Ich lese Bücher nicht, ich wende sie an, sagt Thomas Espedal. Was er damit meint, er meint, dass er sie studiert, weil er Schriftsteller ist, weil er Schriftsteller geworden ist. Das erzählt er in Lust, Früchte des Lesens und des Lebens.
die Geschichte seiner Schriftstellerwerdung, seines Weges zum Autor sein. Thomas Espedal war der erste Autor, der zu Gast war bei der Nacht für die norwegische Literatur im Literaturhaus Leipzig. Gemeinsam mit fünf anderen Autorinnen und Autoren aus Norwegen hat er Einblicke gegeben in seine jüngsten Werke und in seinem Fall eben darüber, wie er wurde, wer er ist.
Die nächste Autorin war Kersti Anfinsen. Die erzählt von einer alternden Herzchirurgin, einer sehr erfolgreichen Herzchirurgin, die inzwischen aber wohl an die 90 Jahre alt ist. Die sich nie in ihrem Leben etwas vorgemacht hat und sich auch jetzt, wo sie alt geworden ist, nichts vormachen will. Die meist schlecht gelaunt, aber trotzdem regelmäßig mit ihrer Schwester zoomt und wirklich keine poetische Seele zu sein scheint.
aber sich trotzdem verliebt in Javier, auch wenn der etwas komisch riecht. Zwei Gäste bei der Langen Nacht für die norwegische Literatur im Literaturhaus Leipzig, die Sie jetzt erwartet hier in der Langen Nacht. Weitere Autoren sind Erik Vosnes Hansen, der 1990 mit dem Choral am Ende der Reise den großen Boom der norwegischen Literatur in Deutschland eröffnete.
Er liest Gedichte vor aus Norwegen, die er selber übersetzt hat. Mit dabei ist Trude Teige, die nicht nur mit ihrem Roman »Als Großmutter im Regen« tanzte, in Deutschland sehr erfolgreich war, sondern auch sehr erfolgreiche Krimis schreibt, in deren Mittelpunkt eine Fernsehmoderatorin steht. Seien Sie gespannt auf die »Lange Nacht« für die norwegische Literatur. Mein Name ist Hans-Dieter Halmendahl, ich bin der Redakteur der »Lange Nacht«.
Sie erreichen mich wie immer unter langenacht.de. Und jedes Möbel erinnert sich an diese Scham, ohne Bersot, die Erschöpfungen, die alten Tempel.
Du weißt, wo ich bin. Du weißt, wo meine Wut ist.
Du hast mich von Schreck zu Schreck gehalten. Ich habe dich von Zeit zu Zeit verloren. Natürlich hast du einige Amende gekauft. Es sollte Zeit verpassen. Es sollte gut sein, dass das Körper exultiert.
Guten Abend aus dem Literaturhaus Leipzig zu langen Nacht der norwegischen Literatur. Unsere Gäste stehen im besten Sinne für das, was die Literatur Norwegens auszeichnet. Großartige Natur, existenzielle Tiefe, berückende Poesie, ungewöhnliche Perspektiven und vor allem, ihnen ist nichts Menschliches fremd.
Wir werden Sie im Laufe der kommenden drei Stunden in Lesung und Gespräch kennenlernen. Thomas Espedal, Kjersti Anfinsen, Viktis Jos, Matthias Faltbacken, Erik Vosnes Hansen, Trude Teige, herzlich willkommen! Um Ihnen einen kleinen ersten Eindruck unserer Lesefrüchte zu geben, haben wir je einen Satz aus den Büchern unserer Gäste herausgegriffen, sozusagen als Appetizer. Thomas, du fängst an.
Warum schreibe ich "du", wenn ich "ich" meine? Das möchte ich auch gerne mal wissen. Hätte ich jemals eine Tochter gehabt, dann hätte ich ihr diesen Satz eingehämmert: "Das geht gar nicht!" Dieses Land ist so lang. Das meiste ist Nord. Nach drei Tassen Rotwein hatte sie noch immer nicht ihre Gedanken geordnet. Ich bin kein Leser. Ich wende Bücher an.
Sie hatte in vielerlei Hinsicht einen schönen Kopf, weil nichts da war, wo es sein sollte, aber alles so funktionierte, wie es sollte. Die Bücher unserer Gäste zu ihrem Vergnügen wenden heute Abend an. Katharina Teutsch und Thomas Böhm. Und die Musik macht DJ Saunasatan. Und ich darf jetzt den ersten Gast auf die Bühne bitten. Herzlich willkommen, Thomas Espedal.
Thomas Esvedal ist seiner Heimatstadt Bergen so verbunden, dass er sich am Ende seines neuen Buches Thomas Bergen nennt. Sein Buch heißt Lust, Früchte einer Arbeit, Lesefrüchte, wurde übersetzt von seinem famosen Übersetzer Hinrich Schmidtenkel, den wir auch an dieser Stelle begrüßen dürfen. Herzlich willkommen, Hinrich Schmidtenkel.
Und eben jenem, Henry Schmidt-Henkel, verdanke ich den Hinweis, er hat mal gesagt, alle Ihre Bücher, Thomas Espedal, handeln von Ihnen selbst. Warum suchen Sie hier im neuen Buch von Ihrer Geburt an bis zum Moment der Entstehung des neuen Buches, warum suchen Sie im Schreiben immer die Auseinandersetzung mit sich selbst?
Alle kennen ja die Malereien von Edvard Munch. Wer malte Edvard Munch?
Wen malt etwa Munch? Wenn er sich selbst malt, wenn er seine Motive malt, alle subjektive Kunst berührt auch andere. Und das war ein Gedanke, den wir in der norwegischen Literatur in einer Gruppe hatten, dass wir uns anschauen wollten, wie weit könnten wir hineindenken, hinein in eine Wahrheit. Nicht unbedingt die Wahrheit über mich oder über den oder die, aber über das, worüber wir schreiben.
Ich habe oftmals schon gesagt, wenn ich Ich schreibe, dann wollte ich dieses Ich sich ausstrecken lassen, sodass es auch andere Dimensionen berührt. Es gibt viele Stellen in Ihrem Buch, da stutzt man. Ob der Tragweite eines Ausdrucks oder eines Satzes. Wie gesagt, Sie erzählen in Ihrem Buch auch Ihren Werdegang zum Schriftsteller. Und an einer Stelle heißt es, alles, was ich schreibe,
ist meiner Mutter zugeeignet. Ihre Mutter, die sich für sie eine andere Berufswahl gewünscht hätte. Sie war Sekretärin in einem Krankenhaus, ihr Vater war Angestellter in einer Textilfabrik.
Was meinen Sie damit, wenn Sie sagen, alles, was Sie schreiben, ist Ihrer Mutter zugeeignet? Ja, ich habe Glück gehabt. Ich habe oftmals gedacht, wenn ich eine Mutter gehabt hätte, die gesagt hätte, dieser kreative kleine Junge, ja, du sollst deine Talente entwickeln, deine Eigenschaften, vielleicht hätte mich das ganz kaputt gemacht.
Aber sie hat Nein gesagt. Nein, nein, nein. Nein, nein. Nein, ich möchte aber doch so gerne. Nein.
Sie war stark, diese Generation der starken Mütter. Und dieser Widerstand und dieses Entgegenwirken, Entgegentreten, das habe ich auch gebraucht. Also dafür danke ich meiner Mutter tatsächlich, die eben einfach Sekretärin war. Und sie hatte einfach so eine alte Schreibmaschine und die hat auch oft Arbeit mit nach Hause genommen. Und ich habe dieses Geräusch gehört, diesen Laut, immer dieses Tick.
Und dann sollten dort alle Schreibmaschinen entsorgt werden. Und da habe ich ihre Schreibmaschine bekommen. Und sie hat in einem psychiatrischen Krankenhaus gearbeitet. Und stellt euch vor, dieser ganze Wahnsinn, der in dieser Schreibmaschine schon steckt. Ich brauchte ja nur die
Knöpfe zu drücken. Und dann stieg es hervor. Und als ich 16 war, habe ich schon ganz verrückte, unglaubliche Romane geschrieben. Ich habe einen Roman geschrieben, als ich 16 war. Und 18 auch eine Gedichtssammlung. Und das auf dieser psychiatrischen Schreibmaschine meiner Mutter.
Bevor wir zum Schreiben kommen, kommen wir erstmal zum Lesen. Wie gesagt, der Untertitel des Buches lautet Früchte der Arbeit, Lesefrüchte. Das Buch heißt Lust. Wir hören jetzt mal eine Szene, in der zum ersten Mal im Buch vom Lesen die Rede ist. Die Hauptfigur, sie ist neun Jahre alt, lebt mit seinen Eltern in einer Hochraussiedlung am Stadtrand von Bergen.
Aus der grandiosen Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel liest für uns ein Schauspieler, den Sie aus vielen Film- und Fernsehrollen kennen, der uns immer wieder begeistert mit seiner Darstellung melancholischer, nachdenklicher, vom Leben gezeichneter Charaktere. Herzlich willkommen, Joachim Krohn. Er kam nicht aus einer Familie, in der man Bücher las. Und warum sollte er Bücher lesen? Er hatte schon Albträume von den Büchern, die sie in der Schule lasen.
Er träumte von Abraham, der seinen Sohn opferte, von Jakob, der mit den Engeln rang, von Jesus, der ans Kreuz genagelt wurde. Handelten nicht alle Bücher vom Tod? Wenn er an den Tod dachte, erlitt er Ohnmachtsanfälle. Dann fiel er auf den Badezimmerboden und nachts im Bett bekam er Panikattacken.
Er kämpfte einen heimlichen Kampf gegen den Tod und wollte nicht noch mehr an ihn erinnert werden, als es ohnehin schon der Fall war. Er wollte nicht in noch mehr Büchern vom Tod lesen. Und jemanden lesen zu sehen, erschreckte ihn. Er sah den Vater eines Freundes mit einem Buch auf dem Sofa liegen. Das war ein beunruhigender Anblick. War der Lesende nicht schon tot?
Er wirkte so weit entfernt, an einem anderen Ort. Vielleicht war er bei den Toten? Wo war der Lesende? Man sprach ihn an. Er antwortete nicht. Er lag da auf dem Sofa und war verschwunden. Es sollten viele Jahre vergehen, bevor er ein Buch öffnete. Ich weiß nicht mehr, welches Buch das war. Aber mit ungefähr 16 las er Der Tod in Venedig von Thomas Mann.
Warum las er ausgerechnet dieses Buch? Weil das Buch den Tod im Titel hatte? Er entdeckte das Buch im Regal bei der Familie seiner Freundin. Nahm er das Buch heraus, weil es von einem Thomas geschrieben war? Thomas Mann? Wählte er das Buch, weil es Zeit war, erwachsen zu werden? Ein Mann zu werden?
Er las die Novelle innerhalb von zwei Nächten. Seine Freundin lag neben ihm im Bett und schlief. Er las heimlich. Er las im schwachen Schein der Nachttischlampe. Denn die Schönheit, Feidros, merke das wohl, nur die Schönheit ist göttlich und sichtbar zugleich.
Er las weinend. Wie konnte es nur sein, dass er sich in dem alten Mann von Aschenbach und seiner Liebe zu einem Jugendlichen wiedererkannte? Der Liebe zur Schönheit, die zu seinem Untergang führen sollte, zu seinem Tod. Ich habe noch nie beim Anblick eines lesenden Menschen an den Tod gedacht.
Weil für mich das Lesen ja mein Leben ausmacht. Es steckt natürlich die Weltsicht des Kindes darin. In jedem Fall ist das ein Bild, das überrascht, ein Gedanke, der überrascht, unvorhersehbar ist. Und solche Momente durchziehen Ihr ganzes Buch. Inwieweit ist das Überraschen, das Verwundern der Lesenden Ihr Ziel, wenn Sie schreiben?
Auf Norwegisch habe ich es die Autobiografie eines Autoren genannt. Und ich habe viele Biografien auch als Studien gelesen. Und in Norwegen haben wir ja auch Handballspieler und Schauspieler und Politiker. Und die schreiben ja alle ihre Autobiografien. Ich finde, er ist ein Nusskirchen.
Aber ich konnte keinen Autoren finden, einen norwegischen Autoren, der tatsächlich eine Autobiografie geschrieben hat. Das ist ja wie ein eigenes Genre. Das hat mich einfach interessiert. Und wenn man sich einen Skiläufer anschaut und man hat einen Ghostwriter dazu, dann fragt man sich ja, wie konnte ein Ghostwriter der beste oder die beste Skiläuferin werden? Wie kriegen wir das zusammen? Aber wenn wir uns das tatsächlich anschauen, was jemand schreibt, wenn man der
Weltbeste werden möchte, da muss man etwas opfern. Ich möchte darüber schreiben, nicht unbedingt über mich, aber dass man sein gesamtes Leben opfert, um Autor um Schriftsteller zu werden. Und
Und das gefällt mir gut, da in diesem Anfang, also das Kind stirbt ja im Grunde. Der Tod ist schon da. Wahrscheinlich kommt ja ein Kind aus der Ewigkeit. Vielleicht ist es da immer gewesen, dieses ungeborene Kind. Und wenn man sich die Augen anschaut eines kleinen Kindes, da ist es, dieses Kind ist doch alt.
