Gleich beim ersten Mal, als ich eine Dokumenta in Kassel besucht habe, war ich hingerissen. Es lag zum einen an den außergewöhnlichen Kunstwerken, den für mich außergewöhnlichen Kunstwerken, die meine Vorstellung von Kunst und der Welt ganz schön durcheinanderwirbelten. Und das ist doch das Beste, was man über eine Kunstausstellung sagen kann, oder?
Und das lag zum anderen an der Atmosphäre in Kassel. Es fühlte sich so an, als wenn die ganze Stadt besonders aufgeschlossen sei für aktuelle Kunst. Als wenn der ganzen Stadt Kunst besonders wichtig, ein ganz persönliches Anliegen wäre. Das ist doch wie ein Wunder, dachte ich. Zumindest alle fünf Jahre ist das so und geht auch nicht so geschmeidig auf, wie sich das anhört. Im Gegenteil.
Die empathische Chronik der Tabubrüche moderner Kunst, und eine solche unternimmt die Documenta, kann nicht ohne Skandale erfolgen. Mit den letzten Jahrgängen hat die Weitung des Blicks zu einer globalen Perspektive deutlich gemacht, wie regional mancher ästhetische Blickwinkel ist, wie einseitig und beschränkt mitunter
Und dass sich der Umgang mit moderner Kunst von Fragen nach den ethischen und gesellschaftlichen Vorstellungen der Künstler und der Betrachter nicht trennen lässt. Der globale Kontext allein stiftet neue Perspektiven. Die letzte Documenta mit ihrem Antisemitismus-Skandal ist daran gescheitert. So denke ich zumindest. Gleichwohl ist die Documenta eines der interessantesten Foren für moderne Kunst in der Welt.
das immer wieder gut dafür sein kann, die eigenen Vorstellungen von Kunst und der Welt durcheinander zu wirken. Schön, dass es auch 2027 eine Ausgabe geben wird. Wie ist es eigentlich zur Documenta gekommen und warum in Kassel? Das sind zwei der Fragen, derer sich Ludger Fittkau angenommen hat für Weltkunst in der Provinz. Eine lange Nacht über 70 überaus turbulente Jahre Documenta in Kassel.
Denn im Sommer 1955, vor 70 Jahren, wurden für die erste Documenta die Türen geöffnet. Seien Sie gespannt. Mein Name ist Hans-Dieter Heimendahl. Ich bin der Redakteur der Langen Nacht. Sie erreichen mich wie immer unter langenacht.de. Nächste Woche erwartet Sie an dieser Stelle eine Lange Nacht über den Ausnahmedirigenten Carlos Kleiber. Seien Sie gespannt.
Sie können alle "Lange Nächte" der letzten Monate auch in der Deutschlandfunk-App nachhören. Zum Beispiel die "Lange Nacht" der vergangenen Woche über die Radioreden von Thomas Mann. Und wenn Sie uns abonnieren, können Sie keine Sendung mehr verpassen. Bis nächste Woche. "Diese lebendige Plastik ist eine wirkliche Darstellung dieser Übergangsmaschine, die vor allem darin besteht, dass festgehalten wird, obwohl man loslassen möchte,
Und das man irgendwann loslassen muss, obwohl man festhalten will. Es war die Ruine des Fredericianum und da gab es und gibt es immer noch ein großes Treppenhaus. Und in dem Treppenhaus, unten auf dem Sockel, war eine Skulptur, die mich tief getroffen hat. Das war die Kniende von Lehmbruch.
Das war wie Neuanfang nach einem verlorenen Krieg. Zerstörung, Narzissmus, war plötzlich wie in einer Kirche. Werde ich nie vergessen, diese Figur, die so viel Liebe und Hoffnung und Menschlichkeit ausdrückte und gleichzeitig eine moderne Skulptur war. Für 100 Tage ist Kassel eine internationale Stadt, eine internationale Metropole der Kunst.
Seit drei Tagen ist hier die Documenta geöffnet, jene große Ausstellung moderner Kunst, die so wichtig geworden ist, weil sie weder an nationale Interessen noch an irgendwelche Künstlergruppen gebunden ist. Die künstlerische Leiterin der Documenta 16 in Kassel vom 12. Juni bis 19. September 2027 ist Naomi Beckwith und sie ist die Künstlerin.
stellvertretende Direktorin und Chefkuratorin am Solomon R. Guggenheim Museum in New York. Und ich freue mich sehr, Sie nun gleich hier auf der Bühne begrüßen zu dürfen. Zunächst einmal möchte ich sagen, dass ich keine Toleranz habe für jegliche Form von Rassismus, Diskriminierung.
und Antisemitismus. Das wird in einer Ausstellung unter meiner Kuratierung nicht stattfinden. Denn es wird keine Überraschungen geben. Ich kenne die Objekte, ich kenne die Projekte, ich werde die Denkweise der Kunstschaffenden kennen. Ich werde also nichts zulassen, was meine eigenen Werte, meine eigene Ethik als Kuratorin verletzt.
Die erste Documenta fand vom 15. Juli bis 18. September 1955 in Kassel statt, also vor 70 Jahren. Die nächste Weltkunstausstellung wird in zwei Jahren ihre Pforten öffnen. Wir schlagen den Bogen von der Documenta I bis zur kommenden Documenta XVI.
Hat die Documenta aus den Erfahrungen des Antisemitismus-Skandals 2022 für die nächste Ausgabe in zweieinhalb Jahren gelernt? Was bedeuten neuere historische Forschungen über mögliche Kriegsverbrechen des Documenta-Mitbegründers Werner Haftmann für den bisherigen Blick auf die Weltkunstausstellung?
Hat Haftmann aus antisemitischen Motiven von den Nazis ermordete jüdische Künstler wie Rudolf Lewy von den ersten Ausgaben der Dokumente ausgeschlossen? Diesen brisanten Fragen gehen wir im dritten Teil dieser langen Nacht nach. Er trägt den Titel »Das Gift des Antisemitismus«. »Eichen nach Athen tragen«, so ist der zweite Teil überschrieben.
Die Zerstörung der Umwelt durch die Industrialisierung sowie der künstlerische Blick auf eine globalisierte Welt sind große Themen der Documenta von den 1980er Jahren bis heute. Beginnen wollen wir jedoch beim Rückblick auf 70 Jahre Weltkunst in Kassel mit dem »Wilden Ding«-Documenta, wie die Ausstellungsmacherin Dorothee Wierling das Ereignis trefflich bezeichnet hat.
Kassel als großes anarchisches Kunstspektakel, bei dem Kunst und Politik gerade im Kalten Krieg immer wieder verschmolzen. Der Titel des ersten Teils, die Übergangsmaschine. Ich würde schon sagen, dass die Dokumente im Ganzen das große wilde Ding waren.
Man sieht das sehr schön auf den vielen Fotografien, die gemacht worden sind. Wenn man das zum Beispiel mit dem regulären Museumsbetrieb vergleicht, da gibt es viele Kinder, da wird geraucht, da gibt es zum Teil Hunde im Außengelände. Man sieht, dass die Besucher und Besucherinnen die Kunstwerke anfassen.
Julia Voss, eine der Kuratorinnen der Ausstellung Documenta Politik und Kunst im Deutschen Historischen Museum Berlin 2021 bis 2022. Die Documenta I war an die Bundesgartenschau in Kassel gekoppelt.
die von 2,9 Millionen Menschen besucht wurde. Immerhin bereits 130.000 interessierten sich damals auch für die Kunstausstellung mit 670 Werken von 140 Männern und nur 7 Frauen.
Das war auch ein Problem für die Dokumenta, dass die Leute sich so wohl gefühlt haben, dass sie dachten, sie können auch alles anfassen. Aber ich glaube, es zeigt, in welcher Erwartungshaltung die Leute gekommen sind und mit welcher Begeisterung sie sich dieser Kunst genähert haben. Und meine Lieblingsbilder sind mitunter die, wo Kinder auf den Außenskulpturen herumkrabbeln. Also das ist schon, jedenfalls im Vergleich zum Museumsbetrieb, eine wilde Sache gewesen.
Es ging bei der Documenta von Anfang an nicht nur um Kunst. Das muss man ehrlicherweise sagen. Es ist auch Einübung in Demokratie. Heinz Bude, Soziologe und Leiter des Documenta-Instituts in Kassel. Er bezieht sich auf den Kunsttheoretiker Batson Bruck. Und Einübung in Demokratie heißt, dass die Bedeutung eben nicht wie der Keks in der Schachtel ist.
sondern man muss daran arbeiten. Bedeutung ist etwas, was kollaborative Entschlüsselung, würde man heute sagen, bedarf. Und es ist ein Prozess, wo unterschiedliche Stimmen eine Rolle spielen. Die Mehrstimmigkeit unserer Öffentlichkeit zu schätzen, das ist quasi eine Leistung von Kunst. Das ist das, was die Dokumente auch gemacht haben. Also diese Einübungen in das Freisein,
Was heißt demokratisch frei zu sein und trotzdem sich aufeinander beziehen zu können? Das ist so ein Thema. Nun ist unter den Argumenten der Kritik, auf die wir nachher vielleicht noch im Einzelnen zu sprechen kommen können, glaube ich eins immer ausgespart gewesen und das war die Verwunderung darüber, dass nun ausgerechnet in Kassel diese internationale Kunstausstellung sich etabliert hat.
Sicherlich hat Kassel seine staatliche Hochschule für Bildende Kunst, seine Werkkunstschule. Trotzdem ist es ja nicht ein Ort der Kunst, so wie das mal wegen Berlin oder München ist. Wie ist es dazu gekommen, dass nun gerade hier in dieser Stadt von 200.000 Einwohnern eine Ausstellung sich etabliert hat, die mit der Biennale in Sao Paulo oder sagen wir der Biennale in Venedig konkurrieren kann? Im Interview der Woche des Deutschlandfunks am 13. September 1964 stellte
stellt Wolfgang Feendt diese Frage dem Kunsthistoriker und Buchautor Werner Haftmann, damals Mitglied des Dokumentarates. Haftmann antwortet. Die erste Idee dazu ist meinem Freund Professor Arnold Bode gekommen, der hier ja ein Kassel-Professor an der Kunstschule ist.
und auch für Bode stellte sich dieses Ereignis eigentlich mehr so zufällig her er sah eines Tages diese prächtigen Ruinen und diese großartigen Gebäude die Baulichkeiten die ungenutzt hier in Kassel herumstanden und da entstand so in ihm plötzlich die Vorstellung dass man diese fabelhaften auch in ihrer Zusammenordnung fabelhaften Baulichkeiten doch eigentlich einmal dafür ausnutzen sollte eine größere Kunstausstellung zu machen natürlich war das sehr wichtig
die Hilfe der Stadt selbst zu gewinnen. Und da war es besonders die Zustimmung des damaligen Oberbürgermeisters, des heutigen Staatsministers Lauritzen, der die Voraussetzungen schuf, dass wir überhaupt diese Gebäude beziehen konnten und der natürlich auch dafür sorgte, dass die ja nicht unerheblichen Kosten einer solchen Ausstellung zusammenkamen. Man muss sich das mal ein bisschen vor Augen führen. Haffmann war in der Zeit, als er eine Malerei im 20. Jahrhundert veröffentlicht hat, da war er ein Star.
Haftmanns Buch »Malerei im 20. Jahrhundert« erschien zum ersten Mal 1954, ein Jahr vor der ersten Documenta. Er war auch Zeit seines Lebens ein Star. Er war ja kein Kunstkritiker, er hat sich als Kunstschriftsteller verstanden. Er war dann der erste Gründungsdirektor der Nationalgalerie in Berlin, gehört zur kulturellen Elite der Bundesrepublik Berlin.
Und er hatte auch dieses Bewusstsein, dass er ein Star ist. Und es gibt so eine Geschichte, die ist vielleicht gar nicht wahr, aber sie ist eine schöne Geschichte, dass dieser Local Bode, den unter uns gesagt, über Kassel hinaus wenige Leute, also wollen wir ehrlich sein, er hatte das Vorteil, dass er ein bisschen sozialdemokratisch immer gewesen ist und dann auch sagen kann, er hatte nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun.
Aber der hatte, und das war der tolle Gedanke von Bode, ich muss aus dieser Ruine etwas machen. Das kann nicht einfach so bleiben. Wir müssen da irgendwie versuchen, dem eine andere Dimension zu geben, zu hin auf etwas anderes zu öffnen, damit wir nicht nur in dieser Enge und in diesem Zusammensein nach dem Krieg uns wechselseitig ersticken. Also es war eine große Sache von Bode, also irgendein Projekt gegen das Ersticken zu finden.
Und dann kommt er auf diese Idee, das kann ja ich hier irgendwie nicht machen. Ich brauche jemanden, der eine überlokale Nummer ist.
Und dann ist er angeblich nach Venedig gefahren und hat dann den Haftmann in irgendeinem Lokal aufgesucht. Und man kann sich das wunderbar übrigens vorstellen, wenn man dazu vielleicht einen entsprechenden Roman liest oder sowas. Also da gibt es auch etwas, was man dann nehmen kann. Einfach anders, die Rote zum Beispiel kann man dann nehmen. Der Roman spielt Ende der 50er Jahre im winterlich nebligen Venedig. Und so kann man sich das vorstellen, da sitzt er da und
Und Bode sagt zu ihm, sagen Sie mal, Herr Haftmann, ich kenne Sie nicht und so weiter, hätten Sie nicht eine Idee, könnten wir nicht eine Ausstellung machen? Und im Grunde, das Drehbuch haben Sie ja schon geschrieben. Und da ist natürlich der Haftmann gesagt, das ist aber jetzt klasse. Ich habe doch dieses Buch geschrieben, warum soll man nicht eigentlich jetzt mal eine Ausstellung nach diesem Buch machen?
Haffmann war ja so ein bisschen so einer, der hat sich hier gar nicht lange immer aufgehalten. Der hat hier im Hotel gewohnt und wenn er fertig war mit seinem Arbeit, ist er auch wieder weg. Also er war schon auch so einer, der hier so eingeflogen ist. Natürlich ein wirkungsmächtiger Typ. Sein großer Vorteil war, dass er Kontakte zu Sammlern hatte auch. Nicht nur Sammlungen, sondern auch Sammlern, sammelnden Menschen in Italien viel, in Frankreich auch. Also er hat einfach Zugriff auf interessantes Material.
Was mich persönlich nun anbelangt, so erinnere ich mich mit großer Freude an jenen Herbst im Jahre 1954, als mein Freund Arnold Bode in Venedig, wo ich damals lebte, auftauchte und mir eben von diesen prächtig mächtigen Ruinen vorschwärmte. Und aus diesem wirklich so ganz spontanen Begeisterung, diesem Freundwillen, Einverständnis, was wir beide da miteinander hatten, entstand die Idee, tatsächlich werden dieses Unternehmen mal in Gang setzen.
Wir machten uns den also auch gleich auf den Weg. Und er macht nun diesen irren Vorschlag, eigentlich den Nationalsozialismus so zu behandeln, die dunkle Zeit, wie man damals sagte, indem man einen Ausgangspunkt vor diesen furchtbaren Jahren findet. Und das ist bei Haftmann durchaus eine Ästhetik der 30er Jahre.
Und diese Ästhetik hat sozusagen einen großen Impuls, jedenfalls in der Deutung von Haftmann, Freiheit nach vorn. Also die Kunst erlaubt es, sich von Beschwerden zu befreien, von der Last der Geschichte zu befreien, andere Dimensionen zu denken oder wiederum Bodesinteresse aus dem Sumpf herauszukommen, aus der Enge herauszukommen. Also eine Idee zivilisatorischer Größe, diese Freiheit nach vorn.
Das ist etwas, was, muss man ehrlich sein, wenn man sich damit beschäftigt, auch irgendwas Faszinierendes hat. Ich habe in Braunschweig mein Abitur gemacht, obwohl ich Berliner war, als Berliner geboren. In Braunschweig habe ich mein Abitur gemacht und habe mich dann entschlossen, in Freiburg zu studieren und nicht in Göttingen, weil ich diese Stadt so schön fand und weil ich eine Vorliebe hatte, schon interessenmäßig für gotische Kirchen.
Und so habe ich Jura angefangen, aber wieder wie viele junge Menschen fangen sie etwas an, aber wissen nicht, ob es wirklich der Beruf sein wird. Und so hatte ich schon fast zwei Jahre, fast zwei Jahre Jurastudium in Freiburg hinter mir. Allerdings muss ich auch sagen, sehr durchwachsen mit kunsthistorischen Vorlesungen, die ich dort hörte. Rudolf Zwirner.
1959 Generalsekretär der Documenta II berichtet darüber, wie der Besuch der ersten Documenta vor 70 Jahren sein Leben schlagartig veränderte. Und da war es so, dass ich auf dem Weg zu meinem Semester, Herbstsemester, in Kassel unterbrach die Reise, um die erste Documenta 55 zu sehen. Und da kommt wie immer im Leben Zufall und Glück zueinander.
Als ich in die Halle kam, in den großen Vorraum vom Fridericianum, begrüßte mich die Prinzessin Waldeck, die ja dort in der Nähe wohnte, die Freundin meiner Eltern war.
Und fragte mich, ob ich nicht teilnehmen will an einer Führung, die jetzt gleich beginnen würde, vom Generalsekretär der Dokumenta, Freier von Butler. Und da war ich natürlich begeistert und war da ein Teil der Führung, waren bestimmt 20 Personen. Also ich glaube vor allen Dingen Bode war derjenige von Anfang an, der alles dafür getan hat, dass die Leute sich wohlfühlen im Umgang mit der Kunst.
