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Mystik und Literatur - Gott ist Alles und Nichts

2025/3/7
logo of podcast Lange Nacht

Lange Nacht

AI Chapters Transcript
Chapters
Explores the timeless human quest to understand and connect with God, emphasizing the personal and mystical paths beyond traditional religious structures.
  • Mysticism offers a direct, sensual, and spiritual path to God.
  • Many mystics, like Meister Eckhart, were excommunicated for their beliefs.
  • Eckhart's promise of immediate access to God continues to inspire individuals.

Shownotes Transcript

Kann der Mensch Gott erkennen? Kann ich vielleicht sogar als einzelner kleiner Mensch Gott erkennen? Diese Fragen begleiten den Menschen, seit er auf der Welt ist, seit er nach dem Sinn seines Daseins fragt. Nichts anderes steckt hinter der Frage nach Gott.

Fast alle Religionen gestehen den Gläubigen zu, dass sie als Einzelne eine Beziehung zu Gott aufbauen können, wachen zum Teil aber eifersüchtig darüber, dass dabei auch nur das Gottes- und Lebensverständnis herauskommt, das sie selbst offiziell vertreten. Dagegen haben Einzelne zu allen Zeiten und in allen Religionen rebelliert.

In der christlichen Tradition in Europa ist der individuelle Weg zu Gott, der nicht logisch schließend vorgeht wie die Philosophie und nicht an der Bibel orientiert wie die Theologie, sondern direkt, sinnlich und spirituell eng mit der Mystik verknüpft. Sie ist das große Versprechen an den Einzelnen, dass es einen unmittelbaren Zugang zu Gott gibt.

und war für die Kirche im Laufe der Jahrhunderte immer wieder eine Herausforderung ihrer Autorität. Viele Mystiker wurden als Ketzer exkommuniziert und bestraft. So auch der Dominikanermönch Meister Eckart, der vielleicht wirkungsreichste Mystiker der christlichen Tradition.

Sein Versprechen an den Einzelnen strahlt aus dem Spätmittelalter über die Jahrhunderte bis heute und spricht immer wieder Menschen an, die sich auf die Suche nach Gott machen. Gerade auch diejenigen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, ihr Erleben und Denken zur Sprache zu bringen, die Dichterinnen und Schriftsteller. Seien Sie gespannt auf »Gott ist alles und nichts«.

Eine lange Nacht über Mystik, Literatur und Meister Eckart von Burkhard Reinertz. Mein Name ist Hans-Dieter Heimendahl. Ich bin der Redakteur der Langen Nacht. Sie erreichen mich wie immer unter langenacht.de. Nächste Woche erwartet Sie an dieser Stelle eine lange Nacht über die österreichische Schriftstellerin Marleen Haushofer, die vor 105 Jahren geboren, aber nur 50 Jahre alt wurde.

Marleen Haushofer ist eine Einzelgängerin im Literaturbetrieb gewesen und geblieben. Schüchtern und zurückhaltend taugte sie nicht zur Heldin einer Frauenbewegung, die nach Autorinnen, die in den 50er und 60er Jahren veröffentlicht haben, suchte. Aber ihre Literatur ist eigenwillig, stark und scharfsichtig. Gerade was die Rolle von Frauen anbelangt. Seien Sie gespannt.

Sie können alle langen Nächte der letzten Monate auch in der Deutschlandfunk-App nachhören. Und wenn Sie uns abonnieren, können Sie keine Sendung mehr verpassen. Bis nächste Woche. Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittag eine Laterne anzündete, auf den Marktplatz lief und unerführlich schrie, ich suche Gott, ich suche Gott.

Da dort gerade viele von denen zusammenstanden, die nicht an Gott glaubten, so erregte er ein großes Gelächter. »Ist er verloren gegangen?« sagte der eine. »Hat er sich verlaufen wie ein Kind?« sagte der andere. »Oder hält er sich versteckt?« »Fürchtet er sich vor uns?« »Ist er zu Schiff gegangen? Ausgewandert?« So schrien und lachten sie durcheinander. Der tolle Mensch sprang mitten unter sie und durchbohrte sie mit seinen Blicken.

»Wohin ist Gott?« rief er. »Ich will es euch sagen. Wir haben ihn getötet. Ihr und ich. Wir sind alle seine Mörder. Riechen wir noch nichts von der göttlichen Verwesung. Auch Götter verwesen. Gott ist tot.«

Friedrich Nietzsche war es, der vor 140 Jahren den tollen Menschen den Tod Gottes verkünden ließ. Doch tat er dies nicht mit einer Haltung des Triumphes. Denn gleichzeitig sorgte sich der Philosoph. Ist nicht die Größe dieser Tat, Gott getötet zu haben, zu groß für uns? Gibt es noch einen oben oder unten?

Wie kaum ein anderer Text zeugen diese Zeilen vom Verlust existenzieller Geborgenheit, den die Menschen des westlichen Kulturkreises in der Neuzeit erfahren haben.

Die Menschheit hat sich, wie der Philosoph Peter Sloterdijk schreibt, im Zuge der Aufklärung kosmologisch erkältet. Und niemandem ist es bisher gelungen, den Katar zu kurieren. Die Aufklärung hatte von Anfang an ihre eigene Dialektik. Die Befreiung und Ermächtigung des Menschen. Die vermeintliche Befreiung und Ermächtigung des Menschen. Bezahlte sie mit der Ermordung Gottes, mit der vermeintlichen Ermordung Gottes.

Seither stehen wir in den Worten Nietzsches an der Schwelle einer neuen Religion, einer neuen Seinsweise. In seiner Schrift »Fröhliche Wissenschaft« bereitet er die Leser auf die neuen Zeiten vor. »Das größte neuere Ereignis, dass Gott tot ist, beginnt bereits seine ersten Schatten über Europa zu werfen.«

Wir Philosophen und freien Geister fühlen uns bei der Nachricht, dass der alte Gott tot ist, wie von einer neuen Morgenröte angestrahlt. Unser Herz strömt dabei über von Dankbarkeit, Erstaunen, Ahnung, Erwartung.

Endlich erscheint uns der Horizont wieder frei. Endlich dürfen unsere Schiffe wieder auslaufen, auf jede Gefahr hinauslaufen. Jedes Wagnis des Erkennenden ist wieder erlaubt. Das Meer, unser Meer, liegt wieder offen da. Vielleicht gab es niemals ein so offenes Meer.

Man kann die Philosophiegeschichte der Neuzeit als einen Abgesang auf Gott verstehen, aber es war nur ein Abgesang auf einen vermeintlich bekannten Gott, auf eine vermeintlich ewig gültige Vorstellung von Gott.

Sehen wir genauer hin, entdecken wir im Schatten dieses Abgesangs, trotz der seit dem Mittelalter schwindenden Gottessicherheit, Lichtspuren eines neuen Fragens nach dem unbekannten Gott in der Welt und vor allem im Menschen selbst. Der Religionsphilosoph Wolfram Gerold Esser Gott ist alles und nichts. Eine lange Nacht über Mystik und Literatur. Von Burkhard Reinhards

Die Visionen eines geistigen Aufbruchs und einer neuen Religiosität wurden im 20. Jahrhundert verschüttet. Der Siegeszug des Materialismus, die Überschätzung der Möglichkeiten der Naturwissenschaften und die Traumata von Weltkriegen, Holocaust, Gulag sowie anderer Gräuel –

All das führte neben den Verkrustungen des institutionalisierten Christentums zum Kollaps religiöser Gewissheiten und des Glaubens an einen allmächtigen, gütigen Gott. Die Literatur des 20. Jahrhunderts war durchtränkt von Skepsis und Unglauben. Zahllose Gedichte und Romane beklagen den Verlust Gottes, die Sinnlosigkeit des Lebens und die Absurdität der menschlichen Existenz.

Die moderne Dichtung sei für Gottesdiskurse nicht mehr zuständig, quasi aus der Kirche ausgetreten, schrieb Gottfried Benn 1934. Dichterinnen wie die Österreicherin Christine Laband litten unter einem schweigenden und unnahbaren Gott. Vergiss dein Pfuschwerk, Schöpfer, sonst wirst du noch zum Schröpfer an dem, was Leichnam ist und bleibt und sich die Erde einverleibt viel lieber als den Himmel.

Und Jesu treibt in einem Kahn, sehr weit am anderen Rand der Welt. Und meine letzte Hoffnung bellt am Ufer durch den Gegenwind. Lawans Gedichte sind durchzogen von einer Absage an die etablierte Kirche als gottwohlgefällige Seelentrösterin.

Sie attackiert die Rettungsmannschaften des katholischen Himmels, denen sie Unglaubwürdigkeit und doppelte Moral vorwirft. Wer ihre Gedichte liest, mag erschrecken über die Wucht der Gottesanklage. Sie scheut sich nicht davor, Bilder der christlichen Mythologie radikal auf den Kopf zu stellen. Doch nie aus simpler Provokation, sondern immer gespeist aus lebenslangem Leiden an sich, der Welt, an Gott.

Das war mein Leben, Gott, vergiss das nicht. Ich werde niemals wieder eines haben. Du kannst verzögern, dass sie mich begraben und dass mein Herz an diesem Kummer bricht. Doch seither bin und bleib ich eine Leiche. Sag nicht, so viele hätten schon das Gleiche, mit deiner Hilfe herrlich überstanden und wären fromm und heilige geworden. Mein Leichnam tobt.

Und will sich noch ermorden und die dazu, die dich als Trost erfanden. Dort, wo du niemals wirksam bist. An meinen Nerven zehrt ein Wolf und frisst. Bist das auch du? Und wühlt denn deine Hand in meinem Häuflein glimmenden Verstands? So grob herum und hält mich überwach, wenn alle schlafen? Gott, sag das nicht nach. Sag keins der lauen Worte der Frommen.

Die zeitlosen religiös-philosophischen Fragen »Woher komme ich?«, »Wohin gehe ich?«, »Was ist meine Essenz?« gerieten im letzten Jahrhundert in den Hintergrund. Doch inzwischen wenden sich die Menschen wieder diesen Fragen zu und suchen nach einem neuen Verhältnis zur Transzendenz. Manche von ihnen fühlen sich von der Mystik angezogen und finden dort Anregungen für einen neuen Ton im Gespräch über Gott.

Sie fragen, welcher Gott ist eigentlich tot? Und grenzen sich von der traditionellen Vorstellung ab, die Gott als allmächtigen Marionettenspieler im Jenseits begreift.

Der 2020 verstorbene Benediktiner-Mönch und Zen-Meister Willigis Jäger beschreibt den Unterschied zwischen dem alten christlichen Gottesbild und einem neuen, dynamischen Verständnis von Gott. Für viele reicht es aus, dass sie einen personalen Gott haben. Für mich ist das, was ich Gott nenne, eine Wirklichkeit, die sich vollzieht als das, was ist. Es ist nicht abgehoben.

Es sitzt nicht irgendwo, hat etwas kreiert und lenkt und leitet das. Es vollzieht sich als das, was ist. Es ist das Innerste der Evolution. Die Lange Nacht skizziert, wie ab den 1990er Jahren eine Gegenbewegung von Literaten und undogmatischen Theologen das alte Sprachtabu sprengt und das Sprechen über Gott in die Welt zurückholt.

Dabei hat die Mystik eine nicht unwesentliche Bedeutung. Mystik als Weg, dem Göttlichen ohne Glaube an Dogmen und ohne kirchliche Vermittler unmittelbar zu begegnen.

Eine besondere Rolle spielt dabei der Dominikaner, Theologe und Religionsphilosoph Meister Eckart, der im 14. Jahrhundert lehrte und die Erstarrung des Christentums kritisierte. Eckart zertrümmerte das traditionelle Gottesbild und legte so das Fundament für ein neues, mystisches Sprechen über die Einheit von Mensch, Gott und Welt.

Die Lehren Meister Eckhards und ihre Bedeutung für die Gegenwart stehen im Zentrum des zweiten Kapitels der Langen Nacht. Wie die Gedanken Eckhards der Literatur und besonders der Lyrik der letzten Jahrzehnte neue Impulse gegeben haben und wie diese neue Sprache klingt, darum geht es in der dritten Stunde der Langen Nacht. Hier schon mal ein Vorgeschmack mit Ralf Rothmanns Gedicht »Engel des Abgrunds«.

In den weißen Augen einer Winterstunde, fahl vor Angst und ohne Mantel, ich ging aufrecht. Doch der Stolz klirrte wie Lufteis unter den Sohlen. Ausgehöhlt von meinem Unglauben war ich verrückt vor Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit. Einem einzigen Wort, das mich in die Sterne reißt. Aber ich dachte ernsthaft, Glück ist eine Frage der Politur.

und vergeudete Kraft damit, mich durch den Flaschenhals zu zwängen. Vergib mir. Ich wusste nicht, wie einfach alles ist. Ich wusste nicht, dass Gott uns meint und wir ihn erhören, wenn wir uns lieben, die Schrift erfüllen und Zeichen setzen mit unseren Körpern. Ich wusste nicht, dass er uns anfleht mit jedem Rosenblatt und ein einziges kleines Ja die Welt im Gleichgewicht hält. Musik

Mystik. Das klingt erstmal nach Vergangenheit. Da gab es die großen christlichen Mystikerinnen und Mystiker Teresa von Avila, Meister Eckhardt oder Jakob Böhme. Doch Mystik ist hochaktuell. Der katholische Wegbereiter einer modernen Theologie, Karl Rahner, hat bereits Ende der 1960er Jahre den visionären Satz geprägt »Aufwärts.«

Der Glaube von morgen werde nicht mehr eine allgemein geteilte Tradition sein, sondern individuell gesucht und gefunden.

Ranas Vision ist eingetroffen. Genau das erlebt der Referent für Spiritualität im Erzbistum Köln und geistliche Begleiter Markus Röntgen in seinen Beratungsgesprächen. Rana hat auf etwas hingewiesen, dass die Menschen, die in der Kirche sind und wirken, sich im Grunde nur noch als Dienende empfinden können für die ganz individuelle Suche von Menschen.

dass viele Menschen ganz eigensuchen, ganz individuell suchen, in eigenen Wegen, die gar nicht abhängig sind von Institutionen, Einrichtungen oder Religionen. Dass die gar nicht mehr aus einer klassischen Religiosität oder Kirchlichkeit kommen, sondern im tiefsten suchen, was die Welt im Innersten zusammenhält.

Auch der katholische Theologieprofessor und Mystikkenner Gotthard Fuchs bestätigt die Vision Karl Rahners. Mystik ist etwas nicht Irrationales, sondern Hochrationales.

Und ich denke, das meinte auch der Rainer natürlich, der Fromme der Zukunft wird ein Mystiker sein. Das heißt einer, der sich nicht am Leben vorbeimogelt, sondern der in die Schönheit und in den Schrecken, der in das, was fasziniert und in das, was fürchterlich ist, hineingeht und hindurchgeht. Es bewältigt und gestaltet. Aber das Entscheidende ist, hindurchzukommen in einen Raum,

Indem wir innerlich so eingewurzelt sind im Geheimnis der Wirklichkeit oder im Geheimnis des Göttlichen, dass wir freier werden und nicht mehr gegenabhängig sind von Erfolg oder Misserfolg, von Krankheit, Gesundheit. Im Laufe der Menschheitsgeschichte gab es Sinndeuter, die sich als Dolmetscher des Ewigen und Göttlichen verstanden. Schamanen, Priester, Dichter, Philosophen und Theologen.