Und ich glaube, dass die Eltern vielleicht auch bei mir gesehen haben, und damit fängt es im Grunde an, dass der Erzähler sagt, wir sterben wahrscheinlich sechs, sieben, acht Mal im Laufe unseres Lebens. Und das interessiert mich. Das interessiert mich. Wie leben wir? Leben vielleicht fünf, sechs, sieben, acht Leben.
Die Stelle, die wir jetzt gerade gehört haben, da fällt der Name eines deutschsprachigen Autors, Thomas Mann. Und er bleibt im Buch nicht der einzige. Wir lesen von Rilke, Handke, Hertha Müller, Ingeborg Bachmann, Peter Worterhaus, Friederike Mayröcker. Was sieht sie an denen oder vielleicht sogar generell an der deutschsprachigen Literatur an?
Ja, einer der Gründe, dass man Schriftsteller werden kann, ist ja, dass man liest, dass man Bücher liest. Das Lesen ist so ein starker Teil dieser Arbeit. Und ich habe das Glück gehabt, dass ich mit Thomas Mann sozusagen angefangen habe und
Und ich bin mit der deutschen Sprache vertraut geworden. Und ein Bewunderer der deutschen Prosa, die deutsche Prosa. Also nicht Thomas Bernhardt, das monologische oder Ion Fosse, sondern dieses große, breite, diese große deutsche, breite Prosa. Und an einem gewissen Zeitpunkt müssen die Schriftsteller sich auch selbst zerstören.
Das gehört dazu, das interessiert mich. Was kann die Sprache tun? Was kann nur ein Roman machen? Alle können natürlich schreiben. Man sieht, ja, man schreibt, ja hier, da, da ist etwas, da schreibt man. Oder Peter Waterhouse. Das ist ganz anders.
Man schreibt ja ganz anders, als man vielleicht erwarten würde. Also ich glaube, an einem bestimmten Zeitpunkt ist die Herausforderung der Autorin, dass man Bücher schreibt, die einen eigentlich selber wieder zerlegen. Das Zitat aus der Eingangskollage von Ihnen war, ich bin kein Leser, ich wende Bücher an.
Was heißt das, Bücher anwenden? Ja, also ein Verfatter lässt seine Bücher. Ein Schriftsteller liest in dem Sinne keine Bücher? Nein.
Er studiert sie. Es gibt Bücher, die lese ich drei, vier Mal. Vier Mal habe ich das gelesen. Und das unterscheidet den Schriftsteller vom Leser. Der Leser legt sich vielleicht ins Bett und danach schläft man. Aber wir lesen... Wir lesen...
Mit dem allergrößten Ernst. Das ist eine Kunst zu lesen. Es ist eine Kunst zu lesen. Und ich glaube, das ist das, was einen Schriftsteller ausmacht.
Wenn man älter wird, kommt es natürlich auch darauf an, was man liest. Jetzt zum Beispiel, jetzt lese ich nur noch Lyrik. Man erforscht die Sprache. Gibt es da eine neue Sprache? Gibt es neue Möglichkeiten? Und in der Lyrik finde ich das. Natürlich nicht in allem und jedem. Es gibt auch Schlechtes, aber das zu lesen gibt mir etwas. Wir hören noch eine Szene und diese Szene enthält eine Hommage.
Denn in der letzten Woche ist der für viele bedeutendste Schriftsteller der norwegischen Gegenwartsliteratur verstorben, Dax Holstad. Welche Rolle er im Leben von Thomas Esbedal spielte, hören wir im folgenden Ausschnitt. Bitte, Joachim Krohl. Der einzige Lehrer, dem er menschlich näherkam, war Leif Anker Andersen, der norwegisch Lehrer. Als die Klasse eines Tages über den Lesestoff abstimmen sollte...
Die Vögel von Tharie Vesos oder der 25. Septemberplatz von Dark Skullstadt
Und die überwältigende Mehrheit der Hände sich für »Die Vögel« von Tarje Vessos erhob, sagte live Anke Andersen. Die meisten von euch werden früher oder später jedenfalls sowieso »Die Vögel« von Tarje Vessos lesen. Also wird hiermit verfügt, dass ihr jetzt der 25. Septemberplatz von Dark Soulstadt lest. Und dies wurde für den Jungen die Rettung.
dass er gezwungen wurde, Dark Solstatt zu lesen. Das war der erste Schritt zur Lektüre eines Werks, das ihm alles bedeuten sollte. In der Hinsicht, dass er hierdurch begriff, es war möglich, Literatur über die Klasse zu schreiben, aus der man selber stammte, die Arbeiterklasse.
In "Der 25. Septemberplatz" las er über die Geschichte seiner eigenen Familie, über die Geschichte der Fabrik und der Fabrikarbeiter. Und ebenso wichtig für ihn war die Entdeckung, dass es möglich war, die eigene Geschichte zu schreiben. In dem Sommer, bevor er auf der weiterführenden Schule anfing, hatte er in der Textilfabrik gejobbt, wo sein Vater arbeitete.
Er hatte unter den Webstühlen gelegen und die Mechanik gereinigt und geölt. In diesem Sommer hatte er beschlossen, dass er niemals arbeiten würde, wie sein Großvater auf einer Schiffswerft gearbeitet hatte, wie sein Vater in dieser Fabrik arbeitete, wie die meisten Mitglieder seiner Familie gearbeitet und sich verschlissen hatten. Es war ihm gelungen, an der Kathedralschule angenommen zu werden.
Das aber, was ihn von der Arbeit fortführte, vom mechanischen Verschleiß, führte ihn in eine andere Form von Verschleiß hinein. Und dieser war möglicherweise schlimmer. Die tägliche Arbeit mit Zahlen und Formeln.
Nachdem er den 25. Septemberplatz gelesen hatte, stand ihm klar vor Augen, dass es möglich war, Autor zu werden. Darks Holstatt war Autor. Er lebte vom Bücherschreiben. Er schrieb Bücher über Politik, über Sport, über die Liebe, über Personen, die ihm selbst ähnelten, die auf dem Sprung waren, etwas anderes zu werden, als von ihnen erwartet wurde.
Er las Dark-Solstads Romane über die Arbeiterklasse als eine Geschichte darüber, wie er selbst würde Autor werden können. Dark-Solstads Romane, die er in einer Weise falsch las, die für ihn richtig war, waren Schlüssel und Tür zum Lesen. Schlüssel und Tür zum Lesen und Schreiben.
Er hatte schon für sich selbst geschrieben, aber war noch nie auf den Gedanken gekommen, er könnte Schriftsteller werden. Als Beruf, als Arbeit, als Möglichkeit.
Ja, das war vielleicht seine einzige Möglichkeit, etwas zu tun, das sich im Einklang mit ihm selbst befand. Mit seinen Interessen und Eigenschaften. Mit seinen Leidenschaften, mit demjenigen, was seine Lust war. Er hatte Lust zu schreiben. Er hatte Lust zu leben. Lust, anders zu leben, als von ihm erwartet wurde. Er hatte Lust, frei zu sein. War das möglich?
Nein, das wusste er nicht. Aber wenn er schon an etwas gebunden sein musste, dann an etwas, das er selbst als sinnvoll empfand. Er wollte gern arbeiten. Er wollte mit derselben Intensität und Selbstentäußerung arbeiten wie die anderen Arbeiter. Die Fabrikarbeiter, die Industriearbeiter, die Werftarbeiter. Aber wollte mit Literatur arbeiten. Vielen Dank. Applaus
Im Gedanken an Doug Solstad gewinnt die Szene, die wir vorhin gehört haben, dass wir lesend bei den Toten sind, noch eine weitere Dimension. Sie verdanken Doug Solstad ihr Leben, insofern er Ihnen die Möglichkeit aufzeigte, Schriftsteller zu werden. Haben Sie jemals mit ihm darüber gesprochen oder führt man solche Gespräche unter demütigen Menschen nicht?
Zum allerersten Mal, als ich Dag Solstad getroffen habe, da passierte das Schlimmste, was passieren konnte. Man sagt ja dann gerne, da kommt eine Person, ich bewundere sie, ich bewundere sie. Was kann man denn sagen? Man ist ja eigentlich...
wortlos, man weiß nicht, was soll man denn sagen? Man ist eigentlich sprachlos. Und mir war klar, ich kann nicht da hingehen und einfach nur sagen, ich bewundere Sie, Sie bedeuten alles für mein Schreiben. Das würde er nicht mögen. Ich habe gesagt, haben Sie die Tagebücher von Thomas Mann gelesen? Das war dann meine Frage. Und dann hat er mich angeschaut.
Kannst du dir das vorstellen? Dass er so etwas schreibt. Warum musste er das aufschreiben? Warum hat er sich nicht einfach hingelegt? Thomas Espedal. Erich war da auch. Es war in Madrid. Hinrich Schmidtenkler, er war auch mit dabei. Das ist in Madrid passiert. Ja.
Das ist natürlich für Dax Holstatt das Schlimmste, wenn es um Privates ging. Und Tagebücher, und dann natürlich auch die homosexuellen Neigungen, dann die 10, 11 Zigaretten jeden Tag, all das. Es war für Holstatt alles eher ein bisschen schrecklich, darüber zu lesen. Thomas Espedal, ich will noch eines zu Ihnen sagen und noch eine Frage stellen.
Ich möchte Sie fragen, ob Sie die Tagebücher von Thomas Mann gelesen haben? Ihr Buch heißt Lust. Wir haben gerade die Passage gehört, in der die Lust am Schreiben gefeiert wird, als Lust an der Freiheit, als Lust am Leben. Wie bewahren Sie sich die Lust am Schreiben? Keine Sexualität.
Keine Sexualität. Das ist alles, das ist alles, wirklich. Keine Sexualität und dann muss man skriben. Ja, dann machen wir das heute Abend auch so. Wir lesen heute Abend alle Thomas Espedal. Keine Sexualität. Vielen herzlichen Dank, Thomas Espedal. Und wir hören jetzt wieder Musik.
Von DJ Saunasatan. Und dann erleben wir einen überraschenden Rollenwechsel. Von dem erzählt Ihnen dann Katharina Teutsch mit Kersti Anfinzen. Bitte. Applaus
Ich freue mich jetzt sehr auf Kersti Anfinzen, die heute ihr im Septime Verlag erschienenes Buch »Letzte zärtliche Augenblicke« im Literaturhaus vorstellen wird. Wir reden jetzt erst ein bisschen darüber und hören dann eine Passage gelesen von der Schauspielerin Steffi Böttger aus der Übersetzung von Sabine Richter.
Bevor wir aber all dies tun, möchte ich den Cliffhanger von Thomas Böhm kurz nutzen. Der sagte eben etwas von Rollenwechsel. Und das gilt gleich in mehrfacher Hinsicht für unsere Autorin. Denn Kirsti Ahnfinsen ist nicht nur Autorin, sondern auch praktizierende Zahnärztin und DJ. Ich möchte Sie gerne fragen, wie kriegt man das alles in ein Leben?
Ja, das ist sehr dynamisch. Viele machen sich die Sorge, dass man dann irgendwann doch mal zu viel hat. Aber mir gefällt es einfach, so viele unterschiedliche Dinge zu erforschen, auch von mir aus zu probieren. Und ich bin
immer schon daran gewohnt gewesen, zu arbeiten. Seitdem ich zwölf Jahre da habe ich Erdbeeren gepflückt oder dann war ich Bedienung oder ich habe sauber gemacht oder ich war im Blumenladen. Also ich habe an unterschiedlichen Stellen gearbeitet und es gefällt mir einfach, nützlich zu sein. Ich denke, vielleicht brauche ich auch Hilfe. Wer weiß. Ja.
Also von uns auf jeden Fall nicht. In der Autorenbiografie hinten in Ihrem Roman, um den es heute gehen wird, da steht, dass Sie sich öffentlich, aber auch in Ihrer Arbeit als DJ, und das interessiert mich besonders, mit der Kultur und den Traditionen der nationalen Minderheit der Quänen einsetzen oder damit beschäftigen. Ich habe ein bisschen recherchiert, weil ich ahnungslos war. Die Quänen stammen aus der Finnmark. Das ist eine Region ganz im hohen Norden Norwegens.
Was ist das für eine Kultur und wie ist Ihre Verbindung zum Beispiel auch musikalisch zu dieser quenischen Kultur?
Das ist für viele lange verborgen gewesen, auch bei mir. Ich wusste das zum Beispiel gar nicht, bevor ich erwachsen war, dass ich auch kvinische Wurzeln habe. Und da sind unterschiedliche Autoren gekommen, die dann einfach erklärt, die geschildert haben, wie denn das Leben war, zum Beispiel in Nordschweden.
Und dann hat mein Vater gesagt, ja, das ist so wie bei uns im Tal gewesen. Und ich wusste nichts davon. Ich hatte keine Ahnung. Und es sind Menschen, die aus Karelien gekommen sind, aus Finnland und aus Nordschweden, die dann in die Finnmark, in diese Region gekommen sind. Und die sind Queen geworden. Und dann, für mich war das etwas, wovon ich nichts wusste. Und dann öffnete sich ein Rau, der ganz offen war. Es sind Fragen aufgetaucht. Und dann ein langer Prozess aufgetaucht.
auch das in mein Sein zu integrieren. Die Musik ist leichter als die Sprache tatsächlich, um so in Kontakt zu kommen mit der Kultur. Es ist eine sehr vielfältige Musik, es gibt viele Genres, es gibt auch auf den Nordkalotten unterschiedliche Sprachen.
