Manchmal kommen einem die Mittel, mit denen wir Journalisten uns Kunst und Künstler nähern, unangemessen vor. So als wenn man mit einer Bürste versuchen würde, Suppe zu löffeln. Da treten Künstler an, Traditionen und ihre Formen zu überwinden. Da werden neue Kontexte, neue Präsentationsorte und neue Ausdruckswege gesucht. Da wird rebelliert und verabschiedet und neu versucht.
Und dann kommen wir Journalisten und machen wieder das Gegenteil. Stellen Bezüge her, spüren Nachahmungsverhältnisse auf, versuchen Unbeschreibliches irgendwie zu beschreiben und einzuordnen. Im Kern halte ich das für richtig und genau für unsere Aufgabe. Aber ein bisschen seltsam kommt es einem manchmal schon vor. Etwa bei Martin Kippenberger.
Einer von diesen Künstlern, die Traditionen abräumen und Formen in Fluss bringen. Die zwar malen, aber auch Installationen schaffen, Kontexte vertauschen und Ad Absolutum führen. Sich selbst in Performances, in ihrem Verhältnis zu ihrer Kunst mitdenken und mit inszenieren. Kippenberger baut mobile U-Bahneingänge ohne U-Bahn.
und übernimmt 1978 die Veranstaltungshalle SO36 in Berlin-Kreuzberg als... ja, als was? Als Geschäftsführer? Als Kurator? Als Selbstdarsteller? Oder Kunstgastmacher? Martina Müller hat dieses Missverhältnis von journalistischer Form und kippenbergerscher Unform empfunden.
und sich deshalb bei dessen Strategie bedient. Sie hat für ihre lange Nacht über Martin Kippenberger Harald Schmidt eingeladen, mit ihr einen Blick auf diesen Künstler und sein Werk zu werfen. Gemeinsam mit Anke Engelke und Till Reiners. Und dann passiert etwas Neues, tritt gewissermaßen der Rahmen aus dem Bild und spricht der Sprecher von sich selbst. Und enthüllt dabei über den Künstler Martin Kippenberger, dem er im richtigen Leben nie begegnet ist, Verblüffendes.
Seien Sie gespannt. Mein Name ist Hans-Dieter Heimendahl. Ich bin der Redakteur der Langen Nacht. Sie erreichen mich wie immer unter langenacht.de. Nächste Woche erwartet Sie an dieser Stelle eine Lange Nacht über William Faulkner, einen der großen amerikanischen Erzähler des 20. Jahrhunderts und einen der ersten gestandenen Autoren, die sich nach Hollywood begeben und auf das neue Medium Film eingelassen haben.
Seien Sie gespannt. Sie können alle langen Nächte der letzten Monate auch in der Deutschlandfunk-App nachhören. Und wenn Sie uns abonnieren, können Sie keine Sendung mehr verpassen. Bis nächste Woche. Anke hat Zeit, Anke hat Zeit. Meine Damen und Herren, diese Sendung hat es nie gegeben. Aber wir machen sie trotzdem. Anke hat Zeit und Harald Schmidt auch.
Kennst du Martin Kippenberger? Was weißt du über seine Kunst? Ich habe absolut keine Ahnung von Kippenberger. Ist es ein Problem? Heute denken, morgen fertig. Der Allround-Künstler Martin Kippenberger. Guten Tag, Kippenberger. Guten Tag.
Wer ich bin, ich bin genau dasselbe, was du auch bist und was die anderen hier, die hier rumstehen, auch sind. Was ich mache? Dabei sein, jung sein, dabei sein. Immer dabei sein. Kippenberger 1979 im Fernsehen. Neun Jahre vor mir. Ich habe mich natürlich schlau gemacht. Schmidt, der schwäbische Streber aus Nürtingen, blättert Kunstbücher durch, klaut im Netz und hört sich um, was Vertreter der Qualitätspresse so sagen.
Ich finde, Kippenberger wird überschätzt. Und Harald Schmidt macht auch nur noch Traumsche von Möbelhaus-Einweihung. Sehen Sie, und da treffen wir uns. Ich und der Kippenberger. Er kommt aus dem Ruhrgebiet und da heißt es »Nie mehr murren, niemals klagen. Einfach dumm stellen, denn Fragen schaden.« Und wir Schwaben sagen »Haben wir doch Wurst.« Sprüche verbinden, irreführende Fakten auch. Also, ja, der Kippenberger ist in den 50er Jahren geboren. Er am Anfang, ich am Ende.
Und weil Gerüchte erhellender sind, uns beiden ging es darum, Karriere zu machen. Eher in der Kunst, ich im Fernsehen. Und wenn es heißt, dass der Bad Painter Kippenberger mit seinen frechen Sprüchen dem Dirty Harry Schmidt den Boden bereitet hat, soll mir das recht sein.
Begegnet sind wir uns nie, daraus wird auch nichts mehr. Kippenberger hat 1997 für immer den Pinsel aus der Hand gelegt. Ich als Privatier mit abgeschlossener Vermögensbildung, Zitat Clemens Fedder, Star-Investor, mach so ganz nebenbei weiter. Mal hier, mal da. Heute Nacht mit Anke Engelke und Till Reiners. Was mir sonst noch zum Kollegen Kippenberger einfällt? Ich sag's ehrlich, ganz dünnes Eis.
Aber ich bin Schauspieler und die bekommen einen Text und machen sich keine großen Gedanken. Sie machen es einfach. Je dümmer, desto besser. Spielen ihre Rolle, sind Unterhaltungsprofis. Mehr wird auch zu weit führen. Für mich ist der Satzrhythmus entscheidender als der Inhalt. Auch da treffen wir uns, der Kippenberger und ich. Also es gibt drei Gedichte, ne?
Das beste Gedicht ist Gedicht Nummer zwei. Dabei dreht es sich um die Kunstwelt. Der Maler, der malt, der Koch, der kocht, die Kinder, die schreien, wer wird uns was leihen? Gedicht Nummer drei in verkürzter Form, aber das ist eigentlich mein Hit. Und das ist folgendermaßen, volle Konzentration, ich bitte das Rauchen einzustellen. Uhu, ist lecker, Patek schmeckt auch. Ist der Tag auch noch so schlapp, haben wir immer noch Matz ab.
So ging es bei mir los, 1988. Haarmatte wie Günther Netzer. Und was die Frisur angeht, H.P. Kerkeling hat damals auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin Brigitte Mira 15, 20 Mal direkt in die Kamera sagen lassen, Harald Schmidt hat eine fürchterliche Föhnfrisur. Schmidt im Fernsehen. Bekannt durch Film, Funk, Fernsehen und Polizeirufsäulen. Das hat Kippenberger 1981 gemalt.
Eine Bilderserie mit westdeutscher Fernsehprominenz. 21 Karlauer in Öl. Ein Mix aus Schaumschlägern und Alphamännchen. So was wird heute bei Instagram und Co. täglich mit Hashtag gepostet. Ganz normaler Alltagswahnsinn. Von Kippenberger mal eben niedergepinselt.
So locker soll die Serie auch daherkommen. Ein Über-, Unter- und Nebeneinander von Politikern und Schlagersängern. Porträts von Peter Kraus bis Ronald Reagan. Die Amis hatten Elvis, wir hatten unseren Peter Kraus. Der kam ja auf Wasserschieren in meine Show, schwang die Hüften und er rockt heute noch über die Bühne. Das ist so wie Mick Jagger.
Wäre jetzt nicht unbedingt mein Ziel, mit 80 noch den wilden Mann zu spielen. Aber man geht ja auch zu den Stones heute hauptsächlich, weil man sich freut, dass sie überhaupt noch leben. Der amerikanische Präsident grinst bei Kippenberger aus blau gefärbtem Gesicht. Am Smoking klebt das Blut einer plattgefahrenen Maus. Sieht aber aus wie eine US-Kokade zum Unabhängigkeitstag. Das hat die Kölner Punkband Torpedo gesungen.
Reagan war der Bösewicht der linken Öffentlichkeit. Beliebt war ein anderer, Yassir Arafat, Guerillakämpfer und Friedensnobelpreisträger,
Wenn der in der Tagesschau auftauchte, machte ihn allein schon das Outfit zum Showstar. Kaki-Uniform, Palästinenser-Tuch und Fünf-Tage-Bart. Also um genauer zu sein, ich mache jetzt mal die Kurzfassung. Arafat hat das Rasieren satt. Als hätte Kippenberger die Bilder gemalt, um Sprüche und Wortspiele loszuwerden. Ob Freund oder Feind, keiner entkommt seinem Kommentar. Die böse Gabi springt ins Wasser gegen Cellulitis-Bekämpfung.
Wer ist denn Gabi? Gabi möchte eine Magnolie sein, wie sie auf dem Hinterhof seinerzeit bei ihr stand. Ihre Leidenschaft machte aus einem oder mehreren Tausendern ein Zehner. Dafür ist das eine Auge größer. War auch im Fernsehen.
Jeder wollte ins Fernsehen. Ich auch. Nur wer im Fernsehen war, den gab's wirklich. Egal ob Schauspieler, Politiker, Fußballer oder Bestsellerautor. Könnte man gegen die Leute in Talkshows heute austauschen? Nicht ganz. Wo gibt's denn bitte heute noch einen Fußballer mit Mini-Pli? Wobei Pierre Ledbarskis Pudellock ja gerade so was Gemütliches hat.
Heute sehen doch viele Spieler frisurenmäßig aus wie deutsche Soldaten 42. Massivst ausrasiert und möglichst ganz körpertätowiert. Und Kippenberger bringt sich selbst ins Spiel. Kippi, kleines Arschloch. Kippenberger? Das breite Gesicht sieht aus wie Arsch mit Ohren. Schwammige Visage, große abstehende Ohren. Ein Schelm, wer da nicht an einen FDP-Politiker denkt. Mit dabei und unverkennbar Harald Juncke, der deutsche Frank Sinatra.
Junke war für mich ja auch so eine Art Vorbild. Da hat er als Entertainer diese schöne Lässigkeit. Bisschen viel getrunken, kam aber immer wieder auf die Beine. Das ist die Kunst, ein Mensch zu sein. Wenn der Juni kommt, kommt auch mein Comeback.
Ein Bettler, ein Playboy, ein Söldner, ein Spieler, ein Clown und ein King. Ich war hoch und tief, der Teufel nur weiß, wie ich's fertig bring. Wenn jeder von mir sagt, der ist verloren, dann steh ich auf und beginn von vorn. Und ich muss euch sagen, ich muss es doch wissen.
Ich wollte mich gern ändern, doch mein Herz würde was vermissen. Ja, solche Ideen sind bei mir nicht neu. Doch ich lasse es beim Alten und bleib mir treu. Lasst Unkraut wachsen. Wer hat das 1981 gefordert? Die Frau des Bundeskanzlers. Grün, bevor es die Grünen gab. Kippenberger hat ihr ein Denkmal gesetzt. Die Loki steht am Fenster, draußen ist es kalt.
Drinnen hat sie Teller wunderschön bemalt. Und ihr Mann hält Reden im Bundestag. Mein Homonym, Schmidt Helmut. Lieber Freund, der Sie nun zum dritten Mal dazwischenrufen, für intelligente Zwischenrufe bin ich besonders dankbar, da entfaltet sich mein rhetorisches Talent. Etwas lernen, etwas leisten, gut verdienen, anständig und ehrlich seine Steuern bezahlen, ordentlich was auf die hohe Kante legen.
Und im Übrigen das alles nicht übertreiben, damit man genug Zeit und Muße hat, sich der weiß Gott angenehmen Seiten, die es ja auch noch gibt, des Lebens zu erfreuen. Wenn das jedermann täte und wenn ich noch hinzufügen würde, außerdem noch SPD wählen und die Gewerkschaft stützen, dann wäre die Gesellschaft besser dran, als sie bisher war. Von Anfang an produziert Kippenberger Bilder in Serie. Mehr bringt mehr.
Die Serie, bekannt durch Filmfunk, Fernsehen und Polizeirufsäulen, blieb lange im Besitz seines Galeristen. 30 Jahre später wird die Serie in London für zweieinhalb Millionen Pfund verkauft. Was 1981 als Nichtkunst galt, das hat Wilhelm Schürmann interessiert. Meistens ist dieser erste Impuls, dass mir da etwas begegnet, was...
mit bestimmten Sachen aufräumt. Und Kippenberger war sozusagen gedanklich und auch von dem, wie er die Dinge machte, eine Art Türöffner. Wilhelm Schürmann, Ruhrgebietsmensch wie Kippenberger, ist Fotograf, hatte eine Galerie und wollte nichts verkaufen. Er wurde Sammler und das ist er bis heute. Und ich habe mal von wegen Kommunikation was mitgebracht, wahrscheinlich jetzt so die Größe des iPhones. Und anstatt zu wischen, mache ich hier nur mal die Schachtel auf, also eine vergrößerte Schachtel.
Streichholzschachtel, wenn man so will, von Martin Kippenberger. Was steht drauf? Vom Erzeuger zum Verbraucher. Was er damals gemacht hat, eine Ausstellung bei Christian Nagel. Er hat seine selbstgemachten Popel in Bronze gießen lassen und hat die über den Fußboden verstreut. Ein paar waren zu sehen, die meisten sind in die Ritzen zwischen die groben Planken gefallen und waren nie mehr aufzufinden. Und dann hat er später eine kleine Edition, also 34er-Edition gemacht,
die nur von ganz Eingeweihten überhaupt wahrgenommen wurde oder gekauft wurde. Und später, noch ein paar Jahre später, wurde das in der Benefizauktion beim Aachener Kunstverein mal angeboten. Da war ich der einzige Bieter, hab mir da drei Morgenspopel gekauft und ...
Hab die jetzt mal in der Hand. Und so bin ich immer zu der Kunst gekommen. Also nicht Näschen, sondern das war ein Bedürfnis nach einer Richtigkeit, nach einem Aufräumen mit Falschheiten oder sowas. Der Kunst eine andere Richtung geben, weg vom dusseligen Künstlergetue und sich nicht einschüchtern lassen von Kunstverstehern, die genau wissen, was Kunst ist. Darum geht es Kippenberger.
Mit 21 schaut er sich in Hamburg an der Kunsthochschule um und präsentiert sich auf Briefmarken. Kippenberger, 1953 bis 1974, 21 Jahre unter euch. Selbstgedruckte Briefmarken, auf jeder Marke ein Kippenberger. Und er legt nach, verteilt Visitenkarten, die klarstellen, dass er dazugehört. Einer von euch, unter euch, mit euch, Kippi Kippenberger ist in der Stadt.
Untertauchte als Assistent eines Hamburger Möbeldesigners an Insiderplätzen auf. Grauer Flanellanzug, weißes Hemd, blonde, halblange Haare. Eine männliche Sphinx, Sprüche wie Orakel ausstoßend. So begegnet er Gisela Steli. All das, was in meinem Sinne steht, womit ich meine Zwangsbeglückung gestalte, ist nur für eine Gattung gedacht, für die Frauen. Nur Angst vor Frauen, die Samt tragen.
Seidene Schlüpfer sind keine Ausrede für hautfarbene BHs. In seiner Liste mit Frauennamen von A wie Antje bis U wie Uschi notiert Kippenberger zu G wie Gisela. Rothaarige Diplomsoziologin und Diplompsychologin. Ehefrau eines bekannten Journalistenarbeitgebers. Gisela Steli. Gattin des Spiegelverlegers Rudolf Augstein.
Der Kippi kann ja nicht mal ein Wurstbrot schmieren. Augstein, mein Lieblingssäufer. Der ist ja auch nicht mehr oder weniger als wir. Der trinkt auch. Ein feiner Mensch, der Rudi. Kippenberger tanzt gut, sieht gut aus und er will berühmt werden. Wenn nicht Maler, dann Schauspieler. Typ junger Helmut Berger. Ich wollte so Haare haben wie Helmut Berger. Und wenn es ums Französische ging, sah ich mich in einer Mischung aus Yves Montand und Jean-Louis Trantignon.
Gisela Stelly dreht einen Spielfilm, Liebe und Abenteuer. Kippenberger ist dabei. In sozialkritischen Schwenks durfte ich einen Wachmann mit Schäferhund darstellen. War auch im Fernsehen. Gesungen hat Frank Farian. Denn es gehört doch mehr dazu, als ein Lied und ein paar Ringe. Kaputt, Baby, lehn dich an mich. Es wird schon irgendwie gehen.
Denn wenn du mir ein wenig hilfst, ist Liebe kein Problem. We don't have problems with friends, we sleep with them. Da sitz ich noch als Schauspielanfänger in Augsburg und warte in der Kantine auf meinen Auftritt. Als Mameluk in Nathan der Weise hab ich einen Satz. Nur hier herein, damit war alles gesagt. Harald Schmidt auf der Bühne, keiner hat's bemerkt. Das musste sich ändern. Warum wird man denn Schauspieler?
Wer auf der Bühne steht, hat Erfolg bei Frauen. Sagt natürlich keiner. Heute schon gar nicht. Ich will sie auch keiner irgendwie auf Frauen festlegen. In den Bewerbungsunterlagen für die Schauspielschule habe ich natürlich reingeschrieben, ich möchte gemeinsam mit anderen Literatur zum Leben erwecken. Tatsache ist, ich wollte in der Mitte der Bühne stehen. Prominente Kollegen links und rechts. Schlussapplaus. Und dann warten die Fans am Bühnenausgang.
Kippenberger versucht es im Ausland. Italien muss in die Biografie. Das Ziel ist Florenz. Da fanden Künstler schon zu Lebzeiten Ruhm und Ehre. Er bastelt eine große Halskrause aus Zeitungspapier, lässt sich als Mann der Renaissance fotografieren und wird auf seine Ähnlichkeit mit Helmut Berger angesprochen. Von Leuten in Nachtcafés.
Entdeckt hat ihn keiner. Er läuft rum, spricht kein Italienisch und sammelt Postkarten. Beim Streifzug durch Bars findet man gelegentlich noch Antiquarisches. Soldatenwitzpostkarten, Geburtstagskinder verklemmt und erschreckt grinsend, Damenporträts, Hunde. Und was er sonst noch sieht, das fotografiert er. Filmplakate und Leute auf der Straße, Parkwächter, Kellner, Altpapiersammler und Touristen im Bus.
Die Klickkamera beherbergt nunmehr einen Schatz an Totaltreffern, Blitzaufnahmen fürs Bilderbuch. Ein Bilderbuch mit Alltagsbekanntschaften. Der Milchmann, der Metzger, die Trinkbrüder in seinem Stammcafé, alle macht er zu Hauptdarstellern seiner Malerei. Ich habe vormittags und nachmittags ein Bild nach Vorlage gemalt, wie ein Musiker, der jeden Tag einen Auftritt hat. Dazwischen habe ich fotografiert und Zeitungen zerschnitten, damit ich wieder Vorlagen hatte.
Ausschnitte aus Reklameanzeigen, das Restaurante mit guter Aussicht, auf dem Teller die Wurst auf Brei. Oder das Zeichen der Roten Brigaden auf dem Hintern des Florentiner Löwen. Nachts dann drei Glühwürmchen auf dem Weg nach Hause. Die Bilder malt Kippenberger auf dem Fußboden seines Zimmers in der Pensione einer Principessa. Alte italienische Familie, die hat schon Michelangelo unterstützt.
Es sind Schwarz-Weiß-Bilder à la Gerhard Richter. Die Bilder waren immer im gleichen Format, immer grau und weiß. Da war Richter auch noch einigermaßen ein Vorbild vor mir. Ich bin auf seinen Trick reingefallen. Man ist immer angetan als Jugendlicher von irgendwelchen Begabungen, die man selber nicht besitzt. Die blöffen einen dann. Und Jahre später kauft er sich einen Richter. Ein kleines graues Ölbild. Und was macht er damit? An die Wand hängt er es nicht. Kippenberger macht daraus einen Tisch.
Heute in der Sammlung von Gabi und Wilhelm Schürmann. Und das Besondere war, um dieses Werk sozusagen zu manifestieren, hat er seinerzeit, ich hole ein bisschen aus, er hat in der Ausstellung Peter, die russische Stellung, also nicht Hängung, sondern es ging um Skulpturen, die im Raum standen und einen im Weg versperrten.
hat er viele Kunstwerke von anderen Künstlern genommen und hat da was mitgemacht. Er hat in irgendeinen Stuhl von einem berühmten Designer mit einem 2-Zentimeter-Bohrer einfach Löcher wie Astlöcher reingebohrt. Und das war sein Eingriff. Und so weiter und so weiter. Und eben in diesem Zusammenhang hat er einen Tisch gebaut. Und die Arbeit hat den Titel Modell Interconti. Nach dem gleichnamigen Modell
wahrscheinlich ein Beistelltischchen. Und das Besondere ist, die Tischplatte ist ein Originalbild von Gerhard Richter aus einer Serie der grauen Monochrombilder. Das Bild ist gerahmt und wird zum Tisch, weil darunter vier Beine geschraubt sind, sodass man es wirklich als Tisch irgendwo hinstellen kann. Meine These war immer, er hat sozusagen die Idee des autonomen Kunstwerkes auf die Füße gestellt, sozusagen in eine fiktive Funktion überführt.
