeben. Die ist gescheitert. Und auch die BDS-Resolution des Bundestages von 2019 hat zu Unmut bei Kulturinstitutionen geführt. Wie kann denn die aktuelle Kulturpolitik hier aus diesem Kulturkampf, aus diesem Dilemma, aus dieser Spaltung in der Kulturszene heraushelfen und vielleicht auch Brücken bauen?

Also es hat in der Vergangenheit tatsächlich, die Dokumenta ist vielleicht das berühmteste oder auch prominenteste Beispiel, Entgleisungen gegeben, die man gar nicht mehr als Kritik an der israelischen Regierung oder der Art der Kriegsführung bewerten kann, sondern wirklich als klar antisemitisch. Und ich finde, das ist sozusagen auch die Trendidee, die ich ziehe. Selbstverständlich muss und darf Kritik an Staat Israel, an seiner Regierung, an der Art der Kriegsführung jetzt beispielsweise im Gaza-Konflikt liegen.

legitim sein und erlaubt sein und darf auch Ort haben auf Bühnen, in Theaterstücken und so weiter. Die Grenze ist da erreicht, wo Jüdinnen und Juden als gesellschaftliche Gruppe oder der Staat Israel mit seinem Recht auf Existenz infrage gestellt wird. Und das ist auch eine klare Linie, die ich ziehe. Das ist sozusagen dann aus meiner Sicht nicht mehr Kulturfreiheit, sondern ist klarer Antisemitismus. Und da würde ich auch an jeder Stelle widersprechen und finde es auch richtig, dass das auch die Grenze ist, die der Deutsche Bundestag gezogen hat.

Aber Sie haben ja selber gesagt, der Staat muss sich mit Vorgaben raushalten. Also wenn man dann zum Beispiel die Documenta finanziell unterstützt, dann ist eben das Problem, man kann da nicht über die Documenta laufen als Kulturstaatsminister und sagen, dieses Kunstwerk gefällt mir und dieses eben nicht. Da muss man den Institutionen, die für die Kuratierung verantwortlich sind, im Vorfeld vertrauen. Und das ist ja schon öfter passiert, dass dann doch etwas passiert ist, also antisemitische Übergriffe, Äußerungen, Kunstwerke und es großen Aufruhr gab. Wie kann das gelöst werden?

Ja, aber durch die Kultur- und Kunstfreiheit schließt ja nicht sozusagen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ein. Ich habe das in der letzten Wahlperiode erlebt bei dem ganzen Thema der Demokratieförderung, also die Förderung beispielsweise durch Bundesprogramme wie Demokratie leben, wo vor Ort...

Vereine unterstützt wurden, die sich gegen Rassismus einsetzen, gegen Gruppenbeziehungen, Menschenfeindlichkeit für Vielfalt und da ist auch manchmal von konservativer Seite gesagt worden, ihr müsst da jetzt so einen Extremismus oder Demokratieklausel einbauen. Fakt ist aber, und das gilt

Ja, man muss natürlich den...

Kuratorien vertrauen, wenn so etwas passiert, kann eigentlich auf der Basis der rechtlichen Förderrichtlinien, die wir haben, auch zum Beispiel eine Förderung gestoppt werden oder Geld zurückverlangt werden. Dazu braucht es also keine Extremismusklausel, das funktioniert schon jetzt und wenn etwas passiert, dann muss das kritisch aufgearbeitet werden, das hat der Kulturausschuss auch gemacht in der letzten Wahlperiode.

Sie haben zu Beginn über Ihre Faszination für die Kultur erzählt. In der Kulturpolitik kann man ja viele Visionen entwickeln, also zum Beispiel ein breit angelegtes Gedenkstättenkonzept wie in der vergangenen Legislaturperiode, das ist bisher leider gescheitert, oder ein deutsch-polnisches Haus, das es auch noch nicht gibt, oder ein zukünftiges Zentrum Deutscher Einheit.

Am Ende geht es bei all diesen Visionen, die für sich genommen wahrscheinlich sehr ehrenwert sind, darum, Geld für diese Vorhaben und Visionen zu beschaffen. In wenigen Tagen legt das Bundeskabinett den Haushaltsentwurf vor. Wie zuversichtlich sind Sie, dass die Kultur da nicht vergessen worden ist?

Ich bin zumindest gespannt, ob es dem neuen Staatsminister Wolfram Weimar gelingt, hier wirklich auch das Kabinett davon zu überzeugen, dass Kultur nicht ein Nice-to-have ist, sondern wirklich demokratierelevant, gerade in diesen Zeiten.

Und da bin ich noch unsicher, ob das wirklich gelingt. Ich habe wahrgenommen, dass er diesen Plan hat, eine Digitalabgabe auf große Plattformen zu erheben. Das unterstütze ich absolut, aber die Einnahmen dürfen dann nicht einfach im Haushalt versickern, sondern müssen wirklich auch eins zu eins für die Kulturforderungen zur Verfügung gestellt werden. Wenn das wirklich gelingt, dann wäre das ein großer Sprung für den Kulturetat. Man könnte fast mit einer Verdoppelung rechnen, das ist auch angemessen in diesen Zeiten.