Ja, das macht mir einfach auch Spaß, das ein bisschen auszuprobieren oder das auch irgendwie ein bisschen zu ergreifen, was da ist. Aber es ist keine satanische Musik, weil warum zum Teufel Satan? Nein, nein. Ja, ja, das ist
Nein, nein, nein. Also die Sauna ist in der chinesischen Kultur sehr stark. Das erste, was man baut, wenn man an einen Ort kommt oder nach Norwegen kam, damals waren es ja noch fließende Grenzen, da hat man eine Sauna gebaut. Und in der Sauna werden die Kinder geboren, in der Sauna stirbt man am Ende. Das ist der sauberste Ort, das ist der...
reine Raum. Die Sauna ist wichtig. Und im Grunde war es ein bisschen Zufall, dass es Sauna-Satan gewesen ist. Das ist nichts Religiöses. Es war einfach nur so an der Zeit, einfach so eine Sichtbarkeit zu schaffen für das Klinische. Und meine Parole ist Eisa Pejta. Das steht auf allen norwegischen Öfen. Und das steht für das darf nicht abgedeckt werden.
Wir freuen uns vielleicht gleich in der weiteren DJ-Kunst noch auf andere musikalische Impulse aus dem Quenischen. Jetzt aber zum Roman Letzte zärtliche Augenblicke. Darum geht es um die Herzchirurgin Brigitte Solheim. Sie blickt von ihrem letzten Wohnsitz Paris auf ihr hochbetagtes Leben zurück. Auf das Leben einer ehrgeizigen Ärztin, aber auch auf das Leben einer kinderlosen Frau.
die ihr Leben sozusagen ganz dem Beruf gewidmet hat. Und eigentlich liest man sowas, dachte ich mir dann beim Lesen, fast nie einen Text über die Frustration des Alters, auch über den Zynismus des Alters. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Roman aus der Perspektive eines sehr alten Menschen zu schreiben, der sich aber nicht liest wie so eine schöne Lebensbilanz, sondern eben wie...
wie ich eben schon sagte, auch unsympathisch und auch zynisch und auch irgendwie wie jemand, der diese Welt, in der er jetzt lebt, eigentlich nicht mehr versteht.
Ich habe es nicht wirklich geplant. Ich habe auch nicht geplant, dass das eine Trilogie wird oder so. Sondern das ist eine Havarie aus einem anderen Roman. Es ist sozusagen etwas anderes, was nicht gut genug wurde. Hat sich daraus dann das weiterentwickelt. Das ist vielleicht da auch diese bitterkehrende
rausgekommen oder vielleicht diese Energie. Also da sind neue Texte entstanden, weil das andere nicht klappte. Und auf einmal war dieser Mensch da und plötzlich war es diese alte Frau. Da musste ich sie fragen, ja, was hast du getan, du alte Frau? Was macht das so interessant? Und als Zahnärztin ist es natürlich auch interessant, so etwas in der Literatur zu nutzen. Deswegen wollte ich, dass sie gerne in der medizinischen Hierarchie ganz weit oben stehen soll. Auch der Feminismus war mir an der Stelle wichtig, dass wir das hier ein bisschen zuspitzen.
Und wie gesagt, vier Herzchirurgen. Ja, und um die Glaubwürdigkeit zu haben, musste ich jetzt noch New York mit dazu nehmen in dem Roman. Also es ging darum, dass wir wirklich diese super ehrgeizige Frau brauchen, die aber auch gefangen war in dieser Karriere, aber auch eine Flucht daraus an anderen Stellen und dass man so eine dysfunktionelle Kindheit noch dabei hat. Ja.
Aber auch nicht dysfunktionaler als in allen anderen Familien. Also jede Familie ist dysfunktional auf ihre eigene Weise.
Ihr Roman ist nicht stringent durcherzählt, sondern er funktioniert assoziativ. Brigitte erzählt aus ihrem Alltag. Sie erinnert sich an ihr Berufsleben. Sie geht zurück in die Kindheit. Sie telefoniert regelmäßig so auf FaceTime mit ihrer Schwester, mit der sie sich eigentlich gar nicht versteht. Erzählt von einer letzten Liebe auch, von Javier, den sie im hohen Alter dann eben in Paris noch kennenlernt und mit dem sie so eine ganz schöne Intimität lebt.
Das Ganze ist allerdings sehr sprunghaft gestaltet. Warum haben Sie sich für diese sprunghafte Erzählweise entschieden? Ich finde, dass diese Form sehr gut zu dem Porträt von Birgitte passt. Es ist ein bisschen knapp.
Sie ist ja auch so ein bisschen so von ihrem Wesen. Es gibt so viele Leerstellen auch. Und sie ist in einem Alter, sie ist ja über 90, sie hat fast keine Freunde mehr, die sind tot. Es gibt einfach nicht mehr diese Kontinuität. Und daher auch nicht als literarisches Projekt. Es ist so das Wort Auflösung.
Die Sinne, das Sehen, das Gehör, der Kontakt mit sich selbst, mit der Gesellschaft, alles geht in Auflösung und ich versuche eigentlich, dass die Sprache auch in Auflösung geht. Das gelingt mir noch nicht in allem, aber das ist der Gedanke.
Eines der großen Themen dieses gedanklichen Patchworks, das ist das Thema Familie. Sie haben es gerade schon erwähnt, der Feminismus. Denn Brigitte hat zugunsten ihrer Karriere auf Familie verzichtet. Und sie ist nur scheinbar, so schien es mir als Leserin, damit im Reinen. Ihre Schwester hat genau das Gegenteil gelebt, hat eine Familie gegründet. Es gibt Nichten und Neffen und so weiter. Und Brigitte hat da auch ein sehr zynisches Verhältnis zu diesen Kronen.
konventionellen Familienverhältnissen. Also sie lehnt sogar ihre eigenen Nichten und Neffen immer so ein bisschen ab und hält die sich vom Hals. Aber man merkt auch ein gewisses Bedauern und eine Bitternis. Wie hoch ist der Preis für
Denn die Hauptfigur des Romans ist ja auch eine Repräsentantin einer Generation von Frauen, die sich wirklich noch entscheiden mussten, entweder Karriere oder Familie. Das hat sich heute zum Glück ein bisschen geändert, wenn gleich auch noch nicht total geändert. Wie hoch ist der Preis, den Brigitte zahlt, wenn sie jetzt eben so Lebensbilanz zieht?
Sie hat einen hohen Preis bezahlt. Sie ist ein Präzisionär.
Natürlich ist es auch ein Erfolg für die herzchirurgische Geschichte. Sie hat da etwas erreicht und wir leben ja immer noch in diesen Mustern, die ich hier aufzeige, auch wenn wir uns das heute anschauen. Wenn ich auf mich selber blicke, dann denke ich, mein Leben ist sehr reich und sehr vielfältig.
Sie hat vielleicht nicht so viel auf dem Tisch getanzt oder sich andere Sprachen angeeignet oder andere Dinge gemacht. Das war noch recht einseitig, denke ich. Ja, sie konnte es vielleicht nicht voll so ausleben. Aber sie sieht sich ja trotzdem auch gut selber an.
Nein, in der Sprache sind es auch so. Sie betrügt sich selbst auch. Sie schaut sich an, aber sie schaut eben auch das, wo sie sich selber betrügt, in dem, wie sie ist. Sie hat tatsächlich sehr viele Leerstellen. Diese Brigitte und Steffi Böttger wird jetzt einige dieser Szenen aus dem Leben der Hochbetagten. Brigitte Solheim lesen für uns. Vielen Dank dafür schon mal vorab. Meine Schwester.
Wie jetzt? schreit meine Schwester vom Bildschirm aus. Ich habe gesagt, ich muss jetzt los, schreie ich zurück. Ich habe einen Zahnarzttermin. Warte mal, schreit sie. Ich mache mal den Ton lauter. Das ist jedes Mal ihre Masche, wenn ich versuche, ein Gespräch zu beenden. Versuch's jetzt noch mal, schreit sie und beugt sich mit ihrem größeren Ohr zu mir nach vorn. Ich nehme die Brille ab.
Jetzt ist aber mal gut, ich muss mir das nicht auch noch antun. Ich muss jetzt, schreie ich. Ja, ja, schreit sie. Aber hast du überhaupt irgendetwas von dem begriffen, wovon ich geredet habe? Ich bin doch nicht plemplem. Lässt du dir wieder die Zähne bleichen? Ja, und jetzt muss ich mich wirklich beeilen. Du und beeilen. Ich denke mal, du liegst gerade im Bett. Du bist doch nicht etwa krank, Gitti? Ja.
"Ich heiße Brigitte", murmle ich, schreibt meine Schwester. Nix weiter. Tiefe Stille und meine Schwester bekommt wieder diesen verletzten Gesichtsausdruck. Ich verstehe nicht, wie die hier meine Schwester sein kann. Kompetenz. Endlich einmal wurde es still um mich herum, als sie sahen, wie ich operierte.
Ich war nun am norwegischen Rijkshospital in Oslo, um den Chirurgen dort Operationsroutinen beizubringen, damit sie Herztransplantationen anführen konnten. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich Erfahrungen auf dem Gebiet, doch in Norwegen gab es keine weiblichen Herzchirurgen. Also verursachte mein Erscheinen in diesen Korridoren viel Aufregung.
Die männlichen Chirurgen waren eher damit beschäftigt, ihre Souveränität zur Schau zu stellen, als etwas von mir lernen zu wollen. Die Krankenschwestern ließen mich selten in Ruhe. Sie versuchten mit mir über Inneneinrichtungen und Mode und so etwas zu plaudern oder mir andere Schuhe zu empfehlen. Oder sie klagten leise darüber, wie überlegen ich mich doch gab. Im Grunde genommen ziemlich amüsant, dass mich dort niemand haben wollte.
Und der größte Kindskopf von allen war der Oberarzt, dem Himmel Angst war, ins Abseits gedrängt zu werden. Da sie in Hinblick auf ihre fachliche Kompetenz schon lange im eigenen Saft geschmort hatten, war offensichtlich: Louis Ferdinand Céline hat Recht. Für den denkenden Menschen ist es sicherer, in der Fremdenlegion zu sein, als in einem medizinischen Fachkreis.
Ich musste ihnen allen, als ihre Kindergartenmentalität Dialog und Neugier zu behindern drohte, wirklich klarmachen, wie weit sie in der internationalen fachlichen Entwicklung bereits hinterherhinkten. Sie kamen mir darauf allesamt mit ihrer Statistik, worauf ich wiederum nur mit einem Augenrollen und zwei Kommentaren ihre Resultate auseinanderpflücken konnte.
Selbstverständlich machte ich mich dadurch schrecklich unbeliebt, doch damit hatte ich gerechnet. Hätte ich mich jemals darum geschert, was andere über mich denken, da hätte ich nicht überlebt.
Um mich herum schwirrte es nur so von Gerüchten, wie ich über unstadthafte Beziehungen zu dem oder jenem zu meiner Stellung gekommen sei. Ich würde mit herausgestreckten Titten durch die Gänge stolzieren, hörte ich jemanden sagen. Und, dass ich spitze Ellenbogen hätte. Die Unruhe verschwand erst, als sie mich operieren sahen. Da wurde es still, absolut still.
Die schönste Perücke. Seit ein paar Tagen komme ich nicht mehr aus dem Bett. Niemand hat bei mir vorbeigeschaut. Keine Ahnung, was in der Welt gerade vor sich geht, welche Wälder brennen, welche Inseln im Meer versunken sind, welche Gebirge auseinanderbrechen. Die meiste Zeit schlief ich oder döste unter meiner Bettdecke dahin. An einem Punkt dachte ich, jetzt würde ich entschlafen.
Und deshalb zog ich meine Perücke aus der Nachttischschublade und setzte sie mir auf, um eine letzte Demütigung zu vermeiden. Aber dann bin ich wieder aufgewacht. Es wäre wohl zu viel verlangt, einen so leichten und friedlichen Tod zu erleben. Ein Wunder. Ich habe jetzt einen Freund. Stellt euch das vor. Auch wenn er alt ist und ein wenig merkwürdig riecht, so ist er doch ein herrlicher Mensch.
Wir schreiben uns jeden Tag. Er schreibt zum Beispiel so etwas wie, Liebe Brigitte, wie war dein Tag? Woraufhin ich versuche, eine präzise Antwort zu formulieren. Ab und zu übertreibe ich ein bisschen, aber ich glaube, das versteht er. Ich glaube auch nicht, dass er mehr als nur nötig schwindelt. Ungefähr einmal die Woche treffen wir uns. Ich halte gern Händchen mit ihm und ich mag sein Schmunzeln.
Er ist großzügig und unkritisch. Wenn er mich anschaut, dann wird mir wieder ganz warm ums Herz, wenn ich dann meine Umgebung betrachte. Routinen? Wir haben einmal im Monat Sex. Mehr um der Intimität willen, denn niemand von uns hatte bisher einen Orgasmus. Eher noch bekommt einer von uns einen Herzinfarkt oder eine Gehirnblutung. Plötzlich
Scheint die Zeit knapp zu sein. Kleine Hände. Früher, da konnte ich mit meinen Händen Leben retten. Ein kleines Kind zum Beispiel. Eine wahre Freude, nach einer geglückten OP dann die Eltern zu treffen und sagen zu können, wir haben das Loch im Herzen geschlossen. Alles sieht gut aus. Jetzt kann ich mir noch nicht einmal eine Tasse Kaffee eingießen, ohne zu plämpern.