Sie vermittelten den Menschen die Sicherheit eines geschlossenen Weltbildes. Heute gibt es eine ungeheure Vielzahl von Weltdeutungen. In diesem Labyrinth suchen Menschen ihren eigenen Erfahrungsweg, weiß der Theologe Markus Röntgen aus etlichen Beratungsgesprächen. Wenn ich aber selbst den Weg gehe und mit allem betrachte,

und auch misslingen mit Trial and Error, in meinem Alltag diesen Weg selber gehe und etwas erfahre, dann wird es authentischer, weil es dann durch meine ganze Person hindurchgegangen ist. Also wieder durch den Kopf,

durch meinen Leib, meine Empfindungen und durch meine Seele. Und dann hat es wahrscheinlich auch eine größere Tragfähigkeit. Ansonsten, der Eckart sagt mal, wenn Gott nur gedacht wird, ist er weg, wenn der Gedanke weg ist. Deshalb glaube ich, dass viele Menschen heute bereit sind, unabhängig von Religion und Konfession, diesen eigenen Weg zu gehen, auch wenn das nicht immer leicht ist. Musik

Mystische Erlebnisse versetzen Menschen in einen anderen Bewusstseinszustand. Das Geschehen ähnelt in gewisser Weise einem Tagtraum. Der Unterschied liegt darin, dass Menschen höchst wach bleiben für das, was ihnen in der Versenkung widerfährt. Ihr Bewusstsein löst sich nicht auf, es vertieft sich. Mystik hat mit Selbstvergessenheit zu tun. Mystik hat damit zu tun, dass ich voll und ganz in einem anderen Zustand

dass in dem Augenblick das Ich, was da die Regie immer haben möchte, nicht vernehmbar ist und nicht im Vordergrund steht. Wenn Mystik eine Suchbewegung ist, die gleichsam als Grenzverkehr mit dem Unendlichen versucht, Kontakt aufzunehmen, dann sind es auch Bausteine, die das Mystische zusammengesetzt ergeben würden. So beschreibt der katholische Religionsphilosoph Hans-Joachim Höhn den mystischen Weg. Es

Es gibt die kleine Münze der Mystik, die in den kleinen Alltagssituationen auftritt, wo man anfangen kann, Raum und Zeit zu verlieren, indem man etwa an einem Instrument sitzt und herum improvisiert und plötzlich eine Melodie, einen Akkord aufs Klavier oder auf die Gitarre zaubert, den man dann nachsinnt und nachhängt, den man spielt.

Und alle sonstigen Dinge, die um einen herum passieren, vergisst sich selbst dabei auch. Mystik. Verwandt mit dem griechischen Wort mystikos, das geheimnisvoll bedeutet. Abgeleitet vom Verb myain, die Augen und Ohren schließen, nach innen schauen, verstummen, schweigen.

Was das Wort im positiven Sinn bedeutet, verrät das Herkunftswörterbuch nicht. Unstrittig ist, es geht um ein willentlich nicht herstellbares, unmittelbares Erleben der Einheit von Mensch, Welt und Gott. Mystik

Für den Kirchenvater Augustinus die leise Berührung des Ewigen. Für den Kulturwissenschaftler Peter Sloterdijk Weltpause. Für den Philosophen Ernst Tugendhat Zurücktreten von sich selbst. Für den Sprachphilosophen Ludwig Wittgenstein Das Unaussprechliche. Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern das sie ist.

Manche Menschen halten Mystik für dunkel und nebulös, eher etwas für weltfremde Einsiedler oder Esoteriker, jedenfalls nichts, was mit dem Alltag der Menschen zu tun hat.

Der katholische Theologe Gotthard Fuchs rückt dieses Missverständnis zurecht. Wenn ich vom Wortsinn ausgehe, Mysterium, Geheimnis, also ein Gespür für die Nicht-Selbstverständlichkeit des Daseins, das Staunen darüber, dass ich denken kann, dass ich geliebt werde, dass ich Schmerzen habe, dass ich einen Körper habe, also Geheimnis.

Die Innenwelt genauso wie die Außenwelt in ihrer unglaublichen sozusagen mikro- und makrokosmischen Dimension wahrnehmen und staunen darüber, dass ich bin. Das heißt natürlich auch, dass Mystik immer zu tun hat mit einem klaren Verstand, mit klaren Gefühlen, mit Klärung, mit Licht.

Mystik und Alltag sind untrennbar verbunden. Oder wie Josef Beuys es einmal ausgedrückt hat. Das Mysterium findet im Hauptbahnhof statt. Mystische Erlebnisse sind nicht an besondere Situationen oder Orte gebunden. Sie können in der U-Bahn, beim Blick in die Augen eines fremden Menschen geschehen.

In dem Moment, wo ein Sonnenstrahl durch eine dunkle Wolkenfront bricht. Oder beim Lesen eines Buches, in dem ein Satz Körper und Seele durchdringt. Entscheidend ist dabei, mystische Erfahrungen sind nicht herstellbar. Sie geschehen absichtslos in Augenblicken, die das alte Wort Widerfahrnis am besten trifft.

Solche Erfahrungen können starre Ego-Strukturen auflockern und sie oder ihn empfänglich machen für die Wunder des Alltags, für Begegnungen mit anderen Menschen und dem Göttlichen. Markus Röntgen? Also für mich ist heute mystisch, die alltäglichen Dinge zu leben, sie sehr bewusst zu leben, mit großer Aufmerksamkeit und darin die tiefe Spur Gottes zu finden, eben nicht in dem großen Blitzeinschlag zu

Ich glaube, dass es eher so etwas ist, die ganz normalen Dinge des Alltags so zu tun, dass ich in ihnen bewusst werde, dass die Gegenwart Gottes in allen Dingen da ist. Und das betrifft das Aufstehen, das Frühstück machen, aber auch schweigen zu können, hören zu können. Mir fällt auf, dass viele Frauen und Männer, die im Supermarkt an der Kasse sitzen, eben nicht dieses vielbeschworene Dienstleistungslächeln einem entgegenbringen, sondern sagen,

dass es eine kurze wirkliche Begegnung gibt, dass man sich anschaut und dass ich immer denke, boah, die haben einen strammen Tag und da denke ich, da ist so etwas von der Mystik des Alltags drin.

dass die sich versuchen anzunehmen in ihrer Arbeit und wirklich für den kurzen Moment in Beziehung treten wollen. Markus Röntgen erinnert sich an ein Erlebnis, das für ihn mystischen Charakter hatte. Eine Fahrt vor 20 Jahren morgens mit dem Zug von Bonn nach Mainz zu einem beruflichen Termin. Nebel, wie es oft im November ist. Und irgendwo auf der Fahrt hatte ich plötzlich so für zwei, drei Minuten das Empfinden,

Ich bin mit allem verbunden, es ist alles irgendwie zusammen und ich bin mitten da drin und es fehlt mir nichts. Zwei, drei Minuten war das so beim Blick aus dem Fenster nichts Besonderes. Danach wurde es weniger und war auch dann wieder weg. Ich war dann wieder normal ein Zugreisender. Aber dieser Moment, der ist heute auch noch da, den habe ich nicht ganz verloren, obwohl er eigentlich...

Der Theologe erzählt von einem weiteren Einheitserlebnis, das er diesmal in der Begegnung mit einem anderen Menschen hatte. Eine obdachlose Frau in Bonner Bahnhof, Sonja, wir treffen uns seit zehn Jahren. Sie bettelt da, wir treffen uns mal alle drei Wochen, mal alle zwei Wochen. Mittlerweile sprechen wir ein bisschen miteinander.

Fast immer gibt es einen ganz kleinen Moment von einander anschauen und ich bekomme von ihr etwas durch die Pupille ihrer Augen, was mich für diesen Tag beschenkt. Ich kann das gar nicht anders sagen. Sie bekommt von mir etwas, wir reden vielleicht zwei Minuten und dann gibt es oft diesen Blick, der echt ist.

Und da fühle ich mich ganz gemeint und weder fällt das Wort Mystik da, noch sprechen wir über das, was jetzt da groß an Beziehung geschieht. Aber es geschieht etwas, wo ich mich ganz gemeint fühle. Das ist so für mich ein ganz schlichter alltäglicher Moment, wo ich so etwas aufleuchten sehe. Für Markus Röntgen ist Mystik weit mehr als modische Achtsamkeit.

weil sie die Beziehung zum Göttlichen und zum Mitmenschen umfasst. Ich kann mich jeden Tag in den alltäglichen Dingen total abgesperrt fühlen von der Allverbundenheit mit allen Dingen, mit Gott, mit den anderen Menschen. Dann bin ich auf mich isoliert, dann erfahre ich das Ganze oft als Last, als Depression, als Anfechtung, als abgetrennt. Ich kann aber auch am selben Tag dieselben Dinge erleben,

den Tee kochen, ein Telefonat führen, eine Mahlzeit bereiten, jemanden Nerviges am Telefon wieder anhören, so tun, dass ich mich und den anderen anfange, darin anzunehmen, wie es gerade ist. Und wenn das geschieht, fühle ich mich mitunter nicht nur mit dem Menschen und mit mir, sondern auch mit allen Dingen und mit Gott in allen Dingen verbunden. Es gibt ja diesen

Finde ich sehr markanten Satz von Ignatius von Loyola. Gott suchen mit allen Sinnen und Gott finden in allen Dingen. Das klingt erstmal großartig. Im Alltag heißt das aber ganz viel. Es heißt wirklich, diese kleinen Dinge in ihrer Wirklichkeit zu achten, sie nicht zu überhöhen, sie aber auch nicht kleiner zu machen, als sie sind.

Manche erhoffen sich durch ein mystisches Erlebnis dauerhaften inneren Frieden. Markus Röntgen warnt vor solchen Hoffnungen. Es gibt Tage, da bin ich wie abgesperrt in der Trostlosigkeit. Und es gibt Tage, da bin ich von morgens an verbunden mit mir im Trost. Und damit bin ich nie durch. Das ist jetzt meine Erfahrung auch von hunderten Gesprächen mit Menschen. Der spirituelle Weg besteht vielleicht darin,

Die Erfahrung des Abgesperrten und Trostlosen nicht übergroß werden zu lassen und die Erfahrung der Gottverbundenheit, der Tröstung und des Zusammenseins, der Allverbundenheit auch nicht übergrößern.

Der Benediktiner Mönch Williges Jäger hält die Frage nach dem Sinn des Lebens für wenig hilfreich. Für ihn lassen sich Fragen wie »Was ist der Sinn dieser Rose dort?« am besten über poetische Bilder beantworten.

Die Rose blüht, weil sie blüht. Sie hat ihre ganze Erfüllung in ihrem Blühen. Und so hat eigentlich der Mensch seine ganze Erfüllung in seinem So-Sein. Der Kern der Mystik ist das Überschreiten des engen, begrifflichen Denkens zugunsten einer umfassenderen Erfahrung und Erkenntnis, die als Potenz in jedem Menschen grundgelegt ist, die wir aber nicht entfaltet haben. Die Ratio ist eine gewaltige Errungenschaft der

Unsere Spezies, dass wir uns in etwa 4 bis 5 Millionen Jahren zu dem entwickelt haben, was wir heute sind, dass wir sagen können, ich und du, das ist eine gewaltige Errungenschaft in der Evolution. Und gleichzeitig ist es eine Einschränkung. Wir bekommen aus der Ratio heraus nicht alle Antworten, die wir für die Deutung unseres Lebens brauchen. Keine Philosophie, auch keine Religion, keine Theologie hat mir letztlich diese Antwort gegeben, sodass ich zufrieden sein könnte.

Der Drang zum Mystischen rührt daher, dass die Wissenschaft unsere Wünsche unbefriedigt lässt. Wir fühlen, dass, selbst wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind.

Der Philosoph Ludwig Wittgenstein. Letztlich ist jede mystische Bewegung transkonfessionell. Sie beginnt eigentlich dort, wo die Konfession das feste Glaubensgehäuse aufführt. Gott ist ein lauter Nichts. Ihn rührt kein Nun, noch hier. Je mehr du nach ihm greifst, je mehr entwirrt er dir. Der Mystiker Angelus Silesius.

Für Williges Jäger sind Götter und Religionen ein menschgemachtes Trost- und Angsttherapeutikum, um dem Gefühl von Einsamkeit und kosmischer Verlorenheit zu entkommen. Heute ginge es um ein tieferes Verständnis des Göttlichen.

Menschen könnten gar nicht anders, als in ihrem Denken menschliche Vorstellungen zu projizieren. So auch in ihren Gottesbildern, wie zum Beispiel dem vom gütigen, tröstenden Vater. Die entscheidende Frage sei, kommt einem in den menschgemachten Projektionen wirklich etwas Göttliches entgegen?

Mystik und Poesie verbindet, dass beide in einer Bildersprache sprechen. Damit unterscheiden sie sich sowohl von der Alltagssprache als auch von der traditionellen Sprache der Theologie. Um Mystiker wie Meister Eckart und Dichter und Dichterinnen besser zu verstehen, lohnt es sich, einen Blick auf die besondere Art ihres jeweiligen Sprechens zu werfen.

und was sie von der üblichen Kirchensprache unterscheidet. Der polnische Dichter und Nobelpreisträger Czesław Miłosz sieht in der alten Kirchensprache eine glatte, unfassbare Kugel. Das, was unser Leben und unser Innerstes am tiefsten berührt, nämlich die Vergänglichkeit des Menschen, die Krankheit, der Tod, die Armseligkeit der Überzeugungen und Gedanken,

All das kann nicht in der Sprache der Theologie ausgedrückt werden, da diese seit vielen Jahrhunderten nichts anderes tut, als alle Aussagen zu einer glatten Kugel abzurunden, die sich leicht hin und her rollen lässt, die man aber nicht fassen kann und die keinen mehr bewegt.

Die Lyrik des 20. Jahrhunderts hingegen ist dort, wo sie sich mit dem Wesentlichen befasst. Nichts anderes als ein Zusammentragen von Daten über die letzten Dinge im menschlichen Dasein. Und dabei hat sie ihre eigene Sprache ausgebildet, die auch von den Theologen benutzt werden könnte oder eben nicht.

Das Zitat von Mewosh ist eines meiner liebsten Leitworte, weil es eben darauf hinweist, dass eine bestimmte Form von Theologie, die nur darauf abzielt, Ordnung zu schaffen oder Begegnung,

eine vermeintliche intellektuell-kirchliche Sicherheit herzustellen oder gar religiöses Erleben zu normieren, das ist religiös tot. Das drückt nichts aus und bewegt auch niemanden, sondern versteinert das, was als Glaubenserlebnis behauptet wird.

Der Theologe Johann Hinrich Clausen leitet das Kulturbüro der Evangelischen Kirche Deutschlands, EKD, und ist Spezialist für Lyrik. Es gibt auch andere Formen von Theologie. Es gibt in der orthodoxen Theologie, es gibt in der alten mittelalterlichen Theologie, gibt es natürlich immer auch Autoren, die schon sehr genau wussten, dass der Zielpunkt,

eines jeden Glaubenssystems oder eines jeden Glaubens immer auch sozusagen etwas von Mystik haben muss. Sonst ist es einfach von echter Erfüllung. Aber es gibt eben diese andere Form von Theologie, einerseits in den alten

In dogmatischen Glaubenssystemen, aber auch in so einer professionalisierten, modernen Universitätstheologie, wo man den Eindruck hat, hier geht es nur darum, sich abzusichern, nichts falsch zu machen, nicht anstößig zu sein, den Kolleginnen und Kollegen zu gefallen im Fach. Und das ist dann, wie Mijoros sagt, wie so eine Kugel, die wird hin und her gerollt, ein ewiges, leeres Geschäft.

