Interessen, Konflikt, der Podcast. 15 Minuten Ethik, Führung, Vorurteile mit Karin Barthelmes-Wehr und Dr. Irina Kummert. Hallo Irina. Hallo Karin. Hallo Irina. Hallo Irina, hallo Marc. Ich habe gesehen, dass das System erst später gestartet hat, deswegen dachte ich, ich begrüße dich nochmal. Hallo Marc. Hallo Marc.
Ja, wir haben in unserer letzten Session eigentlich ein anderes Thema angekündigt, haben aber entschieden, das zu switchen und stattdessen mit Marc Sinan zu sprechen, dem in Berlin lebenden armenisch-türkischen Musiker, Komponisten und Autor. Herzlich willkommen, Marc. Danke für die Einladung. Sehr gerne.
Du hast anlässlich der Feierlichkeiten zum 8. Mai ein europäisches Friedensoratorium für ein internationales Orchester, Solisten, Solistinnen, Chöre und Leinsänger komponiert. Warum hast du dem Oratorium den Titel Befreiung gegeben? Also das Thema Krieg beschäftigt mich in meiner künstlerischen Arbeit seit mindestens zehn Jahren sehr intensiv.
Und ich habe schon mal 2017 ein größeres Projekt zu dem Topos gemacht. Und für die Befreiung habe ich mich eigentlich 2021 entschieden, dass ich das machen möchte. Und
Zu dem Zeitung war der Kontext noch ein ganz anderer. Ich habe gedacht, wir haben so lange relativen Frieden in Europa, vor allem auch aus unserer, sage ich mal, mitteleuropäischen, westeuropäischen Perspektive. Und ich habe gedacht, um diesem Frieden sozusagen ein längeres Leben zu schenken, müssen wir das
wirklich verstehen und durchdringen, was das eigentlich in diesen verschiedenen Perspektiven in Europa bedeutet. Das war mein Kernanliegen, das auch mal für mich selber herauszufinden. Was ist das eigentlich für ein Moment gewesen, der irgendwann zwischen 1944 und 1945 in den unterschiedlichen geografischen Orten begonnen hat, dieser Frieden? Und
Die Frage ist sozusagen, also der zugespitzte Begriff dafür, den würde ich als Befreiung bezeichnen, weil das bezeichnet den Moment dessen, wo sozusagen es übergeht von einem Zustand in den anderen. In einem Interview mit dem Spiegel hast du gesagt, du korrigierst mich bitte, wenn ich das nicht mehr richtig in Erinnerung habe, was ist mit Gerechtigkeit und Vergebung, wenn die Mörder keine Reue, kein wahrhaftiges Bedauern zeigen?
Die Fragen, so hast du es gesagt, waren zu jeder Zeit die gleichen. Wir haben darauf keine Antwort. Wenn das so ist, wie du sagst, ist Befreiung dann überhaupt möglich oder bleibt sie eine Illusion? Und welche Rolle spielt Vergebung als Voraussetzung oder gar Bedingung von Befreiung?
Also das sind sozusagen ganz viele sehr komplizierte Fragen, die du miteinander kombinierst. Das ist ein typisches, dafür ist Irina bekannt.
ich so auffallend finde, ist, wenn man sich mit biografischen Momenten der Befreiung 1945 oder eben 1944 beschäftigt, dann wird
sehr schnell erkennbar, dass das immer sehr ambivalente Vorgänge waren. Das heißt, dass das Gift des Krieges sehr viel länger nachwirkt als über ein Datum hinaus. Und ich würde auch behaupten, sichtbar und erkennbar bis in unsere Zeit hinein in der Gesellschaft. Und das war die Frage, der ich nachgehen wollte. Was ist denn das eigentlich, Befreiung? Und wie unterschiedlich wird das sein?
empfunden, weil ich kann nur sagen, eine für mich wirklich bittere und
ziemlich überraschende Einsicht war, dass in den Ländern, die ehemals der Sowjetunion zugehörig waren, das zum Beispiel überhaupt nicht so empfunden wird und wurde, dass 1945 ein Moment der Befreiung war, sonst war einfach ein Kontinuum, das in eine Besatzung, sowjetische Besatzung übergegangen ist. Das Ende der Shoah ist vielfach eben auch der
der Anfang eines wirklich sehr großen, tiefen Schmerzes, für den vorher kein Platz war. Die Befreiung der Täter hat ganz merkwürdige Formen angenommen, die auch viel mit Privileg zu tun hatten, manchmal auch mit Sekretariat.
sag ich mal, traumatischen Ereignissen, die dann von der Täterschaft vielleicht auch der Eltern überschattet war etc. Also es ist ein wahnsinnig verknotetes Gebiet. Und ich glaube eigentlich auch ein Grund dafür, warum wir in Europa so wenig voneinander verstehen, dass wir uns sozusagen damit nicht beschäftigen, weil da ist quasi, ich glaube, dass ein großer Wissensschatz zu heben ist. Ja.