Mein Friseur meint, meine Wohnung sei voller Flecken und Krümel. Wahrscheinlich hat er recht. Ich bräuchte noch mehr Hilfe. Am liebsten aber möchte ich mit allem allein klarkommen. Sie sind wie ein trotziges Kind, sagt mein Friseur. Man sagt, das Leben verlaufe zyklisch. Doch der Vergleich hinkt. Irgendetwas fehlt. Jedes Mal, wenn ich in den Spiegel schaue, da fehlt etwas.
Jedes Mal, wenn ich meine Hände betrachte, da fehlt etwas. Ich weiß ganz genau, was da fehlt. Mir fehlt eine Zukunft. Jedes Mal, wenn ich in den Spiegel schaue, fehlt etwas. Jedes Mal, wenn ich meine Hände betrachte, fehlt etwas. Ich weiß genau, was da fehlt. Mir fehlt eine Zukunft. Das ist, finde ich, ein unheimlich starker Satz, irgendwie erschütternd und auch in Bezug auf eine alternde Gesellschaft nochmal anders erschütternd.
Frau Anfinzen, wie ist es zu verstehen, Sie haben vorhin gesagt, es ist Teil einer Trilogie. Ist es eine Trilogie des Alters oder ist es eine der verschiedenen Lebensalter? Inwiefern ist dieser Roman, aus dem wir gerade einen Ausschnitt gehört haben, Teil einer Trilogie?
Oftmals ist es ja so, dass in den Ländern...
in die es übersetzt wird, bekomme ich diese Rückmeldung, dass man selten einen Roman gelesen hat aus einer Perspektive einer Frau in einem so hochbetagten Alter. Und
Das führt vielleicht auch dazu, dass ich das nicht gut abschließen kann. Denn dieser Teil des Lebens kann sehr lang dauern. Und auch dieses, wenn man sich dem Totenbett nähert oder diesem Moment. Auch da haben wir eine andere Form von Trilogie. Auch wenn wir hier bei über 90 anfangen, das sind Dinge, die sich immer weiter noch entwickeln. Also das, was ich höre,
ist einfach, dass es zu wenige dieser Perspektiven gibt und dass da literarisch mehr passieren müsste. Vielen, vielen Dank. Ich freue mich sehr, dass Sie hier waren, Kerstin Anfinzen. Unsere Zeit ist jetzt leider um und auch schon die erste Stunde der langen Nacht der norwegischen Literatur hier im Literaturhaus Leipzig. Nach den Nachrichten geht es für unsere Hörerinnen und Hörer an den Radios weiter.
Für alle hier im Saal gleich nach der Musik. Kersti wird sich jetzt wieder ans DJ-Pult bewegen. Dann übernimmt Thomas Böhm wieder das Mikrofon und spricht mit Vic Desjordes, die ihren Roman Wiederholung bei uns vorstellen wird. Danach heißen wir Matthias Faltbacken hier auf der Bühne des Literaturhauses. Willkommen mit seinem Roman Armes Ding. Bis gleich. No.
Musik
Herzlich willkommen zur zweiten Stunde der langen Nacht der norwegischen Literatur aus dem Haus des Buches in Leipzig, dem hier ansässigen Leipziger Literaturhaus. Und ich begrüße jetzt eine Autorin, von der ich jüngst jemandem sagen hörte, sie sei ein nationaler Schatz.
der norwegischen Literatur. Sie wird jetzt hier auch in Deutschland als Schatz entdeckt, denn in dieser Woche, in diesem Monat im März, ist sie Platz 2 der renommierten SWR-Bestenliste. Herzlichen Glückwunsch, herzlich willkommen, Vicky Thorst. Vicky, ich möchte Ihnen danken für die Gefühle, die ich beim Lesen Ihres Buches hatte, Gefühle, die mir die Lektüre geschenkt hat, und zwar insbesondere das Gefühl, Teenager zu sein.
Und das war ein sehr vielfältiges Gefühl. Da war Unsicherheit, Neugier, Sprachlosigkeit, Scham, Wollust. Alles auf einmal, alles in einem wilden, beständigen Wechsel. Inwieweit ist es das Ziel Ihres Schreibens, solche Gefühle bei den Lesenden zu wecken?
Ich denke eigentlich überhaupt nicht daran. Ich erforsche einen Stoff, der mich persönlich interessiert, sehr interessiert, ob er da ethisch oder
gesellschaftlichen oder psychologischen Ebene. Also ich hätte kein Buch darüber geschrieben, wenn ich nur dieses Dilemma gehabt hätte, ethisch, gesellschaftlich oder so. Ich stelle mir das als etwas Allgemeines vor.
Ich denke, man muss die richtige Sprache finden für diese Gefühle. Vielleicht kann ich es anders sagen. Ich versuche, die Stimme für diesen Stoff zu finden. Mir geht es um die Stimme, die Stimme, die gehört werden soll. Welche Stimme braucht es, um genau diese Frage zu erforschen und von der aus heraus zu schreiben? Dann ein anderer Zugang.
Wie gehören Gefühle bei Ihnen zum Verstehen eines Stoffes dazu?
Es gibt ja viele, die unklare Gefühle erlebt haben oder Gefühle zu haben, die man nicht versteht, dass wir die haben. Und das finde ich sehr interessant, wenn man die eigenen Gefühle nicht versteht. Warum habe ich so viel Angst, wenn ich den oder den Menschen treffe? Oder warum bin ich jetzt so unglaublich traurig, ohne es zu verstehen? Das ist ja wert, dass man das literarisch erforscht.
Wiederholung, ihr neuer Roman, der von Gabriele Haafs übersetzt worden ist, erzählt die Geschichte einer 16-Jährigen. Die ist eine typische Teenagerin, macht die typischen Erfahrungen. Sie geht auf eine Party mit ihren Freundinnen Unni und Helle. Sie hat dort Alkohol getrunken und mit einem Jungen namens Finn Lücke rumgeknutscht. Also das getan, was das Leben einer 16-Jährigen schön und abenteuerlich macht.
Aber leider hat ihre Mutter sie mit größter Strenge eben genau davor gewarnt, das zu tun. Und sie hat sie so intensiv gewarnt, dass sie die Warnung der Mutter internalisiert hat. Ihre Mutter quasi in sich trägt. Und trotzdem, als Finn Lücke sie anruft und ihr den Vorschlag macht, komm, wir treffen uns bei uns auf dem Schulhof, willigt sie ein. Und was dann passiert, liest uns jetzt Steffi Böttger.
So still, so still. Der goldene Schein des Mondes auf dem schneebedeckten Rasen. Oder war es eine Lampe, die ihn anleuchtete? Vielleicht kam er nicht. Vielleicht hatte er sich die Sache anders überlegt. Ich hörte Mopedgeräusche im Goddars-Weih und richtete mich auf der Mauer auf. Ich sah ein Moped in der Ferne. Das Licht fuhr auf die Kirche zu in meine Richtung und es waren keine Autos in der Nähe.
Ich hörte das Geräusch deutlich und immer deutlicher. Es kam näher, zusammen mit dem Licht. Es bog auf den Parkplatz vor der Kirche ein und fuhr daran vorbei und an den gepflasterten Gehweg hoch, auf den man nicht fahren durfte. Ich sprang von der Mauer mit dem Herzen im Kopf. Ich ging zur Kirchentür und blieb davor stehen, im Licht, damit er mich sehen könnte.
Bald war er oben angekommen und sah mich, hob die rechte Hand, er schaltete den Motor aus und rollte in meine Richtung. Es war kein Samstag, es gab keine Musik, wir hatten nichts getrunken. Er trug einen Helm, deshalb umarmten wir uns nicht. Ich schlug vor, was ich mir auf der Mauer ausgedacht hatte. Dass wir zur Tankstelle fahren und uns eine Cola kaufen könnten. Es war nicht weit, wir können die Tankstelle von hier aus sehen.
Er nickte, durfte aber niemanden auf dem Rücksitz mitnehmen, sagte er. Er habe das vor langer Zeit einmal gemacht und war von der Polizei angehalten worden und hatte Strafe zahlen müssen. Ich fragte nicht, wen er mitgenommen hatte, wer ihm vielleicht die Arme fest um den Oberkörper gelegt hatte. Ich sagte, ich könnte laufen, ich sei eine gute Läuferin. Er nickte und drehte das Moped um.
Und ich lief den Hang von der Kirche hinunter so leicht wie eine Feder, während er den verbotenen Weg hinunterfuhr. Und ich lief weiter auf dem Bürgersteig hoch nach Christopher Thune, während er so langsam neben mir fuhr, dass wir gleichzeitig an der Tankstelle ankamen. Es war leicht. Er hielt an und nahm den Helm ab, legte ihn auf den Mopedsitz und fuhr sich mit der Hand durch die Haare,
Er kam auf mich zu und beugte sich über mich und drückte mich an sich. "Hi", sagte er so wie zum Spaß. "Hi", antwortete ich ernst, und wir gingen ins Licht der Tankstelle. Er kaufte zwei Cola und zehn Marlboro, öffnete beide Flaschen mit einem Feuerzeug, das er in der Tasche hatte, und reichte mir eine, während wir zum Moped zurückgingen. Er öffnete die Zigarettenpackung und hielt sie mir hin, ich schüttelte den Kopf.
Er zündete sich eine an, hielt die Hand über die Flamme, um sie vor einem möglichen Windstoß oder kleinen unsichtbaren Regentropfen in der Luft zu schützen. Oder er tat es aus Gewohnheit. Er tat es wie ein Mann. Es sah aus wie in einem Film. Ich verliebte mich wahnsinnig. Er rauchte wie ein Filmstar. Er war fast 18. Er konnte bald den Führerschein machen. »Du kennst also Björn Paulsen nicht?« fragte er.
Und ich schüttelte den Kopf, denn ich kannte Björn Paulsen nicht. Es wurde für eine Weile still. Dann fragte er, wo das Berggymnasium lag. Das könnte ich ihm zeigen, sagte ich. Es war nicht weit von hier. Er fand das eine gute Idee. Ich lief vor ihm über den großen, gefährlichen Tosenwei, vor dem Mutter immer solche Angst gehabt hatte, als wir klein waren. Und weiter durch den Iriswei, den Berg hinauf. Und als ich das große Gebäude sah, wurde ich langsamer,
Und ich stellte fest, dass ich hier noch nie am Abend gewesen war, dass das jetzt ganz anders aussah. Menschen leer mit dunklen Fenstern. Nur in der Turnhalle brannte Licht. Finn stieg vom Moped und schob es neben mir her durch das Tor, fragte, wo mein Klassenzimmer sei und ich zeigte auf die dunklen Fensterscheiben. Er schob das Moped zu dem Eingang, der den Fenstern, auf die ich gezeigt hatte, am nächsten lag, stellte es dort ab und nahm den Helm vom Kopf.
legte den Helm auf den Mopedsitz und fuhr sich durchs Haar. »Komm doch her«, sagte er, und ich ging zu ihm und er zog mich an der Hand die drei Treppenstufen zu der verschlossenen Eingangstür hoch und drehte mich so um, dass ich mit dem Rücken zu ihr stand. Er schob mir den Pony aus den Augen, beugte sich über meinen Mund und küsste ihn. Er schob mich ganz sanft zur Tür, damit ich mich dagegenlehnen könnte.
damit er mich länger küssen könnte, intensiver. Nicht wie auf den Partys, wenn wir getrunken hatten. Nicht wie drinnen in der Wärme, draußen, in der Kälte, in der Dunkelheit. Und deshalb war das klarer und schöner. Er zog die Handschuhe aus und schob die rechte Hand unter meine Jacke und unter meinen Pullover und unter meinen BH. Ich zitterte ein bisschen. Er legte die Hand auf meine linke Brust und streichelte sie mit geschlossenen Augen.
Ich öffnete meine und sah, wie versunken er war, wie er das genoss. Das bewunderte ich. Ich liebte ihn dafür, dass er das schaffte. Ich weiß nicht, wie lange wir so standen. Ich hätte ewig so stehen können. Er hörte auf, aber nicht plötzlich, nicht abrupt. Er hörte leise und schön auf. Er zog vorsichtig ihr Hand zurück und entfernte sein Gesicht langsam von meinen und öffnete die Augen und lächelte,
strich mir wieder den Pony aus den Augen, ehe er den Mund schloss, sich vorbeugte und meinen Mund mit seinem geschlossenen Mund küsste. Das hatte Üni gemeint, als sie gesagt hatte, er sei erfahren. Er zog die Zigarettenpackung hervor, schüttelte eine Zigarette heraus und setzte sich auf die Schultreppe, klopfte mit der Hand neben sich auf die Stufe, damit ich mich neben ihn setzte. Das tat ich.
Er steckte sich die Zigarette zwischen die Lippen und drückte auf das Feuerzeug und die Flamme erhellte sein Gesicht, ehe es sich wieder verdunkelte. Aber als er einen Zug machte, glühte die Zigarette rot-orange in dem dunklen Abend und er atmete Rauch aus, der unwiderstehlich würzig und süß roch.
