Deutschlandfunk, Kulturfragen. Zu den Kulturfragen begrüßt Sie Sebastian Engelbrecht. Bei mir im Studio sind Professorin Julia von Blumenthal, Präsidentin der Humboldt-Universität und Professor Günther Ziegler, Präsident der Freien Universität Berlin. Die deutschen Universitäten haben sich seit dem 7. Oktober 2023, seit dem Angriff der terroristischen Hamas auf Israel, sehr verändert, ganz besonders die Berliner Universitäten.
Anti-israelische und antisemitische Slogans gehören seither zum Universitätsalltag. Das Klima des freien Diskurses ist einer Atmosphäre der Besetzungen, der Agitation, des Hasses, auch der Angst gewichen.
Die Wissenschaftsfreiheit ist doppelt gefährdet. Einerseits trauen sich viele jüdische Studentinnen und Studenten seither nicht mehr so selbstverständlich wie früher auf den Campus. Andererseits sind Universitäten und Staat herausgefordert.
Immer wieder mussten Universitätsleitungen die Polizei bitten, Besetzungen von Hörsälen oder Campi zu beenden und zu räumen. Diskutiert wird über Exmatrikulationen, die Anwendung des Hausrechts. Es gibt Strafverfahren. Jüdinnen und Juden, wie auch die Protestierenden und ihre Sympathisanten an den Universitäten, sehen die Wissenschaftsfreiheit in Gefahr. Darüber möchte ich mit Ihnen sprechen und Sie gleich ganz allgemein am Anfang fragen.
Besteht an Ihren Universitäten die Wissenschaftsfreiheit? Also ist die gewährleistet? Also wenn ich mal anfangen darf, Herr Engelbrecht, die Wissenschaftsfreiheit ist gewährleistet. Und wie jede Freiheit ist sie immer auch in Gefahr und muss immer verteidigt werden. Aber wenn Sie erlauben, würde ich gerne Ihre Eingangsbeschreibung dienstleuchten.
die ich vielleicht im Juni 2024 noch geteilt habe, meine Realitätsbeschreibung jetzt im März 2025 entgegenstellen. Die sagt, wir sind eine Universität, an der es ja antisemitische Schmierereien gibt. Die hatten wir vor dem 7. Oktober 23. Wir haben sie auch danach, die Schmierereien gibt es.
Wir sind gleichzeitig eine Universität, wo wir in einer Intensität, die es vorher nie gegeben hat, mit jüdischen Studierenden und Mitarbeitenden im Austausch stehen, über die Antisemitismusbeauftragte. Aber auch ich selbst habe immer wieder Gespräche geführt. Bei uns hat sich gegründet eine Gruppe, die nennt sich Tacheles, eine Studierendengruppe, die im letzten halben Jahr vier, fünf Veranstaltungen gemacht hat zu hochkontroversen Themen.
Geschichte des Palästinakontekts, Geschichte des Zionismus, antisemitische Tendenzen in der palästinensischen Nationalbewegung. Also sozusagen, sie stellen sich die kontroversesten Themen vor, auf die sie kommen können. Und dazu haben diese Studierenden, die ich wirklich bewundere für das, was sie tun, hochkontroverse Veranstaltungen ausgerichtet, die komplett friedlich waren. Das heißt, wir sind eine Universität, in der es eine studentische Bewegung gibt, in der es auch wissenschaftliche Auseinandersetzungen gibt.
die immer wieder, besonders auch wenn nicht zu viel Öffentlichkeit darauf liegt, in der Lage ist, die schwierigsten Themen im Sinne der Wissenschaftsfreiheit aufzunehmen.
sicherlich manchmal auch eher gehend in die Meinungsfreiheit, in politische Diskussionen zu verhandeln. Und ich glaube, wir haben da einen großen Schritt gemacht. Und wir sind auch eine Universität, die auch in den Formen des Gedenkens und Erinnerns neue Schritte gegangen ist. Wir haben im November bewusst, nicht direkt am 7. Oktober, sondern bewusst etwas später, auch mal bewusst mit etwas Abstand zum 9. November, bei uns Uhr aufgeführt, ein Klangkunstwerk mit dem etwas bewusst doppeldeutigen Titel »Morning«.