Er hat sehr dafür gekämpft, dass es zum Beispiel ein Restaurant gab. Das hat er selbst eingerichtet und auch ausgestattet. Da hat er selbst einen Betreiber gesucht. Er hat viele Begleitumstände versucht dort einzuführen, damit die Leute einfach das Gefühl haben, sie können da kommen und auch die Kunst ansehen. Und die Führung durch die Documenta mein Leben massiv beeinflusst und natürlich auch verändert. Als ich dann am Ende wieder auf der Straße stand und
wusste ich, dass ich niemals Jurist werde, dass ich das gar nicht will, dass ich etwas werden will, was so ähnlich ist wie das, was ich gerade erlebt habe, ein Kurator einer Ausstellung. Ich wollte auch nicht nach Freiburg, um nun Kunstgeschichte zu studieren, hätte ja die logische Konsequenz sein können und müssen gewesen,
dass ich jetzt Kunsthistoriker werde. Das wollte ich auch nicht. Zwei Jahrzehnte später wird Rudolf Zwirner einer der wichtigsten Kunsthändler Europas sein. Dass gerade die Stadt Kassel, die sich nur selten musischer Eigenarten rühmt, ein so umfangreiches und anspruchsvolles Unternehmen gewagt hat, ist die Leistung eines Mannes, der selber malt, Professor Arnold Bode.
Die Documenta ist seine Idee. Gemeinsam mit Werner Haftmann leitet Arnold Bode schließlich die ersten drei Ausgaben der Documenta. Ich würde es fast in großen Worten so sagen, die Kunst hat nach 1945 für Kassel schon einen Heilungscharakter.
Der Soziologe Heinz Bude, Leiter des Documenta-Instituts. Die Mythologie dieser Stadt ist, wir sind zu Kriegsende noch heimgesucht worden. Wir wissen auch, dass wir hier eine Waffenschmiede waren. Das wissen wir auch, die hatten ihren Grund, hier das zu bombardieren. Aber es war schon eine schlimme Erfahrung für die Stadt.
Und das hat der Stadt eigentlich ihre gesamte Geschichte als Residenzstadt genommen. Also es war eine blühende Residenzstadt, mal Kassel, blühte auch vor kurfürstlichem Glanz in gewisser Weise und ist quasi im Nationalsozialismus auch schon zu einer modernen Stadt geworden, die dann wiederum an dieser Größenidee des Nationalsozialismus partizipiert hat. Aber dann irgendwie hat sie nichts mehr.
Und ich glaube, die eine Idee, die sie dann hier in Kassel hatten, war, die autogerechte Stadt zu bauen. Aber zu dieser autogerechten Stadt kam dann plötzlich die Idee, man könnte fast sagen, einer autogerechten Kunst. Das ist quasi diese Abstraktionsidee als Universalsprache, die dann für den Großkurator der ersten vier Dokumenten eine große Rolle gespielt hat, nämlich für Werner Haftmann.
Und so entstand das aus Freundschaft, der Beziehung, aus Gesprächen, aus ständigen Atelierbesuchen, nahm diese Idee wirklich Fleisch und Blut an. Und so ist damals die Documenta Nummer 1 zustande gekommen. Kunstwerke zu sehen, die ich in der Kunstgeschichte noch nie gesehen hatte. Rudolf Zwirner, Besucher der Documenta 1 darüber, was ihn an der Ausstellung vor 70 Jahren besonders faszinierte. Beispielhaft Murr.
Den kannte ich nicht. Ich sehe auf einmal andere Sachen. Aber ich sah dann Matisse, Picasso. Ich kannte zwar deutschen Expressionismus schon ein wenig, aber ich sah...
Künstler und Skulpturen und Bilder, die ich noch nie gesehen habe, von denen ich gar nicht wusste, dass das Kunst sein könnte. Die Kunst der Dokumente I wurde vor das unverputzte Mauerwerk gestellt. Und die Betondecken in den weitläufigen, gewissermaßen freigebombten Sälen signalisierten die Unbehaustheit des modernen Menschen. So Julia Friedrich, Künstlerin.
Ausstellungsdirektorin des Jüdischen Museums in Berlin, in ihrem Text Kunst als Kitt – Spuren des Nationalsozialismus in der ersten Documenta.
In einem Vortrag im Rahmenprogramm der Ausstellung »Documenta, Politik und Kunst des Deutschen Historischen Museums in Berlin« spricht sie vom Pathos einer Verlorenheit auf der Documenta I, das allerdings mit einer entschärften und entleerten Moderne verbunden gewesen sei. Adorno hatte wohl recht, als er 1950 in seinem Aufsatz »Auferstehung der Kultur in Deutschland«
der modernen Kunst, insbesondere dem Expressionismus für die Gegenwart, jegliche Sprengkraft absprach. Diese Sprengkraft war an die Möglichkeit der sozialen Revolution – Adorno drückt das etwas vornehmer aus – an die Verwirklichung der Utopie gebunden gewesen.
Die auferstandene, nach der Zertrümmerung dieser Hoffnung gewissermaßen wiederbelebte Kultur sieht in Adornos Schilderung wie eine geschminkte Leiche aus. Ein harmloser, klappriger Zombie.
Aber Haftmann, Bode und die anderen Kuratoren hielten es offenbar für nötig, die Schminke fingerdick aufzutragen, damit der Zombie ja keinen Schrecken verbreite. Doch der 22-jährige Jurastudent Rudolf Zwirner hat vor 70 Jahren mehr als eine geschminkte Leiche gesehen, wie Julia Friedrich die Kasseler Kunstinszenierung nennt.
Vor allem Wilhelm Lehmbrooks Skulptur »Knieende« von 1911, die die Nazis in ihrer Ausstellung »Entartete Kunst« verhöhnt hatten und die auf der Documenta I im Treppenhaus des Friedericianums an zentraler Stelle platziert wird, packt ihn so, dass er sein Leben auf der Stelle ändert.
Nach diesem Schlüsselerlebnis wird er in den nächsten Jahren in Berlin und vor allem in Paris lernen, was alles Kunst sein kann. 1958 wird er in Paris Mitarbeiter der Galerie von Heinz Berggrün. Und ich lebte ein Jahr in Paris und das ist jetzt sehr entscheidend. 58, das ist das Glück meines Lebens.
1955 stoße ich auf die Moderne. 1958 kommt ein Wechsel in die Kunstwelt aus dem Informellen, was in Paris überall ausgestellt wurde. Abstraktion informell oder der sogenannte Taschismus entsteht 1958.
Eine neue Objektivität, das neue Objekt der Nouveau-Realismus. Eine völlig neue Bewegung mit César Klein. Also ein völliges Umdenken. Man nehme einen verrosteten Kinderwagen und eine weichgelegene Matratze. Oder sechs altbackene Rosinenbrote und Kupferdraht. Man lege zwei Dutzend abgelaufene Wecker in einen Pappkarton
Oder zertrümmere eine Bassgeige. Und das erlebte ich gerade dann. Und jetzt komme ich in eine Galerie. Und was sehe ich da? Bierbüchsen, Glühbirnen aus Bronze, angemalt von Jasper Johns. Das ist doch keine Kunst. Das sind ja Bierbüchsen und Werkzeug und Glühbirnen. Und so etwas, das nur in Bronze. Hat mich total geschockt.
Und da merke ich, es ist hier was anderes. Hier läuft ein anderer Film ab. Man ist in jedem Fall Schöpfer der neuen realistischen Kunst. Ein Meister wie Armand. Also ich spürte, die Welt verdreht sich, verändert sich. Armand ist ein großer Meister. Er kann noch mehr als Bassgeigen zertrümmern. Er kann auch dichten. Phonetisch.
Und die tausend Galerien, es war so voll mit Galerien, zeigten noch immer lauter informelle Bilder. Und ich wusste am Abend immer nie, wo habe ich was gesehen. Im Kopf blieb mir der Wahnsinn. Dann gibt es dann eine Ausstellung, wird eingeladen, Levide, das Leere.
Jetzt gehen wir zu Iris Claire, Galerie, das Leere. Da war gar nichts in den Galerien, gar nichts. Er sei oft am Abend verwirrt gewesen, erinnert sich Rudolf Zwirner, und auch hungrig. Mein Problem war, ich hatte kein Geld. Ich lebte sehr, sehr arm. Mein Vater war Kassenarzt, er hatte nicht viel Geld.
Und irgendwann musste es ja weitergehen. Rudolf Zwirner nimmt deshalb das Angebot an, Generalsekretär der Documenta II zu werden. Vermittelt hatte das der Kölner Kunsthändler Heinz Stünke. Zwirner kennt Stünke, der einst hoher Funktionär der Hitlerjugend war und darüber in der Nachkriegszeit schwieg, bereits seit seiner Kindheit in Braunschweig.
Stünke schreibt Zwirner 1958 nach Paris. Lieber Herr Zwirner, Herr Bode sucht einen Generalsekretär für die zweite Documenta und ich habe deinen Namen genannt. Kannst du bitte nach Köln kommen, damit Herr Bode dich kennenlernt? Herr Bode war der Chef der Documenta.
Nur etwas mehr als ein halbes Jahr Zeit bleibt Rudolf Zwirner, gemeinsam mit Arnold Bode, Werner Haftmann und weiteren Kunstexperten, dem sogenannten Dokumentarat, die Documenta II im Jahr 1959 zu organisieren. Ähnlich war es bereits bei der ersten Documenta 1955. Für die Kunsthistorikerin und Kuratorin Alexia Poth
ist auch heute noch schwer zu begreifen, wie das gelingen konnte. Weil man ja immer denkt, die Documenta ist die wichtigste Ausstellung der westlichen Welt, so präsentiert sie sich. Man muss sich einfach überlegen, dass die allererste Ausstellung ein halbes Jahr vorher noch nicht wirklich fix die Finanzierungszusage hatte.
Dann haben sie sich an die Bundesgartenschau 1955 angedockt, die damals stattfinden sollte in Kassel und auch stattgefunden hat. Und in dieser kurzen Zeit überhaupt eine Ausstellung von dieser Größenordnung auf die Beine zu stellen, das war schon eine enorme Leistung und vielleicht nur ganz kurz, das hat eigentlich auch nur geklappt, weil man natürlich...
illustre Kunsthistoriker herangeholt hat, wie Werner Haftmann zum Beispiel, wie Kurt Martin und andere, Alfred Henson zum Beispiel, damals Hannover, die natürlich ihre ganzen Kontakte hatten. Und sonst hätte das gar nicht funktioniert. War die Documenta von 1955 mit ihrem Rückgriff auf die von den Nazis verachtete Avantgarde retrospektiv angelegt gewesen?
ging es vier Jahre später um die Gegenwartskunst. Das umstrittene Motto lautete, die Kunst ist abstrakt geworden. Im Fridericianum dominierten die abstrakten Tendenzen Infermel und Taschismus, die Zwirner in Paris hautnah erlebt hatte. Und diese Geschichte ist schon in der Hinsicht interessant, weil es eine bestimmte Art von Energie freisetzt.
Die kann man als künstlerische Energie, die kann man aber auch als existenzielle Energie kennzeichnen. Die radikale Hinwendung zur abstrakten Kunst als reiner Formensprache, so Heinz Bude vom Kasseler Documenta-Institut, sei wiederum maßgeblich auf Werner Haftmann zurückzuführen. Und natürlich diese Idee...
die er dann auch in dem Buch beschreibt, dass es für ihn interessant ist, dass plötzlich eine bestimmte Art von moderner Kunst, für ihn vor allen Dingen Nei, ist für ihn sozusagen der Master of All in Deutschland, dass Nei in Rathäusern steht, von Gewerkschaftsführern im Büro hingehängt wird. Irgendwie gibt es so eine Modernitätsidee, die was Klassenübergreifendes hat.
Und da hat er sich selber dran hochgezogen, an diesem Gedanken. Und er sagte, das wäre doch was, dass man das jetzt von so einem peripheren Ort quasi in die Bundesrepublik hineinwirft und natürlich dann damit auch noch was verbinden kann, nämlich Form ist Freiheit und Inhalt ist Unfreiheit. Das ist natürlich das, was sozusagen die gegenständliche Malerei in der DDR ist.
In Kassel begann der Kunstsommer. Die Ausstellung Documenta II zeigte unter anderem 250 Plastiken von 88 Bildhauern. Gerhard Richter lebte vor 70 Jahren noch in der DDR, als die ersten beiden Ausgaben der Documenta stattfinden.
Richter sei der einzige ostdeutsche Künstler gewesen, von dem wir heute wissen, dass er schon die erste Documenta 1955 besucht habe. Das berichtet Alexia Poth, die für den 2021 erschienenen Katalog der Ausstellung Politik und Kunst gemeinsam mit der Historikerin Dorothee Wierling Gerhard Richter interviewte.
Die beiden Forscherinnen fragen den Künstler, welche Wirkung die zweite Documenta 1959 auf ihn hatte. Es war erschreckend, aber gleichzeitig auch befreiend, dieses Zeug zu sehen. Für mich war unglaublich, dass die ausgestellten Maler so ungestüm loslegten. Das war mir gar nicht vertraut. Das war für mich undenkbar. Pollock mit seinen auf dem Fußboden entstandenen Arbeiten oder Fontainer mit seinen Schlitzen in der Leinwand.
Das war sagenhaft und das hat mich sehr angesprochen. Ich habe das bewundert, diese Freiheit, diese Unverschämtheit. Im Grunde ahnten wir alle, dass es so in der DDR nicht weitergeht. Wir können ja nicht so malen, wie die Klassiker gemalt haben. Die Kompromissmalerei in der DDR, die war schlimm. Das war fürchterliches Zeug.
Gerhard Richter berichtet im Interview, dass sein Plan, die DDR zu verlassen, nach der Documenta II im Jahr 1959 entstanden sei. Ende Februar 1961 flüchteten Richter und seine Frau aus der DDR über West-Berlin nach Westdeutschland.
Wenige Monate später wird die Mauer gebaut. Im Labyrinth der modernen Kunst sich zurechtzufinden, ist gewiss nicht jedermanns Sache. Dennoch täte man Unrecht, etwas abzulehnen, was man im Augenblick nicht versteht. Wir können nicht sagen, welches dieser Werke bleibenden Wert hat. Aber wir sollten bedenken, dass jede Kunst-Epoche eine Auseinandersetzung mit ihrer Zeit ist. Und als Spiegelbild und Ausdruck der Zeit sagt ein Kunstwerk oft mehr aus als ein ganzes Geschichtsbuch.
Ja, herzlichen Dank. Also erstmal herzlichen Dank, dass Sie alle heute gekommen sind. Ich freue mich wahnsinnig. Im vergangenen Jahr erschien Alexia Putz' Buch Exhibition Politics – Die Documenta und die DDR. Im Oktober 2024 stellt sie es im Literaturforum im Berliner Brechthaus vor.
Ich freue mich deswegen auch so doll, dass das hier in diesem Raum stattfindet, weil im Grunde genommen oben drüber im Brecht-Archiv, das muss ich jetzt einfach vorab sagen, natürlich auch eine Archivalie liegt, die ich angeschaut habe, die ich auch in dem Buch besprochen habe, die wir vielleicht nachher auch nochmal sehen. Das ist ein Brief von der Documenta im Mai 1955 aus Kassel abgeschickt worden.
Anbert Brecht mit der Anfrage, ob er nicht im Begleitprogramm eine Rede halten möchte, einen Vortrag halten möchte und vielleicht auch den kaukasischen Kreidekreis während der Documenta in Kassel aufführen. Es kam nie dazu. Zur Veranstaltung im Brechthaus hat Alexia Poth die Ablichtung eines Flyers mitgebracht, der von der Documenta I vor 70 Jahren verteilt wurde, um für die erste Ausstellung in Kassel zu werben.
Das Design des Flyers mit den hervorgehobenen Buchstaben K und D stammte von Arnold Bode, dem Gründer der Documenta. Das K, was in der Mitte steht von dieser, ja wie soll man sagen, kunsthistorischen Landkarte, kann man schon fast sagen, das steht natürlich für Kassel und für Kunst.
Und es steht für eine ganz spezifische Kunst. Und dann gehen die Verkehrswege nach Stockholm, nach Wien, nach Rom und so weiter. Und natürlich auch nach Berlin, aber sprich nur West-Berlin. Und dann kommt der Knick und in dem Fall dann der D und dahinter kommt nichts. Und das, finde ich, sagt einfach schon alles, weil, wie soll man sagen, die Verkehrswege der Kunst auf dieser ersten Documenta vermeintlich abrupt sind.
an der innerdeutschen Grenze oder halt an dem Knick Enden. Und diese Konstruktion ist im Endeffekt das gewesen, was die Documenta dann geprägt hat und eigentlich auch bis zum Fall der Mauer geprägt hat. Aber das ist ja insofern auch richtig, weil die Ost-West-Gunst- und Kulturverhältnisse ja völlig verhärtet waren. Sagt ebenfalls im Berliner Brechthaus Christoph Tannert.
Der gebürtige Leipziger hatte in der DDR Kunstwissenschaften studiert und 1984 seine Stelle beim Verband der Bildenden Künstler in der DDR verloren, weil er sich für junge, nichtkonforme Kunst engagiert hatte. Nach der Wende war er viele Jahre lang Geschäftsführer am Künstlerhaus Bethanien in Kreuzberg. Die Teilung der Welt war absolut unbegrenzt.
Die Mauer zu überwinden war extrem schwierig. Für die Künstlerinnen und Künstler in Osteuropa war es etwas einfacher. Und bei den polnischen Kolleginnen und Kollegen war es zum Beispiel so, dass von denjenigen, die ich kannte, also der Generation, die nach 1950 geboren wurden, der Weg von, sagen wir, Warschau über Poznan immer gleich nach West-Berlin führte.
weil viele von den Kolleginnen nicht annahmen, dass es in der DDR irgendetwas zu entdecken gäbe, was von Reiz gewesen wäre. Und das war letztendlich auch die Perspektive, die von Westdeutschland ausging.
Und diese Perspektive hat die Documenta über viele Jahre, Jahrzehnte sehr deutlich geprägt. Wir befinden uns ja in der Zeit des Kalten Krieges. Der Kalte Krieg verhindert es dann wohl auch, dass Bertolt Brecht bei der Documenta I auftritt.
Alexia Poth spricht von einer künstlerischen Demarkationslinie zwischen einer Art Dirige des sozialistischen Realismus und einer autonomen Lach-Pour-Lach. Dennoch habe sich die Kunstszene in der DDR auch vor dem Mauerfall für die Documenta interessiert, sagt Christoph Tannert, der diese Zeit ja zum Teil noch als Hauptamtlicher beim Verband der Bildenden Künstler der DDR erlebte.