Er hielt die Zigarette zwischen Ring und Mittelfinger und stützte das Handgelenk auf sein Knie, eine etwas bleiche und dünne Hand. Er hob die Zigarette wieder an den Mund, zog daran und zeigte mir, dass er Rauchringe machen konnte, die sich vielleicht in meinen Haarenfetz setzen. »Du kennst also Björn Paulsen nicht?« fragte er noch einmal. Und ich schüttelte den Kopf. Und er drückte die Zigarette aus und sagte, er müsse los.
Und wir standen auf und gingen die Treppe hinunter und er zog die Handschuhe an und setzte den Helm auf und stieg auf das Moped und schob es zwischen seinen Beinen zum Tor. Er ließ den Motor an, er lächelte mir zu, winkte, fuhr los und dann war er verschwunden. Ich ging zurück zur Treppe, hob die Kippe auf, roch daran und legte sie zum Beweis wieder zurück. Ich trug es auf dem Weg zurück durch die Dunkelheit in meinem Herzen.
Mutter stand am Fenster, als ich kam, oben auf der Treppe, als ich sie hinaufkam. Sie trat zu dicht an mich heran und fand, dass ich nach Rauch roch, zupfte mir an der Jacke, fragte, wo das Buch sei, das ich bei Helle hatte holen wollen. Das hatte ich vergessen. Ich sagte, wir hätten es in ihrem Zimmer und im Wohnzimmer gesucht, wo ihre Eltern saßen und rauchten. Sie wusste, dass Helles Eltern rauchten. Das hatte ich viele Male erzählt und das hatte sie viele Male gerochen.
Und trotzdem musste sie fragen. Es war ein Ritual oder ein Zwang, der das, was ich eben erlebt hatte, zerstörte. Und vielleicht war das der Grund zu zerstören, damit ich für immer das Schöne mit dem Schlechten, das darauf folgte, verbinden würde. »Jetzt lass doch das Mädel in Ruhe«, sagte Vater aus dem Wohnzimmer und rettete mich.
Als ich in mein Zimmer kam und zu mir kam, spürte ich, dass ich es zum Glück doch in meinem Herzen aufbewahrt hatte. Seinen Mund auf meinem Mund, seine Zunge an meiner Zunge, den Geschmack seines Mundes und seine Hand unter meinem Pullover. Ich schrieb es in mein Tagebuch, um es zu behalten und um es andauern zu lassen. Vielen Dank. Vielen Dank.
Ein deutscher Kritiker war neulich bei einer Lesung von Ihnen in Oslo. Die fand im Munk-Museum statt. In dem Museum gibt es eines der bekanntesten Bilder der Welt, Edward Munks, der Schrei. Und der deutsche Kritiker verglich ihren Roman mit diesem Bild. Was sie verbindet, sei eine Verzweiflung, deren Ursache verborgen ist. Und wenn man das Buch weiterliest, dann weiß man, dass in der Szene, die wir gerade gehört haben,
Ein Satz fällt, der ganz zentral ist, der auf die Verzweiflung und auf die verborgene Ursache dieser Verzweiflung hinweist. Ist Ihr Buch also vergleichbar mit Munchs Schrei?
Ich weiß nicht. Aber es sind Teile. Es gibt ja nie ein 1 zu 1, wenn Menschen etwas erlebt haben. Weil ein Roman ist immer eine literarische Konstruktion. Aber
Die Geschichte mit Finn Lücke, wie er auf Norwegisch heißt, die habe ich erlebt. Und die habe ich immer erzählt. Und ich habe die immer so als so eine lustige Geschichte erzählt. Denn das, was danach passiert, ist, die wollen dann auf eine Party am Samstag. Und sie schreibt auf, und wenn wir dann geküsst haben und getanzt haben, dann werden wir miteinander schlafen. Und das werden wir am Samstag machen. Und sie schreibt das in ihr Tagebuch. Am Samstag wird es passieren. Das, was niemand...
vergessen wird, weil das erste Mal vergisst niemand. Lieber Gott, lass mich nicht sterben, bevor Samstag ist. Und Samstagvormittag schreibt sie noch, am Samstagabend passiert das, was niemand vergisst. Auf diesen leeren Seiten wird es stehen und sie geht dahin zu diesem Fest mit Fynn Lücke und sie tanzen ein wenig und er nimmt ihre Hand und sie gehen raus und die Treppe hoch
Und dorthin, wo vielleicht dein Schlafzimmer ist. Und jetzt bin ich auf der Treppe. Und ich werde zu diesem Moment gehen, den ich niemals vergessen werde. Denn niemand wird dieses erste Mal vergessen. Und Fendiki, er nimmt die ganzen, er zieht die Kleider aus. Und er sucht dann in seinem Kleiderstapel nach irgendwas. Und während er das macht, sie hat sich dann auch ausgezogen. Und dann sieht sie, ah, er sucht ein Kondom. Und...
Aber da steht nichts und es wird schwierig. Und dann deckt er die Decke drüber und er legt sich auf sie und er bewegt seine Hüften, so wie er das ja glaubt, wie man es tun müsste. Sie hatte auch schon mal Pornografie gesehen. Und sie weiß, es passiert nichts, denn er ist nicht in ihr drin. Und sie hat ja schon mal während ihrer Tage Tampons benutzt. Sie weiß, wie es ist, wenn was in ihr ist. Und sie sagt, Finn, Finn, du bist nicht in mir.
drin und er ist immer weiter am Machen und Machen und Machen. Und dann geht er weg und das Kondom fällt runter. Da steht ja immer noch nichts, keine Erektion. Und dann nimmt er das Kondom und füllt das Kondom mit Wasser, um zu sehen, ob das Kondom gerissen ist, weil das wäre ja eine Tragödie, wenn das jetzt noch gerissen wäre. Aber es
Und so, wenn sie da steht, zieht sie sich an und dann geht sie raus zu den anderen, zu den Freundinnen. Und die Freundin steht da mit großen Augen. Und sie lächelt so ein bisschen. Und dann vergehen ein paar Minuten und da kommt Finn Lücke, ordentlich angezogen die Treppe hinab, setzt sich neben sie, legt seinen Arm um sie und sagt, jetzt bist du zu einer Frau geworden. Wirklich.
So wurde Wigdisjordt eine Frau. Ich habe das immer wieder als sehr lustige Sache erzählt. Es ist halt oft so, wir erzählen unterhalten und immer wieder über etwas, was eigentlich einen unterliegenden Schmerz hat. Und so ist es ja. Denn diese junge Frau kommt nach Hause und sie schaut auf ihr erwartungsvolles Tagebuch und sie will das Tagebuch nicht enttäuschen mit dieser dummen Geschichte. Und dann...
Dichtet sie 35 Seiten sexueller Gymnastik und anderen Dingen und den Pornoblättern, die sie irgendwo gesehen hat und ihre eigene schmutzigen Fantasien. Und diese 35 Seiten ließ ihre nervöse Mutter fahren.
Zeigt sie dem Vater. Und es entsteht ein riesiges Tauschen und eine Situation, wo die Eltern das alles ganz schlimm sehen. Und dann reden sie nicht mit ihr. Und sie versteht nicht, sie weiß nur, ich habe Mutter und Vater in die Verzweiflung getrieben. Aber das, was sie lernt und das, was ich gelernt habe, ist,
Das, was ich sagen konnte, dass ich mir das erträumt habe, konnte ich nicht sagen. Denn es war ja schlimmer, dass so etwas in mir drin ist. Das heißt, es war unmöglich, darüber zu sprechen. Aber die Bedeutung, die hat mich
hat meine erste Dichtung bekommen. Ich habe gelernt, dass das, was wir erdichten, kann grössere Bedeutung entfalten und grössere Konsequenzen als das, was die sogenannte Wahrheit ist. Jetzt bin ich alt genug, um das zu schreiben. Worauf hat das eigentlich hin? Worauf hat das hingezeigt? Die Verzweiflung, die Einsamkeit in der Krise, die da entstanden ist.
Das Zitat aus unserer Eingangskollage, das aus Ihrem Buch stammt, lautet, warum schreibe ich du, wenn ich ich meine? Sie schreiben über eine sehr persönliche, ihr Leben prägende Erfahrung. Das ist das dritte Buch, das Sie darüber schreiben. So erklärt sich auch der Titel Wiederholung. In Ihrer Heimat Norwegen ist Ihr persönlicher Bezug zu der Geschichte öffentlich bekannt.
Für die deutsche Leserschaft nicht. Und es spielt auch keine Rolle. Wie ist es für Sie, in Ländern unterwegs zu sein, erfolgreich zu sehen, in denen Ihre Texte in Anführungsstrichen nur Literatur sind? Oh, das ist sehr befreiend. Befreiend einfach. Ich liebe es, in Deutschland zu sein. Denn Sie wissen überhaupt nicht, wie mein sonstiges, nicht vorhandenes Liebesleben und Sonstiges aussieht. Es gibt eine Stelle im Buch, da beschließt die Erzählerin,
Selbstmord zu begehen. Sie will sich unter eine Straßenbahn werfen. Und da an der Haltestelle der Straßenbahn trifft sie ihre Lehrerin. Und die Lehrerin lobt sie für einen Aufsatz, den sie geschrieben hat und sagt: "Vielleicht können Sie ja eines Tages vom Schreiben leben." Wir verstehen darunter ja immer nur den finanziellen Aspekt, das Schreiben als Einkommensquelle. Aber die Formulierung "vom Schreiben leben" drückt ja auch aus,
Schreiben ist ein Überlebensmittel. Ist es das für Sie, Wittes?
Ja, das wäre vielleicht ein bisschen zu weit gedacht. Aber trotzdem würde ich sagen, mein Gefühl ist, das Schreiben ist ein Gefühl, wie ich denke. Also ich weiß nicht, was ich meine, bevor ich sehe, was ich schreibe, sage ich immer. Wir haben so viele Redeweisen. Ich kann über mich reden und mich einschließen, aber die Schrift ist näher am Ohr.
Unterbewussten als die Sprache. Das ist auf jeden Fall meine Erfahrung. Wir kommen dem Unterbewussten näher beim Schreiben. Wenn man falsch schreibt, dann kann das auch wieder auf etwas hinweisen. Also für mich ist die Schrift an sich, also Romane zu schreiben, bedeutet etwas herauszufinden. Und vieles hätte ich nie herausgefunden oder Klarheit gefunden, wenn ich nicht geschrieben hätte. Aber manche denken...
Vielleicht, dass das Schreiben gesund ist oder eine Form von Therapie. Aber ich glaube, dann wären ja alle Autoren plötzlich gesund und das sind wir nicht. Also das stimmt nicht. Das haben wir schon bewiesen, auch heute schon hier. Ich habe in einem Interview gelesen, Sie haben als 10-jährige Briefe in Ihr Tagebuch geschrieben. Briefe an Ihr 20-jähriges und 30-jähriges Ich. Und haben denen gesagt, lacht nicht über mich.
Denn mein Schmerz ist echt. Ist das womöglich eine Aussage, ein Appell, der jeder Literatur zugrunde liegt? Der Schmerz, aus dem heraus er geschrieben wird, ist echt?
Nein, ich glaube, es gibt so viele Quellen für Literatur, aber der Schmerz, der kann ja manchmal nicht aushalten sein, nicht zu tragen. Und dann muss man Lösungen finden, um mehr zu verstehen. Und die Freude und das Glück, darüber hat
Man hat ja auch schon viel Schönes geschrieben. Das erfordert nicht so viel. Oder das hat nicht diese Rastlosigkeit, wo man möchte, dass der Schmerz aufhört. Diese Verzweiflung, dieses Desperate, das ist, glaube ich, schon Quell für viel Kunst. Jetzt komme ich nochmal zurück zum Schrei von Munch. Ihr Buch enthält etwas, was ich eine poetische Utopie nennen möchte.
Eine Szene, da begegnet dieses 16-jährige Mädchen, das Schreckliches erlebt hat, seinem Jahrzehnte älterem Ich. Und dieses Ich kann sie trösten. Welche Art von Trost ist das?
Ich denke schon, dass... Ich denke, und das haben vielleicht auch viele schon gedacht, dass man in der Zeit als Kind und Jugendlicher sehr traurig ist. Manchmal sind die Fakten nicht da oder die Erwachsenen halten Dinge zurück oder sie verbergen sie vor den Kindern. Und dennoch spüren die Kinder, da ist etwas ungewöhnliches.
ausgesprochenes, etwas Schmerzhaftes und das wird internalisiert. Und die eigene Landschaft nicht zu verstehen, das kann sehr schmerzvoll sein, wenn man ahnt, da liegt etwas Gefährliches. Ich weiß nicht genau, worauf du hinaus wolltest, aber
Ich glaube, viele haben sich gefragt, warum war ich damals nicht bei dir? Das Erwachsene Ich, das jetzt das kleine Kind versteht oder die jugendliche Perspektive. Ich hätte damals bei dir sein müssen. Warum hat dich da keiner getröstet?
Kann ich dich jetzt trösten? 40 Jahre verspätet, aber dennoch. Aber ich versuche es und ich versuche es. Und das versuche ich eben auch. Ich, Wigdes, versuche Wigdes zu trösten. Mit 50 Jahren Verspätung. Aber dieser Trost ist ja gut. Dann stehe ich oft so da und umarme mich selbst. Sie trösten sich, sie trösten uns. Indem wir ihre Bücher lesen, werden wir zu Lesern. Aber wirklich. Vielen Dank, Wigdes Jos.
Und gleich geht's weiter mit Matthias Veitbacken und seinem Roman Armes Ding. Have I told you lately that I don't care? Have I told you there's no one? Well, buy a good glasshouse, take away my sadness. Ease my troubles, that's what you do.