für Englisch trauern und mit einem eingeklammerten U, nämlich für das Morgen. Ein Klangkunstwerk, das ein argentinischer Künstler angefertigt hat, das aufnimmt jüdische Dichtung, Musik, arabische Dichtung, palästinensische Dichtung, deutsche, englische, arabische, hebräische Sprache und endet mit Kinderstimmen.
um gemeinsam gedenken zu können, gemeinsam auch dem Schmerz Raum zu geben, bewusst als Klang, um nicht in Bildsprache zu kommen. Und wie ist die Lage an der Freien Universität Berlin? Die ist letztlich ganz ähnlich und natürlich ganz anders. Aber auch ich sehe die Freie Universität seit 4. Dezember 1948 als einen Ort der Wissenschaftsfreiheit. Und wir haben das ja eben auch im Namen drin.
Und diese Beschreibung, die Sie in der Anmoderation gegeben haben, ist eine Beschreibung, die jetzt die Wochen nach dem 7. Oktober durchaus beschreibt, eben auch diese Gefühle von Angst und so weiter, aber die eben völlig ausblendet das, was dann eigentlich die Wissenschaftsfreiheit ist, das, was bei uns in Vorlesungen, in Seminaren, in Debatten stattfindet, täglich, sehr viel weniger an Wochenenden, aber ansonsten,
und wo die Vielfalt da ist und wo auch über alles geredet werden kann und wird und wo auch die ganz schwierigen Themen
zur Debatte stehen. Und ich glaube, das ist schon etwas, was man einfach zunächst mal festhalten muss, dass Deutschland natürlich für Wissenschaftsfreiheit steht. Das Good Academic Freedom Index sind wir jetzt ein bisschen runtergestuft worden wegen bedenklicher Aktionen aus einem Ministerium. Aber das ist nichts, was uns wirklich nachhaltig beeinträchtigt.
Und das, wofür wir da sind als Universität, Forschung, Lehre, findet statt, findet auch ungehindert statt. Das ist auch wichtig, dass das ungehindert stattfindet. So wichtig, dass es ja ganz vorne im Grundgesetz steht, Artikel 5 Absatz 3, Freiheit von Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre.
Und das hat auch keine Beeinträchtigungen im Moment. Was wir dann hatten über die Monate und das ist jetzt auch schon eine Weile her, ist natürlich Demonstrationen mehr vor dem Campus, aber auch auf dem Campus von beiden Seiten.
Wir hatten die eine oder andere Besetzung. Wir hatten auch diesen Überfall aufs Präsidiumsgebäude, der auch jenseits von irgendeiner Demonstrationsfreiheit einfach ein Gewaltakt war. Das war im Oktober vergangenen Jahres. Das war im Oktober vergangenen Jahres und das ist was, was außerhalb von allem Normalen eben oder sich Wiederholenden eben einfach auch da war. Aber auch nichts, was uns einschüchtert.
Aber dem möchte ich jetzt mal entgegenhalten, die Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion
Und die muss ja auch Teil der Wissenschaftsfreiheit sein eigentlich oder diese genießen. Hanna Weiler sagt, sie verlässt das Land, sie sei völlig erschöpft durch die Auseinandersetzungen seit dem 7. Oktober und sie habe sich von Deutschland entfremdet. Geht sie das an in diesem Zusammenhang? Also erstens, das bedrückt mich natürlich. Zweitens, Frau Weiler ist eine Studentin in Tübingen.
die, wenn es sich jetzt auf Berliner Dinge beziehen soll, eben auch aus der Ferne spricht.
Und sie hat es ja gesprochen anlässlich der Vorstellung von dieser Studie der Jüdischen Studierendenunion, die wir uns schon angeschaut haben, die aber zu einem ordentlichen Teil eben einfach die Stimmung und die Dinge in den Wochen nach dem 7. Oktober darstellt und die, wenn ich das so sagen darf, auch nichts Neues gebracht hat, als sie vorgestellt wurde, außer dieser einen Aussage.
