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cover of episode Dirigent Carlos Kleiber - Das geplagte Genie

Dirigent Carlos Kleiber - Das geplagte Genie

2025/6/13
logo of podcast Lange Nacht

Lange Nacht

AI Deep Dive AI Chapters Transcript
People
B
Brigitte Fassbender
C
Carlos Kleiber
C
Christian Thielemann
H
Hans-Dieter Heimendahl
J
Jens Malte Fischer
J
Joel Gamsu
K
Klaus König
R
Rudolf Watzl
Topics
Hans-Dieter Heimendahl: 我通过这期节目了解了克莱伯,一个有天赋但缺乏自信、充满不确定和恐惧的人。他被贴上了天才、含羞草、怪人等标签。 Brigitte Fassbender: 克莱伯全身心投入,像蜡烛一样燃烧自己,这是一种榜样。 Jens Malte Fischer: 克莱伯在指挥台上散发着令人难以置信的魅力,他的指挥技巧完美流畅。他是我见过的最有优雅和美感的指挥,他的精湛技艺并非后天习得,而是浑然天成。他能优雅地将音乐传递到指挥棒的顶端,并通过手臂延伸出去。 Rudolf Watzl: 克莱伯在排练中能创造出许多生动的画面,这让工作变得轻松。他用画面将我们带到他想要达到的情感状态。 Klaus König: 克莱伯善于用隐喻来达到指挥棒无法达到的效果,他的排练方式非常有效。 Christian Thielemann: 克莱伯能用手势将音乐的线条和节奏描绘出来,是一位伟大的画家型指挥。他通过音乐和表达来传递卓越的信息。 Joel Gamsu: 许多指挥大师班的学生都在引用克莱伯的排练风格,这很荒谬。克莱伯非常注重音乐的清晰度和透明度,他认为每个音符都应该讲述一个故事。 Carlos Kleiber: 我没有在父亲的指导下学习,因为他经常旅行。我不想接受指挥课程,而是想直接去剧院学习。我在蒙得维的亚首次指挥,后来在波茨坦指挥轻歌剧,我父亲认为轻歌剧是最能学习指挥的地方。我最初几年使用了化名,但后来发现人们迟早会发现我的真实身份,所以我就恢复了自己的名字。我想尽可能多地掌握歌剧剧目。乐队演奏需要有危险感和探索感。我希望你们能演奏得如此出色,以至于我变得多余。技术和表达应同时进行,演奏时要向一位想象中的美女求爱。演奏要轻柔,否则就没有效果。

Deep Dive

Chapters
This chapter introduces Carlos Kleiber, a legendary conductor known for his genius and eccentricities. It contrasts his extraordinary conducting abilities with his unpredictable behavior, including abruptly canceling concerts and rejecting lucrative offers.
  • Kleiber was a highly skilled conductor, capable of eliciting exceptional performances from orchestras.
  • He was also known for his temperamental personality, marked by sensitivity and unpredictability.
  • Kleiber's career was marked by both great success and sudden withdrawals from public life.

Shownotes Transcript

Translations:
中文

Aus der Distanz erscheint Carlos Kleiber wie das Klischee von einem Dirigenten. Auf der einen Seite das Genie, das Außergewöhnliches mit dem Taktstock leistet, verehrt, vergöttert und entrückt wird. Auf der anderen Seite der kauzige und hyperempfindliche Sonderling, der schnell einschnappt, grollt und nachträgt, Konzerte aus scheinbar banalen Gründen absagt.

und die besten, ehrenvollsten, die einträglichsten Angebote ohne Zögern ausschlägt. Aber so beginnt ja ein Dirigent nicht in seinem Beruf. Am Anfang steht eine große Leidenschaft für Musik, die besondere, außergewöhnliche Gabe, erfolgreich zu dirigieren. Und das ist eine komplexe Tätigkeit. Sie benötigen möglichst umfassende musikhistorische Kenntnisse, müssen mit den Möglichkeiten der verschiedenen Instrumente vertraut sein, brauchen ein sehr feines Gehör.

Das ist Pflicht. Sie brauchen aber auch eine spezifische Klangvorstellung, eine Vision von einem Werk, wenn Sie es dirigieren wollen. Und Sie müssen über die Gabe verfügen, eine Gruppe von rund 100 Musikerinnen und Musikern von Ihrer Vision zu überzeugen, Sie zu gewinnen, Sie zu verführen. Und dann müssen Sie es gemeinsam auf den Punkt servieren können, gemeinsam mit dem Orchester.

Carlos Kleiber hatte das alles und konnte das alles. Und das können Sie hören. Transparent und Licht. Lebendig und sinnfällig klingt die Musik, wenn er sie mit einem begabten Orchester, das ihn versteht, aufführt. So war die Musik gedacht, denkt man unwillkürlich.

Wie er vermag zum Beispiel die sinnliche Freude und eitle Selbstgefälligkeit in der Overtüre zur Fledermaus von Johann Strauss zu unterstreichen und herauszustellen. Oder eine Beethoven-Sinfonie so aufzurauen, dass das Dramatische, das Bedrohliche und Gefährliche zur Geltung kommen, unmittelbar erfahrbar werden. Das ist verblüffend und beglückend.

Das zu erleben und zu verstehen, verdanke ich dieser langen Nacht. Aber nicht nur das. Ich habe auch viel gelernt über diesen so hochbegabten Menschen, der für diese exponierte Rolle nicht zu jeder Zeit die Selbstsicherheit, das Draufgängertum hatte, der nicht auf Knopfdruck über seine Intuition verfügen konnte, der gezweifelt hat, unsicher war, Angst hatte, der Not war.

Und im Ergebnis abgestempelt wurde mit Etiketten. Das Genie, die Mimose, der Kauz, der Unverständliche. Auch das macht diese lange Nacht zu einem Abenteuer. Seien Sie gespannt. Mein Name ist Hans-Dieter Heimendahl. Ich bin der Redakteur der Langen Nacht.

Nächste Woche erwartet Sie an dieser Stelle eine lange Nacht über den Zweiten Weltkrieg in Afrika, in Asien und in Ozeanien, die wir weder als Schauplätze des Kriegsgeschehens noch als Herkunftsort von Soldaten, die in Europa im Einsatz waren, wirklich im Blick haben. Seien Sie gespannt. Sie können alle Lange Nächte der letzten Monate auch in der Deutschlandfunk-App nachhören. Und wenn Sie uns abonnieren, können Sie keine Sendung mehr verpassen. Bis nächste Woche.

Also Kleiber ist nicht zu fassen.

Im wahrsten Sinne des Wortes. Kleiber ist in den Träumen sehr oft dabei. Das ist nicht zu ersetzen und er ist unvergesslich. Er war so ein Genie. Er hatte eine fantastische Schlagtechnik und er war immer unter Höchstspannung. Und seine Bewegungen, seine Arme, die schienen unendlich lang zu sein. Und sein Gesicht und sein ganzer Körper.

Also pure Musik immer. Ich glaube, er ist wirklich ein Paradebeispiel für das Rätsel des Dirigierens. Ich war mit Carlos sehr befreundet.

Er war mir schon gut. Als Dirigent genial. Also so ein dirigentisches Phänomen wie Kleiber habe ich seither nicht mehr erlebt. Es gibt vielleicht eine Handvoll Dirigenten, die diese Magie herstellen können. Musik

Und ist natürlich für einen jungen Dirigent, wenn er das zum ersten Mal sieht, ist es natürlich eine Offenbarung. Es ist wahnsinnig beeindruckend und es ist wahnsinnig neu. Und diese ganze Sinnlichkeit und dieses unglaubliche Charisma ist erstmal hypnotisierend. Deshalb war ich vollkommen begeistert natürlich. Musik

Am 3. Juli 1930 wurde in Berlin einer der größten und schillerndsten Dirigenten des Jahrhunderts geboren, Karl Ludwig Bonifatius Kleiber, bekannt unter seinem späteren Namen Carlos Kleiber.

Seine Mutter war die jüdische Amerikanerin Ruth Goodrich. Sein Vater der damalige Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper unter den Linden, Erich Kleiber. Die lange Nacht über Carlos Kleiber lässt Wegbegleiter zu Wort kommen, wie die Sängerin Brigitte Fassbender, die Orchestermusiker Rudolf Watzl, Peter Mering und Klaus König.

Als Kollegen äußern sich die Dirigenten Christian Thielemann und Joel Gamsu. Aus Sicht der Biografen die Autoren Jens Malte Fischer und Alexander Werner. Als Carlos Klerber 1974 an der Bayerischen Staatsoper Johann Strauss berühmte Operette Die Fledermaus dirigierte, war er bereits ein lebender Mythos.

»Kleiber sorgt für den Superschwips«, titelte der Münchner Merkur nach der Premiere. Ganz München schwelgte im Fledermausrausch. Aber Kleiber, die skrupulös-genialische Jahrhundertbegabung, war auch ein Weltmeister der Verweigerung. Er war als Künstler hyperempfindlich und dirigierte nach einem Bon mot von Herbert von Karajan »Nur wenn der Kühlschrank leer war«.

Schon auf dem Zenit seine Laufbahn von den 80er Jahren an begann er sich rar zu machen und zog sich zunehmend enttäuscht vom Musikbetrieb in den 90er Jahren ganz von den Podien zurück. Musik

Was machte Carlos Kleiber so einzigartig, dass Kritiker in Superlativen über ihn schrieben und Konzertbesucher sich vor Begeisterung weinend in den Armen lagen? Wie verliefen Kleibers Proben, die von jüngeren Kollegen oft imitiert, doch nie erreicht wurden? Wie war sein Verhältnis zu seinem berühmten Vater, dem legendären Dirigenten Erich Kleiber?

Und woher rührten die großen Selbstzweifel, die er zeitlebens hegte? Diesen Fragen wird diese lange Nacht nachgehen. Musik

Das Hamburger Rundfunkorchester wird geleitet vom Sohn eines großen Vaters. Ich darf das sagen, Herr Kleiber, wo sind Sie geboren? In Berlin. Und 30 Jahre alt, ja? Jawohl. Wo arbeiten Sie jetzt? In Düsseldorf an der Oper, an der Rheinoper.

1960 dirigiert der 30-jährige Carlos Kleiber beim Hamburger Rundfunkorchester ein für ihn sehr untypisches, barockes Programm, bei dem auch Georg Friedrich Telemanns Suite in B-Dur erklingt. Zu diesem Anlass wird ein kurzes Rundfunkinterview gesendet. Es ist das einzige Interview, das von Carlos Kleiber überliefert ist. Der Dirigent des heutigen Konzertes, ich sagte es bereits, ist Carlos Kleiber.

Und Herr Kleiber, die Frage liegt mir nahe, haben Sie unter den Augen Ihres Herrn Vaters nun lernen können? Ja, das ging nicht, denn er war so viel auf Reisen und ich musste in der Schule bleiben, in einem Ort. Leider musste ich oft wechseln, ungefähr sieben verschiedene Male.

Aber er war immer auf Reisen und es war mehr so ein Kontinentwechsel. Also das erste Mal in Genf und dann in Nordamerika und Südamerika und dann wieder in Europa. Carlos Kleibers Weg zum mythenumrangten Jahrhundertdirigent ist kompliziert. Sein Vater Erich Kleiber leitet die Berliner Staatsoper unter den Linden als engagierter Verfechter der modernen Musik. Er ist ein dezidierter Gegner der Nationalsozialisten.