Aber es war natürlich ein Richter in einer umgebauten Arbeit eines anderen. Darf man das? Künstler dürfen alles. Er hat die Arbeit ja nicht zerstört, er hat die nur neu gerahmt sozusagen. Und das war natürlich sehr ungewöhnlich. Es wurde am Anfang gar nicht erkannt. Sie müssen mir denken, in der Ausstellung waren wie viele, sagen wir mal, 35 Arbeiten. Und da geht man jetzt nicht hin und sagt, was ist das denn? Da steht Modell, Hintergrund und Beistelltischchen.
Und da stand in der Werkbezeichnung auch nicht "Richterbild". Öl auf Leinwand in Klammern: Original Richter. Wohl kaum. Weil es geht ja nicht darum, irgendwie den Richter auszustellen, sondern es geht darum, mit Kollegen etwas zu machen, was deine Generation verkörpert. Richter war für mich schon Kunstgeschichte. Das war genau die Kunst, die ich im Museum antraf, die mich aber überhaupt nicht in irgendeiner Form tangierte. Also dieses
dem Großkünstler mal ein bisschen ans Bein pinkeln, das hat natürlich was sehr Befreiendes. Es ist sehr witzig, aber es ist kein Scherzchen. Gerhard Richter ist seit 1972 so etwas wie ein staatstragender Künstler. Auf der Biennale in Venedig hat er den Deutschen Pavillon bespielt, mit 48 Porträts von Schriftstellern, Komponisten, Wissenschaftlern. Albert Einstein, Franz Kafka, Gustav Mahler, Thomas Mann,
Ein streng organisierter Bilderfries in Grautönen, gemalt nach Schwarz-Weiß-Fotos aus Lexika. 48 bedeutende Männer des 20. Jahrhunderts. Richter hatte es geschafft. Kippenberger steht 1977 am Anfang und malt in Florenz einem Bilderatlas für Arme. Richters 48er-Serie erhöht er auf 84. Es können auch mehr werden. Übernannte gestapelt sollen die Leinwände jedenfalls Kippenbergers Größe ergeben. 1,89 m.
Da kann ich mehr bieten, 1,94. Schlecht für mich als Schauspieler. Zu meiner Zeit spielten den Hamlet die kleinen Dicken. Zurück in Hamburg präsentiert Kippenberger die Ausbeute seiner Italienbilder. Abenteuerbilder, Zeichnung, Souvenirs in 6-fach Tonbildschau. Der Titel?
Einer von euch, ein Deutscher in Florenz. Im Katalog gibt er seine Abenteuer in Florenz zum Besten. Er zählt von den Partys in der Villa Romana, wo deutsche Jungkünstler mit Stipendium und eigenem Atelier residieren. Kippenberger, Italien-Tourist ohne Stipendium, trägt dick auf. Na Mädels, habe ich bei der Party gesagt, ich mache hier Bilder, wie viele Bilder soll ich denn malen? Da sagt die eine 30. 30?
30? Das kann es nicht sein. Ich habe ja vorher Fotos gemacht, das waren 1000 oder 500. Nur 30? Das kann doch kein gutes Bild von Florenz ergeben. Und dann sagten sie 200. Al vostro servizio. Serviert wird in der Hamburger Ausstellung Cola mit Rum. Seine Florenz-Serie will er als Ganzes verkaufen. Das funktioniert nicht. Neues Angebot, 490 Mark pro Stück.
Mengenrabatt bei Erwerb des vollen Programms. Ich hoffe, die Preise haben keine deprimierende Wirkung auf Sie. Als Orgelspieler habe ich 3 Mark pro Gottesdienst bekommen. Als Hilfsorganist mit C-Prüfung gab es mehr. Bei Trauungen in Nürtingen habe ich 30 Mark verlangt. Die muss ich aber einfordern, weil die Kumpel aus der Schule meinten, der Harald spielt doch für Lau.
Für Kippenbergers Kunst interessieren sich die Damen. Seine erste Kundin, Gisela Steli. Sie hat vier oder fünf graue Bilder aus der Italien-Serie auf dem Kamin und Picasso im Keller. Vier oder fünf von 84. Da bleibt viel übrig.
Und das bekommt die Paris Bar in Berlin. Gegen freies Essen und Trinken auf Lebenszeit für Kippenberger plus Begleitperson. Die Welt ist rund, wie wunderbar. Wir treffen uns in der Paris Bar. Was privat so viel heißt wie nach Hause gehen gilt nicht. Ich male ja nicht nur Bilder, ich kann auch noch ganz andere Sachen. Ich kann tanzen, was ich sehr gut kann, aber ich kann auch was anderes. Einmal die Zunge umdrehen. Was haben wir noch an Nummern drauf? Ja.
1978 hat Kippenberger geerbt. Das Geld steckte an eine Fabriketage in West-Berlin. Arbeit und Leben auf 600 Quadratmetern. Mit dabei ein Lederkombinat mit sieben Angestellten. Hopi-Stickerei auf teurer Ledermode.
Und das in der Kreuzberger Subkultur der Punks gegen Konsumscheiße. Genau da eröffnet er, der Sohn eines Zechendirektors, das Büro Kippenberger. Nutzen Sie die ganze Palette unserer Dienstleistungen. Vermittlung, Beratung, Bilder, Kippenbergers Büro. Segitzdamm 2-4, 2. Obergeschoss, Berlin-Kreuzberg.
Auf dem Firmenplakat 100 Markscheine, Schecks und Überweisungen der Deutschen Bank plus Malpalette samt Pinsel. Das Fernsehen kommt vorbei, fragt nach Kunden und was das mit der Kunst zu tun hat. Es kommen vereinzelte Leute, die fragen, wo kann ich hier pinkeln und mehr in der Richtung. Aber das tut mir ja nicht weh. Er spielt den jungen Unternehmer am Schreibtisch. Jackett, weißes Hemd, Krawatte, Zigarette.
Bitte schön, man kann mich einordnen, wenn es demjenigen gelingt. Die einen reden, das mache ich auch mit Vorliebe. Lieber als malen, malen dauert zu lange, deswegen habe ich auch sein lassen. Lieber reden, reden kommt gut. Was das mit der Kunst zu tun hat, wüsste ich nicht.
Eine Agentur für Kontakte und Veranstaltungen, das ist Kippenbergers Büro. Organisiert werden Konzerte. Bier, Bilder, junge Leute, Salzletten und Tüten mit Erdnüssen. Es gibt Lesungen, Filmvorführungen, Diashows. Aus dem Auftritt einer Striptease-Tänzerin wird nichts. Die Lady spielt dann doch nicht mit. Zur Fußball-Weltmeisterschaft, Kunstrasen auf dem Boden und Radeberger Bier aus der DDR.
Kippenberger dreht Super-8-Filme, fotografiert, macht aus über 1000 Fotos einen hochwertig versiegelten Tanzboden und ist Herausgeber einer Zeitschrift. Da war für mich klar, nur eine zweisprachige Postille kann in Frage kommen. Die Zeitschrift, sehr gut, very good, womit ich nicht den Hit gelandet habe. Plakate drucken, Einladungen verschicken, Pressearbeit.
Der Berliner Tagesspiegel berichtet. Aus Kippenbergers Büro das besondere Nichts. Für so eine Schlagzeile habe ich lange gearbeitet. Der Reporter strampelt sich an Kippenbergers Fabriketage ab, die aussieht wie ein ausgeräumter Billardsalon oder eine spärlich eingerichtete Turnhalle. Brauchbar als Lagerraum, Tanzbums oder Hochgarage für Mofas. Kippenberger wird als Rundum- und Vielzweckmanager vorgestellt, der jetzt auch noch eine Galerie daraus gemacht hat.
Eine Galerie für Gruppenausstellungen befreundeter Künstler. Erste außerordentliche Veranstaltung in Bild und Klang zum Thema der Zeit. Elend.
Kippenberger ist dabei, zeigt, was er gelegentlich so malt. Enten, die keine Baumwollstrümpfe brauchen oder ein Hipsterpaar in kleinbürgerlicher Sackgasse. Schatz, mein Superfrühstück, serviert ein Spargeltarz an den Unterhose. Am Plattenspieler der Schatz ohne Unterhose. Klasse, ich leg noch eben die Scheibe auf. Kippenbergers lapidarer Kommentar. Unvollendetes Tourneeölbild.
In Szenelokalen und Kneipenklos verteilt er Aufkleber in eigener Sache. Dieser Mann sucht eine Frau, Martin Kippenberger. Den Frauen widmet er ein Bilderbuch, ganz ohne Sprüche, mit so vielen Fotos von Frauen, dass sie jede Textbeigabe verbietet. Der Bildband erscheint bei Merve.
Da wurden sonst poststrukturalistische Texte nachgedruckt. Theorieimport aus Frankreich. Für Kippenberger genau der richtige Verlag, um das Wesentliche ohne Worte in Umlauf zu bringen. Zu seinem 25. Geburtstag holt er die Londoner New Wave Band Warm Jets ins SO36. Kippenberger ist Mitbetreiber des Kreuzberger Punkclubs in der Oranienstraße.
steht im weißen Jackett und mit Lederhütchen als Go-Go-Man und Entertainer auf der Bühne. Der SFB ist dabei, die Fernsehansagerin muss das erklären. In Berlins Subkultur gilt Martin Kippenberger als »Enfant terrible«.
Vielleicht könnte man Folgendes über ihn sagen. Ein junger Mann ist 25 Jahre alt geworden und der Meinung, dass er als Maler bereits sein Zenit erreicht hat. Er beschließt, das Malen aufzugeben und kauft sich ein in eine nicht alltägliche Diskothek, das SO36, und schafft sich hier ein Forum für sein neues Lebensgefühl.
Er ist ein begabter Rock'n'Roll-Tänzer und versucht durch seine verschiedenen Arten der Verkleidung sowohl zu provozieren, als aber auch mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Skurril, dekadent, kaputt, auch das gehört zu dem Berlin von 1979. Im SO 36 gibt sich Kippenberger als Ruhrpothauswart, der mit der Kunst des Totlaberns alle übertrumpft. So, hier ist der Paddy. Hier ist der Paddy, der voll ist in die Bilder. Warum dreht es sich also heute Abend? Wollen wir ehrlich sein?
Was denn? Was denn? Was denn? Meinst du, ich mach mit Publikum einbeziehen und so Faxen? Nee, nee, nee. Nicht mit mich. Das kann ich euch gleich sagen. Immer mal ein bisschen zugucken. Mal sehen, was da los ist.
Blablabla.
So muss es laufen.
Kippenberger als Frontman und die Leute zerreißen sich das Maul. Angeber, Verschwender, Anführer, Unterbringer, Zubringer, Zubringer, schon lange Maler, Oberspanner. Kippenbergers Kurzprofil als Selbstanzeige für ein Jubiläum mit Plakat und Festschrift. Ein Vierteljahrhundert Kippenberger. Vom Eindruck zum Ausdruck. Verlag Picassos Erben. Picasso, wie man spricht, mit K.
all denen gewidmet, die meinen Namen in den Mund nehmen. Selbstdarstellung eines Künstlerpromoters, der in Eigenregie im Kunstbetrieb mitmischen will. Seine Vita spickt er mit Abbildungen aus dem Familienalbum Kindheit und Jugend des Künstlers als beigelegte Fotos zum Einkleben. Nach dem Prinzip Sammelalbum für Zigarettenbilder. Viel Privates im komischen Ringen um ernsthafte Anerkennung. Guter PR-Gag, habe ich auch gemacht.
fürs Weihnachtsprogramm bei Radio Bremen. Einen wunderschönen guten Abend, meine Damen und Herren, hier im festlich auf weihnachtlich getrimmten Bremen. Und herzlich willkommen zu Gala. Ich gehöre nicht zu denen, die immer nur Forderungen an die anderen stellen, sondern ich sage ja, Harald, fange bei dir selbst an. Und ich möchte heute Abend sagen, auch was viele nicht wissen, und ich bin oft darauf angesprochen worden, ich habe es lange Zeit ein bisschen geheim gehalten, ich möchte heute Abend hier bekennen, ja, ich habe Eltern.
Die Show-Einlage war dann der Besuch mit Kamerateam bei meinen Eltern in Nürtingen.
Hallo Mama! Das ist meine lachende Mutter, meine Damen und Herren. Damit es nicht immer noch heißt, die Eltern unserer Künstler sind gramgebeugt. Aber du hättest ja was sagen können. Was denn? Dass jemand zu Besuch kommt heute Mittag. Das ist kein Besuch, das ist Radio Bremen. Du glaubst wohl schon, dass es nur viel Geld ist und jedes Jahr ein großer Scheck zu Weihnachten. Also Harald, ich glaube, du spinnst im höchsten Grad. Das sollte man nicht denken. Das war doch mein Zimmer hierfür.
Diese Treppe bin ich praktisch früher, entweder morgens runter, weil ich schnell zum Bus musste, oder als ich dann später schon beruflich klarer wusste, was ich machen wollte, bin ich die Treppe praktisch immer so und habe gesagt, hallo, meine Damen und Herren, herzlich willkommen bei Gala. Das war der Grund, warum wir die Treppe hier haben einbauen lassen.
Und wie oft gehst du in die Kirche? Täglich. Köln hat so herrliche Kirchen. Ich bin ein bisschen traurig, dass du überhaupt nicht mehr Orgel spielst. Was wäre eigentlich der Traumberuf gewesen für euch, den ich hätte machen sollen? Pfarrer wolltest werden. Katholisches Elternhaus. Der Weihwasserkessel hing bei uns neben der Tür. Sonntags beim Kaffee war ich dann der Pfarrer. Hab mir das Badetuch umgehängt und gepredigt. Die Nachmittagsvorstellung kam gut an, also wollte ich Priester werden.
Zölibat stand dagegen. Bloß Hunde, darunter ein Maler, den viele nicht kannten.
»Der malt abstrakt«, sagte mein Vater, »und trägt einen Schal statt einem Schlips, wie es sich gehört. So sind die Künstler. Bei uns hingen Grafiken von der Fußleiste bis zur Decke. Beckmann, Korinth, Heckel, deutsche Expressionisten, Picasso und viel Kitsch.« Auch der Vater malt. Bei privaten Festen stellt er seine eigene Kunstproduktion aus. Zeichnungen, Aquarelle und jeder Gast ist geradezu verpflichtet, mindestens eines seiner Werke zu kaufen.
Hätte der Vater nicht mehrere Kinder gehabt und hätte nicht die Verantwortung gespürt, dass er diese Familie versorgen müsste, ich wäre nicht überrascht gewesen, wenn der auch Künstler hätte gerne werden wollen. Auf jeden Fall hat er Eröffnungsreden gehalten über den Kulturbetrieb. Und das ist so eine dichte Ansprache, wo ich denke...
Ein wirklich gehöriger Anteil von Kippenbergers Werk speist sich allein schon von dieser Grundlage. Zu Hause bin ich die ganze Kunstgeschichte durchgegangen, wie sie bei uns an den Wänden hing. Ich habe alle Stile imitiert und gemerkt, dass das so doll gar nicht war, was die gemacht hatten.
Durch die Kunstbücher auf den Bücherregalen habe ich mich durchgezeichnet. Man erkennt die Schwierigkeiten, bestimmte Sachen zu machen. Auch die Unfähigkeit. Mein Vater hat dann gesagt, dass, wenn ich ein Künstler sein wollte, ich einen eigenen Stil finden musste. Das fand ich das Schwierigste. Einen eigenen Stil finden. Daran hat es bei mir gehapert. Bis mir auffiel, dass Stilos sein auch ein Stil ist. In seine Künstler-Vita setzt Kippenberger einen Brief seines Vaters. Sich behaupten, dass ich ein Künstler bin.
Dass es nichts anderes als sein Leben selbst beeinflussen können, etwas von dem tun können, was man gerne möchte, was einem liegt. Sich behaupten, das heißt aber auch nicht alles nachplappern, was die anderen sagen. Viel wichtiger ist, dass man weiß, was man tut, warum man es tut. Den Brief erhält der zehnjährige Kippenberger im Internat im Schwarzwald. Mit der Grundschule in Essen kann er nichts anfangen. Buchstaben entziffern dauert ihm zu lange.
Bilder erfasst er mit einem Blick. Offizielle Diagnose? Legastheniker. Das Einzige, was ich konnte, war malen oder zeichnen.
Den Zeichenunterricht boykottiert er, nachdem ihm sein Lehrer nur eine 2 gegeben hat. Die Benotung scheint ihm unangemessen. 1968, nach dreimaliger Wiederholung der Unterterzia, Abbruch der schulischen Laufbahn. Versuch Kontrolle über Bewegungsfreiheit zu erhalten. Testplatz Tanzsalon, wo er mit 14 Jahren von der Tanzlehrerin zu hören bekommt, Herr Kippenberger, nicht so mit dem Hintern wackeln.
Das war ausschlaggebend. Seither Bemühungen, der drittbeste Tänzer Europas zu werden. Im Bekleidungshaus Böker beginnt er eine Lehre als Dekorateur, gestaltet Schaufenster beim Sommerschlussverkauf, schwänzt die Berufsschule, Abbruch der Lehre wegen Drogenkonsums, kommt mit Rauschgiftvergiftung ins Krankenhaus. Therapieaufenthalt auf einem Bauernhof bei Hamburg. Es ist eine Kommune und das heißt Kommunikation.
Mir geht es blendend. Manchmal habe ich Angst auszuflippen. Trommeln, tanzen, malen, fotografieren, mit Farben experimentieren, eine Teestube einrichten und Unterwäsche färben. Der Patient wird als geheilt entlassen.
In Düsseldorf kommt Kippenberger mit Gerhard Richters Künstlerfreund Sigmar Polke zusammen. Polke kann sich nicht über seinen Fanclub beklagen. Ich habe bei ihm auf dem Land gewohnt. Das war sehr lustig. Viele Hippies, Musik, Drogen und Altbier. Anders als Richter mit seiner akademischen Ernsthaftigkeit setzt Polke auf Ironie in der Kunst, verhandelt Alltagsbanalitäten. Schlagzeilen der Bild-Zeitung, Werbeslogans. Sein Motto? Höhere Wesen befehlen. Und der Künstler liefert.
Zeichnet sich pulverisiert im Glasröhrchen. Polke als Droge. Mit seinem bissigen Bild- und Texthumor verschont Sigmar Polke nichts und niemanden. Für Gerhard Richters Kunst macht er die passende Reklame. Schlankheit durch Richter. Mach mich glücklich. Nur mit Richter. Und? Sekt für alle.
Und vielleicht deshalb war der Polke so sympathisch, weil der war der Erste, der ungefähr diese Tür öffnete. Das ist so vergleichbare Dimensionen. Also Polke hat aber noch unglaublich fein gemalt und Kippenberger nur manchmal, weil er wollte das ja gerade, das Können, nicht ausgestellt wissen. Hat er in den Zeichnungen dann aber manchmal häufiger doch gemacht.
Ich glaube, da wollte auch irgendeine Frau, die er da unglaublich toll fand, die wollte beeindrucken. Also den Eindruck habe ich. Deshalb sind da sehr feine Sachen bei. Japaner sind unfassbar schön und das lebt heute in diesen Zeichnungen weiter. Da sind Meisterdinger dabei, das ist unfassbar. Künstler ist man mit dem Kopf und mit der Moral und nicht mit einem hübsch gemalten Bild.
Für seine Bewerbung an der Kunsthochschule in Hamburg hatte sich Kippenberger als Comicfigur im Laufschritt gezeichnet, mit großer Mappe unterm Arm. Malen kann er, Techniken will er lernen, sagt er, und hält sich an sein Berufsziel. Freie Kunst.
Die Freiheit, das zu machen, was ihm gerade einfällt. Unterwegs sein, Leute treffen, in Kneipen und wechselnden Wohngemeinschaften. Mal hier und da leben und sehen, wie es weitergeht. Als Wandersmann von Wohnung zu Wohnung dann und wann. Das ist verdächtig.