Und davon muss man sich entfernen oder diese Kugel muss man neu aufbrechen. Und dafür ist die Lyrik oder manche Formen von moderner Lyrik ein wunderbares, nicht nur Instrument, sondern eine ganz andere Form von Sprache und damit auch von Denken und Erleben. Diese analytische Sprache der Dogmen und der Regularien, aber auch der Analyse und der Begriffskundigkeit hat, glaube ich, etwas suggeriert, was sie gar nicht leisten kann.

Wer sich damit wirklich enorm auseinandergesetzt hat, ist Karl Rahner. Der hat zwar dogmatisch gedacht und gelehrt, aber er hat am Ende seines Lebens gesagt, wir sagen zwar, dass alle theologischen Begriffe analog sind, also analog heißt, nur hinweisend, erahnend sein können, eher weniger von Gott sagen, als dass sie was von Gott sagen, aber unserer Sprache ist es so wenig anmerkbar,

Wir sagen das dann zwar und dann leiten wir doch kilometerweise Seiten und Sätze ab, als wüssten wir etwas über Gott. Martin Buber hat großartig gesagt, wir können über Gott eigentlich gar nichts sagen. Wir können aber, und das ist etwas anderes, zutiefst auch sprachlich in der Hinwendung mit Gott in Beziehung sein. Am Anfang war das Wort.

Aus dem Johannesevangelium.

Anliegen und Auftrag der Theologie ist die Gottesrede. Sie schöpft aus der Beziehung von Gott und Sprache. So wie es in der Genesis heißt, Und Gott sprach, und so geschah es.

Ende der 1980er Jahre entstand in Europa aus der Verbindung von Theologie und Poesie eine neue sprachliche Ausdrucksform, die Theopoesie oder Theopoetik. Gemeint ist in Abgrenzung vom theologisch-dogmatischen Sprechen von Gott ein poetisches, bilder- und gleichnishaftes Sprechen über Gott.

Der katholische Theologe Hans-Joachim Höhn hat in seinem Buch »In Gottes Ohr« von der Kunst poetischer Gottesrede die Unterschiede zwischen theologischem und theopoetischem Sprechen anschaulich auf den Punkt gebracht. Die Theologie steht der Denkkunst am nächsten. Sie ist interessiert am folgerichtigen Verknüpfen von Gedanken.

Sie bevorzugt den argumentativen Diskurs, sie strebt nach logischer Stringenz und will, dass ihren Ergebnissen allgemeine Gültigkeit bescheinigt wird. Die Theopoetik hingegen ist der Dichtkunst zuzuordnen. Ihr Gegenstand und zugleich ihre Quelle ist das Potenzial des Menschen, im Medium der Sprache etwas hervorzubringen, das Bilder erzeugt und das Vorstellungsvermögen anregt.

Sie geht an die Grenze des Sagbaren, macht dort aber nicht Halt. Ihr Anliegen ist nicht die zwingende Beweisführung, sondern die Befreiung von Denk- und Begriffszwängen. Sie lässt sich nicht in das Korsett logischer Ableitung zwingen. Logik will einleuchten. Poesie lässt aufleuchten. Logik will sichten.

Poesie macht Unsichtbares sichtbar. Das Aufleuchten in der Poesie hat natürlich manchmal auch was Einleuchtendes, aber nicht im Sinne eines logischen Schlusses, sondern in dem, was mir innerlich einleuchtet als etwas, was ich als wahr empfinde. Und das kann natürlich sozusagen ein logischer Schluss sein, wo ich gar nicht anders kann, als dem zuzustimmen. Es kann aber auch die Wahrheit eines Einleuchten

Gedicht oder eines Verses sein, der mich so trifft, dass mir innerlich ein Licht aufgeht und ich sage, ja, genau, so muss es sein. Ohne, dass man das jetzt verallgemeinern könnte. Während es der Theologie in erster Linie um die argumentative Erörterung der sprachlichen Äußerungen zu Gott geht, zeichnet sich die Theopoesie durch eine größere Bandbreite religiösen Sprechens aus.

Dazu gehören Bekenntnisse und Zeugnisse einer Begegnung mit Gott, aber auch des Vermissens von Gott. Und ein ungewöhnliches Reden von Gott, das aufhorchen lässt, weil es eine Tonspur von Transzendenz erzeugt. Die Sprache der Poesie ist nicht nur universeller, sondern auch rebellischer und radikaler als die Sprache der üblichen zünftigen Theologie.

Sie ist beunruhigender, ungetrösteter und unharmonischer als sie. Sie schließt nichts aus, keine Zweifel, keine Resignation, kein Protest und keine Verwerfung. Schriftgelehrte, sie örtern, wir örtern, Gott vergeblich mit Wörtern. Doch er ist der Geist und lässt sich nicht örtern. Er ist das Wort und lässt sich nicht wörtern.

Der Schweizer Pastor und Poet Kurt Marti Dogmatische Texte sprechen die Gemeinschaft der Glaubenden an und zielen auf die Feststellung einer Übereinstimmung im Glauben. Sie sind Ausdruck eines Konsens. Theopoetische Texte sind oft Dissens-Texte. Sie sprechen ins Unreine. Sie artikulieren Verluste und Entbehrungen. Sie äußern sich im Klagen, Flehen, Zweifeln, Hoffen.

Sie halten fest, womit sich ein Mensch nicht abfinden kann. Sie widersetzen sich einem vermeintlich letzten Wort in einer strittigen Sache. Sie opponieren gegen Machtworte, gegen Verfügung einer theologischen Gedankenpolizei und gegen Dekrete der Glaubenswächter. Theopoetische Texte erinnern daran, dass man der Wirklichkeit sprachlich nicht habhaft werden kann.

Daher zeichnet sie ein suchendes Sprechen aus. Hans Joachim Höhn Der Brunnen. Wörter werfe ich wie Steine in die Tiefe des Brunnens. Atemlos höre ich hin, bis sie aufkommen unten am Grund. Manche aber scheinen in eine unendliche Tiefe zu fallen. Das Echo ihres Aufschlags entzieht sich meiner Wahrnehmung. Der Schriftsteller und Theologe Lothar Zinetti.

In der Religion wie in der Literatur geht es ja nicht einfach nur um Wirklichkeit, also gegenständliche Wirklichkeit, sondern es wird etwas anderes vorgestellt, das auch wirklich ist, aber auf einer anderen Ebene und sich eine Wirklichkeit schafft, nämlich in der Sprache. Und diese Sprache ist keine abbildende, aufzählende, objektiv feststellende Sprache, sondern eine, die eine Wirklichkeit hervorbringt.

Und dafür gibt es verschiedene Mittel, aber das schönste und wichtigste Mittel ist natürlich das Sprachbild. Indem ein Gedicht...

Oder auch eine Glaubensaussage ein Bild schafft. Also Jesus zum Beispiel hat ja seine entscheidenden Dinge immer in Gleichnissen erzählt. Das sind jetzt nicht nur einfach Hilfsmitteln, damit auch die Doofen irgendwie eine schwierige theologische Lehre verstehen können, sondern das Bild, die Metapher, das Gleichnis ist selbst Teil der neuen Wirklichkeit in der Sprache, die erlebt wird.

Weil diese Bilder eben als Sprachbilder und Erfahrungs- und Bewusstseinsbilder die andere Wirklichkeit des Religiösen und des Poetischen hervorbringen, die eben anders ist als die Faktenwirklichkeit. Der Theologe und Lyrikkenner Johann Hinrich Clausen.

Ein Vergleich zwischen einer zeitgenössischen theologischen Definition der Gott-Ebenbildlichkeit und dem kurzen theopoetischen Gedicht Gottes-Ebenbild zeigt, wie elementar sich beide Sprachen unterscheiden. Hier eine theologische Definition der Gott-Ebenbildlichkeit. Der Begriff des Bildes verweist selbst auf ein relationales Verständnis von Gott-Ebenbildlichkeit.

Sie ist dann nicht mehr als statischer Zustand, sondern als Bestimmung der Gemeinschaft mit Gott verstanden, die dem Menschen als Sein und Sollen aufgegeben, um dementsprechend nur in Freiheit zu realisieren ist. Es macht das Wesen des Menschen aus, auf Gott und damit einen Grund und ein Ziel ausgerichtet zu sein, das seine bloße Natürlichkeit überschreitet. Der Mensch ist in seinem leiblich-geistigen Sein Offenbarung Gottes.

Als Gegenpol dazu ein Gedicht des Priesterpoeten Markus Knapp über die Gott-Ebenbildlichkeit des Menschen, das in lebendiger Bildersprache mit nur 23 Wörtern Wesentliches ausdrückt. »Wir sind ein Gedanke Gottes, der selber denken kann. Ein Wort Gottes, das für sich selber sprechen darf. Ein Abbild Gottes, das sich selbst zu malen vermag.«

Ein Wille Gottes, der selber wollen will. Eine Leidenschaft Gottes, die selber leiden muss. Ein Liebling Gottes, der selbst zu lieben liebt.

Es gibt natürlich bestimmte Sprachformen im Theologischen, die einfach versuchen, ein Traditionsgut zu erklären. Und das machen sie dann nach den Regeln des universitären Sprechens. Das hat so seinen Zweck, bleibt aber weit von dem eigentlichen Bild entfernt, weil es ihm natürlich immer auch den Zauber nimmt und über etwas spricht, aber nicht in dieses Bild selber hineingeht. Und dann gibt es aber auch eine andere Form, die man theopoetisch nennen kann, aber das kann man eigentlich auch in einer ganz normalen Predigt oder einem Gebet versuchen, die in dieses Bild hineingeht.

und dabei eigene Erfahrungen macht, eigene Entdeckungen macht und dieses Bild dabei fortschreibt. Das würde ich sagen, ist dann die eigentliche Art, religiös angemessen über ein solches Bild zu sprechen, nämlich theopoetisch und nicht bloß sozusagen lexikalisch. Im gedroschenen Stroh des leeren Geredes, kein Körnchen Wahrheit mehr. Täglich wächst der Hunger, dass ein Wort geboren werde, nahrhaft wie ein Weizenkorn.

Markus Knapp. Ich finde das ein sehr schönes Gedicht.

dass insofern etwas mit Meister Eckart zu tun hat oder mit ihm in Verbindung gebracht werden kann, als Meister Eckart eben auch ganz offenkundig nicht zufrieden war mit den Sprachformen, Formeln, die ihm vorgegeben waren und zugleich eben etwas Neues gesucht hat. Ich bin immer ein bisschen vorsichtig, Menschen aus dem Mittelalter oder der frühen Neuzeit in die Moderne zu ziehen, aber was man bei ihm lernen kann und was ja heutige Menschen, die sich mit ihm beschäftigen, unmittelbar ansprechen, ist diese Sprachkreativität.

dass er eben etwas erlebt, erfährt oder auch sich vorstellt oder ersehnt, was so...

nicht einfach auszudrücken ist in der konventionellen, religiösen, kirchlichen oder sonst wie kulturellen Sprache, die ihm vorgegeben ist, sondern er muss neue Wörter, eine neue Sprache finden, um das zum Ausdruck zu bringen, was ihn innerlich bewegt. Denn das, was religiös hier sich aussprechen will, ist ein neuer Kontinent an Erfahrung und an Selbstverständnis. Und dafür gibt es eben eine ganze Reihe von neuen Wörtern oder auch neuen Sprachspielen, die er wieder und wieder neu variiert.

Welcher neue Kontinent an Erfahrung und Selbstverständnis Meister Eckart genau bewegt hat und mit welchen sprachlichen Neuschöpfungen er seine Vorträge und Predigten in Klöstern, Universitäten und Kirchen im wahrsten Sinn unters Volk gebracht hat, darum geht es im zweiten Kapitel der Langen Nacht. Du sollst Gott erkennen ohne Vorstellung, ohne Mittel und ohne Gleichnis.

Soll ich aber Gott ohne Mittel erkennen, so muss ich schlechthin er werden und er ich. Weiter sage ich, Gott muss schlechthin ich werden und ich schlechthin Gott. So sehr eins, dass dieses er und dieses ich ein Ist werden und sind und in der Istheit ewig ein Werk wirken. Denn wer kommen will in Gottes Grund, in dessen Innerstes,

Der muss zuvor in seinen eigenen Grund, in sein Innerstes kommen. Denn niemand kann Gott erkennen, der nicht zuvor sich selbst erkennen müsse. Hier ist Gottes Grund mein Grund und mein Grund Gottes Grund. Musik

Kühne Worte Meister Eckhards zur Einheit von Gott und Mensch, die seine kirchlichen Vorgesetzten derart erbosen, dass sie ihm in den letzten Lebensjahren Ketzerei vorwerfen. Ein gefährlicher Vorwurf, der im Mittelalter zur Todesstrafe führen konnte.

Mit Schmerz tun wir kund, dass einer aus deutschen Landen, Eckart mit Namen, Doktor und Professor der Heiligen Schrift, mehr wissen wollte, als nötig war. Verführt durch jenen Vater der Lüge, der sich oft in den Engel des Lichtes verwandelt. Dieser irregeleitete Mensch hat gegen die hell leuchtende Wahrheit des Glaubens zahlreiche Lehrsätze vorgetragen, die den wahren Glauben in vielen Herzen vernebeln.

Eckart von Hochheim kommt um 1260 in Thüringen zur Welt. Wahrscheinlich entstammt er einer adeligen Ritterfamilie. Bereits mit 17 Jahren tritt Eckart in den Predigerorden des heiligen Dominikus ein. Die Dominikaner sind Teil der aufkommenden Armutsbewegung. Diese wendet sich gegen ungerechte gesellschaftliche Strukturen und kritisiert das geldgierige Wirtschaftsleben der aufstrebenden Städte.

Es herrscht Chaos im kirchlichen Bereich, auch in der politischen Landschaft. Der Papst zieht ins Exil nach Avignon. Dann die Pest. Das 14. Jahrhundert bringt auch Bewegung in das Verhältnis von Männern und Frauen. Erstmals in der Geschichte kommt es zu einem theologischen Austausch zwischen den Geschlechtern. Die gesellschaftliche Situation, in die Eckart hineingeboren wurde, das war eine tatsächlich des Aufbruchs der

Meister Eckart war am Anfang prior im Erfurter Dominikaner-Konvent. Erfurt war zu der Zeit eine Stadt im Aufschwung. Das städtische Leben war geschäftig. Meister Eckart hat da auch mit den Mächtigen der Stadt zu tun gehabt. Christine Büchner ist Professorin am Lehrstuhl für Dogmatik an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Würzburg. Die Kirche hat geglänzt, vor allem durch Prunkaufwand.

Dagegen aber gab es eben auch viele, viele Bewegungen, die gerade deswegen versucht haben, sich zurückzubesinnen auf die christlichen Wurzeln, die versucht haben, im Geist Jesu zu leben, also Armutsbewegungen vor allem. Auch die Bewegung der Beginnen, also Frauengemeinschaften, die sich gebildet haben und die sehr populär waren.

