Deutschlandfunk, Kulturfragen. Mit Matthias Dell am Mikrofon. Sprechen wollen wir in der heutigen Sendung über Migrationspolitik. Oder genauer gesagt, wie darüber debattiert wird. So ist im deutschen Diskurs eine Verschärfung des Tons zu registrieren. Einzelne Verbrechen mit wie wohl unterschiedlichen Tätern und Motivationen wie in Magdeburg und Aschaffenburg haben die Politik zuletzt in einen beinahe alternativlos wirkenden Aktionismus versetzt.
Bei dem man sich dann nicht mehr fragt, ob Zurückweisungen an den Grenzen die Probleme lösen, auf die sie angeblich reagieren. Denn Migration gilt in dieser erregten Stimmung ganz klar und pauschal als Mutter aller Probleme, wie der CSU-Politiker Horst Seehofer als Bundesinnenminister vor Jahren einmal verkündete. Was aber macht dieses Reden über Migrationspolitik mit den Leuten, die davon betroffen sind?
Darum soll es in diesen Kulturfragen gehen und dafür begrüße ich als Gesprächspartnerin Francesca Falk, zugeschaltet aus dem Studio in Bern. Dort arbeitet die Schweizer Historikerin an der Universität mit dem Forschungsschwerpunkt Migrationsgeschichte. Hallo Frau Falk. Ja, guten Tag.
Bevor wir einsteigen in die aktuelle Debatte und die Forschungsarbeiten, die Sie geleistet haben, ein Problem dieses Diskurses über Migration ist ja auch, dass Betroffene meistens zu kurz kommen, zumindest hier in Deutschland. Hängt Ihre Forschungsarbeit auch zusammen mit einer persönlichen Migrationserfahrung?
Ja, ich glaube schon auch. Also ich bin in der Ostschweiz aufgewachsen, in einem Gebiet, das stark von Migration geprägt wurde, weil es damals, als ich Kind war, auch noch eine starke Industrie in dieser Gegend gab, im St. Galler Rheintal. Meine Mutter ist aus Italien in die Schweiz gekommen. Ich selbst bin als Schweizer Staatsbürgerin geboren. Ich habe diese Staatsbürgerschaft von meinem Vater geerbt, wenn...
Aber meine Mutter Schweizerin gewesen wäre und mein Vater Italiener, dann hätte ich die italienische Staatsbürgerschaft gehabt, die ich dann später auch als doppelte Staatsbürgerschaft mit dazugewonnen habe. Ich bin 1977 geboren, ich habe dann in den 1980er Jahren Primarschule besucht, die ersten sechs Jahre.
Da hatte ich in meiner Klasse auch sehr viele Kinder mit Migrationserfahrung. Mir ist damals sehr stark aufgefallen, dass die Migrationsgeschichte stark auch die Schullaufbahn beeinflusst. Beispielsweise gab es nach der 6. Klasse jeweils eine Prüfung, wer in die Sekundarschule kam und wer in die Realschule kam.
Und ja, es war sehr, sehr oft so, dass alle die, die irgendwie eine Migrationsgeschichte aufwiesen, zuerst in die Realklassen kamen und dann vielleicht nach einem Jahr nochmals die Prüfung wiederholen konnten und dann in die Sekundarstufe wechseln konnten. Und dann später am Gymnasium war es so, dass genau ein Kind mit einer solchen Migrationsgeschichte in meiner Klasse war und
Da war quasi diese Wirkung von Migration auch auf die Chancen im Bildungssystem sehr deutlich greifbar. Wie ist das bis heute, wenn ich die Frage noch anschließen darf? Also wenn wir jetzt darüber reden, dass es gerade in Deutschland eine Verschärfung des Tons mal wieder gibt und ja auch in der Schweiz die Konjunkturen solcher Debatten immer vorhanden sind. Es ist gerade wieder eine Volksinitiative in Vorbereitung mit dem bezeichnenden Titel Asylmissbrauch stoppen.