Die Polizei sucht nach Sympathisanten der Roten Armee Fraktion. Hausdurchsuchungen in Wohngemeinschaften. Die kam mit Panzerwesten. Es klopft an der Tür. Ich gehe ran, denke der Postbote heute aber früh, mache die Tür auf, wusch, hänge ich schon an der Wand. Da war ich noch Schauspielschüler, als die RAF in Stuttgart-Stammheim saß. Peimann hatte einen Zettel ans Theater gehängt, Spendenaufruf für Gudrun Enslins Zahnbehandlung.
Ich durfte als Statist damals bei Peimann auf der Bühne stehen. Das Revolutionäre hat mich nicht weiter beschäftigt. Ich wollte roten Samtvorhang und Staatstheater. Kippenberger will in der Kunst der Beste unter den Zweitklassigen sein. Links blinken, rechts abbiegen. In jedem Fall die Sache selbst in die Hand nehmen. Dabei kommen lustige Sachen raus oder weniger lustige Sachen. Aber auf jeden Fall ist es neu oder wieder neu.
Und dass du dir erlauben kannst, so ein Fotokopieheftchen rauszubringen, das zeigt deine Unabhängigkeit.
Musik machen, Bands gründen, Schlagzeug spielen, singen, Schallplatten produzieren. Jede Art von Kunst mit viel Performance. Wieder mal hat er zugeschlagen, schreibt der Berliner Abend über Kippenbergers Kneipenkunst im brechend vollen Café Einstein.
Stickige Verschwörer-Atmosphäre bei Kerzenschein inmitten spätkapitalistischer Dekadenz. Außer dem Titel der Aktion, Knechte des Tourismus, war nichts bekannt. Auf Zeichen wurden die Kerzen ausgeblasen und aus den Lautsprechern wummerte eine Mundharmonika. Musik
Herein kommen Kippenberger und Kompagnon in Cowboyhüten und schwerem Leder bis zu den Stiefeln, bahnen sich mit der Taschenlampe den Weg zu einem Bett, ziehen sich aus, machen es sich bei mitgebrachtem Bier bequem und lassen einen Film abfahren. Hektisches Collagetempo. Fetzen von den Asphaltschluchten New Yorks bis zu denen des Grand Canyon. Musik
Als ordnendes Prinzip erkennt man Kippenberger selbst. Mal im Anzug, mal in Jeans. Urlaubserinnerungen. Empire State Building. Für welches Publikum war diese Show eigentlich bestimmt? Kippenberger in der Presse. Das zählt. Die Berichterstattung. Und dass der Name richtig geschrieben ist. Bloß kein Lob von falscher Seite. Für den einen war nur das Großmahl der Szene. Mit den anderen ging er einen trinken.
Zwischendurch kreuzt er in Hamburg auf, inszeniert eine Ausstellung im Künstlerhaus. Das Motto? Kommen, gucken, kaufen. Als Mitbetreiber des SO36 in Berlin macht er aus dem Punkclub mehr als nur eine Diskothek für Leute, die bei knallharter Musik dicht zusammengedrängt eintrinken.
Außer einer langen Theke mit Kühlschränken fürs Bier war der Club ein nackter Raum mit Bühnenrampe und meterlangen Wänden. Platz für Kunstaktionen. Manche haben auf Leinwand gemalt. Elvira Bach hat ihre Badewannenbilder ohne Keilrahmen direkt auf die Wand geheftet. In einer Wanne schwamm neben einem kleinen Hai eine Frau wie eine Leiche. Andere haben auf die Wand gemalt. Eine U-Bahn-Station über die ganze Längsseite. Am nächsten Tag wurde das dann übermalt.
Bei Ausstellungseröffnungen haben die Leute 5 Mark Eintritt bezahlt, wie bei anderen Veranstaltungen auch. Das SO36 wird zum Treffpunkt der Westberliner Bohème. Alle kommen, spät in der Nacht. David Bowie im weißen Anzug, im Schlepptau Iggy Pop.
Den Kreuzberger Punks passt Kippenbergers Konzept nicht. Alles schickimicki. Er selbst gilt als Aufschneider, einer, der mit Geld um sich wirft, in der Parisbar verkehrt und als Anzugträger ohnehin nicht in die Szene passt. Schuhe italienisch, Pullover schottisch, Hose amerikanisch, Hemd französisch, Uhr Schweiz, Innengut, in Klammern deutsch.
Dass man im Anzug besser aussieht als das, was Leute sich so zusammennageln und umhängen, nur um hip zu erscheinen, ist doch klar. Wer da mitspielt, hat schon verloren. Und bei dem, was ich machte, war Anzug und Krawatte ganz wichtig. Man kann sich mehr leisten, wenn man offiziell daherkommt. Bloß nicht hip sein, morgen gibt es schon was anderes. Kippenberger wirft man vor, aus dem SO36 einen Luxus-Kommerzladen gemacht zu haben. Außerdem sei das Bier zu teuer.
Ein Kommando, Punks gegen Konsumscheiße, stürmt während eines Konzerts der britischen Band Wire das Lokal, schlägt mit Knüppeln auf die Gäste ein und lässt gleich noch die Abendkasse mitgehen. Die Leute wollten einfach nicht sehen, dass das Ganze ein Experiment war. Und das ist dann so anstrengend, jeden Abend. Dauergast im SO36 ist Jenny, Punkfrau mit Ratte auf der Schulter.
Dialog mit der Jugend. Bang, bang, bang.
Mit schweren Kopfverletzungen landet Kippenberger im Krankenhaus. Aus seinem Dialog mit der Jugend macht er das Programm für eine Ausstellung. Auf der Einladungskarte ein zusammengeschlagener Kippenberger. Er zeigt Fotos und gemalte Selbstporträts. Der Kopf mit Mullbinden bandagiert, die Augen geschwollen und Blut unterlaufen. Das zerschnittene Gesicht mit Pflastern zugeklebt. I hit the ground bang bang
Bloß keine Weinerlichkeit. Eine letzte Nacht im SO36 hat es noch gegeben. Angekündigt in großen Lettern auf der Berliner Mauer. Dann war Schluss. Das Geld aus seiner Erbschaft war aufgebraucht. Und die Idee, Andy Warhols New Yorker Factory in Berlin-Kreuzberg aufzuziehen, in Eigenregie und unabhängig vom Galeriebetrieb zu arbeiten, war nicht nur eine Idee.
Das ließ sich nicht länger durchhalten. 1981, wie mein Erbkonto geleert war, an dem Tag habe ich mein erstes großes Bild verkauft in der Ausstellung Lieber Maler, male mir. Das ist doch ein Trinkerwitz.
Lieber Maler, male mir über meiner Zimmertür meiner Frau zum Trotze eine große Flasche Bier. Lieber Maler, male mir, male mir ein Bild von ihr. Denn leider ist sie viel zu selten Gast. Ein Schlager von Gus Bakkus. Lieber Maler, male mir, male mir ein Bild von ihr. Für das schöne Bild von ihr, da dank ich dir.
Jedenfalls hat Kippenberger einen Titel für seine erste große Einzelausstellung. Nicht, dass man ihn gefragt hätte. Er hat sich selbst ins Gespräch gebracht. Was dann zu sehen ist, hat nichts mit grob gepinselter Malerei zu tun. Es sind großformatige Acrylbilder in hellen, leuchtenden Farben. So plakativ, akkurat gemalt, als ginge es um eine Spielart des amerikanischen Fotorealismus. Das Ganze erscheint wie ein Trick.
Nicht Kippenberger hat die Bilder gemalt, er hat malen lassen. Ich bin nicht der Staffeleiküsser. Ich habe mit gemalten Bildern eigentlich nichts zu tun. Deswegen ist eine der Lösungen für dieses Problem, dass ich andere für mich malen lasse, aber nur so, wie ich es brauche, wie ich es sehe.
Unweit der Berliner Mauer hatte er eine Scheune entdeckt, die Werkstatt des Filmplakatmalers Werner. Meister Werner ist der Star unter den Stars. In den Uferstudios begann er Greta Garbo und Hans Albers das richtige Format zu verleihen. So ging es quadratmeterweise aufwärts. Der ruinierte Kuhdamm bestand in den Nachkriegsjahren vorwiegend in Form von Werbeflächen aus Meister Werners Hand.
Sein Sohn und Mitarbeiter dürften die letzten Dealer dieser Güte sein. Kippenberger heuert Meister Werner an, nach seinen Ideen und anhand von kleinen Fotos großformatige Bilder zu malen, im schönsten Kinoplakatstil. Der Künstler verschwindet als Maler und taucht als Schauspieler auf der Leinwand wieder auf. Er hängt sich bei einem Kumpel ein und sagt,
und spielt seine Rolle als Trinkbruder auf dem Weg in die nächste Kneipe. Oder er posiert als Großstadt-Cowboy in Ost-Berlin, stellt sich vor eine Souvenirbude mit Jubiläumsplakaten 30 Jahre DDR. In New York spielt er einen Touristen, der vor Müllsäcken an einer Straßenkreuzung auf einem Sofa sitzt, das auf die Müllabfuhr wartet. Es sind Szenen eines Möchtegern-Filmstars, der im gehobenen Statistenprogramm den traurigen Clown spielt –
gekrümmt wie ein Fragezeichen, umklammert er einen wurstartigen Gummischlauch. Sieht aus wie ein Rettungsring für einen Kippenberger in Unterhose, mit Buckel und vorgeschobenem Bauch. Kippenberger lässt Meister Werner malen, was der westdeutsche Konsumalltag hergibt. Nivea-Reklame, Kitsch, putzige Köter und ein Kommissar, der die Werbung für Polaroid vorantreibt.
holen sie sich die einfachste Kamera der Welt. Das Weihnachtsgeschenk, das sofort Spaß macht. Auf 2 x 3 m das aufgeblasene Autogrammfoto von Hans-Jörg Fellmy. Kennt ihr noch jemanden?
Entertainment ist in der Kunst drin wie die Farbe im Bild. Die Hängung ist Entertainment oder neue Formulierung oder nicht neue Formulierung. Nur, dass du es anders siehst, damit du nicht langweilst und rumgehst und immer dasselbe Bild siehst. Da muss immer wieder was anderes nachkommen. Das ist Entertainment.
Die Ausstellung ist für einen Künstler der Running Gag mehr nicht. Aber Running Gag im wörtlichen Sinn. Sich bewegen, weiterlaufen, durchhalten, schnelle Entscheidungen treffen und ausführen. Ideen nicht zwei- oder dreimal hinterfragen. Und das Drumherum muss stimmen. Ein durchorchestrierter Event an wechselnden Schauplätzen.
Vernissage in der Galerie, Konzert im Café Einstein, Party in der Paris Bar und noch mehr Ausstellungen in Berlin und München. Und zum 60. Geburtstag seines Vaters ein großes Fest auf Zeche Unser Fritz in Wanne-Eickel. Mein Vater hat gesagt, bis 30 musst du es geschafft haben. Eine Woche Happening unter einem Label. Kippenberger. Mit im Programm gedruckte Bild- und Textmontagen. Kein konventioneller Ausstellungskatalog.
Es ist das Buch eines Künstlers, der vorankommen will. Das Buch durch die Pubertät zum Erfolg. Through the puberty to the success. And then afterwards I took myself the freedom to take the book from the Jugendstil to the Freistil. Für Papa, von dem ich meinen Vaterkomplex haben soll und für alle, die ich auf dem Weg nach oben treffe, weil ich ihnen auf dem Weg nach unten wieder begegne.
Mit 21 hatte er sich auf Briefmarken präsentiert. Mit 25 feierte er sein Jubiläum. Jetzt geht die Reise wohin? Bei mir ging die Reise von Augsburg ins Düsseldorfer Komödchen. Die waren ja auch nicht der Meinung, dass ich ein Supertalent bin. Aber so ganz nützlich. Und weil das Fernsehen vorbeikam, habe ich gnadenlos Klinken geputzt. Absagen, Ablehnungen, das ist Teil der Biografie.
Aber ich wusste, wo ich hin will. Als Schüler hatte ich in London ein großes Plakat gesehen. Clint Eastwood, the high plains drifter am Piccadilly Circus. Und ich dachte, genau da muss mein Plakat hin. Kippenberger druckt seine eigenen Plakate, macht sich selbst zu einer Marke, auf die keiner gewartet hat. Sein letzter Auftritt in Berlin...
Kippenberger als Elephant Man im Café Einstein. Der Film läuft gerade in den Kinos. Kippenberger nuschelt ins Mikrofon. Ich bin kein Künstler. Ich bin euer Freund. Der Lieblingsakkord der HörerInnen des Deutschlandfunks kurz vor Mitternacht. Ein Tritonus, nicht verwechselt mit Tetanus und Tinetus. Drei Ganztonschritte.
Ich habe für Sie am Flügel im Sendesaal des Deutschlandfunks in Köln Platz genommen, um Sie musikalisch hinüberzuleiten in die zweite Stunde. Und wenn Sie mögen, dann hören wir uns wieder. Bis dahin lege ich so ein paar Sirup-Harmonien für Sie auf die Tassen. Meine eigene Pianistenkarriere ist ja gescheitert. Elfenbeinallergie. Und bitte vergessen Sie nicht, heute ist der erste Tag vom Rest Ihres Lebens. Bis nachher.
Hallöchen, Hallöchen, hier spricht der Onkel, dicker Onkel. Bin ich in der Kiste? Im Hamburger Kunstverein riecht es nach Käse. Künstler aus Köln sind zu Gast.
Georg Herold und Martin Kippenberger. Die beiden haben Harzer Roller an die Wand genagelt und unter Strom gesetzt. Wohlstand plus Elektrisierung gleich Macht. Das Fernsehen fragt, was wollen uns die Künstler damit sagen? Kippenberger, im Zweireiher mit Krabatte, gibt Antwort. Alles das, was es ist, das ist das, was man sieht. Und das sind in diesem Fall Käse. Naja, die Leute heutzutage gehen mit der Kunst anders um als früher und meinen, sie müssen alles anfassen. Und dem haben wir vorgebeugt, haben ein bisschen Strom durchgegeben, nicht wahr?
36 Harzer Käse wurden an die Wand genagelt und verdrahtet. Jeder Käse mit einem Namen versehen und das ganze neurologisches Experiment mit der Macht getauft. Eine Videoinstallation weist auch den unaufmerksamen Besucher auf die künstlerische Quintessenz. Dieser Harzer Käse ist Wasser.
Heutzutage sind immer schwieriger Leute auf die Arbeit aufmerksam zu machen und deswegen dachte ich mir, ein kleiner Geruch kann da nicht schaden. Die beiden fröhlich frechen Installateure ziehen alle Register, um für ihre anspielungsreiche Provokation Publicity zu machen. Was so manche Größe des öffentlichen Lebens in diesem Verwirrspiel mit allmählich verschimmelndem Käse zu suchen hat, soll im Dunkeln bleiben. Das ist das Geheimnis der Kunst, das muss aufrecht gehalten werden. Meine Mutter hat immer gesagt, darf ich nicht weitersagen und das habe ich mir bis heute gemerkt.
Dass die Verbindung von Kunst und Käse auf der Hand liegt, da ging es nichts zu sagen. Experimente mit Lebensmitteln gab es ja schon. Daniel Spörri hatte Speisereste auf Tellern mit Leim und Konservierungsstoffen fixiert. Dieter Roth interessierte sich für den Verwesungsprozess. Und was sich bei Schokolade, Salami und Käse an Käfern und Maden tummelte, das waren seine Mitarbeiter. Und die Fettsachen von Beuys. Fett in der Kunst war ein Aufreger.
Auch, dass dann irgendwann die Fettecke von einem übereifrigen Hausmeister weggekratzt wurde. An Beuys kam keiner vorbei.
Er hat den Weg bereitet, die Grenzen zwischen Kunst und Nichtkunst aufgehoben. Das interessiert die Youngster der 80er Jahre. Und Kippenberger macht da keine Ausnahme. »Boys, Boys, Boys«, das ist ein Refrain. Der Mann mit der Ausstrahlung. Und ich in der allerletzten Generation. Über Jahre habe ich den immer da und da getroffen. Wir haben unsere kleinen Scherzchen gehabt. Einmal war er auch auf der Hochschule in Hamburg. Da ist er dämlichste Arbeiten von mir durchgegangen und hat mir die Ohren langgezogen.
Ich war immer der Nichtsnutz quasi, so habe ich mich gefühlt. Er war eben die Überperson. Von der Erscheinung, den zu beobachten und vom Humörchen war das schon was. Der war auch im selben Jahr geboren wie mein Vater und aus derselben Ecke. Da gab es viele Parallelen. Ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja
Ob man sich über seine Kunst lustig macht oder auch nicht, Beuys ist in aller Munde. Und da will Kippenberger sein. Auch, dass Beuys sich hinstellt und öffentlich für seine Kunst einsteht. Keiner Diskussion, keiner Provokation aus dem Weg geht. Im Gegenteil, Provokation heißt, jetzt kommen wir ins Gespräch, jetzt kommt Fahrt in die Sache, jetzt wird's lustig. Herr Beuys schreibt,
In der Kölner Kunstmesse im vorigen Jahr war von ihnen zu sehen ein Volkswagen-Bus und aus dem kam heraus,
eine große Anzahl, ich weiß nicht, 20, verbessern Sie mich, 40 kleine Schlitten, die alle gleichen Modells waren und ich war belustig. Das wollte ich Ihnen eigentlich nicht versetzen. Aber ist doch gut. Nein. Ja, prima. Warum nicht? Dann sind Sie ja... Wollen Sie das Lachen ausmessen? Wollen Sie die
Ich will Sie was konkretes fragen. Warum haben Sie ...? Warum haben Sie ...? Warum haben Sie ...?
Also das Persönliche mit dem Öffentlichen kombiniert und war natürlich ein großer Geschichtenerzähler. Von wegen abgeschossen und von den Tataren gerettet. Wer es glaubt, wird selig, aber er hört sich super an. Und das haben die Künstler alle als Kollegen super gefunden. Und wie der dann gekleidet war...
Der war sofort auch als Künstler zu erkennen. Aber ich finde, er hat so ein paar Aussagen gemacht, die sind einfach auch für mich prägend gewesen. Der hat Felder eröffnet für die eigene Denkweise, die vorher ganz undenkbar schienen. Und hat natürlich das Politische, aber auch das Ökopolitische in die Kunst geholt. Aber damals war es noch sehr bescheiden. Der hat dann irgendwie ja auch immer viel geredet über das Soziale in der Kunst.
Aber unter anderem hat er gesagt, ich denke sowieso nur mit dem Knie. Hahaha, so gelacht, war unheimlich witzig. Aber so zehn Jahre später habe ich gedacht, das ist schon ziemlich fein, weil es ist, sich hinzuknien. Ich denke, mit dem Knie, eine Ehrerbietung, man sagt es, zum Niederknien.
Die merken nicht alles, was jemand ausspricht, ist sofort bedeutungshubernd lesbar für uns Einfallspinsel. Die meisten Leute wollen endlich mal einen Verrückten hören, der die Sache nicht mal von der Seite aussieht, wo sie menschlich ist. Man muss den Leuten nämlich nicht nur etwas erzählen, was sie verstehen können, das schätzen sie gar nicht. Wenn man den Menschen etwas erzählt, was sie verstehen, das schätzen sie nicht. Man muss ihnen etwas erzählen, was sie nicht verstehen.
Was Sie aber gerne verstehen möchten. Das Wichtigste liegt doch in dem verborgen, was man nicht versteht. Beuys, der Mann mit der Anglerweste. Und immer mit Hut. Jeder Mensch ist ein Künstler. Da bin ich auch dabei. Kippenberger hat das umgedreht. Jeder Künstler ist ein Mensch. Und jeder Künstler hat eine Mutter.
Kippenberger schraubt vier Leinwände zusammen und malt die Mutter von Beuys. Ein großes Porträt, 2,40 m x 2 m. Auffallend das Gesicht der Mutter. Man glaubt, Beuys zu sehen. Aus der Distanz vielleicht auch Kippenberger selbst. Jedenfalls steht die Mutter vor grün-weiß-roten Farbfeldern. Die Farben Nordrhein-Westfalens. Das Bindestrich-Land.
mit den zusammengepackten Provinzen der Nachkriegszeit. Ein Zusammenkommen rheinischer Künstler in einem Bild mit dem Titel »Die Mutter von Josef Beuys«. Die hatte Wilhelm Schürmann in seiner Sammlung. Hört sich gut an. Ich hatte auch »Die Mutter von Josef Beuys«. Das war eine Arbeit, die haben wir seinerzeit in Hamburg erworben. Hat 6300 DM gekostet.