Die Frauen haben sich nicht den normalen Orten angeschlossen, sondern haben zusammengelebt im Sinne des Evangeliums, haben auch ihren eigenen Lebensunterhalt verdient, waren aber auch oft spirituelle Zentren. Und diese neu erweckte Spiritualität suchte nach einem Gottesverständnis in einer äußerst krisenanfälligen Zeit, kirchlich und politisch,

wo die Menschen nach einem innigen Gottesverhältnis suchten, jenseits von vermittelnden äußeren klerikalen Instanzen. Markus Röntgen, katholischer Theologe. Und da trafen vor allen Dingen jetzt etwa diese Dominikaner in Köln, der Meister Eckhardt, die trafen eben auf sehr spirituell bewegte Frauen, die nach einer Form der in sich selbst wohnenden Spiritualität suchten, die

die sie nicht mehr von außen her herangetragen bekommen haben wollten, sondern sie wollten im Grunde unmittelbar zu Gott sein. Das ist, glaube ich, das Wichtigste. Gott-Unmittelbarkeit, Gott-Verbundenheit, Gott-Innigkeit. In diesem Umfeld bildet sich schon bald Eckhards Grundeinstellung heraus.

Der Mensch soll auf weltlichen Reichtum und Machtstreben verzichten und stattdessen Gott-Ebenbildlichkeit und liebevolles solidarisches Handeln anstreben. Vor 800 Jahren war das Gottesverständnis stark von einem dualistischen Gegenübergott geprägt und die Institution Kirche galt als die notwendige vermittelnde Instanz.

Dagegen vertrat die neue Armutsbewegung der Franziskaner, der Dominikaner und der Beginnen, der Frauengemeinschaften, ein Gottesverständnis, das die Einheit mit Gott hervorhob und lebenspraktisch auf den Alltag ausgerichtet war. Das ist dann auch eben nicht mehr begrenzt auf institutionell reservierte Räume, sondern das findet im Wald und auf der Straße und in der Stadt statt.

mitten im Leben statt und es gibt auch keinen gottexklusiven Ort. Also alles ist in Gott und es gibt nichts, was außerhalb Gottes verstanden werden könnte. Und so ist es auch möglich, Gott in allen Dingen und mit allen Sinnen, in allen Verrichtungen zu begegnen. Und das ist natürlich etwas, was auch

Also es gab nicht mehr diesen Bereich, hier findet das statt, gottesdienstlich oder in der Lehre der Kirche, sondern jeder Mensch ist im Grunde teilhaftig dessen, weil, das ist bei Eckart nochmal besonders wichtig, es in jeder Kreatur und so in jedem Menschen diese Präsenz Gottes gibt,

die größere Einheit Gottes, die immer größer ist als jede Getrenntheit. Gott ist immer in allem da und ich kann diesem Gott dann begegnen, wenn ich nichts Außen von mir Lebendes zum Götzen erhebe. Das ist im Grunde das eine, also nichts vergötzen, weder eine Institution noch Geld noch Gut noch Herrschaft noch Macht.

Aber gerade wenn ich das nicht tue, kann ich in allen Dingen diese Gottesspur und diesen Gotteskern nicht nur erahnen, sondern auch leben. Es kommt nicht darauf an, Gott anzubeten. Es kommt darauf an, dass ihr euch von der Welt frei macht, damit ihr den göttlichen Kern, diesen Grund, den ihr habt, freisetzt.

Der Mensch soll Gott in allen Dingen ergreifen und soll sein Gemüt daran gewöhnen, alle Zeit Gott gegenwärtig zu haben. Im Gemüt und im Streben und in der Liebe. Achte darauf, wie du deinem Gott zugekehrt bist, wenn du in der Kirche bist oder in der Zelle. Dieselbe Gestimmtheit behalte und trage sie unter die Menge und in die Unruhe und in die Ungleichheit.

Es ist auch so, dass Eckart zwar komplexe theologische Dinge anspricht, sich aber bemüht, die Leute abzuholen, sodass sie angesprochen sind. Etwa indem er Beispiele bringt aus der alltäglichen Lebenswelt.

etwa von einem, der einen vollen Weinkeller hat, aber nicht weiß, dass da ein guter Wein drunter ist. Und erst wenn er erkennt, wenn er den Wein probiert, merkt er, oh, das ist ein guter Wein. Und so ist es auch mit Gott. Viele Menschen wissen gar nicht, dass Gott im Grund ihrer Seele ist. Erst wenn sie es erfahren, sozusagen, dann entdecken sie das, wie bei diesem Wein. Also man kann sagen, er macht anspruchsvolles theologisches Denken, das in dieser Zeit eigentlich nur geweihten Personen vorbehalten war, allgemein.

allgemein zugänglich. Also er baut sprachliche Barrieren ab und mutet eben diesen sogenannten einfachen Leuten sehr komplexe Gedanken zu. Und davon lassen die sich offensichtlich auch ansprechen, also fühlen sich gewertschätzt. Eckarts Predigten sind anschaulich und alltagsbezogen, die Zuhörer begeistert. Ordensbrüder schreiben seine Predigten auf.

Nur deswegen sind sie der Nachwelt erhalten geblieben. Dass Eckart mit der elitären Praxis der katholischen Kirche bricht, die Lehrreden und Predigten nur auf Latein zu halten, kommt einer Revolution gleich. Einige Sätze seiner Schriften, vor allem seiner deutschen Predigten, wurden dann auch in einer Bulle von Papst Johannes XXII. verurteilt.

Man hat als Begründung zugefügt, dass diese Sätze sich heretisch anhören und können zur Verwirrung der Gemüter von einfachen Menschen führen, weil er sie auch auf Deutsch gepredigt hat. Auch darin zeigt sich Meister Eckart als Freigeist, indem er vom theologisch-akademischen Ross steigt und sich verständlich in Deutsch, der Sprache des Volkes, ausdrückt.

Dabei betont er, dass bei der spirituellen Suche jeder seinen persönlichen Weg zu Gott finden muss. Für ihn ist jeder Mensch ein eigenes religiöses Subjekt. Eckart geht davon aus, dass Gott nicht irgendwo in einem Jenseits ist, abgegrenzt von der Welt, sondern dass er tatsächlich der Lebensgrund von uns allen ist und deswegen auch tatsächlich in uns allen anwesend ist.

Das heißt dann auch, wenn ich in Beziehung zu Gott treten will, dann muss ich nicht zwangsläufig in die Kirche gehen, um zu beten und seine Nähe zu spüren. Das kann ich prinzipiell überall. Gott ist ja immer mit mir und bei mir in dem, was Meister Eckart Seelengrund nennt.

Das heißt, auch da wendet er sich und da kommen wir dem auch näher, warum er für die institutionelle Kirche auch problematisch ist. Also wenn ich nicht mehr die Kirche als exklusiven Heilsraum brauche, sondern in mir Gott begegnen kann und den unter die Leute bringen kann, dann ist das natürlich schon ein Angriff auf die Notwendigkeit der Heilsvermittlung durch Kirche.

Man soll Gott nicht außerhalb von einem selbst erfassen und verehren, sondern als eigenes, das in einem ist. Zudem soll man nicht dienen und wirken um eines Warum-Willen, weder um Gottes Willen noch um die eigene Ehre noch um irgendetwas sonst außerhalb. Vielmehr allein um des eigenen Seins und des Lebenswillen.

Manche einfältigen Leute wähnen, sie sollten Gott so sehen, als stände er dort und sie hier. So ist es nicht. Gott und ich, wir sind eins. Mit Erkennen nehme ich Gott in mir auf. Mit Liebe trete ich in Gott ein. Gott und ich, wir sind eins in diesem Wirken. Er wirkt und ich werde. Musik

Eckart ist in vielen Welten zu Hause. Leidenschaftlich reist er in seinen Predigten die Zuhörer mit. Doch zweimal hält er auch den Lehrstuhl der Dominikaner an der Pariser Universität der Sorbonne inne. Dort spricht er, wie auch in Köln oder Erfurt, vor theologisch gebildeten Hörern auf Latein. Eckarts Ruf und sein religionsphilosophischer Einfluss reichen bis in die Gegenwart.

Doch ein in sich geschlossenes, widerspruchsfreies philosophisches Konzept wird man bei ihm vergeblich suchen, stellt Christine Büchner fest. Er bleibt in seinem Denken offen und bereit für die Integration neuer Erfahrungen. Es ist bei Eckart wirklich etwas Besonderes, dass seine Texte erkennen lassen, dass er nicht nur selbst die Menschen belehren will, dass er auch von ihnen selbst lernt.

Und insofern können so Sätze vorkommen wie, damals im Kloster X habe ich es so gesagt, heute an dieser Stelle sage ich es aber anders. Also das heißt, er stellt verschiedene Gedanken zu einem Thema nebeneinander und die können sich durchaus auch widersprechen. Das heißt, er lernt von den Kontexten. Es heißt aber auch, er ist deswegen so lernbereit, weil er weiß, dass man Gott kennt.

Und die Beziehung zwischen Gott und Mensch nie vollständig adäquat beschreiben kann, sodass es einmal festgelegt wäre und dann hätte man das.

Wer zum ersten Mal Texte von Meister Eckart liest oder hört, fühlt sich vielleicht verwirrt durch die bis dahin ungedachten Gedanken oder durch seine paradoxe, wortschöpferische Sprache. Der evangelisch-lutherische Theologe Johann Hinrich Clausen hat einen Tipp, wie man sich Meister Eckart am einfachsten nähern kann.

Bei Rudolf Otto, einem großen Religionsphilosophen und Theologen, habe ich einen schönen Hinweis darauf bekommen, wie man sich Meister Eckart nähert. Und zwar hat Rudolf Otto gesagt, am besten nicht gleich auf die schweren Gedanken gehen, sondern gucken, wo das, was er schreibt, eigentlich einfach und schlicht ist und auch jetzt für nicht mystisch spezielle Menschen nachvollziehbar ist. Das fand ich einen schönen Hinweis. Der nimmt ein bisschen die Angst, sich dem großen Meister Eckart anzutun.

und gibt einen kleinen Stups auf etwas zu achten, was ich ganz, ganz wichtig finde. Und das ist das Einfache bei ihm, das Schlichte. Und zwar geht es am Ende doch darum, dass man gelöst im Diesseits ist. Also gelöst sein ist natürlich sehr voraussetzungsreich. Man muss sich von vielen Dingen gelöst haben. Aber dann...

ganz da zu sein im Moment, im Diesseits, nicht darauf hoffen, auf eine Erfüllung, eine Erlösung bloß im Jenseits, nach dem Tod, sondern in dem jetzigen, ganz alltäglichen Leben, das auch gar nicht in einem Kloster stattfinden muss und das auch gar nicht verbunden sein muss mit ganz besonderen asketischen Übungen, besonderen ekstatischen Erfahrungen, die ja nicht jeder hat, sondern das, was eigentlich jeder Mensch in seinem Leben erfahren kann, wenn er sich innerlich löst.

von Dingen, die ihm äußerlich sind und sich selbst auf den Grund geht und dort auf dem eigenen Seelengrund dann eine Gotteserfahrung, eine religiöse Erfüllungserfahrung macht.

die es ihm möglich macht, ganz schlicht einfach da zu sein. Eingebettet in das Verhältnis von Mensch und Gott tauchen bei Meister Eckart sich wiederholende Schlüsselbegriffe auf. Zum Beispiel Gelassenheit, Entwerdung, Abgeschiedenheit, Eigenwillen, Nichtheit, Seelengrund göttlicher Funke oder Gottes Geburt in der Seele.

Diese variiert er in seinen Predigten und theologischen Traktaten in immer neuen Bildern und Zusammenhängen. Wer zum höchsten Adel seines Wesens gelangen will und zur Anschauung des höchsten Gutes, das Gott selber ist, der muss ein Erkennen seiner selbst haben, wie auch der Dinge, die um ihn sind, bis zum Höchsten. Nur so gelangt er zu seiner wahren Lauterkeit. Darum, mein lieber Mensch, lerne du dich selbst erkennen.

Das ist dir besser, als wenn du alle Kräfte der Kreatur kennst. Merke aber noch von der Freiheit des Geistes dieses. Der Geist soll also frei sein, dass er an allen nennbaren Dingen nicht hanget und dass sie nicht an ihm hangen. Ja, er soll noch freier sein, also frei, dass er für all seine Werke keinerlei Lohn erwartet von Gott.

Die allergrößte Freiheit aber soll dies sein, dass er all seine Selbstheit vergesse und mit allem, was er ist, in den grundlosen Abgrund seines Ursprungs zurückfließe. Die auf sich selbst verzichten und Gott also folgen in rechter Vernichtung. Wie könnte Gott es lassen, dass er ihnen nicht seine Gnade in die Seele gösse?

Er gießt seine Gnade in sie und erfüllt sie und gibt sich ihr selber in Gnaden hin und bringt die Seele in die Anschauung seiner Gottheit.

Voraussetzung für die Gottesgeburt in der Seele ist nach Eckart die Abgeschiedenheit. Ein Thema, das ihn zeitlebens beschäftigt. Nur der abgeschiedene Mensch kann Gott in seiner Seele gebären. Das heißt, eine Seele, die von allen Bildern, Vorstellungen, Wünschen, Sehnsüchten und Fixierungen frei und befreit ist. Nun möchtest du fragen, was denn Abgeschiedenheit sei?

Hierzu solltest du wissen, dass rechte Abgeschiedenheit nichts anderes ist, als dass der Geist in allen Zufällen der Liebe und des Leides, der Ehre und der Schande so unbeweglich steht wie ein breiter Berg gegen einen kleinen Wind. Diese Abgeschiedenheit bringt den Menschen in die größte Gleichheit mit Gott, sofern eine Kreatur Gleichheit mit Gott zu haben vermag. Und solche Gleichheit geschieht aus Gnade.

Denn die Gnade zieht die Menschen von allem Zeitlichen ab und läutert ihn von allen vergänglichen Dingen. Und du sollst wissen, Leersein von aller Kreatur ist Gottes Vollsein. Und Vollsein mit aller Kreatur ist Gottes Leersein. Was der Seele an Kräften bleibt, die sie nicht in fünf Sinnen gibt, diese Kräfte gibt sie alle dem inneren Menschen.

Es gibt aber auch so manche Menschen, die verzehren der Seele Kräfte allzumal für den äußeren Menschen. Das sind die Leute, die alle Sinne und Gedanken auf äußere und vergängliche Güter richten, die nichts vom inneren Menschen wissen. Nun sollst du aber auch wissen, dass der äußere Mensch gar wohl in Tätigkeit stehen kann und dabei doch der Innere frei und unbewegt zu sein vermag.

Nun war auch in Christus ein auswendiger und ein inwendiger Mensch. Und doch stand der innere Mensch in unbeweglicher Abgeschiedenheit. Nimm dies zum Ebenbild. Eine Tür geht in einer Angel auf und zu. Nun vergleiche ich das äußere Brett an der Tür dem äußeren Menschen und die Angel vergleiche ich dem inneren Menschen.

Typisch für Eckart ist seine Art und Weise zu lehren und zu predigen.

Wie hier beim Vergleich des inneren und äußeren Menschen findet er immer wieder Gleichnisse und Bilder, die es den Menschen erleichtern, auch die komplexesten gedanklichen Zusammenhänge zu erfassen. Er geht dabei so weit, für bislang Ungedachtes sprachschöpferisch neue Begriffe zu erfinden. Damit wirkt Meister Eckart als Wegbereiter und Vorbild der modernen Poesie bis ins 21. Jahrhundert hinein.

Wenn er von Abgeschiedenheit spricht, klingt das, als solle man sich von der Welt zurückziehen. Genau das ist aber nicht gemeint. Eckart spricht von einer inneren Abgeschiedenheit. Und die Frage ist natürlich dann, wovon soll man sich abscheiden im Inneren?

