Interessen, Konflikt, der Podcast. 15 Minuten Ethik, Führung, Vorurteile mit Karin Barthelmes-Wehr und Dr. Irina Kummert. Hallo Karin. Hallo Irina. Wie ist es? Ja, gut. Ja, schön. Ja, bei mir auch. Hast du eine Überleitung oder soll ich direkt anfangen? Achso, machen wir das jetzt immer.
Oh, dieses Thema geht so richtig an mich ran. Nee, das ist wirklich, komm, wir fangen an. Okay. Was fällt dir als erstes zum Thema Leidenschaft ein, Karin? Mein Freund Michael. Was ist mit dem? Michael hat eine unfassbare Leidenschaft für den ISC, früher Grand Prix. Du weißt schon, diesen Gesangswettbewerb.
Unfassbar. Und zwar seit seinem siebten Lebensjahr verfolgt er dieses Wettstreiten. Zuerst schrieb er Interpreten und Lieder aus der Hör zu ab, hat er mir mal erzählt, und führte handschriftliche Tabellen, wer welche Punkte an wen vergab und wie das Lied hieß und woher der Künstler kam und so weiter und so fort.
Seit den 90er Jahren macht er das in Excel-Tabellen und ja, das ist einfach unfassbar. Also der kann dir aus dem Stehgreif zu jedem Jahr sagen, wer wo wann gewonnen hat und was in dem Lied vorkommt. Hilfreich ist sicherlich auch, dass er gefühlt 15 Sprachen fließend spricht.
Also das ist eine Leidenschaft, wie man sie selten findet. Ich habe ihn mal gefragt, was ihn eigentlich so fasziniert an einem Grand Prix oder ISC und er sagt, das wäre für ihn oder sollte es sein, ein friedlicher, völkerverbindender Wettstreit. Das fand ich schön. Was fällt dir denn ein zu dem Thema? Briefmarken. Briefmarken, sammeln oder sammeln.
Ja, aus meiner Sicht ist ein Haufen Leidenschaft notwendig, um sich mit Briefmarken zu beschäftigen. Also das ist so ziemlich das Vorletzte, was mir einfallen würde.
Ja. Habe ich als Kind gesammelt. Echt? Ja, da hätte ich dir mal eine Briefmarkensammlung zeigen können. Das kam daher, weil mein Großvater das gemacht hat. Und der hat allen Enkeln dann irgendwann Alben geschenkt. Da waren dann schon ein paar Briefmarken drin. Und ja, es gibt wunderschöne Briefmarken. Von daher, heute kann ich das auch nicht mehr so ganz nachvollziehen. Heute kann ich es auch nicht mehr so ganz nachvollziehen. Aber ja, damals fand ich das schön. Mhm.
Naja, gut, also bei mir, wie gesagt, ich habe da meine Probleme mit. Ich kann mir das kaum vorstellen, mich da hinzusetzen und mir Briefmarken anzugucken. Aber ja, ich verstehe auch, wenn Menschen das...
Jeder herkommt anders. Erzähl mir mal über die etymologischen Wurzeln von Leidenschaft, bitte. Ja, das ist, finde ich, gar nicht so uninteressant. Das ist ein Übersetzungswort des französischen Passion. Das kommt wiederum aus dem Lateinischen und bedeutete zunächst Leiden und später dann Empfindsamkeit. Möglicherweise auch von Possibilität, das ist nicht ganz klar. Auf jeden Fall kam es Mitte des 17. Jahrhunderts in den deutschen Sprachgebrauch.
Und man sagt ja öfter, Leidenschaft schafft Leiden oder so ähnlich. Dieser Teil des Wortes schafft hat überhaupt nichts damit zu tun, dass irgendwas geschaffen wird, sondern das ist ein altes deutsches Suffix, also ein Anhang an das Wortende, das eine Zugehörigkeit oder einen Zustand ausdrückt. Das heißt also, eigentlich heißt Leidenschaft ein Zustand des Ertragens. Also auch da war es mal gar nicht so positiv, wie wir es jetzt heute vielleicht mitunter wahrnehmen.
Ja, interessant. Hast du auch eine Definition mitgebracht, Cari? Ja, eine Emotion, die das Denken, Fühlen und Wollen vollständig ergreift, möchte ich mal etwas altmodisch sagen. Und Leidenschaft umfasst ja Form oder kann umfassen Form der Liebe, des Hasses, wird aber auch oft für religiöse, politische oder andere Themen benutzt. So würde ich das mal hinstellen. Kann ich mitgehen. Gut.