Es ist wirklich gemalt worden nach einem Foto, wie der kleine Josef mit Vater und Mutter in Kleve über die Straße geht. Und die Mutter hat so einen, also wie wir das immer gesagt haben, Kompotthut auf. Das Bild hat Kickenberger in seiner typischen Art nachgemalt. Sie sehen diese Konturen, die im Foto auftauchen, so auf den Punkt. Und was ich so interessant fand, er hat später eine Serie gemacht,
von sogenannten Ertragsgebirgen gemalt. Und die Form von einem Ertragsgebirge hat zufälligerweise, sinnvollerweise oder wie auch immer, genau die Form dieses Hutes von der Mutter. Also wirklich ein Gebirge. Ertrags- und Kostengebirge sind grafische Darstellungen in der Betriebswirtschaft. Kippenberger macht daraus handfeste Malerei.
Und weil alles mit allem zusammenhängt, Kunst und Ökonomie sowieso, tauchen einmal benutzte Ideen und Motive wieder auf. Same, same, but different. Nichts wegwerfen, kann man auch gebrauchen. Und er hat ja hinterher die Wirtschaftswerte dieser Edition von Beuys, hat er mehrere Arbeiten gemacht, hat er diese Edition gekauft und die auf die Oberflächen geklebt.
Und das waren diese Wirtschafts- und Ertragsgebirge. Und das hat Hickenberger direkt mit einer Beuys-Arbeit kombiniert. Und dann die Mutter von Josef Beuys und der Hut von der Mutter, genau diese Formel. Das ist doch kein Zufall, kann mir doch keiner erzählen. Die Wirtschaftswerte von Beuys, das waren Sachen aus der DDR. Lebensmittel, Haushaltswahn.
Beuys hatte die in einem Museum ausgestellt. Da sah man in vergoldetem Rahmen die großen Ölschinken des Museums an der Wand. Und in der Saalmitte hatte Beuys schlichte Eisenregale platziert mit Reismehl, Erbsen, Kakaoschalentee, Zwiebackbruch, alles bescheidenes.
Bescheiden verpackt. Aus den Restposten macht Kippenberger seine eigene Kunst. Er klebt die von Beuys signierten Verpackungen für Karlsbader Salz, Pflaster oder das Scheuermittel Atta direkt auf die Leinwand. Man kann eigentlich sagen, dass er den einfach ernst genommen hat.
Und natürlich auch sich an diesen Meistern abzuarbeiten. Jeder Mensch ist ein Künstler, jeder Künstler ist ein Mensch. Das eben umzudrehen, das ist genauso wie ein graues Bild von Gerhard Richter. Zum Beistelltischchen sozusagen mal eben dahin zu stellen. Also das ist eine klassische Vorgehensweise, um zu eigenen Schritten zu kommen. Aber gleichzeitig nimmt er das ja sehr ernst. Und diese Wirtschaftswerte also von Beuyser Edition zu erwerben,
um die dann wieder in den Kunstkreislauf anders, aber durch seine Generation gespeist, hineinzuverlängern, ist eigentlich eine feine Sache.
Eine tolle Kommunikationsvorgehensweise. Beuys hatte es meisterhaft verstanden, seine Arbeiten mit Geschichten aufzuladen, egal ob wahr oder erfunden. Und mit Editionen von kleinen und kleinsten Arbeiten, die sich jeder kaufen konnte, war er alles andere als ein elitärer Künstler. Reden und die Kunst unter die Leute bringen, damit konnte Kippenberger was anfangen. Das hat er in Berlin gemacht. Er will Schriftsteller werden und geht nach Paris. Schriftsteller?
Er war doch Legastheniker. Falsch ich was falsch schreibe, macht das nichts. Und hat er nicht damit kokettiert, dass er keine Bücher liest und andere für sich lesen lässt? Er hat auch andere für sich schreiben lassen und trotzdem Bücher gemacht. Und das nicht zu knapp.
Beim Kölner Buchhändler Klaus Bittner kauft er ein Meter unterhaltungs- und ernsthafte Literatur. Aus der Kaufquittung wird dann eine Kippenberger Buchedition. Ich brauche keinen Lektor, ich kann mich selber lenken. Einen Roman will er schreiben, aber das klappt nicht. Langwieriges vor sich hin werkeln ist auf Dauer nicht seine Sache. Heute denken, morgen fertig. Oder was Paris zu sagen hat, Paris ist alles, die Leute sind nix.
Ich habe mal mit dem Gedanken gespielt, Journalist zu werden bei der Aufnahmeprüfung an der Schule in Hamburg. Wollte man von mir eine Reportage zum Thema ein Vormittag auf dem Hamburger Arbeitsamt. Und da fiel ich plötzlich an, so eine verlogene soziale Art.
Ja, Menschen haben es nicht einfach, einen Job zu finden und so. Anstatt einfach zu beschreiben, wie unfassbar öde so ein Vormittag auf dem Arbeitsamt ist. Am Samstag hat der Arbeitslose Ruhe, da hat das Arbeitsamt nämlich zu. Oder in Rio gibt es viel Gefeier, in Wanne eikel wohnt Frau Christa Heiselmeier.
In Paris hatte Kippenberger alles aufgeschrieben, was ihm in den Sinn kam. Kleine Geschichten, Romananfänge, ein paar Gedichte, um dann wieder eine Kehrtwendung zu machen. Hin und her ist immer noch besser als Kreisverkehr. Hin und zurück ist auch ein Stück. Zurück zur Malerei, zurück nach Italien. Er packt seine Kiste mit Fotos und Zeitungsausschnitten zusammen und zieht sich zurück zum Malen nach Vorlagen. Sachen, die er hier und da aufgelesen hat,
Den Kühlschrank zur Rettung jeder Wohngemeinschaft, den Dortmunder Schornstein oder die Nudelzange. Er macht keinen Unterschied zwischen High und Low. Der asexuelle Salzstreuer ist ihm also genauso wichtig wie der selbstmörderische Ölschweinchen oder der afroasiatische Spaßmacher mit der Zündschnur am Flaschenkürbis. Ein Bild ist so grün, dass man die kleinen schwarzen Kringel fast übersieht. Fünf kleine Italiener als Kaugummi getarnt.
Kein Bild steht für sich. Eine Gesamtinszenierung von Bild und Text, die jedem elitären Kunstgetue spottet. Unter Einfluss von Spaghetti Nummer 7 gemalt, von einem Kippermann als Neckermann bei der abendlichen Vorbesichtigung der Zickzack-Anlage in Nordafrika. Er malt so vielfältig, stillos und differenziert, wie es die Idee oder der Einfall verlangt. Skizzenhaft Bourschikos,
dann wieder betont malerisch und nur scheinbar fahrig hingepinselt. Alles im gewohnt kleinen Format und aufgeladen mit Alltagspoesie. Kleine Wohnung, tiefe Blicke. Große Wohnung, nie zu Hause. Wie werde ich mit einer braungestrichenen Wohnung fertig? Sicherlich nicht, indem ich sie weiß überstreiche. Die Lust zum Renovieren, die würde ich mir ersparen.
Berichterstattung aus dem echten Leben. Keine braune Vergangenheitsverklärung und keine weiße Zukunftskosmetik. In kleinen gestischen Details malt Kippenberger den Alltagsmist, in dem alle stecken. Als ginge es darum, erst mal ein paar Einzelheiten um uns herum dingfest zu machen,
Seine vermeintliche Schnoddrigkeit ist verbindlich. Präzision in der Ungenauigkeit. Querfeldein, durcheinander, aber gut durcheinander. Die Bilder sortiert er zu Serien mit Titeln, die nichts erklären. Oder doch? Die verhinderten Flanellläppchen. Das sind feinfühlige Putzlappen, die den Alltagsdreck aus den Ritzen putzen. Bei Kippenberger verhindert. Gitarren, die nicht Gudrun heißen und...
Blass vor Neid steht er vor deiner Tür. Noch steht keiner vor der Tür. Das Ausstellungsprogramm hat er zusammen, aber keine Galerie. Also rumtelefonieren, anfragen, dick auftragen. Von zig Galeristen kann er einen überzeugen, Max Hetzler. Den hat er mal in Berlin getroffen, jetzt ist er dran. Ich habe 100 Bilder für dich gemalt, die möchte ich bei dir ausstellen. Mit einer LKW-Ladung bin ich dann bei der Galerie Max Hetzler in Stuttgart vorgefahren.
Ein Erfolgsgeheimnis des Herrn A. Onassis, hieß die Ausstellung. Investieren Sie in Öl, war die Devise. Von ein paar hundert Mark an wählen Sie selbst. Und fast alles wurde verkauft. Da kriegten die Leute Unterhaltung zum Anfassen. Pro Bild 1200. Ab Juni wird erhöht. Mit einem Zahnarzt verhandelt er über den Tausch eines Bildes gegen eine Neuverkronung seiner oberen Zahnreihe.
Die war ja bei seinem Dialog mit der Jugend in Berlin zu Bruch gegangen. Mit dem Modemacher Uli Knecht vereinbart er den Tausch Kunst gegen Kleidung. Die Vorstellung von einem am Hungertuch nagenden, armseligen Künstler gibt Kippenberger nicht her. Ja, Kippenberger, der war einfach fein gekleidet und hatte einen unglaublich feinen Stil und sah einfach unverschämt gut aus. Manchmal nicht, aber manchmal häufiger doch. Und gerne immer mit Krawatte, aber auch das gewohnt.
war ja nicht artifiziell, sondern das eine ergab sich aus dem anderen. Also als wir den 82 in Stuttgart besucht haben, da hatte er sein Atelier in einer Garage von Uli Knecht, der diese Modekette in verschiedenen Städten hatte und Kippenberger ließ sich bezahlen mit Kleidung und hatte damals 800 D-Mark Schuhe an.
die völlig mit Farbe bekleckert waren, weil er die anhatte, während er dort in der Garage malte. Verstehen Sie, und so weiter. Das war sozusagen ein großes Alltagsnetzwerk. Das war eigentlich mit Sympathie und diesen Verbindungen getragen und nicht durch irgendeinen noch nicht existierenden Markt entstanden.
wo die Bilder dann verteilt wurden, wer darf eins kaufen oder sowas. Also so eine grundsätzliche Veränderung jetzt ungefähr 40 Jahre danach, das ist schon auffallend. Also Bezahlung durch Naturalien. Der hat mit dem damaligen Besitzer vom Hotel Chelsea in Köln ausgemacht,
Ich habe hier keine Wohnung, ich kann bei dir wohnen, ich bezahle dich mit Kunst. Und ich schätze, das ist das beste Geschäft, was Herr Peters je in seinem Leben gemacht hat. Und Herr Dr. Peters war ein riesiger Fan, also viele Leute aus der Kunstwelt haben darauf bestanden, in diesem Art Hotel, was für ein scheußlicher Name, in diesem Kunsthotel oder in diesem charmanten Hotel mit Kunst über den Betten, aber nicht irgendwie...
Weiß ich nicht, die typische Hotelkunst, sondern eben Originale von Künstlern, die heute weltbekannt sind. Nur irgendwann waren die Sachen auch geldwertmäßig so viel wert, dass man sie sinnvollerweise aus den Gästeräumen entfernt hat. Musste, weil auf einmal war das Bild teurer als das ganze Hotel oder was. Völlig abstrus. Wilhelm Schürmann gehört zu Kippenbergers ersten Sammlern. Was nicht heißt, dass er bei einer Ausstellung direkt zugreift. Und manchmal haben mich Arbeiten interessiert...
die auch am Ende der Ausstellung noch nicht verkauft waren. Das waren meine Lieblingsarbeiten. Diese Sleeper, diese Ladenhüter-Momente, die nicht sofort Bling Bling machen. Und dann steht da auf einmal so ein Ding im Raum, so ein Ladenhüter heißt Meinungsbildverknüpfung. Martin Kippenberger hat jahrelang, weil es angeblich so schlecht gemalt ist, keine haben wollen. Und ich fand das genau richtig.
Und Sie sehen, sozusagen Vierfarbdruck war mit Grün über Rosa nicht nur RGB, sondern Smück.
Vier Farbkreise wie Planeten, umkreist von Gummidichtungsmaterial. Und auf jedem Farbkreis ein Plexiglasschild mit kleingedruckter Aufschrift. Das wird doch sonst neben die Bilder an die Wand geklebt. Das ändert Kippenberger. Die übliche Beschilderung von Kunst klebt er auf die Leinwand mit einem Text, der den Betrachter direkt anspricht. Sie kennen sich nicht aus, Sie haben keinen Überblick, Sie können nicht vergleichen, nur entscheiden Sie sich mal. Vielleicht geht es ja darum.
Genau im Angesicht so einer Arbeit stellt sich dann eben die Frage, was ist das denn da mit der Kunst? Kippenberger macht sich nicht schlauer als andere. Er stellt aber die richtigen Fragen. Und was ihn umtreibt, das bringt er in die Kunst. Wir haben ja auch eine zweiteilige Arbeit, wo draufsteht auf einem Schild, Sie haben Ihre Prüfung bestanden, Sie können jetzt gehen, wohin Sie wollen. Jetzt hilft nur noch eins, trinken und vergessen.
Da hat er zum ersten Mal eine Laterne gemalt, ich glaube, das ist von 1981. Die Laterne an Betrunkene. Die hat Kippenberger gezeichnet, gemalt, auf Plakate gedruckt und vor allem war sie in den unterschiedlichsten Versionen als Skulptur sichtbar. Eine hat Wilhelm Schürmann. Auch da hat er wieder das aus dem Alltag scheinende mit der Kunst verknüpft, also die Kunst ins öffentliche Licht oder das eigene Tun als
als öffentliches Licht sozusagen, aus dem Privaten ins Öffentliche zeigen. Das war immer ein Ansatzpunkt. Also er hat im Grunde genommen den klassischen Witz, wo ein Besoffener an der Laterne vor sich hin lallt. Und die Laterne, so kenne ich das auch seit Kindesbein, wurde immer weich gezeichnet, weil dem alles verschwimmt. Und Kippenberger hat diese Fiktion einfach nachbauen lassen.
Und deshalb heißt diese Laterne an Betrunkene, die einfach, die sind ja immer, also wie ein umgekehrtes Fragezeichen sozusagen, ohne Punkt. Die hat er in, ich glaube, zwei oder drei Versionen manifestiert. Eine mit einer sehr großen Bauchigkeit, also ich würde sagen voll besoffen. Und unsere Version, die ist dann die etwas sanftere und die steht jetzt in unserer Wohnung in Berlin.
Und strahlt mit rotem Licht auf die Karl-Marx-Allee. Das ist von außen auch ziemlich gut, muss ich sagen. Kunst, mit der alle was anfangen können und die eben nicht abgehoben und mit dem Siegel kunstwürdig daherkommt. Gebrauche die Kunst, wie du andere Sachen auch gebrauchst. Und Kunst, die auch noch Spaß macht.
Song of Joy heißt eine Ausstellung, die Wilhelm Schürmann 1983 mit Kippenberger zusammen auf die Beine stellt. Und dann habe ich Kippenberger gefragt, hör mal, sollen wir das nicht zusammen machen? Ich mache Fotos und du machst was immer du vorhast. Und er sagt, ja super, machen wir. Und dann hat er dort seine Arbeiten gezeigt. Wir haben einen Katalog zusammengeschraubt und mein Gott, was da für Bilder hingen.
Neid und Gier sind mein Bier oder sowas. Hätte ich mal die Bilder, die waren ja fennig, aber die waren so hässlich. Die hätte ich heute gerne mal gehabt. Die waren damals einige der extremsten Sachen und einige der feinsten Dinger dabei. Das war für mich damals too much. Ja, im Sinne von meiner ästhetischen Erwartungshaltung. Nach der Ausbildung merkte ich, ich bin wirklich ein klassischer Fotograf. Künstler ist was völlig anderes.
Wenn Maßstab natürlich so ein Kaliber Kippenberger ist, mit dem er zusammen eine Ausstellung macht, dann war das geklärt. Weil ich merkte auch, aus was für einem bürgerlichen Hintergrund sozusagen meine Vorstellungen bezogen auf Kunst gespeist waren. Und Kippenberger hat ja genau das pulverisiert. Also da hat er die ersten Bilder gemacht, wo er mit...
Bauschaum auch drüber gegangen. Er hat so Comics gemalt. Er hat erst mal die Oberfläche bahnt, so richtig Dichtungschaum, Fenster und Wand, also solche dicken Würste, ungefähr 5 cm. Und hat das dann übermalt. Die Extremsten davon haben die Künstler untereinander getauscht. Weil die hatten auch eine Vorgabe, das hässlichste Bild der Welt zu machen. Wie geht das?
Weg vom gefälligen Wandschmuck, hin zu dieser kleinen grauen Staubmaus-Wahrheit mit der Farbe und dem Geruch getragener Socken. Und das lässt sich nur mit Witz ertragen. Krieg führt der Witz auf ewig mit dem Schönen. Er glaubt nicht an den Engel und den Gott. Dem Herzen will er seine Schätze rauben, den Wahn bekriegt er und verletzt den Glauben. Schiller, Friedrich Schiller.
Also da muss schon bei besonderer Kunst auch eine ordentliche Sperrigkeit sein, vor die man rennt, was man nicht sofort vernaschen kann. Und Kippenberger, ein Bild hatten wir, Sie sehen, im Grunde genommen eine weibliche Figurine abgemalt. Es sieht sogar aus, als hätte das Bild einen Sprung. Es sieht eigentlich aus, als hätte er zerknüllte Kugeln.
ein blatt Papier, eine Kopie abgemalt und irgendeine weibliche Figur, die da in irgendeiner Sitzgelegenheit zu hängen scheint. Das ist aber so eine aufblasbare Sexpuppe, diese ganz billige Version. Und darunter steht, ich heize durch Pupen. Und das hing bei uns im Eingangsbereich. Also der Titel ist, wie heizen Sie denn? Und die Antwort steht auf dem Bild, ich heize durch Pupen.
Und Sie können sich vorstellen, wir haben hier einen Freund, der erzählt jedem seine erste Kunsterfahrung der anderen Art, als er uns zum ersten Mal besuchte, war dieses Bild. Der kommt bei uns in die Wohnung zum ersten Mal und das Erste, was er liest und sieht, ist dieses Bild. Und das hat er nie mehr vergessen. Ich sage, siehst du, was Kunst mit dir machen kann? Nach 40 Jahren erinnerst du nur jedes Detail. Also das ist auch keine Trophäenkunst, verstehen Sie, die irgendwo das...
das Wohnzimmer dekoriert, sondern die wirkliche Wirkung dieser Kunst besteht darin, dass sie sich in unsere Denkweise verlängert hat. Also die Haltung, die da drin steht, ist ein Teil von uns geworden. Und die Heuchelei, die in dem Kunstbetrieb unterwegs ist oder die Doppelmoral, die da unterwegs ist,
Da gehörte für mich Kippenberger mit zu den Ersten oder die ganze Truppe mit zu den Ersten, die da den Finger drauf gelegt haben. Und aber immer gesagt haben, wir sind Teil des Problems. Also wir stellen uns nicht da drüber und zeigen mit den Fingern auf die Doofen da unten. Nein, nein, wir sind Teil des Problems. Die ganze Truppe. Um Kippenberger herum sind das Werner Büttner, Georg Herold, Albert Oehlen.
Mit Frechheit und Intelligenz wollen sie radikale Kunst machen und dabei allen auf die Nerven gehen. Lasst doch mal die Tüte auf, Georg. Wollen wir mal sehen. Mann kann der blasen. Entschuldigung, Entschuldigung. Wir sind keine Brüder, aber wir möchten gerne zu unserem Verständnis und besonders für unsere Antifreunde eins klar machen. Das Wissen erweitern durch Scheitern.
Wissen erweitern durch Scheitern. Frei nach Samuel Beckett. Ever tried, ever failed, no matter, try again, fail again, fail better.
Immer versucht, immer gescheitert. Egal. Wieder versuchen, wieder scheitern. Besser scheitern. Scheitern nicht nur riskieren, sondern ganz bewusst Brüche und Fehler einbauen. Ein vorsätzlich eingebauter Fehler ist ja kein Fehler mehr. Das falsche oder obsolete wäre dann das richtige. In einem gut gemalten Bild muss ein Bruch drin sein.
Wenn da nicht irgendwo ein Fehler drin ist, dann hält man das ein Leben lang nicht aus. Alles, was du im Grunde genommen zwischen den ganzen Fehlern richtig machst, zählt schon doppelt. Oder die Wiederbegegnung eines Fehlers. Entweder den man begangen hat oder den jemand anderes begangen hat. Das ist einfach bewegend. Kann man auf jeden Fall nicht unter Langeweile laufen lassen. Ich glaube an Menschen, weil sie so schöne Fehler machen. Im Mai 82 sind Kippenberger und seine Künstlerfreunde in der Zeitschrift »TWIN«.