Und er sagt, wir sollen uns abscheiden von dem, was kreatürlich ist. Und kreatürlich benutze ich immer Synonym zu begrenzt. Konkreter gesagt, könnte man sagen, von allem, bei dem ich denke, ich unterscheide mich dadurch von anderen. Also dadurch, dass ich Professorin bin, dadurch, dass ich so und so viel Geld verdiene, dadurch, dass ich mich ausdrücke,

auch das gehört dazu, auf einen spirituellen Weg vielleicht begebe. Also es geht darum, sich von all diesen Konkurrierenden, dem, wovon ich denke, es würde mich auszeichnen, sich frei zu machen, weil das mich natürlich auf der anderen Seite...

auch unfrei macht, weil ich mich von diesem Außen ständig bestimmen lasse. Die Theologie-Professorin Christine Büchner. Wenn ich mich von dem, was ich so für Ziele habe, abscheiden kann oder Abstand nehmen kann davon, die Dinge immer gestalten zu wollen, dann erreiche ich möglicherweise einen Zustand,

in dem mir etwas aufgeht. Man könnte vielleicht sagen, ein Zustand, in dem ich mich mit allem verbunden und mit Gott verbunden erfahre. Wenn Eckart sagt, es geht nicht um das Haben, sondern um das Sein, legt er die Grundlage für ein Buch des Psychoanalytikers und Philosophen Erich Fromm, das 800 Jahre später zum Bestseller der 1970er Jahre wurde. »Haben oder Sein? Über die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft«.

Eckart hat nichts gegen Besitz oder Karriere. Erst wenn die weltlichen Dinge losgelöst von Gott erlebt werden und sich der Blick nur auf persönliches Ansehen und Karriere richtet, verliert der Mensch den Bezug zu sich selbst und zum Göttlichen. Gelassenheit ist für Meister Eckart der Korrespondenzbegriff zur Abgeschiedenheit.

Sein Verständnis von Gelassenheit hat jedoch nichts mit dem modernen Begriff der Gelassenheit zu tun, also den Herausforderungen des Alltags, entspannt und gelassen zu begegnen, sich nicht stressen zu lassen, immer schön die Ruhe zu bewahren. Der spirituelle Lebensbegleiter und Theologe Markus Röntgen stellt klar, was Eckart unter Gelassenheit versteht. Gelassen kann ich sein, wenn ich in keiner Weise mehr abhängig bin von den Dingen.

Abhängig von den Dingen heißt, irgendetwas in meinem Leben, in der dinglichen Welt oder in der Menschenwelt erhebe ich zu einem Götzen. Dann bin ich ungelassen. Dann bin ich verkeilt und verhaftet und verkettet, wenn ich mich davon lösen kann.

kann ich mich mit und in allen Dingen ganz frei und behende, wie er sagt, bewegen, aber gelassen, dass ich von nichts und niemandem abhängig bin. Dass ich also keiner Tätigkeit, aber auch keiner Befindlichkeit total unterworfen bin. Dass ich zum Beispiel nicht sage...

Das Wichtigste ist Reichtum oder das Wichtigste ist langes Leben oder das Wichtigste ist gesellschaftliche, politische oder wie auch immer geartete Ehre. All das hat eine gewisse Gültigkeit, aber indem ich mich davon innen frei mache,

gebe ich denen allen einen bestimmten, sehr begrenzten Geltungsraum. Dazu braucht es dieses Abgeschiedensein, sich loslösen von dieser Fixierung, innerlich frei werden, aber aus dem tiefsten Grund, weil ich in der Tiefe keine Angst mehr haben brauche, jemals total verloren zu gehen.

Manche Leute wollen Gott mit den Augen ansehen, mit denen sie eine Kuh ansehen, und wollen Gott lieben, wie sie eine Kuh lieben. Die liebst du wegen der Milch und des Käses und deines eigenen Nutzens. So halten es alle Leute, die Gott um äußeren Reichtums oder inneren Trostes willen lieben. Die aber lieben Gott nicht recht. Sie lieben ihren Eigennutz. Du musst dich selbst lassen, und zwar völlig lassen.

Dann hast du recht gelassen. Es kam einmal ein Mensch zu mir und sagte, er habe so große Dinge hinweggegeben an Grundbesitz, an Habe um dessen Willen, dass er seine Seele rettete. Da dachte ich, wie wenig und unbedeutendes hast du gelassen. Es ist eine Blindheit und eine Torheit, solange du irgendwie auf das schaust, was du gelassen hast.

Hast du aber dich selbst gelassen, so hast du wirklich gelassen. Was wir da meinen, der Mensch solle dies fliehen und jenes suchen, etwa diese Städten und diese Menge und diese Betätigung, nicht das ist Schuld, dass dich die Weise oder die Dinge hindern, sondern du bist es vielmehr selbst in den Dingen, was dich hindert. Denn du verhältst dich verkehrt zu den Dingen. Drum fang zuerst bei dir selbst an und lass dich verhalten.

Nun verlangen unsere guten Leute, man müsse dermaßen vollkommen werden, dass einen keinerlei Liebe und mehr bewegen könne und man unberührbar stehe von Liebe wie von Leid. Sie tun darin Unrecht. Ich sage, dass nie ein Heiliger so groß war, dass er nicht hätte bewegt werden können. Auch widerspreche ich dem, dass einen Heiligen nichts mehr von Gott abwenden könne.

Selbst Christus entging dem nicht. Das erwies er damit, als er sprach, »Meine Seele ist betrübt bis in den Tod.« Darum sage ich, den Heiligen hat es nimmer gegeben, dem Schmerz nicht wehe und Freude nicht wohlgetan hätte. Zeilen, die zeigen, dass Eckart kein weltfeindlicher Theoretiker ist, der die Menschen mit unerfüllbar hohen Ansprüchen überfordert.

Abgeschiedenheit bedeutet für ihn nicht, sich von elementaren menschlichen Gefühlen wie Freude, Angst oder Verzweiflung abzuschneiden. Es geht ihm darum, diese Gefühle zu durchschauen und sich nicht von ihnen beherrschen zu lassen, sie loszulassen. Gott ist nicht gut, noch besser, noch allerbest, denn er ist über alles erhaben. Wer sagte, Gott sei gut, der täte ihm ebenso Unrecht,

Wer sinnvoll von Gott reden will, der muss nach Eckart zum Paradoxon greifen, so wie es der heilige Augustinus formuliert hat. Wenn ich es verstehe, dann ist es nicht Gott. Das ist auch für Eckart zentral. So variiert er ständig das Paradox, dass der Mensch nur durch das Aufgeben der äußeren Individualität zu sich selbst kommt.

Ähnliches gilt für die vom Christentum einseitig betonten positiven Eigenschaften Gottes wie Liebe, Güte oder Barmherzigkeit. Diese Eigenschaften demontiert Eckart mit dem Mittel der paradoxen Rede. »Spreche ich ferner, Gott ist Sein, so ist es nicht wahr. Er ist ein überseiendes Sein und eine überseiende Nichtheit.«

Daher sagt Sankt Augustinus, das Schönste, was der Mensch über Gott auszusagen vermag, besteht darin, dass er aus der Weisheit des inneren Reichtums schweigen könne. Schweige daher und klaffe nicht über Gott, denn damit lügst du. Auch erkennen sollst du nichts von Gott, denn Gott ist über allem erkennen.

Du sollst ganz deinem Dasein entsinken, und es soll dein Dein in seinem Sein ein Mein werden. Wovon immer man sagt, dass Gott es sei, das ist er nicht. Was man nicht von ihm aussagt, das ist er eigentlicher als das, von dem man sagt, dass er es sei.

Die Theologieprofessorin Christine Büchner erläutert, was es aus ihrer Sicht mit den Paradoxien in der Mystik auf sich hat. Paradoxe Rede ist kennzeichnend für die mystischen Traditionen. Meister Eckart ist ganz besonders beeinflusst von der Tradition der sogenannten negativen Theologie, die eben genau davon ausgeht,

dass alles, was wir über Gott und wenn die Welt von Gott ist, dann auch über die Welt aussagen, immer begrenzt, beschränkt ist. Weil alle Begriffe, die wir haben, alle Bilder, die wir haben, die haben wir eben nur aus dieser endlich bedingten Lebenswelt. Und deswegen können sie Gott natürlich nicht gerecht werden. Also eine traditionelle Aussage über Gott wäre natürlich, er ist gut, er ist Liebe und so weiter.

Aber damit habe ich immer im Kopf das, was ich sozusagen selbst unter Menschen erlebt habe als gut oder Liebe. Und deswegen muss Eckart sozusagen zugleich sagen, Gott ist gut, aber er ist auch nicht gut oder er ist nicht Liebe. Oder er treibt es eigentlich auf die Spitze. Er sagt an einer Stelle auch mal, wir sollten Gott lieben, wie er ein Nichtgott ist. Heißt, erst als Nichtgott ist Gott eigentlich wirklich Gott. Denn wenn ich sage Gott, dann grenze ich ihn schon wieder gegen die Welt ab.

Aber Gott ist eben nicht abzugrenzen oder nicht festzulegen und von anderen zu trennen. Und genau darin besteht seine Göttlichkeit. Eckart treibt seine neuen Begriffe und Bilder auf die Spitze, bis er zum Abgrundwort kommt. Lange vermeidet er es, bis es dann doch fällt. Das Nichts. Schritt für Schritt löst er alle Sicherheiten auf, bis nichts mehr da zu sein scheint.

Vorsichtig führt Eckart die Menschen an den Rand des Abgrunds. Nicht destruktiv, sondern aufbauend und angstnehmend. Dieses Abgrundwort nichts, was viele Menschen mit einem Horror-Vakui erfüllt, weil es scheinbar ja alles destruiert, ist bei Eckart eher ein Fund, eben etwas in seiner Erfahrungserkenntnis zu schützen, was Gott vor jeder Verdinglichung schützt.

Es hat aber nichts von diesem vernichtenden Nichts an sich, sondern ich versuche jetzt mal ein Wort dafür zu finden, es ist eher ein wärmendes Nichts, wenn ich das so sagen darf. Also er würde sagen, dieses Nichts ist das entsprechende, leuchtende Gegenwort zu dem Alles und zu erfahren, dass sich in diesem Nichts quasi alle Worte verändern,

enthalten sind, so wie man sagen könnte, alles und nichts, wie in den Nichtfarben Schwarz und Weiß, die im Grunde dann auch alle Farben in sich bündeln. Wenn er eine paradoxale Spitzenformulierung gefunden hat, dann sagte er, »Letzthin sagte ich, Gott ist das Sein. Heute sage ich besser, Gott ist eine überseiende Nichtheit.«

Und er drückt damit aus, dass ein solches mystisches Denken immer zutiefst übergänglich sein muss. Nie sagen kann, jetzt haben wir es. Gott ist alles und nichts. Solche paradoxalen Formulierungen wie Gott ist alles und Gott ist nichts, man könnte auch sagen dialektische Formulierungen, die finden wir häufig.

Das geht natürlich aus von diesem Gedanken, dass von Gott tatsächlich nichts ausgeschlossen ist. Ein Begriff, den Eckart prägt für Gott, ist Negation Negationis, also Negation von Negation. Und insofern funktionieren Gegensätzlichkeiten nicht mehr, wenn diese Wirklichkeit wirklich eben alles und nichts umfasst. Musik

Im Zentrum von Eckarts Lehren und Erleben steht Gott und seine Beziehung zur menschlichen Seele. Er spricht von der Gottesgeburt im Menschen und verwendet dabei etliche Metaphern oder Begriffe wie Seelengrund oder göttlicher Funken.

Christine Büchner? Der Funke, könnte man sagen, ist das, was den Menschen über sich selbst hinausbringt. Also der ihn mit Gott verbindet. Aber auf der anderen Seite sagt eben Eckart auch zu diesem Funken oft Grund. Also es ist eine Bewegung auf der einen Seite vielleicht in die Höhe, aber auf der anderen Seite eben auch in die eigene Tiefe, wo ich dann diesen Gott finde. Und damit das, was mir auch Fundament gibt. Er geht ja davon aus, dass...

ich mich so für Gott öffnen kann, dass ich ihn in mir finde. Und wenn das so ist, wenn ich eine solche Gottesbeziehung habe, dann kommt Gott durch mich sozusagen zur Wirkung in der Welt. An einer Stelle sagt er auch mal, Gott wirkt und ich werde. Also wenn ich versuche, die Dinge zu tun aus bestimmten Zielen heraus, dann kann es eigentlich immer nur misslingen. Aber wenn ich das sein lasse und mich ganz auf Gott öffne,

dann werde ich zum Ausdruck Gottes in der Welt. Also parallel, wie wir es traditionell von Jesus Christus gedacht haben. Und das ist natürlich ein ganz starker Gedanke. Dann ist das, was wir tun, auch höchst relevant. Denn kann Gott in der Welt, in den Menschen nicht ankommen ohne uns. Eckart ist der Ansicht, dass Gott sich schon immer auf den Menschen zubewegt. Es liegt also an uns, an den Menschen, ob er auch ankommt, ob er Ausdruck findet in uns und in der Welt. Und insofern ist natürlich Gott abhängig vom Menschen.

Gott ist allzeit bereit, wir aber sehr unbereit. Gott ist uns nahe, wir aber sind ihm fern. Gott ist drinnen, wir aber sind draußen. Gott ist in uns daheim, wir aber sind in der Fremde.

800 Jahre später heißt es, analog dazu in dem Song des schwarzen Soul-Sängers Stevie Wonder, »Heaven is ten zillion light years away«. »Sie sagen, dass der Himmel zehn zillionen Lichtjahre entfernt ist, und nur die, die reinen Herzens sind, werden eines Tages auf seinen heiligen Straßen wandeln. Sie sagen, dass der Himmel zehn zillionen Lichtjahre entfernt ist, aber wenn es wirklich einen Gott gibt, dann brauchen wir ihn jetzt.«

Wo ist denn dein Gott? Das fragen mich meine Freunde. Und ich sage, er braucht so lange, um uns zu erreichen, weil wir uns so weit weg bewegt haben. Nun merket, wie die Seele zu ihrer höchsten Vollendung kommen kann. Wenn Gott in die Seele getragen wird, dann entspringt in der Seele ein göttlicher Liebesquell. Der treibt die Seele wieder in Gott zurück, sodass der Mensch nichts mehr wirken kann, denn geistliche Dinge entstehen.

O Wunder über Wunder, wenn ich an die Vereinigung denke, die die Seele mit Gott hat. Er macht die Seele freudewonig aus sich selber fließen und alle nennbaren Dinge genügen ihr nicht mehr. Ja, sie genügt auch sich selber nicht. Der göttliche Liebesquell strömt auf sie über und reißt sie aus sich selber hinüber in ihren ersten Ursprung. Allein Gott allein.

In ihm kommt die Seele zu ihrer höchsten Vollendung. Dies Ineinanderfließen in der Gottheit ist ein Sprechen sonder Wort und sonder Laut, ein Hören sonder Ohren, ein Sehen sonder Augen. Ich habe zuweilen von einem Lichte gesprochen, das in der Seele ist. Das ist ungeschaffen und unerschaffbar.

Dieses nämliche Licht pflege ich immer zu, in meinen Predigten zu berühren. Und dieselbe Licht nimmt Gott unmittelbar, unbedeckt, entblößt auf, so wie er in sich selbst ist. Darum sage ich, wenn sich der Mensch abkehrt von sich selbst und von allen geschaffenen Dingen, soweit du das tust, soweit wirst du geeint und beseligt in dem Fünklein in der Seele, das weder Zeit noch Raum je berührte.