Darf ich Sie nochmal persönlich fragen, wie reagieren Sie darauf? Fühlen Sie sich davon noch berührt oder ist das durch die Schweizer Staatsbürgerschaft und den Weg, den Sie mittlerweile da zurückgelegt haben und auch die Tatsache vielleicht, dass heute ja andere Migrationshintergründe problematisiert werden als der italienische, dass das Sie nicht mehr so stark erreicht?
Doch, es erreicht mich, weil ich mich natürlich sowieso professionell mit Migration beschäftige und mit der Geschichte der Migration. Ich glaube, das ist auch nicht einfach ein Selbstzweck. Also es geht eigentlich nicht nur um die Geschichte als Geschichte. Denn Migration per se ist ja eigentlich weder gut noch schlecht. Aber die Bedienungen, unter denen Migration gestaltet werden, die können eben besser oder schlechter sein. Und die hängen eben ganz stark auch davon ab, was für ein Bild von Migration wir haben.
Und die Schweiz beispielsweise, die ist eben wesentlich zu dem geworden, was sie heute ist, auch durch Migration. Und es ist wichtig, dass wir in Bezug auf die grossen Infrastrukturprojekte in der Schweiz, Bau der Eisenbahn, der Strassen,
aber auch auf den Auf- und Ausbau des Finanz-, Handelsplatzes, Industriestandortes Schweiz. Da spielt Migration eben überall eine ganz grosse Rolle. Und es ist wichtig für die Wahrnehmung der Migration im Allgemeinen, dass wir eben diese Wirkmächtigkeit sehen, dass wir sehen, wie prägend die Migration für die Geschichte der Schweiz war.
Haben Sie das Gefühl, in aktuellen Debatten, also wenn ich jetzt wie bereits die erwähnte in Vorbereitung seiende Volksinitiative Asylmissbrauch stoppen, die spreche ja eher dafür, dass es eine Kontinuität gibt von eben, ich sage jetzt mal Zurückweisung und Ablehnung. Gleichzeitig gibt es ja auch gerade eine Initiative.
Die sogenannte Demokratieinitiative, die für ein modernes Bürgerrecht wirbt. Vielleicht können Sie kurz sagen, worum es da geht und wie Sie diese Initiative einordnen würden in Bezug darauf, ob sich die Begriffe, das Verständnis von Migration verändert.
Ja, also diese Initiative für ein modernes Bürgerrecht, wie sie offiziell heisst, die ist jetzt das Jahr zustande gekommen. Und wir haben ja in der Schweiz diese Besonderheit, dass wir regelmässig abstimmen dürfen über Vorlagen. Das heisst, alle Stimmberechtigten in der Schweiz sind aufgerufen, Ja oder Nein zu Initiativen oder Referenten zu sagen.
Es ist so, dass in der Schweiz ungefähr ein Viertel der Wohnbevölkerung nicht politisch partizipieren darf oder kann. Das hängt unter anderem auch damit zusammen, dass wir im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ein recht restriktives Einbürgerungsverfahren haben.
Zudem haben wir ein recht komplexes Verfahren, das dreistufig ist. Also die Gemeinde, der Kanton und dann am Schluss eben der Bund entscheiden über Einbürgerungen und das führt auch dazu, dass die Regelungen recht unterschiedlich sind, je nachdem, wo man eben wohnt.
Und die Aktion Vier Viertel, die hinter dieser Initiative steht, die hat sich eben daran gestört und sie wollte eigentlich nach eigenen Aussagen einen Art Paradigmenwechsel einführen im Schweizer Bürgerrecht.
Sie fordern, dass wer hier lebt und bestimmte Kriterien erfüllt, dann einen Anspruch auf Einbürgerung hat. Kann man schon sagen, wie die Debatte darum geht? Der Bundesrat lehnt die Initiative ab, insbesondere mit dem Argument, dass da in die Kompetenz der Kantone angegriffen wird.
Noch ist es noch nicht so aktuell in den Medien im Moment. Das heißt, wenn es jetzt im letzten November eingereicht wurde, dann werden wir wahrscheinlich auch nicht mehr dieses Jahr darüber abstimmen. Von daher ist das jetzt noch ein bisschen im Hintergrund medial.