Der Galerist Max Hetzler hat sie im Programm und was die Hetzler Boys gerade umtreibt, das wird ausgestellt. Der Ford Capri muss in die Kunst und wird dafür mit Haferflocken in brauner Farbe veredelt. Präsentation in einer Garagengalerie mit viel Gelächter und Bier. Wer das nicht gut findet, muss sofort zum Arzt. Ford Capri. Der Schlitten für die nicht wirklich reichen. Galt als Maurer Porsche und hatte die Werbung, da weiß man, ob der Motor nur funkt oder auch zündet.
Capri war einfach ein cooler Straßenfeger. Hab ich mir nicht entgehen lassen, kam in die Show. Ich möchte Ihnen jetzt einen Gast ankündigen, der Mann mit Europas tollstem Capri. Und ich weiß, die Motorsportfreunde unter Ihnen, die sagen geil. Capri, Capri, Capri, Capri, ich fahr fort Capri. Capri, Capri, Capri, Capri.
Kippenberger war nicht auf Autos versessen. Er hatte gar keinen Führerschein. Aber im Capri steckt ja mehr als nur ein Auto. Capri bei Nacht. War ein einzelnes Bild. Ich wollte auch so eine Serie. Es gab aber gerade keine, aber es gab Restbilder. Und was Sie also sehen, Sie sehen eine Straßenbeleuchtung gemalt und darunter steht ein Ford Capri. Das ist Capri bei Nacht. Und da hat er, glaube ich, hinterher nochmal zwei oder drei Versionen von gemacht. Typisch Kippenberger.
Und hier unten gab es immer irgendeinen Imbiss, der nannte sich auch Capri, ja genau. Und wenn er hier wohnte, dann hat er gesagt, komm wir gehen nochmal, Capri, aber es muss erst dunkel werden.
Und das sind so Sachen, gerade diese italienische Lebensform, die hat sich natürlich in unsere Vororte verlängert, heute nur noch in Eisdielen normalerweise, aber Capri bei Nacht, tolle Arbeit nach wie vor. Gemeinsam ist den Hetzler Boys die Abscheu vor einer leblosen Kunst, die vor lauter Seriosität und Wichtigtuerei nur um sich selbst rotiert.
Dem muss man mit Lust und Laune Paroli bieten. Und damit sind sie nicht allein. Das wollen auch andere Newcomer. Für alle zusammen findet man schnell eine Schublade. Die neuen Wilden. Aber was sagt das schon? Quatsch, also diese neuen Wilden. Das war in Mediengelaber oder ein Etikett für Billigheimer.
Das war so ein Künstlerschar. Die haben sich gegenseitig ordentlich beguckt und waren im Austausch, auch im Wettbewerb und haben versucht, sich hier oder da zu überbieten oder zu unterbieten, haben sich mehr oder minder ernst genommen. Aber dieses Lass uns doch mal auskegeln, wo gehören wir hin, was dürfen wir, was müssen wir, was sollen wir, das konnte man täglich treffen, weil die waren ja auch öffentlich sichtbar.
1984 bekommen Büttner, Kippenberger und Albert Oehlen ihre erste Ausstellung in einem Museum im Volkwang in Essen. Programmatischer Titel »Wahrheit ist Arbeit«. Das klingt doch seriös. Ist aber anders gemeint. Mehr in der Richtung. Nicht der gemalte Arsch ist obszön, sondern nicht zu sehen, dass die Wahrheit am Arsch ist. Es tut uns leid, wenn jemand meint, unser Überbau passe nicht zu unserem Unterbau.
Nieder mit der Inflation. Nieder mit irgendwas. Das war in den 80er Jahren der Dauerbrenner auf Protestplakaten. Und so inflationär der Appell, so ausgiebig nutzt Kippenberger das als Titel für eine ganze Reihe von Bildern. Nieder mit dem Idealismus. Nieder mit der Bourgeoisie. Nieder mit dem Imperialismus.
Die Qualitätspresse stellt die bange Frage, ob hier überhaupt noch von Kunst gesprochen werden kann und es nicht einem Verbrechen nahekommt, wenn diese Wilden jetzt aufs Podest gehoben und vermarktet werden. Sollen sie doch reden. So kommt man ins Gespräch. Bei der großen Kunstschau in der Düsseldorfer Messehalle 1984 sind ja alle dabei. Zwei Monate neue deutsche Kunst. Beuys liefert den Titel »Von hier aus«.
Seine Wirtschaftswerte so ziemlich im Zentrum der Ausstellungshalle. Drumherum platziert der Kurator Kaspar König die Arbeiten von über 60 Künstlern. Kippenberger ist nicht dabei. Von mir aus. Seine Kumpel Werner Büttner und Albert Oehlen protestieren. Kippenberger bekommt zwei Seiten im Katalog, mehr nicht. Der Kaspar König hat Kippenberger immer mitleidig belächelt, das war ein Partymaler. Der hat ihn immer als Partymaler diffamiert oder benannt.
Nennen wir es mal nicht werdend. Der hat ihn als Künstler nicht gut genug gefunden, um den in die Ausstellung einzubauen. Ganz simpel. Weil der Look der Bilder war nicht das, was er meinte, wie Kunst aussehen müsste. Und von hier aus hat Kiepenberger dann ein Entschuldigungsschreiben, warum er nicht teilnimmt.
in den Katalog hineingenommen und hat diesen Vordruck, wenn Eltern sozusagen das ausfüllen lassen oder müssen für ihre Kinder, die nicht in der Schule aufgetaucht sind, die brauchen das nur anzukreuzen. Und Kippenberger hat das übersetzt, warum er jetzt bei der Ausführung nicht dabei ist. Einfach großartig. Wie vermies ich mir den Einlass? Ich bleibe so, wie ich bin. Auf dem Formular im Katalog hat er keinen Entschuldigungsgrund angekreuzt. Nur das Blatt von oben bis unten durchgestrichen.
und das mit schülerhaft krakeligem Strich, der auf Kleingedrucktem endet. Ein unauffällig auffälliger Satz, den er in die Typografie eingefügt hat. Gezeichnet Kippenberger. Immer dabei sein, mit Witz und Leichtigkeit.
Aber wer hat seine Witze verstanden? Zur Documenta in Kassel ist er 92 auch nicht eingeladen. Trotzdem bringt er sich ins Spiel mit seiner Laterne an Betrunkene. Jedenfalls ist sie auf einem Plakat zu sehen, eine goldene Laterne vor dem Friedrichsianum, die ziemlich geknickt eine Träne aus Plexiglas weint. Interessant ist, wo Kippenberger seine Laterne platziert hat. Sie weint auf dem vertikalen Erdkilometer von Walter de Maria. Walter de Maria?
Kennt man den? Amerikanischer Landartkünstler mit Humor. Sein sichtbar-unsichtbarer Erdkilometer hatte im Vorfeld der Documenta 1977 für Schlagzeilen gesorgt, weil dafür ein tausend Meter tiefes Loch auf dem Friedrichsplatz gebohrt wurde, um dann entsprechend lange Messingstangen in der Erde zu versenken. Viel Aufwand. Für was? Mal nachdenken über die Erde und ihren Platz im Universum. Und was sieht man vom Erdkilometer? Fast nichts. Nur eine kleine runde Scheibe. Das
Das oberste Ende des Messingstabs. Und genau da drauf sitzt Kippenbergers weinende Laterne, angestrichen im leuchtenden Kupfergoldton, passend zum sichtbaren Messingpunkt. Und als wollte Kippenberger dem verborgenen Stab auf die Sprünge helfen, lässt er seinen Laternenmast bis in den Himmel schießen. Erst dann neigt sich die Laterne in scharfer Kurve tief zu Boden. Respektvolle Verbeugung des Jüngeren vor der Arbeit des älteren Kollegen.
Aber bevor der Jüngere sich verneigt, hebt seine Laterne erst mal ab. Und das macht sie auf dem Schlusspunkt des Erdkilometers. Schlusspunkt klingt nach Ende, aus. Viel Ehrfurcht, viel Erstarrung. Nicht mit Kippenberger. Die Kunst geht ja weiter.
Er hat den unsichtbaren Messingstab gleichsam aus der Erde gezogen, um daraus was Neues, Handfestes zu machen. Eine geknickte Straßenlaterne. Vielleicht betrunken und deshalb hellsichtig? Das Licht der Laterne könnte einem selbst aufgehen. In Kassel stand sie ja nur für die Dauer eines Fotos. Das Foto für das Plakat, mit dem Kippenberger dann doch auf der Documenta mitgespielt hat. Sichtbar, unsichtbar.
Auf dem Plakat hat er die Inschrift am Fridericianum durch das Wort Melancholie ersetzt. Seinen Namen erwähnt er nicht. Seine Laternen kannte jeder. Eine stand vor der Paris-Bar in Berlin, Kippenbergers Stammlokal, in der Kantstraße. Mit den Besitzern ist er seit Jahren befreundet.
Im Restaurant hängen Bilder aus seiner Florenz-Serie und später Arbeiten von Künstlerfreunden, die wie Kippenberger zu einer Großausstellung zeitgenössischer Kunst nicht eingeladen waren. Und was macht Kippenberger? Er organisiert eine Art Salon des Refusés. Die Bilder werden in der Parisbar an die Wand gehängt, der Raum wird samt Restauranttischen und Stühlen fotografiert und dann geht das Foto an die Kinoplakatfirma Werner. Lieber Maler, male mir. Kippenberger lässt wieder malen.
Das fertige Bild bekommt die Paris Bar. Als dort die Geschäfte nicht mehr so liefen, wurde es verkauft, kam dann in den Kunsthandel und erzielte 2009 bei Christie's in London mehr als 2 Millionen Pfund. Der Plakatmaler hatte damals 1000 Mark bekommen für eine Dienstleistung, die 1991 geregelt war. Aber mit dem Auktionspreis sieht das anders aus. Ein Urheberstreit kommt ins Rollen. Wer ist das Genie? Genie.
Originalität, Einzigartigkeit, völlig überschätzt. Mit sowas hat Kippenberger aufgeräumt. Es geht um ein paar Ideen und Konzepte. Die Ausführungen können auch andere machen. Entscheidend ist, ob alles zusammen einen anständigen Kippenberger ergibt. Oder auch nicht. Ich benutze Malerei, um Geschichten zu erzählen oder einen Abklatsch von mir zu bringen. Ein paar Tricks rausfinden, das ist meine Sache. Aber ich will nicht die Welt belehren mit einem neuen Strich. Das ist also...
Harald Faltenberg, Jurist und Unternehmer.
Falkenberg führt durch seine Privatsammlung in Hamburg-Harburg. In den 90er Jahren hatte er angefangen, Gegenwartskunst zu sammeln. Mein Vater war sehr dagegen, mein Schwager noch mehr, mit dem ich zusammen in der Firma war oder in dessen Firma ich war. Also der meinte, dass moderne Kunst ohnehin Betrug ist. Das kann auch jeder, das ist die alte Sprache, so einen Strich machen oder einen Kreis, das ist doch unheimlich.
Das kann auch jeder machen. Als er merkte, dass diese Arbeiten auch noch teuer waren, da änderte er seine Meinung ein bisschen und wurde etwas unruhig. Und sagt, dafür zahlt man wirklich Geld? Das kann doch nicht sein. Und hier, wenn wir jetzt mal mit einem Bild anfangen,
Das ist die Arbeit des heute sehr bekannten Künstlers Martin Kippenberger, der ja auch einer der Marktikonen geworden ist. Wir reden von Kunst, die von Leuten mit extrem hohen Preisen bezahlt wird. Ich hätte nie gedacht, dass Kippenberger mit seinem komischen deutschen Humor Erfolg in New York hat, aber es ist unglaublich. Ich habe das Bild in New York gekauft, da ist es irgendwie gelandet.
Egal. Diese Arbeit ist von 1984. Und man denkt bei dem Titel Selbstjustiz durch Fehleinkäufe, dass es an Sammler gerichtet ist. Und dass sie aufpassen müssen, immer die richtigen Arbeiten zu kaufen und nicht die falschen. Aber die Arbeit hat eigentlich ein ganz anderes Thema. Es ist eine Abrechnung mit einer Freundschaft. Das ist eine Freundin von ihm, mit der er acht Monate liiert war.
Sie sehen, sie sieht etwas derangiert aus, nackt, stämmig, mit etwas verwurzten Blick und abstehenden Haaren und mit einer Edeka-Tüte, wahrscheinlich zwei Edeka-Tüten in der Hand und in so einem Schlips über dem nackten Körper. Und das ist eben Selbstjustiz durch viele Einkäufe, weil Kippenberger ist auf jeden Fall selbstbestimmt.
völlig ablehnte, in ordinäre Läden zu gehen, schon gar in solche, wie heißen diese Läden, diese Paufhäuser zu gehen. Aber diese junge Dame hier bestritt nun mal ihren Lebensunterhalt mit Utensilien, die sie dort einkaufte. Und das konnte er am Ende nicht mehr aushalten.
So hat er sie so dargestellt, ziemlich trist und selbstjustiz durch Fehleinkäufe. Mir gegenüber hat sie sich selbst hingerichtet, weil sie nur so beschissen einkaufte. Sie ist übrigens eine sehr bekannte Künstlerpersönlichkeit. Wer genau hingucken kann, kann sie auch erkennen.
Ich werde selbst keine Namen verraten. Aber das ist auch eine Künstlerin, die heute Millionen Werte für ihre Arbeiten erzielt. Aber die lebt im Gegensatz zu Krippenberger noch. Die hatte hier ausgeschnitten. Und er wagte so eine fiese Abrechnung nicht. Ich habe inzwischen die Hintergründe erfahren. Das fand er selbst vielleicht ein bisschen gemein gegenüber dieser Freundin. Aber seine Galeristin,
Die Pippenberger Nachlass heute noch, weil die fand diese Arbeit eigentlich sehr gut und nähte sie selber drauf auf so eine Leinwand. Und so ist nun das Bild eigentlich nur mit Hilfe der Galeristin entstanden, wenn ich mal so sagen will. Und Sie müssen sich vorstellen, das haben die irgendwie zusammen gemacht in der Gruppe und das spielte für den Preis am Ende keine Rolle.
Geld spielt keine Rolex. Das war ja nur ein Joke. Das war ein ironischer Umgang mit Geld. Er hatte nie Geld. Wenn er was hatte, hat er es sofort ausgegeben. Er hatte auch eine Arbeit gemacht mit dem Titel "Kein Geld sparen, Taxi fahren". Geld spielt keine Rolex. Auch nicht, wer welche Idee zuerst hat. Was in Kippenbergers Konzept passt, das baut er in seine Arbeiten ein. Fertig.
In seinem Hamburger Schiebelager, dem Depot seiner Kunstsammlung, hat Harald Falkenberg eine ganze Reihe von Kippenberger Bildern, die mehr als eine Handschrift tragen. Ich bin zu Kippenberger gekommen,
Man kommt meistens über einen Kontakt zu Künstlern zur Kunst. Und ich war mit Werder Büttner befreundet und David Öhl und Krippenberger und Georg Herold befreundet. Und so kamen dann Gruppen zustande. Ja, diese Sechser-Serie von Krippenberger ist wieder, die war ja auch einigermaßen respektlos, die ist hier. Viele dieser Arbeiten, die hat er geklaut. Zum Beispiel diese Sequenz.
der schlafenden Bürokraten, bitte 20.30 Uhr wecken, bitte 20 Uhr wecken, bitte 19.45 Uhr wecken. Die haben Krippenberger von Werner Büttner geklaut. Dafür hat er ein Glas Bier an der Bar ins Gesicht bekommen und damit waren die Angelegenheiten erledigt. Und so ging man miteinander um. Politiker korrekt sind die Arbeiten bestimmt nicht unbedingt. Aber das interessiert die reichlich wenig, ob das nun politiker korrekt war.
Zum Thema Political Correctness. Wenn ich einer Künstlerin auf meinem Showschreibtisch Brausepulver aus dem Bauchnabel lecke, dann ist das eine Verbeugung vor Günther Blech und seinem Weltroman Die Grasstrommel.
Und übrigens gilt der Satz von Karl Kraus, wenn der Zensor kapiert, was man macht, ist es schon falsch. Also, wenn ich immer höre, hier werden die Grenzen des Sagbaren verschoben, dann muss ich sagen, ja, Gott sei Dank haben wir offene Grenzen. Okay, Harald, und weiter geht's. Political Correct, ist das nicht falsch geschrieben? Achso, ja, ich fang nochmal an.
Political Correct nennt Kippenberger eine Reihe von Bildern und macht sich gleich mit Fehlern im Titel über den Schwarmgehorsam seiner Zeitgenossen lustig.
Das Politische in seinen Bildern trifft den verlogenen Umgang mit politischen Themen. Und wenn Künstlerkollegen Geschichtsbeladenes mit schwerfälligem Pathos und respektheischender Weiherstimmung zelebrieren, zieht er das mit seinen Arbeiten gnadenlos durch den Kakao. Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken. Das ist sicherlich eine seiner Hauptwerke überhaupt. Was hat er gemacht? Er hat eine Arbeit gegründet.
Im Format 1,60 x 1,33 gemalt. Und man sieht, man scheint zu sehen, einen Haufen von Dachlatten in schwarz, weiß und ein bisschen rot. Sehr roh auf die Oberfläche gepinselt, also dick und fett mit der Farbe aufgetragen. Und erst der Titel, ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken,
führt einen ja auf eine Fährte, die auf einmal politisch zu sein scheint. Man kann wirklich nichts entdecken. Aber dieser Satz hat sich sozusagen in unserem Sprachgebrauch verlängert. Ich musste vor einigen Jahren hier, wenn ich in der Nähe durch den Urwald, wir haben so ein Stückchen wirklich guten Urwald, schleichen, da musste ich auf einmal schalllachen, da waren zwei Äste so übereinander gefahren. Es fehlte der letzte Schenkel und dann habe ich das gesehen.
Irgendwo mal gepostet als "Deutscher Wald" und dahinter nur in Klammern: "Beim besten Willen nicht". Musste man gar nicht mehr verlängern. Da weiß jeder, was gemeint ist. Auch in Deutschland kann sich Erkenntnis in einem lauten Lachen einstellen und nicht immer nur grübeln und reuend unter der Grasnarbe herumschleichen. Und dieses weihevolle Flüstern, das war nicht die Sache von Kickenberger und seiner Umgebung.
Und für uns hatte das natürlich befreienden Charakter. Und das hat er mit solchen Arbeiten geleistet. Und vielleicht sind die Arbeiten tausendmal politischer als die, die politisch scheinend herumzeigefingern.
Hitler hatte nur ein Ei oder Hitler fehlte ein Hoden. Das war eine große Schlagzeile in der Bild-Zeitung, haben wir natürlich gleich aufgegriffen. Wir haben einfach Reden von ihm genommen und neu synchronisiert. Wenn uns gar nichts mehr eingefallen ist, dann kam einfach als Thema Hitler, das hat immer funktioniert. Wir haben auch in der Show den Kommunismus hochgehalten, erfunden von Charlie Marx in Trier, ruiniert von der DDR-Reihe.
Aber ich habe immer nach der marxistischen Devise gelebt, Gewinn ist ein behaltener Lohn. Denn Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.
Optimismus und gute Laune beim Fest der Jugend in Berlin. Auf dem Cover einer Ostberliner Illustrierten das treuherzige Lächeln einer attraktiven Jungsozialistin. Für Kippenberger die passende Vorlage, um die fröhliche Genossin in weißer Uniform und mit der Feldmütze der Roten Armee zu porträtieren. Die sympathische Kommunistin malt er 1983, mitten im Kalten Krieg. Die Zeit war klarer formatiert. Es gab die Mauer, es gab den Ostblock.
Und so lief es auch in der Kunst. Das hinter dem eisernen Vorhang war sozialistische Propagandakunst, modern, frei und unabhängig war das, was der Westen propagierte. Kippenberger nennt das leicht verständliche Hysterie. Orthodoxes Kunstdenken ist im Suspekt, erfolgt keiner Ideologie.