Was kann denn jetzt Musik deiner Meinung nach, Marc, auch bewirken in diesem Zusammenhang, was vielleicht Worte, politische Debatten oder was auch immer nicht bewirken können? Also ich glaube, die Frage nach der Musik möchte ich eigentlich mit der Frage nach der Fiktion beantworten. Also wir sind in einer Zeit, in der ja eine Wirklichkeit sozusagen offenbar wird, die
die Fiktionen des 20. Jahrhunderts oft in drastischer Weise überschreitet. Wir denken, das, was wir an apokalyptischen oder dystopischen Bildern in Erzählungen erfunden haben, das wird gerade vielfach, also scheint das hervorzutreten oder wird überschritten. Und ich bin mittlerweile der Überzeugung, dass
eine Wirklichkeit, die wir nicht vorher erzählt haben, nicht entstehen kann. Deshalb ist das tatsächlich so, dass wir als Künstler auf eine ganz ungeheuerliche Art sehr mächtig sind und damit auch mit Vorsicht umzugehen haben, weil etwas, was wir nicht erzählt haben, etwas, was wir nicht zum Klingen gebracht haben, wird auch nicht passieren können.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir Menschen so funktionieren und erkenne das auch zunehmend, dass sich das in unserer Wirklichkeit so abbildet. Das ist ja auch eine gewisse Verantwortung, die du dem Kulturbetrieb zusprichst. Und du sprichst ja auch von einer radikalen Erneuerung eigentlich, die du in dem Bereich forderst. Was genau muss sich denn da ändern aus deiner Sicht? Im Kulturbetrieb? Ja.
Naja, also ich glaube, dass das schon sehr bezeichnend ist für eine Gesellschaft, wenn wir quasi als vorrangige kulturelle Arbeit uns damit beschäftigen, wie wir die Kultur der Vergangenheit am Leben halten und sichtbar machen und eigentlich unserer Gegenwartskultur und Gegenwartspraxis sehr wenig zutrauen. Das empfinde ich als eine große Mutlosigkeit, die sich ja auch in unserer Wirklichkeit reflektiert.
Ist das in allen Kulturformen gleich? Ich habe gerade überlegt, also du sprichst ja, wenn du dich zu diesem Thema äußerst, habe ich gelesen, viel gerade über den Opernbetrieb, da kann ich das total nachvollziehen. Wir haben eingangs in unserem Vorgespräch über Kunst gesprochen, da ist es vielleicht schon auch so, dass zeitgenössische Künstler sehr viel mehr Raum erhalten oder auch Raum erhalten. Das ist vielleicht eine Ungleichgewichtung, oder?
Weiß ich nicht. Also ich glaube, wenn wir jetzt vergleichen sozusagen, dass kollektive
Interesse an Gegenwartskultur, Malerei, Kunst reflektiert durch den Souverän sozusagen, ist glaube ich in keinster Weise vergleichbar mit dem, was wir uns Museen kosten lassen und die Kultur der vergangenen Jahrhunderte. Also ich meine, wir müssen uns überlegen, der deutsche
Budget, das in Deutschland investiert wird, in Kultur ist meines Wissens nach 0,35 Prozent das BIP. Das ist die Hälfte von dem, was Serbien investiert. Also nicht, dass ich mich darüber beschwere, sozusagen, dass es uns schlecht ginge als Künstler in Deutschland, aber es gibt da schon eine gewisse, also eine verzerrte Wahrnehmung sozusagen, was die Wertschätzung betrifft.
Und ich glaube nicht, dass das, also in der Musik kann ich das schon sagen, dass das eigentlich mit dem Nationalsozialismus geendet hat, dass die Gegenwartslust liegt.
von größter Bedeutung war. Und das setzt sich bis heute vor. Auch der Kanon der Nationalsozialisten bestimmt bis heute unseren musikalischen Kulturbetrieb. Ich frage mich gerade, während ich euch zuhöre, ob Befreiung in Kunst und Gesellschaft überhaupt stattfinden kann, ohne sich von den Strukturen der Vergangenheit radikal zu lösen. Oder ob wir, das wäre dann die zweite Variante, Kontinuitäten respektieren müssen.
um glaubhaft Neues schaffen zu können. Also das ist eine Frage, da muss ich nochmal drüber nachdenken. Ich würde gerne nochmal auf das zurückkommen, was Karin eben gesagt hat. Du hast ja auch über die Oper dir Gedanken gemacht.