Jetzt sind Sie ja auch eingeladen, nicht als Zeitbeobachterin, sondern als Historikerin, Ihre Profession. Und da vor allen Dingen, weil Sie sich eben mit der Schweizer Migrationsgeschichte beschäftigt haben, ein Buch geschrieben haben, das den Namen trägt, der Schwarzenbach-Effekt. Da geht es um eine Initiative wiederum, die sogenannte Schwarzenbach-Initiative von 1970, benannt nach dem Politiker James Schwarzenbach.
Einem rechtsgerichteten Politiker, vielleicht manchen Leuten hier über den Namen bekannt, weil verwandt mit der Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach. Und dieser James Schwarzenbach hatte 1970 eine sehr klare Vorstellung davon, wo die Grenzziehung in Sachen Migration verläuft. Vielleicht können Sie nochmal kurz erklären, worum es bei dieser sogenannten Schwarzenbach-Initiative ging.
Bei dieser Initiative, über die 1970 in der Schweiz abgestimmt wurde, wobei damals nur die Männer stimmberechtigt waren, das Frauenstimmrecht wurde in der Schweiz ja auf nationaler Ebene erst 1971 eingeführt. Also diese Initiative, die forderte eigentlich, dass man den Ausländeranteil auf 10 Prozent reduzieren sollte. Ungefähr 300.000 Menschen hätten eigentlich dann die Schweiz verlassen müssen.
Es gab noch weitere Forderungen in dieser Initiative. Und was aber sehr interessant ist, dass die Saisonniers, Personen, die jeweils für neun Monate in die Schweiz einreisten und hier arbeiteten, beispielsweise Saisonniers,
auf dem Bau und in der Landwirtschaft. Also Saisonkräfte. Saisonkräfte, die aber unter schlechteren Arbeitsbedingungen arbeiteten als Niedergelassene. Und dass diese Saisonniers nicht mit gemeint waren in dieser Zahl, das zeigt natürlich, dass damals eben schon auch ein Bedarf an Arbeitskräften da war. Man wollte nicht auf diese verzichten, aber man wollte sie eigentlich zu schlechteren Bedingungen einstellen.
Weil in den Jahren vorher, um 1964, 1965, hatte die Schweiz mit Italien ein neues Abkommen beschlossen, das eben den Status dieser Arbeiterinnen aus Italien verbesserte. Und das war vielen ein Dorn im Auge. Und ich glaube, diese sogenannte Schwarzenbach-Abstimmung ist ganz stark als Reaktion darauf auch zu verstehen gewesen,
dass diese Rechte ein Stück weit wieder hätten rückgängig gemacht werden sollen. Und Sie haben in einem jüngst erschienenen Buch eine Untersuchung erforscht, was diese Abstimmung, die Initiative damals bewirkt hat. Die Abstimmung ist ja knapp nicht gewonnen worden im Sinne Schwarzenbachs. Also es ist nicht dazu gekommen, dass die Abschiebung von Leuten in so hoher Zahl passiert ist. Aber Sie haben ja vor allen Dingen in Gesprächen mit Betroffenen aus diesen Generationen, die damals waren,
1970 eben in der Schweiz waren mit migrantischem Hintergrund. Sie haben mit den Leuten gesprochen und ein Effekt war Traumatisierung. Können Sie kurz beschreiben, was damit gemeint ist und wie sich das geäußert hat bei den Menschen?
Also wir haben 2020, das war eben 50 Jahre nach dieser Abstimmung, haben wir All History Interviews durchgeführt mit Menschen, die damals von dieser Initiative betroffen waren. Auch weil in der bisherigen Forschung eben der Fokus sehr stark auf diesem James Schwarzenbach lag.