Das stand in dem Bericht nicht drin, aber in dem Bericht, der Lagebericht Antisemitismus an deutschen Hochschulen der Jüdischen Studierendenunion, da ist zu lesen, dass sich jüdische Studentinnen und Studenten nicht mehr gut aufgehoben fühlen an deutschen Universitäten, vor allem in Berlin. Da wird zitiert, was in deutschen Unis an den Wänden steht.
Allerdings jetzt bezieht sich das auf andere Universitäten. Die Juden sind unser Unglück und Widerstand ist Völkerrecht, eine Legitimation des Massakers der Hamas an Israelis vom 7. Oktober. Also da ist doch die Wissenschaftsfreiheit für diese Gruppe, die Jüdinnen und Juden, offenbar empfindlich angetastet.
Ja, nicht nur die Wissenschaftsfreiheit. Das geht ja eigentlich viel tiefer. Das geht wirklich an die Personen. Und deswegen habe ich ja auch gesagt, ist es mir so wichtig, dass wir im direkten Austausch stehen, dass wir eben für die Studierenden, die bei uns in AnsprechpartnerInnen haben, wir haben die Antisemitismusbeauftragten, die auch in sehr konkretem Kontakt stehen, dass wir auch schauen, wo wir tätig werden können. Schmierereien gibt es immer. Es kommt darauf an, sie schnell zu dokumentieren, sie schnell zur Anzeige zu bringen, sie dann auch wieder schnell zu entfernen. Das ist das, was wir tun können.
Und ansonsten sind wir öffentliche Gebäude, wo so etwas passiert. Ich nehme solche Studien immer als wichtige Anzeige zu schauen, haben wir all das, was bei uns relevant ist, wirklich im Blick? Tun wir das, was wir können, um für jüdische Studierende eine so sichere Situation wie möglich an einer Universität herzustellen? Insofern ist es wichtig, ja. Und gleichzeitig haben wir unsere eigene Arbeit, die sich sehr genau auf die Situation an unseren Universitäten bezieht.
Am Sozialwissenschaftlichen Institut Ihrer Universität entstand ja, das ist jetzt fast ein Jahr her, bei einer Besetzung einen Schaden von 150.000 Euro durch pro-palästinensische Demonstrierende. Sie haben diese Demonstration und Besetzung dann räumen lassen. Würden Sie sagen, dass diese Krise, die Sie da vor einem Jahr hatten, was die ja auch eine Krise der Wissenschaftsfreiheit war, oder wie Sie sagen, mehr noch als das, dass die überwunden ist?
Wir haben sie sehr intensiv bearbeitet. Das Institut für Sozialwissenschaften hat sehr intensiv daran gearbeitet, um das zu bearbeiten, was wirklich in diesem Institut ist, wo Akteure in dem Institut daran beteiligt waren und um eben auch in dem Institut wieder eine gute Zusammenarbeit zu haben. Das haben wir gemeinschaftlich bearbeitet, zusammengearbeitet.
Zu sagen, alles ist gut, ist nicht meine Art, etwas darzustellen, weil es, glaube ich, immer eine Überschätzung auch der Fähigkeiten ist, die man als Universität, überhaupt als Institution hat, ich sage es mal, eine Lage, in Anführungsstrichen, gut zu machen. Aber wir haben es sehr sorgfältig bearbeitet, ja, haben wir.
Jetzt hat der Bundestag zu diesem Thema eben auch zum Thema Wissenschaftsfreiheit vor kurzem eine Resolution veröffentlicht mit einer großen überwältigenden Mehrheit. Die heißt Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an Schulen und Hochschulen. Darin heißt es, an den Hochschulen würden unter dem Deckmantel der freien Meinungsäußerung offen anti-israelische, antisemitische und verfassungsfeindliche Äußerungen vorgetragen und eben solche Taten auch begangen.
Der offene Diskursraum werde für Propaganda missbraucht. Das war im Januar. Begrüßen Sie diese Resolution? Vielleicht Herr Ziegler?