Unter dem Druck des Hitler-Regimes emigriert er 1935 nach Argentinien. Die Familie folgt ihm fünf Jahre später. Musik

Musik

Hat Ihr Vater Ihnen die Anregung gegeben, Träger zu werden? Nein, im Gegenteil, er war etwas dagegen. Er sagte, ich sollte einen vernünftigen Beruf wählen. Und das tat ich dann auch. Ich wollte Chemiker werden und bin in die Schweiz gefahren und habe am Polytechnischen Institut in Zürich ein und ein halbes Semester gemacht. Erst musste ich die Aufnahmeprüfung machen, was sehr schwierig war, weil mein Deutsch damals schon ziemlich komplex war.

Wie alt waren Sie, als Sie das Chemiestudium nun aufgaben, um... Da war ich 20 und musste eigentlich das Musikstudium ziemlich von vorne beginnen. Und bin dazu nach Argentinien gefahren, wo mein Vater gerade war, und habe mit zwei Privatlehrern Kontrapunkt und Klavier gemacht. Ich wollte so früh als möglich in ein Theater kommen und die Praxis durchführen.

Ich wollte keinen Dirigentenunterricht haben, sondern, wie mein Vater mir riet, ich sollte sofort in ein Theater kommen, möglichst eine Schmiere, und von der Pike auf fliegen.

Das Geschäft oder das Lernen. Von der Pike auf an einem Theater zu lernen, das bedeutet nach den ersten Dirigierversuchen in Südamerika zunächst einmal das Joch des Chorepetierens auf sich zu nehmen. Ein mühsamer Weg. Noch dazu, wenn man wie der junge Carlos nicht wirklich gut Klavier spielt.

Kleiber korrepetiert am Theater in La Plata, müht sich am Münchner Gärtnerplatztheater und an der Wiener Volksoper und landet schließlich am Hans-Otto-Theater in Potsdam, wo er 1955 endlich sein erstes Bühnenwerk dirigieren darf. Ja, und wann sind Sie nun zum ersten Mal zum Dirigieren gekommen? In Montevideo war das. Da war ein kleines Orchester vom Lundfunk und da habe ich ein paar Orchesterwerke dirigiert.

Und dann, später, als ich im Theater etwas fester war, dann habe ich in Potsdam Operette dirigiert. Mein Vater meinte, Operette sei gerade das, wo man am meisten dirigieren lernt. Würden Sie das auch sagen, ja? Ich würde sagen, das ist ungefähr das Schwerste, was es gibt. Musik

Musik

Mit Mildokas Gasperone, hier geleitet von Marius Burkert in einer Aufnahme vom Leha-Festival Bad Ischl 2013, gibt der 25-jährige Carlos Kleiber sein Debüt auf der Operettenbühne des Hans-Otto-Theaters in Potsdam. Das Orchester sträubt sich während der Proben zunächst, dem unerfahrenen Kapellmeister zu folgen.

Niemand ahnt zu dieser Zeit, dass es sich bei dem schüchternen Mann am Pult um den Sohn des großen Erich Kleiber handelt. Denn Carlos Kleiber tritt unter dem Pseudonym Karl Keller auf. Hat Ihnen und Ihr Herr Vater sehr viele Positionen vermitteln können? Nein, er wollte sich da gar nicht einschalten und er riet mir auch den...

den Namen zu wechseln, was ich auch tat. In meinen ersten Theaterjahren habe ich den Namen nicht gebraucht. Aber als ich dann draufkam, dass die Leute sowieso früher oder später das herausbekamen, dachte ich, es ist ein bisschen ein Unsinn, die Maskerade, und habe mich so genannt, wie ich heiße. Ja, Herr Klaber, Sie sind jetzt in Düsseldorf tätig und was für eine Position haben Sie im Augenblick dort?

Jetzt bin ich gerade im Übergang vom Repetitor mit Dirigierverpflichtung zum reinen Kapellmeister. Dieser Übergang ist sehr schwer, besonders an so einem großen Haus. Aber jetzt glaube ich, dass ich es geschafft habe. Und man muss sehr viel Repertoire lernen. Das Opernrepertoire ist sehr groß. Ja, und es ist so üblich, dass wir am Schluss unserer kleinen Unterhaltung auch kurz auf Ihre weiteren Pläne eingehen wollen, soweit Sie festliegen und Sie darüber reden möchten und können. Und Herr Kleiber?

Ja, ich möchte das Opernrepertoire so weit es mir möglich ist zu bewältigen und das ist so viel, dass damit alles gesagt ist. Auf die erste Kapellmeisterstelle in Düsseldorf, wo Kleiber sich von 1960 an ein reiches Repertoire erarbeitet, folgt ein zweijähriges Engagement am Opernhaus in Zürich.

Doch erst mit seiner Verpflichtung an die Württembergische Staatsoper in Stuttgart im Jahr 1966 gelingt ihm der Durchbruch. Hier feiert er seine ersten Sensationserfolge mit Alban Bergs Wozzeck in der Regie von Günter Rennert und mit Karl Maria von Webers Freischütz in der Inszenierung von Walter Felsenstein. Mit Bergs Wozzeck ist Kleiber vertraut wie kaum ein Zweiter.

Sein Vater, Erich Kleiber, hatte das Werk 1925 an der Berliner Staatsoper aus der Taufe gehoben. Mit einer Uraufführung, die sich nach den anerkennenden Worten Alban Bergs gewaschen hatte. Carlos Kleiber lässt für die Stuttgarter Produktion das Orchestermaterial nach der Partitur seines Vaters einrichten.

Er pendelt zu dieser Zeit noch zwischen Zürich und Stuttgart. Kurz vor der Premiere rast er mit dem Auto gegen einen Baum und muss die umjubelte erste Aufführung mit einem Kopferband dirigieren. Die Produktion wird als Gastspiel beim Edinburgh Festival wiederholt, wo es zum ersten handfesten Kleiberi klarkommt.

Kleiber sagt in letzter Minute die zweite Vorstellung aus Gesundheitsgründen ab, während das Publikum bereits im Saal wartet. Auslöser für seinen Rückzug sind jedoch wohl auch die im Saal ohne sein Wissen aufgestellten Mikrofone für einen Mitschnitt durch die BBC, der auf diese Weise leider nicht zustande kommt.

Trotz vieler Verwerfungen wird Kleibers Vertrag in Stuttgart 1968 noch einmal erneuert. Es bleibt das letzte feste Engagement, auf das Kleiber sich einlässt. Während seiner im gleichen Jahr eingeläuteten Glanzzeit an der Bayerischen Staatsoper bindet er sich lediglich als Gast ans Haus. Musik

1968 gibt Kleiber mit dem Rosenkavalier von Richard Strauss sein Debüt an der Bayerischen Staatsoper und wird umjubelt.

1972 folgt unter seiner Leitung die legendäre Neuproduktion in der Regie von Otto Schenk, die in zwei verschiedenen Live-Mitschnitten auf CD und auf DVD dokumentiert ist. Brigitte Fassbender ist Kleibers Octavian. Musik

Er verausgabte sich einfach. Und das muss man ja auch. Das war ja das Vorbildliche bei ihm, dass er brannte. Man muss brennen in dem Beruf. Und zwar an beiden Seiten. Wie eine Kerze von zwei Seiten. Nur dann lohnt sich das. Und das hat er immer vorgelebt. Und wer ihm folgen konnte und wollte, der lebte auch so. Und wusste auch, dass man so leben muss. ...

Was heißt das du? Dann denkt das ein Ding, das in Worte bloße. Nicht doch, es ist etwas in dir. Ein Schmick, ein Singen, ein Spann, ein Tränen. Wie jetzt meine Worte zu deiner Hand. Das soll ich, das ist.

Der erste prägende Eindruck war erst mal auch schon seine Erscheinung, die ja sehr interessant war. Er sah ja eigentlich toll aus, dieser herrliche Kopf. Er war ja groß und eigentlich sehr elegant, aber er war irgendwie verschoben. Er lief so komisch. Also er lief ein bisschen ungelenk.

Und das fiel mir auf. Und dann fiel mir natürlich beim Dirigieren, wenn er am Pult stand, fielen mir besonders seine unglaublichen sprechenden Hände und Arme auf.

Kleiber strahlte am Pult ein unglaubliches Charisma aus. An seine geschmeidig perfekte Schlagtechnik erinnert sich auch der Gustav Mahler-Biograph und Autor der ersten kleinen Kleiber-Monografie, Jens Malte Fischer. Zum nächsten Mal war es einfach, wenn man ihn nur von hinten sah, war das einfach ein Genuss, diesen Mann zu sehen.

Das ist der Dirigent, von dem ich überhaupt erlebt habe, der eigentlich die eleganteste, die ästhetischste Körpersprache hatte, die ich überhaupt beim Dirigenten je erlebt habe.

Das, was ich bei Kleiber erlebt habe, war eine Virtuosität, die nicht einstudiert war. Also das war garantiert kein Dirigent, der vor dem Spiegel Posen einstudiert hat. Es war eine Naturbegabung, mit welcher Eleganz und Geschmeidigkeit und

Gerade die Musik in die Spitze des Dirigentenstabs, verlängert durch den Arm legend. Also das ist unglaublich. Und so habe ich ihn erlebt.

Mit seinem Perfektionismus, einer akribischen Genauigkeit und seinem untrüglichen Gehör hielt Kleiber seine Musiker unter Hochspannung. Er hatte ja auch unglaubliche Ohren, er hörte alles, also das war unwahrscheinlich. Mit seinem Charme und seinem Humor verführte er seine Musiker dazu, alles zu geben. Privat konnte er wahnsinnig lustig sein.

Und zu Späßen und Albernheiten aufgelegt. Aber immer irgendwie ein bisschen...

verhemmt, dem Alltag gegenüber verhemmt. Und da rettete er sich auch mit Albernheiten und ständigem Gekicher und Gelache. Das war ein merkwürdiger Eindruck. In der Arbeit war er unglaublich autoritär und klar und akribisch. Und im Alltag war er wie ein großer Junge.

Zu uns war er immer auch zum Späßemachen in der Arbeit aufgelegt, aber dahinter lauerte immer die Präzision und das Erreichen der tausendprozentigen Präzision, dass wir es für ihn dann also noch besonders gut machen sollten. Also es war eigentlich immer tausendprozentiges Fordern für ein Ergebnis.

Aber mit dem Orchester war er wahnsinnig umgänglich und charmant. Das Wort Berechnung ist nicht richtig, aber ein gewisses Kalkül war dahinter.

Eine Verführung, sich ihm ganz auszuliefern. Was man ja auch tat, was man ja auch ohne nachzudenken tat, weil er eben überrumpelnd war in seiner Leistung und in dem, was dabei rauskam. Ich meine, das war schon atemberaubend, mit welcher Leichtigkeit und Spontanität und Emotionalität er musizierte. Ja, ich sehe...

Die Posaunen, es ist wahrscheinlich kalt hier oder es ist irgendwas. Es ist nicht noch ganz so jungfräulich, wie es neulich war. Dieser Übergang ist gut, aber dann ist das, es muss etwas gefährlich sein. Sie dürfen nicht glauben, es ist gefährlich. Aber nicht recht haben, wir wollen nicht unseren Führer sehen. Wir wollen das tastend haben. Es kann alles passieren.

Das wird wahrscheinlich auch. Lento machen wir nochmal. 1970 nimmt Kleiber für die SDR-Fernsehreihe Bei der Arbeit beobachtet in der Stuttgarter Villa Berg mit dem Südfunksinfonieorchester die Overtüren zur Fledermaus und zum Freischütz auf. Diese auf DVD erhältlichen Probenmitschnitte erhalten später Kultstatus.