Aber etwa an Westaufsätze zu Dokumenteausgaben zu kommen, sei sehr schwierig gewesen. Wenn man Glück hatte, konnte man das eine oder andere schmuggeln oder man konnte Bücher antiquarisch in Polen, in der Tschechoslowakei oder in Ungarn kaufen. Das waren natürlich weitestgehend keine aktuellen Publikationen, aber historische zumindest oder auch Dumont-Taschenbücher.
Aber direkt angebunden zu sein an die Katalogproduktion im Westen war sehr schwer. Es gab sicherlich so verschiedene Bibliotheken, für die man einen sogenannten Giftschein benötigte, um entsprechende aktuelle Literatur auch einsehen zu dürfen. Beim Verband Bildender Künstler in Ostberlin habe es auch eine kleine Bibliothek gegeben, die aktuelle Publikationen führte aus linken BRD-Verlagen.
Etwa die Zeitschrift Tendenzen, später dann auch das Kunstforum International. War natürlich häufig ausgeliehen und entsprechend schwierig, da überhaupt heranzukommen. Aber es gab natürlich doch die Möglichkeiten über Rundfunkfernsehen usw., also Westfernsehen, entsprechende Interviews, Berichterstattungen usw. auch wahrzunehmen.
Aber in der Ostpresse zum Beispiel wurden in der Tagespresse darüber gar nicht informiert, aber in speziellen Publikationen dann natürlich entsprechend ideologisch gefärbte Reflexionen. Dass sich die DDR als antifaschistischer Staat versteht, führt allerdings dazu, dass dort mit der von den Nationalsozialisten geförderten Kunst anders umgegangen wird als in der Bundesrepublik. Kritischer nämlich.
Das unterstreicht Raphael Groß, der Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum in Berlin.
Dies habe sein Team während der Recherchen für das große Dokumenta-Ausstellungsprojekt 2021 herausgefunden, die 2017 begannen, nachdem Groß Museumschef in Berlin wurde. Ich hatte eigentlich, als ich herkam, die Idee, anhand von zeitgenössischer Kunst so etwas wie einen Spiegel zu geben zu politischen, gesellschaftlichen, gesellschaftspolitischen Entwicklungen.
Und da war sozusagen die Documenta wie so ein Vehikel für mich zuerst, um zu überlegen, ah, die hat ja alle so vier, fünf Jahre, drei, vier, es war am Anfang noch unklar, stattgefunden. Also wäre das ja eigentlich so eine Art von Schichtung, die man wählen kann und dann immer gucken, ah, in welcher Weise spiegelt die visuelle Geschichte auch wahr,
Politik und Gesellschaftsgeschichte, spiegelt die etwa Demokratisierung oder spiegelt es nicht? Und in welchem Verhältnis zueinander steht? Vielleicht ist sie auch Akteur in diesem Geschehen. Raphael Groß interessierte sich insbesondere für die Politik der beiden deutschen Staaten BRD und DDR im Umgang mit der sogenannten Gottbegnadetenliste.
Dies war eine im August 1944 in der Endphase des Zweiten Weltkrieges im Propagandaministerium unter Josef Goebbels zusammengestellte Liste deutscher Künstler, die dem NS-Regime wichtig erschienen und daher von diesem unter besonderen Schutz gestellt wurden. Ausschließlich Künstler.
Männliche bildende Künstler da drauf. Die Liste ist größer, da gibt es auch andere drauf. Wir haben uns auf die fokussiert und wir haben also gleichzeitig eine Ausstellung geplant, was haben die eigentlich nach 1945 gemacht und haben also auch gleichzeitig eine Ausstellung gezeigt, wo wir die unglaublich vielen Kunstwerke,
die von diesen ehemaligen, gottbegnadeten, privilegierten, vom NS hoffierten Künstlern nach 1945 im öffentlichen Raum geschaffen werden konnten. Dabei habe sich gezeigt, dass die DDR, den vom Nationalsozialismus hoffierten Künstlern, deutlich weniger Raum für das bruchlose Weiterarbeiten nach dem Krieg bot als die Bundesrepublik.
Ein Fototeam des Deutschen Historischen Museums sei durch ganz Deutschland gefahren, um die Werke der sogenannten Gottbegnadeten aufzuspüren.
Die haben wir zum Teil auch während der Corona-Zeit fotografieren lassen in ganz Deutschland. Da sind, glaube ich, über 3000 Fotografien entstanden auf Spielplätzen, auf zentralen, repräsentativen Gemeindeplätzen und so weiter, überall in ganz Deutschland, vor allem in der ehemaligen BRD, weniger in der DDR. Musik
Gerhard Altenburg ist einer der großen Außenseiter der DDR, einer der großen Zeichner des 20. Jahrhunderts. Man muss sich vor Augen führen, dass das eine Zeit war für Altenburg, zu der er auf der einen Seite bereits vom MoMA angekauft wurde und an der Documenta in Kassel teilnahm, auf der anderen Seite jedoch als nonkonformistischer Künstler war.
in seinem Heimatland in der DDR eigentlich nicht auf einen offiziellen Ankauf hoffen konnte. Daniela Günther und Bernd Maatz kuratierten 2013 in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden die Ausstellung Terra Altenburg – Die Welt des Zeichners. Gehalt Altenburg war als DDR-Künstler bei der Documenta II eine der großen Ausnahmen, unterstreicht auch Christoph Tannert.
Nach 1955 wurde Altenburg auch wieder 1977 auf die Dokumente eingeladen, als die SPD-Ostpolitik den eisernen Vorhang etwas durchlässiger hatte werden lassen. Gerhard Altenburg ist dann auch ein Sonderfall und der ist lange Zeit bis in die Mitte der 70er Jahre in der DDR auch ein Sonderfall geblieben.
Also sein Werk zu entdecken, das erforderte bis Mitte der 70er Jahre tatsächlich eine Forschungsarbeit. Da musste man sich zu ihm oder seiner Schwester tatsächlich auf den Weg machen. Und als eine etwas größere Ausstellung von ihm im Schloss Hinterglauchau eröffnet wurde, wurde danach der Museumsdirektor Ullmann entlassen.
Also das war auch die Realität. Es gab die Anerkennung durch die West-Berliner Akademie, in der Altenburg Mitglied war. Und gleichzeitig war in der DDR eine Persona non grata. Das sei mit dem DDR-Dissidenten A.R. Penck wieder anders gewesen, so Christoph Tannert. Penck war eigentlich lange Zeit ein gläubiger Sozialist.
der versucht hatte, die sozialistische Perspektive in der DDR in seinem Verständnis zu vermenschlichen und Sozialismus systemisch neu zu denken.
Und wollte immer gern Mitglied im Künstlerverband werden. Aber Willi Sitte hat diesem Schmierfinken, wie es hieß, leider nicht die Hand reichen wollen. Und dann hat Penck diese Absage auf die Spitze getrieben, indem er dann Willi Sitte in einem Brief vorgeschlagen hatte, wenn er nicht offiziell aufgenommen wird, könnte man ihn doch vielleicht als Ehrenmitglied aufnehmen. Die Stasi beobachtet A.R. Penck, der eigentlich Ralf Winkler heißt, zu diesem Zeitpunkt längst auf Schritt und Tritt.
Er wird jedoch 1977 in einer Phase politischer Entspannung zwischen den beiden deutschen Staaten zur Documenta VI eingeladen. A.R. Penck soll allerdings neben DDR-Staatskünstlern wie Willi Sitte ausgestellt werden.
Heinz Bude, der Leiter des Documenta-Instituts in Kassel. Am Anfang gab es richtig Theater. Dann haben dann irgendwelche Künstler gesagt, also wenn diese vier da, das waren so die vier Staatskünstler, allen voran Willi Sitte, wo dann die sagten, nee, Staatskünstler wollen wir hier nicht haben. Das ging möglicherweise auf einen Händler zurück, nämlich auf Michael Werner, der ein großer Anhänger von Penck war. So
Subversive Kunst aus der DDR und großartige, ich finde auch eine großartige Kunst. Und der sollte zugunsten dieser Staatskünstler weniger Raum haben als ursprünglich vorgesehen. Also es sollten kleinere Sachen von ihm gezeigt werden, nicht die großen Sachen.
Und dann hat Werner, so gibt es eine Geschichte, es gibt wahrscheinlich mehrere Geschichten, aber es gibt diese eine Geschichte, die ist aber wiederum interessant, um zu hören, was da eigentlich los war. Dann hat er seine Leute, Baselitz und Lüppertz und im Dorf aktiviert und gesagt, guck mal, unser Kompagnon ist Penck, doch nicht Sitte. Und dann haben die gesagt, wenn das so ist, ziehen wir unsere Sachen zurück. Drei Jahre später wird A.R. Penck aus der DDR ausgebürgert.
Kurz vor dem Mauerfall 1989 wirkt er an einer experimentellen WDR-TV-Sendung mit, die den Titel trägt »Freistil oder das Geheimnis des Rattenkönigs«. Während er einen Papierblock bearbeitet, gibt er am Rand eines Schwimmbeckens der Reporterin Brigitte Schenk ein Interview. Die Fragestellerin befindet sich im Pool zwischen Spielzeugpistolen und Miniaturkriegsschiffen.
Hinter ihr posieren zwei Frauen in einem Misswahl-Outfit mit schwarz-rot-goldener Scherpe über den Badeanzügen auf zwei Haushaltsleitern. Im Hintergrund sind vier Köpfe im Peng-Zeichenstil an einer Wand zu sehen. Darunter die Namen Trump, Lenin, Stalin und Rockefeller. Also ich habe ja einmal versucht, aus meiner Kunst Wissenschaft zu machen. Und das ist mir ungefähr...
so gelungen mit den Parteiführern die DDR. Und damit sind wir eigentlich quitt. Niemand braucht jemandem anderen was vorzuwerfen. Wir haben es ja beide nicht geschafft, sozusagen. Herr Penck, von Ihnen stammt der Begriff der Bestfrau. Was verstehen Sie darüber? Die Bestfrau ist so groß, die Ostfrau ist so für ganz kleine Leiter. Das sind Ostleiter, die sind viel kleiner.
Ganz realistisch alles, naturalistisch ist das alles. Von naturalistischem Gerhard Haukenmann im Fernsehen. Brigitte Schenk traf A.R. Pink im Bad eines Kölner Luxushotels. An der Westfrau interessiert mich vor allen Dingen ihre Gefangenschaft in der Übergangsmaschine. Das interessiert mich auch in der Ostfrau, weil von der Ostfrau weiß ich das ungefähr, wie sich das verhält. Wir sind ja noch nicht im Zeitalter der Wissenschaftlichkeit oder der Wissenschaft.
Wir sind ja vielmehr noch im Zeitalter des Glaubens. Diese lebendige Plastik ist eine wirkliche Darstellung dieser Übergangsmaschine, die vor allem darin besteht, dass festgehalten wird, obwohl man loslassen möchte und dass man irgendwann loslassen muss, obwohl man festhalten will. Ich hatte es geschafft.
Und das ist ja immer wieder auf den Dokumenten ein großes Thema. Es war ein Kampf um Freiheit. Ist wie die Sitte Freiheit. Und Penck ist keine Freiheit. Und wir sind Freiheit. Und Baselitz hat immer gesagt, seine Art der Malerei ist eine Malerei der hässlichen, aber freien Bilder. Und das ist auch interessant, dass in der Kunst so ein Thema ausgemacht wurde. Ich finde diesen Skandal wieder eigentlich interessant.
Und natürlich hat die Documenta am Ende auch immer über den Systemgegensatz gehabt. Es war immer auch natürlich eine Ausstellung an der Zonengrenze, die sagte, wir hier sind, wir wissen, was Freiheit ist und ihr leidet unter der Unfreiheit und die Kunst, die ihr da habt, ist Kunst auf Befehl. Und bei uns ist es Kunst aus Entscheidung. Die Zwiespältigkeit oder die Gespaltenheit
Kann ja nur gewunden werden durch, sagen wir mal, ein elektrisches Feld, welches das Ich erzeugt. Das Ich ist das Wichtige, ich, nicht nur ich. Ich mache das. Ich. A.P. Heng reibt mit dem Stift so heftig auf den Zeichenblock, dass die einzelnen Blätter Löcher bekommen. Die Dinge im Osten haben sich ja so entwickelt, dass Fasten-Ich möglich wurde im Osten. Fast wurde es möglich, weil es so stark bekämpft wurde,
und sozusagen wegkonstruiert werden sollte. Und das System hat so eigentlich das starke, fast elektrische Ich erzeugt, hat es aber dann nicht ertragen können. Das ist die wirkliche Tragik im Osten, das ist der tragische Fall. Die Westtragik liegt ungefähr so zwischen Heroin und Heroismus.
Die Gewehre und die Katzen, die stehen ja in Beziehung zu der Übergangsmaschine. Es gibt immer noch Gewehre, weil es immer noch Tiere gibt. Wenn ich jetzt anstelle der Katze den Haushaltsroboter hätte, der den Frauen im Osten und den Männern im Westen die Arbeit abnimmt, dann braucht man weder Katzen noch Gewehre.
Wenn man sich vorstellt, der Haushaltsroboter geht mit dem Gewehr auf Hirschjagd, das ist ja nicht wirklich absurd. Oder? Findest du das nicht? Und weil das so ist... Der Künstler zielt mit einer Pistole auf die beiden Frauen im Misswahloutfit auf den Haushaltsleitern im Wasser und drückt zweimal ab. PENK! PENK!
Musik
Zunächst möchte ich Sie alle sehr herzlich willkommen heißen. Es ist eine große Freude für mich und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Museums, Sie bei uns zu haben. Es sind zwar nicht so viele die Mitarbeiter, aber trotzdem sind wir sehr froh, dass Sie hier sind. Katharina Koskina begrüßt im Sommer 2017 eine Reisegruppe aus Deutschland im Nationalen Museum für Moderne Kunst.
kurz EMST in Athen. Das EMST ist einer der Hauptorte der Documenta 14 in Athen. Katerina Koskina führt zu diesem Zeitpunkt das Museum. Adam Szymczyk, der polnische Leiter der Documenta 14 mit dem Titel von Athen lernen, mietet für die griechische Hälfte seiner Ausstellung einen Großteil der Museumsfläche an.
Direktorin Katharina Koskina ist dafür dankbar. Ich glaube, es war eine sehr gute Entscheidung von Adam Simczyk, die Dokumenta 14 herauszufinden.
zur Hälfte in Athen abzuhalten. Sowohl der Titel als auch der Inhalt dieser Documenta waren auch sehr inspiriert von Herrn Simczyk. Und ich glaube, das war auch eine ideale Gelegenheit für unser Museum, das Museum der modernen Kunst, weil wir ja eigentlich am Start uns befanden. Und durch die Documenta ist unser Museum sofort bekannter geworden und das war für uns, was uns betrifft, sehr wichtig.
Die Reisegruppe ist der Kunst- und Wissenschaftsausschuss des Hessischen Landtages. Katharina Koskina erwähnt die gute Kooperation mit der Stadt Kassel bei der Vorbereitung der Doppeldokumenta Athen-Kassel. Nach der Rede der Museumsleiterin bedankt sich eine SPD-Abgeordnete im Namen der Parlamentarier und Parlamentarierinnen aus Wiesbaden. Sehr geehrte Frau Koskina,
Wir freuen uns sehr, dass wir heute hier sein können, an einem zentralen Ort der Documenta. Sie haben gerade Kassel angesprochen und dann ist es natürlich ein Muss für uns, für den Ausschuss des Hessischen Landtags Wissenschaft und Kunst. Das sind hier alle Abgeordneten mit Mitarbeitern und wir haben auch unseren Minister dabei, Herr Boris Rhein, unser Minister für Wissenschaft und Kunst, dass wir heute hier bei Ihnen sein können.
Wir freuen uns auf die Ausstellung, sind sehr gespannt, was dieses Haus uns zu bieten hat. Die Museumspädagogin Elsa Kalze übernimmt die Führung für die Gruppe der Abgeordneten. Die Delegation aus Hessen diskutiert darüber, ob Athen als Standort für die Documenta möglicherweise Kassel in den Schatten stellt.
Man hat auch zur Kenntnis genommen, dass die Kunstszene der Athener Hauptstadt zunächst gar nicht begeistert auf die Idee reagiert hat, die Hälfte der Documenta 14 gewissermaßen aus Kassel einfliegen zu lassen.
Ich habe gerade gehört und sehr aufmerksam zur Kenntnis genommen, ich sehe das ganz genauso. Der eigentliche Gewinner dabei wird Kassel sein, weil die Bedeutung von Kassel unterstrichen wird durch diese Kooperation mit Athen. Entsprechend war ja auch in Athen zunächst mal eine sehr zurückhaltende Stimmung gegenüber der Documenta. Die Idee war von Beginn an umstritten. Die Aufteilung der Documenta 14 im Jahr 2017 auf zwei gleichberechtigte Orte, auf Kassel und auf Athen.
Die griechische Hauptstadt war für den damaligen Dokumentarleiter Adam Schimtschik ein Jahrzehnt nach der globalen Finanzkrise mit der beinahe Staatspleite Griechenlands ein Symbolort. Athen bildete für ihn an der europäischen Peripherie eine Brücke zum sogenannten »globalen Süden«, der am politischen Gängelband der kapitalistischen Finanztentren hänge.
Die Kunst wurde von Simchick als Akt des Widerstands gegen eine neoliberale Weltordnung verstanden. Als Protest der globalen Peripherie gegen eine eiserne Sparpolitik, die von den politischen Machtmetropolen des Westens diktiert wird. Ich bin Historiker und ich finde Kassel ist der Ort, an dem die Dokumenta entstanden sind. Alles andere wäre Verrat an der Dokumenta. Alexander Klar ist heute Direktor der Hamburger Kunsthalle.
2017 begleitete er als damaliger Leiter des Landesmuseums Wiesbaden den Kunst- und Wissenschaftsausschuss des Hessischen Landtags nach Athen. Obwohl Alexander Klar teilweise in Athen aufgewachsen ist und die Stadt liebt, sah er die Aufteilung der Dokumente auf Kassel und die griechische Hauptstadt kritisch.