Nach diesem wunderbaren Schmusesong begrüße ich jetzt sehr herzlich Matthias Falpbacken. Und nach diesem Schmusesong muss ich jetzt auch kurz sagen und nach diesem Auftritt von Victis Jort, den wir gerade alle sehr gespannt gelauscht haben, dass es auch in ihrem Roman, über den wir jetzt gleich reden werden, ganz fantastische Sexszenen gibt. Aber darum geht es jetzt erstmal nicht.
Sie müssen den Roman alle kaufen und selbst lesen. Ich weiß nicht, ob wir dazu kommen werden, das hier auszuwalzen.
Wie auch die Kollegin Kersti Anfinsten sind Sie eine Mehrfachbegabung, Matthias Falkbacken. Sie sind einerseits ein vielfach ausgezeichneter bildender Künstler, andererseits einer der bekanntesten Schriftsteller Norwegens. Und wenn man sich mit Ihrer Familie ein bisschen beschäftigt, dann stellt man fest, Ihr Vater ist Schriftsteller, Ihre Mutter ist bildende Künstlerin. Und jetzt habe ich mich gefragt, sind Sie...
Nicht nur sowas wie die biologische, sondern auch die künstlerische Symbiose aus Ihren Eltern? Hm... Ähm... Ja, äh...
Ich helfe ganz kurz aus. Ich habe neulich eine Veranstaltung gesehen im Literaturhaus Zürich, kann man sich online anschauen. Und da wurde von dem Moderator gleich mit so einer psychoanalytischen Einleitungsfrage gequält. Und da habe ich gedacht, das hat Ihnen so großen Spaß gemacht, da muss ich jetzt direkt anknüpfen. Schönen Tag. Ja, vielen Dank dafür.
Thomas Espedal hat, glaube ich, gesagt, dass seine Mutter diese alte Schreibmaschine hatte. Und er ist mit diesem Klang aufgewachsen von dieser alten Schreibmaschine, auf die losgehämmert wurde. Das Gleiche ist mir auch passiert mit meinem Vater und meiner Mutter. Ich bin in einem norwegischen Dorf aufgewachsen und
Mein Vater, der ist in den Keller gegangen und hat jeden Tag geschrieben. Und man hörte dieses Tick, Tick, Tick, Tick, Tick.
bis er dann irgendwann am Nachmittag wieder hochkam und dann das Abendessen zubereitet wurde. Und ich kann mich daran erinnern, ab und zu war irgendetwas zu tun, irgendwas musste weggefahren werden oder wir mussten irgendwo hin, die Jungs, wir mussten irgendwo hingefahren werden. Und dann hat mein Vater Knut gesagt, ich bin gerade ein bisschen beschäftigt, warum kann denn nicht der Vater vorbeifahren?
Ich habe mich von Toreich gefühlt. Und wir waren im Grunde traurig, weil der Vater, der arbeitet halt so anders. Also mein Vater arbeitet scheinbar nicht, so schien es mir. Also es war...
Ich habe durchaus von zu Hause was mitgekriegt. Also die Arbeit, die ich habe, das ist eigentlich keine Arbeit. Das ist so ein bisschen das, was mir mitgegeben wurde. Das ist was, was man erwählt. Sie haben uns heute Ihr jüngstes Buch mitgebracht. Es heißt Armes Ding. Und der Titel ist natürlich ein bisschen erklärungsbedürftig. Vielleicht mal aus Ihrem Munde, wer oder was ist dieses arme Ding? Versetzen Sie uns mal kurz in das Setting dieses Romans.
Das Setting ist im Grunde die Geschichte eines wilden Kindes. Es gibt ein armes Ding, das aus dem Wald hervorkommt in der ersten Szene. Ein wildes Kind. Und ein Jugendlicher, der auf einem Hof arbeitet, fängt dieses arme Ding an.
Und das arme Ding ist also erstmal dieses vernachlässigte Wesen. Das ist die erste Szene. Nach und nach schreitet das Buch voran und man versteht nach und nach, dass da noch mehr drin liegt und dass es auch mehr arme Dinge und Dinge und Menschen in dieser Geschichte gibt.
Ja, der junge Mann, der selbst eigentlich auch noch ein Kind ist, der das arme Ding findet, heißt Oskar. Wir werden ihm noch begegnen, jetzt gleich im Laufe der Lesung.
Aber ich habe noch eine Frage zum wilden Kind, sogenannte Wolfskinder, wie sie auch genannt wurden. Die faszinieren die Literatur im Grunde seit eh und je. Die berühmtesten Beispiele sind die mythologischen Figuren Romulus und Remus, die von einer Wölfin gesäugt wurden, aber auch Mowgli aus dem Dschungelbuch kennt eigentlich jeder. Dann natürlich der deutsche Kaspar Hauser, in Deutschland sehr wichtige Figur. Was hat Sie daran gereizt, so eine Geschichte vom wilden Kind zu
das sozusagen fernab der Zivilisation aufwächst und dann die Welt der Menschen erst kennenlernt. Was hat Sie daran gereist, diese Geschichte nochmal zu erzählen oder zu aktualisieren?
Ich war eigentlich gar nicht besonders interessiert an der Geschichte der wilden Kinder, abgesehen von sowas Allgemein, was uns interessiert. Ich habe so ein bisschen hier und da gelesen und habe über einen ukrainischen Mann gelesen,
während des Zweiten Weltkriegs sehr, sehr lange verschwunden war, weg war und dann zurückkommt. Da gibt es auch ein bisschen diese Art der Geschichte. Es gab so einen Satz,
Dass die Person eine Kindheit ohne Zeugen hatte, stand in einer dieser Geschichten über die wilden Kinder. Und die eine Kindheit ohne Zeugen, das war ein Satz, war glaube ich eine dieser Spuren, die ich brauchte, als ich den Satz gelesen habe.
hatte ich ein Bild im Kopf und habe schnell verstanden, dass das ein Bild ist, was ich als Grundlage für mein Schreiben nutzen kann. Also ich glaube, es war mehr der Satz und sich das vorzustellen, wie kann man eine Kindheit ohne Zeugen beschreiben. Eine Kindheit, von der das Kind nichts weiß und auch nicht Menschen ringsherum. Im Grunde eine Lehrstelle mitten in der Erzählung.
Auf dem Hof der Blumster erlebt die Blumster, diese Bauhausfamilie, die das Kind dann aufnimmt, wo der Oskar arbeitet, so als Bursche. Und auf diesem Hof der Blumster erlebt das Findelkind jetzt alles neu. Nicht nur das Gehen, also wirklich, es muss sich aufrichten, das Essen, es lernt Körperhygiene, es lernt Tischmanieren, Kleidercoats und es durchläuft das Spiegelstadium von Kleinkindern mit großer Verspätung und...
Es lernt sprechen, wenn auch nur sehr rudimentär. Und da komme ich jetzt nochmal auf diese Idee von der Kindheit ohne Zeugen zurück, denn die sprachliche Entwicklung hat ja immer was mit einem Gegenüber zu tun. Da, wo kein Gegenüber ist, kann wahrscheinlich auch keine Sprache entstehen.
Auf den letzten Seiten des Romans, da fängt das Mädchen dann selbst an zu erzählen und bekommt eine eigene Stimme. Was ist das Besondere an dieser eigenen Sprache, die auf den letzten Seiten des Romans dann zum Tragen kommt? Es ist ja nämlich ein Sprechen, wenn man so will. Sie hat dann schon ein bisschen was gelernt, sie kann sich verständigen, aber es ist ein Sprechen ohne Grammatik. Mhm.
Ja, wie gerade gesagt wurde, ist das Setting im Grunde ja gewesen. Das ist ja...
Ja, dass man im Grunde so einen Nullpunkt schreibt, von dem man anfängt und dass von dort aus dieser Mensch sich nach und nach hervorschreibt. Erst der Körper, dann das Verhalten, dann kommt irgendwann die Sprache. Also das Buch dreht sich ja auch um Sprache. Je mehr sie sich entwickelt, je mehr kann sie etwas sagen, aber man hört sie im Grunde nie.
Bis wir zu den letzten Seiten kommen. Jetzt habe ich deine Frage ein bisschen wieder vergessen. Es gibt diese Sprache ohne Syntax am Ende. War es ein bisschen das, was du meintest? Genau. Und am Ende, das sind glaube ich drei, vier Seiten oder so, wo das Mädchen sozusagen die eigenen Erlebnisse, die eigene Beziehung zu diesem jungen Oskar
zu dem sich so eine Liebesbeziehung dann entwickelt, weil das Mädchen ist nur wachstumsgestört. Und sie holt dann ganz, ganz schnell an Größe und an Entwicklung nach. Und es stellt sich heraus, sie ist ein wahrscheinlich 17-jähriges Mädchen, Bild hübsch und Oscar und sie werden ein Liebespaar.
Ob das alles dann gut ausgeht oder ob diese Liebe eine Chance hat, das müssen wir Ihnen, liebes Publikum, dann noch ein bisschen als Hausaufgabe überlassen, das nachzuprüfen. Aber was eben spannend ist, ist, dass sie am Ende selbst eine Perspektive zum ersten Mal einnimmt. Eben in einer Sprache, die ohne Syntax auskommt, die mehrheitlich ohne Grammatik auskommt und eigentlich mehr einem Gedicht ähnelt.
Das Schreiben in verschiedenen sprachlichen Registern, das ist etwas, was sich so durch ihren Roman durchzieht. Einerseits klingt er manchmal so ganz zeitlos wie ein Märchen.
Oder wie ein Mythos, wie ein zeitgenössischer Roman. Dann kommt plötzlich so ein Sprengsel von ganz modernen zeitgenössischen Ausdrücken, Redewendungen, Alltagssprache und sowas. Es ist immer so ein Hin und Her. Und am Schluss dann eben dieses Lautgedicht. Hat Ihnen das Spaß gemacht, diese verschiedenen sprachlichen Register miteinander zu verschränken?
Ja, absolut. Das Buch ist im Grunde ein bisschen wie so eine Zeitmaschine. Also man kommt von so einer Art archaischen Zeit. Das hätte jetzt 1800 sein oder ein bisschen später früher. Dann entwickelt es sich immer weiter und dann kommt man im Grunde in so einer modernen Zeit an.
Nochmal zu der Sprachfrage am Ende. Da ist ja auch eine Referenz drin. Sie kommt aus dem Wald ganz am Anfang und hat einen Umschlag da
Und mit einer kryptischen Nachricht. Das Papier ist im Grunde schon verblichen und durchlöchert. Und es ist schwierig zu sehen, was da steht. Was ist denn die Nachricht, die dort steht? Und in der letzten Szene, das kann ich vielleicht sagen, da hat sie im Grunde diese Leerstellen gefüllt. Also dann setzt sich das zusammen.
Das erklärt in einer gewissen Weise, es ist eigentlich fast mehr eine Art Verteidigungsrede, die da am Ende kommt. Und sie füllt das Fehlende aus. Aber im Buch nenne ich das ein zerstörtes Gedicht. Es ist ein zerstörtes Gedicht.
In gewisser Weise sind vielleicht alle Gedichte gestörte Gedichte oder gestörte Sprache. Wir hören jetzt mal einen Ausschnitt aus Armes Ding. Übersetzt hat den im BTB-Verlag erschienen Roman Max Stadler und lesend daraus wird jetzt der Schauspieler Joachim Kohl. Das Kind saß auf den nackten Dielen, seine Knochen traten deutlich hervor. Es trank Wasser und Oskar überlegte, was als nächstes anstand.
Sollte er ihm erst etwas zu essen geben, es dann waschen und schlafen lassen oder umgekehrt? Er entschied sich, ihm zuerst etwas zu essen zu geben. Ich glaube, das kleine Ding mag Brot, Agnes, sagte Oskar. Kannst du einen Teig machen? Agnes nickte. Ja, wir backen heute Abend bestimmt einen großen Laib. Zum ersten Mal in Oskars Karriere auf dem Bahnhof hörten ihm die Teenager zu und besorgten ihm alles, worum er sie bat.
Sie brachten ihm wie auf Kommando leicht verdauliche Speisen wie eingeweichte Brotkrusten, gekochten Schinken und Weichkäse und sorgten für stetigen Wassernachschub.
Oskar schob dem Kind jede Portion mit dem Fuß hin und zog sich dann zurück. Es aß so, wie es trank. Mit dem Gesicht nach unten verschlang es alles, was ihm angeboten wurde. Es rülpste mehrmals als wolle es alles gleich wieder ausspeien. Aber letztlich verschwand alles in seinem Schlund und blieb auch dort. Was nun? Wie wäre es mit einem Bad? Oskar bat die Mädchen, die Wanne zu füllen. Nicht zu heiß und nicht zu kalt.
Und sein Wunsch war ihnen Befehl. Als die Wanne mit dem leicht dampfenden Seifenwasser im mittleren Raum des Erdgeschosses bereit stand, nahm Oskar all seinen Mut zusammen. »Jetzt wirst du gewaschen«, sagte er freundlich.
Während er sprach, legte er die Hand sanft auf den Rücken des Kindes, um es zur Wanne zu führen. Doch das erwies sich als Fehler. Das Beruhigungsmittel hatte das kleine Ding ruhig und zahm gemacht. Oscars Berührung dagegen löste eine plötzliche und heftige Reaktion aus. Das kleine Ding benahm sich wie ein Iltis, kratzte mit seinen langen, dreckigen Krallen an der Fußleiste und fletschte die Zähne.