Weil sie auf einzigartige Weise erlebbar machen, wie es Kleiber mit scharfem Witz, jungenhaftem Charme und unbändiger Fantasie gelingt, die anfangs stocksteil wirkenden Musiker schließlich ungeahnt über ihre eigenen Fähigkeiten hinauswachsen zu lassen. Musik

Das machen wir jetzt im Moment. Beim Allegretto ist das Staccato nicht fesch genug. Es ist so, im Moment war es so... So, als würden sie Übergewicht haben. Er kommt sich sehr fesch vor, dieser Mann. Er kommt sich sehr fesch vor. Richtig? Ja.

Er kriegt einen Hormonstoß durch dieses Kitzeln da. Und dann muss er tanzen. Aber er tanzt leicht. Er ist nicht so elefantisch. Können wir das Allegretto machen? Ja.

Jetzt machen wir es einmal ohne Unterbringung, um zu sehen, was passiert. Moment, nicht.

Danke. Sagen Sie, meine Herren, das müsste so überlegen sein, dass ich völlig überflüssig werde. Das ist mein Traum. Und da wir Zeit haben, kann ich ihn vielleicht verwirklichen, vor allen Dingen mit Ihnen. Dass das nirgends bremst, dass das nirgends zur Aufgabe wird. Dass es sehr parfümiert ist. Eine wunderschöne Frau mit langen Beinen.

Daher ein bisschen von oben herab schaut sie uns an. Aber das macht sie umso reizvoller. Und nicht drauf die Begleitung auch. Die Crescendo machen Sie nicht. Ist der Bogen okay? Ja, sehr gut.

Es ist sehr schwer zu sagen, machen wir erst mal technisch und dann mit Ausdruck. Weil komischerweise finden Sie nicht die Technik, die Technik ist der Ausdruck gleichzeitig. Also technisch macht ohne Ausdruck ist nichts. Machen Sie es gleich im Ausdruck und werben Sie. Nicht um mich oder um sonst jemand, sondern um eine imaginäre Schöne. Und Sie werden sie rumkriegen mit Ihrer Geige, wenn Sie es sicher machen.

Zwei, äh, fünf. Vier. Nicht blinzen.

Ja, es ist nur eines. Sie kitzeln sie ein bisschen zu fest. Sie machen tri-ti-ti-ja, tri-ti-ti-ja. Und das ist nicht gut. Muss sehr leicht sein, sonst wirkt es nicht. Bis heute versuchen angehende Dirigenten immer wieder Kleibers ungewöhnlichen Probenstil zu imitieren.

Der junge israelische Chefdirigent des Theaters Bremen, Joel Gamsu, ist davon irritiert. Ich habe übrigens, nur als Spaß während meiner Studienzeit, ich habe glaube ich bei irgendwann gezählt, bei wie vielen Meisterkursen, wie viele andere Schüler haben Zitate von diesem Kleiberprobe erwähnt. Und ich glaube, dass ich irgendwann bei 14 war, weil es ungefähr jeden zweiten Dirigenten gab,

abgeguckt hat und genau das gleiche einfach irgendwo wiederholt hat bei irgendeiner Probe über diese Stücke oder über andere Stücke. Ich fand das so absurd. Das war damals so ein Gag, wo ich dachte, wer kommt jetzt als nächstes und redet über die schöne Frau, die läuft auf hohe Schuhe oder über die, was auch immer, irgendwelchen Bilder, die er benutzt hat. Und es war damals wirklich so, in jedem Regiermeisterkurs kam irgendeiner, der hat so Kleiber abgeguckt und nachgemacht. Das war schon ein bisschen witzig.

Die Probenarbeit von Carlos Kleiber ist Legende. Rudolf Watzl, der ehemalige Orchestervorstand der Berliner Philharmoniker, erinnert sich. Also ich habe keinen Dirigenten, wirklich keinen einzigen Dirigenten erlebt, der so viele Bilder erfinden konnte in der Probenarbeit. Da hatte zu jedem Takt Musik, wenn er irgendwas gesagt hat, hatte er ein Bild.

Und das macht die Arbeit natürlich unglaublich leicht, weil man so über das Anschauliche, es ist natürlich Quatsch, Musik hat es natürlich im Bilderfass, Musik ist Musik, aber eine Krücke braucht man ja und das sind die Emotionen.

Und er hatte mit den Bildern uns natürlich genau, hat er uns genau dahin gebracht, wo er uns haben wollte. Üblicherweise beginnen Orchestermusiker zu streiken, wenn ein Dirigent während der Proben viel redet. Bei Kleiber war das anders, erzählt auch der ehemalige Solo-Oboist des Bayerischen Staatsorchesters Klaus König. Er hat unter Kleibers Leitung in mehr als 230 Vorstellungen mitgespielt. Ja, es kommt davon wie einer redet, also nach dem,

Ja, Sekunden nicht, aber nach Minuten weiß man, das ist so ein Schwätzer. Oder aber der versucht über Metaphorik, also mit Beispielen, etwas zu erreichen, was man sonst so im Schlag nicht erreichen kann. Und da war der Kleiber also wirklich geradezu unnachahmlich. Der konnte wirklich Dinge machen.

die mit dem Eigentlichen überhaupt nichts zu tun haben. Natürlich, alle lachen schallend, ja.

Und hinterher funktioniert's. Da lacht dann keiner mehr. Ohne seine Gabe, dem Orchester auch durch gestische Präzision eine musikalische Vorstellung sehr plastisch zu vermitteln, hätte sich indes wohl selbst Carlos Kleiber bildreich den Mund fusselig reden können und das entsprechende Klangergebnis doch nicht erzielt. Alle Nachahmungsversuche seiner Fans sind daher von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Christian Thielemann, Generalmusikdirektor der Sächsischen Staatskapelle Dresden, beschreibt die Technik des von ihm bewunderten Kollegen so. Es gibt Dirigenten, bei denen man sich, also wo man aus den Gesten gar nicht so viel ablesen kann und das Orchester spielt trotzdem wunderbar.

Bei ihm war das so, dass man aus den Gesten auch eigentlich alles ablesen konnte. Also was er vorhatte, eine Linie oder das Rhythmische und so etwas, hat er mit den Händen gemalt. Er war einer der Maler. Musik

Und er hat eben über die Musik und über den Ausdruck in der Musik hat er eben wirklich Exemplarisches gesagt.

Erinnert sich Rudolf Watzl an Kleibers Proben zu Brahms' Vierte Symphonie? In unserer Aufnahme spielen die Wiener Philharmoniker. Zum Beispiel in der Flötenkadenz der vierten Brahms im letzten Satz. Im letzten Satz. Die ganze Stelle. Er hat sich quasi erstmal entschuldigt und dann hat er gesagt, ich habe da so eine Regie.

Ich habe eine Regie gefunden. Die ganze Szene ist so, da sitzt eine Frau und der Mann liegt zu ihren Füßen, getötet von der Mafia. Das war seine Geschichte. Er wollte einfach Trauer ausdrücken. Trauer, tiefe Trauer. Und dann später sagt er, wenn dann die Karnette und die Bratschen kommen,

die dann das kommentieren, das sind dann die Nachbarn, die kommen und sagen, war ein Muttermann, schade, und kondolieren. Und dann, wenn der große Aufschwung kommt, der Geigen, das Fortissimo, jetzt kommt die Rache. Musik

Musik

Aber was ich von ihm gelernt habe persönlich, war wirklich das Hören, weil man merkt, dass er wahnsinnig gut und genau gehört hat und eine große Transparenz gesucht hat. Und für mich, ich nenne das immer so eine Form von musikalischer Rhetorik, dass jede Ton eine Botschaft hat, die klar ist, dass jeder Ton eine Geschichte erzählt. Vielleicht das Wort Geschichte erzählen ist das Wichtigste. Ich glaube, dass Kleiber einen Großteil der Zeit keine großen Bilder gegeben hat, sondern einfach nach einer rhetorischen Klarheit gesucht hat.

Und die, von der habe ich sehr, sehr, sehr viel gelernt. Weil ich finde, ein musikalisches Syntax muss immer eine Geschichte erzählen. Joel Gansu beurteilt Kleiber weniger von den Fähigkeiten der Orchesterführung her als vom rein musikalischen Resultat.

Von Kindheit an haben ihn Kleibers hochexpressive, intensiv sprechende Interpretationen tief beeindruckt. Was ich an ihm unglaublich liebe, ist das Elastische und das unberechenbare Spiel mit der Zeit als wichtigster Element in der Musik. Für mich, ich sage immer, für den Bildhauer ist das Material, was ich tone, für den Maler ist das Material Farbe, für den Musiker ist das Material Zeit.

Und für mich beginnt das Musizieren in dem Moment, wo Taktstriche fließend werden, wie ein Puls sich verändert bei einem menschlichen Körper. Und Kleiber ist jemand, der unglaublich grundsätzlich mit Zeit arbeitet. Und das ist für ihn, das ist sein Material, die Elastizität der Zeit. Und auch er geht mit Musiker in ganz, ganz vielen Situationen, wo sie nicht wissen, wie es weitergeht. Und dieser Moment der Ungewissheit ist der Moment, wo Musik entsteht.

Die Zeit, die ist ein Sorgen, den wenn man so glücklich ist, sie rennt gern einmal, da spürt nichts als Sinn. Sie ist unser Hund, ist auf uns Gräberin gesehen.

... und lasst die Hände an der Stimme.

In welchem Werk würde die Zeit, das ureigene Medium der Musik, wohl stärker zum Thema gemacht als im Rosenkavalier, der kongenialen Oper von Richard Strauss und seinem Librettisten Hugo von Hofmannsthal? Handelt nicht das gesamte Werk vom Verrennen der Zeit, vom sehnlichen Wunsch, sie anzuhalten und schließlich, im berühmten Monolog der Marschallin, von der Kunst loszulassen?

Drei Akte lang jagt diese walzerselige Musik der Utopie hinterher, ein Glück einzufangen, das es womöglich nie gab und nie geben wird, weil es nur in unseren Träumen existiert. Niemand aber ist dem Glücksversprechen des Rosenkavaliers musikalisch je so nahe gekommen wie Carlos Kleiber, mit seiner Gabe die Taktgrenzen im süßen Fluidum des Walzers vollständig vergessen zu machen.

Unzählige Male hat er seinen geliebten Rosenkavalier dirigiert. Seine schönste Aufnahme ist der Live-Mitschnitt aus dem Bayerischen Staatstheater vom 13. Juli 1973, der erst nach seinem Tod auf CD veröffentlicht wurde.

Ebenfalls 1973 sorgte Kleibers erste Schallplattenaufnahme bei der Deutschen Grammophon für eine Sensation. Der ehemalige Konzertmeister der Sächsischen Staatskapelle Dresden, Peter Mering, erinnert sich. Wir hatten ja den Freischütz immer auf dem Spielplan. Und er wurde pro Jahr, ich weiß nicht wie viel, also er war ständig auf. Das Orchester kannte den Freischütz.

Also perfekt. Und jetzt kam plötzlich Carlos Kleiber zu der Aufnahme und wir waren alle sehr gespannt. Und er konnte wahrhaftig durch seine

geniale Schlagtechnik durch seine Energie, die er ausstrahlte. Er konnte also eine völlig neue Dimension hinzufügen zu dem, was uns so bekannt war mit dem Freischütz. Also das war fantastisch, muss ich wirklich sagen. Brachen wir die vier Noten in der Mitte ein bisschen und die erste Note vielleicht nicht ganz so kurz.