Die Resolution ist ja über ein ganzes Jahr hinweg entwickelt und immer wieder noch ein bisschen revidiert worden und so weiter und beschreibt im Kern dann eben Dinge, die dann auch schon ein Jahr älter waren. Das ist eine Beschreibung der deutschen Universitäten, die Sie gerade zitiert haben, die ich so nicht wahrnehme und die in diesem Sinne sehr undifferenziert ist.
und die uns deswegen auch nicht hilft, um es mal so zu sagen. Diese Art von Äußerungen, die da beschrieben werden, sind und wären bei uns natürlich nicht akzeptabel und zwar nicht auf dem Campus und auch nicht sonst in der Stadt. Wir sind natürlich im öffentlichen Leben drin, auch was sich in Berlin tut, wissen wir.
Aber das ist keine Beschreibung der Universität und es ist damit auch keine Beschreibung der aktuellen Gefährdungen oder Einschränkungen der Universität, die wir haben. Ich zitiere mal noch etwas aus dieser Resolution, die fordert, die Antisemitismusprävention an Hochschulen müsse unter Wahrung der Wissenschaftsfreiheit gestärkt werden.
Da würde mich interessieren, und Frau Professorin von Blumenklaff, vielleicht können Sie darauf antworten, wie weit sind Sie mit dieser Prävention an Ihrer Hochschule? Naja, alle Berliner Hochschulen haben Antisemitismusbeauftragte geschaffen, haben das Amt ausgestattet. Bei uns ist es eingebettet in ein Zentrum für Chancengerechtigkeit, wo es eben auch einen Bereich für Antidiskriminierung geht und andere Bereiche sind. Also das haben wir verstärkt. Wir
Ich habe auch Formate entwickelt, mit denen wir in der Lehre mit sogenannten Mikrointerventionen das Thema auch in Lehrveranstaltungen sozusagen aufgreifen, die man es vielleicht nicht unbedingt erwartet. Denn was wir ja häufig erleben ist, dass es auch ein großes Maß an Unkenntnis gibt.
dass hinter manchen Äußerungen viel seltener vielleicht, ich sag mal, ein geschlossenes antisemitisches Weltbild steht, als eben so eine Mischung von politischen Schnellschüssen und Unwissen. Und dagegen, also wir sind ja eine akademische Institution und unsere Aufgabe ist es ja genau da zu arbeiten, Wissen zu vermitteln, Reflexionsvermögen zu verstärken. Und genau das tun wir eben mit solchen Mikrointerventionen, auch mit einer Verstärkung des Lehrangebots in den entsprechenden Feldern.
Jetzt hat es doch vor kurzem doch nochmal große Unruhe in diesem Zusammenhang gegeben. Francesca Albanese, die UN-Sonderberichterstatterin für die palästinensischen Gebiete, durfte persönlich nicht an der Freien Universität auftreten. Da haben Sie, Herr Professor Ziegler, eingegriffen. Warum?
Warum durfte sie da nicht auftreten? Es hat eine Gruppe von Professor*innen der Freien Universität die UNO-Sonderberichterstatterin eingeladen zu einer öffentlichen Veranstaltung. Ich sag mal, sowas muss möglich sein, weil man ja eben auch von der Dame lernen wollte über Situationen, in dem Fall besetzte Gebiete Palästina und so weiter, wo sie ja eben auch dafür zuständig ist.
Ich habe die Veranstaltung in der vorgesehenen Form dann nicht genehmigen können, weil eben klar war nach den Agitationen außenrum und so weiter, dass wir da echte Sicherheitsprobleme bekommen. Und ich habe die Aufgabe und Verantwortung als Präsident der Universität
den Frieden an der Universität zu halten und sicherzustellen, dass sich da eben alle sicher fühlen können und dass wir da keine Eskalationen bringen. Gleichzeitig dann zu sagen, die Veranstaltung kann in der Form nicht stattfinden, ist am Ende auch eine Niederlage für die Wissenschaftsfreiheit, da wo das eben eine wissenschaftliche Veranstaltung sein sollte. Und das finde ich bedauerlich und das ist auch in großer Breite bedauert worden.
Gleichzeitig hat das Ganze eben Charakter von Demonstrationen und von Proklamationen bekommen, die dann eben auf dem Campus auch nicht den richtigen Ort gehabt hätten. Insofern ist es vielleicht gar nicht schlecht gelaufen, dass am Ende die Veranstaltung ja stattgefunden hat, aber an einem anderen Ort eben nicht in der Universität.