Es war mehr als offensichtlich, dass die Wirkung des Beruhigungsmittels nachgelassen hatte. Oskar musste schnell handeln und erneut zum Jäger werden. Er beschloss, seine Bettdecke zu opfern und sie über das Kind zu werfen, um es zu beruhigen. Sein ruhiges und braves Summen war einem Fauchen und Winseln gewichen.
Entschlossen und zugleich vorsichtig legte Oskar sich auf das Kind, um seine Arme und Beine zu bändigen. »Wenk mit der Schüssel«, rief er den Teenagern zu, »bleib zurück, haltet die Tür auf.« Während er mit dem kleinen Ding rang, ahnte Oskar instinktiv, dass es sich beruhigen würde, sobald es im Wasser war. Die Badewanne war das Ziel.
Es war ein harter Kampf. Das Kind wandte sich und strampelte, aber Oskar war stark und das kleine Ding schwach. Und so schafften sie es schließlich die Treppe hinunter und in die Waschküche. Agnes hielt es an den Armen fest, während Oskar ihm die Windel abnahm.
Es schlug wild mit seinen langen Krallen um sich und Oskar fürchtete um seine Augen. Mit einem kräftigen Ruck riss er die zerlumpte Weste oder Tunika oder was auch immer es war auf.
Das kleine Ding kreischte hysterisch, schrie, heulte, pfiff, würgte. Die Mädchen packten die dünnen Beinchen, während Oskar versuchte, das Ende des Tuchs zu finden. Eine Lasche, einen Griff, irgendwas, woran er ziehen konnte. Aber der Stoff schien an beiden Enden völlig mit der Haut verwachsen zu sein.
»Nimm mehr Seife«, sagte Agnes, »damit löst es sich.« Sie schütteten glitschige Seife in die Wanne, während Oskar den Oberkörper des Kindes festhielt wie ein Schraubstock. Der Gestank der Windeln und Lumpen stieg ihm in die Nase. Es war widerlich. »Nun ja«, dachte Oskar, »so schlimm ist es auch wieder nicht.« Der Geruch war unangenehm, aber ihm auch irgendwie vertraut.
Als sich die Seife im Wasser aufgelöst hatte, hob Oskar das Kind über den Wannenrand.
Es war nun bis zur Hüfte im Wasser und es schluchzte ein paar Mal tief. Der Atem stockte, sein Körper versteifte sich kurz, aber dann entspannte er sich plötzlich und glitt ganz in die Wanne, wobei ihm Oskar mit einer Hand half, während er mit der anderen auf den Eimer deutete, der an einem Haken hing.
Karin reichte ihn, Oskar trat dann zurück und stellte sich wieder neben ihre Schwester. Beide beobachteten ihn. Von Oskars Kopf stand ein Wirbel blonder Haare ab. Die breiten, flachen Muskeln auf seinem Rücken bewegten sich rhythmisch. Sein Nacken war von der Sonne gebräunt. Mit halb geöffneten Mündern starrten die beiden halbwüchsigen Mädchen den Burschen an.
der jetzt das Kommando und die Verantwortung übernommen hatte. Oskar saß ein, zwei Stunden, vielleicht auch länger, auf dem lackierten Hocker neben der Badewanne, hielt das in sich zusammengesackte Kind unter einem Arm und goss mit der Schöpfkelle Wasser darüber. Immer wieder goss er Wasser über den kleinen Körper, über Kopf und Rücken, über die Haare und auf den Nacken.
Das Kind atmete eine Weile röchelnd, aber schließlich beruhigte es sich. Es schnaufte nun regelmäßig. Schließlich hatte Oskar es so gründlich eingeweicht, dass sich ein Teil des eingewachsenen Stoffes von den Rippen löste. Er blickte zu Agnes auf, die nickte und sagte, »Du kannst es jetzt auswickeln.«
Oskar griff nach dem Tuch und zog vorsichtig an dem ekelhaften Fetzen, in den das Kind eingehüllt war. Er wusch noch einmal gründlich die Haut unter jedem Stück, das sich löste.
Agnes sorgte dafür, dass das Wasser in der Wanne immer warm war. Es ist unmöglich zu sagen, wie lange die ganze Prozedur dauerte, aber die Stoffbahnen schädelten sich Zentimeter für Zentimeter ab und als es Nacht wurde, war auch das letzte Stück gelöst.
Agnes stand mit einem großen Handtuch bereit, das sie wie ein Schutzschild vor das Kind hielt. Oskar hob das dürre Ding aus dem Wasser und erst da sahen sie, dass er ein Mädchen gefangen hatte. Das Mädchen sog alles auf wie ein Schwamm. Es lärmte schnell.
Zählen bis 100 und das Alphabet kommt es bald aus dem FF. Sie schrieb das ABC in Kleinbuchstaben, fast so, als hätte sie es früher schon einmal gelernt. Der Wortschatz des Mädchens wuchs sprunghaft.
Aber das Sprechen in ganzen Sätzen fiel ihr noch schwer. Selbst Agnes, die sehr nachsichtig war, riss manchmal der Geduldsfaden, wenn das Mädchen die einfachsten Grundsätze durcheinanderbrachte. »Cousin Karls chronisches Chaos«, schrieb das Mädchen mit Kreide, aber aus ihrem Mund kam es rückwärts.
Es schien, als ob der Satzbau des Mädchens keinen Zusammenhang kannte und die einzelnen Wörter nie ein größeres Ganzes ergaben. Im Gegenteil, ihre Sätze hatten keine Logik und keine Kohärenz. Von feststehenden Ausdrücken wie »am Rande« äußerte sie immer nur sinnlose, verdrehte Versionen. Das Mädchen konnte 1, 2, 3 zählen, ohne durcheinander zu kommen, aber »ich bin groß«
Oder "Schau auf meine Hand" erwiesen sich als unmöglich. Sie schaffte es nicht, die Worte in die richtige Reihenfolge zu bringen. Agnes sprach ihr einen Satz vor, das Mädchen sprach ihn falsch nach. Agnes wiederholte, das Mädchen formulierte erneut um. Agnes versuchte es immer wieder, aber es schien aussichtslos.
Nach einem langen Mittwochvormittag voller Mühen und Missverständnisse murmelte Agnes, dass das Mädchen vielleicht etwas schwer von Begriff sei, aber sie murmelte es wohl etwas zu laut. Ihre Bemerkung brachte den Vulkan zur Eruption.
Mit einem starren Blick auf den Schreibtisch ließ das Mädchen langsam den zerkauten rot-blauen Bleistift in ihre Tasche gleiten und zog aus der anderen einen blutroten Lippenstift, den es wahrscheinlich bei den Schminksachen von Frau Blum gefunden hatte. Das Mädchen drückte den Stift auf die Lippen und bewegte ihn in Kreisen nach außen, bis Gesicht und Hände bedeckt waren.
Als Agnes sich umdrehte, war der ganze Kopf des Mädchens rot wie der eines Dämons. Agnes bekam eine Schimpftirade zu hören. Die Wörter kamen in Haufen und Bündeln aus dem Mund des Mädchens, aber ihre Bedeutung war unmissverständlich.
Agnes wurde gescholten. In einem rauen, scharfen Ton erklärte das Mädchen, dass Agnes untergehen würde, dass sie untergehen müsse, dass die Lehrerin untergehen würde. Das Mädchen flippte komplett aus und der Unterricht endete im Chaos.
Anar wurde gerufen, um das Mädchen zu beruhigen, abzulenken. Aber auch er bekam ordentlich was zu hören. Sie beschimpfte den alten Mann, der beim infernalischen Gekeife des Mädchens erschauderte und zusammenzuckte. Verdammt, wir müssen Oskar holen, murmelte er.
Oskar arbeitete gerade wie eine Maschine auf dem Feld, aber er ließ sofort sein Werkzeug fallen und lief zurück zum Hof. Als allererstes drückte der Bursche ihr die Maske auf das rote Gesicht. Dann führte er sie den Feldweg hinunter zu der Eiche, wobei sie leise mit der Zunge schnalzte und nicht aufhörte, sich zu kratzen.
Unter dem eisenbeschlagenen Baum setzte er das Mädchen zwischen zwei festen Wurzeln auf den Boden. Mit dem Rücken zum Stamm und Blick auf die schönen Felder, auf denen sie Lieschgras für die Tiere anbauten. So saßen sie eine Weile da und Oskar erzählte ihr aus seinem Leben.
Solange er arbeitete, konnte er die Gedanken daran verdrängen. Aber jetzt, da er seine Werkzeuge beiseitegelegt hatte und neben dem aufgelösten Mädchen unter der Eiche saß, stiegen sie unweigerlich in ihm auf. Schreckliche Erinnerungen, an die er kaum zu denken wagte. Er hatte nicht die Absicht gehabt, darüber zu reden, aber ihm fiel auch kein anderes Gesprächsthema ein. Das Mädchen kaute auf seinem Bleistift herum
und hörte aufmerksam zu. Sie lauschte gespannt, als er von seiner trostlosen Kindheit und seinem schlimmen ersten Zuhause erzählte. Dann wiederholten sie immer wieder dieselben Wörter und Sätze, bis sich das Mädchen beruhigt hatte. Die Sätze lauteten, die Herdplatte ist an, die Eiche steht und schlug.
Oskar, Mark, Ochsen. Sie sprach alle drei Sätze fehlerfrei aus. Aber auch wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, so erfüllten sie doch ihren Zweck.
Ja, da sind sie wieder, die dysfunktionalen Familien. Oskar und das Mädchen, das arme Ding, sind beide versehrte Seelen. Beide brauchen einen Zeugen für das Unaussprechliche, das sich in ihrer Kindheit ereignet hat. Es wird im Roman immer nur angedeutet. Das fand ich auch unheimlich stark an dem Roman, dass er die Dinge nicht so ausbuchstabiert. Eine letzte Frage.
Wollten Sie auch so etwas wie eine Liebesutopie mit diesem Roman schaffen? Also die Utopie, dass zwei Menschen, die vielleicht von niemand anderem verstanden werden können, einander verstehen, obwohl die Sprache zwischen ihnen gar nicht im konventionellen Sinne funktioniert?
Ja, ich hatte schon eine Idee, dass es diese Romanze geben könnte, das auch früh. Und das, was ich im Buch mache, ist, dass diese beiden Menschen entstehen in dem Moment, wo sie sich sehen. Und
Das ist ja auch der Beginn des Buches im Grunde. Und wenn sie sich am Ende verlieren, dann endet auch das Buch. Also das heißt, sie rufen einander, sie existieren nicht ohne einander. Das heißt, sie bekommen dieses Lebensstück gemeinsam, weil sie einander hervorrufen. Ja, ich kann Ihnen sagen, meine Damen und Herren, dass man dieses Buch mit einer ganz großen Wehmut verlässt als lesende Person.
Danke, Matthias Faltbacken, dass Sie hier waren. Und jetzt gibt es nicht nur für Sie, liebes Radiopublikum, eine kleine Pause für die Nachrichten, sondern auch für Sie, liebes Live-Publikum, hier in Leipzig eine kleine Snackpause von 20 Minuten. Danach geht es in die dritte Stunde der langen Nacht der norwegischen Literatur. Thomas Böhm wird sie eröffnen mit dem Schriftsteller Erik Vossnes Hansen und seinem deutschen norwegischen Lyrikprojekt. Bis gleich.
Nord, schau öfter Richtung Norden. Lauf gegen den Wind, da kriegst du rötere Backen. Finde den unwegsamen Pfad, halt ihn. Er ist kürzer, er ist besser. Nord ist besser. Der Flammenhimmel des Winters, der Sommernacht des Sonnenwunder. Lauf gegen den Wind, erklimme den Berg.
Schau Richtung Norden. Lang, so lang ist dieses Land. Das meiste ist Nord.
Willkommen zur abschließenden Stunde der langen Nacht der norwegischen Literatur aus dem Literaturhaus Leipzig. In diesem Jahr ist Norwegen Gastland der Leipziger Buchmesse und bei mir ist jetzt ein Autor, der ganz am Anfang mit dabei war als der lang anhaltende Erfolg der norwegischen Literatur in Deutschland begann. Sein Roman Choral am Ende der Reise erschien 1990 in Deutschland und trug sehr dazu bei. Herzlich willkommen Erik Vosnes Hansen.
Dankeschön. Nun könnte ich weiter ausholen mit der Vorstellung des Romanciers Erik Vossnitz-Hansen, zumal sein zuletzt auf Deutsch erschienener Roman Zum rosa Hahn im norwegischen Original betitelt ist mit...
Lang langstwein mellom Cottbus och Berlin. Ja, ja. Auf der Landstraße zwischen Cottbus und Berlin. Heißt es auf Norwegisch. Auf Deutsch heißt es dann zum rosa Hahn. Und wir hätten von der Landstraße sicher eine Abzweigung nach Leipzig gefunden. Aber Erik Vossenes Hansen ist hier heute nicht als international erfolgreicher Romanautor, sondern als Lyrikübersetzer. Wie weit müssen wir ausholen,
um unserem Publikum zu erklären, wie Sie Lyrikoebersetzer wurden. Nein, es ist so. Also ich liebe Lyrik. Und ich gehöre zu der raren Gattung der Menschheit, die gerne Lyrik und Gedichte auswendig lernt und auswendig kennt und leicht behält. Es gibt ja immer... Ja, ja, ich sehe, wir sind noch ein paar Dutzende hier.