Ja, was wäre denn so ein Gegenteil von Leidenschaft, Irina? Was würdest du sagen? Langeweile. Ja, oder? Passivität, Gleichgültigkeit, Abneigung vielleicht. Ja, gut. Irina, es kann ja Leidenschaft oder Leidenschaften, können je nach Kontext sehr unterschiedlich sein und werden eben teilweise positiv oder negativ wahrgenommen. Gibt es ein zu viel an Leidenschaft, eine unethische Leidenschaft?
Also eine Leidenschaft, die nicht moderiert ist, also ein leidenschaftliches Gefühl, das nicht durch Reflexion und Analysefähigkeit austariert wird, das kann natürlich deutlich nach hinten losgehen. Und das passiert genau dann, wenn Leidenschaft zu komplett irrationalem Verhalten führt.
Im Ergebnis kann es dann zu überstürzenden Entscheidungen kommen, die auf emotionalen Impulsen basieren, statt auf fundierten Überlegungen. In solchen Fällen kann Leidenschaft durchaus destruktiv sein, weil sie den Blick für negative Konsequenzen vernebelt oder tatsächlich für die Realität. Denkt man an Stalker. Ja.
Leidenschaft, die übertrieben wird, kann auch zu Besessenheit führen. Also das können nicht nur Stalker sein, sondern auch Menschen, die rund um die Uhr arbeiten und am Ende zum Schaden ihres Umfelds mit Burnout oder was auch immer zusammenklappen. Fanatismus, das ist ebenfalls eine übersteigerte Form von Leidenschaft, die ethisch fragwürdig sein kann.
Das bedeutet ja, Fanatismus bedeutet, dass eine Person oder eine Gruppe so stark von einer Idee oder einem Glauben überzeugt ist, dass sie keine abweichenden Meinungen oder Kompromisse akzeptiert. Also Intoleranz, Radikalisierung und ganz extrem kann auch Gewalt dabei rauskommen und das ist für mich eindeutig was Negatives. Einige Ultra-Fans vielleicht, oder?
Ja, das ist wieder ein Feld, wenn du das jetzt aufmachst. Ich sage ja nur einige. Ich habe nur gesagt einige. Also einige Fans. Das muss ja auch gar nicht um den Fußball sein. Aber genau. Die Psychologen unterscheiden ja zwischen harmonischer und obsessiver Leidenschaft. Das ist das, was du gerade gesagt hast. Und was ich gelesen habe, ist, dass Personen mit obsessiver Leidenschaft dazu neigen, unabhängig von ihrem Fachgebiet,
Ein hohes Risiko und Angstzustände, Depressionen auch zu bekommen, was du eben sagtest, wenn man viel arbeitet und dann Burnout bekommt. Was ich nochmal ganz interessant finde, ist, ich habe mich gefragt, Leidenschaft und Ehe, ist das jetzt eigentlich gut oder ist das nicht gut? Da gibt es einen Psychologen, einen Beziehungsforscher, der heißt Manfred Hasenbrauch.
Der sagt, zu viel Leidenschaft ist ungesund und er hat herausgefunden, dass in Kulturen mit arrangierten Ehen nach fünf Jahren die Beziehung glücklicher verlief als die, die ihre große Liebe geheiratet hatten. Ja gut, also wenn du eine arrangierte Ehe beispielsweise gleichsetzt mit so Plattformen, wo ein Computer Menschen zusammenführt und aussucht, wer zusammenpassen könnte, das ist ja im Grunde nichts anderes.
Das funktioniert ja auch gelegentlich. Also arrangierte Ehe hört sich erstmal dramatisch und furchtbar an, aber unter Umständen ist das durchaus vergleichbar mit Parship und Co. Ja, wobei du da ja doch trotzdem noch selber auswählst. Also bei ihm ging es um arrangierte Ehen durch die Eltern. Habe ich verstanden, aber der Computer macht ja Vorschläge. Und klar kannst du dir das bei einer arrangierten Ehe weniger gut aussuchen als bei einem Computer.
Aber der Auswahlprozess, den hast du halt nicht selber getroffen. Genau. Was ich mich gefragt habe, ist, was ist glücklich? Da wäre ja mal interessant, wirklich zu hinterfragen, wie die Personen überhaupt befragt wurden. Aber trotzdem, ganz interessantes Finding. Ja, stimmt. Welche Rolle spielt denn Leidenschaft in unseren Unternehmen und in unseren Führungsetagen, Karin?