Und wir fanden es sehr wichtig, eben die Perspektive derjenigen Personen zu zeigen, die eben betroffen waren. Und dafür ist das, wenn ich kurz nochmal nachfragen darf, das Stichwort Oral History ist eines, wo man eben Interviews führt mit Leuten, die in der Zeit gelebt haben und die dann eher von der Qualität der Aussagen lebt als von der Quantität. Kann man das so beschreiben? Genau, das kann man genau so sagen. Das ist wichtig zu sehen. Also Oral History, das sind eben Interviews mit Zeitzeuginnen. Und wir haben dann Personen interviewt.
Einige dieser Personen, die wir interviewt haben, haben das als Kind erlebt, andere waren schon erwachsen. Und es waren sehr eindrückliche Schilderungen. Also die damaligen Kinder, die haben beispielsweise beschrieben, wie sie plötzlich auf dem Schulhof verprügelt wurden, weil halt diese Diskussionen eben auch von den Familien her in die Schule getragen wurden. Und dann gab es Streitereien und wenn sie sich gewehrt haben, dann...
wurden sie dann quasi von den Lehrern zurechtgewiesen. Einer, der hat gesagt, dass die Mutter seines Freundes eben seinem Freund verboten hat, mit ihm zu verkehren, mit diesem Italiener Kind, und dass sie sich dann heimlich in der Mitte auf dem Schulweg getroffen haben.
Andere haben erzählt, das war einer, dessen Eltern aus Spanien in die Schweiz gekommen waren, wie er das nicht verstehen konnte, wie jetzt eine Demokratie wie die Schweiz ihn ins Franco-Spanien zurückweisen würde. Oder ganz allgemein wurde auch berichtet von einem Gefühl der großen Unsicherheit, also eine
Frau, die hat gesagt, alles hat für sie zu wackeln begonnen und sie hat ein Gefühl der Ausschaffungsbarkeit erlebt, das sie sehr verunsichert habe. Es gibt auch Stimmen, die sagen, dass die Integration dieser Personen und die Partizipation eigentlich längerfristig auch gefährdet wurde durch diese Abstimmung, weil dann
Die Angst da war, beziehungsweise auch wenn die Abstimmung ja nicht erfolgreich war, zeigte sie Wirkung. Es wurden ja dann auch Kontingente beschlossen, also es durften immer nur so und so viele in die Schweiz kommen und eine Folge war auch, dass man dann restriktiv war beim Familiennachzug.
Das heißt, das sind die Effekte, wo man sagen könnte, da ist zwar nicht das Ziel erreicht worden in der Initiative, aber der politische Raum hat doch dazu geführt, dass sich eben in anderen Lösungen etwas verengt hat. Das, was wir heute vielleicht übersetzen könnten in Deutschland damit, dass es eben durch die AfD von rechts einen sehr starken, hasserfüllten,
verschärfenden Diskurs gegen Migration gibt, dem dann in gewisser Weise jetzt auch so eine Politik aus der Mitte von den Konservativen nachgeht. Und der andere Effekt, wenn ich es richtig verstanden habe, ist einfach, dass durch das bloße Reden und das Drohen, was darin steckt, eben Stigmatisierung und auch Verletzung, Zurückweisung stattgefunden hat. Das kann man schon so sagen.
Das ist ganz wichtig zu sehen, dass auch Initiativen, die abgelehnt werden, eine starke Wirkung entfalten können. Das ist nicht nur bei dieser Initiative so gewesen, auch bei anderen Initiativen, die abgelehnt wurden. Oder allgemein gibt es natürlich eine starke Fokussierung auf diese Thematik. Sie besetzt sozusagen die Agenten und ja, das hat immer eine starke Wirkung auf den politischen Diskurs.