Ebenso sage ich von dem Menschen, der sich zunichte gemacht hat in sich selbst, in Gott und in allen Kreaturen. Dieser Mensch hat die unterste Städte bezogen und in diesen Menschen muss sich Gott ganz und gar ergießen. Oder er ist nicht Gott. Musik

Gott dringt nach Eckart nicht invasiv von außen in den Seelengrund des Menschen ein, sondern der Mensch entledigt sich aller äußeren Dinge und Vorstellungen, um seinen innersten Grund, in dem Gott schon immer anwesend ist, so zu öffnen, dass sich die mystische Einheit von Mensch und Gott vollziehen kann. Denn solange dieses Er und dieses Ich nicht mehr in der Welt sind,

das heißt Gott und die Seele, nicht ein einziges Hier und ein einziges Nun sind, solange könnte dieses Ich mit dem Er nimmer wirken noch eins werden.

Über das Leben Meister Eckharts und seine monastische Lebensweise ist nur wenig bekannt. Grob dokumentiert sind nur die unterschiedlichen Stationen seines Lebens. 1311 lehrt er wieder ein Jahr an der Pariser Sorbonne. Ab 1313 scheint er sich fast zehn Jahre als Generalvikar im Straßburger Dominikanerkloster aufzuhalten.

Zehn Jahre später wirkt Eckart dann als Professor für das Studium Generale an der Kölner Dominikaner Hochschule. Dann ein radikaler Einschnitt. Zwei seiner Mitbrüder, selbst Mönche, wenden sich an den Erzbischof von Köln und denunzieren Eckart als Heretiker.

Der Kölner Erzbischof übergibt den Fall der Inquisition. Die meisten Kirchenfunktionäre sehen den Ort Gottes in der Kirche und nicht wie Eckart in der Seele des Menschen. Um nicht als Ketzer verurteilt zu werden, widerruft Eckart, verbindet das aber geschickt mit einer Erklärung, dass man ihn offensichtlich übel missverstanden hätte.

Die päpstliche Bulle, die 28 Sätze des Doktors und Professors der Heiligen Schrift verdammt, wird erst nach seinem Tod veröffentlicht. Meister Eckart stirbt wahrscheinlich im Jahr 1327 in Avignon. Wie radikal er das dogmatische Gottesbild der katholischen Kirche infrage stellt, zeigt besonders eindrucksvoll Satz 9 der vom Papst verurteilten Sätze. Ich habe neulich darüber nachgedacht,

Was Eckart von anderen Mystikern und Mystikerinnen unterscheidet, ist,

Sein spiritueller Weg der Gottesgeburt in der Seele des Menschen zielt weniger auf eine einzelne extatische Erleuchtungserfahrung. Ihm geht es vielmehr um eine dynamische Transformation des Menschen im Alltag, die er in den berühmten Aphorismus fasst. Ein Lebemeister ist mehr denn tausend Lesemeister.

Es gibt bei anderen Mystikern, Mystikerinnen Techniken auch. Wegstufen, das finden wir bei ihm kaum. Das Einzige, was er ablehnt, ist, andere Wege zu verachten oder sowas. Oder zu sagen, nur mein Weg ist gut. Und es ist vielleicht aber auch das, was diese Texte von Eckart bis heute so attraktiv macht.

dass sie so wenig festlegen und deswegen immer wieder von ganz verschiedenen Seiten Anknüpfmöglichkeiten zulassen. Natürlich ist vieles, was Eckart hervorhebt, auch schon anderswo geschrieben. Wir finden einiges auch natürlich neutestamentlich, biblisch. Also wer seine Seele oder sein Leben retten will, wird es verlieren. Wer es aber um meinetwillen verliert, wird es finden. Das ist Matthäus' Evangelium. Das ist ein Satz, der auf den ersten Blick lebensnegierend wirkt.

Also dieser Satz führt auf der anderen Seite hinein in ein Leben, wie wir es uns ja eigentlich alle wünschen würden. Dass wir selbst für den anderen da sein könnten, weil auch die anderen für uns da sind sozusagen. Es geht eigentlich darum, dass wir unser Ineinander, unser Bezogensein aufeinander realisieren.

Am Ende der Vorstellung des bekanntesten christlichen Mystikers steht ein Gedicht aus dem Umfeld Eckarts. Einige renommierte Eckart-Forscher schreiben es dem Meister selbst zu. Hier die beiden letzten Strophen des Gedichts »Granis Sinapis« vom Senfkorn, die in poetischer Verdichtung Eckarts Lehren zusammenfassen. »Werde wie ein Kind, werde taub, werde blind. Dein eigenes Sein muss nichts werden.«

Alles etwas, alles nichts treibe hinweg. Lass Ort, lass Zeit, meide auch das Bild. Geh ohne Weg den schmalen Steg, so findest du der Wüste Spur. Meine Seele geh aus, Gott geh ein. Sink all mein Etwas in Gottes Nichts. Sinke in die grundlose Flut. Flieh ich von dir, kommst du zu mir. Verliere ich mich?

So finde ich dich, o übersehendes Gut. Manchmal stehen wir auf, stehen wir zur Auferstehung auf, mitten am Tage, mit unserem lebendigen Haar, mit unserer atmenden Haut. Nur das Gewohnte ist um uns, keine Fata Morgana, mit weidenden Löwen und sanften Wölfen. Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken, ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus und dennoch leicht.

Und dennoch unverwundbar, geordnet in geheimnisvolle Ordnung, vorweggenommen in ein Haus aus Licht. Im dritten Kapitel der Langen Nacht geht es darum, wie mystische Einflüsse ein neues literarisches Sprechen über Gott angeregt haben. Dabei taucht manchmal ein überraschender Zusammenhang zwischen den Lehren Meister Eckhards und religiöser Gegenwartsliteratur auf.

Entweder im Sinne einer direkten Rezeption, wie bei John Fosse, oder als Befreiung von alten Sprach- und Denkmustern. Mystik ist kein in sich geschlossenes religiös-philosophisches System, sondern hat viele Facetten.

Deshalb zeigt sie sich in der Suchbewegung moderner Schriftsteller auch unterschiedlich. Anders als die christliche Literatur aus der Mitte des letzten Jahrhunderts hat sich das neue Schreiben von religiösen Dogmen verabschiedet und die klassischen Vorgaben wie Reim, Rhythmus und Strophe gesprengt.

Der Schriftsteller Henning Zibritski entwirft in dem Essay »Experimente mit dem Echolot« anregende Bilder zum Verhältnis von Religion und moderner Lyrik. Die moderne Lyrik ist ein Echolot für Religion.

Die Lyrik im 20. und 21. Jahrhundert ist ein Schiff, das in den Wassern der Moderne mit einem Schallsender den Meeresboden anpeilt und durch den Widerhall Informationen über den Grund empfängt.

Schätze und Leichen aus vergangener Zeit, Meerestiere, unbekannte Objekte, Wracks, feindliche Boote, etwas von der Gestalt einer Telefonzelle. Die Allegorie findet allerdings ihre Grenze, weil das Schiff der modernen Poesie nur aus Sprache besteht und sich in der Beziehung von Schall und Widerhall zum Grund selbstständig erneuert.

Anders gesagt, die Reflexionen, die die moderne Poesie vom Grund der menschlichen Existenz erhält, gehen in ihre Gestalten ein und geben ihnen ihre Kultur und Bedeutung. Das Lyrikschiff sondiert den religiösen Grund menschlicher Existenz. Für das Verhältnis von Religion und moderner Lyrik bedeutet das,

Moderne Lyrik thematisiert Religion, indem sie die letzten Fragen, die Widersprüche der menschlichen Existenz, in Vers und Bild formuliert. Die Poeterei ist anfangs nichts anderes gewesen als eine verborgene Theologie und Unterricht von göttlichen Sachen. Der Barockdichter Martin Opitz, 1642. Religion und Lyrik verhalten sich sehr

Für mich wie schwierige Schwestern oder Zwillingsschwestern könnte ich fast sagen. Der ganze Anfang von Literatur, aber auch von Kult ist von einer untrennbaren Verbindung der beiden bestimmt. Also Literatur und Religion. Und dann sind sie größer geworden, haben eine Adoleszenz erlebt und unterschiedliche Wege eingeschlagen. Und dann hat sich vor allen Dingen die Literatur, die Lyrik verändert.

emanzipiert von den Vorgaben der institutionalisierten Religion. Aber wenn Schwestern größer werden und reifer werden, dann schauen sie auf manchen Konflikt auch vielleicht nochmal anders und begegnen sich neu. Und ich finde, dass in der Spätmoderne es doch ganz viele Autoren und Autoren gibt, die ein ganz neues Interesse, ein unbefangenes Interesse an religiösen Fragestellungen haben.

Was nicht heißt, dass sie dann sozusagen in die Religiosität ihrer Kindheit oder ihres Ursprungs zurückkehren, aber doch nach neuen Verbindungen suchen. Noch stärkere Macht als in Kraut und Stein liegt in dem Wort. Bei allen Völkers gehen aus ihm Fluch oder Segen hervor. Es sind aber gebundene, feierlich gefasste Worte, wenn sie wirken sollen, erforderlich.

Darum hängt alle Kraft der Rede, deren sich Priester, Arzt und Zauberer bedienen, mit den Formen der Poesie zusammen. Heißt es in Jakob Grimms »Deutsche Mythologie«. Das Wunder bei Meister Eckart ist ja doch, wie intensiv er über die Jahrhunderte bis heute gewirkt hat, obwohl er ja nun nicht der einfachst zu lesendste Autor der Weltgeschichte ist.

Was ich eben besonders interessant finde, warum er heute noch nachdenkliche Lyrikerinnen und Lyriker anspricht. Und das hat ganz wesentlich damit zu tun, dass er sozusagen Klischeevorstellungen eines über der Welt drohenden Gottes infrage stellt. Das ist ja so eine Form von, ihn in bestimmte feste Bilder von Herrschaft und Macht einzupressen.

Das lassen wir hinter uns aus vielen Gründen und suchen nach anderen Gottesbildern, die jetzt den Gottesbegriff nicht einfach aufgeben, aber doch viel zarter und weicher sind als so ein dogmatischer Theismus. Und dieses eben, um sich selbst besser zu verstehen, weil das, was das Göttliche ist, ja ganz wesentlich mit sich selbst zu tun hat, mit der eigenen Seele. Und das etwas nicht ist, was man ganz in externen Erfahrungen bekommt, sondern im eigenen Seelengrund, also in dem eigenen Seelengrund.

Das ist, glaube ich, etwas, was religiös-musikalische Menschen heute bewegt. Und dafür ist Meister Eckart doch irgendwie wie ein ferner Freund und Verbündeter, der ebenfalls versucht hat, so etwas auszudrücken und so etwas zu verstehen. Musik

Eines der beeindruckenden Beispiele, wie Meister Eckart in die literarische Gegenwart des 21. Jahrhunderts hineinreicht, ist das des norwegischen Schriftstellers Jon Fosse. Im Dezember 2023 erhielt Fosse den Nobelpreis für Literatur mit der Begründung, sein innovatives Schreiben gebe dem Unsagbaren eine Stimme.

Schon lange hat kein spiritueller Schriftsteller mehr den Nobelpreis erhalten. Sein Bekenntnis zur Transzendenz irritiert manche Literaturkritiker. Man liebt ihn oder man lehnt ihn ab. Auch mit herabsetzenden Bemerkungen wie »Der Nobelpreisträger mit dem Rosenkranz-Tick«.

Fosse ist einer der erfolgreichsten europäischen Schriftsteller und Dramatiker. Er schrieb über 30 Theaterstücke, viele Romane, Erzählungen, Gedichte, Kinderbücher und Essays. Sein Schreiben ist wie ein unendlicher Bewusstseinsstrom, der sich in einer kreisenden Sprache aus dem Inneren der Protagonisten ergießt. So auch in dem Roman »Ich ist ein Anderer«.

Ich denke, wenn ich absolut alleine bin in meiner Dunkelheit, in meiner Einsamkeit, denn um die Wahrheit zu sagen, ist es wohl Einsamkeit. Und wenn ich so still bin, wie ich nur kann, dann ist mir Gott am nächsten. Gott verbirgt sich die ganze Zeit. Ja, es ist so, als würde er sich zeigen, indem er sich verbirgt und umgekehrt. Ja, je mehr er sich zeigt...

oder gezeigt wird, je mehr er angeblich so oder so ist, umso mehr verbirgt er sich, denke ich. Ja, dass Gott sich offenbart, indem er sich verbirgt. Und in dieser Verborgenheit Gottes, in der Gottesverborgenheit, kann ich mich selber verbergen und vergessen. Und zwar nur dort, denke ich. Und das ist nicht zu begreifen. Es geht über alle Begriffe ab.

Doch wenn einer begreift, dass er Gott nicht begreifen kann, da begreift er ihn. Das klingt sehr nach Meister Eckart. Und in der Tat bekennt sich John Fosse zu seiner Liebe zum großen Mystiker des Mittelalters. In einem Interview mit der österreichischen Wochenzeitung Der Sonntag hat der Schriftsteller am 24. November 2024 seine spirituelle Entwicklung und den Einfluss Eckarts auf sein Leben und Schreiben zusammengefasst.

Ich verließ die norwegische Kirche mit 16 Jahren und war einige Jahre lang Atheist. Dann kam ich in diesen Prozess des Schreibens, bei dem mir etwas einfiel und ich nicht wusste, woher meine Worte kamen. Ich konnte es nicht erklären, zumindest nicht auf materialistische Weise. Mein Geist öffnete sich für das, was man die unsichtbaren Dinge nennt oder die spirituelle Seite des Lebens.

An einem bestimmten Punkt begann ich, eine Art Beziehung zu dem zu erleben, was ich Gott zu nennen wage. Ich begann, diese Präsenz und die Distanz von etwas zu spüren, das ich Gott nenne. Ich hatte das Bedürfnis, Menschen zu treffen, denen es auch so erging, und wurde ein Suchender. Ich bin schon damals in katholische Messen gegangen, aber zuerst landete ich bei den Quäkern.

Bei den Quäkern sitzt man einfach im Kreis. Du schweigst. Du versuchst dich auf das innere Licht Gottes in dir zu konzentrieren und dem so nahe wie möglich zu kommen. Sie haben keinen Priester, keine Dogmatik, nichts. Es gibt nur diesen gemeinsamen Kreis. Dann habe ich viel von Meister Eckart gelesen. Er hat im 14. Jahrhundert geschrieben und mich sehr angesprochen. Eckart war Dominikaner und ein verurteilter Heretiker.

Und natürlich bin auch ich ein Heretiker. Schon in meinem ersten Theaterstück gab es eine religiöse Dimension. Man kann es so sagen: Ich bin Mystiker. Ganz einfach. Für mich hat diese mystische Seite mit dem Prozess des Schreibens zu tun, mit dem, was mein Schreiben sagt, in einer leisen Sprache, und was sehr reduziert und falsch würde, wenn ich es in theoretischer oder alltäglicher Sprache sage.

Ion Fosse weicht den Schattenseiten der Existenz nicht aus. Sein Werk ist von einer gewissen Dunkelheit durchzogen. Doch zwischen den Zeilen scheint oft ein hoffnungsvolles Leuchten auf. Für den Schriftsteller ist das Durchleben von Einsamkeit und Leere kein Widerspruch zum Gefühl des Aufgehobenseins in einem Ganzen.