Und die ist ja auch wahrgenommen worden und muss eine gute Veranstaltung gewesen sein. Ich zitiere nochmal den Titel der Veranstaltung, wie sie ursprünglich an der FU stattfinden sollte. Lebensbedingungen, die auf Zerstörung angelegt sind. Rechtliche und forensische Perspektiven auf den laufenden Gaza-Genozid.
Finden Sie, dass das eine Veranstaltung ist mit einem solchen Titel, die die Wissenschaftsfreiheit für sich in Anspruch nehmen kann? Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können Veranstaltungen zu allen Themen für sich in Anspruch nehmen und das muss dann auch möglich sein. Mir ist klar und mir ist eben erläutert worden, dass Leute in diesen Fachgebieten eben auch üblicherweise sehr gerne mit so provokativen Themen
Und ich sage mal, eine Setzung von Genozid ohne ein Fragezeichen dahinter ist da eben zumindest eine Provokation und die dann sozusagen sich der wissenschaftlichen Diskussion hätte stellen müssen. Und das hat dann, wie gesagt, in anderer Form stattgefunden. Ganz sicher mache ich mir sowas nicht zu eigen.
Aber das ist ja auch keine Veranstaltung des Universitätspräsidenten, der ja auch keine politischen Positionen vertritt, sondern das ist eine Diskussionsveranstaltung in der Wissenschaft, die hätte möglich sein müssen. Es hat einen sehr aktivistischen Klang, nicht wahr? Also keinen sehr wissenschaftlichen Klang und es ist kein Zufall, dass sich dann Aktivisten sozusagen draufgesetzt haben, was sie ja dann beklagt haben. Das...
Vielleicht kann man daran anschließend, Sie haben das ja jetzt sehr retrospektiv angelegt und unser Interesse ist ja vor allem auch ein bisschen in die Zukunft zu gucken, weil wir ja sehen, dass die Herausforderungen für die Wissenschaftsfreiheit eher größer werden als kleiner. Wir haben jetzt Nahost als einen Anwendungsfall und ich würde immer sagen, Nahost und Antisemitismus sind noch zwei Themen, die sind nicht hundertprozentig deckungsgleich. Es gibt ja aber auch weitere Anwendungsfälle, bei denen wir uns als Universitäten sehr genau überlegen müssen, wie wir die Wissenschaftsfreiheit schützen können.
Und Günter Ziegler hat es ja schon gerade gesagt, wir als Präsidien, wenn wir tätig werden müssen, dann ist, würde ich sagen, eigentlich vorher schon ganz viel schief gegangen. Denn unsere WissenschaftlerInnen genießen ja aus guten Gründen ein sehr großes Maß an Freiheit. Wir haben in der Humboldt-Universität schon vor etwas über einem Jahr einen professionsethischen Leitfaden verabschiedet, der teilweise missverstanden worden ist, auch als Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit, was er gerade nicht ist. Sondern dieser professionsethische Leitfaden fordert unsere WissenschaftlerInnen auf,
zu reflektieren, wenn ich eine Veranstaltung, eine Diskussion, irgendetwas plane. Die erste Reflexion geht es wirklich um Wissenschaftsfreiheit, Wissenschaft immer sozusagen der glaubhafte Versuch, auch der Wahrheit nachzustreben, wo es bestimmte methodische Anforderungen gibt, die wir an Wissenschaft legen. Oder bin ich im Bereich der Meinungsfreiheit, sozusagen das, was auch eher eine politische Bildung ist, was ja
an Universitäten nicht die primäre Aufgabe ist, aber was auch an Universitäten, zumindest außerhalb von Wahlkampfzeiten, durchaus stattfinden soll. Wir sind ja auch Teil einer Demokratie. Also das ist die erste Unterscheidung. Bin ich im Bereich der Wissenschaftsfreiheit? Dann ist die nächste Frage eben, wen lade ich ein und warum lade ich die Person eben wirklich als Wissenschaftlerin, als wissenschaftliche Position ein?