Zwei Sitzreihen hinter ihm im Athena-Reisebus saß damals Boris Rhein, 2017 Kunstminister Hessens und heute CDU-Ministerpräsident des Landes. Wir hatten in der Tat, bevor die Dokumenta 14 losging, eine ziemlich aufgebauschte politische Situation.
In der hessischen Politik gab es Befürchtungen, die Verlagerung eines Teils der Weltkunstausstellung nach Athen könnte der Anfang vom Ende der Dokumentarstadt Kassel sein.
Wenn man sich heute anschaut, die beiden Standorte, muss ich sagen, Kompliment. Adam, Cimcik, das ist genau richtig, wie es gelaufen ist. Es beflügelt die Documenta in Kassel. Und wenn man hier in Athen sich Documenta-Städten anschaut, muss man sagen, auch das war genau das richtige Konzept. Eine wirklich aus heutiger Sicht sehr, sehr, sehr gute Idee. Und ich glaube, es wird auch keine Debatte mehr darüber geben, ob es richtig oder falsch war, weil das hat sich eindeutig als richtig erwiesen.
Ist das auch eine Art Blaupause für die Zukunft? Könnte man solche Ausweitungen auf andere Städte möglicherweise auch in Zukunft sich denken? Naja, wir hatten ja schon in der Vergangenheit teilweise auch unterschiedlich stattfindende Dokumenten in Kabul. Bereits die Dokumenta 11 im Jahr 2002 hatte unter der Leitung des in Nigeria geborenen Ogbui Enwezor teilweise in der afghanischen Hauptstadt Kabul sowie in Kairo und im kanadischen Benf stattgefunden.
Die Idee, neben Kassel andere Ausstellungsorte vor allem des globalen Südens einzubeziehen und damit auch in der Kunst dem Postkolonialismus einzuleuten, war also 2017 längst nicht mehr neu. Die Weltfinanzkrise jedoch, die insbesondere Griechenland eine Dekade zuvor an den Rand der Staatspleite gebracht hatte, halte bei der Documenta 14 in Athen noch einmal nach.
Das Griechische Nationalmuseum für zeitgenössische Kunst, kurz EMST, ist einer der knapp 50 Orte in Athen, an denen die Documenta 14 präsent ist. Die Chorele vom Band untermalen ein christliches Kreuz aus Kupfer. Museumspädagogin Elsa Kalzee erklärt, dass Kupfer hier zum Symbol der Finanzkrise von 2007 und 2008 wurde.
Sie deutet auf Kupferbarren, die wie Goldbarren aufgereiht sind. Für diese Kupferbarren seien Penny-Münzen eingeschmolzen worden, da die Weltfinanzkrise dafür gesorgt habe, dass der Metallwert der Münzen höher war als ihr Geldwert. Das sind umgesmelzte kanadische Pennys. Und hier liegt auch ein Dokument dabei, dass das erlaubt ist, weil normalerweise ist es nicht erlaubt, Geld zu umsmelsen und herzustellen.
Hier ist es für diese Kupferbar erlaubt, für eine Jahre als ein Kupferbar, als Ausstellungsobjekt zu produzieren. Und dieses Kunstwerk geht dann wieder zurück zum kanadischen Finanzministerium und wird dann umgesmelzt. Also das Kunstwerk verschwindet eigentlich dann.
Und das ist natürlich auch wichtig, weil die Künstler in Documenta sind immer mehr wert. Die Kunstwerke sind mehr teuer als die Documenta-Ausstellung. Aber wenn die Kunstwerke nicht mehr existieren, dann sind die eigentlich gar nichts wert. Und Barut Dik, der kanadische Künstler, der das hier gemacht hat, hat auch die ganzen Masken hier in der Mitte, die Vogel und die großen Masken hier oben gemacht und
sind eigentlich diese Masken, dass man im Kanada ursprünglich folgt. Die verwenden diese Masken im Ritualen und im Tanz. Und die sind immer verbrannt nach der Performance. Und das sind natürlich auch
Ein bisschen speziell, dass die ganzen Kunstwerke verbrannt sind. Er kommt selbst von dieser Kultur und er repräsentiert dann immer seine Heimatskultur in Galerien und Museums. Und diese Werte über Kunst ist auch ein Thema hier. Damit sei das Kunstwerk auch nach dem Ende der Ausstellung nicht mehr verkäuflich.
Das sei künstlerische Kritik am internationalen Kunstmarkt, so Elsa Kalzeh.
Und hier auch ein Film von Kongo. Und hier sehen wir eine Fabrik, wo die auch Kupferdraht produzieren. Und natürlich, da gibt es auch hier mit den kanadischen Masken, sind dann auch ein Thema, die Postkolonialismus. Und hier im Kongo, da sind nichts mehr kolonisiert, aber jetzt.
machen die immer noch ganz viele Kupferproduktionen. Und da sind es viel billiger, das dort zu produzieren als in Europa. Und wir sehen hier, wie die die Kupferdraht produzieren. Und das passt auch zusammen mit den Kupferdrücken.
Früher hat man die Kupferdrücke verwendet für Bücherproduktion und eigentlich für Kommunikation. Und jetzt verwenden wir ganz viele Kupfer auch für unser Wi-Fi und auch in unseren Handys und Tablets. Und in den Computern sind auch ganz viele Kupfer drin. Politische Pädagogik ersetzt an vielen Stellen hochrangige oder zumindest originelle Kunst.
Das ist einer der kritischen Eindrücke, der geblieben ist von der Documenta 14 in Athen und in Kassel. Auch das Thema Ökologie taucht bei dieser Documenta mehrfach als ein wenig überraschender Abklatsch von früheren Documenta-Ausgaben auf.
Wenn etwa der Künstler Sokul Bechiri aus dem Kosovo einen Zweig, einer der 7000 Eichen, die Josef Beuys während der Documenta 7 im Jahr 1982 in Kassel pflanzen ließ, auf einem Baum in Athen aufpfropfte. Beuys hatte damals seine umfassende Baumpflanzaktion übrigens ebenfalls bereits mit dem Einschmelzen von Metall finanziert. Allerdings nicht von Kupfer, sondern von Gold. Kuh! Kuh!
Josef Beuys präsentiert auf einer Bühne vor dem Kasseler Friedericianum einer protestierenden Menge die Kaiserkrone, die wenige Minuten später eingeschmolzen wird. Der Protest, den die ZDF-Dokumentation einfängt, wirkt wie inszeniert, scheint ein Teil der Beuys-Performance zu sein. Musik
Herr Beuys, Sie sind ja eigentlich mit anderen Materialien, mit Filz und Fett berühmt geworden. Warum arbeiten Sie jetzt in Gold? Ist das nicht ein Rückschritt? Nein, ich glaube, Sie erinnern sich noch an die Aktion, wie man dem toten Hasen die Bilder erklärte. Da war mein Kopf ja aus Gold. Also hier handelt es sich ja nicht darum, dass ich zum ersten Mal etwa Gold benutzt hätte, sondern hier handelt es sich darum, dass das Unternehmen...
7000 Eichen sich finanziert aus dem Mitwillen der Menschen, die also etwas investieren wollen in diese Sache. Und das ist ja in diesem Falle gegeben. Hier ist ein Mensch, der im Matna gekommen ist und hat mir die Krone gegeben, um sie in die Bäume zu investieren, sozusagen. Es soll aber nicht nur für die Bäume sein, sondern es ist auch ein Friedenssymbol. Naja, es wird parallel, es wird also aus dieser Krone ein Friedenssymbol gegossen.
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Was sagen Sie zu dem Protest, der hier aus Teilen der Kasseler Bevölkerung laut wird? Ja, es hat ja immer Protest gegeben. Solange ich hier auf der Documenta...
Aus dem Land, das sich selbst zerstört und uns den Way of Life diktiert. Da kommt Regen, bringt Waffen und Tod und hört er Frieden, sieht er Rot.
Als Präsident von USA, ein dunkles Jahr, bitte doch und da. Auch Polen, Mittler, Osten, Nicaragua, Mieden, Önzig, das ist doch klar. Doch wir wollen Sonne statt Regen, dumm leben, auch Ost, auch Raketen muss Rost. Wir wollen Sonne statt Regen, ohne Wurst, dumm leben, auch Raketen muss Rost.
Und im Namen des Herrn hessischen Ministerpräsidenten Dr. Georg August Zinn eröffne ich hiermit die vierte Documenta 1968. Karl Branner, der SPD-Oberbürgermeister von Kassel, eröffnet die Documenta IV in der Hochzeit der Studentenbewegung 1968.
Eine Woche zuvor hatte es auf der Biennale in Venedig handfeste Auseinandersetzungen zwischen Studentinnen und Studenten und einem großen Polizeiaufgebot gegeben. Doch die Zahl der Studierenden, die Kassel als Bühne für den Protest benutzen wollen, war deutlich kleiner.
Ein Kamerateam des Hessischen Rundfunks dokumentiert eine kontroverse Diskussion in der Kasseler Stadthalle. Ja, so dass man passt. Der Name, der unbedingt auf die Dokumente passt, das ist Jean Epustegui aus Paris, der auf der letzten Dokumenta war. Der auf der letzten Dokumenta war mit seinem Mann mit drei Beinen und so weiter, der wunderbare neue Skulpturen hat, die ich besser...
die ich nicht geeignet halte in dem Garten eines Großindustriellen, weil er nämlich da zunächst mal überlegen muss, was er überhaupt macht. Meine Damen und Herren, sind Sie einverstanden, dass darauf unmittelbar Herr Bode antwortet? Die Gegner argumentierten gelegentlich überlaut, aber Aggressivität war auf diesem Forum zugelassen, sogar erwünscht. So konnte man sicher sein, dass die Ausstellung selber von der Protestwelle verschont blieb.
Kommen auf der Documenta alle wesentlichen Strömungen gleichberechtigt zu Wort. Es fehlt der neue Realismus aus Deutschland, ebenso die fantastische Kunst. Aber auch andere Richtungen fühlen sich ausgeschlossen. Ich werde eben angerufen, dass Plakate geklebt werden in der Stadt. Anti-Documenta-Hearing. Und ich muss verhindern, dass mein Theater mit einer Strömung gegen die Documenta identifiziert wird. Machen Sie doch ein Pro-Documenta-Hearing. Argument bitte, warum?
Der damalige Kasseler Theaterintendant Ulrich Brecht und der Künstler Wolf Vostell streiten sich während der Documenta 1968 vor laufender Kamera über die Frage, ob eine kritische Diskussionsrunde im Kasseler Theater stattfinden kann oder nicht.
Forstel argumentiert. Es geht darum, dass in Kassel drei Bewegungen, das wissen Sie genauso gut wie ich, Fluxus, Happening und Environment nicht vertreten sind. Und das betrifft das Theater wie die ganze Welt und wir wollen mal herausfinden, wie das dazu gekommen ist. Der Streit dreht sich alsbald um den Dokumentarat, der die Werke auszuwählen hatte. Auf ihn konzentrieren sich die Angriffe.
Es antwortet Professor Freiherr von Butler. Das ist die Meinung Herrn Vostelz. Ich kann Ihnen dazu nur sagen, dass es nichts Unetablierteres und nichts Ad hoc aus persönlichen Situationen, aus menschlichen Situationen herauswachsendes gibt als den Dokumentarat.
Wenn Sie daran denken, dass 1955 der Mut gefasst worden ist, hier in dieser Stadt etwas derartiges wie die Dokumente auf die Beine zu stellen, das ist eine ganz ausgesprochene Tat, damals gegen alle Funktionalitäten, gegen alles Etablierte gewesen. Und von jedes Mal, 59, 64, diesmal...
ist zwar ein sehr großes Verständnis da gewesen für unsere Dinge, aber es musste jedes Mal alles aus dem Nichts wieder neu herausgezogen werden. Es kann in diesem Zusammenhang von einer Etabliertheit überhaupt nicht geredet werden. Das ist die Meinung des Dokumentarates. Wann ist Kunst etabliert? Muss man die Popart schon zur etablierten Kunst rechnen? Sie ist auf der vierten Dokumenta reichlich und mit der ersten Garnitur vertreten.
Andy Warhol mit seiner berühmten Marilyn Monroe Serie. Seitensiebdrucke in verschiedenen Farben, 1967 entstanden. Kreativ war der Warhol rein künstlerisch, nur bis zu 61, 62. Dann hat er selber gesagt, ich höre auf. Und dann wurde er nach eigenen Aussagen Businesskünstler. Ich werde Businesskünstler.
Und vermarktete Reproduktion, alles vermarktete, alles, auch Mona Lisa und so, alles. Sagt Rudolf Zwirner, Kunsthändler und Generalsekretär der Documenta II. Beuys hat hier nicht so eine große Resonanz gehabt, auch auf der Documenta nicht. Also Beuys ist sicherlich für lange Zeit der Documenta-Künstler gewesen. Sagt Heinz Bude, Leiter des Documenta-Instituts in Kassel.
Josef Beuys habe die Documenta zwei Jahrzehnte lang, von den 1960er bis in die 1980er Jahre, stark mitgeprägt, glaubt auch Rudolf Zwirner. Beuys ist die Klammer und die Klammer wurde vom Kapital sozusagen sichtbar. Bei den Ratings waren zwei Künstler immer an der Spitze in den Jahren, viele Jahre, eins oder zwei Künstler.
Warhol, Beuys, Beuys, Warhol, Warhol, Beuys. Die beiden waren Mediengenies und nicht nur Künstler. Die Medien musst du bedienen, heute immer noch. Kuhns, heute noch. Und das waren die beiden. Und die beiden haben den Markt als solchen verändert.
Gleichzeitig sei Beuys im Zuge der 68er-Bewegung ein Sozialkünstler geworden. So formuliert es Rudolf Zwirner. Sozialkünstler. Er brachte eine neue Idee. Nicht mehr das Kunstwerk, sondern die Plastik ist das Denken. Und alle Menschen können denken.
Es war mehr ein philosophischer Glaubensansatz, aber die Jugend hat an seinen Lippen gehangen. Die Jugend, die konnten zwar die Arbeit nicht interpretieren, aber es waren soziale Skulpturen. Der Protest bricht Ihnen keinen Zacken aus der Krone. Nein, ich muss ja nur entschlossen, wie soll ich sagen, das verwirklichen, was ich in dieser ökologischen Richtung mir hier als Aufgabe gestellt habe. 7000 Eichenpflanzen.
Und da das ein Unternehmen ist, was zweieinhalb Millionen kostet, Minimum, vielleicht drei Millionen kostet, bin ich natürlich auch auf die Menschen angewiesen, die diese Idee erkannt haben als eine ökologisch richtige, also als eine soziale Kunst, als eine ökologische Kunst. Er wurde der Gründer der Grünen.
Er wurde eine soziale Figur und ein großer sozialer Denker und hat der verunsicherten Jugend, die mit der Abstraktion nicht zurecht kam, ein soziales Programm empfohlen. Und so wurde Beuys wie Warhol entscheidend für die Honigpumpe, verstand ja jeder. Honig, Biene, Fett. Und ich selber habe die Fettecke ausgestellt.
Also zum Piepen. Jedes Stück Objekt hat natürlich auch eine Assoziationsebene. Klar, Fett, Kupfer und so weiter. Beuys deshalb, weil er eigentlich wiederum ein Thema aufgegriffen hat, was für Kassel eine große Rolle spielt, nämlich der Druck der Zeit. Und zwar der Druck der Zeit auf
die aus einer Kapsel kommt, die wiederum mit den Luftangriffen, wiederum mit diesem Problem zu tun hat, dass es eine Nazistadt war, eine Waffenschmiedenstadt.
Also auf dem Gebiet ist die Universität errichtet worden, also quasi wo die Panzer gefertigt wurden, die heute ja immer noch in Kassel gefertigt werden. Etwa 10 Meter lang, 60 Tonnen schwer und in voller Fahrt in der Lage zu schießen. Der Panzer ist auch hessisch.
In Kassel, dem Hotspot der Rüstungsindustrie in Deutschland, sitzt Krauss-Maffei Wegmann. 1500 Mitarbeiter. Sie stellen große Teile des Leopard 2-Panzers her. Es ist ein ganz eigentümlicher Komplex.
Beuys ist eigentlich so jemand, der diese Dimension des Schwermütigen in diesem zum Konsum hin, zur Formenvielfalt sich befreienden Welt zum Ausdruck bringt. Er ist quasi der Kontrapunkt zu dieser Freiheit nach vorn. Da sagt Beuys, es gibt keine Freiheit nach vorn, es gibt nur die Wunde nach hinten.
Diese Plakate in den Straßen Kassels erinnern an den schwersten Tag, den diese Stadt je erlebt hat. Heute vor 20 Jahren. In der Nacht vom 22. zum 23. Oktober 1943 wurde Kassel das Opfer eines riesigen Flammenmeeres. Wer von den Menschen, die heute durch das wiederaufgebaute Kassel gehen, hat diese Nacht erlebt. Und wer von ihnen hat jene alte Stadt gekannt, die in dieser einzigen Nacht total zerstört wurde.
Diese wundenfähige Kunst, diese Kunst, die sich quasi dem Baum so zuwenden kann wie zu einer Kreatur und die den Baum im Grunde versuchen will, mit dem Stein in einen organischen Zusammenhang zu bringen. Diese Mythologie, die Beuys mitbringt, ist eine Mythologie des Nachkriegs.
Und mich wundert das nicht, dass das in Kassel so eine große Bedeutung gehabt hat. Vielleicht ist dieses Heilen durch Wundwerden, das ist das, was Beuys Kassel gezeigt hat. Und das kann man sagen, Kassel hat das angenommen. Wunden. Die hatte die Finanzkrise von 2007, 2008 auch bei den Athena-Institutionen der Kunst und der Wissenschaft hinterlassen.
Das erfuhr die hessische Landtagsdelegation auf ihrer Informationsreise während der Documenta 14 in Athen. So war das EMST, das Nationalmuseum für zeitgenössische Kunst, in der griechischen Hauptstadt nach der beinahe Staatspleite längere Zeit wegen Geldmangels geschlossen worden. Erst die Documenta im Jahr 2017 sorgte dafür, dass das Museum wieder geöffnet werden konnte.