Ja, das spielt natürlich eine große Rolle. Leidenschaft gilt ja bei vielen als Kernkompetenz für gute Führung. Der Funke, der muss da irgendwie überspringen. Der alte Augustinus Aurelius sagte ja schon, dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst. Also Engagement, Begeisterungsfähigkeit als zentrale Bestandteile von guter Führung. Aber ich habe darüber nachgedacht, wenn das zu viel ist, dann kann das ja auch bei den Mitarbeitern zu Überforderungen und Ausbrennen führen.
Und wenn man sich anschaut in der Geschichte der Wirtschaft, nehmen wir mal Enron, den Jeffrey Skilling, der war ja CEO von Enron, der sagte immer, ich schätze die Leidenschaft mehr als jede andere Eigenschaft. Und am Ende hat das ja zu einer der monumentalsten Unternehmerbetrügereien geführt.
Also psychologisch ist das so erklärbar, dass das Scheitern oder der mangelnde Fortschritt in einer wirtschaftlichen Tätigkeit dann auch für Führungskräfte als persönlicher Angriff gesehen wird und die vielleicht mitunter dann nicht so gut mit umgehen können. Ja.
Ja, vielleicht noch ergänzend. Ich habe noch ein bisschen geforscht, weil mich interessiert hat nach diesem Enron-Beispiel, wie das eigentlich ist mit Unternehmen, bei denen der Erfolg, die milliardenschwer sind und bei denen der Erfolg oft von einer leidenschaftlichen Persönlichkeit abhängt. Was passiert, wenn die dann gehen? Oftmals ist es dann tatsächlich mit diesen Unternehmen bergab gegangen eine Weile, zum Beispiel Apple oder Starbucks.
Und als Steve Jobs dann nach elf Jahren zurückgeholt wurde, stand Apple kurz vor der Pleite und in seiner ersten Vorstandssitzung sagte er, was läuft hier schief? Es sind die Produkte, sie sind beschissen und haben keinerlei Sexappeal. Also da gab es dann eine Leidenschaft von einer Person, die das Neueste und Beste vielleicht aus so Produkten auch rausgeholt hat. Okay.
Ob das für die Mitarbeitenden immer angenehm ist, so eine starke leidenschaftliche Führungspersönlichkeit, mag ich auch dann trotzdem mal da hinstellen. Ich glaube, das hängt auch ein bisschen vom Produkt ab. Das ist sowieso ein ganz, ja, ein ganz...
Das ist ein guter Gedanke, den man auch mal weiterdenken kann. Also da gibt es ja durchaus unterschiedliche Positionen. Peter Drucker, der hat ja behauptet, dass erfolgreiche Unternehmer nicht nur durch rein rationales Kalkül geleitet werden, sondern eben, wie du gerade formuliert hast, vor allem durch Leidenschaft und Überzeugung für ihre Ideen.
Und dass durch diese emotionale Energie, Stichwort Apple, eben Innovation entstehen kann, aber auch Risikobereitschaft und Durchhaltevermögen braucht man wahrscheinlich beides als Unternehmer oder Unternehmerin. Ich habe kürzlich diesen Film über Alfred Herrhausen gesehen. Ah ja, den will ich auch noch gucken. Der ja ein sehr erfolgreicher Manager war. Es ist übrigens ein wirklich toller Film.
Hier habe ich mich gefragt, ob Disziplin und Besessenheit nicht auch ein Erfolgsrezept sein kann. Das ist auch wieder eine interessante Facette, Besessenheit, eine Facette von Leidenschaft. Und hier passt vielleicht auch Warren Buffett, der betont, dass Leidenschaft zwar für das Unternehmenswachstum wichtig ist, sie jedoch durch eine starke Rationalität und fundierte Entscheidungsfindung ergänzt werden muss.
Er glaubt, dass übermäßige Leidenschaft zu emotional getriebenen Fehlentscheidungen führen kann, insbesondere wenn es um Investitionen geht und daher sei ein Gleichgewicht zwischen Leidenschaft und rationale Analyse unerlässlich. Da ist wieder die Waage. Genau, genau das, was du eingangs sagtest. Finde ich ganz interessant. Ja, total.