Und stelle ich immer dann, wenn es kontrovers ist, stelle ich eben auch die Möglichkeit her, dass ein wissenschaftlicher Diskurs darüber tatsächlich kontrovers möglich ist. Und da habe ich sozusagen verschiedene Stellschrauben, kann man fast sagen. Man kann es über den Titel tun, man kann es über die Besetzung des Podiums tun, man kann es aber auch über das Format der Veranstaltung machen, dass ich eben auch die Teilnehmenden in besonderer Weise ermutige, in den Austausch zu treten und umzugehen.
Unser Ansatz ist eben ganz klar zu sagen, es ist eine Zeit, in der unsere WissenschaftlerInnen sehr genau reflektieren müssen, sehr genau auch deswegen reflektieren müssen, weil Wissenschaftsfreiheit auch nicht vollkommen grenzenlos ist. Die Wissenschaftsfreiheit steht im Grundgesetz, aber sie befreit ja nicht von der Treue zur Verfassung. Und da wird es dann eben interessant und kritisch, was heißt eigentlich Treue zur Verfassung, wo gibt es bestimmte Schranken für die Wissenschaftsfreiheit, also Wissensfreiheit.
Mit diesen professionsethischen Leitwarten haben wir etwas an die Hand gegeben und damit haben wir im Grunde ein weiches Instrument. Haben Sie das schon angewendet, dieses Instrument? Also ist das erfolgreich angewendet worden? Unsere WissenschaftlerInnen nutzen es. Sie spiegeln uns auch zurück, dass es für sie sehr, sehr hilfreich ist, um genau im Vorfeld, im Vorfeld der Planung zu überlegen, wo bin ich da unterwegs? In welcher Rolle sprechen die Personen da sind? Auch was muss ich tun, damit diese Veranstaltung hinreichend kontrovers ist? Ja, es wird mir gespiegelt, dass es sehr hilfreich ist. Ja, Prof. Ziegler.
Also volle Zustimmung in allen Komponenten und wir kennen diesen Leitfaden von der Humboldt-Universität ja eben auch. Und ich sehe eben auch, dass der dann auch sehr schön beschreibt eben genau diese Trennlinie, wo wir die Dinge auseinanderhalten müssen. Also wenn ich sowas nehme wie diesen bekannten Slogan mit dem Fluss und dem Meer, nach allem was ich weiß, war der an unseren Universitäten nie in Lehrveranstaltungen sozusagen als Proklamation zu hören und das wäre dann auch wahnsinnig problematisch.
weil das Ganze de facto ja eben einfach auch ein Gewaltaufruf ist, der Existenzrecht Israels infrage stellt. Andererseits das wahrzusehen auf Demonstrationen, auf dem Campus und so weiter. Und das ist die Stelle, wo wir dann aber, das ist dann aber nicht mehr Wissenschaftsfreiheit, sondern eben Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht, wo wir das dann, soweit wir können, unterbinden. Da ist dann eben aber auch, weil es Demonstrationsrecht ist, die Polizei zuständig, aber wo wir dann eben auch demonstrieren.
die Strafanzeigen stellen für Dinge, die wir eben für Gewaltaufrufe nicht akzeptabel stellen. Die wir übrigens auch stellen, wenn wir auf der anderen Seite Gewaltaufrufe sehen. Und auch das haben wir gesehen.
Erlauben Sie mir doch nochmal eine retrospektive Frage. Die Diskussion um die Wissenschaftsfreiheit eskalierte ja im vergangenen Sommer in der sogenannten Fördermittelaffäre. Eine große Zahl von Dozentinnen und Dozenten hatte nach der Räumung eines pro-palästinensischen Protestcamps an ihrer Universität, der Freien Universität, einen Brief gegen diese Räumung für die Wissenschaftsfreiheit veröffentlicht und im Ministerium geschrieben.
von Bettina Stark-Watzinger, der Bildungsministerin von der FDP, war damals ein umstrittener Prüfauftrag erteilt worden. Es sollte geklärt werden, ob man diese Dozenten, die den offenen Brief unterzeichnet hatten, ob man die Fördermittel für ihre wissenschaftlichen Projekte ihnen streichen könnte.