Boris Rhein, der heutige hessische Ministerpräsident und damaliger Kunstminister in Wiesbaden, zollte Beifall. Adam Cimcik hat etwas ganz Großartiges gemacht. Er hat ein Museum, was hergestellt worden ist, wiederbelebbar gemacht. Und auch das zeigt, wie wertvoll das Konzept von Cimcik gewesen ist, was ein Trauerspiel, dass ein solches Haus einfach nicht bespielt wird.
Und insoweit kann man sich eigentlich darüber nur freuen. Wir fühlen uns nicht als Stifter, vielleicht als Gesamtermöglicher mit vielen, vielen Partnern zusammen. Doch die Subventionierung von Athener Kunstinstitutionen mit Geldern aus Hessen und vom Bund hatte ein politisches Nachspiel. Denn der Finanzplan der Documenta 14 geriet nicht zuletzt wegen der beiden Spielorte der Weltkunstausstellung aus den Fugen.
Der Gesamtetat von rund 37 Millionen Euro wurde um 7 Millionen Euro überzogen. Das Land Hessen und die Stadt Kassel mussten zusätzlich finanzielle Unterstützung leisten.
Im Athena-Reisebus nahm Boris Rhein, CDU, 2017 auch zu dieser Finanzlücke Stellung. Ach Gott, wir haben es immer hinbekommen, die Dokumente ordentlich auszustatten. Das werden wir auch in Zukunft hinbekommen. Bei dieser Dokumente war es in der Tat so, dass es sich ab einem bestimmten Zeitpunkt gezeigt hat, wir brauchen mehr Geld, die künstlerische Leitung braucht mehr Geld.
Adam Cimcik hat das substanziell unterlegt und am Ende haben die, die die Dokumenta tragen, das Land Hessen, die Kulturstiftung des Bundes und die Stadt Kassel selbst, das dann auch möglich gemacht. Und ich glaube, wenn es dafür Gründe gibt, gute Gründe gibt, dann wird die Politik dem auch immer folgen. Ich sehe die Dokumenta in meiner Seele, in meinem Herzen. Kassel und Dokumenta ist für mich eins. Währenddessen ist Kassel für mich immer eine Weltstadt.
Internationales Publikum, ganz anderer Austausch, schöne Atmosphäre, finde ich toll. Dieses Video der Stadt Kassel aus dem vergangenen Jahr feiert ein Jubiläum. Auf den Ortsschildern der Stadt steht nun seit einem Vierteljahrhundert Dokumentarstadt Kassel. Nach der Dokumentar 3 im Jahr 1964 hatte ein bis heute nicht nur in Hessen prominenter Mann den Standort Kassel noch infrage gestellt.
Der damalige hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Um die Kunstausstellung Documenta, die in den Jahren 1955, 1959 und 1964 den Namen der Stadt Kassel in der internationalen Kunstwelt bekannt gemacht hat, ist eine Auseinandersetzung entbrannt.
Die Documenta, die im Fridericianum, in der alten Gemäldegalerie und in der Orangerie in Kassel alle vier Jahre ein Mekka der modernen Kunst errichtete, soll nach einem Vorschlag des hessischen Generalstaatsanwaltes Dr. Fritz Bauer nach Frankfurt übersiedeln. Dr. Bauer begründete heute seinen Vorschlag so. Der Vorsitzende des Documenta-Rates, Prof. Adolf Bode aus Kassel, meint, wie ich soeben der Zeitung entnehme,
Die Stadt Frankfurt solle der Sitz eines Kunststrades werden, in dem ein umfassendes Archiv anzugliedern sei und der in Zukunft nicht nur die Documenta, sondern viele Ausstellungen dieser Art in der Bundesrepublik zusammenstellen und steuern solle. Ich glaube, wir sollten einen Schritt weiter tun und sollten gleichzeitig die Documenta von Kassel an den Main holen. Was ich sage, ist allerdings meine private Auffassung.
Ich weiß, dass die zuständigen Stellen in Wiesbaden sich noch nicht mit dieser Frage befasst haben. Nichts von dem, was ich hier meine, kann und darf als Kritik Kassels verstanden oder missverstanden werden. Die Stadt Kassel hat Großes, hat Ungeheures für die Dokumenta getan und verdient das Lob von uns allen. Aber Frankfurt liegt in der Mitte der Bundesrepublik.
Frankfurt liegt in der Mitte Europas. Nicht ohne Grund wurden hier die deutschen Kaiser gegründet und seit Jahrhunderten finden hier die Messen Deutschlands statt. Hier kreuzen sich auch die Autobahnen Europas und die Amerikaner haben auf ihr Schild geschrieben Frankfurt, Gateway to Europe, Frankfurt, das Tor Europas.
Ich glaube auch zu wissen, dass die großen Kunsthändler Europas und Amerikas um die Bedeutung der Stadt Frankfurt wissen. Sie suchen einen Mittelpunkt. Banken, Versicherungen und Industrie sitzen in Frankfurt und kennen ihre mezenatische Aufgabe. Bedeutende Werke der Kunst, zum Beispiel der Plastik, können dann hier in Frankfurt leichter als in Kassel aufgekauft werden und zum Schmucke der Stadt Frankfurt dienen.
Ich glaube, Kunst ist nicht la pour la. Kunst ist nicht um der Kunst willen, sondern um der Menschen willen. Und je größer der Kreis derer, die die Kunst sehen, insbesondere die, die moderne Kunst sehen, insbesondere unserer jungen Menschen, umso besser. Und deswegen glaube ich,
Wir sollten dem Gedanke näher treten, Documenta in Frankfurt zu halten. Und das war meine bescheidene Idee. Eine Idee, die bekanntlich nicht aufgegriffen wurde. Sehr zur Erleichterung mancher Einwohnerinnen und Einwohner Kassels. Ja, ohne die Documenta ist Kassel schon echt langweilig. Also nee, es ist total schön grün, aber es fehlt schon ein bisschen was. Musik
Kunstwerke? Wir haben da Kunstwerke. Die wirkt definitiv weiter, vor allem bei jungen Leuten. Ich denke, da machen auch neue Sachen auf, teilweise Clubs oder Treffpunkte. Mal Miesdokumenta an den Ortsschildern und in den Gulli-Hildschildern. Musik
Also wir können ein bisschen sagen, die Stadt, da gibt es generationelle Wellen. Wenn man sich so anschaut, wer besonders für die Stadt eintritt, für die Dokumente eintritt in der Stadt, das sind oft Leute, die nicht in Kassel geboren sind, sondern das sind Zuwanderer aus Kassel. Da spielt die Universität eine gewisse Rolle. Die Universität ist der weitaus stärkste Arbeitgeber hier in der Region.
und hat natürlich auch Leute angezogen, die andere Interessen an Kassel haben, die auch ein kulturelles Interesse an Kassel haben. Man kann glaube ich sagen, dass mit den unterschiedlichen Dokumenterausstellungen auch unterschiedliche Generationen von Zuwanderern, nicht aus anderen Ländern, sondern vielleicht auch aus Deutschland, in dieser Stadt heimisch geworden sind.
Ich will darauf hinaus, dass die Dokumente auch eine Art und Weise ist für Leute, die in die Stadt gekommen sind, ein Gefühl von Heimat, des Heimischseins, zu sagen, es ist unsere Stadt. Wir haben uns daran beteiligt, wir verteidigen diese Geschichte der Stadt.
auch gegen, was weiß ich, einfache populistische Strömung, die es in der Stadt gibt. Also da wird die Documenta auch zu einer Art von symbolischem Einsatz über die Definition der Stadt. Ein Lieblingskunstwerk.
Ich finde diese Spitzhacke ganz spannend. Dieses Boot. Waren die Pferdehintern auch von der Documenta? Nein. Aber die fand ich gut. Sind wir eine Documenta-Stadt, wie es überall heißt, man könnte da, es gibt Leute, die das auch in der Wissenschaft jetzt ganz hochspurig nennen, das ist auch ein Dominierungsanspruch.
Man nennt das dann Hegemonialitätsformel. Also wieso documenta, was die Vielfältigkeit der Stadt, die proletarische Seite der Stadt. Wenn Sie in die Oststadt schauen, die ist nach wie vor ein abgeschlagener Teil von Kassel. Wenn Sie in die Nordstadt schauen, da ist es immer noch eine Zentrierung von Zuwanderung, vor allen Dingen proletarische Arbeitszuwanderung. Drehen Sie sich bitte mal um. Sehen Sie das Tor dort?
Den Bilderrahmen. Den Bilderrahmen, das ist auch Documenta. Am meisten gefallen mir immer noch die Bäume, die damals gepflanzt worden sind, weil es halt auch einfach ein bisschen was ist, was es der Natur zurückgibt. Als Josef Beuys am 16. März 1982 symbolisch an die Spitze eines keilförmigen Haufens von Basaltsteinen vor dem Fredericianum die erste Eiche pflanzte, beschimpften ihn Kasseler Bürger als Scharlatan.
Ein WDR-Reporter fragte den Künstler damals, ob ihn die Ablehnung verwundern würde. Nein, das hat mich nicht verwundert, denn sogar so eine vernünftige Sache wie das Pflanzen von Bäumen hat ja Proteste ausgelöst hier in Kassel. Also wenn die Kunst an die Menschen herankommt heutzutage, vor allem mit ihren erneuernden Vorstellungen, dann haben schon Menschen ihre Schwierigkeiten oftmals damit verursacht.
Das war mir immer klar. Da handelt es sich tatsächlich um Begriffs- und Bewusstseinserweiterung. Beuys hatte eine andere Idee, sagt der ehemalige Dokumentarmacher Rudolf Zwirner. Es war jetzt nicht mehr das Kunstwerk, nicht mehr so wie Serra oder Morris, sondern es war eine Idee, das Sehen zu
und erfahren von Kunst eine soziale Idee, wie man sich zum Warmen, zum Guten, zum Menschenlichen, also das war eigentlich steinersche Gedanken und sehr stark, wenn man so will, auch romantische Gedanken. Romantische Gedanken, die nicht rein formal vom Kubismus aus gedacht werden, sondern von der Wirkung, die ein Kunstwerk auf Menschen auslösen kann. Ja,
Ja, natürlich hat es auch Leute gegeben, die alles für Unsinn gehalten haben und so weiter. Aber das unglaublich Einnehmende an Beuys war ja, dass er erst mal positiv auf alles reagiert hat. Der hat auch irgendwie geschimpft, aber man konnte es ihm irgendwie nicht so übel nehmen. Er hat irgendwie darauf vertraut, dass ein Lehrer Effekte erzielt, die der Lehrer gar nicht mehr übersehen kann. Und deshalb soll er mal ruhig weiter Lehrer sein. Und Vertrauen zur Welt in gewisser Weise, bei aller Depression, die natürlich da auch drin steckt,
Und hat sicherlich auch in Kassel wiederum, war das auch eine Figur, an der sich die Leute gerieben haben, aber auch das war natürlich gut für Kassel, weil dann wiederum die gesagt haben, ja wir wollen das aber jetzt, wir wollen das aber durchstehen.
Und die Eingemeindung von Beuys war dann doch auch eine sich Aneignung dieser Energie von Beuys für Kassel, das dann Ai Weiwei später auch nochmal wieder gemacht hat, sehr geliebt in der Stadt dann gewesen ist. Also auch nochmal wieder so eine Figur, die dann wiederum nicht aus dem europäischen Kontext, sondern ganz woanders her, man würde heute sagen aus dem globalen Süden auftaucht,
und hier schon sehr früh einen Siegeszug eigentlich gefeiert hat in Kassel. Ich fand die Idee ganz toll, diese ganzen Bäume hier in diese tote Stadt zu pflanzen. Wir haben unserem Patenkind zur Geburt tatsächlich eine gekauft und die steht auch noch in der Friedrich-Ebert-Straße und wir schauen immer, ob sie wächst und gedeiht und das tut sie. Und dieses Thema, dass Kunst der Stadt ihre innere Bedeutung wiedergeben kann,
Und dass das an einem Ort passiert, der nicht hauptstädtischen Charakter hat, sondern quasi an der Zonengrenze sich rumdrückt. Und von dieser Idee, also auch an der Systemgrenze sich zu befinden, daraus wieder Honig zu ziehen.
Das ist ja auch eine Idee gewesen, da Honig draus zu ziehen. Und das ist etwas, glaube ich, das für diese Stadt von großer Bedeutung war und ist. Heute ist ja Kassel eine Stadt, die im Ranking der Städte relativ hoch gekommen ist, weil man relativ gute Schulen hier hat, relativ gute Versorgungsstrukturen für kleine Kinder.
Aber eben auch dieses Surplus der Documenta, das so ein Bedeutungsreservoir im Hintergrund ist, was dann angeblich die neuen Champions der postindustriellen Wertschöpfung anziehen soll, tut
Er tut es in gewisser Weise auch. Und das ist, wenn man so will, für Kassel ein Glück gewesen am Ende und ist wieder ein Glück. Das blüht gerade wieder auf. Deshalb sind die Leute auch so richtig getroffen, wenn mit der Documenta irgendwas nicht so wahnsinnig gut funktioniert. Vor der Documenta IV in Kassel im Jahr 1968 funktioniert zum Beispiel der deutsche Kunstmarkt für die deutschen Nachkriegs-Avantgarde-Künstlerinnen und Künstler nicht.
Weder für Konrad Klapek, der bei der Documenta 3 vertreten war, noch für Sigmar Polke oder Gerhard Richter. Daran erinnert sich der Kunsthändler Rudolf Zwirner, der Geschäftsführer der Documenta 2. 67 ist wieder ein Schlüsseljahr aus Sicht des Kommerz. Es war mit den Dingen, die ich zeigte, für mich wichtig.
Es ist sehr schwer, weil was ging, war Ecole de Paris noch immer in den 60er Jahren. Aber Klappe kaufte keiner, Polke kaufte keiner, Richte kaufte keiner. Also die ganzen Künstler, die ich aus Deutschland und die Amerikaner sowieso gar nicht, außer Wolfgang Hahn und noch zwei anderen Sammlern, gar nicht. Dummerweise wurde das Zeug aber immer teurer, weil der internationale Markt das aufsaugte.
Und Ludwig war noch nicht dabei. Das ändert sich jedoch bereits ein Jahr später, weiß Heinz Bude, der Leiter des Documenta-Instituts. Ich weiß das deshalb so gut, weil ich mich auch meine Zeit lang mit Peter Ludwig beschäftigt habe, einem deutschen Sammler, nachdem dann das Museum Ludwig entstanden ist in Köln, der die, glaube ich, größte Pop-Art-Sammlung aufgebaut hat außerhalb der USA.
Durch den Einstieg von Peter Ludwig veränderte sich die Marktlage sehr schnell. Dann kam noch ein anderes Ereignis, 68, was extrem wichtig wurde. Ströer hatte gekauft die andere große Popsammlung über Dahlem und die kam 68 auf den Markt und landete bei Ströer und wurde dann da. Dann war 68 die Documenta wieder. 68 war ein Schlüsseljahr
Und es begann ein richtiger Kunstmarkt. Bob Art richtig. So eine Art von Veränderung von Weltgefühl, was in der Kunst dann eine Rolle spielt. Dass der Alltag selber...
ein überraschendes Feld von Geschenken, von Lustgefühl, von Expansion hat. Also die Konsumwelt etwas, also quasi die Entdeckung des Konsums auch Konsum als ein Feld der Befreiung. Oder als ein Feld des wahren Fetischismus.
Mit dem Konsum ging die Kritik am Konsum und der möglicherweise systemstabilisierenden Rolle von Kunst im Kapitalismus einher. Die internationale Studentenbewegung mischt sich allerdings in die Biennale von Venedig mehr ein als in die gleichzeitig stattfindende Documenta in Kassel.
Du bist Student. Die deutsche Studentin. Wir waren die deutsche Studentin. Aber ich finde eins, warum? Das ist eine Gesellschaft hier. Ich finde es sehr gut, wenn man geistig sich manifestiert. Nur, ich finde es nicht gut, wenn man sich geistig damit manifestiert, wo schon eine Gesellschaft ist, man soll eine neue machen.
Na ja, aber die Gründung der Neugesellschaft ist ein geistliches Revolution. Aber man kann ja nie auf einem Loko sitzen, wo die anderen schon drauf gesetzt haben. Warum nicht? Das machen die Künstler hier auch. Und das ist aber ganz interessant, das an den Dokumenta sozusagen nachzubuchstabieren, wie quasi das informell aussieht.
wie diese Idee einer europäischen Moderne. Also ich glaube zum Beispiel, dass Ney in seinem Spätwerk sich in der Farblichkeit im Grunde Warhol angenähert hat. Und das ist ganz schön, dass man das an der Documenta verfolgen kann, dass die quasi dann nicht anders kann, als sich diesem zu öffnen. Es ging dann weiter, bis es dann in den 70er Jahren mit der Ölkrise schwieriger wurde.
Aber es waren immer noch sehr kreative Jahre. Es gab keine neuen Richtungen mehr. Aber es wurde eben richtig internationalisiert. Der Kunstmarkt geht weiter und größer und größer. Und nun passiert ein Wechsel. Durch den Kunstmarkt 1968 wird auf einmal das Auktionshaus aufmerksam. Und kommen und sehen, dass neben den Auktionen
Sotheby's, Christie's und auch Philips war noch nicht da, aber auch viele. Man kann Geschäfte machen mit Kunst. Und nun kommt diese Phase, die noch nicht beendet ist, dass Investoren ins Geschäft kommen, die Kunst als Investment betrachten und damit verändert sich der Kunstmarkt. Die Kritik an einem Kunstmarkt, der von Investoren beherrscht wird, begleitet seitdem die Dokumenterausstellungen in Kassel.
Immer wieder greifen auch Kuratoren und Künstlerinnen das Thema der Kommerzialisierung der Kunst kritisch auf. Radikal. Und die Epoche ist noch nicht beendet. Da sind wir noch immer drin. Was sich verändert hat, ist die Kommunikationsmöglichkeiten. Es kamen dann
Faxgeräte, die die Sache für Geschwindigkeit holen. Und jetzt wissen wir, dass wir jetzt in einer digitalisierten Welt sind, in einer virtuellen digitalisierten Welt, in der die Kunst sich noch mal radikal verändert.