Für Fosse verläuft der Zugang zum Göttlichen im ersten Schritt meist über die Erfahrung von Einsamkeit und Leere. Damit greift er einen Grundgedanken der Mystik auf. Auch bei Meister Eckart führt der Weg zum Göttlichen meist über die sogenannte Via Negativa, über das Scheitern aller Versuche, des Göttlichen habhaft zu werden. Davon spricht auch Fosses Protagonist, der Maler Asle, in dem Roman »Der andere Name«.

Das Einzige, was ich nach all der Zeit so ungefähr kann, ist malen. Ja, ich muss ein Bild nach dem anderen malen. Und wenn ich nicht male, sitze ich oft stundenlang da und starre ins Leere, ins Nichts.

Ja, ich kann lange Zeit da sitzen und vor mich hinstarren, ins Leere, ins Nichts. Und es ist so, dass aus dem Leeren, aus dem Nichts etwas kommen kann, als ob aus dem Nichts etwas Wirkliches kommen könnte. Es kann etwas kommen, das viel zu besagen hat, und was da gesagt wird, kann zu einem Bild werden. Oder ich sitze nur da und schaue leer vor mich hin und werde einfach ganz leer und werde ganz still.

Und diese leere Stille nenne ich immer meine wahrhaftigsten Gebete. Ja, dann ist Gott am nächsten. Denn in der Stille ist Gott zu hören und im Unsichtbaren ist er zu sehen. Vosses Romanfiguren versuchen in schwierigen Zeiten Trost und Zuversicht zu finden. Eine Trauer wallt in mir auf von irgendwoher, von überall her.

»Und es ist, als würde diese Trauer mich ersticken, als ob ich diese Trauer einatmen würde und es nicht schaffen würde, die wieder auszuatmen. Und ich falte die Hände, und ich atme tief ein, und ich sage in mir drinnen Kyrie, und ich atme langsam aus und sage Eleison, und ich sage es immer wieder, und der Atem und die Wörter machen, dass ich nicht mehr von Trauer erfüllt bin.«

Ich spüre, dass die jähe Trauer, die jähe Angst, die in mir auffällt, kleiner wird und ich werde größer. Und ich denke, ich bin ganz und gar lächerlich. Könnte mich jemand sehen, er würde sich schief lachen. Denn in einem Auto in einer Ausfahrt zu sitzen und Kyrie Eleison, Christe Eleison zu sagen, das ist zum Lachen, sonst nichts. Aber sollen sie ruhig lachen, denn es hilft, es hilft. Fosse bezeichnet sich ausdrücklich als Christ.

Er besucht regelmäßig die Messe und betet täglich den Rosenkranz und das Vaterunser auf Latein. 2013 konvertiert der Schriftsteller zum Katholizismus, wobei er kein konfessioneller Autor im üblichen Sinne ist, denn seine geistige Heimat, die Mystik, hat immer etwas Überkonfessionelles an sich.

Seit Vossel 2023 den Nobelpreis erhielt, hat er sich noch stärker aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. In einem seiner seltenen Hörfunkinterviews hatte er im Jahr 2015 bei Deutschland Radio Kultur auch über seinen Glauben gesprochen. Man muss in einer allegorischen Weise die Bibel lesen und den Glauben wie ein Mysterium erleben.

nicht als weltliches Faktum. Es ist ein Mysterium, nicht eine Art von Faktizität. Seit den 80er-Jahren habe ich viel Meister Eckart gelesen und ich habe gedacht, könnte er Katholik sein, dann kann ich es auch sein. So einfach kann ich es auch sagen. Musik

So weißt du, dass es das Unbegreifliche gibt, das alle begreifen. Denn das Gesagte ist immer das Gegenteil. Aber genau dann ist es da. Dann begreifen wir. Dann sind wir umgekehrt zugegen in der feinen Regendunkelheit im schwarzen Regenlicht.

Das Gedicht von Fosse, in dem er über das Unbegreifliche schreibt, das alle begreifen, das aber immer nur in seinem Gegenteil da ist, zeigt ein grundlegendes Motiv, das ihn umtreibt. Nämlich die Gleichzeitigkeit von Anwesenheit und Abwesenheit des Göttlichen. Es bleibt das Unbegreifliche, es lässt sich niemals ganz erfassen. Es ist immer noch so, dass es sich um die Unbegreiflichkeit handelt.

Es ist immer nur in seinem Gegenteil da. Aber genau dann ist es da, heißt es bei Vosse. Im Dezember 2023 erschien die deutsche Übersetzung einer kleinen Erzählung Vosses mit dem Titel Einleuchten. Die Erzählung beginnt mit einem Motiv, das aus der Literatur um 1800 sehr bekannt ist. Einem Aufbruch ins Ungewisse.

Der Protagonist hat keine Ahnung, wohin die Fahrt geht. Irgendetwas treibt ihn an, aber er weiß nicht was, er weiß nicht, wo es hingeht. Und dann bleibt sein Wagen in einem verschneiten Wald stecken. Er steigt aus. Ich stehe da und blicke in die undurchdringliche Dunkelheit vor mir. Und ich sehe, dass die Dunkelheit sich ändert. Nein, nicht die Dunkelheit selbst, sondern die Dunkelheit der Welt.

sondern etwas in der Dunkelheit zeichnet sich ab und kommt mir entgegen. Etwas kommt mir entgegen und vielleicht ist das ein Mensch. Aber es kann kein Mensch sein. Unmöglich kann das ein Mensch sein. Nicht jetzt, nicht hier. Es ist jetzt so dunkel, wie es nur sein kann. Und vor mir sehe ich den Umriss von etwas, das einem Menschen ähnelt. Ein weißer Umriss, leuchtend. Und ich glaube, er kommt auf mich zugegangen.

Aber was heißt, auf mich zugegangen, er geht ja nicht. Aber was ich da sah, konnte nicht wirklich sein. Hatte ich jetzt etwa Halluzinationen? War die weiße Gestalt nicht wirklich? Vielleicht konnte ich sie vorsichtig anfassen, um das herauszufinden. Aber man kann so ein Leuchten wahrscheinlich nicht anfassen. Einfach ganz still stehen. Der Umriss von dem, was ein Mensch sein muss, kommt immer näher.

Aber jetzt sehe ich, dass der Umriss mehr zu einem weißen Feld geworden ist. Ja, einem Feld. Und dieses Feld dehnt sich immer weiter aus. Aber dann kann es keinesfalls ein Mensch sein. Nicht hier im Wald, nicht jetzt, in der Dunkelheit am Abend. Das Leuchten, dem Vosses Protagonist im Lauf der Erzählung im Wald begegnet, kann als göttliche Erscheinung gelesen werden. Es beginnt irgendwann zu sprechen und sagt...

Ich bin der Ich Bin. Es benutzt also die Selbstbezeichnung Gottes aus der Exodus-Erzählung. Der Protagonist sagt dann interessanterweise, das habe er ja schon irgendwo einmal gehört, aber er wisse gar nicht genau wo.

Auch hier ein Motiv, das die Erzählung durchzieht. Niemals wird völlig klar, was es mit dem Leuchten auf sich hat, ob es ein äußeres Ereignis ist oder ein inneres Erlebnis oder gar eine Halluzination. Fosse überlässt seinen Leserinnen und Lesern diese Entscheidung. Analog zu Meister Eckarts Sprechen über Gott. Das Jenseits von Entweder-Oder zwischen Gott ist alles und nichts changiert.

Gott ist so fern, dass man nichts über ihn sagen kann, und darum sind alle Vorstellungen, die man sich von Gott macht, falsch. Und zugleich ist er so nah, dass wir ihn auch fast gar nicht merken können. Denn er ist der eigentliche Grund im Menschen, oder auch Abgrund, denke ich, und ich denke oft daran wie an mein innerstes Bild, und es ist immer ebenso richtig oder falsch, egal wie man es nennt.

Oder ich denke daran, als an Gottes leuchtendes Dunkel in mir, ein Dunkel, das auch Licht ist und das auch ein Nichts ist. John Voss' Werk ist nicht nur deutlich von Meister Eckart geprägt, sondern er sieht sich auch selbst als Mystiker.

Bei anderen ist der Einfluss der Mystik dezenter. So behält der Dichter Michael Krüger bei aller Nähe zur Mystik eine gewisse skeptische Position und bewahrt sich seine Neigung zu Spott und Ironie. Krüger gilt als eine der vielseitigsten Erscheinungen im deutschen Literaturbetrieb. Er war 36 Jahre Leiter des Münchner Hansa-Verlags und schreibt seit 1976 selber Romane, Erzählungen und Gedichte.

Wenn Krüger bis zum Beginn der 1990er Jahre Religion, Gott und Transzendenz thematisiert, dann eher am Rande. In seinen Gedichten zeigt sich eher religiöse Skepsis, wie in den folgenden Zeilen. Die Gebete, die wir in den Himmel rufen, kommen unerhört zurück. Fühlt Gott sich nicht wohl unter Sündern?

Seit Beginn der 1990er Jahre gibt es eine bemerkenswerte Entwicklung. Michael Krüger dehnt seine diskrete Welterforschung auf Fragen der Transzendenz aus und liest die Schriften der christlichen Mystiker.

Ich glaube, dass jeder, der sich mit Poesie beschäftigt, irgendwann auf die Frage stößt, wie man das Problem der Schöpfung, dessen, was uns umgibt und in dem wir leben, wie man das bezeichnet und mit welcher Bedeutung man es auflädt. Wir haben uns erhoben, wir wollten weit sehen, aber wir haben den Blick nach oben verloren gesehen.

Die Frage ist eben, wie man dieses Oben bezeichnet, wie man dieses Oben bewertet. Bedeutet das etwas für einen im Alltag oder ist das etwas Entferntes, mit dem wir eigentlich nichts zu tun haben? Ob man das Gott oder eine Gottesschöpfung nennt, das spielt eigentlich keine Rolle.

Wer sich mit Poesie beschäftigt, ist natürlich ununterbrochen mit diesen Problemen beschäftigt. Denn die erste große Poesie waren die Psalmen. Und die Psalmen sind ein unglaublich schöner Gesang. Und er steht am Anfang der Poesie und eigentlich hat nie eine andere Poesie diese Schönheit wieder erreicht. Welche Gottesnähe war da am Werk, um einen solchen Gesang zu erschaffen?

Krüger schreibt keine christliche Literatur. Zweifel und Distanz ziehen sich genauso durch sein Werk wie das Bekenntnis zur Spiritualität. Manchmal taucht dabei auch der Begriff Gott auf. In dem Gedicht »Auf freier Strecke« betrachtet Krüger angesichts des außerplanmäßigen Hals eines Zuges die Landschaft. »Man kann sich gut vorstellen, dass hier noch an Gott gedacht wird, an den keiner mehr glauben will.«

Ein Brombeergott, ein Gott der Kletten, den keine Sünde reizen kann.

Kein Theologe würde mit dem Brombergott sehr viel anfangen können, weil der als solcher nicht in der Bibel vorkommt und in der ganzen Exegese keine Rolle spielt. Für mich ist der Brombergott natürlich ein Gott des Landes, aber eben auch ein Gott der Widerhaken. Die Brombeeren haben ja auch Stacheln. Ich finde, der Brombergott ist für meine Vorstellung von einem Gott viel näher und viel unmittelbarer, sichtbarer,

als ein ferner Gott oder ein abwesender Gott. Gestern Abend ging ich, bitte frag nicht warum, in die Kirche im Dorf, hockte mich bibbernd zwischen die alten Leute in eine der engen Bänke und bewegte die Lippen, als hätte ich mitzureden. Es war ganz leicht. Schon nach dem ersten Gebet, wir beteten auch für dich, wuchs mir die Maske des Guten übers Gesicht.

Vorne pickte der alte Pfarrer, ohne eine Lösung zu fordern, wie ein schwarzer Vogel lustlos im Evangelium, schien aber nichts zu finden, uns zu verführen. Kein Leitfaden, kein Trost. Nach einer Stunde war alles vorbei. Draußen lag ein unerwartet helles Licht über dem See und ein Wind kam auf, der mich die Unterseite der Blätter sehen ließ.

Ich glaube, wir gehen nicht in Kirchen nur, um eine besondere Architektur zu sehen, sondern es ist der einzige Raum, der uns geblieben ist, in dem wirklich die große Stille herrscht und auf der anderen Seite diese Stille durchbrochen wird von den alten Texten. Es ist dieses Erlebnis, dass man in einem Kirchenraum sitzt und durch diese Worte mit etwas verbunden wird,

was größer ist als man selber. Wenn man sich an einen Lindenbaum erinnert, dann weiß man, dass die obere Seite und die untere Seite zwei sehr verschiedene Grüns sind. Das ist das Bild, das ich dafür gefunden habe. So hat der Besuch der Messe bei Michael Krüger eine transzendente Wahrnehmung der Natur hervorgerufen. Das unerwartet helle Licht

und die durch den Windhauch plötzlich sichtbare Unterseite der Blätter. Licht und Windhauch wirken wie religiöse Symbole und transzendieren die naturwissenschaftlichen Ursachen von Licht und Wind. Der Besuch von Kirchen wird dem Dichter nicht nur einmal zum grenzensprengenden Erlebnis. In der gotischen Kathedrale von Barcelona hat Michael Krüger eine ungewöhnliche Begegnung. In dem Gedicht »Das Kreuz« erzählt er davon. Musik

In den alten Kirchen im Süden schlage ich manchmal das Kreuz, um das Gespräch mit den Heiligen zu erleichtern. Es wirkt. Ich rede dann lange mit den salpetrigen Engeln, die in den feuchten Ecken leben, in einem Gemisch aus Demut und Orthodoxie. In Barcelona, im Dom, verließ die heilige Milena ihr verstaubtes Fresco. Eine junge Frau, die sich in den Kirchen verliebt hat,

und setzte sich zu mir auf die kalten Marmorstufen des Altars. Wir mussten flüstern. Um uns herum alte Damen, die statt des Rosenkranzes ihre Einkaufsnetze hielten. Es roch nach Minze, Weihrauch, Apfelsinen. Melena zeigte auf einen Wanderer auf einem dunklen Bild, der einen Blitz anstarrte, eine zuckende Natte am Himmel. »Das wirst du sein«, sagte sie, »du wirst diesen Weg gehen müssen«.

Aber keine Angst, ich werde hier auf dich warten. Diese Kirche nun ganz besonders hat kunsthistorische Bedeutung, aber ich bin nicht in der Kirche, um mich architekturhistorisch bilden zu lassen, sondern ich brauchte in dem Moment, der in diesem Gedicht beschrieben wird, irgendwie eine Festigung, eine Stärke. Und in dem Moment, wo ich das Kreuz geschlagen habe, mich da hinsetze und mich sozusagen als Teil darin,

dieses großen Ganzen fühle, in dem Moment kommt eine dieser Heiligen, die sonst an den Wänden als Fresko gemalt sind, zu mir und setzt sich zu mir, um mir ein bisschen die Welt zu erklären. Aber sie möchte nicht

mich wiegen in einer spannungslosen Freude, denn sie weiß, das ist in der Welt nicht mehr zu erwarten, sondern sie möchte mich vorbereiten auf etwas, was schwer zu bewältigen ist. Plötzlich sehe ich jemand auf den Fresken, der sozusagen zurückguckt. Und das ist ja das Schönste überhaupt, was man in der Kirche haben kann.