Glauben Sie an Gespenster? Das ist sehr gut. Es ist für die Overtür wichtig. Für die Länge der Overtür glauben Sie bitte an Gespenster. Musik

Mit ihrer luxuriösen Sängerbesetzung und Präzision, Transparenz und zugespitzten Rhetorik, die Kleiber dem Orchester entlockte, vibriert seine Freischützaufnahme vor Intensität und ist bis heute eine Referenzaufnahme geblieben.

Selten hat man so drastisch wahrgenommen, wie doppelbödig und finster dieses Werk komponiert ist. Noch in den vermeintlichen Idyllen sickert hier allerortendes Grauen durch. Aus der genretypischen Schauerromantik macht Kleiber bitteren Ernst. Die schier expressionistische Zerrissenheit der Wolfsschluchtszene lässt einem das Blut in den Adern gefrieren.

So kann das nur einer dirigieren, der selber weiß, was sein innerer Abgrund ist. Ihm ging ja schon ein gewisser Ruf voraus. Carlos Kleiber, ein Genie und ein hochsensibler Musiker und empfindlich. Ja, ja, das war alles so. Aber es war eine wunderbare Zusammenarbeit.

Vor Carlos Kleibers berüchtigter Empfindlichkeit zittern Orchestermusiker, Manager, Aufnahmeleiter, Produzenten und sogar Intendanten. Zahllos sind die Eklats, die er verursacht, wenn er überraschend hinschmeißt, um sich in sein Haus nach Grünwald bei München zurückzuziehen. 1961 hatte die Tänzerin Stanislava Brezovar, genannt Stanka, geheiratet, mit der er zwei Kinder hat.

Auch Stankas slowenischer Heimatort Konjesica wird ein bevorzugter Zufluchtsort, wenn er eine Pause vom Musikbetrieb braucht. Woher rühren die tiefen Selbstzweifel, die ein Leben lang an Kleiber nagen? Welche Rolle spielt der berühmte Vater Erich Kleiber, der zeitlebens ein übermächtiges Vorbild für Carlos bleibt? Erfahren Sie mehr in der zweiten Stunde dieser langen Nacht. Ich muss entsetzen!

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Carlos Kleiber ist auf dem Gipfel seiner Karriere. Die 70er Jahre machen ihn zu einer heiß umworbenen Rätselfigur am Pult. München schätzt sich glücklich, den als Sensation gefeierten Dirigenten für einige Jahre, wenn schon nicht mit einer festen Position, so doch immerhin als regelmäßigen Gast an sein Haus binden zu können.

Auch wenn Carlos Kleiber schon bald beginnt, sich Rat zu machen, steht er doch bis 1988 insgesamt mehr als 250 Male am Pult des Bayerischen Staatsorchesters, Akademiekonzerte und Tourneen mitgerechnet.

An der Bayerischen Staatsoper versetzt Kleiber Publikum und Kritiker in diesen Jahren nicht nur mit seinen Lieblingsstücken Rosenkavalier und Fledermaus in enthusiastischen Taumel. Zu Sensationserfolgen geraten auch die Premieren von Bergs Wozzeck, Verdis Othello und der Traviata.

Ein Tondokument des Otello ist bis heute bedauerlicherweise nur als sogenannter Bootleg, als unautorisierte Plattenaufnahme auf dem Graumarkt erhältlich. Die Münchner Traviata aber, von der auch der ehemalige Solo-Oboist des Staatsorchesters Klaus König schwärmt, wurde zwei Jahre nach der Premiere für die Platte aufgenommen. Ach, Traviata, also meine Wider, die Brüche dieser Frau,

dargestellt hat, das habe ich nie vorher, nie nachher auch nur annähernd gehört. So weit auseinanderliegende menschliche Gefühle und diese Momente, wo der Mensch, also diese Figur, die Kunstfigur plötzlich zum realen Menschen aus Fleisch und Blut wird, das ist für mich so der Höhepunkt jeder Oper.

In der Aufnahme der Traviata mit dem Bayerischen Staatsorchester singen Ileana Kotrubas und Placido Domingo die Hauptpartien. Musik

Musik

* Sie sprechen russisch. *

* Musik *

Sempre libero, immer frei, das möchte auch Carlos Kleiber bleiben. All die hochkarätigen Angebote für hochdotierte Posten, die ihn erreichen, lehnt er ab. Auch die Salzburger Festspiele bemühen sich vergeblich um ihn.

Der Star-Rummel des internationalen Dirigenten-Karussells schreckt den hypersensiblen Kleiber ab, obwohl er sich privat gerne in Salzburg aufhält und dort sogar eine Wohnung besitzt. Wichtige Debüts fallen in diese Münchner Zeit. Kleiber erobert Wien, die Heimatstadt seines Vaters. An der dortigen Staatsoper dirigiert er 1973 Wagners Tristan und Isolde und gibt mit den Wiener Philharmonikern im Jahr darauf auch Konzerte in Bratislava und Göteborg.

Das Royal Opera House Covent Garden kommt in den Genuss seines Rosenkavaliers. Auch an der Mailänder Skala debütiert Kleiber 1976 mit einem Rosenkavalier sowie mit einem sensationellen Othello. In Mailand freundet er sich mit Placido Domingo, Claudio Arbado und Maurizio Polini an.

Nachdem sich die Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth schon 1969 vergeblich um ihn bemüht hatten, übernimmt Kleiber in den Festspielsommern 1974, 75 und 76 den Bayreuther Tristan. Drei Mitschnitte dieser Aufführungen schlummern bis heute in den Archiven und sind mit etwas Glück wiederum nur als Bootlegs zu ergattern. Denn die vertraglich bereits vereinbarte Radioübertragung hat Kleiber untersagt.

Im dritten Festspielsommer kommt es zum Bruch mit Wolfgang Wagner. Kleiber wird nie wieder nach Bayreuth zurückkehren. Eine spektakuläre Aufnahme von seiner letzten Tristan-Vorstellung in Bayreuth lässt sich im Netz auftreiben. Trotz aller akustischen Abstriche, die man in Kauf nehmen muss, vermittelt sie eine der betürensten und intensivsten Wagner-Erfahrungen, die man überhaupt machen kann.

Das empfindet auch der Autor Jens Malte Fischer so. Es gibt ein Dokument, das ich einmal sehen konnte, das möchte ich hier gerne erwähnen, das eine absolute Rarität ist, bis heute nie veröffentlicht wurde, wirklich noch was für Kenner und Liebhaber. Das ist...

Der komplette Tristan aus Bayreuth 1976, die letzte der Aufführungen, die er da dirigiert hat, sein letzter Tristan überhaupt, aufgenommen mit der Dirigentenkamera. Das ist für unsere Zuhörer die Kamera, die im Bühnenboden eingelassen ist und dann direkt auf den Dirigenten geht, um dessen Signale in den Hinterraum der Bühne zu transportieren, auf Monitoren oder links und rechts,

damit die Sänger, wenn sie ihn sehen wollen, nicht immer zu ihm hingucken müssen. Jeder Operngeher kennt das ja. Und das ist dreieinhalb Stunden Tristan, ohne Bühne, ohne alles, nur die Musik und man sieht nur Carlos Kleiber. Und das ist ein so unglaubliches Dokument, weil das ist atemberaubend. Ich kann es gar nicht anders beschreiben, wie hier...

dieser Mann in seinen besten Jahren mit einem Werk, das er besonders geliebt hat, leider nicht so häufig dirigiert hat, umgeht. Glücklicherweise gibt es jedoch auch eine legal veröffentlichte Tristan-Aufnahme, die Kleiber einige Jahre später mit der Dresdner Staatskapelle eingespielt hat. Auch sie vermittelt etwas von jenem unwiderstehlichen Sog, den Kleiber kongenial mit Wagners süchtelndem Tristan zu erzeugen wusste.

Sein untrügliches Gespür für Tempoverhältnisse, seine Kunst des Rubatos und der dramatischen Zuspitzung, Transparenz und Klangsensualismus der Dresdner Kapelle, die hier tatsächlich ihren Wunderhafenzauber entfaltet, all das lässt Wagners delirierende Nachtmusik zugleich vehement brennen und freiflutend der Auflösung entgegenfiebern. Musik

Ich bluse auf weise, alle Hunde und Hüsen, wo die Welt lebt. Sie werden weh, so ich vertauchen, süßen Wachen.

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Seit Wilhelm Furtwänglers legendärer Tristan-Aufnahme von 1952 hat kein auf Schallplatte gebanter Liebestod die Wagner-Fans so in Ekstasen versetzt wie Carlos Kleibers Einspielung mit der jungen Margaret Price als Isolde. Price hat sich von Kleiber zu ihrem Wagner-Debüt überreden lassen, wird die Partie aber mit Rücksicht auf ihre Sopranstimme, die eigentlich im lyrischen und im Belcantofach beheimatet ist, nie auf der Bühne singen.

Künstlerisch noch aufregender als diese Studioproduktion des Tristan sind allerdings die nicht autorisierten Bayreuther Mitschnitte.

Und es zählt zu den Paradoxien von Kleibers Schallplattengeschichte, dass ausgerechnet jene Aufnahme regulär auf den Markt kommt, die Kleiber selber zunächst wenig glücklich macht. Denn um die Freigabe des Dresdner Tristern gibt es solche Verwerfungen, dass Kleiber anschließend verkündet, nie wieder in ein Studio zu gehen. Was war passiert?

Der Autor Alexander Werner erklärt in seiner akribisch recherchierten Biografie über Carlos Kleiber, dieser habe nach einem Streit mit dem Tristan-Sänger René Kollo die laufende Produktion kurz vor dem Abschluss fluchtartig verlassen. Als das Tonmaterial dann ohne Kleiber im Studio synchronisiert worden sei, habe es heftige Kontroversen um die Veröffentlichung gegeben.

So erinnert es auch der ehemalige Konzertmeister der Staatskapelle, Peter Mering. Er hatte wohl mit René Kollo irgendwelche Diskrepanzen. Ich weiß nicht, worum es da im Einzelnen ging. Und er hat sich dann lange, lange, lange Zeit geweigert, sich diese Aufnahme anzuhören. Bis man ihn dann doch dazu gebracht hat und dann hat er sie doch freigegeben, diese Aufnahme, diese wunderbare Aufnahme auch.

Der Wissenschaftler Jens Malte Fischer hat es so gehört. Angeblich war es ein Konflikt mit dem Tenor René Collot. René Collot, den ich auch etwas kenne, hat mir mal gesagt, das war also so nicht, wie es kolportiert wird, aber das ist ja jetzt auch egal. Jedenfalls hat er die Aufnahmen im Prinzip nicht hundertprozentig beendet, aber man konnte die Aufnahme dann verfolgen.

Fertigstellen mit Probenstücken, die verwendet wurden. Und er hat letztlich offensichtlich sehr zähneknirschend oder sich überreden lassend von Mitarbeitern hat er die Zustimmung gegeben, dass das Ganze veröffentlicht wird. Die Schwierigkeiten um die Freigabe dieser Aufnahme sind wieder einmal ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse und zementieren Kleibers Ruf, eine wankelmütige Mimose mit Starallüren zu sein.

Um Kleibers Reaktion zu verstehen, muss man sich jedoch klarmachen, mit welcher außergewöhnlichen Sorgfalt und Nervenanspannung er gerade auch seine Tristan-Interpretationen vorbereitet. Schon für seinen ersten Tristan in Stuttgart lässt er sich Wagners Autograf vergrößern, um jeden Takt der Oper genau studieren zu können. In Wien setzt er unglaubliche 14 Orchesterproben an, statt der üblichen drei bis vier, was die stolzen Philharmoniker sehr irritiert, wenn nicht gar beleidigt.