Es gab auch mal so ein Projekt, da konnte man sich so einen Meter kaufen. Ich glaube, meine Eltern haben das gemacht. Und jetzt sage ich immer, mir gehört ein Meter Laser. Das finde ich irgendwie witzig. Mir fällt schon auf, dass die Leute zum Beispiel ihre Rucksäcke tragen. Also die vorletzte Dokumenta hatte diese schönen Eulenrucksäcke. Und das wird getragen. Das sehe ich oft. Und das finde ich toll. Ich finde es einfach gut, dass man das macht. Man ein Schild aufstellt und einfach mal sagt, hier, wir sind die Stadt der Kunst.
Wobei man sofort hinzufügen muss, dass das eigentlich die neue Situation Kassels ist. Es gibt ein zweites Zentrum in Kassel seit zehn Jahren, nämlich das der Bergbrück. Der ist...
Weltkulturerbe, zieht sehr viele Menschen an. Am Ende sogar, wenn man summiert, vielleicht sogar mehr Menschen als die Dokumenter pro Jahr. In erheblichem Umfang hat das Attraktivität gewonnen und es ist ein Attraktivitätskern, ein Bedeutungskern der Stadt.
der für, das kann man wahrscheinlich doch sagen, für mehr Schichten von relevante soziale Schichten als die Documenta. Es gibt natürlich auch viele Leute in Kassel, an denen geht die Documenta auch vorbei. Das muss man ehrlicherweise sagen. Im Werbefilm der Stadt zum 25. Jubiläum des Zusatzes Documenta-Stadt auf den gelben Ortsschildern Kassels schlägt der grüne Oberbürgermeister Sven Schöller selbstverständlich andere Töne an. Ja!
Wir sind ja jetzt seit 25 Jahren Dokumentarstadt und das zeigt, dass die Dokumentar ein Teil der Identität unserer Stadt ist. Und sie ist immer präsent, wie beispielsweise hier durch den Penonebaum, der ja ein besonders beliebtes Außenkunstwerk der Kasseler Bevölkerung ist. Deswegen steht er hier fest auf dem Boden der Karlsauer, genauso fest wie die Dokumentar zu Kassel gehört.
Der Künstler Giuseppe Pennone schuf für die Documenta 12 aus Bronze einen Baum, in dessen Krone ein großer Gesteinsbrocken von kahlen Ästen festgehalten wird. Vom Klimawandel geschädigte natürliche Baumkronen würden einen solchen schweren Stein nicht sehr lange tragen können.
Die Idee, den aktuellen Leerstand vieler Kasseler Geschäfte ganz in der Nähe der Documenta-Ausstellungsflächen mit Kunstprojekten zu füllen, kritisiert der Soziologe Heinz Bude, der Leiter des Documenta-Instituts. Diese Idee gibt es in der Stadt, die ist aber gefährlich, weil im Grunde man kann jetzt die Innenstädte nicht von Verkaufsflächen in Kulturflächen verwandeln. So einfach ist es nicht.
Die Innenstädte müssen eine Aufenthaltsqualität für sich haben. Und es ist eine gefährliche Geschichte zu sagen, ja, ich sage es mal etwas übertrieben, das klastern wir jetzt alles mit Kultur zu.
Und dann werden die Leute sich wohler fühlen. Das glaube ich, so wird das nicht sein. Es ist ein interessantes Forschungsprogramm, das wir auch vom Documenta-Institut etwas verfolgen, wie sich die Idee des städtischen im Zuge der Documenta-Entwicklung, der unterschiedlichen Documenta-Ausstellung in Kassel entwickelt hat.
was einhergeht mit dieser Durchmischung durch Menschen, wie man früher sagte, aus aller Herren- und Frauenländer, Damenländer, also die jetzt in die Stadt kommen. Und Kassel selber ist in sich ein Nukleus von Globalität geworden. Wir vergessen im Augenblick in Deutschland auch immer ein bisschen, dass wir ja auch eine Globalisierung von innen haben.
Und nicht nur eine, die von außen auf uns zukommt und der wir uns irgendwie gewappnet zeigen müssen oder so irgend so etwas, sondern die ist auch von innen da. Und das ist auch Kassel. Dokumenta und Kassel ist für mich eins. Und die Dokumenta gehört zu Kassel. Die Hude ist ein Kassler. Also ich freue mich schon wieder auf die nächste Dokumenta.
Ich werde diesen Sommer in Kassel gehen. Kündigte im März bei einem Kurzbesuch in Kassel Naomi Beckwith an, die US-amerikanische Leiterin der Documenta 16, die im Jahr 2027 stattfinden soll. Ich freue mich sehr darauf, hier eine Wohnung zu finden. Ich suche einen Flur, wenn jemand einen hat.
Ich freue mich also sehr darauf, hierher zu ziehen. Ich bin auf der Suche nach einer Wohnung, falls jemand eine hat.
Die ersten Eindrücke in Kassel seien für sie erleichternd gewesen, so Naomi Beckwith, die aus Chicago stammt und zuletzt am Guggenheim Museum in New York als Ausstellungsmacherin arbeitete.
Denn sie habe befürchtet, dass der Antisemitismus-Skandal der Documenta 15 geradezu ein documentafeindliches Umfeld hervorgebracht habe.
gab sie im März 2025 vor rund 700 Kasseler Bürgerinnen und Bürgern zu, als sie sich vorstellte. Ich hatte mir eigentlich Sorgen gemacht, dass das Umfeld der Documenta gegenüber feindselig geworden sein könnte,
Aber ich habe buchstäblich nichts anderes als herzliche Unterstützung von allen hier erlebt. Und es ist sehr, sehr deutlich, dass dieser Stadt die Documenta am Herzen liegt.
Und ich möchte dieses Gefühl der Anteilnahme würdigen. Euch liegt die Documenta als Institution am Herzen, nicht nur von Ausgabe zu Ausgabe. Aber ihr wisst, dass es eure kollektive Verantwortung als Stadt ist, eine Dynamik zu sehen und die Welt hier willkommen zu heißen.
Und die Positionierung der Documenta, die muss sich jetzt in dem nochmal neu positionieren. Ich finde, sie darf sich nicht einfach für eine Belebung der Innenstädte in Funktion setzen lassen und sie darf sich auch nicht zu einer Art von
dieser auch zum Teil anstrengenden Multiplität, Diversität, Heterogenität in Anspruch nehmen lassen. Das ist eigentlich ziemlich anspruchsvoll für die Kunst, sich in einem solchen Feld zu positionieren. Also können die einfach noch unter diesem Titel Documenta statt erfasst werden? Ich finde, das ist alles gut so, weil die Documenta auch den Effekt hat,
dass es die Selbstbefragung dieser Stadt in Gang hält. Was ja eigentlich ganz schön ist, weil dann eine Stadt sich im Modus der Selbstbefragung auch entwickeln kann und auch so etwas wie ansprüchliche Ideen der Zugehörigkeit entwickeln kann. Zugehörigkeit zur Documenta. Die war für jüdische Künstlerinnen und Künstler nicht immer selbstverständlich. Antisemitismus.
Den gab es nicht nur bei der letzten Documenta, der Documenta 15. Das ist das Thema des dritten Teils dieser langen Nacht zu 70 Jahren Documenta. Musik
Ich bin seit meinem 25. Lebensjahr zur Documenta gefahren, diesmal nicht. Olaf Scholz ist noch Bundeskanzler, als er Anfang 2025 bei einer Veranstaltung in Frankfurt am Main über seinen Umgang mit dem Antisemitismus-Skandal bei der Documenta 15 im Jahr 2022 berichtet. Das habe ich nicht groß rausgehängt, weil das aus meiner Sicht amtsbezogen etwas unangemessen war, aber auch nicht geheim gehalten ist.
Aber für mich war das schon etwas sehr Bedrückendes, weil, das will ich sagen, zu der persönlichen Geschichte meiner Frau und mir gehört eigentlich, dass wir das seitdem immer machen. Über viele, viele Jahre, alle Male wieder. Und deshalb war es schon etwas Besonderes. Ich war auch wirklich angefasst. Angefasst war nicht nur der damalige Bundeskanzler vom riesigen Open-Air-Bild der indonesischen Gruppe Taring Padi.
Die Darstellungen israelischer Soldaten mit Hakenkreuzen oder eines orthodoxen Juden mit Reißzähnen schockierten viele bisherige Freundinnen und Freunde der Documenta. Das antisemitische Werk wurde abgehängt. Doch die Wogen glätteten sich nicht. Es gehört zu den Fähigkeiten demokratischer Kulturpolitik, dass wir aushalten, dass wir die Kultur verändern,
die wir finanzieren, ermöglichen, nicht selber gut finden müssen. Dass wir übrigens auch aushalten müssen, dass wir in hochfinanzierten Kulturveranstaltungen kritisiert werden. Aber es gibt trotzdem, wenn man diese Haltung hat, dann doch Punkte, wo man sagen kann, das akzeptiere ich nicht. Das darf man dann auch aushalten. Das wird ja Diskussionen darum geben. Aber es kann solche Entscheidungen geben. Das wäre eine...
die ich richtig gefunden hätte zu sagen, vorher schon, bevor es andere gemerkt hätten, dieses Bild kommt hier nicht hin. Und das finde ich ist auch etwas, wo man nicht drum rum reden sollte. Drum rum geredet um den unleugbaren Antisemitismus in der Bildsprache der Künstlergruppe Taringpadi wurde in der Tat viel im Jahr 2022.
Vor allem von der damaligen Documenta-Geschäftsführung oder von den Macherinnen und Machern der Documenta 15, dem indonesischen Kunstkollektiv Ruang Rupa. Das Hauptargument der linken postkolonialen Kuratorinnen und Kuratoren aus Asien zur Verteidigung ihrer Auswahl, man habe zu wenig von den speziellen deutschen Befindlichkeiten zum Thema Antisemitismus gewusst.
Kurz bevor der Antisemitismus-Skandal des Jahres 2022 die Documenta 15 erschütterte, war auch Werner Haftmann in den kritischen Blick von NS-Forscherinnen und Forschern geraten. Schwere Vorwürfe gegen den inhaltlich maßgeblichen Macher der ersten drei Documenta-Ausgaben wurden öffentlich. Haftmann soll während des Zweiten Weltkrieges an deutschen Kriegsverbrechen gegen Partisanen in Italien beteiligt gewesen sein.
Der italienische Historiker Carlo Gentile entdeckte vor wenigen Jahren in Archiven belastendes Material dazu.
Demnach habe Werner Haftmann als deutscher Partisanenjäger der sogenannten Abwehr 1944 bei der Folterung und Ermordung eines verhafteten serbischen Partisanen mitgewirkt. Das Angebot des Partisanen zu kollaborieren wird abgeschlagen, wird nicht angenommen und sie vermuten, dass er lügt.
Und daher foltern ihn, schlagen ihn, bis er dann weitere Angaben macht und sie mit seinen Antworten zufrieden sind. Also so stelle ich es mir fort. Dieses Dokument trägt zwei Namen darunter, der eines Unteroffizier der Geheimen Feldpolizei,
Ludewig heißt er und der Name Dr. Hoffmann, Sonderführer Z. Was wir noch wissen ist, dass dieser junge Serbe, der vernommen worden ist, wird zusammen mit einem älteren Italiener, einem Bauer, etwa 50 Jahre alt, dann zwei, drei Tage später in der Nähe von Volterra erschossen. Musik
Im Sommer 1944 finden in Italien zeitgleich verstärkt deutsche Erschießungen kommunistischer Partisanen statt, so Carlo Gentile. Ob Werner Haffmann tatsächlich etwas damit zu tun hat, das wird in Italien gesagt. Aber ich habe da meine Zweifel. Aber ich gehe davon aus, dass er davon wusste als Abwehrmitarbeiter, was dort passierte. Natürlich war der Nazi verletzt.
Sagt Heinz Bude, der Leiter des Documenta-Instituts in Kassel. Der ist in einem Zeitpunkt in die SA eingetreten, wo man nicht hätte da eintreten müssen. Und das weiß man damals, dass die SA in Berlin auch in den Truppe, die er zu einem bestimmten Zeitpunkt eingetreten ist, nämlich 1933, das war ein Schläger-Trupp, ein intellektueller Schläger-Trupp. Und da war der mit dabei. Ich glaube, der hat auch zugeschlagen.
Das ist übrigens ganz anders, wenn man 1938, es spielt wirklich dieser Zeitpunkt eine große Rolle. Ja, Haftmann war mit Sicherheit ein extrem begabter, talentierter, unglaublich gebildeter Kunsthistoriker, der ein bedeutendes Buch geschrieben hatte als junger Mann.
Er war auch der Jüngste im Team dieser Documenta. Und ich glaube, diese rhetorische Begabung zieht sich durch.
Und führt auch dazu, dass er mit dieser Art und Weise, wie er Kunstgeschichte schreibt, glaube ich, so lange durchgekommen ist. Also es ist ja erstaunlich, dass wir ihm jetzt erst auf die Schliche kommen und dass vielleicht jetzt erst auch bestimmte Bücher von ihm genauer gelesen werden. Und vielleicht nicht zuletzt, Haftmann war im Nationalsozialismus eingesetzt für Gegenspionage,
Und vielleicht diese Qualitäten, die er hat, praktisch so spinndoktorhaft bestimmte Sachen in Gang zu setzen und zu durchschauen und genau zu wissen, was will er machen, was soll gehört werden. Diese Eigenschaften haben ihm vielleicht sowohl in seiner Tätigkeit beim Geheimdienst im Nationalsozialismus als auch danach geholfen. Partisan.
Juden, die sich versteckten, wurden auch der Spionage verdächtigt und vor allem ausländische Juden. Carlo Gentile beschreibt bei einer Veranstaltung des Documenta-Archivs in Kassel, wie Werner Haftmann im Zweiten Weltkrieg in die Rolle des Partisanenjägers in Italien kam.
Er wurde beim örtlichen Wehrmachtsstab der Offizier, der für Spionage und Partisanenabwehr zuständig ist. Es handelte sich meistens um mitteleuropäischen Juden, die Deutsch sprachen. Die wurden auch gesucht. Das waren die Aufgaben, zumindest in den ersten paar Monaten seiner Tätigkeit hinter der Front. Der ist irgendwie durchgekommen. Es gibt da eine heftige Debatte darüber, ob er nicht auch
ein Gewalttäter gewesen ist, dann in Italien. Auch das glaube ich, dass es gewesen ist. Wie die meisten Wehrmachtsoffiziere schweigt Haftmann nach Kriegsende zu dem, was er in der NS-Zeit getan hat.
Carlo Gentile wundert das nicht. Da ist er eigentlich absolut normal und konform, wie sich die Gesellschaft in jenen Jahren verhalten hat. Also Schweigen über die eigene Vergangenheit, in den Wissen und sich darauf verlassen zu können, dass die ehemaligen Kameraden, die über einen Bescheid wussten, auch nichts gesagt haben.
Natürlich kenne ich Haftmann sehr genau. Natürlich war er mein Gesprächspartner und nur er. Rudolf Zwirner, der Geschäftsführer der Documenta II, zur NSDAP-Nähe der ersten Generation der Documenta-Verantwortlichen. Bis auf Bode hatten sie alle irgendwie Zugang zur Partei und Bode war als Künstler...
Völlig frei. Er war Sozialdemokrat vor Hitler und war dann auch nach Hitler wieder Sozialdemokrat. Und natürlich Fritz Winter auch. Aber die anderen Mitglieder waren alle Museumsdirektoren und waren alle in der Partei. Wenn man sagt, das ist etwa ein Kreis von 20 Leuten und sich das statistisch anschaut, 20, 21 Leute,
Dann waren zehn davon, also fast die Hälfte, vorher in SA, NSDAP oder SS. Julia Voss richtet den Blick noch einmal genauer auf die Gründungsgruppe der Documenta vor 70 Jahren. Also insofern haft man...
da in einem Schnitt, der sich durch die ganze Documenta-Gründung zieht und auch diejenigen, die nicht einer Organisation angehört haben, haben zum Teil, wie zum Beispiel Kurt Martin, im Nationalsozialismus, im Museumsbetrieb, große Karriere gemacht. Also insofern ist
ist Haftmann so gesehen gar keine Ausnahme. Deshalb sei es auch irreführend zu fragen, ob der Sozialdemokrat Arnold Bode über die Nazi-Vergangenheit seiner Mitstreiter bei der Gründung der Documenta vor 70 Jahren Bescheid gewusst habe oder nicht. Das betont Raphael Groß vom Deutschen Historischen Museum in Berlin. Wenn wir nämlich jetzt im Nachhinein uns überlegen, was wusste der über den...
und seinen Hintergrund. Dann blenden wir eigentlich alles, was wir wissen sollten, aus. Das Entscheidende ist ja nicht, was wusste Bode über eine Person, etwa Hoffmann, sondern das Entscheidende war, es war selbstverständlich, dass das Personal, was im Nationalsozialismus Kunstmuseen betrieben hat, kuratierte, wie man heute sagt, für Kunst zuständig war,
auch nach 1945 dafür zuständig war. Und Hoffmann ist nur eine von vielen solcher Persönlichkeiten. Und natürlich wusste das Bode, und natürlich wussten das alle, dass sie in einem Nachkriegsdeutschland sind, wo ein ganz großer Teil der Elite der 50er Jahre auch zur Elite der Jahre 1933 bis 1945 gehört haben.
Die Frage, was der Documenta-Ideengeber Arnold Bode über seinen zentralen Mitbegründer Werner Haftmann wusste oder nicht, führe deshalb in die Irre, so Raphael Groß. Er hält eine andere Frage für entscheidend. In welcher Weise hat diese Kontinuität auch die 50er, 60er, 70er und vielleicht bis in den Gegenwart gewirkt? Und wann kam es zu Brüchen?