Wenn das aber nicht gelingt, dann fürchte ich, dass gerade innovative Projekte wie zum Beispiel Kinder- und Jugendtheater oder die freie Szene oder so etwas wie den Kulturpass, der Jugendliche unterstützen soll, mit Kultur in Berührung zu kommen, dass das wirklich die ersten Sachen sind, die jetzt gekürzt oder gestrichen werden. Und da werde ich und auch die Opposition, da bin ich sehr sicher, sehr stark widersprechen, weil das kann nicht sein, dass gerade in Zeiten von knapper Kassen es immer die freie Szene ist oder innovative Projekte, die gekürzt werden.

Deswegen bin ich gespannt auf den Haushalt und werde mir den natürlich genau anschauen. Außer, dass Sie dann in die Öffentlichkeit gehen können, haben Sie aber nicht so viele Mittel als Mitglied der Opposition, selbst als Ausschussvorsitzender, oder?

Man kann als Ausschussvorsitzender natürlich die Debatten beeinflussen in der Öffentlichkeit, man kann aber auch den Kulturstaatsminister immer in den Ausschuss bitten und ihn konfrontieren mit konträren Meinungen, man kann Gäste laden und man kann natürlich auch versuchen, bei den Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen zu werben, dass man einen gemeinsamen Weg geht.

Bisher habe ich den Eindruck, dass es gerade innerhalb der demokratischen Fraktion in diesem Ausschuss sehr, sehr kollegial miteinander zugeht. Und ich glaube, uns eint, dass wir alle gemeinsam, auch bei unseren eigenen Fraktionen, für den Wert von Kultur und damit ist ja auch der Haushalt verbunden, auch gemeinsam uns unterhaken wollen. Sehen Sie denn Chancen, dass Gelder aus dem milliardenschweren Investitionspaket dafür genutzt werden könnten, auch Investitionen bei Bundeskulturbauten zu finanzieren?

Das wäre sehr, sehr notwendig. Wir haben ja jetzt zum ersten Mal dieses 500 Milliarden Euro Sondervermögen Infrastruktur. Das heißt, diese neue Bundesregierung hat so viel Geld zur Verfügung für Investitionen wie noch nie. Und ich habe in diesen ganzen Debatten, da geht es ja zu Recht um Verkehrsinfrastruktur, Digitales, Schulbauten und so weiter, aber ich habe bisher vermisst...

dass auch klar gesagt wird, das soll auch für die Sanierung der Kulturbauten ein Teil zumindest davon zur Verfügung gestellt werden, weil viele Kulturbauten, Museen, Theater sind sanierungs- oder modernisierungsbedürftig. Und ich bin sehr dafür, dass ein Teil da für die Kultur zur Verfügung gestellt wird. Das würde übrigens auch die Städte und Gemeinden und Länder unterstützen. Da hat sich der Staatsminister Wolfram Weimar auch positiv geäußert. Und es wird jetzt natürlich interessant sein, ob er sich da gegenüber seinen Kabinettskollegen, vor allem auch dem Finanzminister, durchsetzen kann.

Ich will noch einmal ganz kurz auf das deutsch-polnische Haus zu sprechen kommen, das ich gerade schon erwähnt habe. Es gibt dieses Vorhaben seit 2013. Es gab sehr lange Debatten darum. 2020 hat der Bundestag beschlossen, dass ein Denkmal mit einem angeschlossenen Zentrum kommen soll. Passiert ist bisher wenig. Und jetzt wurde auf private Initiative hin ein Findlingstein am Ort der ehemaligen Krolloper verlegt gegenüber des Reichstages, damit überhaupt erstmal was da ist.

Warum geht dieses Projekt so langsam voran? Ist es vielleicht von den Abgeordneten und anderen Playern in der Kulturpolitik doch nicht gewollt?

Das würde ich nicht unterstellen, gerade wenn der Bundestag ein Projekt beschlossen hat, Haushaltsmittel zur Verfügung steht, dann ist es auch für die Abgeordneten immer sehr schwierig zu sehen, dass es immer sehr, sehr lange dauert, bis sowas umgesetzt wird. Das kennen wir auch aus anderen Bereichen. Ich nenne zum Beispiel das Gedenkstättenkonzept für die Opfer des rechtsterroristischen NSU. Das ist ja auch beschlossen worden. Da wird jetzt eine Stiftung aufgebaut, beschlossen.

bis dann mal sozusagen die ersten Gedenkstätten wirklich stehen. Das wird seine Zeit dauern. Aber ich kann auf jeden Fall meinerseits sagen, dass dieses deutsch-polnische Haus sehr, sehr wichtig ist, gerade in diesen Zeiten mit der angespannten Lage in Osteuropa, mit dem Druck, unter dem die Ukraine und auch Polen steht, ist es unglaublich wichtig, völlig unabhängig davon, wie die Regierungen gerade aussehen in Polen und in Deutschland, dieses gemeinsame Haus zu haben, weil...