Vor dem Bayreuth-Debüt wiederum brütet er monatelang über Wagners Handschrift und korrigiert unzählige Fehler in späteren Partiturausgaben. Und für die Dresdner Einspielung verlangt Kleiber maßlose 30 Orchestertermine und 20 Aufnahmetermine mit dem gesamten Ensemble. Außerdem besteht er darauf, die Aufnahmen streng nach der Abfolge der Szenen zu machen, was mit Rücksicht auf den Terminkalender der Sänger üblicherweise als utopische Forderung gilt.

Immer sind Kleibers minutiös vorbereitete Proben eine Sache um Leben und Tod. Er habe sich stets mit einer solchen Intensität in die Musik hineingefühlt, drückte es einer seiner Musiker einmal aus, dass manch einer gemeint habe, er bewege sich am Rande des Wahnsinns.

Brigitte Fassbender, Kleibers wunderbarer Brangäne im Dresdner Tristan, hat dagegen die Aufnahmephase sehr positiv in Erinnerung. Ja, da kann ich mich auch nur an diese unglaublich akribische Vorarbeit erinnern bei den Proben. Da hat er während der Aufnahmen nicht seine Unzufriedenheit gezeigt. Das muss alles hinterher beim Abhören passiert sein.

Also ich habe daran keine negative Erinnerung. Ich weiß nur, dass ich auch was nachsynchronisieren musste, weil ich krank wurde. Aber das Ganze ging da mit den Solisten in der Kirche bei den Aufnahmen, soweit ich mich erinnern kann und dabei war, ging das ganz normal vonstatten. Das muss alles hinterher passiert sein beim Abhören, wie gesagt.

1974 spielt Kleiber Beethovens 5. Symphonie mit den Wiener Philharmonikern ein. Seine vorwärts drängende, explosive und energetische Interpretation lässt die widerstreitenden Kräfte in dieser Musik beinahe brachial aufeinanderstoßen. Musik

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Kleibers Aufnahme der 5. Symphonie von Beethoven mit den Wiener Philharmonikern wird einhellig als Sensation gefeiert und weckt bei der Plattenfirma Begehrlichkeiten nach einem kompletten Beethoven-Zyklus.

In den folgenden Jahren lässt sich Kleiber dazu überreden, mit den Wienern auch die siebte Symphonie einzuspielen. Er dirigiert auch immer mal wieder die vierte und ein einziges Mal die Pastoral-Symphonie, die später als Konzertmitschnitte des Bayerischen Staatsorchesters erscheinen. Mehr interessiert ihn nicht. 1978 nimmt er zwei weitere Werke mit den Wiener Philharmonikern auf, Schuberts dritte Symphonie und seine Unvollendeter.

Die deutsche Grammophon umgarnt Kleiber bereits seit 1970 und möchte ihn als Exklusivkünstler binden. Kleiber lehnt ab. Er lässt sich nicht festnageln. Sein Credo lautet, nur eine nicht produzierte Platte ist eine gute Platte. Entsprechend lang ist die Liste der geplatzten Aufnahmen und der Absagen, bis er nach dem Dresdner Tristan wahrmacht mit seiner Drohung, nie wieder ein Plattenstudio zu betreten.

Einige Jahre zuvor sollte es mit dem Pianisten Arturo Benedetti Michelangeli und dem Berliner Rias-Orchester zu einer Einspielung des fünften Klavierkonzerts von Beethoven kommen. Die Orchesterproben laufen sehr gut. Die Probleme beginnen, als Michelangeli dazukommt. Er ist selber ein hyperempfindlicher Perfektionist, der immer mit eigenem Flügel reist.

In Berlin macht er, wie einer der RIGAS-Musiker sich erinnert, viel Theater wegen seines Klaviers. Es kommt zum Eklat und zum Abbruch der Aufnahmen. Der ehemalige Solo-Oboist Klaus König hat sich die Geschichte der geplatzten Aufnahme von Kleiber so erzählen lassen. Beethoven-Klavierkonzert mit einer ganz langen Orchester-Einleitung. Und dieser blasierte Michelangeli, der saß da so am Flügel und schlug.

Kleiber beobachtete Menschen auch sehr gern und hat den immer so angeschaut und hat mir gesagt, wissen Sie, allein dieses Gesicht, das geht einem so auf die Nerven, der braucht noch gar nichts machen. Immer diese Flappe da. Dann hat er also diese lange Einleitung und hat Michelangelo zu ihm gesagt, auf Italienisch, das war jetzt sehr deutsch.

Dann hat der Kleiber gesagt, Beethoven war auch ein deutscher Komponist, hat sein Stecken hingelegt und ist gegangen. Der fand den grauenhaft. Glücklicher als mit Michelangeli verlaufen Carlos Kleibers je einmalige Zusammenarbeiten mit den Pianisten Alfred Brendel und Sviatoslav Richter.

Das Beethoven-Programm, das Kleiber mit dem Bayerischen Staatsorchester und Alfred Brendel 1970 im Deutschen Museum in München gibt, wird nicht auf Schallplatte veröffentlicht. Mit Sviatoslav Richter gelingt jedoch eine gemeinsame Einspielung des Klavierkonzerts von Antonin Dvorak. Musik

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Sjatoslav Richter hält Carlos Kleiber für den größten lebenden Dirigenten. Mit seiner eigenen Interpretation des Dvorak-Klavierkonzerts in dieser Aufnahme ist Richter jedoch nicht zufrieden, wie er in seinen Tagebüchern festhält.

Dennoch ist er an weiteren Aufnahmen interessiert und schlägt Kleiber vor, auch das erste Klavierkonzert von Peter Tchaikovsky einzuspielen. Doch wie so oft, Kleiber lehnt ab.

Einer der am häufigsten zitierten Kleiber-Skandale ereignet sich 1982 bei einer Probe mit den Wiener Philharmonikern. Beethovens vierte und sechste Symphonie stehen auf dem Programm eines Abonnement-Konzerts, das begleitend für Schallplatte und Fernsehen produziert werden soll. Unter anderem geht es also um viel Geld. Das Orchester ist euphorisch und steht noch ganz unter dem glücklichen Eindruck einer gemeinsamen Konzertreise nach Mexiko.

Sechs Jahre lang hat es sich zuvor vergeblich um eine Auslandstournee mit Kleiber bemüht. Nun glaubt es sich am Beginn einer gemeinsamen Blütezeit. Nicht ohne einen leicht triumphierenden Seitenblick zur großen philharmonischen Konkurrenz in Berlin. Denn dort hat Kleiber gerade das Handtuch geschmissen.

Nachdem sich die Philharmoniker, ja sogar Herbert von Karajan persönlich, jahrelang vergeblich um Kleiber bemüht hatten, war das endlich fixierte Berlin-Debüt Kleibers mit Dvořák's Symphonie aus der Neuen Welt noch vor Probenbeginn geplatzt.

Ob die Unerfahrenheit einer jungen Mitarbeiterin daran schuld war oder die berlinische Schnottrigkeit. Fest steht, Kleiber ließ die Berliner Philharmoniker sitzen und reiste ab, als er sah, dass das Notenmaterial nicht so eingerichtet worden war, wie er es ausdrücklich gefordert hatte.

Noch größer ist die Enttäuschung nun in Wien, wo Kleiber den perplexen Musikern während einer Probe wütend davonläuft und nur noch eine seiner berühmten Karten hinterlässt. Bin ins Blaue gefahren, steht darauf zu lesen. Was passiert ist, spricht sich schnell auch bis nach Berlin herum. Ich meine, wir kennen ja alle die eine Probe bei den Wiener Philharmonikern.

Er wollte halt keinen punktierten Rhythmus, nicht einfach ausstudiert, sondern er wollte etwas Gesprochenes. Und als sie dann anfingen, über Sprüche zu reden, dann hat es bei ihm ausgeragt und ist weggelaufen. Erklärt der ehemalige Orchestervorstand der Berliner Philharmoniker Rudolf Watzl. Kleiber war mit der einleitenden Streicherfigur am Anfang des zweiten Satzes in Beethovens vierte Symphonie unzufrieden.

Er griff zu einem seiner Sprachbilder und bat die Musiker, sich zu der rhythmischen Figur den Namen Therese vorzustellen. Als habe Beethoven hier zärtlich an Therese Brunsweg gedacht, die möglicherweise seine rätselhafte, unsterbliche Geliebte war. Clemens Helsberg von den Wiener Philharmonikern berichtet, Kleiber sei schließlich geplatzt mit dem Aufschrei, sie spielen nicht Therese, sondern immer nur Marie. Musik

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Mit dem Bayerischen Staatsorchester hatte Kleiber Beethovens vierte Symphonie einige Monate vor dem Wiener Probenabbruch im Konzert aufgeführt. Wir hörten einen Ausschnitt.

Dem Münchner Solo-Oboisten Klaus König erzählte er später über seine schlagartige Flucht aus der Probe ins Hotel Imperial in Wien. Ja, er sagt, mein Gott, es hat halt nicht gepasst. Aber wissen Sie, ich dachte mir, wenn ich jetzt im Hotel in die Lobby runterkomme und da sind die alle und bitten mich und fallen vielleicht auf die Knie oder was, ich hätte es gemacht, aber kein Mensch war da, aber nicht einer.

Ich bin allerdings auch durch den Hinterausgang rausgegangen. Und das ist sein Humor. Das meint er ganz ernst. Ein grandios schwieriger, zerbrechlicher Mensch auch. Wer sagt, er kennt den durch und durch, würde ich sagen, glaub ich nicht.

Schon 1973 in Dresden sorgten sich die Musiker während der Proben zur Freischützaufnahme, ob es ihnen gelingen würde, Kleiber bis zum Ende zu halten, erinnert sich der ehemalige Orchestervorstand Peter Miering. Wir hatten natürlich ein bisschen Sorge, dass irgendetwas passieren könnte, was so bekannt war über ihn. Er war ja immer ein ganz schwieriger Mensch auch.

wie die Genies das halt oft sind. Und da gab es natürlich Vorkommnisse bei anderen Orchestern, die uns zu Ohren gekommen sind. Und da dachten wir, um Gottes Willen, hoffentlich läuft alles gut bei uns.

Ja, es ist auch im Grunde alles sehr, sehr gut gelaufen. Es gab so Kleinigkeiten, wenn irgendetwas störend für ihn war. Das muss gar nicht mit der Musik zusammengehangen haben. Aber dann hat er schon mal die Partitur genommen und auf das Pult geknallt und ist einmal um die Kirche gerannt, die Lukaskirche, wo die Aufnahme stattfand. Und ja, und dann hat er sich wieder beruhigt und dann ging es weiter.

Kleiber hielt sich immer einen Fluchtweg bereit. Anekdotisch ist überliefert,

dass wenn er zu einem neuen Orchester kam oder wo er lange nicht mehr war, wo er dann sagte, bei der ersten Probe, meine Damen und Herren, ich habe für jeden Tag einen Rückflug gebucht. Dahinter standen keine Allüren, sondern tiefsitzende Zweifel und Unsicherheit, wenn nicht gar die blanke Angst. Die Art, einen Konflikt zu lösen, war halt bei ihm, davonzulaufen.

Also der hat mir in einen Brief geschrieben, wie es das erste Mal nach Berlin ging. Das ging ja schief. Aber der hat mir geschrieben, dass er eine unglaubliche Angst hat, da hinzufahren. Das schreibt er mir. Jahre nach Kleibers brüster Abreise aus Berlin sollte es dann doch noch klappen mit dem Debüt bei den Berliner Philharmonikern.