Da würde mich im Rückblick schon interessieren, wie Sie über dieses Ansinnen denken. Ein Beweis dafür, wie gut die Wissenschaftsfreiheit bei uns in Deutschland verankert wird, ist die Tatsache, dass das bekannt wurde. Denn das heißt ja, dass es im BMBF Mitarbeitende gegeben hat, die gesagt haben, das geht nicht. Die gesagt haben, damit senden wir ein Signal, dass ein Gefahr für die Wissenschaftsfreiheit sein könnte. Insofern, wie gesagt, der Skandal an und für sich ist ein Zeichen dafür, dass es eine große Aufmerksamkeit gibt für die Wissenschaftsfreiheit.
Wir haben uns das in der Folge dann natürlich sehr genau angeguckt. Wir kriegen ja immer wieder Nachfragen bei Drittmittelprojekten. Das heißt, wir haben geguckt, gibt es da irgendeinen Hinweis darauf, dass politisch gefragt wird oder, ich sage es mal, ist die übliche Genauigkeit eines Rechnungshofes, die einem Wissenschaftler, einer Wissenschaftlerin auch nicht immer Freude macht. Und wir waren sehr beruhigt, als wir gesehen haben, wir sind genau in dem Bereich, ich sage es mal, wie halt ein Rechnungshof fragen würde, wenn er genau wissen will, welcher Cent wo landet.
Sie meinen, dass den Wissenschaften der Geldhahn zugedreht wird?
Genau, dass WissenschaftlerInnen der Geldhahn zugedreht wird, dass Fördermittel widerrufen werden und zwar nicht auf einer rechtlichen Basis, sondern einfach durch ein Präsidialdekret, wo ja auch nochmal die interessante Frage ist, reichen eigentlich die Präsidialen weiter? Es geht ja auch, Fördermittel werden zurückgerufen, WissenschaftlerInnen werden entlassen.
Also wir sehen an den USA, wie weit sowas gehen können und wir müssen, glaube ich, froh sein, wie gut institutionell wir noch geschützt sind und müssen, glaube ich, auch viel dafür tun, dass unsere Institutionen geschützt und auch akzeptiert bleiben. Das Problematische für die Wissenschaftsfreiheit ist ja nicht primär mal nur, dass irgendwo Geld gekürzt wird, sondern dass da Geld gekürzt wird wegen politischer Nachfragen zu Bundesländern.
Und dass im Moment ja US-Behörden bei Leuten, die Forschungsprojekte haben, die US-finanziert werden, sollen Garantien abfragen, dass da keine DEI-Komponenten drin sind, also Diversity, Equity, Inclusion-Komponenten. Und dass also aus ideologisch-politischen Gründen Forschung kaputt gemacht, gekürzt, Gelder gestrichen werden, das ist eine irre Gefährdung von Wissenschaftsfreiheit.
Und das ist am Ende eine internationale Gefährdung, die da kommt, wenn eben Klimaforschung beendet wird, indem man Institute kaputt macht und so weiter. Also das sind diese Einschnitte, die eben anfangen mit solchen ideologischen Nachfragen. Kann man denn den Leuten, die da Geld, Wissenschaftsförderung bekommen, irgendwie am Zeuge flicken wegen Meinungen oder wegen Themen oder wegen Komponenten in dem, was sie machen? Das macht uns Angst. Ja.
Umso wichtiger ist, dass es wir aktuell noch einen Wissenschaftsminister haben, der ja bei der Verleihung der Leibniz-Preise nochmal deutlich gemacht hat, Exzellenz kann nur dort sein, wo der Geist frei ist und diese Priorität für die Wissenschaftsfreiheit nochmal hervorgehoben hat. Und ich bin jetzt einfach mal zuversichtlich, dass das bei einem Amtsnachfolger, einer Amtsnachfolgerin mit gleicher Priorität vertreten wird. Vielen Dank für diese Einblicke in Ihre Abwägungen und Ihre Entscheidungsprozesse zum Thema Wissenschaftsfreiheit.
Im Allgemeinen und auch im Blick auf die anti-israelischen Proteste. Vielen Dank an Professorin Julia von Blumenthal, die Präsidentin der Humboldt-Universität zu Berlin und an Professor Günther Ziegler, den Präsidenten der Freien Universität Berlin. Am Mikrofon bedankt sich fürs Zuhören Sebastian Engelbrecht. Guten Abend.