Offen spricht Michael Krüger über seine spirituellen Erfahrungen. Er schätzt Meister Eckart, aber ein Mystiker sei er nicht, da er nie den Punkt erreicht hätte, von dem Mystikerinnen und Mystiker berichten. »Das Inventar des Himmels ist leer, die Sterne kassiert. Ich wollte dem Kind eine Sternschnuppe zeigen, das schönste geräuschlose Spiel, das ein müder Gott sich erfand. Vielleicht brauchen wir nichts zu wünschen. Vielleicht leben wir schon im Paradies.«

Michael Krüger weiß, wie verschlissen, missbraucht und leergeredet das Wort Gott ist. Man müsse es dennoch gerade heute in der säkularen Welt verteidigen. Gott als Wort und als Bedeutung gehört zu den Dingen, die man schützen muss. Nicht Gott schützt uns jetzt mehr, sondern wir müssen Gott schützen. Das klingt paradox, aber ich meine es so. Wenn man sich ihn vorstellen will,

als einen gütigen Gott, dann muss man ihn schützen in einer Welt, die keine Güte mehr kennt. Ich glaube, ich bin ein religiöser Mensch, auch wenn ich das nicht nach außen hin demonstriere, durch großen Kirchgang, durch besonders frommes Leben usw. Ich meine, es ist notwendig, sich mit diesen Sachen sein ganzes Leben lang auseinanderzusetzen. Und das gilt nicht nur für die schönen Seiten der Religion,

sondern eben auch mit den vollkommen verrückten und maßlosen Seiten. Auch andere Autoren suchen nach einer neuen Form des Sprechens über das Göttliche. Der argentinische Dichter Roberto Juárez setzt dem frommen Glauben an Gott eine Mystik der Verneinung entgegen. Wer ist religiöser? Derjenige, der sich Gott sicher ist oder der, der ihn zweifelnd umkreist?

Die Abwesenheit Gottes bestärkt mich. Ich kann seine Abwesenheit besser anrufen als seine Anwesenheit. Die Stille Gottes lässt mich sprechen. Ohne seine Stummheit hätte ich überhaupt nicht sprechen gelernt. Stattdessen stelle ich jedes Wort in eine kleine Pause der Stille Gottes, auf ein Fragment seiner Abwesenheit.

In Deutschland gehört Lutz Seiler zu den neuen poetischen Gottsuchern. Seine Lyrik pendelt zwischen Witz und spiritueller Luftigkeit. Sonntags dachte ich an Gott, wenn wir mit dem Autobus die Stadt bereisten. Am Löschteich an der Straße stand ein Trafo-Haus und 43 Kabel kamen aus der Luft in dieses Haus aus hartgebrannten Ziegelsteinen.

Dort, im Trafo an der Straße, wohnte Gott. Ich sah, wie er in seinem Nest aus Kabelenden hockte zwischen seinen Ziegelwänden ohne Fenster. Dort, am Grund, im Dunkel an der Straße, hinter einer Tür aus Stahl, saß der liebe Gott. Er war unendlich klein und lachte oder schlief. Götter. Frau Sexton ging aus dem Haus und suchte nach den Göttern.

Sie begann in den Himmel zu schauen, erwartete einen großen weißen Engel mit einem blauen Schritt. Niemand. Sie sah als nächstes in allen gelehrten Büchern nach und die Seiten spuckten sie an. Niemand. Sie pilgerte zu dem großen Dichter und er rübste ihr ins Gesicht. Niemand. Sie betete in allen Kirchen der Welt und lernte eine Menge über die Kulturen. Niemand. Sie ging zum Atlantik, zum Pazifik, da musste Gott doch sein.

Sie ging zum Buddha, zum Brahman, zu den Pyramiden und fand eine Menge Postkarten. Niemand. Dann reiste sie zurück in ihr Haus und die Götter der Welt waren im Badezimmer eingeschlossen. Endlich rief sie aus und schloss die Tür.

Der evangelische Theologe und Lyrik-Liebhaber Johann Hinrich Clausen sieht in der US-Amerikanerin Anne Sexton eine der frühen und wichtigsten Stimmen im Chor der neuen Gottsucher. Sie war die Star-Poetin der amerikanischen Lyrik-Szene in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Künstlerinnen wie Madonna oder Annie Lennox verehren sie noch heute.

Mit schonungsloser Offenheit schrieb sie über ihre psychischen Abgründe und die Suche nach Gott. Sexton erhielt die wichtigste literarische Auszeichnung der USA, den Pulitzerpreis. Eine Frau, die nie studiert hat, die Depressionen und Ängste plagten. Ihre Gedichtbände sind in den USA in einer Gesamtauflage von unglaublichen 500.000 Exemplaren erschienen. Ich erlebe in diesem Gedicht eine große Sehnsucht für

Eine große Sehnsucht nach Gott, nach Erfüllung in der Begegnung mit Gott im Glauben und andererseits eine große Kreativität in ganz neue Sprachbilder zu gießen. Vielleicht hat meine Mutter Gott aus mir herausgeschnitten, als ich zwei war und in meinem Laufstall. Ist es zu spät? Zu spät, die Narbe zu öffnen, ihn neu einzupflanzen? Alles ist Wüste.

Alles ist Heu, verdorrt von zu viel Regen, meinen elenden Tränen. Nach wessen Gott suchst du? fragte der Priester. Ich erwiderte, ein Hungernder fragt nicht, was auf den Tisch kommt. Ich würde eine Tomate essen, einen Feuervogel. Ich würde eine Motte essen, in Essig getränkt. Aber gibt es irgendwo Nahrung? Ist es wahr? Ist es wahr?

Das Gedicht ist, es schlägt einen unendlichen Bogen, bei dem man eigentlich immer denkt, dieser Bogen kann gar nicht halten, der muss zerbrechen.

Das beginnt ja eben mit diesem wirklich schrecklichen ersten Vers. Vielleicht hat mein Muttergott aus mir herausgeschnitten. Das ist eine solche Schärfe und Brutalität oder auch ein Satz wie, alles ist Wüste. Da denkt man natürlich auch an Israel in der Wüste, in der totalen Verlorenheit. Und dann ändert es sich, aber es findet auch wieder eine Anrede. Oh Holz, mein Vater, meine Zuflucht. Es findet dann doch Anrede.

wieder zu einem Gottesverhältnis. Er ist eben nicht restlos aus ihr herausgeschnitten worden, sondern findet in einer ganz neuen Sprachgestalt. Ernst Sexton studiert die indischen Veden, die Schriften Buddhas und christliche Mystiker wie Meister Eckart.

Kaum eine Schriftstellerin der Weltliteratur hat so viele Gedichte mit einem Bezug zu Gott verfasst wie sie. Sie zeigt, wie vielfältig, wie unterschiedlich, wie verrückt crazy und wie großartig man über den Glauben sprechen kann. Und dass das eben jetzt nichts mit konventionellem Frömmigkeitsblabla zu tun hat, sondern dass man, wenn man die Gottesfrage sich im Gedicht stellt, zu ganz anderen Aufschwüngen oder zu ganz anderen Tiefenbohrungen gelangen kann. Musik

Gott schlurft im Himmel umher, ohne jede Form. Dabei möchte er bloß seine Zigarre rauchen oder an den Fingernägeln kauen und dergleichen. Gott hat den Himmel, sehnt sich aber nach der Erde. Die Erde mit den kleinen, lauschigen Höhlen. Dem Vogel, der am Kaminfenster rastet. Auch nach den Morden, aneinandergereiht wie zerbrochene Stühle.

Nach den Dichtern, die mit Vorschlaghämmern in ihre Seelen vordringen. Den Hökerern, die ihre Tiere für Gold verscherbeln. Den Säuglingen, die schnüffelnd suchen nach ihrer Musik. Dem Farmhaus, knochenweiß, das auf dem Schoß des Kornfelds sitzt. Doch vor allem ist er neidisch auf die Körper. Er, der körperlos ist. Auf die Seele ist er nicht so neidisch. Er ist nur Seele. Ließe sie aber gerne wohnen in einem Körper.

und käme herunter und ließe sie ab und zu einmal baden. Ich finde diese Geschnotterigkeit in dem Gedicht Erde ganz wunderbar. Sie ist wahnsinnig witzig und löst erst mal von falschen Ehrfurchtsvorstellungen, wenn man über Gott redet. Und zugleich aber macht sie das Thema ja nicht klein, sondern macht es eher groß. Sie nimmt ein ganz altes Motiv auf, nämlich von dem einsamen Gott, der die Erde auch geschaffen hat, weil er sie braucht und weil Gott

eben die Erde und die Menschheit für ihn das ganz andere ist. Dieses Gedicht beginnt so schnodderig, wird dann aber wirklich sehr, sehr anspruchsvoll theologisch und dreht die Beziehung um. Es ist nicht nur, dass die Menschen Gottes bedürfen, um erlöst zu werden von ihren Körpern, sondern umgekehrt.

Gott ist bedürftig und sehnt sich nach einer Art Körperlichkeit. Anne Sextons Gedicht »Die Erde« aktualisiert im 20. Jahrhundert die Lehren Meister Eckarts über die gegenseitige Abhängigkeit von Gott und Mensch.

Johann Hinrich Clausen geht so weit, Sextons Gedicht eine zeitgemäße Aktualisierung der Christusgeschichte zu nennen. Im Grunde, wenn ich mal so theologisch steil werden darf, kann man dieses Gedicht als ein schönes Beispiel für die Christusgeschichte eigentlich wahrnehmen. Gott wird Mensch, nimmt einen Körper an, bleibt nicht in der Ewigkeit, schlurft nicht mehr im Himmel herum, sondern muss auch nicht mehr neidisch sein, weil er nur eine Seele hat, sondern ist in die Menschheit eingegangen. Musik

Gebrochen ist das Siegel.

Christian Lehnert ist evangelischer Theologe und Schriftsteller und wuchs in der DDR auf.

Für seine zehn Gedichtbände wurde er mit etlichen Preisen bedacht. Sein Werk ist von christlicher und jüdischer Mystik durchzogen. Seine Spiritualität hat nichts mit festgezurrten Glaubenssätzen zu tun. Im Sinne der negativen Theologie entzieht sich für ihn jede existenzielle Erfahrung der sprachlichen Festlegung und drängt gleichzeitig nach sprachlichem Ausdruck.

Christian Lehnertt

Für mich haben in der Religion Aussagen über Weltende, Apokalypse, jüngstes Gericht wesentlich einen poetischen Horizont. Es gibt eine Angst gegenüber Ausdruckswelten oder Erfahrungswelten, die sich nicht sofort dem Zugang der Sprache erschließen. Das betrifft die Liebe, das betrifft den Tod, das betrifft die Religion. Das sind alles Felder, die gewissermaßen, im Übrigen auch die Poesie und die Kunst betreffen.

Felder, in die ich mich hineinsprechen muss, suchend sprechen muss, wo ich gewissermaßen auf nichts zurückgreifen kann. Ich habe sowohl in der Poesie als auch im Gebet für das, was ich sagen will, noch keine Worte. Im Gebet nähere ich mich gewissermaßen dem unsagbaren Gottes und

Und in der Poesie setze ich mich als Dichter ja nicht hin und schreibe, weil ich irgendetwas, was ich auch anders sagen könnte, gewissermaßen kunstvoll in Worte bringen will, sondern weil ich im Schreiben in Bereiche vordringe, die ich vorher noch nicht sagen konnte. Das Gebet richtet sich an das Göttliche.

Das Gedicht an einen unbekannten Leser. Die Frage nach dem anwesenden und abwesenden Gott ist für heutige spirituelle, gläubige Menschen eine zentrale Frage geworden, weil wir spüren, stärker vielleicht als frühere Jahrhunderte, wie stark unsere Ausdrucksformen in der Religion verändern.

Zwei Jahre lang.

Zwischen Juden und Nichtjuden braucht es eine Grenze, damit sich beide berühren. Zwischen dem Christus und mir eine Grenze, die genauso zwischen mir und mir verläuft. Gott, wie es gesagt ist, kann nicht Gott sein, wenn nicht die Grenze ist, die Gott setzt, um zu trennen. Zwischen Hoffnung und Tod diese Grenze, die wie die Haut eines Kindes ist.

So weich, so weich, so sterblich. Christian Lehnert Der Gottesbegriff ist nun in einer besonderen Weise kontaminiert. Und es ist in der Tat so, dass dieses Wort Schal geworden ist, dass man es gewissermaßen nur noch als ein Gefäß verwenden kann, das auf seine Weise leer ist. Leer im Sinne von offen, in dem Sinne, dass etwas hineinströmen kann.

Dass man immer von dem guten und lieben Gott spricht, dahinter verbirgt sich in meinen Augen Ängstlichkeit. Christian Lenert weist das Vorurteil zurück, Religion sei nur ein Therapeutikum gegen die Mühsal des Lebens. Eine Art Lebensaufhellerin für schwache Zeitgenossen. Religion ist ja nichts, was uns das Leben erleichtert oder Menschen per se glücklich macht. Sie ist keine psychologische Technik, um sich wohler zu fühlen.

Sie wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Die Depressivität, die Kirchen heute durchzieht, ist Ausdruck einer spirituellen Dürre und einer krisenhaften Zeit. Lenart sieht sich als Christ und Dichter in der Tradition der Mystik, die er die Essenz aller Religionen nennt.

Besonders beeinflusst hat ihn das Werk Meister Eckerts. Das war für die Mystiker ja immer eine Grunderkenntnis, dass Gott immer zugleich entzogen wie gegeben ist. Was mir sehr wichtig ist, wie in der Mystik die Erfahrung, religiöse Erfahrung ernst genommen wird. Es gibt Erfahrungsbereiche, für die wir neuzeitliche Menschen relativ unempfindlich geworden sind. Nicht desto weniger gibt es sie.

Gegen das, was Octavio Pass die Entsakralisierung der Seelen und Körper nennt, setzen Schriftsteller wie John Fosse, Michael Krüger, Christian Lenert und viele andere ihr Anliegen, Zweifel mit Vertrauen und Nichtwissen mit Gottgewissheit zu versöhnen.

Dichtung im Geiste der Mystik, die im offensiven Sprechen über Gott Zeichen eines kulturellen Religious Turn setzt. Nicht als Massenphänomen, sondern als wichtige Stimme im Chor der postmodernen Vielfalt, die zum Signum der Zeit geworden ist. Zum Abschluss der langen Nacht über Mystik und Literatur Andreas Knapp mit dem Gedicht »Gott«. »Gott«, Unwort der Jahrtausende.

Blut besudelt und Missbrauch. Und darum endlich zu löschen aus dem Vokabular der Menschen. Redeverbot von Gott. Getilgt werde sein Name. Die Erinnerung an ihn vergehe, wie auf Erden, so im Himmel. Wenn unsere Sprache aber dann ganz gottlos ist. In welchem Wort wird unser Heimweh wohnen? Wem schreien wir noch den Schmerz entgegen? Und wen loben wir für das Licht? Musik

Musik

Nächste Woche erwartet Sie an dieser Stelle eine lange Nacht über die österreichische Schriftstellerin Marleen Haushofer, die vor 105 Jahren geboren wurde und vor 55 Jahren gestorben ist. Marleen Haushofer ist eine Einzelgängerin im Literaturbetrieb gewesen und geblieben.

Schüchtern und zurückhaltend taugte sie nicht zur Heldin einer Frauenbewegung, obwohl ihre Literatur eigenwillig stark und scharfsichtig ist, gerade was die Rolle von Frauen anbelangt. Seien Sie gespannt. Sie können alle Lange Nächte der letzten Monate auch in der Deutschlandfunk-App nachhören. Und wenn Sie uns abonnieren, können Sie keine Sendung mehr verpassen. Bis nächste Woche.