Auf Initiative des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker gibt Kleiber 1989 und 1994 seine beiden einzigen Konzerte in der Philharmonie. Wie gelingt es dem selbstbewussten Spitzenorchester, Kleiber vom Wegrennen abzuhalten? Das hätte bei uns auch passieren können. Er hat auch gesagt, ich sitze hier, fühle mich wie im Rolls-Royce und weiß nicht, wo die Knöpfe sind. Sagt der damalige Orchestervorstand Rudolf Watzl. Und erklärt? So war der sicher auch gepolt.

oder der Carlos Kleiber, dass er auch die Freiheit gebraucht hat. Und das Vertrauen in die Musiker. In der sehr kurzen Zeit ist das sehr schwierig, weil so ein Mensch, der so selbstkritisch ist, wenn man da nur einen Tropfen Bitterkeit irgendwo hineinbringt, dann bricht alles zusammen. Das war erst schon da sehr, sehr empfindlich gewesen.

Aber auf der anderen Seite auch mit einer wunderbaren Euphorie oder Selbstverständlichkeit. Das hat mich eigentlich da immer sehr, sehr beeindruckt. Die Konzerte werden nicht offiziell mitgeschnitten. Im Netz kursiert jedoch ein unautorisierter Live-Mitschnitt des zweiten Philharmoniker-Konzerts mit Kleibers atemberaubender Interpretation der Coriolan-Overtüre von Beethoven. Musik

Mit dem Bayerischen Staatsorchester hat Kleiber das Werk zwei Jahre später auch aufgeführt. Von diesem Konzert existiert ein auf DVD erhältlicher Mitschnitt. Musik

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Beethovens Choreolan-Overtüre erklingt 1994 in Kleibers 2. und 3. Konzert mit den Berliner Philharmonikern. Rudolf Watzl steht als Orchestervorstand auch anschließend noch jahrelang in regem Briefwechsel mit Carlos Kleiber. Immer hoffend, er möge eines Tages ans Pult der Philharmoniker zurückkehren. Danach habe ich es unablässig versucht,

aber ist mir nicht geglückt. Es war immer wieder so weit, dass er eine Idee hatte, aber dann doch wieder von der Idee selbst Abstand genommen hat. Und alles, was von uns kam, respektive von mir, fand er immer erst mal gut.

Aber dann sagt er, er kann nicht. Er kann einfach nicht, er ist zu schlecht drauf. Er ist zu schlecht drauf und er will sowieso nicht dirigieren und er hat das alles satt. Er war in der Beziehung fast selbstzerstörerisch, also überkritisch sich selbst gegenüber.

Woher rühren die tiefen Selbstzweifel, die Carlos Kleiber ein Leben lang begleiten? Fast reflexartig wird als Erklärung stets sein Verhältnis zum berühmten Vater bemüht. So sieht es etwa Peter Mering von der Dresdner Staatskapelle. Er hatte ja auch einen Übervater, den Erich Kleiber, der ihn ja am Anfang gar nicht als Dirigent gesehen hat.

Und das war schon ein Problem. Und es war auch wahrscheinlich ein kleines Problem, als er nach Dresden kam. Er wusste ja, in den 50er Jahren müssen hier in Dresden mit Erich Gleiber so eine Serie Freischützaufführungen gewesen sein. Und aus dieser Zeit sind auch in unseren Noten noch

Striche, also Bogenstriche, die er vorgeschlagen hat, die werden immer noch ausgeführt. Die werden immer noch, weil sie einfach so gut war. Er hatte großen Respekt vor der Kapelle und wusste, dass sein Vater hier gearbeitet hat. Ohne Zweifel hat Carlos Kleiber seinen Vater als Dirigenten über die Maßen bewundert und sich zum Maßstab seines eigenen Musizierens genommen.

Entsprechend groß war die Empfindlichkeit. Der Rudolf Ulbricht, der verehrte Kollege, der sagte einmal während der Proben dort zu ihm, das hat aber Ihr Vater so gemacht. Oh, und das hätte er lieber nicht sagen sollen. Er wollte, er hat es natürlich gut gemeint, aber da war natürlich, da ging so ein bisschen das Rollo runter bei ihm. Das wollte er nicht so gerne hören.

Wo immer es möglich war, studierte und probte Kleiber, der Sohn, nach den Partituren seines berühmten Vaters. Seine grenzenlose Bewunderung für Erich Kleiber lässt sich bis in die Repertoire-Auswahl hinein nachverfolgen. Musik

Erich Kleiber hatte 1947 in einem Live-Mitschnitt mit dem NBC Symphony Orchestra Alexander Borodins selten gespielte zweite Sinfonie aufgenommen. Carlos wird ihm im Dezember 1972 mit dem Radiosinfonieorchester Stuttgart folgen. In der letzten Stunde der Langen Nacht beleuchten wir das komplizierte Verhältnis zu seinem Vater genauer. Ist es wahr, dass Erich Kleiber die Dirigentenlaufbahn seines Sohnes verhindern wollte?

Carlos Kleiber wird schon in seinen letzten Lebensjahren zu einem lebenden Mythos stilisiert. Je stärker er sich aus der Öffentlichkeit zurückzieht, desto heftiger heizt er unwillentlich jene Tendenz zur Glorifizierung an, die bis heute anhält. Was ist Kleibers Vermächtnis? Welche Schuld trägt der Musikbetrieb daran, dass der genialische Stardirigent schließlich lange Jahre musikalisch verstummte, bevor er 2004 frei, aber einsam starb?

Darüber mehr in der dritten Stunde.

Diese beiden Neujahrskonzerte von Carlos Gleiber in Wien mit den Philharmonikern, da können

können alle anderen nach Hause gehen, vorher und nachher. Wie er mit dem Orchester kommuniziert und wie das Orchester ihm, also wie die eine einzige Person werden, das ist schon eine Meisterleistung und eine, eben wie gesagt, auf seine Persönlichkeit zurückgehende Leistung. Und das ist auch die Ausstrahlung, die er dann eben hat. Musik

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Die beiden Neujahrskonzerte, die Carlos Kleiber 1989 und 1992 bei den Wiener Philharmonikern dirigiert und die nicht nur auf CD, sondern auch als Filmmitschnitt festgehalten werden, sind bis heute Legende. Der Weg zur Aussöhnung mit Carlos Kleiber ist für die Wiener Philharmoniker allerdings eine Zitterpartie. Jahrelang hat Kleiber die Philharmoniker nicht dirigiert, seit dem spektakulären Probenkrach mit seiner anschließenden »Flucht ins Blaue«.

1985 kehrte zum ersten Mal für eine Boheme nach Wien zurück. Um ein Haar kommt es auch hier zu mir klar, als Kleiber in der Pause der dritten Vorstellung Mikrofone im Saal entdeckt, die man ohne sein Wissen für eine Rundfunkübertragung aufgestellt hat. Die Mikrofone werden entfernt und die Vorstellung kann fortgesetzt werden.

1986 sagt Kleiber vier bereits fest vereinbarte Traviata-Vorstellungen in Wien ab und dirigiert stattdessen Verdi's Othello in London und Mailand. Und auf den euphorischen Walzer-Taumel der gelungenen Neujahrskonzerte folgt zugleich die nächste Enttäuschung.

Kleiber verweigert den Wiener Philharmonikern die bereits festgeplante Jubiläumstournee nach Paris und Japan im Februar 1992. Das Konzert, das diese Tournee vorbereiten soll, findet jedoch noch statt und wird sogar als Filmdokument mitgeschnitten. Auf dem Programm stehen mit Brahms' Zweite Symphonie und Mozarts' Symphonie Nr. 36 Werke, die Kleiber 1989 auch bei seinem Debüt mit den Berliner Philharmonikern dirigiert hat.

Am 16. Juli 1989 stirbt der langjährige Berliner Chef Herbert von Karajan. Und das Berliner Starorchester setzt sich in den Kopf, Carlos Kleiber als neuen Chefdirigenten zu gewinnen. Vergeblich, wie Rudolf Watzl erzählt. Die wollten unbedingt den Kleiber haben. Und dann ist unser Orchestervorstand nach Grünwald gefahren und hat ihn gefragt. Und er hat gesagt, tun Sie sich das nicht an. Klar, das ist für ihn gar nichts. Das wäre der falsche Job.

Herbert von Karajan hielt Carlos Kleiber für ein Genie. Auch wenn er einmal bissig bemerkte, es sei doch bedauerlich, dass diesem großen Künstler die Musik offenbar so wenig Spaß mache. Die Hochschätzung beruhte auf Gegenseitigkeit. Kleiber wird später gelegentlich in Gedanken versunken, am Grab des großen Meisters im nahe Salzburg gelegenen Arnief gesichtet.

Rudolf Watzl hat jedoch keine Sekunde lang ernsthaft daran geglaubt, dass es seinen Orchesterkollegen gelingen könnte, Kleiber für das ruhmvolle, aber heikle und zermürbende Chefdirigentenamt zu begeistern. Immerhin kommt es wiederum auf Initiative des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker 1994 zu einem zweiten Berliner Konzert mit Beethovens Choreolan-Overtüre, Mozarts Sinfonie Nr. 33 und Brahms 4. Sinfonie.

In den Folgejahren bemüht sich Watzl in seinem Briefaustausch mit Kleiber um ein weiteres Gastdirigat am Pult der Philharmoniker. Ich habe mich immer gefreut, wenn er geschrieben hat, weil das ist einfach ein Genuss. Man hört ihn ja förmlich reden und diese Selbstironie, das ist einfach wirklich eine Freude.

Kleibers Antworten auf Watzels zahlreiche Versuche, Kleiber nach Berlin zu locken, klingen zum Beispiel so. Dann wegen Januar 2000, was hätten Sie denn gern? Eine Antwort eilt nicht. Bedenken Sie aber, ich werde 70 sein, circa, und empfinde mich jetzt schon als total 100% unbrauchbar, wenn es um musikalische Leistung geht. Physisch und psychisch. And I'm not joking. I hope von Herzen that you are gesund und froh, stets ihr Ergebnis und dankbarer Carlos Kleiber.

In einem anderen Brief an Rudolf Watzl berichtet Kleiber von einer Konzertreise auf die Kanarischen Inseln, die er 1999 mit dem Bayerischen Staatsorchester unternehmen wird. Die Hoffnung auf eine Rückkehr ans Pult der Berliner Philharmoniker rückt dagegen in zunehmend ungewissere Ferne.

Kleibers Briefstil gibt ein anschauliches Bild von seiner zwischen Selbstironie, Vorfreude, Zweifel und Unentschlossenheit oszillierenden inneren Verfassung in diesen Jahren. Heute übrigens ist Vollmond, habe ich ohne Programm zwei Konzerte auf den Kanarischen Inseln winzige Seele zugesagt. Bin ich deppert? Nur ein Programm noch auszudenken bzw. lernen zwei Orte angeblich viel Knete, Euro? Privatjet hin und zurück.