Kapitalistische Popart mixt er einfach mit sozialistischem Realismus. Fertig. Kritiker, die seine Arbeiten als billige Provokation abtun, finden dann ihren Verriss als Vorwort im Katalog zur nächsten Kippenberger Ausstellung wieder. Nichts hat auf seine Produktivität eine anregendere Wirkung als die Gewissheit, gehasst und unterbewertet zu sein. Dass er bei öffentlichen Auftritten hartnäckig polarisierte, rutschte.
und sich im Suff daneben benahm, hat aber auch den Blick auf seine Kunst vernebelt. »Kippenberger und Cafés? Hört nicht zu, sondern erzählt selber. Belustigen zu müssen, um jeden Preis, auch zuweilen persona non grata.« »Wovon man nicht sprechen darf, darüber soll man nicht schweigen. Und dabei schlägt er über die Stränge, wird als Sexist, Rassist, als exemplarischer Alkoholiker abgestempelt.« »Aus Vorwürfen lässt sich was machen.«
wobei er den Zeigefinger ja nicht auf seine Kritiker legt. Der Künstler eckt an, also stellt er sich selbst in die Ecke. Martin, ab in die Ecke und schäm dich. Ein lebensgroßer Kippenberger, der wie ein ungezogener Schuljunge bestraft wird. Das kommt gut an. Von der Skulptur lässt er gleich sechs Exemplare anfertigen. Als Zielscheibe hat er sich ja nie ausgenommen. Und dass er ein Trinker ist, hat er auch nicht verheimlicht.
Ich bin Alkoholiker, halt mich nicht auf. Ich trinke ja nur so viel, damit ich nicht noch mehr mache. Aus der Brauerei-Reklame, zwei Vorhängeschlösser für Düsseldorfer Altbier, macht er handfeste Alkoholfolter. Die Plastikringe eines Sixpacks für Bierdosen legt er sich als Handschellen an. Ein dunkelrotes Selbstporträt, witzig und verzweifelt. Lieber in der dunkelsten Kneipe als am hellsten Arbeitsplatz. Ich bin zwar nicht der Intelligenteste, aber dafür gebe ich auch am meisten Trinkgeld.
In Kneipen gehen war Arbeit und trinken war auch Arbeit, sagen seine Mitarbeiter. Am Kneipentisch wird geplant, bis alles geklärt ist, mit einem Alleinunterhalter, der nicht allein sein kann. Kippenberger zieht von Ausstellung zu Ausstellung, lebt mal hier, mal da, immer in Sorge, nicht anerkannt und weggeschickt zu werden. Auch das hat er mit Witz in die Kunst gebracht. Letzte Versuche, die Öffentlichkeit endlich auf mich aufmerksam zu machen. Wie ein herrenloser Hund schwebt
steht ein ziemlich bedröppelt reinschauender Kippenberger mit einem Schild um den Hals nachts auf der Straße. Bitte nicht nach Hause schicken. Also Kippenberger war auch ein sentimentaler Geist. Und bitte nicht nach Hause schicken, das ist ein Selbstbildnis, das war gemalt auf ganz groben Rupfen. Und es gibt ja auch nur das Schild, das hat der Hinde als Edition nochmal herausgegeben. Das konnte man sich umhängen und da stand eben drauf,
Bitte nicht nach Hause schicken. Wie auch immer man das interpretieren kann, der Künstler, der überall zu Hause ist, hat aber selber doch eine ziemliche Sehnsucht nach einer Familie. Wenn man bedenkt, dass seine Mutter tragisch durch einen Unfall ums Leben gekommen ist, Mitte der 70er Jahre, also was passierte, in Essen ein Lastwagen fährt in eine Kurve und verliert,
beim Fahren zwei Europaletten und die Mutter wird von einer erschlagen. Erdnüsse rein und Schuppen runter? Selbst mit der Prinzenrolle von de Beukela wird die tote Mutter nicht munter. Jetzt können Sie sich vorstellen, dass er später eine Serie von Arbeiten gemacht hat, Müttergenesungswerk, und hat dazu Skulpturen gebaut aus mit Kettensäge bearbeiteten Europaletten. Das war Trauerarbeit.
am Objekt sozusagen, verstehen Sie, da ist das wieder, die Kunst aus dem Leben ins Material zu holen. Und das hat er wirklich in einer unglaublich leichtfüßigen, nicht zeigefingernden Weise auch in diesem Fall verstanden. Also die tragische Dimension bei solchen Arbeiten von Kickenberger, eben auch dieser Trauarbeit, ob des frühen Todes seiner Mutter,
löst sich aber in einem lauten Lachen auf. Also Trauer in einem lauten Lachen, das ist schon sehr besonders. Vielleicht auch ein Ruhrgebiets-Talent. Selten so gelacht, dreimal mussten wir den Sarg hochziehen, weil die Leute so applaudiert haben. Mit so einem Witz bin ich in der Schule groß geworden. Aber was interessant war, wann war der Papstbesuch in Köln? 1987. Dann war das 1987, das würde passen.
Da ist das ganze Feld, wo der Papst dann war, mit diesen Holzplatten ausgelegt worden. Und Kippenberger hat natürlich begriffen, ja, wo bleibt das Zeug denn, wenn der Papst wieder weggefahren ist? Und hat sich das besorgt und hat daraus Arbeiten gemacht.
Monument für frühe Hässlichkeit. Aus 80 übereinander gestapelten Pressspanplatten macht er einen trostlosen Kastenbau, aufgeladen mit einem Gummischlauch. Und das Material war ja aufgeladen, also sozusagen heilig gesprochen. Den Segen hat es bekommen. Also Sie merken, wie das alles miteinander verbunden wird.
Das ist Orts-Specifity Kippenberger, weil Papst war in Köln und sozusagen der Sockel, auf dem er sich nicht über Wasser gehend bewegt hat, den nimmt er zur Grundlage von Arbeiten. War natürlich toll. Die Revolution in Köln muss verschoben werden. Die Künstler fühlen sich heute zu schwach. Einer geht noch. Kippenberger Skulpturengruppe aus Styropor und Gips, Familie Hunger. Schwarz bemalt und jede Figur mit einem großen Loch im Bauch.
Ganz so wie die durchlöcherten Skulpturen des englischen Bildhauers Henry Moore. Eine stand vom Kanzleramt in Bonn, hatte Helmut Schmidt durchgesetzt. Kunst soll beflügeln. Und wann immer vom Loch im Staatshaushalt die Rede war, dekorierte Henry Moores 3-Tonnen-Bronze die Nachrichten. Die Persiflage auf Henry Moore fand Kippenberger im Kino, in dem Film »Das Fenster zum Hof«.
Unter den Hausbewohnern versammelt Hitchcock eine Reihe von Künstlern, alle im Kampf um Anerkennung. Eine Tänzerin, ein Komponist und eine schwerhörige Bildhauerin, die sich an einer Gipsform abarbeitet. Eine Figur mit großem Loch im Bauch. Kippenbergers direkte Vorlage. Was soll das werden, heißt es bei Hitchcock. What's that supposed to be, ma'am? It's called Hunger. Musik
Ich weiß nicht, was mich reizt, aber ich will mich nicht langweilen. Außerdem wird man schnell als Künstler vertreten.
gematert und gestempelt. Was machen Sie denn für Kunst? Malen Sie oder sind Sie Bildhauer? Am besten sagt man beim Zahnarzt Bildhauer, weil dann fragt er nicht weiter nach. Unter Bildhauerei kann sich jeder was vorstellen. Bei Malerei sagen Sie, welcher Stil. Wenn ich damit anfange, wird es wieder zu ausführlich. Was man mit der Kunst machen kann, man kann sie einfach nur verfeinern.
Man kann eigentlich nicht sensationell was Großes, Neues schaffen und das wäre Einbildung, sondern man verfeinert sie und man bringt sie in andere Richtungen wieder. Man dreht es wieder um, man kann es eh nur drehen und wenden das Bett. Die Kunst drehen und wenden und sich auf Augenhöhe mit anderen Künstlern reiben.
Kippenberger nimmt sich Picasso vor und malt dessen Witwe Jacqueline. Bilder, die Pablo nicht mehr malen konnte. Picasso ist gestorben, da ist sie traurig geworden. Also übernehme ich seinen Job. Nach den letzten Fotos, die es von Jacqueline Picasso gab, schwarz-weiß und unscharf, versuche ich, sie in Farbe umzusetzen und Picassos zu machen. Also das Werk zu vollenden sozusagen. Sie war ja eines seiner Hauptthemen. Wo er behauptet, er hätte sie auswendig gemalt.
Was ich natürlich nicht glaube. Picassos Witwe malt Kippenberger nach Porträtaufnahmen des amerikanischen Fotojournalisten David Douglas Duncan.
Seit den 50er Jahren ist er mit Picasso und seiner Frau Jacqueline befreundet, fotografiert Picasso beim Spielen mit seinen Kindern, beim Stierkampf, in der Badewanne. »Home Stories«, publiziert im Live-Magazin. Wie sich der Meister aller Klassen öffentlich zur Schau stellt, das hat Kippenberger interessiert. »Picasso in weißem Feinripp mit Eingriff. Bella figura bis ins hohe Alter. Respekt, sich mit 81 noch in Unterhosen fotografieren zu lassen.«
Wie ein Athlet steht er braungebrannt und breitbeinig auf der Treppe vor seinem Schloss in der Provence. Schlappen an den Füßen, den Bademantel über den Arm geworfen, den afghanischen Windhund an der Hand. Ja, also ich sehe das einfach Großkünstler plus Supermacho. Der Vorzeigemacho, der sich mit glamourösem Hund in einer Feinripp-Unterhose fotografieren lässt. Ich glaube, das war schon für Kippenberger, dass er dachte, das gibt es sogar nicht. Also Picasso war...
sozusagen die öffentliche Figur und natürlich ein Händchen und ein künstlerisches Genie. Ich glaube, da hat jeder Künstler von geträumt. Der war in einer Weise für Kippenberger animierend, sich selbst in der Unterhose vor die Kamera zu stellen und dann die Unterhose noch so groß, dass sie, glaube ich, bis zum Bauch oder über den Bauchnabel ging.
Herzlich willkommen. Kippenberger ist alles andere als ein Athlet und genau das stellt er zur Schau. Aus den Fotografien macht er einen Pin-Up-Kalender. Das Pin-Up? Ein Kippenberger mit Bierbauch, schlaffem Oberkörper, hängenden Schultern, die Unterhose voluminöser als Picassos. Die Fotos nimmt er als Vorlage für eine Reihe von Selbstporträts. Bilder ohne Titel. Keine Sprüche, keine schmutzig grobe Malerei. Picasso hatte sich mit seinem Windhund ablichten lassen.
Bei Kippenberger sieht es so aus, als stünde er vor einer fahrbaren Gehhilfe, die farblich zu seinen Unterhosen passt. Orange-roter Feinripp. Das Gestell auf Rollen zeigt seine Skulptur Worktimer und die schwebt in einem durchsichtigen Ballon, den Kippenberger wie einen Hund an der Leine hält.
Das Bild hatte Jeff Koons in seiner Sammlung. In Kippenbergers gemaltem Luftballon sah er eine Referenz an seine Ballonfiguren. Jeff Koons, Million-Dollar-Boy, der mit den aufgeblasenen Hunden, Blumen und Herzen. Kippenberger und Koons kannten sich gut. Koons zeigte seine Arbeiten in Deutschland, Kippenberger in den USA. Jeff Koons thinks Martin Kippenberger is great, tremendous, fabulous, everything.
Das war Kuhns Plakatentwurf für Kippenbergers Ausstellung in Santa Monica. Die haben sich gegenseitig sehr beäugt. Der Kuhns war noch ein Ticken selbstgewisser und selbstbewusster als Kippenberger. Aber ich würde sagen, die haben sich auf Augenhöhe betrachtet. Vielleicht war Kuhns ein bisschen gewiefter, ein bisschen geschickter.
Weil der immer in dieser amerikanischen Mentalität alles totgelobt hat. Alles war pretty, alles war unglaublich. Aber ich schaffte es immer so im Nebensatz noch erzählen, dass er noch ein bisschen unglaublicher ist. Und Kippenberger war da wesentlich ehrlicher und gerade außerhalb und urgebiets geprägt, ist doch klar. Kippenberger hatte ein unsentimentales Verhältnis zum Kunstbetrieb. Das Verschleißtempo von Gegenwartskunst war klar.
Was er machte, sollte immer die Qualität latenter Unverdaulichkeit bewahren. Man kann nicht einfach provokant sein, aber auch nicht einfach lieblich werden. Bilder setzen sich aus zwei Teilen zusammen. Verrat und Pflichterfüllung. Ich stelle fest, dass es immer wichtiger wird, sich permanent darüber klar zu werden, in welchem Kontext man hängt und lebt. Diesen zu bestimmen und das eigene Netzwerk auszubauen, darum geht's.
Ich kann mir ja nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden. Aber er hat das Potenzial, mit einem weitgespannten Netzwerk Konzepte auf den Weg zu bringen und einen Betrieb in Gang zu halten, der es ihm ermöglicht, dass an verschiedenen Werksträngen gleichzeitig gearbeitet wird. Bei mir war es so, dass wir jeden Morgen Autorenkonferenz hatten und dies ging dann los mit einem
Einstündigen Monolog von mir, was am Abend vorher im Fernsehen alles scheiße war. Im Grunde alles. So habe ich mich warm geredet und dann die Frage, was machen wir denn heute? Die Schlagzeilen der Bild-Zeitung lieferten die Themen.
Aber der Job fängt ja erst da richtig an, wenn nichts los ist. Wo kriege ich eine Geschichte her, wenn keine da ist? Kippenberger macht aus der Idee eine Geschichte. Und dafür findet er die richtigen Leute. Kaum jemand konnte seinem Werben widerstehen. 1991 trifft er den Kölner Architekten Lukas Baumewert. Ich war in gewisser Weise vorbereitet, denn mit großer Leidenschaft hatte ich von Herrn Kippenberger das Buch »Unsinnige Bauvorhaben«.
Und ich wusste, um seine Leidenschaft einmal ein Meter Autobahn bauen zu lassen, weil es unsinniger gar nicht geht, aber mit Leitplanken und allem und Streifenmarkierungen. Und da war mir klar, dass von Herrn Kippenberger solche Sachen wahrscheinlich des Öfteren kommen.
Ich habe zwar auch in der Kunstakademie studiert, aber trotzdem das Ganze, was ihn ausmacht, nicht verstanden. Aber das kam dann später. Nichts verstehen ist besser als gar nichts. Ja, ich meine, bestimmte Dinge kann man auf Anhieb nicht verstehen, wie das Museum in einer Ruine und ein Netzwerk ohne Verbindung. Nicht wissen warum, aber wissen wozu.
Auf der griechischen Insel Syros hatte Kippenberger eine Bauruine entdeckt. Geplant war ein Schlachthof, aus dem nichts wurde. Zurück blieb ein Rohbau aus Betonpfeilern, platziert auf einer Anhöhe wie der Parthenon-Tempel der Akropolis. Idealer Schauplatz für ein Museum ohne Wände mit viel Freiraum für die Kunst. Seine Vorstellung, ein virtuelles Museum zu haben, Eröffnungen zu feiern und zuzuhören,
allein zu sehen, was dabei rauskommt, wenn ich eine Behauptung aufstelle. Wenn ich behaupte, das ist ein Museum, muss es nur genug Leute geben, die es sehen.
Und die zur Eröffnung kommen. Und es war hinreißend, wahnsinnig. Wer sich dem Abgrund stellt, soll sich nicht wundern, wenn er fliegen kann. Also er hatte mich gebeten, das Projekt Dein Gehen zu unterstützen, dass er sagte, ich brauche Pläne. Ich brauche Architekturpläne, sodass man sagen kann, das, was da steht, hätte er in Auftrag gegeben. Was ist jemand ohne die Pläne, wenn er etwas bauen lässt? Da muss er immer Architektenpläne haben, also ...
Er trat an mich heran mit dem Wunsch, ihm von diesem Gebäude, das war ja eine stehen gelassene Ruhbau-Ruine, davon Pläne anzufertigen. Das habe ich dann gemacht. Erstellt werden detaillierte Architekturpläne, von den Räumlichkeiten und Lichtverhältnissen im Gebäude bis hin zur Cafeteria.
eine simulierte Museumsarchitektur, für die befreundete Künstler Arbeiten liefern. Kippenberger, von den deutschen Museen ignoriert. Eher hänge ich, als dass ich in den Museen hänge. Nun hat er sein eigenes Museum, das Momas, Museum of Modern Art Syros. Er verschickt Einladungskarten, feiert zur Eröffnung große Feste, hält Reden.
Reale Aktivitäten eines Museumsdirektors auf einer kleinen Insel in der Ägäis. Fehlt nur noch die Logistik für die Anreise. Irgendwann kam mir ein Geländer in die Hand und da habe ich gesagt, was machst du bloß mit dem Geländer? Und dann ist mir dazu eingefallen, das könnte das Geländer um die U-Bahn-Station herum sein. Ein gebauter U-Bahn-Eingang mit Treppe und Geländer. Die erste Station zu einem weltumspannenden Netzwerk ohne Verbindung. Kippenbergers Metronet.
Auch dafür kann er den Architekten Lukas Baumewert begeistern. Wie viel schöner ist es, einen U-Bahn-Eingang zu planen, der nirgendwo hinführt, als irgendwo einen Garagenanbau zu machen. Es ist ja viel interessanter, diesen Austausch mit einem Künstler zu pflegen und dabei etwas über das Leben zu lernen. Und deswegen war ich wissbegierig zu wissen, was soll dieses Netzwerk und wieso und warum.
Bis er mir dann die Geschichte von Buster Keaton erklärt hat mit The Last Stop North und diese Geschichte auf dem Platz in Paris, die amerikanische Nacht mit dem künstlichen Schnee. Und plötzlich bildete das alles ein Gesamtbild, was ich verstehen konnte, wo man sagt, da ist ganz viel Sehnsucht, ganz viel Freude.
Schichten dahinter, die das Ganze mehr spannend machen als vordergründig irgendeinen U-Bahneingang. Die Geschichte mit Buster Keaton hatte Kippenberger in dem Film The Frozen North gesehen. Irgendwo in Alaska steht ein U-Bahneingang tief im Schnee. Last stop, subway exit. Buster Keaton kommt aus der U-Bahn und stapft durch den Schnee.
Als Bad Guy im Nirgendwo des gefrorenen Nordens wird er sich bald mit allen anlegen, die ihm begegnen. Am Ende erwacht er im Kino, als sei alles nur ein Traum gewesen. Die Geschichte mit dem künstlichen Schnee auf dem Platz in Paris erzählt François Truffaut in seinem Film »Die amerikanische Nacht«. Eine Liebeserklärung an ein Kino.
dass es so nicht mehr gibt. Im Film geht es um Dreharbeiten in gebauten Kulissen. Die hatte eine amerikanische Filmproduktion auf dem Studiogelände in Nizza hinterlassen. Ein komplett eingerichteter Pariser Platz mit der Attrappe einer Metrostation. Und da beginnt Truffauts Film mit Aufnahmen für eine Szene, in der Jean-Pierre Léaud immer wieder aus der Metro kommt, um dann auf dem Platz einen Schauspielerkollegen zu ohrfeigen. Du bist weg!
Diesen Moment hat Kippenberger notiert und dazu ein Porträt von Jean-Pierre Léau gezeichnet. Nachdem er aus der künstlichen U-Bahn-Station kommt und jemandem eine klatscht. Ungefähr dreimal. Der Film endet damit...
dass die Szene erneut gedreht wird und diesmal lässt Ruffo den Platz mit viel künstlichem Schnee besprühen. Winter mit klebrigem Schaum auf den Treppenstufen des Metro-Eingangs. So fing das an. Mit Kippenbergers Liebe zum Kino. In zwei, drei Filmen hatte er mitgespielt, dann ging's nicht weiter, aber das Träumen ist ihm geblieben. Träume mit real gebauten U-Bahneingängen, auf Syros in Griechenland einsteigen und
und auf der anderen Seite der Weltkugel aussteigen.
Mit ein paar Künstlerspezies hat er einen Männerclub gegründet. Fortan sollte jedes Kunstwerk mit dem Zeichen der Loge signiert werden.
Das hat Kippenberger durchgehalten. Jeder U-Bahneingang endet vor einer verschlossenen Tür, Zugang nur für Mitglieder der Lord-Jim-Loge. Gesellschaftliche Ungleichstellung bleibt erhalten. Das provoziert Neugier und Lust auf Teilhabe.
Auch wenn in Dawson City niemand die Lord Jim Loge kannte, das aufgemalte Motto Nobody Helps Nobody verstand jeder. Ich war nicht mit in Dawson City und dachte irgendwie schade, jetzt baut der Kippenberger da diese U-Bahn-Station, da muss doch irgendwas zu machen sein. Denn 1995 war fast das Geburtsjahr des Internets.
Und dachte, vielleicht kriege ich irgendwas ins Netz gestellt, sodass andere das sehen und Spaß haben, da hinzugehen. Das ist eins zu eins im Grunde nur so ein kleines Quadrat, was ich damals bei Netscape eingestellt habe. Nur ein kurzer Bericht darüber, dass da diese Eröffnung gefeiert wird. Und das war so meine Vorstellung, wie ich das unterstützen könnte. Aus der Euphorie für Kippenberger und für das Internet.