Das Weimarer Dreieck, was mir auch sehr am Herzen liegt mit Polen, Frankreich und Deutschland, muss sehr eng kooperieren, gerade in diesen Zeiten, wenn wir Europa stärken wollen. Und dazu gehört natürlich auch das deutsch-polnische Haus. Und deswegen freue ich mich, dass es jetzt zumindest in kleinen Schritten vorangeht. Im neuen Kulturausschuss des Bundestages sitzen auch vier AfD-Politiker, unter anderem auch Matthias Helferich, der in seiner Partei in der vergangenen Legislaturperiode unter Extremismusverdacht stand und deshalb nicht Teil der AfD-Fraktion gewesen war. Jetzt ist das aber wieder...

In dem Wahlprogramm der AfD steht zum Thema Kultur zum Beispiel, dass man sich der Dekolonisierung entgegenstellen will, dass gendergerechte Sprache in öffentlichen Einrichtungen untersagt werden soll, dass Themen wie Vielfalt, Klimaschutz und Gender in der Filmförderung abgelehnt werden und dass die kulturpolitischen Aktivitäten des Bundes begrenzt werden sollen. Und auch die Gedenkstättenpolitik oder die Erinnerungsarbeit, die wird ja im Kulturausschuss mitbestimmt.

Wie werden Sie mit den vier AfD-Mitgliedern umgehen? So wie mit anderen Mitgliedern im Kulturschuss auch oder anders? Jein. Als Ausschussvorsitzender achte ich natürlich darauf, dass die Rechte der gewählten Abgeordneten eingehalten werden. Dazu gehört, dass sie in dem Ausschuss sind, dass sie Stimmrecht haben, dass sie Rederecht haben, dass sie Fragen stellen können und natürlich ihre Meinung äußern können, selbstverständlich.

Das wird auch von mir gegenüber der AfD selbstverständlich gewährleistet, aber inhaltlich bin ich sehr dafür, hier sehr klar zu widersprechen. Es gehört zur Kultur- und Kunstfreiheit eben auch dazu, sich kritisch auseinanderzusetzen mit Dingen, die Deutschland in der Vergangenheit gemacht hat. Dazu gehört natürlich die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, mit dem DDR-Unrechtsregime, aber eben auch mit dem Kurialismus, gerade mit dem Völkermord an Herero und Nama.

Oder beispielsweise auch, was der Rechtsterrorismus des NSU in Deutschland an Leid verursacht hat und all das gehört in ein Gedenkstättenkonzept dazu. Wenn die AfD das nicht möchte, dann sage ich doch, ich möchte das, weil das ist für unsere Gesellschaft sehr, sehr wichtig, dass sie eben auf die dunklen Seiten der deutschen Geschichte, wo auch Deutschland ein Täterland war, auch hinschaut, damit so etwas in Zukunft nicht mehr passiert.

Dann verraten Sie uns doch zum Ende der Kulturfragen gerne noch, wenn Sie möchten, welches war die letzte Kulturveranstaltung oder Ausstellung oder das letzte Konzert, das Sie besucht haben und was haben Sie davon mitgenommen? Ich habe tatsächlich jetzt, weil ich in der Wahlkreiswoche in meinem Wahlkreis in Köln war, zwei ganz, ganz tolle Veranstaltungen besucht, die aus der freien Szene hervorgegangen sind. Einmal die erste Lange Nacht der Lyrik hier in Köln mit vielen Lyrikerinnen, Lyrikern, die nach Köln gekommen sind, um eine ganze Nacht lang zu lesen.

Und ich habe das Afri-Cologne-Festival eröffnet, das gibt es jetzt seit 15 Jahren hier in Köln und ist wirklich, glaube ich, deutschlandweit Vorreiterin und sehr, sehr progressiv, was auch eine Bühne für afrikanische, afrodiasporische Künstlerinnen und Künstler angeht und natürlich auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus.

Und das waren sehr, sehr bewegende Momente, sehr, sehr bewegende Veranstaltungen, die auch zeigen, dass Kultur sehr, sehr vielfältig ist und dass gerade aus der freien Szene immer wieder sehr, sehr avantgardistische und progressive Ideen und Formate in der Kulturpolitik hervorgehen. Sagt Sven Lehmann, Vorsitzender des Ausschusses für Kultur und Medien im Bundestag und Mitglied der Fraktion von Bündnis 90 Die Grünen. Das waren die Kulturfragen im Deutschlandfunk. Gleich im Anschluss hören Sie Kultur heute. Mein Name ist...

Elina Gagas