Wo gab es Kontinuitäten, wo nicht? Wenn wir das so personalisieren und quasi sagen, ja, der muss das doch gewusst haben, wie konnte er? Dann haben wir, glaube ich, viel von der Zeit uns verstellt und von der Möglichkeit, ein Verständnis dafür zu kriegen. Die Frage war vielleicht eher, in welcher Weise hatte er Lust, hier etwas Neues zu machen?
und wie sehr spielt es für die in der Rolle was die Menschen mit denen er arbeitet gemacht haben oder nicht und dann können wir breiter schauen dann können wir sagen naja welche Netzwerke gab es jeweils und wie wichtig waren die etwa in der Kunst aber auch in der Justiz oder in vielen anderen Disziplinen und dann sehen wir dass eben diese Kontinuitäten die Netzwerke unglaublich stabil blieben
Klar ist jetzt, Werke jüdischer Künstler, die von den Nazis ermordet wurden, fehlten bei den ersten beiden Ausgaben der Documenta vor 70 Jahren. Obwohl sie zum Teil auf Vorschlagslisten bereits für die erste Ausstellung standen. Julia Voss. Zu der Frage lese ich vielleicht diesen einen Satz von Haftmann vor, der in seinem Buch Malerei im 20. Jahrhundert von 1954 steht. Und da schreibt er plötzlich...
Die moderne Kunst wurde als jüdische Erfindung zur Zersetzung des nordischen Geistes erklärt, obwohl nicht ein einziger der deutschen modernen Maler Jude war. Und das ist, glaube ich, in vielen Hinsichten ein ganz erstaunlicher Satz. Zum einen
Es ist klar, dass er die Moderne immer noch gegen Nationalsozialisten verteidigt. Also dass sein Gesprächspartner, die Augenhöhe, mit der er spricht, der Nationalsozialismus ist. Weil denen will er erklären, es waren keine Juden dabei. Also insofern muss man nichts gegen die Moderne haben. Und das andere ist natürlich das Herausschreiben der Juden und Jüdinnen aus der Moderne, die sich auch in der Documenta zeigt. Auf der Documenta werden jüdische Künstler gezeigt, wie zum Beispiel Marc Chagall, ist sehr groß vertreten.
Aber die Juden und Jüdinnen, die umgebracht worden sind im Nationalsozialismus, tauchen auch auf der Documenta nicht auf. Und zwar sowohl auf der Documenta I nicht und auch nicht auf der Documenta II. Sie habe sich folgende Frage gestellt, so Julia Fuss. Warum war es Haftmann so wichtig zu betonen, dass es keine Juden in der modernen Malerei gab?
Und warum werden sie auf der Documenta ausgeschlossen? Etwa Rudolf Lewy, der auf einer Vorschlagsliste für die Documenta I stand, aber nicht gezeigt wurde.
Während des Zweiten Weltkrieges hatten sich Haftmanns und Levis Wege in Florenz gekreuzt. Und diese Verbindung von Rudolf Levi und Haftmann ist deswegen so interessant, weil natürlich Rudolf Levis Biografie für Haftmann die gefährlichste war. Rudolf Levis Biografie ist die Biografie gewesen, wenn man sich mit ihr genauer befasst,
Wo man sich dann fragt, aha, Rudolf Lewy war im gleichen Gebäude im Palazzo Guadagni, in dem Haftmann lange war und später auch noch zu Besuch gekommen ist. Das heißt, wie in einem Puppenhaus waren diese beiden Männer teilweise zeitweise, wenn Haftmann wieder zu Besuch war, in einem Haus in Florenz.
Und die Biografien sind sehr unterschiedlich weitergegangen. Und ich glaube, deswegen erkundigt sich Haftmann nach Levi sehr früh, nach 1945, obwohl vielleicht unwahrscheinlich ist, dass er nicht wusste, was mit Levi passiert ist. Levi wurde umgebracht, nach Auschwitz gesendet und dort auf dem Transport ist er gestorben. Haftmann erkundigt sich nach ihm und vielleicht auch, um zu wissen, wie die anderen Künstler und Künstlerinnen dieses Kreises darüber denken.
Und ich glaube, das ist diese Spannung, die Haftmann begleitet, wenn er über Rudolf Lewy sprechen muss und wenn er über Rudolf Lewy schreibt. Weil natürlich die Frage ist, du hast ihn gekannt, ihr wart am gleichen Ort, was ist mit ihm geworden und wo warst du? Und das ist genau die Frage, die Haftmann bestimmt nicht beantworten wollte.
Ich weiß nicht so recht. Also Levi, um den es immer geht, das ist nicht so, als ob der nicht gezeigt wurde, wenn man sich genau anguckt. Es gab eine große Levi-Ausstellung, die auch durch Deutschland gezogen ist. Und es kann sein, ich will das nicht ausschließen, ich habe da keinen Beleg für,
Aber es gibt eine Diskussion in der Forschung darüber, dass Hoffmann gar nicht an die Sachen rangekommen ist, weil die alle sozusagen schon on tour waren. Und die, die ihm dann übrig blieben, die waren ihm nicht gut genug. Das ist in der Forschung im Augenblick umstritten, aber es gibt viele, die sagen, lass uns das mal so sehen, das ist interessant, dass er sozusagen ein Problem mit jüdischen Künstlern gehabt hat, die nicht abstrakt waren. Das ist eindeutig. Felix Nussbaum zum Beispiel.
Den hätte er nicht genommen. Und die Neusachlichkeit finden wir ja heute ganz groß, also ich jedenfalls, ganz großartig. Und da hat er nichts von gehalten. Und da spielt auch eine Rolle, dass er jedenfalls kein besonderes Interesse daran hat, den noch an Bedeutungsschub zu verleihen. Sagen wir es mal vorsichtig so.
Also wenn das Argument sein sollte, er konnte die Werke nicht ausstellen, die ganze Documenta, Documenta I, Documenta II, Documenta III macht Rückblicke und zeigt moderne Künstler. Also insofern...
Wenn das bei Documenta I nicht möglich gewesen wäre, was ich nicht glaube, weil natürlich er die Werke bekommen hätte, weil alle ihre Werke dort zeigen wollten und Levi war gestorben, aber seine Witwe hat sich um Ausstellungen gekümmert. Wenn er sie nicht zeigen konnte bei der Documenta I, gab es auch noch die Documenta II und es gab die Documenta III. Also Haftmann hat außerdem sehr viele andere Ausstellungen gemacht, wo er auch Levi nicht gezeigt hat. Also er hatte ganz viele Möglichkeiten.
Und das Irre ist, dass er 1986 eine Ausstellung macht, nochmal zur verfilmten Moderne. Dort zeigt er plötzlich Levi und dort sagt er plötzlich, dass dieser Maler fast zu Unrecht vergessen worden sei und dass wir seine Botschaft nicht vergessen dürfen. Und da fragt man sich, was ist da los? Warum hat Hoffmann seine Möglichkeiten nicht genutzt? Vorher, um diesen Maler in Erinnerung zu bringen,
Was da passiert ist, dass eine Doktorarbeit von Frau Tesing geschrieben worden ist. 1979 fängt sie an, das zu recherchieren. Und Haftmann, glaube ich, plötzlich merkt, dass dieser Levi nicht so vergessen ist und dann ihn wieder hervorholt. Aber die Vorstellung, dass Haftmann tatsächlich über Jahrzehnte nicht die Möglichkeit gehabt hätte, Levi auszustellen, ist ganz an den Möglichkeiten des Kunstbetriebs vorbei und an Haftmanns Möglichkeiten. Der war Nationalgalerie-Direktor.
Das Interessante von der Äußerung von Herrn Bude scheint mir, dass er natürlich wie...
So in einer Verteidigungslinie redet, die wahrscheinlich Haftmann selber so bedient hätte. Und da hat man das Gefühl, das ist eigentlich eher diskursgeschichtlich interessant, wie da diese Kontinuitäten kreiert und quasi fortgesetzt werden und wie viele Widerstände doch auch ausgelöst werden.
wenn man Persönlichkeiten wie Hoffmann oder Karl Schmitt oder Martin Heidegger dann plötzlich zeigt, das ist eben doch sehr eindeutig, was die vor 1945 getan haben. Und dass es bis in die Gegenwart hinein immer wieder Wellen der Defensive gibt, wo man dann plötzlich das gehört, man fängt wieder 1945 an. Man ist wieder in den 50er-Jahren in diesen Diskussionen gelandet. Musik
Werner Haftmann war aktiver Nationalsozialist. Das ist eindeutig. Ob er Zeit seines Lebens Antisemit war? Umstritten, aber wahrscheinlich. Unumstritten ist allerdings wohl heute, dass ohne diese umstrittene Figur der Zeitgeschichte das wilde Ding von Kassel vor 70 Jahren nicht funktioniert hätte. Vielleicht auch nicht ohne Heinz Stünke im Hintergrund.
Der bekannte Galerist war in der NS-Zeit eine zentrale Figur der Hitlerjugend gewesen. Haftmann und Stünke seien für ihn als damaliger Geschäftsführer der Documenta II extrem wichtig gewesen, betont Rudolf Zwirner. Haftmann war ein Denker. Und der Einzige, der wirklich genau dachte, vielleicht weil er in der Partei so gefährlich war, wie Herr Stünke, das waren die Denker,
Was er alles da getrieben hat im Dritten Reich, haben wir alle nicht gewusst. Nur er war ein Denker und ein extrem fleißiger Mann. Er war der Einzige, mit dem ich richtig arbeiten konnte, der wirklich das dann umsetzte, was er ankündigte oder was ich oder wer immer wollte.
Der Einzige, der Ideen entwickelte, der wirklich raffiniert war. Doch diese Raffinesse setzt Werner Haftmann dafür ein, die NS-Zeit auszuklammern. Er habe in der Einleitung zum Katalog der ersten Documenta behauptet, das Ziel der Ausstellung sei, den internationalen Kontakt in breiter Form aufzunehmen und in ein lang unterbrochenes Gespräch sozusagen im eigenen Hause wieder einzutreten.
Sagt Julia Friedrich, Sammlungs- und Ausstellungsdirektorin des Jüdischen Museums Berlin, in einem Vortrag zur Dokumentargeschichte. Der Kulturbruch, den der Nationalsozialismus herbeigeführt hat, sei mit Haftmanns Ausstellungskonzept übertüncht worden. Diese Reduktion und Glättung der Moderne, die Behauptung ihrer Bruchlosigkeit, ist wohl selbst auf den Bruch zurückzuführen.
Der Nationalsozialismus wird den Kuratoren noch in den Knochen gesteckt haben, samt der Anpassungsleistungen, die er ihnen abverlangte und die sie erbracht haben. Rechnen mussten sie mit einem Publikum mit Kunstkritikern und Kunstwissenschaftlern vom Schlage eines Hans Sedlmayr, deren Maßstäbe denen der Nazis, die sie ihrerseits ja nicht erfunden hatten, sehr nah waren.
Das politisch Explosive in Nazi-Terminologie Zersetzende der Moderne, das die Nazis der Kunst doch nicht ganz ohne Grund angesehen hatten, wurde vielleicht auch deshalb von der Documenta ausgeschlossen. In dieser Hinsicht war die Kasseler Ausstellung der Münchner entarteten Kunst nicht allzu scharf entgegengesetzt.
Politisch Explosives, etwa Werke von Künstlerinnen und Künstlern, die in Auschwitz ermordet wurden, musste von Leuten wie Haftmann schon deswegen von der Documenta ausgeschlossen werden, weil es womöglich den Scheinwerfer auf die Documenta-Macher selbst gerichtet hätte, vermutet Julia Friedrich.
Es lassen sich also neben all dem auch ganz handfeste, nämlich persönliche Gründe finden, Brüche zu überdecken und Kontinuität zu behaupten.
Der Künstler und Schriftsteller Hans Platschek hat darauf schon in den 70er Jahren hingewiesen und etwa die Eröffnungsrede zu Dokumenta III, in der Haftmann den »freien schöpferischen Geist und eine Freiheit außerhalb nationaler, politischer, gesellschaftlicher Bindungen« beschwört, einen Zeitschriftenartikel von 1934 gegenübergestellt hat.
Hier dient der junge Haftmann der NS-Führung den Expressionismus an, mit ebenfalls zeitgemäßem, aber diesmal doch ganz anderem Vokabular. Die Kunst sei von, Zitat, »deutscher Art«, sie folge einer schicksalhaften Sendung, die ihrem Geist vom Blut und vom Raum eingelagert sei.
Das NS-Vokabular gehört längst nicht mehr zu seinem aktiven Wortschatz, als Werner Haftmann ein Filmteam des Hessischen Rundfunks 1964 durch einen Bereich der Documenta III führt, in dem er Handzeichnungen zusammengetragen hat.
Die Ausstellung, die wir hier aufgebaut haben, ist wohl das erste Mal und die größte Unternehmung, die für die Handzeichnung überhaupt je unternommen worden ist. Wir wollten diese Ausstellung ein bisschen in die Mitte von Dokumenten erstellen, um an diesem ja doch sehr leichten und lockeren Material noch einmal die ganze Entwicklung der modernen Kunst abzeichnen zu können.
mit diesen mit den großen Meistern die am Ende des 18 bis 19 Jahrhunderts also im letzten Jahrzehnt des 19 Jahrhunderts die neue Auffassung der Handzeichnung entwickelt haben es sind die Meister Cezanne, es ist Van Gogh
Vor der Dokumenta-Ausgabe 3 sieht sich der rhetorisch und kunstpolitisch anpassungsfähige Werner Haftmann mit den Forderungen der US-Amerikaner konfrontiert, in Kassel nun auch mehr abstrakte Künstlerinnen und Künstler aus Übersee zu präsentieren als bei den Dokumenta-Ausgaben 1 und 2.
Heinz Bude vom Documenta-Institut. Eigentlich war die Idee, dass Haftmann so eine verfolgt hat, die Vorstellung, dass es so etwas wie eine europäische Moderne gegeben hat. Sogar eine deutsche Moderne. Und dann haben irgendwelche Amerikaner gesagt, es muss auch ein bisschen amerikanische Kunst hier hin, weil es irgendwie auch ein bisschen auch natürlich immer noch die Kontrollwelt der Alliierten gab. Das darf man nicht vergessen. Da gab es auch ein bisschen Druck.
durchaus auch von Institutionen. Das war auch so ein Re-Education-Hintergrund, der dabei eine Rolle spielte. Der Schirmherr der ersten Dokumenta war Theodor Heuss, der Bundespräsident der damalige. Jemand, der sehr daran geglaubt hat, dass man mit Kunst praktisch die Menschen verbessern kann. Es gibt dieses berühmte Zitat von ihm, wo er sagt...
Vielleicht kann man mit Politik keine Kunst machen, aber mit Kunst Politik machen. Insofern gab es die Vorstellung, diese Demokratisierungsvorstellung, wenn man die Leute der richtigen Kunst aussetzt, dann werden sie in Auseinandersetzung damit toleranter, offener und so weiter.
Bode war derjenige, der es verstanden hat, praktisch den Köder dafür auszulegen und dieses Festival zu gestalten und eben allen Leuten in der ganzen Bundesrepublik das Gefühl zu geben, oh, da gehen wir hin. Und alle Fragen, die wir haben, können wir da auch stellen. Man darf nicht vergessen, es waren sehr viele Künstler, die sich auch mit den Besucherinnen und Besuchern auseinandergesetzt haben. Und dieser direkte Kontakt mit zeitgenössischen Künstlern auch war eine Besonderheit der Documenta für lange Zeit. Musik
Und auch dann, als es dann weiterging, als man sagte, wir können nicht mehr in Europa bleiben, wir müssen auch andere Formen des sich Feierns, des sich um Bedeutung Bemühens mit hineinnehmen. Wir müssen auch versuchen, vielleicht uns Klarheit darüber zu verschaffen, dass Kunst, die wir hier in Europa haben,
innerlich auf Diskurs angewiesen ist. Es gibt nicht den Diskurs um die Kunst, sondern der Diskurs ist in der Kunst. Dann auch diese Documenta X, die das nochmal ganz stark herausbringt, dass zwischen Kunst und Diskurs eigentlich kein Blatt passt, sondern das ist ein innerer Zusammenhang. Die Französin Catherine David leitete 1997 die Documenta X.
Sie lehnte ein Kulturkonzept der bloßen Unterhaltung ab und befürwortete politische Bildung als Auftrag der Kasseler Kunstveranstaltung. Der Documenta 10 geht es nicht um den Zustand der aktuellen Kunst, sondern um den aktuellen Zustand der Welt. Und diese soziologische Perspektive kommt von einer Französin, von Katharine David. Katharine David im Dauergespräch mit Philosophen, Künstlern, Theoretikern. 100 Tage, 100 Gäste ist das Motto.
Man kann Kunst nicht ohne Diskurs haben. Also diese Vorstellungen, die dann auch wieder einen Lerneffekt darstellen, weil auch Diskurse zu haben ist, sich an dem Gemurmel des Bemühens, um Bedeutung zu beteiligen. Und dann diese Idee damit auch auftaucht, dass Rezeption in der Documenta eigentlich eine Art von Teilhabe ist. Man schaut nicht nur...
Und ist ergriffen, sondern man wird zum Mittun aufgefordert. Man lernt das, was Umberto Eco dann das offene Kunstwerk genannt hat. Also das Gehen in der Kunst, dass derjenige, der die Kunst betrachtet, der mit der Kunst umgeht, Kunst eigentlich erst zur Kunst macht.
Und damit die Ausstellung selber eine große Fabrik des Kunstmachens ist, eine Fabrik der Bedeutung. Die Dokumenterausstellung waren Fabriken der Bedeutung. Und dass dies etwas ist, was uns immer wieder hinaustreibt in der Weltwahrnehmung und damit auch in der Vorstellung, dass wir in Europa nicht nur mit uns nicht nur allein sind, sondern dass auch wir sozusagen nur dann Europäer sind, wenn wir wissen, dass es auch Leute gibt, die nicht allein sind.
mit europäischen Kontexten hantieren. Also dann wissen wir ja eigentlich erst, dass wir Europäer sind. Doch die gemeinschaftliche Fabrikation von Bedeutung und die Idee des offenen Kunstwerks bei der Documenta in Kassel vor 70 Jahren hat einen entscheidenden Webfehler. Darauf besteht die Kunsthistorikerin Julia Friedrich.