Dann kam Martin zurück und sagte, hör mal, das finde ich eine geile Idee, mach doch mal ein Plakat. Kannst du mir die Welt nicht als Ei machen, sage ich, kein Problem.
Das war relativ schnell hergestellt und er sagte, gut, dann schreibst du jetzt da dran, da ist Dawson City, da ist das. Und jetzt machen wir noch zehn andere Punkte auf der Welt, wo auch noch Stationen sind. Fiktiv. Fand ich ziemlich abgefahren. Und Kippenberger hat schon eine neue Idee. Er zeichnet einen U-Bahn-Lüftungsschacht und drückt die Zeichnung Lukas Baumewert in die Hand. Und sagte, find mal raus, wie das geht. Sieh zu, wie du es hinkriegst. Mach mal.
Diese Zeichnung relativ in seinem Stil gezeichnet von einem typischen Lüftungsschacht, wie man ihn aus New York oder sonst woher kennt. Unten drunter, so als wäre es durchsichtig gezeigt, den Boden dieses Schachtes mit einem Ventilator, wie man ihn von jedem Schreibtisch kennt. Und aufsteigende Luft, um zu symbolisieren, dass dieser Ventilator die Luft daraus blasen soll, damit die dritte Szene ins Spiel kommt, nämlich Marilyn Monroe, der der Rock hochgeht.
Der Lüftungsingenieur kam zur Besprechung ins Büro und war etwas irritiert, aber hat das genauso ernst genommen wie ich und hat angefangen, Großventilatoren zu suchen, die also diesen nötigen Luftdruck erzeugen, um den Rock fliegen zu lassen.
Eins war schnell klar, man kann diesen Propeller nicht einfach in den Schacht stellen, da sonst ein Kurzschluss entsteht. Also muss man die Luft von woanders ansaugen, um sie kraftvoll aus dem Schacht zu blasen. Das war schon mal die erste Erkenntnis und daraus resultierte, dass an dem Schacht unten eine Gebläsekammer ist und dahinter wieder ein langer Schnorchel, wie man das so von so einem Tauchschnorchel kennt, der die Luft aus, weiß ich nicht, 10 Meter Entfernung holt.
Und dann habe ich das einfach mal gezeichnet und Martin erklärt, dass wir diesen langen Schnorchel brauchen. Die Box, also die Gebläsekammer, hat aber ein enormes Gewicht, denn sie ist aus 1 cm Stahlplatten geschweißt. Man muss sich das vorstellen wie einen Panzer, ein richtiger Panzer. Und dann wird das irgendwo angeliefert, mit dem Kran aufgestellt und dann schraubt man diesen langen Schnorchel dran und dann macht das plack, weil der Schnorchel so ein Gegengewicht hat, dass diese Box immer schief stehen würde.
Das versuchte ich Martin zu erläutern auf dieser Zeichnung. Und dann fand er das so grandios und sagte, dann machen wir das so. Ich war irritiert, weil ich hatte ihm das aufgezeichnet in der Hoffnung, dass sie das Teil einbuddelt. Aber er hat natürlich noch mehr draus gemacht, indem er gesagt hat, so lassen wir das.
Dann müssen wir das so hinstellen, weil man ja nicht drüber gehen kann, dass es unter einem Baum platziert wird und man beim Vorbeifahren der U-Bahn das Laub des Baumes rascheln sieht, sodass wieder diese Wirkung des Gebläses erkennbar ist. Der Baum hebt den Rock. Der schiefstehende Lüftungsschacht wird samt angeschraubtem Schnorchel unter einem Baum aufgestellt, in den Parkanlagen von Münster.
Auf der Wiese gegenüber steht die Marmorbüste der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff. Und sobald jemand vorbeikommt, ist die U-Bahn zu hören, die vor den Augen der Droste vorbeirauscht. Skulpturenausstellung Münster, 1997. Im selben Jahr findet die Documenta in Kassel statt. Und diesmal ist Kippenberger eingeladen. Und da hatte er die Idee, diesen U-Bahneingang in die Fulda zu legen. Daraufhin sind Zeichnungen entstanden, in denen ich schreibe,
versucht habe darzustellen, dass diese Skulptur zusätzliche Beschwerungen erfahren muss, damit sie waagerecht schwimmt. Wie viel Wasser verdrängt das Teil oder geht es gleich komplett unter? Schwimmt es überhaupt? Wie weit muss man vom Ufer weg, damit keiner drauf springt und das Ganze ins Wanken bringt? Das war dann alles ausgerechnet. Martin war begeistert, hat gesagt, so machen wir das.
Ja, und dann kam die Rückmeldung von der Wasserschifffahrtsdirektion, auf der Fulda darf nur schwimmen, was ein Nummernschild hat. Und das war klar, dass wir in der Geschwindigkeit keine Zulassung des U-Bahneingangs als Boot bekommen. In Kassel landet die U-Bahn auf der Wiese. In den Fuldaauen so gekippt, dass die Treppe den Eingang nach vorne drückt. Eine Kette verriegelt den Zugang. No trespassing.
Was hinter der Absperrung liegt, bleibt verborgen. Ohne Geheimnis kein Träumen. Ja, und jetzt kommt noch eine Station auf die Leipziger Messe mit Direktanschluss, Ost-West-Achse. Da muss man mal sehen, wie es weitergeht, was man mit Afrika machen kann. Also ein Sahara-Projekt wäre nicht abzuweisen von der Hand. Vielleicht landet da mal irgendwo ein UFO und weiß nicht mehr, wohin. Acht, neun, sechs.
Die hatte er von Anfang an vor, dass die ganze Welt mit U-Bahn-Schächten voll ist und sich jeder dort vorstellen kann, da reinzugehen und in Syros oder Dawson City wieder rauszukommen. Diese Vorstellung, ja, ich glaube, eine ganze Menge Menschen träumen davon. Also er hat mich extrem verändert in meiner Wahrnehmung. Und wenn immer ich neben einem Lüftungsschacht oder so einer Arbeit stehe und höre die U-Bahn oder das Quietschen der Räder,
Dann weiß ich, das war schon ganz großes Tennis, was ich da miterleben durfte. Und dass er dieses Bild gebaut hat von nicht verbundenen U-Bahn-Eingängen, die es einem aber möglich machen, das nachzuvollziehen. Das, finde ich, hat Martin Kippenberger hervorragend hingekriegt. Und der schönste Moment für mich war die Eröffnung in Münster an dem Lüftungsschacht, wo die Bahn durchrauscht und mir klar war, in dem Zug sitzt jetzt Martin.
Die Eröffnung im Juni 1997 in Münster erlebt Kippenberger nicht mehr. Gearbeitet hat er bis zum Schluss, immer an mehreren Projekten. Dieses Leben kann nicht die Ausrede für das nächste sein. Wobei es nicht darum geht, Kunst und Leben gleichzusetzen, sondern das Leben selbst als Kunst zu begreifen mit allen Peinlichkeiten, die dieses Leben zu bieten hat. Peinlichkeit, das ist meine Qualität.
Peinlichkeiten machen nach dem System des Erstrechts. Also sich nicht schämen für eine Dummheit, sondern noch eine machen. Nichts ist ihm zu hässlich oder zu kitschig. Das Leben ist ein Kitsch. Und da jongliert Kippenberger mit allem, was ihm zur Verfügung steht. Ganz gleich, ob daraus Skulptur oder Malerei oder beides wird. In der Malerei musst du gucken, was noch übrig ist an Fallobst, das du malen kannst. Da ist das Ei zu kurz gekommen. Was hat das Ei schon zu vermelden?
Allein seine Form ist ja ein Witz. Eine schöne Form, genauso wie ein Busen schöne Formen hat. Das Ei ist weiß und schal. Wie kann daraus ein farbiges Bild entstehen?
Der Eiermann und seine Ausleger.
Auf der Ladefläche ein großes Plastikei samt Stereoanlage.
Klingelingeling, hier kommt der Eiermann. Mit dem Eierwagen eröffnet er einen Ausstellungsparcours, in dem er alles versammelt, was wir im Alltag an Eiergedöns nicht mehr wahrnehmen. Daran arbeitet er sich ab. Ich will Einfluss nehmen darauf, wie über diese Zeit debattiert wird. Du selber bist ja nur ein Abbild deiner Außenwelt. Angefangen beim Eierintelligenztest. 1996 entwickeln wir die Frage, womit wird ein Auto gesteuert?
Die geringste Punktzahl erhält die Antwort mit dem Joystick. Dass ganze Generationen mit Schokoladeneiern gefüttert werden, aus denen Gartenzwerge, Pinguine, Modellhubschrauber schlüpfen, stellt er in Vitrinen zur Schau. Überraschungseier.
Die liegen ja immer noch im Supermarkt, auf dem Weg zur Kasse. Den Dinosaurier-Wahn Anfang der 90er Jahre, ausgelöst durch Steven Spielbergs Film Jurassic Park, kommentiert Kippenberger mit einem gemalten Dino-Baby in seiner Eierschale. Über so viel Trivialität kann das Feuilleton nicht lachen. 20 Jahre später wird das Dino-Baby zum Höchstpreis versteigert. Ich habe das Feuilleton in die Show geholt.
Bildung mit Playmobil-Figuren. Griechische Tragödien, ganze Romane so vorgeführt, dass niemand mehr sagen konnte, Schmidt hat keine Ahnung. Ich wollte ins Feld. Die Quoten im Fernsehen waren mir egal.
Und das haben wir täglich so auf die Beine gestellt wie im Supermarkt. Was haben wir denn heute im Regal? Den Supermarkt holt Kippenberger ins Museum. Und plötzlich lachen wir über Dinge, die wir ständig gebrauchen, ob Eierkerzen oder Eierwärmer, Lippenstift und Deodorants packt er in durchsichtige Gießharzeier, die wie Totenkopf-Embleme von Knochen durchkreuzt sind. An der Museumskasse in Mönchengladbach gab es dann Prosecco für alle. Kippenbergers unlimitierte Flaschenedition, preiswert zum Mitnehmen.
Also ich bin zur Eröffnung nach Mönchengladbach zu seiner Ausstellung gefahren. Und da habe ich den zum ersten Mal nach zwei Jahren wieder persönlich gesehen. Und er saß eben im Rollstuhl drei Monate vor seinem Tod. Und er war grün-gelb im Gesicht. Das heißt, die Leber war voll tangiert. Und wenn Sie dann sehen, wann er diese Medusa-Sache gemacht hat, also das ist kein Zufall, dieses Leiden zuvor.
Wir haben ja auch eine Arbeit gehabt, die heißt Leiden warum, leiden wozu. Also das war alles Teil einer Gesamtbeschreibung seines eigenen So-Seins. Nie weinerlich. Die Medusa-Sache. Kippenbergers rückhaltlose Darstellung seines hinfälligen Körpers. In einer Serie von Fotografien, Zeichnungen, Litografien, Ölgemälden. Leberzirrhose ist keine Ausrede für schlechte Kunst.
Es sind Selbstbildnisse in den Posen von Schiffbrüchigen, wie sie in dem Gemälde »Das Floß der Medusa« von Theodor Géricault ums Überleben kämpfen. Gemalt 1818, groß und finster, hängt das Original im Louvre in Paris. Das Bild hat ja einen realen Hintergrund, der Untergang der Fregatte Medusa 1816 vor der westafrikanischen Küste. Die besseren Leute, allen voran der Kapitän, bekommen die Rettungsboote.
Alle anderen werden auf ein behelfsmäßig zusammengeschustertes Floß verfrachtet und das treibt auf offener See. Proviant wird knapp, grausame Verteilungskämpfe setzen ein, die Verlierer werden ins Meer gestoßen. Nach drei Tagen haben die sich gegenseitig aufgefressen. Wäre mal was für das Traumschiff. Wobei, die jungen Kollegen sind ja heute alle Veganer.
Wie es nach 13 Tagen um den Rest der Gruppe auf dem Floß steht, das hat Géricault gemalt. Zwischen den noch Lebenden, die mit letzter Hoffnung auf Rettung verzweifelt die Arme hochreißen, liegen völlig entkräftete, halbtote Leichen. 1995 erscheint unter der Überschrift »Letztes Floß nach Florida« eine Reportage im Spiegel. Vor der Küste Floridas hatte man kubanische Flüchtlinge aus dem Meer gefischt.
Den Artikel setzt Kippenberger in den Katalog seiner Ausstellung 1996 in Kopenhagen. Dort ist auch eine Kopie von Jerichos Katastrophenbild zu sehen. Die verzweifelten Posen der Schiffbrüchigen nimmt Kippenberger als Vorlage für Selbstdarstellungen. Zunächst für eine Reihe von Fotografien, anschließend zeichnet er sich in allen Stadien der Todesnähe. Verzweiflung, letzte Hoffnung, erschöpfte Resignation.
Es sind Zeichnungen mit einem Kippenberger, der seinen Körper in das Briefpapierdesign internationaler Hotels einpasst. Das hat sich früher aus dem Papierbedarf ergeben, dadurch, dass man durch verschiedene Länder gereist ist und nicht mehr die Fachgeschäfte gefunden hat. Und dann hat man sich irgendwann darauf eingestellt, auf Hotelbriefpapier zu zeichnen, das man immer aus Hotels mitgenommen hat.
Außerdem ergibt sich dann noch eine Zwiesprache mit dem Papier. Jedes Papier verhält sich anders zum Stift. Deswegen wird es nicht langweilig zu zeichnen. Die auf Leinwand gemalten Einzelporträts kombiniert er mit Details aus seinem Leben. Getränkeetiketten, spiegelverkehrte Schriftzüge, mit Farbe und Terpentin getränkte Lappen. Und immer tickt die Uhr an seinem Handgelenk. Auf einem Bild hat er alle Schiffbrüchigen zusammengepackt.
Und das sieht aus wie ein komisches Wimmelbild mit lauter Kippenberger-Klonen. In einer Sprechblase der Ausruf »Je suis Meduse«, »Ich bin Medusa«. Kippenberger hat sich an einem französischen Comic orientiert, »Asterix als Legionär«. Da retten sich Piraten auf ein Floß und einer ruft »Je suis Medusée«, »Ich bin versteinert«.
Die komische Adaption von Jerichos »Floß der Medusa«. Also wenn ich diese Medusa-Serie sehe, finde ich die gar nicht mehr komisch. Ich finde die nur noch tragisch. Das ist, glaube ich, das körperliche Erkennen, dass er selber sozusagen auf dem untergehenden Floß hockt. Und das ist nicht nur bebildert, sondern das hat der Tod sich ja körperlich schon gespürt oder gewusst oder geahnt. Weil wenn er die gemacht hat, 96,
Und er ist im Frühjahr 97 gestorben mit einer Leberzirrhose. Dann können Sie sich vorstellen, das hat der Körper schon deutlich gezeigt, das geht nicht mehr. Und dann diese theatralisch scheinenden Posen einzunehmen, um die von seiner damaligen Frau fotografieren zu lassen. Boah, der Hammer. Also schon ein bisschen pathetisch, aber nicht andeutungsweise, sondern wirklich ans Herz greifen.
Also sozusagen nochmal eine letzte sich aufbäumende Pose, bevor man sich nicht mehr auf den Beinen halten kann. Er wollte nach oben, aber er kam nur bis zur Mitte. Mit 44 Jahren gibt Kippenberger Stift und Pinsel ab. Doch klagt nicht, Freunde, macht weiter. Auch wenn es mal nicht so funkt. Besser ein lebendes Komma als ein toter Punkt. Also ich habe nach dem Tod sogar zweimal gelacht.
Von Museumsleitungen gehört, jetzt traue ich mich auch mal zu fragen, ob wir nicht mal eine Ausstellung machen. Und dann kam das Gewiss, ich hatte immer Schiss vor dem. Ja, die Museumsleitung hat sich nicht getraut, den Kippenberger selber anzusprechen und um eine Ausstellung zu fragen, weil ich hatte immer auch Schiss vor dem.
Ja, wenn du einfach ein, weiß ich nicht was, kleinkarierter Geist warst, dann wurde das gladenlos benannt. Du warst, wenn du mit dem dich sozusagen ins Benehmen setztest, warst du mental nackend im Raum. Da konntest du dich nicht verstecken und sagen, heute bin ich aber irgendwie der Nette von nebenan. Nee, nee, dann bist du Mitspieler in diesem System und da geht es anders zu als im Künstlerhotel, wo es schön warm und bequem ist.
Und das war die Forderung, die der verkörpert hat. Deshalb hatten viele auch richtig Probleme mit dem, weil der ging keiner Konfrontation aus dem Weg. Also ich habe das mal bei irgendeinem Abendessen gesehen, wie der da öffentlich den Dr. Speck als Sammler angegangen ist. Boah ey, da wären wir aber heiß und kalt geworden. Der Speck hat das sehr gelassen. Das gehörte bei dem dazu. Der hatte schon andere Kaliber im Alltag, von Beuys bis Ponke.
Da wird ein Kippenberger auch noch gerade knacken. Aber das war, puh, das war ja öffentlich. Da waren 100 Leute im Raum. Und dann nahm der sich den vor und zog den durch den Kakao. Aber das war auch manchmal unter der Gürtellinie. Je nachdem, wie der Pegel gerade alkoholisiert war. Du kannst dich benehmen wie ein Arschloch, aber du sollst es auf keinen Fall sein. Manche Leute sagen ja, Kippenberger geht uns auf den Geist. Das reizt dann andere Leute, das wissenschaftlich zu untersuchen.
Im Nachruf auf Kippenberger schreibt der Kölner Sammler Dr. Rainer Speck, der Eiermann ist tot, seine Ausleger leben. Eiermann ist eigentlich auch ein Spitzname für Urologe, oder? Okay, Harald, ich mach weiter. Kippenberger war einer der letzten Künstler, die sich Ohren und Hoden abschnitten um der Kunst willen, in die es sich aufopfernd durch einen immer fortbetriebenen Akt der Selbstzerstörung einzutreiben galt.
Voyeure und Hofschranzen wurden mit einbezogen, aber letztlich verschont. Trotz zynischer Attacken. Tief im Witz seines sich vermeintlich ans Kreuz nagelns lag eine Moral, die die Fremdwerdung dieses Begriffes in unserer Gesellschaft kommentierte. Dieser Text ist ja unfassbar gescheit. Das ist ein klarer Fall von dem, wo der Künstler sich wundert, was in seinem Werk alles passieren soll.
Kippenberger hatte sich als Frosch ans Kreuz genagelt. Ein Frosch mit heraushängender Zunge und Bierkrug. Eine Serie von Holzskulpturen, die er bei einem Tiroler Herrgottschnitzer in Auftrag gegeben hatte. Zuerst die Füße, Fred the Frog am Künstlerkreuz. Dass in österreichischen Gaststuben der Alkohol unter den Augen eines Gekreuzigten fließt, hatte er bei einem Kuraufenthalt in Tirol gesehen.
Strömt unten das Bier, hängt oben im traditionellen Herrgottswinkel einer ohne Bier am Kreuz. Kippenberger, Kurgast im Sahara-Programm, Trockenlegung mit Tee und Wasser, striktes Alkoholverbot, macht daraus einen gekreuzigten Frosch, der mit lächzender Zunge nach Bier verlangt. Bitteschön, Dankeschön.
Kippenbergers Holzfrösche mit Autolack-Metallic-Farben besprüht, das Kreuz selbst aus Leinwandrahmenleisten zusammengenagelt, hängen 1990 in den Raumecken einer Wiener Galerie. Und noch Jahre später sorgt der Comic-Frosch mit heraushängender Zunge für Protest. Zuletzt bei einer Ausstellung in Bozen. Der Papst macht gerade Kurzurlaub in Südtirol. Viel Publicity für Fred the Frog. 2016 hängt der Frosch in New York.
Im Auktionshaus Christis fällt der Hammer bei 1,3 Millionen Dollar. In Skulpturen, Zeichnungen und Ölbildern hat Kippenberger seinen Gekreuzigten in Umlauf gebracht. Mal mit Coca-Cola, mal mit Bierkrug und Spiegelei und immer mit Witz. Was ist der Unterschied zwischen Jesus und Casanova? Der Gesichtsausdruck beim Nageln.
Ganz gleich, welche Rolle Kippenberger gespielt hat, ob Frosch, deutscher Eierknaller oder in friedensbewegten Zeiten ein Weihnachtsmann, der sich mit seiner Rute vor einem Kanonenboot postiert, immer geht es darum, bei aller Verzweiflung und Melancholie bloß nicht den Spaß zu verlieren. Ich arbeite daran, dass die Leute sagen können, Kippenberger war gute Laune. Ein Happy End soll es geben. The Happy End of Franz Kafkas Amerika.