Sie hören die Kulturfragen. Zu Gast ist die Schweizer Historikerin Francesca Falk mit dem Schwerpunkt Migrationsgeschichte. Und sie hat eine Forschung gemacht zu der sogenannten Schwarzenbach-Initiative von 1970 in der Schweiz, als es darum ging, sehr stark zu begrenzen, wie viele Migranten im Land leben dürfen. Und eine Folge neben der Traumatisierung war aber auch, dass die Leute sich politisiert haben. Ja, das fand ich wirklich einen sehr interessanten Aspekt, weil die Traumatisierung, also damit...
hatten wir eigentlich schon gerechnet, dass da Spuren eben zu finden sind in den Biografien. Aber diesen Aspekt der Politisierung, das war etwas, was mich in diesem Ausmaß schon auch überrascht hat. Also wir haben gesehen,
dass sich diese Gemeinschaften eben auch organisiert haben, dass sie gegen die Initiative damals gekämpft haben. Es gab beispielsweise auch eine Allianz zwischen katholischen und linken italienischen Bewegungen, die sich gegen diese Initiative stark gemacht haben. Die wurde genau diese Allianz vor 55 Jahren in der Schweiz gegründet.
Aber dann auch längerfristig hat das wirklich Folgen gehabt für die von uns interviewten Personen. Einige haben gesagt, das war für sie der Grund, sich dann auch einbürgern zu lassen, um eben auch politisch mitbestimmen zu können. Ein anderer hat sich sehr stark dann für die doppelte Staatsbürgerschaft eingesetzt. Das gab es damals ja noch nicht und das wurde dann auch Anfang der 1990er-Jahre erreicht.
Es haben viele eben gesagt, dass für sie so ein auslösendes Moment wirklich diese Schwarzenbach-Abstimmung war. Und das fand ich sehr spannend. Es hängt sicher auch mit der Auswahl unserer InterviewpartnerInnen zusammen. Das waren alles Personen, die in der Schweiz geblieben sind, die sich stark engagiert haben in Vereinen, in Gewerkschaften. Und das hängt natürlich auch damit zusammen, wer sich auf einen solchen Aufruf dann für ein Interview zur Verfügung zu stehen meldet.
Aber dass es bei diesen Personen so ausgeprägt war, das fand ich sehr interessant. Jetzt wird es ein bisschen spekulativ, aber würden Sie jetzt sagen, aus der Erfahrung heraus, dass es relativ wahrscheinlich ist, dass in späteren Initiativen, die sich ebenfalls stark dagegen richten, dass fremde Ausländer, wie es früher hieß, ins Land kommen würden?
dass das auch zu ähnlichen Effekten führt, also dass praktisch in dieser ganzen Traumatisierung eben auch etwas Positives steckt. Sie müssen sich engagieren für ihre eigenen Sachen. Also das wäre sehr wichtig, das systematisch zu erforschen. Wir haben aber damals schon auch gesehen in punktuellen Befragungen, die wir machen konnten, dass ein solcher Effekt auch in anderen Initiativen tatsächlich beobachtbar ist.
Beispielsweise um 2007 wurde die sogenannte Ausschaffungsinitiative lanciert, die dann 2010 angenommen wurde in der Schweiz. Und in dieser Ausschaffungsinitiative, also anstatt Abschiebung reden wir in der Schweiz von Ausschaffungen, und da wurde beispielsweise ein Plakat verwendet, auf dem ein schwarzes Schaf von weissen Schafen aus der Schweiz rausgekickt wird,
Das war ein Werbeplakat für die Initiative. Und Mohamed Wabaile, das ist ein Aktivist in Bern, der sich für die Allianz gegen Racial Profiling einsetzt, der hat ganz klar gesagt, dass ihn eigentlich dieses Plakat politisiert habe, dass er damals angefangen habe, sich politisch zu engagieren.
Und eine andere Person, aber Bulakay, der heute eben eine sehr wichtige Figur auch ist bei dieser Demokratieinitiative, die wir zu Beginn genannt haben. Er hat auch diese Initiative genannt, es war bei ihm aber ein anderes Plakat. Es war so ein Plakat, auf dem stand Kosovaren schlitzen Schweizer auf, das eben auch entsprechend visuell mit der gleichen Botschaft gearbeitet hat. Und er sagte,
Er hat gemeint, dass da die Kosovaren als Gruppe, als Gefährdung für die Schweiz dargestellt werden und das hat ihn sehr gestört und das habe eben bewirkt, dass er sich dann auch politisch einbringen wollte. Das klingt jetzt total positiv. Gibt es auch Beispiele, wo gerade die dauerhaften, immer wiederkehrenden Initiativen, die gegen das migrantische Leben als solches irgendwie auch gerichtet sind?