Und hast Vorschläge für die Zukunft der Oper gemacht, was mich sehr gefreut hat. Ich gehe sehr gerne in die Oper. Und du sprichst da von toxischen, feudalen Strukturen der Oper und möchtest den Opernhäusern mehr Leben einhauchen.
Gibt es da eine Verbindung zwischen ästhetischer Befreiung, zum Beispiel einer erneuerten Opernkultur und einer ethisch-moralischen Befreiung, zum Beispiel dem Umgang mit historischen und aktuellen Verbrechen? Gibt es da einen Zusammenhang, eine Verbindung? Die Frage ist sozusagen, was ist die vorrangige Bedeutung einer Kunstform wie der Oper? Ich würde jetzt nicht sagen, dass das...
unbedingt bedeuten muss, dass das Oper in erster Linie ein politisches Instrument ist oder sowas oder auch, dass in der Oper erstmal Politik reflektiert wird oder politische Vorgänge reflektiert werden müssen. Das kann so sein, das muss aber nicht so sein. Ich glaube aber, dass wir eigentlich so gar nicht so ganz genau wissen,
für wen wir das gerade machen, diese Oper, weil das Bürgertum, sag ich mal, das irgendwann zwischen 1945 und vielleicht 1990 ein großes gesellschaftliches Gewicht hatte und für das diese Oper, die wir heute noch weiter praktizieren, gemacht wurde, das gibt es ja gar nicht mehr. Und das war nach
1945 eigentlich auch nur ein Überbleibsel einer Struktur des 19. Jahrhunderts. Also ich glaube, Oper ist ja nicht ein reines Unterhaltungsgeschäft. Ich würde sagen, es ist was anderes. Es ist eine Form der Kunst. Inspiration für mich. Inspiration, ja, oder einfach auch ein Raum, in dem wir Menschen zutiefst menschliche Fähigkeiten haben,
so entwickeln, dass daraus etwas sehr Wunderbares, Besonderes hervortreten kann. Und die Frage ist, für wen ist denn das gedacht? Also für wen machen wir das? Machen wir das für Menschen, die sehr viel Geld haben oder Menschen, die sehr viel Bildung haben oder Menschen, die auch ehrlicherweise nicht mehr ganz
Ganz so jung sind, das denke ich immer, wenn ich in der Oper bin, was ich sehr schade finde. Danke. Aber ich finde sozusagen, wir stellen uns die Frage nicht an wen das adressiert ist, sondern wir setzen das fort. Und ich glaube, wir müssten uns erstmal überlegen, okay, das muss etwas sein, was Menschen erreichen kann, die, sag ich mal, unsere Gesellschaft repräsentieren und das, was unsere Gesellschaft will, repräsentieren.
Und jetzt dann die zweite Frage ist, wollen wir denen ein Angebot machen, dass die so einfach konsumieren wollen wie Netflix und das sozusagen total einfach zugänglich ist oder muss das ein Raum sein, in dem etwas ganz Besonderes für uns als Gesellschaft passieren und entstehen kann? Und wenn man diesen Fragen nachgeht, dann wird man zu der Erkenntnis kommen, dass das, was wir als Repertoire anbieten können, unzureichend ist und dass das eine Entwicklung braucht.
Und das ist halt ein wahnsinnig schwieriger Vorgang. Nur das ist so ein bisschen so wie mit einem Elektroauto. Wenn ich quasi mit den wirtschaftlichen Mitteln einer Fahrradwerkstatt ein Elektroauto bauen möchte, dann wird das nicht funktionieren. Das heißt, wenn ich sozusagen in die zeitgenössische Oper gehe,
Wenn ich da sozusagen nichts dafür ausgebe, dann wird nicht ein Wunder geschehen und es wird in den Jahrhunderten, die uns folgen, zurückgeblickt werden auf diese tolle Fahrradwerkstatt, sondern es wird einfach nicht stattgefunden haben.
Und das wäre mein Plädoyer, nachdem es sich im Verhältnis zu dem, was wir an Mitteln sozusagen für die Zukunft einsetzen in unserer Gesellschaft, das sich um sehr geringe Mittel handelt, würde ich sagen, wäre es wichtig als Gesellschafter mehr in die Hand zu nehmen.