Die erste Documenta 1955 kehrt mit dem Ausstellungsprogramm zur Vorkriegssituation zurück und klammert damit den Zivilisationsbruch des Nationalsozialismus aus. Walter Graskamp hat kürzlich der ersten Documenta einen Film gegenübergestellt, »Muriel von Alarèsnay«, gedreht um die Jahreswende 1962-63 in Boulogne-sur-Mer,
einer ebenfalls vom Krieg zerstörten und wiederaufgebauten Stadt. Der Film handelt von der Unmöglichkeit, zur Vorkriegszeit zurückzukehren. Und schon deshalb stellt er, wie Graskamp sagt, die Nachkriegssituation aufrichtiger dar als die Ausstellung in Kassel. Die Musik zum Film komponierte Hans-Werner Hänzel.
Die Hauptpersonen des Films haben die Schrecken des Zweiten Weltkriegs noch ebenso wenig verarbeitet wie die Stadt Boulogne-sur-Mer. René zeigt neben den frisch gefüllten Schaufenstern der Geschäfte immer wieder Einschussstellen auf Straßenschildern oder Häuserruinen. Im Krieg waren von beiden Seiten ganze Stadtteile in Schutt und Asche gelegt worden.
Das Erstaunliche ist, dass Resnais 1963 bereits zeigt, was in Kassel schiefgelaufen ist. Der Film zeigt nicht nur die Brüche, er zeigt, man kann fast sagen im wörtlichen Sinne, den Fugenkit, die zwischen den Brüchen hervorquellende Spachtelmasse, mit der diese Nachkriegsmoderne zusammengeklebt worden ist.
Die Gegenwart, jeder Gegenstand ist hier so falsch wie die Einrichtungsgegenstände in der Wohnung der Protagonistin, der elektrisch befeuerte Kamin, die alten Möbel, an denen Preisschilder baumeln. Und diese zusammengestückelte Moderne reißt Resnay brutal auseinander, mit einer geradezu verzweifelten Dialektik der Schnitte, die keinen Stein auf dem anderen lässt.
Montage ist hier Demontage falscher Wirklichkeit. Der Film ist auf YouTube, man kann sich den dort angucken. Es gab wohl keine Ausstellung, die Ähnliches geleistet hätte. Der Erwähnung wert ist allerdings eine, die zu Documenta in enger Beziehung steht. Die Mailänder Picasso-Ausstellung von 1953. Bode hat sie gesehen und später gesagt, dass sie ihn bei der Gestaltung der Documenta beeinflusst habe. Die Parallelen sind verblüffend.
Auch die Mailänder Ausstellung fand in einer Kriegsruine statt, dem ausgebombten Palazzo Reale. Und wie in Kassel wurden Gemälde auf Gestellen installiert, im großen Abstand zur Wand. Natürlich haben wir es hier auch mit einer Inszenierung, einer Ästhetisierung zu tun. Die Unangemessenheit ist prinzipiell. Man kann ihr nicht ausweichen, sondern muss einen Umgang mit ihr finden. Und in dieser Hinsicht ist der Unterschied zwischen Mailand und Kassel einer ums Ganze.
Auch in Mailand wurde Diskontinuität inszeniert, aber im Unterschied zu Kassel wurde sie nicht verkleinert, erst recht nicht in den Dienst der Kontinuität gestellt. Die Kuratoren wollten die Wahrnehmung des Bruchs nicht verkleinern, sondern vergrößern, so hilflos dieser Versuch angesichts der tatsächlichen Dimensionen auch sein mochte. Die Mailänder Ruine war tatsächlich ruinös, Schutt, der nicht zum Fundament taugt.
Die Organisatoren der Ausstellung hatten in der Resistenza gekämpft, unter den Faschisten Italien verlassen oder im Gefängnis gesessen. Eugenio Reale war, wie Picasso, Mitglied der kommunistischen Partei. Es heißt, sie konnten Picasso, der lieber seine Ruhe gehabt hätte, zu der Ausstellung bewegen, weil sie im ausgebrannten Palazzo Reale stattfinden sollte.
Die Kunst in dieser Ruine, Picassos "Gernika", "Krieg und Frieden", das "Beinhaus" und das "Massaker in Korea", Bilder, die in dieser Zusammenstellung nie wieder zu sehen sein sollten, prangerte die Ursachen der Zerstörung direkt an. Sie zeigte die Opfer von damals und von heute, also von 1937 und von 1953, anhand von Werken von 1937 und 1953.
Sie nahm die Perspektive der Opfer ein, mit dem Ziel, das Publikum zu aktivieren. Ob Kunst das wirklich kann und soll, ist eine andere Frage. Aber Künstler wie Picasso oder Resnais oder Brecht haben es geglaubt. Sie haben Vorschläge gemacht und das Publikum in Mailand hat solche Vorschläge zu hören bekommen. Und das Publikum in Kassel nicht. Wie geht es nun weiter mit der Documenta?
Verpflichtet der Antisemitismus-Skandal von 2022 und die neueren Forschungen zur NS-Nähe eines Teils des Gründungsteams der ersten Kasseler Ausstellung vor 70 Jahren die künftigen Dokumentermacherinnen zur Aufarbeitung? Julia Voss und Raphael Groß vom Deutschen Historischen Museum in Berlin, die zur Dokumentergeschichte forschen,
haben da etwas unterschiedliche Meinungen. Die Forschung, die wir gemacht haben, hat natürlich auf die Anfänge der Dokumenta auch einen Schatten geworfen. Also wir haben gesagt, die Dokumenta waren ein großes, wildes Ding und je nachdem, mit was man es vergleicht, ist sie natürlich auch ein Aufbruch gewesen. Es ist ganz unbeschritten, aber wir haben eine Kontinuität recherchiert, die eben
vorher so nicht gesehen würde. Ich würde aber meinen, dass diese Art der Forschung und das herauszufinden, ist eigentlich für die Geschichte der Bundesrepublik keine große Überraschung. Wir haben das in allen Bereichen herausgefunden, dass es so ist, dass es natürlich diese Kontinuitäten gab und sie gab es eben auch im Kunstbereich.
Und sich heute damit zu beschäftigen, würde ich sagen, ist mindestens an der Zeit. Und insofern glaube ich, dass es einer Institution oder auch der Dokumente an sich mehr schaden würde, wenn man versuchen würde, das unter den Tisch zu kehren, als wenn man sich dem stellt und sich dann eben fragt, was heißt das für uns heute?
Was daran müssen wir aufarbeiten? Was daran kann in eine Dokumenta einfließen? Es ist eine Herausforderung, aber es ist bestimmt zum Gewinn der Dokumenta und auch der Stadt Kassel, wenn man sich damit beschäftigt. Musik
Vielleicht noch eine andere Perspektive dazu zu dieser Frage, wer schreibt welche Geschichte. Als ich Assistent war in Bochum, war neben mir ein riesiger Raum für Bochumer Verhältnisse mit drei, glaube ich, Mitarbeiterinnen unter der Leitung noch von dem alten Hans Mommsen.
Und sie haben so als vielleicht Erste das gemacht, dass man eben institutionelle Kritik in Bezug auf den NS betrieb, nämlich VW im Nationalsozialismus. Finanziert von der VW-Stiftung. Und ich erinnere mich, dass ich nicht so ein gutes Gefühl dabei hatte. Und als ich hierher kam, war es mir sehr wichtig, dass wenn wir die Geschichte der Documenta machen,
wir sie unabhängig machen. Und ich glaube, das spielte auch eine große Rolle, diese Unabhängigkeit. Wir haben natürlich vom Archiv viel Hilfe gekriegt und das war auch sehr entscheidend, aber wir haben das gemacht, was wir machen wollten. Und vielleicht ist diese Fantasie, dass Institutionen jeweils selber am besten ihre Geschichte schreiben, wirklich nur eine Fantasie oder sogar ein Märchen. Und vielleicht sehen wir es auch jetzt an den Debatten,
Und vielleicht sollte man sie damit auch nicht überladen, sondern sagen, das ist ja gut, dass es verschiedene Einrichtungen gibt, die verschiedene Dinge tun. Diese Perspektive könnte die nächste Dokumenterausstellung entlasten.
Denn bereits mit dem Entstehen des internationalen Kunstmarktes, spätestens Ende der 1960er Jahre, wurde die Documenta auch mehr und mehr zum Ort des Reflektierens über Kunst. Die Kunstproduktion selbst rückte dabei bisweilen in den Hintergrund. Das sieht auch Heinz Bude vom Documenta-Institut so. Das ist im Nachhinein eine innere Konsequenz des Nachdenkens, des Diskurses über Kunst.
Die Dokumente der Ausstellung sind dann am Ende Ausstellungen über Ausstellungen geworden. Eine Ausstellung ist im Grunde eine Untersuchung einer Ausstellung. Aber jetzt nochmal eine Ausstellung, die sich selber als Ausstellung untersucht, weiß ich nicht.
Und dann war es irgendwie ganz konsequent zu sagen, wir machen gar keine Ausstellung mehr, wir laden eigentlich nur noch ein paar Leute ein, die können so machen, was sie wollen und Hauptsache wir haben ein bisschen Spaß. Der Antisemitismus-Skandal der Documenta 15 hat aber nicht nur dem ehemaligen Bundeskanzler Olaf Scholz erst einmal gründlich den Spaß verdorben, den ihm das wilde Kunstding in Kassel in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder bereitet hatte.
In den vergangenen zweieinhalb Jahren versuchten das Land Hessen und die Stadt Kassel durch eine Neuorganisation der Trägerstruktur der Weltkunstausstellung die nötigen Konsequenzen aus dem Skandal zu ziehen. Sven Schöller, grüner Oberbürgermeister Kassels und Aufsichtsrat-Vorsitzender der Documenta-Trägergesellschaft bei einer Pressekonferenz 2024. Wenn Sie sich mal zurückerinnern,
wo wir vor genau einem Jahr gestanden haben, dann werden Sie sich in Erinnerung rufen, dass die Documenta in einer ihrer schwersten Krisen, die sie im Lauf ihres jahrzehntelangen Bestehens durchleben musste, damals durchlebt hat. Es gab nicht wenige, die die Documenta im Prinzip bereits totgesagt haben im vergangenen Jahr.
Wir hatten die Situation, dass die Findungskommission, die damals amtierte, zurückgetreten war und standen vor der Herausforderung einer Organisationsreform der Documenta, die wir angegangen sind. Herzstück dieser Organisationsreform ist eine Teilung der Verantwortung. Trägergesellschaft und Documenta-Geschäftsführung sind künftig einem Verhaltenskodex verpflichtet.
der Skandale wie den Antisemitismus-Skandal 2022 möglichst bereits im Vorfeld verhindern soll. Diesem Code of Conduct liegt das feste Bekenntnis zur Achtung der Menschenwürde zugrunde, eine humanistische Weltsicht, die letztlich und endlich die Grundlage auch für die notwendige und unabdingbare Gewährleistung künstlerischer Freiheit ist und die gleichermaßen Schutz-
vor gruppenbezogener menschenfeindlicher Diskriminierung gewährt. In diesem neuen vertraglichen Rahmen soll jedoch der jeweiligen Leitung der Documenta die künstlerische Freiheit weiterhin gewährt werden. Ein wissenschaftlicher Beirat für die Documenta ist gebildet worden, der im Zweifel bei Konfliktfällen hinzugezogen werden kann. Der Bund kehrt überdies in den Documenta-Aufsichtsrat zurück, aus dem er sich zwischenzeitlich zurückgezogen hatte.
Der Aufsichtsratsvorsitzende Sven Schöller spricht aber vor allem für die Stadt Kassel und das Land Hessen, wenn er sagt, Wir, die wir hier sitzen, haben zu keinem Zeitpunkt das Vertrauen in die Documenta verloren. Und das hat uns getragen, das hat uns gemeinsam getragen. Und das hat dazu geführt, dass wir all diese Aufgaben in diesem Jahr erfüllen konnten. Die kreative Kraft
Diese Ausstellung ist ungebrochen. Sie ist und bleibt der Ort, an dem die dringenden gesellschaftlichen Themen der Gegenwart im Licht künstlerischer Formensprache gebrochen werden und in allen Fakten
faszinierenden Farben des Universums leuchten. Ob die Documenta 16 in zwei Jahren wirklich wieder ein strahlendes Ereignis wird, hängt nicht zuletzt von der neuen künstlerischen Leiterin Naomi Beckwith ab. Dazu könnte auch eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gehören, mit den Ausgrenzungen, Diskriminierungen und blinden Flecken, die es bei der Auswahl gegeben hat.
Julia Voss und Raphael Groß vom Deutschen Historischen Museum in Berlin bleiben zurückhaltend. Also ich glaube, wir können der neuen Kuratorin keine Hausaufgaben geben. Wir sind froh, dass wir es gemacht haben und es ist tatsächlich eine Frage, die uns weiter beschäftigt. Also zu Dokumenta werden wir viel gefragt. Es sind andere daraus hervorgegangen, wie zum Beispiel die über Dekoratoren.
Rudolf Lewy, ich glaube, dass es sich ganz allgemein nicht nur für die Dokumente, auch für die neue Nationalgalerie, für alle möglichen Kunsteinrichtungen auch lohnt, sich zu fragen, wie sieht unser Kanon aus, wer kommt darin vor, wer kommt nicht darin vor und nochmal genauer auch zu schauen und zum Teil ist es auch passiert, was mit Leuten passiert ist, die im Nationalsozialismus umgekommen sind.
Eine Erfahrung, die wir hier mit der Ausstellung gemacht haben, als wir Rudolf Lewy wiedergebracht haben, war, dass plötzlich, und ich glaube von Leuten, die Rudolf Lewy vorher nicht kannten, sehr schnell und sehr leichtfertig gesagt worden ist, ach, der war auf der Documenta nicht dabei, weil das einfach nicht so eine gute Kunst ist. Ich glaube, in Kaiserslautern, die Ausstellung hat gezeigt, so einfach ist es nicht. Und die Karriere davor hat es auch gezeigt. Also insofern ist es nicht nur Aufgabe der Documenta, sondern von Leuten,
allen Kunstinstitutionen und historischen Institutionen sich das genau anzuschauen. Bei der Eröffnung unserer Ausstellung sprach Hortensia Völkers, die damalige Leiterin der Bundeskulturstiftung. Und Frau Völkers war auch als Assistentin bei David in der Documenta beteiligt. Das war für sie biografisch ein wichtiger Punkt. Und bei der Eröffnung hat sie etwas, wie ich fand, sehr Eindrucksvolles gesagt. Sie sagte...
Für uns damals war das so klar, dass wir auf der richtigen Seite stehen, dass wir gar nicht auf die Idee gekommen wären, die Geschichte der Documenta kritisch zu hinterfragen, weil wir hatten das Gefühl, wir sind auf der Seite der Kritik. Und sie hat dann, ich fand das sehr beeindruckend, dass sie sozusagen in so einer selbstreflexiven Weise öffentlich sprach, darum erinnere ich mich noch daran.
Ich finde es toll, dass sie diesen Punkt markiert hat. Ich glaube, in der Weise hat unsere Ausstellung sicher mit auch anderer Forschung dazu beigetragen, dass niemand mehr in derselben unreflektierten Weise sich zu Documenta verhalten würde. Muss die nächste Documenta sich schärfer als zuletzt den aktuellen Themen der globalisierten Welt zuwenden?
Neue imperialistische Angriffskriege? Digitalisierung der Welt mit dem gigantischen Energiebedarf, dem scheinbar unaufhaltsamen Klimawandel oder dem politischen Siegeszug des Rechtspopulismus? Migration? Heinz Bude bejaht diese Frage ebenfalls nur vorsichtig.
Sie muss sozusagen die Welt mehr zur Kenntnis nehmen, als ihr voraus sein zu wollen oder der Zeit voraus sein zu wollen. Die Adaptionsfähigkeit ist vielleicht das Interessantere geworden. Das ist natürlich im Kern, ist die ganze Antisemitismus-Debatte ein Verstolpern im Politischen. Kann man schon machen, aber man muss schon wissen, was man macht. Also wenn man Politik macht, muss man mehr aufpassen, als wenn man keine Politik macht.
Und das Adaptive, wenn ich das so sage, das ist ja auch eine gewisse Demutshaltung. Dass man sagt, jetzt müssen wir auch mal zur Kenntnis nehmen, was auf der Welt passiert. Und müssen gucken, was man damit machen kann.
Und interessanterweise sagt die neue Kuratorin der Documenta 16 ja auch, wir wollen jetzt nicht mehr Krisen konstatieren, sondern wir wollen zeigen Wege, wie wir aus Krisen herauskommen, was wir mit Krisen machen können.
wie Krisen sich als Veränderungen plötzlich darstellen und nicht mehr als Wege, die quasi zum Untergang führen, dass man nochmal den Unterschied zwischen Zerstörung und Vernichtung sich vor Augen führen kann. All solche Dinge sind vielleicht heute wichtiger. Sagen wir mal so, man darf ja auch mal einen Wunsch äußern. Man darf ja als Wunsch äußern, ich will gar nicht sagen, Sie sollen das machen, aber als Wunsch äußern. Ihr könnt ja mal da mal uns ein bisschen helfen. Musik
Sie hörten Weltkunst in der Provinz. Eine lange Nacht über 70 Jahre Documenta in Kassel. Von Ludger Fittgau. Es sprachen Richard Hucke, Silvia Systermanns und Hildegard Mayer. Ton und Technik Wolfgang Rixius und Can Top. Regie Susanne Krings. Redaktion Hans-Dieter Heimendahl.
Nächste Woche erwartet Sie an dieser Stelle eine lange Nacht über den Ausnahmedirigenten Carlos Kleiber. Seien Sie gespannt. Sie können alle langen Nächte der letzten Monate auch in der Deutschlandfunk-App nachhören. Zum Beispiel die lange Nacht der vergangenen Woche über die Radioreden von Thomas Mann. Und wenn Sie uns abonnieren, können Sie keine Sendung mehr verpassen. Bis nächste Woche.