dass die zu Erschöpfung, Abwendung, Frustration oder auch anderen Sachen führen? Ja, also wir haben für unser Buch auch mit der Psychotherapeutin Marina Frigerio gesprochen, die selbst die Initiative auch als Kind erlebt hat. Ihre Eltern sind aus Italien in die Schweiz gekommen. Und sie hat gesagt, dass sie zum Beispiel das sieht in ihrer Praxis, also dass wenn wieder so Kampagnen stattfinden, Plakate sehr sichtbar sind mit bestimmten Sujets,
Und dass das die Kinder sehr stark verunsichern würde, wenn quasi ihre Eltern auf eine bestimmte Art und Weise dargestellt werden. Sie sagt, das merkt sie in ihrer Praxis im Umgang mit diesen Kindern.
Jetzt ist es ja so, dass es gewisse Konjunkturen gibt und gerade Ihr Weiterblick zurück nach 1970 macht ja deutlich, wie viel sich dann doch wiederum ändert in den immer gleichbleibenden Antimigrationspolitiken und Initiativen. Dass damals zum Beispiel die italienischen Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen das Problem gewesen sein sollten in Deutschland.
Während ein anderes Beispiel Migration aus Vietnam, die in den 70er, 80er Jahren eingesetzt hat, damals auch problematisiert wurde, später dann ab den Nullerjahren auf jeden Fall verwendet wurde, um anderen Gruppen zu sagen, das sind die Vorbilder, das sind die mustergültigen Migranten und Migrantinnen, die sich da ordentlich integrieren. Was sagen diese Konjunkturen über gewisse Muster in der Debatte aus?
Das Interessante ist, dass sich diese Debatten immer dann ändern, wenn eine neue Gruppe auf den Plan tritt. Wir hatten eben in dieser Zeit der Schwarzenbach-Abstimmung eine starke Stigmatisierung der italienischen Einwanderinnen-
Es wurde eben eine Italianisierung der Schweiz befürchtet. Es wurde auch gesagt, die sind fruchtbarer als die Schweizerinnen. Dann wurden aber die ItalienerInnen zur Vorzeigegruppe. Und zwar gerade zu dem Moment, als eben eine neue Gruppe dann auch auftauchte. Das waren in der Schweiz die tamilischen Geflüchteten. Das war wann? Das beginnt schon zu Beginn der 1980er-Jahre.
Also schon vor dem offiziellen Kriegsbeginn in Sri Lanka nimmt das zu. Die kommen in die Schweiz und da gibt es wirklich auch medial ganz starke Kampagnen, die teilweise auch auf Fake News, würden wir heute sagen, beruhen. Und die werden stark mit dem Drogendeal in Verbindung gebracht.
Und das ändert sich dann aber auch wieder. Sie gelten dann irgendwann als fleißige Küchenhelfer, was auch ein problematischer Diskurs natürlich ist, aber ein anderer Diskurs als vorher. Und das ändert sich dann, als die Geflüchteten
aus dem damaligen Jugoslawien in die Schweiz kommen und dann eben quasi zur neuen Problemgruppe deklariert wird. Also da sehen wir, dass quasi die Gruppen sich ändern, der Diskurs aber eigentlich immer vom Muster her der gleiche bleibt. Das klingt ja jetzt fast, wenn es nicht so traurig wäre, wie eine Komödie. Die Vorurteile bleiben gleich, aber die Personengruppen wechseln.
Warum gibt es in der Migrationspolitik so wenig Bereitschaft oder Fähigkeit, auch irgendwie flexibler oder moderner zu denken, als immer auf den gleichen Vorurteilen basierend auf Ausschluss und Zurückweisung zu setzen? Also ich würde nicht sagen, dass das das Einzige ist. Weil wir haben ja gesehen, es gab immer auch den Widerstand dagegen. Es gab immer auch Menschen, die sich eingebracht haben dagegen.