Haus am Meer, auch für lange Tage danach, Bayadern zur Auswahl, alle garantiert unmusikalisch. Nicht einmal Brahms könnte widerstehen, oder? Klammer auf, übt nur fleißig dabei, liebe Klara, bin ja bald zurück, Bussi. Aber ganz ernst, wenn ich ein Programm für diese Lustpartien mir zugemutet haben werde, oh, das kann aber dauern, und wenn ich einen oder zwei Frecke, die nicht auseinanderfallen, finde, meine gingen vielleicht gerade noch für zwei Kanarien, aber Berlin ist eine Großstadt,

oder kaufe, werde ich möglicherweise mich erdreisten, Herrn Professor Watzl, mich zum halben Preis oder gar gratis, no problem, anzubieten, maybe. Peutre quizas. Natürlich wäre der Unterschied, Berlin wäre vorher dann qualvoll, if you know what I mean. Perhaps better not. Jedenfalls melde ich mich so oder so, okay, Ihnen alles erdenklich Gute und so weiter. Ihr stets ergebender alter Halbleiter, Semikontaktor, Carlos Kleiber. Musik

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Beethovens funkensprühende siebte Symphonie. Kleiber dirigiert tatsächlich das Bayerische Staatsorchester beim Kanarischen Festival der Musiker 1999. Diese Live-Aufnahme stammt aus der Münchner Staatsoper aus dem Jahre 1982. Musik

Wie lässt es sich erklären, dass ein Künstler, der so für die Musik brennt, sich zunehmend vom Dirigieren zurückzieht?

Für viele seiner großen Kollegen ist die Musik ein solches Lebenselixier, wenn nicht gar Suchtmittel, dass sie sich überhaupt nur dann im emphatischen Sinne lebendig fühlen, wenn sie gestaltend eintauchen können in den Strom musikalischer Prozesse. Nicht wenige berühmte Dirigenten wie Josef Kailbert, Giuseppe Sinopoli oder Dimitri Mitropoulos haben dirigiert, bis sie buchstäblich vom Pult gefallen sind. Herbert von Karajan soll sich einen solchen Tod sogar gewünscht haben.

Verspürt Carlos Kleiber in den 90er Jahren denn gar kein Verlangen mehr danach, Musik zu machen? Ich glaube schon, nur im Widerstreit. Er wollte immer dirigieren wahrscheinlich, aber wiederum nicht. Also diese beiden Dinge, die zugleich da sind, das könnte bei ihm stärker gewesen sein und hat auch diese Energie besorgt. Dass wenn er dann dirigiert und sich durchgerungen hat, dann war es wirklich immer wieder ein wirklich großes Erlebnis.

Woher rührt dieser innere Widerstreit? Soll man sich wirklich in Kleibers Kindheit vertiefen, um seinem rätselhaften Wesen näher zu kommen? Ja, das hat er mir mal erzählt, also dass er da doch in seiner Jugend ziemlich gelitten hat. In seiner Kindheit gab es schon einige Erlebnisse, die irgendwie so kleine Traumata waren. Aber weiter weiß ich darüber nichts, nur dass eben der Vater...

wohl erst mal gar nichts von seinen Dirigierplänen hielt. Erzählt Brigitte Fassbender. Und Rudolf Watzl ergänzt. Es sind einfach Abgründe vorhanden. Und es hat sicher mit seinem Vater zu tun. Der wollte ja nicht, dass er Musiker wird. Mit Sicherheit hat er immer...

eigentlich gezweifelt, dass er was kann. Darauf, dass Erich Kleiber die Dirigentenkarriere seines Sohnes nachhaltig verhindern wollte, gebe es allerdings keine Hinweise, meint Jens Malte Fischer. Also die ganzen Anekdoten, die darauf hinauslaufen, dass der Vater mit allen Mitteln bis zuletzt verhindern wollte, dass der Sohn Dirigent wird,

aus welchen Gründen auch immer, weil er ihm die schwierige Karriere nicht zumuten wollte oder weil es ihm nicht zutraute, die sind mit Vorsicht zu genießen. Also es ist sicher so, dass Erich Kleiber die Interessen des Sohnes nicht von Anfang an gewissermaßen gefördert hat und groß dafür gesorgt hat, dass dieser Sohn unbedingt Dirigent werden muss. Aber

Es sieht mir für mich so aus, als er erkannte, dass da hier doch eine gewaltige Begabung zugrunde liegt. Wahrscheinlich zur Verblüffung des Vaters, denn große Dirigenten haben meistens keine Söhne, die große Dirigenten werden.

Aber als er das erkannte, dass da die Begabung da war, dann hat er offensichtlich da nichts dagegen gehabt und hat auch dafür was getan. Das bestätigt auch Alexander Werner, der sich für seine umfangreiche Biografie über Carlos Kleiber tief ins Material hineingearbeitet hat.

Der junge Kleiber studiert zunächst auf Anraten seines Vaters ein Semester Chemie in Zürich. Und hat dann seinem Vater kundgetan, er will nicht mehr. Und was sein Vater gemacht hat, der hat sich nicht aufgeregt, der hat sofort die besten Musiker besorgt in Buenos Aires für ein Musikstudium. Da gab es keinen Streit, keine Auseinandersetzung. Ich habe Originalbriefe, familiäre, aus der Zeit. Und das Verhältnis zum Vater war sehr gut.

ließ sich ein wunderbares Verhältnis mit dem Vater raus. Und der Vater hat ihn dann hinterher bis zu seinem Tod intensiv unterstützt bei allem. Allerdings war es eben der große Vater. Und Carlos Gleiber wurde in der frühen Zeit in der Presse, ganze Düsseldorfer Zeit über, quasi fast jeden Artikel, als der Sohn des großen Vaters bezeichnet. Musik

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Tatsächlich wandelt Carlos Kleiber auch mit seiner Repertoire-Auswahl konsequent auf den Spuren seines Vaters, den wir hier mit einem Ausschnitt aus seinem Rosenkavalier an der Wiener Staatsoper hörten.

Nicht nur mit diesem Herzensstück von Carlos Kleiber, sondern auch mit dessen Lieblingsopern Wozzeck, Fledermaus, Tristan und Freischütz hatte Erich Kleiber bereits seine gewaltigen Abdrücke in der Interpretationsgeschichte hinterlassen. Vielen jedoch gilt Carlos Kleiber heute als der wesentlich größere Künstler. Musik

Wer wollte Vater und Sohn anhand dieser beiden hinreißenden Aufnahmen gegeneinander ausspielen? Zumal der unmittelbare Vergleich auch durch die technisch unzureichendere Aufnahmequalität von Erich Kleibers Rosenkavalier aus dem Jahr 1954 erschwert wird.

Und mit welchem Recht beginnt man überhaupt, in der Psyche eines großen Künstlers nach einem Trauma zu graben? Der Dirigent Joel Gamsow findet die unentwegte Betonung der Rolle des mächtigen Vaters problematisch. Man wird nicht Künstler, wenn man nicht irgendwie auf irgendeine Art ein bisschen kaputt ist.

Kein Mensch, der perfekte Eltern hatte, eine perfekte Kindheit, auch wenn es das überhaupt gibt, wird dann Dirigent oder wird Künstler oder meistens kein Guten. Man kann bei jedem Großen, ob es Burns oder Giulini oder Furtwängler oder Isaac Stern, man findet immer irgendwie eine jüdische Mutter oder einen strengen Vater oder eine...

Kindheit mit Trauma oder einem Krieg, man findet immer irgendein Drama und irgendein Trauma in der Kindheit von jedem, also von jedem Menschen, schon gar nicht und schon auf jeden Fall bei sehr sensiblen, sehr verletzbaren Menschen, die diese Sensibilität sublimieren konnte in künstlerisches Schaffen. Warum ist das bei Kleiber dann entscheidender, weil dein Vater Dirigent war und nicht irgendwie, was weiß ich, Tischlermeister?

Das weiß ich nicht. Bestimmt hat das eine Riesenrolle gespielt, absolut. Also wie genau, werden wir nie wissen. Und letztendlich ist heute der Sohn Kleiber viel bedeutender für die, obwohl sein Vater ein großer Dirigent war, aber für heute, für viele, viele, viele junge Dirigenten ist der Sohn Kleiber ein viel bedeutenderer Einfluss als der Vater. Rudolf Watzl sieht es ähnlich. Ich bin ja gegen diese Psychohuberei. Also da würde man...

Man kriegt das eine nicht ohne das andere. Also es kann nicht sein, dass einer einfach genial ist und eine unglaubliche Sensibilität hat und auf der anderen Seite ist er ganz normal und alles. Das kann es einfach nicht sein.

Joel Gamsu erklärt sich Kleibers zunehmenden Rückzug von den Podien mit einer hochgradigen Verletzlichkeit, die er im Metier selber begründet sieht. Denn das Musizieren auf einem solchen Niveau fordere immer auch eine extreme Entblößung. Wenn man Musik macht auf diese Ebene, wenn man sich wirklich auf diese Intensität und diese Intimität einlässt des Musizierens, dann kann es extrem wehtun, wenn es nicht gelingt oder wenn man das Gefühl hat, dass jemand...

das nicht mitmachen. Eine Ablehnung kann extrem schmerzvoll und extrem existenziell sein. Und es vielleicht reicht, dass man ein, zwei, drei solche Erfahrungen hatte, dass man dann einfach sich zurückzieht und sagt, lieber mache ich keine Musik, bevor ich mich so wieder so fühle. Ich glaube, es war eine Mischung von einem sehr hohen Anspruch, aber auch eine sehr, sehr große Ängstlichkeit,

Dieser ganze Prozess, der braucht so viel Mut und wenn es reicht, dass ein Element nicht stimmt, dann zieht man sich schnell zurück und will dem Schmerz aus dem Weg gehen. Obwohl Kleiber die Öffentlichkeit scheut und sich konsequent Interviews verweigert, kann er nicht verhindern, immer wieder in die Schlagzeilen zu kommen. Je stärker er sich entzieht, desto begehrter wird er und desto wilder werden in Ermangelung seriöser Grundlagen auch die Gerüchte um ihn. Ein Teufelskreis.

Da man sich in der Öffentlichkeit ohnehin schon auf die Vaterproblematik eingeschossen hat, erstaunt es kaum, dass irgendwann auch deren Legitimität infrage gestellt wird. Bis heute taucht immer mal wieder das Gerücht auf, Carlos Kleiber sei in Wahrheit der uneheliche Sohn des Komponisten Alban Berg.

So reizvoll der Gedanke, das Genie des Schönberg-Schülers habe sich im genialischen Talent eines leibhaftigen Sohns fortgesetzt, gerade auch für die albern Bergfans sein mag, es scheint nichts dran zu sein. Abgesehen davon, dass Carlos Kleibers Schwester Veronika diese Vermutung vom Tisch gewiesen hat, gibt es auch in der Bergbiografik keinerlei Hinweise auf eine Affäre des Komponisten mit Ruth Kleiber.

Deshalb stürzt sich die Presse mit Vorliebe auch auf andere Themen. Auf die immer horrenderen Gagen zum Beispiel, die Carlos Kleiber mit seiner hohen Kunst der Verweigerung einfordert. Naja, das sagte man immer. Und er hat natürlich dann auch Riesensummen gefordert, die er dann halt nur von einigen bekommen hat. Eben besonders von diesem Audi-Werk da nicht. Musik

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Brahms vierte Symphonie steht 1996 auf dem Programm eines Gastspiels mit dem Bayerischen Staatsorchester in Ingolstadt, das ein heftiges Presseecho auslöst. Mehr als acht Jahre hat Kleiber bis dahin nicht mehr am Pult des Münchner Orchesters gestanden.

Nun hatte er ein Angebot des Audi-Kulturprogramms angenommen. Unter Lampenfieber leidet er sein Leben lang. In der letzten Viertelstunde vor diesem Auftritt aber, so berichtet es Gerd Uecker, der damalige Operndirektor in München, erwischt es ihn mit solcher Heftigkeit, dass er das ganze Metier infrage stellt und ernsthaft erwägt, einfach abzuhauen.