Was hat denn die Philosophie zum Thema Leidenschaft zu sagen, Irina? Bei Platon wird die Leidenschaft beispielsweise oft als niedere Triebkraft betrachtet. Das griechische Wort ist übrigens Pathos, die den rationalen Teil der Seele, so Platon, überwältigen, also überlagern kann. Und Aristoteles hatte im Vergleich zu Platon schon eine deutlich differenziertere Sicht auf Leidenschaft.
In seiner nikomachischen Ethik betrachtete er Leidenschaften als neutral, sie seien weder gut noch schlecht an sich, sondern es kommt darauf an, wie wir damit umgehen. Und Aristoteles Konzept der Tugend, griechisch Arete, basiert auf einem Maßhalten, also genau diese Waage, die wir eben diskutiert haben, auf dem Einhalten der goldenen Mitte.
Und Ausschläge nach oben oder nach unten werden da eher negativ bewertet. Kant, keine Überraschung, beschreibt Leidenschaft als krankhafte Neigung, die den Menschen von der Vernunft abbringt und in Abhängigkeit und Unfreiheit führt. Und Kant unterscheidet, das ist auch nochmal ein interessanter Begriff in dem Kontext, zwischen Affekten, die kurz und heftig sind, und Leidenschaften, die langfristig und zerstörerisch wirken können.
Und während Affekte noch durch spontane moralische Entscheidungen überwunden werden können, seien Leidenschaften so tief verwurzelt, denkt man Michael, und viel schwerer zu kontrollieren. Und für Kant ist das Ideal eines moralischen Menschen, sich von Leidenschaften zu befreien und allein durch die Vernunft zu handeln. Und einer meiner Lieblingsphilosophen Nietzsche, für den ist Leidenschaft ein Ausdruck von Lebensbejahrung.
Aha, sehr gut. Das ist mir wieder sehr sympathisch. Ja, auf jeden Fall deutlich sympathischer als der Kant, oder? Ja, das ist halt alles Vernunft. Ja, klar, gut, so kennen wir den guten alten Kant. Aber interessant fand ich ja auch, dass das griechische Wort Pathos ist und wir das ja, glaube ich, als Pathos in ganz anderer Funktion benutzen. Spannend. So, von welcher Leidenschaft hast du mir noch nie erzählt, Irina? Einige kenne ich, glaube ich, aber was vielleicht noch nicht?
Ja, also wenn ich jetzt sagen würde, da gibt es nichts, wäre es gelogen. Ja, komm, haus damit. Deshalb verrate ich dir jetzt was, was du noch nicht weißt.
Ich bin gespannt. Nagellack. Nagellack? Ja. Sehr schön. In meinem Kühlschrank gibt es ein ganzes Fach, in dem nur Nagellack drinsteht. In allen Farben. Also ich bin tatsächlich mit Nagellack ausgestattet, bis ich 86 bin. Auch das eine Leidenschaft, die wir teilen. Darf ich verraten. Wie ist es denn bei dir, Karin?
Ja, viele meiner Leidenschaften kennst du auch schon, habe ich auch schon mal hier gebeichtet. Mode ist sowieso klar, Champagner. Jodeln habe ich schon mal von erzählt, Flamenco. Aber ich möchte natürlich dir auch noch mal eine neue angedeihen lassen, die du noch nicht kennst. Meersalz. Ich liebe Meersalz. Auf Schokolade. Ich bin, glaube ich, bis jetzt, was hast du eben gesagt, 63, bin ich mit Meersalz ausgestattet. In 500 verschiedenen Varianten.
Verstehe ich. So ist das. Ja, Karin, wir sind schon wieder, was hast du bei unserem letzten Podcast gesagt? Du hast nicht gesagt, wir sind am Ende. Keine Ahnung, am Ende. Wir sind zu Ende. Wir sind zu Ende. Ich kann halt doch meine Herkunft aus dem Ruhrgebiet nicht so ganz...
Nicht so ganz verhehlen. Wir sind zu Ende. Komm, mach Fettisch jetzt hier. Ja, ist gut. Ja, Karin, hat wieder Spaß gemacht, unsere Unterhaltung. Beim nächsten Mal unterhalten wir uns über Freundschaft. Da freue ich mich schon drauf. Ja, da freue ich mich auch drauf. Auch ein tolles Thema. Bis dahin denken wir weiter. Das machen wir. Tschüss, Serena. Tschüss, Karin. Mach's gut. Tschüss.
Interessen, Konflikt ist ein Podcast von Dr. Irina Kummert und Karin Bartheim-Eswehr, der alle 14 Tage erscheint. Beratung Jens Teschke, Grafik Prof. Gerd Sedelis.