Ich glaube, dass sehr viele Errungenschaften in der Schweiz, aber natürlich auch allgemein, heute nicht vorhanden wären, wenn sich Menschen mit oder ohne Migrationserfahrung nicht eingesetzt hätten. Eine Person, die wir interviewt haben, hat gesagt, das war der Moment, als ich auf die Barrikaden gestiegen bin und ich bin noch nicht runtergekommen.
Also ich glaube, dass es auch falsch ist, jetzt nur auf diese repressive Dimension zu schauen, weil ganz viel an Innovation eben auch immer schon mit Migration einherging. Ich glaube, es ist auch falsch, Migration nur als Erfolgsgeschichte zu schildern, weil dann werden viele problematische Aspekte auch ausgeblendet.
Und es gibt eben verschiedene Möglichkeiten, Migration zu erzählen, als Erfolgsgeschichte, als Problemgeschichte, wie Sie ganz zu Beginn gesagt haben. Ich glaube, was wichtig ist, einfach zu sehen, dass die Migration konstitutiv war. Die Schweiz wäre nicht das, was sie heute ist, ohne Migration. Ob man das jetzt positiv sieht oder nicht, es ist eine Tatsache, dass die Schweiz sehr stark durch Migration und Mobilität geprägt wurde und geprägt wird.
Was ja jetzt auch in Deutschland wahrscheinlich auch so ist und trotzdem, vielleicht war meine Fragestellung auch zu polemisch, aber ich würde sagen aus der Erfahrung des letzten halben Jahres, dass in Sachen Migration vor allen Dingen dominant und laut eine, nämlich die repressive Geschichte war. Und die Frage wäre ja, wie kann man anders darüber erzählen? Also wie kann man die Sachen, die Sie jetzt erwähnt haben,
die besser geworden sind, dass die quasi gleichberechtigt mit vorkommen und nicht nur als Alibi und Verweis, sondern irgendwie als Teil einer Geschichte. In Ihrem neuen Buch versuchen Sie ja neue Grenzziehungen mit einem Wir auch zu machen innerhalb einer Gesellschaft gegen die blendende Evidenz der Gegenwartgeschichte, die in die Zukunft weist. Was haben Sie da vor, wenn man das kurz auf einen Nenner bringen kann?
Ja, ich glaube, eine historische Perspektive zeigt, dass gesellschaftlicher Wandel immer wieder stattgefunden hat und auch immer wieder stattfinden wird in der Zukunft. Wir können auf diese Weise eben auch einen Abstand zur Gegenwart gewinnen. Also unsere Denkvoraussetzungen, die halten uns ja sehr stark im Griff.
Das meint eigentlich auch dieser Titel, die blendende Evidenz der Gegenwart. Dieses Gewicht der Geschichte prägt dann auch, wie wir quasi die Gegenwart sehen. Aber wichtig ist eben auch zu realisieren, dass die Dinge sind, wie sie sind, und sie sind historisch entstanden, wie sie sind, aber sie hätten auch anders sich entwickeln können. Eine historische Perspektive zeigt so eben auch,
dass es für die Zukunft eben auch andere Möglichkeiten gibt, wie es weitergehen kann. Ein historischer Blick zeigt uns zudem, dass wir beispielsweise Demokratiedefizite oft nicht als solche wahrnehmen. Wir haben ja dieses Gespräch begonnen mit den Ausführungen zur politischen Partizipation. Und wenn wir in die Geschichte schauen, dann sehen wir die Vorstellung, wer politisch partizipieren soll. Das hat sich immer wieder geändert.
Und das wird sich wahrscheinlich auch in Zukunft wieder ändern müssen. Sagt die Schweizer Historikerin Francesca Falk, mit der ich in diesen Kulturfragen über die Auswirkungen des Redens über verschärfte Migrationspolitik bei den Betroffenen gesprochen habe. Vielen Dank für das Gespräch. Mir bleibt der Hinweis auf die Sendung Kultur heute, die Sie im Anschluss hören. Am Mikrofon der Kulturfragen verabschiedet sich Matthias Dell.