Mit der Aufführung ist Kleiber hinterher nicht zufrieden. Die Zeitungen interessieren sich allerdings mehr für Kleibers Gage als für das tatsächliche Konzert. Und er hatte ja den neuesten A8 gekriegt mit irrsinnigen Sonderwünschen. Und eins weiß ich noch, beheiztes Lenkrad. Ich finde das so herrlich kindisch, dass man sich eine Handschuhe anziehen kann, wenn man keine Hände hat.

Das haben die dem erfüllt. Kleibers Faible für Autos war bekannt. Tatsächlich hat ihn das Kultursponsoring der Firma Audi mit einer Luxuslimousine geködert, auf die er schon längere Zeit ein Auge geworfen hatte. Seine Liste mit 20 Sonderwünschen für die Ausstattung des Wagens wird im Spiegel abgedruckt.

Kleiber willigt in den Deal jedoch auch deshalb ein, weil das Konzert im ländlichen Ingolstadt stattfindet und nicht in der Musikmetropole München. Die Vergötterung, die ihm dort seit Jahren entgegenschlägt, stößt Kleiber zunehmend ab. Im Prinzip hat ihn eigentlich Geld nur interessiert, wenn er es ausgibt. Ich meine, der hat schon warm essen können, so ist es nicht. Aber das war nie irgendwie ein Grund, da zu bleiben, wenn er sich nicht wohlfühlt.

An seinen Philharmoniker-Brieffreund Rudolf Watzl schreibt Kleiber über das Konzert. Ich dirigiere hier in Ingolstadt vor ein paar Leutchen, also nur geladene Gäste. Ich kriege eine Riesengage und ein tolles Auto. Bin ich jetzt eine Hure? Nein, ich bin ein Profi. Musik

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Nicht nur Kleibers ungewöhnliche Gagenforderung. Auch sein Repertoire wird von Skeptikern immer wieder zum Anlass für Diskussionen genommen. Bizets Carmen, hier in einer fürs Fernsehen mitgeschnittenen Aufnahme der Wiener Staatsoper aus dem Jahr 1978, zählt zu Kleibers Lieblingswerken. Das Repertoire, auf das er sich kapriziert, wird im Laufe der Jahre immer kleiner.

Zwei knappe Handvoll Opern, vier Symphonien von Beethoven, zwei von Mozart, zwei von Brahms, ein bisschen Dvorak, ein bisschen Borodin und das Neujahrskonzertprogramm. Das ist es beinahe schon, so sehr man es bedauern mag. Brigitte Fassbender hätte sehr gerne mal einen Bruckner von ihm gehört. Der Malerbiograf Jens Malte Fischer wiederum erklärt, warum er glaubt, dass Kleiber ein großer Malerdirigent hätte werden können. Ja, ich denke, dass er mit seinem...

mit seinem Temperament, mit seiner Intensität, in die er sich in alles hineingekniet hat, was er gemacht hat, mit seiner Fähigkeit auch zur kontrollierten Exaltation, wie ich das nennen möchte. Er wäre ein ganz großer Mahler-Dirigent geworden. Es ist mir nicht bekannt, warum er mit Mahler nichts anfangen konnte offensichtlich.

Darüber sagt auch die Biografie nichts von Alexander Werner und ich habe darüber auch keine Informationen, warum das nicht so gekommen ist. Ich bedauere das. Ein einziges Mal hat Kleiber sich mit Mahler beschäftigt. 1961 dirigierte er in Wien Mahlers »Lied von der Erde«. Solisten waren die junge Christa Ludwig und Waldemar Kment.

Die Probenbedingungen waren für den noch jungen, unbekannten Dirigenten nicht ideal. Und die Orchester waren zu dieser Zeit noch nicht sehr vertraut mit Mahler. Doch trinkt noch nicht der Stich.

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ist das Lied der Tod. Wer dieses Lachen kennt, will des goldenen Fach

Soll man einen Dirigenten überhaupt an der Größe seines Repertoires oder der Anzahl seiner Auftritte messen? Es geht in der Kunst ja nicht um einen Sportwettbewerb. Vielleicht bietet der Blick auf Carlos Kleiber auch Anlass, einmal zu fragen, welchen unmöglichen Spagat unser Musikbetrieb den Künstlern eigentlich abfordert.

Auf der einen Seite sollen sie sich jeden Abend am Pult des Herz aufreißen, auf der anderen Seite aber Nerven wie Drahtzeile besitzen, weil sich nur so der immense Druck des sich immer schneller drehenden internationalen Star-Karussells überhaupt aushalten lässt. Ein so tiefes Durchdringen der Werke, wie es Carlos Kleiber gelingt, fordert nicht nur eine außergewöhnliche Sensibilität, sondern auch ausreichend Zeit für das Partiturstudium.

für intensive Proben und nicht zuletzt für Inspiration und Muße. Bei einem Künstler, der bereits zu Lebzeiten zum Mythos stilisiert wird, wächst dazu noch der Druck, mit jedem Konzert gleichsam gegen sich selbst antreten zu müssen. Groß und verletzend kann die Häme sein, wenn Publikum und Kritiker sich vom Stardirigenten um eine teuer bezahlte Sternstunde betrogen fühlen.

Christian Thielemann kann Kleibers Haltung sehr gut nachvollziehen. Ja, ich sehe das so. Also ich persönlich bin ja auch so jemand, ich muss nicht am Pult stehen. Vielleicht hat er das auch nicht gewollt, was ich durchaus verstehen kann. Sein Leben nicht im Hotel verbringen, nicht auf Flughäfen, nicht in Wartesälen und ewig gleiche Sachen. Wissen Sie, denn das ist ja eine sehr prosaische Angelegenheit eigentlich. Das ist egal, ob sich das in...

oder an der Met ab spielt. Oder in Bayreuth oder in, ich weiß nicht, in Nowosibirsk oder so weiter. Du musst um zehn zur Probe studiert sein, musst irgendwie fit sein und dich nochmal hinlegen und am Abend und dann Konzert und so weiter.

Und ich denke mir sogar, der hat darüber sehr nachgedacht und hat vielleicht irgendwann gesagt, wenn ich das machen würde, dann wäre ich in dieser Irrsinnstretmühle mit, ja, jetzt musst du noch die Tourneekonzerte machen und so und so viele Abo-Konzerte. Und dann der Druck, dass man jedes Mal diese enorme Meisterleistung erwartet. Und dann wird letzten Endes dieser Segen zum Fluch.

Und das ist eben auch eine Frage, wie weit sie überhaupt als Künstler in diesem Geschäft funktionieren müssen. Ich glaube, es gibt den wirklich wahren Satz von Ronald Wilford, ich glaube, er hat über Kleiber gesagt, »He doesn't function.« Und das ist wirklich die Überschrift, »He doesn't function.« Das ist übrigens auch sehr interessant, dass man offenbar von einem Künstler erwartet, »He has to function.«

Ich kann mir durchaus denken, dass er da gesagt hat, ich habe schlichtweg darauf keine Lust. Und das finde ich sehr, muss ich sagen, als Grundhaltung, jetzt persönlich gesagt, finde ich grundsympathisch. Musik

Ich finde ihn letzten Endes als Beispiel jetzt lustigerweise, weil das nun gerade jetzt mit Ihrem Interview zusammenfällt mit Corona, irgendwie doppelten Grund nochmal über die ganze Sache mal so nachzudenken. Über den gesamten Betrieb, über die ganze Aufgeblätheit etc. Und auch mal die Qualitätsmaßstäbe anzulegen und gerade weil wir über Kleiber reden, eben uns sehen, wie hoch die Qualität war. Musik

Am 6. Juni 1997 dirigiert Carlos Kleiber in Jubiliana seine Frau Stanka zuliebe ein Konzert der slowenischen Philharmonie.

Nach seinen Konzerten auf den Kanarischen Inseln 1999 kursieren bis ins Jahr 2004 immer wieder Gerüchte über mögliche Auftritte, die sich jedoch als haltlos erweisen. Kleiber lebt so zurückgezogen in seinem Haus in Grünwald, dass 2002 eine Falschmeldung die zynische Nachricht verbreitet, er sei bereits gestorben. Der Tod seiner Frau Stanker im Jahr 2003 trifft ihn schwer. Zu der Zeit ist er selbst bereits ernsthaft erkrankt.

Brigitte Fassbender erinnert sich an eine letzte Begegnung mit ihm. Ich bin ihm nochmal begegnet, Jahre später in München auf der Straße. Da war er sehr verändert. Da war er dicker geworden und ganz weißhaarig und ganz rot im Gesicht. Und da sah er schon sehr mitgenommen aus und hatte schon das Gefühl, dass er irgendwie...

Cortison oder was weiß ich mit Mitteln da vollgepumpt war. Da war er nicht mehr er selber. Musik

Am 11. Juli 2004 fährt Carlos Kleiber mit seinem Audi in slowenische Konjesica, begleitet von den Klängen seiner eigenen Aufnahme der 4. Symphonie von Beethoven mit den Wiener Philharmonikern, die man später im CD-Spieler seines Autos findet. Zwei Tage danach wird der Tod in seinem Ferienhaus aufgefunden. Die Nachricht seines Todes dringt erst sechs Tage später an die Öffentlichkeit.

2007 bringt der Schott Verlag eine aufwendig recherchierte Kleiberbiografie von Alexander Werner heraus.

Werner bringt auch manch einen musikalischen Schatz, Posthum, ans Licht, wie ein Mitschnitt jener drei Offenbach-Einakter, die der junge Carlos Kleiber als erste eigene Musiktheaterpremiere 1962 in Düsseldorf dirigierte. Auch zwei Filmdokumentationen über Carlos Kleiber entstehen und der Schwarzmarkt unautorisierter Mitschnitte beginnt zu florieren. Kleibers Kinder und Familienangehörige aber hüten seine Privatsphäre bis heute.

Carlos Kleiber bleibt die Sphinx unter den großen Dirigenten. Eine begnadete Jahrhundertbegabung, so rätselhaft, voller Widersprüche, Abgründe und Verheißungen wie die Musik selbst. Aus seinen Aufnahmen spricht er bis heute zu uns. Musik

Mir fallen immer nicht die richtigen Worte ein, wenn ich an ihn denke. Und ich denke furchtbar viel an ihn. Das ist ganz merkwürdig. Es hat nicht aufgehört, mich zu prägen irgendwie. Kleiber ist immer, immer gegenwärtig. Die ganz großen Dirigenten sind alle irgendwie auch Philosophen. Und das war der Kleiber auch. Musik

Ich denke auch vieles, was man an ihm direkt erlebt hat, war eigentlich nur eine Maske, um sich zu schützen. Alle Freundlichkeit, ja er spielt damit, habe ich immer so empfunden. Das ist die Krux schlechthin. Musik

Er war nicht zu ergründen. Man wusste nie ganz genau, woran man ist. Es waren ganz viele Facetten in ihm und man kam nicht auf den Grund. Aber einen Dirigenten, der ähnlich faszinierend, charismatisch war,

Und vom Können her, so gewaltig ist die Kleiber, kann ich jetzt ad hoc nicht nennen. Wenn mir einer einfällt, schreibe ich sie ihm. Sie hörten das geplagte Genie. Die lange Nacht über den Dirigenten Carlos Kleiber von Julia Spinola. Es sprach Bettina Kurt.

Regie Heike Tauch. Ton und Technik Michael Kuber. Redaktion Monika Künzel. Musik

Nächste Woche erwartet Sie an dieser Stelle eine lange Nacht über den Zweiten Weltkrieg in Afrika, in Asien und in Ozeanien, die wir weder als Schauplätze des Kriegsgeschehens noch als Herkunftsort von Soldaten, die in Europa im Einsatz waren, wirklich im Blick haben. Seien Sie gespannt.

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