Ja, danke. Ich glaube, da können wir uns auch hinter versammeln, Irina und ich. Nochmal zurückkommend auf dein Oratorium und das Thema Befreiung. Gibt es denn musikalische Formen, die du eher als fesselnd empfindest? Oder wie ist da der Bezug zur Musik? Wann ist Musik frei? Woher weißt du, ob das frei klingt oder Befreiung voranbringt oder auch nicht? Wie gehst du an sowas ran?
Also die Musik, die ich da schreibe und geschrieben habe, ist eine
die sich sozusagen natürlich naturgemäß aus meinem Erfahrungshorizont speist und ich bin ein klassisch ausgebildeter Musiker, der sehr viel rechts und links in sehr vielen unterschiedlichen Kulturen und Genres Musik liebt und geliebt hat und das kommt sozusagen als Amalgam darin hervor. Es ist eine sehr heterogene Musik, das würde ich so sagen und
Und es ist so organisiert, es sind ja fünf europäische Ensembles beteiligt, die alle sehr unterschiedlich sind, auch alle sehr unterschiedliche Vorlieben haben und alle mit ihren ganz besonderen Fähigkeiten hervortreten können in dem Stück. Das ist mir sehr wichtig.
Mir ist auch sehr wichtig, dass Laien beteiligt sind an dem musikalischen Vorgang, weil ich eben glaube, dass das ein Topos ist, der uns als Gesellschaft etwas angeht. Das ist, glaube ich, ein wichtiges Thema. Also wenn wir sagen würden, Europa als
positive Antwort auf Babylon, nämlich nicht die Sprachverwirrung, sondern die Liebe sozusagen zum Anderssein, indem wir die Hybris vielleicht durch die Liebe zum Fremden oder die Demut tauschen. Also das würde ich mir so ein bisschen wünschen.
Das soll hervortreten in dieser musikalischen Arbeit, wenn ich das so möchte. Und die Laien sind deshalb so wichtig, weil die uns auch wieder daran erinnern, dass Musikmachen ja ein sozialer Vorgang ist und kein professioneller. Also ich finde sozusagen die Idee, dass Musik professionell sein kann, eigentlich total bekloppt, weil das ist ja sozusagen, also ich bin nicht jetzt professionell mit euch sprechender Mensch,
Aber nein, das Sprechen ist ein natürlicher menschlicher Vorgang der Kommunikation und der eine widmet dem sein Leben, der andere widmet dem seine Freizeit. So würde ich sagen, das sind die Unterschiede. Und wir können eben von diesen Laien auch so viel lernen und umgekehrt. Das ist ein Vorgang, den ich total toll finde. Wenn ich im Oratorium sitze und mir das anhöre und ich wüsste nicht, wie der Titel ist, würde ich spüren, dass es um Befreiung geht?
Also auf jeden Fall, weil ich habe zehn biografische Momente vertont von Menschen, ganz normalen europäischen Bürgerinnen und Bürgern, die in Interviews diesen Moment der Befreiung beschrieben haben. Und den bekomme ich zu hören, den bekomme ich dann im zweiten Schritt zuzuhören.
Klingt wahnsinnig toll. Also jetzt müssen wir nochmal wissen, wo das aufgeführt wird. Genau.
Wir spielen am 2. Mai in der Akademie der Künstler in der ADK am Pariser Platz in Berlin. Wir spielen am 8. Mai in der Heiligkreuzkirche in Augsburg und am 10. Mai auf Kampnagel in Hamburg.
Wir wünschen dir und deinem Ensemble viel Erfolg. Ja, ich hoffe, ihr kommt. Ja, ich komme. Absolut versuchen. Grandios, toll. Vielen Dank, dass unser Gast warst heute, Marc. Sehr gerne. Fantastisch. Danke auch von meiner Seite. Wir unterhalten uns beim nächsten Mal mit dem Sportwissenschaftler Ingo Frohböse.
Über Motivation, da bin ich auch mal gespannt, was wir da zu hören kriegen. Ich wünsche euch einen schönen Tag. Danke und danke nochmal Marc und viel Erfolg. Ja, vielen Dank. Tschüss. Tschüss. Tschüss. Interessen, Konflikt ist ein Podcast von Dr. Irina Kummert und Karin Bathemes-Wehr, der alle 14 Tage erscheint. Beratung Jens Teschke, Grafik Prof. Gerd Sedevis.