Die letzte große Installation von einem Kippenberger mit dem Image des gebildeten Nichtlesers. Man las, ehrlich gesagt, Franz Kafkas Buch Amerika nicht zu Ende. Doch es gab im Bekanntenkreis einen, der dies wohl tat und mir davon berichtete, dass ich zum ersten Mal, unvollendet in einem Oeuvre von Franz Kafka, ein Happy End anbahnte. In Kafkas Romanfragment ist der 16-jährige Karl Rossmann auf der Suche nach Arbeit.
Seine Eltern hatten den Jungen nach Amerika geschickt, aber alle Versuche, dort Fuß zu fassen, scheitern. Am Ende sieht Karl an einer Straßenecke ein Plakat. Auf dem Rennplatz in Clayton wird heute von 6 Uhr früh bis Mitternacht Personal für das Theater in Oklahoma aufgenommen. Das große Theater von Oklahoma ruft euch. Jeder ist willkommen. Wer Künstler werden will, melde sich. Wir sind das Theater, das jeden brauchen kann.
Vielleicht hätte ich mich besser in Oklahoma bewerben sollen, anstatt in Augsburg. Bei Kafka werden die Bewerber auf dem Rennplatz in Clayton empfangen. Die Personalakquise findet in Buchmacherboden statt. Kippenberger verlegt Kafkas fantastische Rekrutierung auf ein Fußballfeld mit Zuschauertribünen. Eine hallengroße Installation im Rotterdamer Museum Beumanns von Beuningen.
Für die Einstellungsgespräche arrangiert er auf dem Spielfeld 50 Tisch- und Stuhlkombinationen. Sieht aus wie ein Sammellager für abgestellte Möbel. Alles zu finden. Designklassiker, Plastikstühle, Hochsitze, Barhocker, ein Ohrensessel, Tische aus Plexiglas, Schulpulte für Kinder, Flugzeugsitze für Meilensammler.
Büromöbel und Campingstühle, Sitzschalen und Antikes für Kenner. Und das ist nicht alles. In das scheinbare Durcheinander hat er noch Skulpturen aus früheren Ausstellungen eingebaut und Möbel, mit denen er so hier und da gelebt hat. Dazu arbeiten andere Künstler, die er gesammelt hat. Alles ist Teil seines Lebens und das stellt er aus.
Jeder Tisch, jeder Stuhl erzählt eine Geschichte. Ich habe zum Beispiel den Tisch bauen lassen, wo Robert Musil den Mann ohne Eigenschaften geschrieben hat. Freunde hat er aufgefordert, ihre Geschichten aufzuschreiben, um dann daraus Bücher zu machen, die er in die Ausstellung integriert hat. Und wie soll das zusammengehen?
Abgestellte Möbel, Bücher und Geschichten? Im Kopf hatte er so etwas wie eine Zeitreise, in Gang gesetzt durch ein Labyrinth an Tischen und Stühlen, die vom Leben selbst erzählen. Jeder erinnert sich mit Sicherheit an einen Stuhl, der für dich das und das verkörpert. Schon bist du in der Zeit drin, wie so ein visuelles Nachschlepplexikon.
Da können sich die Leute anhand von den Tischen und den acht Büchern selber Gespräche, Einstellungsgespräche, die ihnen durch den Kopf gehen, machen. Plötzlich kommst du auf andere Gedanken und kannst dir eine Geschichte erzählen. Zu der Ausstellung in Rotterdam gibt es Videoaufnahmen. Man sieht Kippenberger, wie er auf dem großen grünen Spielfeld die Möbel verteilt und bei der Eröffnung die Besucher auffordert, die ausliegenden Bücher in die Hand zu nehmen und zwischen Tischen, Stühlen und Skulpturen umherzuwandern.
Ja, ich kann es auch in Deutsch ausländisch. Geht folgendermaßen. Die Bücher liegen drauf und es ist gedacht, dass die Ausstellung davon lebt, dass man nachher auf der Tribüne sitzt und selber die Texte lesen kann, wie man will. Und auf der anderen Seite werden nachher die Banden aufgemacht und man kann mit den Schüßen hier rumgehen und dann seine eigenen Dialoge machen. Banden aufmachen, Absperrungen entfernen, im Museum, da wird man doch sonst zurückgepfiffen.
Es soll ein Dialog stattfinden. Gegen die üblichen Museumsregeln kann das Publikum die Installation betreten. Mit Schühchen, wie Kippenberger sagt, blauen Plastiküberziehern, mit denen auch er auf dem Spielfeld herumläuft. Klingt nach einem verbrauchergerechten Museumsbesuch. Lässt sich wohl kaum durchhalten. Zumindest mal testen, wie weit man gehen kann, um die sonst verordnete Distanz zwischen Publikum und Kunst aufzuheben.
die eingefahrene Museumsandacht mal knacken. Dass durch Tische und Stühle nur imaginierte Einstellungsgespräche den Besuchern ein bisschen näher bringen, um tatsächlich zu einem Austausch zu kommen, in dem sich jeder an sein eigenes Strampeln um Aufnahme und Anerkennung erinnert. Aber es bleibt ja bei einer Museumsausstellung. Egal, ob damit Bewerbungsgespräche gemeint sind. Kunst darf nicht betreten werden. Womöglich geht's um diese Zwickmühle.
Nichts unversucht lassen, wie aussichtslos auch immer. Kafkas Geschichte ist ja auch auf eine endlose Suche angelegt. Die Suche nach Anerkennung, nach einem Ort, wo das Glück zu finden wäre. Das hat Kippenberger mit »The Happy End of Franz Kafkas Amerika« in Rotterdam und Kopenhagen versucht. Mit der Anerkennung in deutschen Museen hatte er weniger Glück. Aber ich glaube, die Anerkennung deutete sich schon deutlich an.
Nicht zuletzt, er hat ja seine Ausstellung in Mönchengladbach noch mitbekommen und hat gemerkt, wie die Reaktion auf seine Meisterzeichnung, die er da in Tokio gemacht hat, war. Dass es dann nach seinem Tod ein halbes Jahr später diese Kunstmarkt-Auktions-Explosion, das Bild, was, glaube ich, mit 30.000, 40.000 geschätzt war, dann auf fast 800.000 gegangen ist. Das war ja damals ein Schock.
Ich hätte ihm gewünscht, diese Wahrnehmungsexplosion noch mitzubekommen. Das wäre interessant gewesen, wenn er 20 Jahre länger gelebt hätte, was der daraus gemacht hätte. Der hätte wahrscheinlich den Erfolg so unterlaufen wieder, dass der auch Gefahr lief, dann zusammenzubrechen. Der war unfähig, den Markt zu bedienen. Wir haben keine Probleme, unsere Lieblingsbilder zu verkaufen, denn unsere Lieblingssammler bringen sie uns zurück. Und?
Bei Missfallen Gefühle zurück. Spider Murphy bei Nichtgefallen Gefühle zurück. Willkommen im Club der einsamen Herzen. Hallo, willkommen in unserer Partei. Herzlich willkommen zum Tanz ins Glück. Bei Nichtgefallen garantiert Gefühle zurück. Gefühle zurück. Gefühle zurück. Gefühle zurück.
Das Wettbewerbsgerangel um Höchstpreise hat Kippenberger sportlich genommen. Seinen lädierten Körper zwängt er in die Shorts eines Olympialäufers, der schon am Start erschöpft ist. Oder er steht in Radfahrerhosen zwischen Rettungsring und Schlinge. Wer oder was soll gerettet werden? Es sind Selbstbildnisse eines 40-Jährigen, ausgewiesen als handpainted pictures. Kippenberger im komischen Kampf mit sich selbst. Posthum genau das Richtige.
2015 wird ein Kippenberger im roten Sportdress für drei Millionen Dollar bei Christie's versteigert. Das teuerste Bild ist über 20 Millionen teuer. Das sind aber nur diese riesen Selbstbildnisse, wo er mit der langen Unterhose steht, also die Paraphrase auf Picasso. Und es ist auch immer ein Luftballon mit dem Spiel. Also dieses Schweben, diese Leichtigkeit. Und er hat aber so einen Bauch, der über dieser Hose hängt.
Alle teuren Arbeiten sind von der Serie. Also das ist so, man muss von Kippenberger angeblich ein Selbstbildnis haben. Das ist so die limitierte Marktvorstellung. Und als die unangenehme Situation mit diesen Hedgefonds begann, dass die die Kunst als Geldanlage entdeckten, haben wir dreimal in der Woche richtig obschöne Angebote bekommen. Das waren neue, Wahnsinnssummen für damalige Zeiten. Und es ging fast ausschließlich um Kippenberger.
Die Arbeiten haben wir alle heute noch. Das ist für mich unberührbar. Aber wir haben natürlich auch was verkauft, weil das Angebot so riesig war. Und ich muss nicht immer alles behalten. Von Kippenberger haben wir so viele Arbeiten. Dann haben wir eine Arbeit verkauft und haben davon die nächsten 10 Jahre weitere Ankäufer finanzieren können. Jeder ist seines Glückes Schmied von Kippenberger. Das ist das, was wir verkauft haben. Eine 21-teilige Porträt-Serie. Das ist eine Arbeit, die haben wir 1983 gekauft.
die er mir massiv ans Herz gelegt hat, die sollte ich auswählen. Ich wollte eigentlich was anderes erwerben aus der Ausstellung. Da hat er gesagt, nein, mach das hier, das ist die bessere Arbeit. Das ist das Ding, was wir zu diesem extremen Preis verkauft haben. Und die Serie hat den Titel Jeder ist eines Glückes Schmied.
Schon verrückt, dass die aber diesen Titel hat. Passt ja. Wilhelm Schürmann und seine Frau Gabi zeigen regelmäßig Arbeiten aus ihrer Sammlung und immer in anderen Kombinationen. Mich nimmt ja keiner mehr mit in Ausstellungen, weil ich mich dort natürlich mit Kommentaren nicht zurückhalten kann. Und das gibt einen Ärger. Auf jeden Fall ist öffentlich ausstellen auch öffentlich die Hose runterlassen. Und da sind wir natürlich als Sammler mit im Boot. Das gilt nicht nur für den Künstler, sondern auch für uns.
Weil wir betreten ja dieses Feld der Öffentlichkeit. Also wir stellen Dispositionen zur Verfügung, wo viele meinen, das kann ja keine Kunst sein. Also hat Kunst ja noch nie ausgesehen, also kann das keine sein.
Und die mir liebsten Besucher waren manchmal Leute, die im lauten Geschrei irgendwo vor mir angetroffen wurden. Da war eine Frau so, Scheiße, das ist doch keine Kunst. Und schrie, da war er allein im Raum. Er sprach mit sich selber und machte da ihre private Katharsis.
Und ich bin zu der Hände und sage, was ist denn los? Ja, aber das ist tatsächlich so keine Kunst. Das waren diese gelben Stühle von Franz West, da war irgendeine Arbeit vom Kippenberger, die Laterne an Betrunkene. Und die waren mit einer anderen Erwartungshaltung da reingegangen. Das heißt, unter Limit ist ja die Erwartungshaltung. Und die Kunst hat immer mit dieser Erwartungshaltung operiert, die auf den Kopf zu stellen, die umzudrehen, die weiterzuentwickeln, die zu unterlaufen oder zu bestätigen.
Und ich habe mit dieser Frau bestimmt anderthalb Stunden über was denn Kunst sei. Weil ich sage, was ist denn für sie Kunst? Und sie sagt, ja, der muss ja mindestens malen können. So sind wir ins Gespräch gekommen, dass wir uns nach den anderthalb Stunden nicht umarmt haben. Zum Verabschieden war alles. Der Punkt war der, die erwischte diese Nicht-Kunst hier wirklich. Die war ja richtig persönlich davon angegangen worden. Die war toll, das kann ich mir doch gar nicht vorstellen.
Dass die ausgestellte Nichtkunst auch als solche benutzt wird, irritiert dann aber doch. Kippenbergers Modell Interconti mit Richters grauem Bild als Tischplatte verführt zu einem Gebrauch, der so nicht vorgesehen ist. Das kleine Tisch stand mal im Museum im K21, wo wir es auch für ein Jahr in so einer Gesamtinstallation eingebaut hatten. Ein älterer Mann, ein bisschen jünger als ich,
meinte, das sei doch eine gute Sitzgelegenheit, wollte sich da draufsetzen. Ich weiß ja, ob er sich zu Hause auch ab und zu auf den Tisch setzt. Da waren aber alle hellwach. Versicherungswerte können sich vorstellen. Bitte nicht auf die Bilder setzen, hatte Kippenberger zum Titel einer Serie gemacht, in der er Tisch und Stuhl so schablonenhaft vereinfacht gemalt hat, wie man das aus illustrierten Wörterbüchern für Kinder kennt. Wobei er die gut gemeinte Pädagogik auch unter Laufen hat.
Einem gemalten Tisch hat er das Wort Stuhl zugeordnet und umgekehrt. Ein Stuhl bekommt das Wort Tisch. Und bitte nicht auf die Bilder setzen, platziert er direkt auf die Tischplatte. Das Modell Interconti-Tisch mit der Bild von Gerhard Richter haben wir dann noch auf den Sockel gestellt, sodass nicht jeder da herumtatschen konnte. Das war eine Ausstellung, die war 1995 in der Kunsthalle der Hypo-Kultur-Stiftung. Das war eine ehemalige Kulisse.
Kassenhalle, Sparkassenhalle. Und bei der Eröffnung waren natürlich auch die Banker mit ihren Kollegen da und alle fein gekleidet, in dunklem Tuch. Und immer wieder kniete sich einer daneben und versuchte unter den Tisch zu gucken, ob dieses Bild von Richter denn signiert sei, ob das wirklich ein Richter sei. Also es war von vornherein eine unmögliche Veranstaltung von den handelnden Personen, aber es war natürlich toll.
Später haben mir dann mehrmals Leute gesagt: "Hör mal, aber der Richter ist doch jetzt so teuer geworden. Er verkauft doch das graue Bild, das ist doch viel teurer als Herr Kippenberger." Ich meine, überhaupt auf so eine Idee zu kommen, war schon wirklich abstrus. Aber Sie merken, das war in den Anfangszeiten, als auf einmal der Kulturwert von einem Geldwert überrumpelt oder überholt wurde. Das hat die Sitten deutlich verändert, auch sprachlich.
Was den Kunstmarkt und das Seriöse angeht, das hat ja auch die Sache mit Beltracchi offengelegt, der mit seinen Fälschungen Millionen verdient hat, wobei die Händler das meiste Geld eingestrichen haben. Während seiner Haft hat mich Beltracchi mal porträtiert. Ich machte zu dem Zeitpunkt schon keine Shows mehr. Er war Freigang im offenen Vollzug und malte mich im Stil von Otto Dix. Jedenfalls sind wir dabei ins Gespräch gekommen. Bezeichnen Sie sich eigentlich als Fälscher?
Nein, als Maler natürlich. Ich habe das gelesen in einem Zeitungsbericht über Sie, dass Sie gesagt haben, Sie haben die Bilder gemalt, die der Künstler noch gemalt hätte, der Originalkünstler, wenn er nicht gestorben wäre. Also Sie haben sozusagen im Geist des Künstlers weitergemalt. Ja, oder die er in einer bestimmten Phase hätte noch eigentlich malen müssen oder können. Wie müsste ich mir das mal vorstellen, wenn ich ja manchmal, da habe ich so ein Bild gemalt, an einem Nachmittag.
Und dann ein Millionchen für gekostet. War ja so schlecht nicht. Oder? Ja, großartig. Überlegen Sie mal, wie oft Sie dafür Ihre Show machen müssen. Da muss ich eine ganze Woche für rackern. Ja, sehen Sie mal. Ab dem Zeitpunkt, wo Sie dann im Gefängnis waren, ging es mir auch bergab.
Im Februar 1996 hat Kippenberger geheiratet, die Fotografin Elphi Semotan. Sein Leben spielt jetzt in Wien und im Burgenland. Die Hochzeitsreise führt nach Venedig. Du kommst nach Venedig, wo doch jeder Stein schon abfotografiert ist, jede Ecke. Also habe ich gesagt, dann nehmen wir die prominentesten. Den Marktplatz mit den Tauben und Gondeln. Venedig 1996 im Winter.
Kippenberger posiert mit den Tauben auf dem Markusplatz, setzt sich im dicken Mantel in eine Gondel und Elphi Semotan fotografiert das gesamte Touristenprogramm. Danach, nach den stumpfesten, habe ich Zeichnungen gemacht, die plötzlich etwas Eigenes ergeben haben.
Die Komik, die das hat. Immer an das Eingemachte gehen, an Sachen, die so nahe liegen, dass du gar nicht drauf kommst. Wie ein Ei oder sowas. Und da rumzubasteln, dass du vom Einfachsten leben kannst. Du musst nicht ausscheren, irgendwo etwas entdecken. Gewisse Dinge nutzen sich nicht ab, weil da noch so viel drin ist.
Die Fotoserie mit Kippenberger und den Tauben auf dem Markusplatz bekommt den Titel Frieda für alle und wird zusammen mit seinen Zeichnungen auf Hotelbriefpapier im April 1997 in der Akademie der Künste in Berlin ausgestellt. Martin Kippenberger erhält den Käthe-Kollwitz-Preis und ist seit einem Monat tot. In Venedig ist er doch auch noch zum deutschen Pavillon gepilgert.
um dann vor dem verschlossenen Gebäude zu stehen für ein Foto, aus dem er gleich ein Plakat gemacht hat. Biennale di Venezia 1996. 1996 war aber gar keine Biennale. Beuys hatte 20 Jahre zuvor eine Straßenbahnhaltestelle im Deutschen Pavillon installiert. 2003 wird das Verkehrsnetz erweitert von einem Kippenberger, den es nicht mehr gab.
Ein U-Bahn-Lüftungsschacht im Deutschen Pavillon. Venedigs Anschluss an Kippenbergers Metronet. Hier passt natürlich die Kippenberger U-Bahn sehr schön hin, weil es ein utopisches Projekt ist, weil es natürlich auch die ganze Globalisierungsdiskussion in gewisser Weise auf die Schippe nimmt. Aber auch, weil dieser ja nun tote Künstler ja in gewisser Weise auch verschwindet in diesem Lüftungsschacht und gar nicht anwesend ist, nur Spuren von ihm und seiner Kunst sind anwesend.
Dass ihm Posthum der Einlass in den deutschen Pavillon gelingt, mit einer Arbeit, die er nie gesehen hat, ist ein echter Kippenberger Witz. Ein guter Künstler zeichnet aus, nicht alt sei er, nicht neu sei er, gut sei er. Juppi, du, juppi, du.
Geht auch am Klavier, wo ich wieder für Sie Platz genommen habe, liebe Hörerinnen und Hörer. Das, meine Damen und Herren, waren die Traumereien von 8 bis 80, die lange Nacht zur Kunst von Martin Kippenberger, Motto »Heute denken, morgen fertig«. Am Mikrofon heute Abend Anke Engelte, Till Reiners und Harald Schmidt.
Auch unsere Techniker sind vom Rhythmus begeistert. Allen voran Oliver Dannert und Michael Morawitz. Die Kollegen Manfred Raatz, Ralf Weber, Christoph Schumacher, Cedric Brinkmann, Jedmir Scherifi, Jens Müller haben die Kippenberger Nacht mit vorbereitet. Ich wollte gar nicht Klavier spielen. Die Autorin Martina Müller hat mich nicht nur zu dieser Kippenberger Nacht überredet, sondern auch zum Klavierspielen.
Stundenlang dieselben Harmonien. Eine Verneigung vor dem Beginn von Rheingold. Dem Bergwerk. Kling, klong, kling, klong. Klar, dass Redakteur Hans-Dieter Heimel da da nicht sein sagen konnte.
Durchhalten ist alles. Der Deutschlandfunk zahlt. Hier wird nicht geschwapfelt. Hier weiß man, wovon man spricht. Ich habe keine Ahnung, wurde aber gebeten, darüber zu sprechen. Und ich mache jetzt weiter, bis irgendeiner sagt, ich kann es nicht mehr ertragen. Zieh ihm den Stecker raus. Wir bedanken uns bei Willem Schürmann. Und wie immer gilt, bei Missfallen Gefühle zurück. Nächste Woche erwartet Sie an dieser Stelle eine lange Nacht über William Faulkner.
Einen der großen amerikanischen Erzähler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und einen der ersten gestandenen Autoren, die sich nach Hollywood begeben und auf das neue Medium Film eingelassen haben. Seien Sie gespannt. Sie können alle Lange Nächte der letzten Monate auch in der Deutschlandfunk-App nachhören. Und wenn Sie uns abonnieren, können Sie keine Sendung mehr verpassen. Bis nächste Woche.