Und wenn man das tut oder wenn man das kann, dann trägt man immer eine Bibliothek bei sich. Also ein Schatz eigentlich von Gedichten, die einem manchmal etwas in einer schwierigen Stunde etwas geben können. Oder auch bei einer Lesung. Man steht da vor einem Publikum wie jetzt und dann fällt einem ein, jetzt sollte ich vielleicht dieses oder jenes Gedicht zitieren. Ein paar Zeilen nur reicht. Und manchmal bei Lesungen in Deutschland...
Etwa in Düsseldorf fehlt mir dann plötzlich diese paar Zeilen aus dem norwegischen Gedicht. Die sind nicht übersetzt oder mangelhaft übersetzt. Ich kann natürlich einige Zeilen Goethe oder Schiller zitieren. Also das hat man ja nicht jeden Tag in Düsseldorf. Der Eskimo spricht Deutsch. Und...
Aber manchmal fehlten mir dann die norwegischen Gedichte, die ikonischen Gedichte, die kanonischen Gedichte, mit denen nicht nur ich aufgewachsen bin, sondern die sogenanntes Allgemeingut sind für die Norweger.
Aber ich habe gedacht, also ich habe einen Übersetzer, er sitzt da, das ist Hinrich Schmid-Henkel, der übersetzt mich ins Deutsche. Und es gilt ja als axiomatisch in der Literatur, man kann eigentlich nur in die eigene Muttersprache übersetzen. Und Deutsch ist nicht meine Muttersprache. Ich habe Deutsch erst mit 20 gelernt. Nicht in der Schule? Nein, doch, doch, ich hatte Deutsch in der Schule und das war mein...
Lieblingsfach. - Schlechtestes Fach. Ich übersetz das jetzt mal kurz. Da hat vielleicht die Radioleitung ein bisschen gewackelt. Das war Ihr absolutes Lieblingsfach? Nein, ich hab's nicht nur nicht gemocht, sondern aktiv sabotiert.
Also die armen Deutschlehrer, die Klasse 8b damals gehabt haben, also wir haben drei davon gekaut und wieder rausgespuckt im Laufe von einem Jahr. Ich habe es wirklich gehasst und aktiv sabotiert. Und erst als ich mit 19, 20 nach Deutschland gekommen bin, habe ich entdeckt, dass Deutsch ist eigentlich eine sehr schöne Sprache.
Sehr sanft, sehr poetisch, sehr präzise. Und ich habe es inzwischen gelernt, wie du hörst. Ja, ja. Und nicht nur gelernt. Du bist jetzt mittlerweile Mitglied der Akademie für deutsche Sprache und Dichtung in Darmstadt. Bin ich. Der erste Norweger. Ich...
Meine Klassenlehrerin von damals, sie war auch unsere Krisen-, also Notdeutschlehrerin im letzten Teil von der siebten Klasse. Sie lebt noch und sie ist 87 und als ich dann eingewählt wurde vor anderthalb Jahren, rief ich bei ihr an, wir sprechen oft miteinander und ich sagte zu ihr, ein bisschen stolz, jetzt bin ich Mitglied und so weiter und so weiter. Und dann fragte sie, was macht man in einer solchen Akademie und dann zitierte ich
aus den Fundus der Akademie. Ich sagte, es von nun auch meine Aufgabe sei, der deutschen Sprache in ihrer Entwicklung aufmerksam zu begleiten und zu überwachen. Und dann sagte mir meine Lehrerin, ganz trocken, diese Entwicklung haben wir damals nicht so ganz sehen kommen. Gut.
Vor anderthalb Jahren ging ich Gassi mit meinem Hund und plötzlich standen mir vor Augen einige Zeilen aus einem norwegischen Gedicht, aber auf Deutsch. Und ich ging dann nach Hause und schrieb sie auf und habe gedacht, das klingt nicht so schlecht. Und dann versuchte ich, das ganze Gedicht zu übersetzen und dann bekam ich, sagt man auf Deutsch, bluthaft Zahn. Nein, das sagt man nicht auf Deutsch. Geschmack.
Blutgeleckt. Genau. Ruft Hinrich Schmidtenkel aufs Wort aus der ersten Zeile. Und dann habe ich gedacht, ich versuche das noch einmal. Und das habe ich dann wieder versucht. Und plötzlich wurde es sozusagen wie Sudoku der Woche. Ein norwegisches, klassisches Gedicht mit Metrum und Reim. Das muss dabei sein. Reim ist wichtig für ein Gedicht, finde ich manchmal.
Denn ein Reim ist ja wie eine Versprechung und eine Überraschung. Wenn man weiß, es kommt ein Reim, dann ist die Frage, wie löst die Lyriker dieses Problem? Wird das banal sein oder findet er was Originelles zum Beispiel? Und die Frage war dann, ließe sich dieses oder jenes Gedicht ins Deutsche übertragen? Und ich habe dann versucht, das zu tun. Und nachdem ich etliche davon, 30 davon übersetzt hatte...
Dann plötzlich entdeckte ich, das ist nicht mehr Sudoku der Woche, sondern das ist ein Projekt. Und hier werde ich Geschmacksproben aus diesem Projekt lesen. Eine akustische Lyrik-Anthologie zum ersten Mal in Deutschland präsentiert von einem Mann, der für die Weiterentwicklung der deutschen Sprache zustimmt. Gut, das erste Gedicht.
War Nord von Rolf Jakobsen, einem der berühmtesten Lyriker in Norwegen in der Nachkriegszeit. Er war 1907 geboren und starb 1994. Und jetzt werde ich ein Gedicht lesen, ohne Reim, aber allerdings mit Rhythmus, von der Lyrikerin Astrid Jartenes-Andersen lesen. Und sie lebte zwischen 1915 und 1985.
Wenn die Träume mich erfüllen, dunkler, ferner, mehr verwirrend, als mein Sinn vermag zu deuten, wilder, heißer, mehr verworren, als mein Herz verstehen kann, möchte ich nur im Regen stehen, so wie Pferde stehen im Regen, auf der breiten, grünen Wiese und am schweren Berg wie hier. Spüren, wie der ganze Körper
dieses Kühle, starke Aufsaugt, das in breiten Strömen rieselt über Haar, Gesicht und Hände, wie der Waldsein, der gestillt wird wie ein Kind von Wolkenbrüsten, wie das Feldsein voller Süße, zitternd in der frommen Lust.
So wie Pferde stehen im Regen, leicht gebeugt mit nassen Flanken, in dem Duft von Erd und Nässe, der in ihrem Sinn herumschwebt. Stark und süß, so will ich stehen und den Himmel nieseln lassen, bis Gedanken ohne Fieber alle Träume sanft begleiten hin zur steilen, stillen Ruhe.
Und es ist ja, es ist ein schönes Gedicht, es ist sehr bekannt in Norwegen. Und mein Endzweck hier ist natürlich, also die deutsche Literatur irgendwie durch diese Übersetzung ganz zu verändern. Und damit irgendwie man auch hier das mitbekommt, was schön dran ist. Es ist ja immer, wir haben ja gerade aus dem Publikum einen Wow gehört.
Und es ist immer schwer, sozusagen spontan auf ein Gedicht zu reagieren, das überhaupt aufzunehmen. Es bleiben immer nur so kleine Partikel, kleine Funkeln übrig. Aber der erste Eindruck, wenn man dieses Gedicht hört, ist ja, Norwegen wird assoziiert mit Natur, mit Naturerfahrung. Und was hier ja stark ist, ist, das syrische Ich steht sozusagen nicht der Natur gegenüber, sondern es ist die Natur. Es ist ein Pferd. Es ist ein Pferd. Ich bin oder so wie ein Pferd möchte ich sein. Ja.
Und das ist natürlich, die Natur ist ja allgegenwärtig in Norwegen, aber natürlich auch in der Literatur spielt eine große Rolle. Ich meine, was heißt es nicht, Naturschilderung zu machen? Wir deuten ja immer etwas in die Natur ein. Es ist schwierig, Natur zu schildern. Und doch ist es ja so, dass wenn man in einem solchen Land lebt oder auf Island oder in Schweden, ich meine, dann ist die Natur so stark anwesend und allgegenwärtig, dass irgendwie spielt die Natur immer in der Schrift mit.
Noch ein Gedicht. Ja, erst ein Gedicht von Gro Dahle. Sie ist 1962 geboren und gehört zu den populärsten und geliebtesten Lyrikerinnen ihrer Generation. Und dieses Gedicht heißt Meine Tochter. Und da kommt es ein Wort vor, was unübersetzbar ist. Es gibt nämlich tatsächlich irgendwelche norwegische Wörter, die man nicht übersetzen kann. Zum Beispiel dieses Wort Armkruk. Weiß jemand, was das heißt? Thomas Espedal lacht.
Ja, nein, es ist also irgendwie hier, wenn man ein Kind hält in dieser Bucht in den Arm. Meine Tochter. Meine Tochter wächst aus meinen Händen und in den Arm. Aus dem Arm und auf die Schulter. Du darfst nicht so schnell wachsen, sage ich. Meine Tochter wächst aus dem Schoß und auf den Boden. Der schmutzige Wollpulli. Das verfilzte Haar.
Vom Boden auf und aus der Tür hinaus, dann greife ich ihren Arm. Hart, nein, sage ich. Jetzt zieht sich durch den Abend immer wieder das Thema dysfunktionale Familien. Und hier haben wir doch ein richtig schönes Liebesgedicht von der Mutter an die Tochter. Jaja, das könnte ja auch ein Vater wiedererkennen. Dieses Gefühl, also nein, bleib doch, bleib doch.
Jetzt kommt ein absoluter Klassiker. Das ist von Haldismoren Vesos. Sie war übrigens mit dem früher erwähnten Tarja Vesos verheiratet. Und sie machte früh ihr Debüt als Lyrikerin, ich glaube schon vor dem Krieg. Und war dann viele Jahre aktiv. Dann wurde sie mit dem Tarja verheiratet und war dann jahrelang mehr als Übersetzerin. Vor allem aus dem Französischen aktiv.
Und erst nach seinem Tod ist dann irgendwie ihre selbstständige poetische Karriere wieder in Gang gekommen. Und ich kann sie gut erinnern, die war sozusagen die Königin, also eine alte, ehrwürdige Königin der norwegischen Poesie. Dieses Gedicht stammt aus dem Zweiten Weltkrieg, also aus der Okkupationszeit.
Ja, da müssen wir viel leichter, weil das nicht alle wissen, Okkupationszeit heißt. Deutschland hat 1940 am 9. April vorsorglich sozusagen Norwegen besetzt. Genau. Darüber handeln auch viele Romane, die jetzt zur Leipziger Buchmesse erschienen sind. Und dieses Gedicht appelliert sozusagen, hören wir erstmal und dann sprechen wir drüber. Es ist sozusagen ein Appell an Solidarität. Sprache zu schwierigen Zeiten.
Von nun an heißt es nicht mehr ich, von nun an heißt es wir. Hältst du das Glück in den Händen, gehört es nicht nur dir. Was deine Schwester an Glück braucht, gib es ihr. Nimm deinem Bruder die Last ab, sei ihm ein Getreuer. Um dich her frieren so viele.
sei ihnen wärmendes Feuer. Hand findet Hände, Herzen ein Herz. Dein Arm muss finden des anderen Arm, denn einigen Frierenden hilft es wohl schon, dass du bist wahr. Da fallen einem viele Anknüpfungspunkte ein, aber es ist ja sozusagen genau die entgegengesetzte Perspektive. Da ist ein Land besetzt,
Und die Menschen da müssen ein Gemeinschaftsgefühl entwickeln und dieses Gedicht formuliert das. Ja, aber das Gedicht hat natürlich auch Gültigkeit für schwierige Zeiten generell. Und auch heute wird dieses Gedicht häufig zitiert und erinnert. Ich habe mich für eine Sekunde gefragt, es klingt vielleicht ein bisschen kitschig. Alle diese Gedichte sind kitschig. Nein, aber ich habe gedacht, es ist vielleicht andersrum. Man denkt, es sei kitschig.
Weil man es kennt. Aber vielleicht ist es anders. Vielleicht kennt man es vorher. Und weil man es so oft und weil man sich auch danach sieht, dass es so ist.
Eben, also ich habe diese Auswahl gemacht, Con Amore. Und ich habe nur Gedichte gewählt, die für mich etwas heißen und die für mich etwas bedeuten und die für viele andere etwas heißen. Also wirklich die kitschigen Gedichte, die man tausendmal gehört hat, die man aber hier in Deutschland nicht gehört hat. Ich habe eine supertolle Theorie eines Bestsellers. Warum lesen viele Menschen Bestseller? Und es geht nicht nur um die Geschichten, sondern auch darum, dass es darin so etwas gibt wie Lebenshilfe. Mhm.
Und das ist es ja auch, sozusagen das Gefühl, die Sehnsucht danach, mit anderen verbunden zu sein. Ja, und warum werden Gedichte, ich meine hier in Deutschland, ihr kennt ja auch bestimmt viele Gedichte, die irgendwie, ihr trägt diese Gedichte mit euch herum, die leben irgendwie in euch. Und diese Gedichte, die schweben da herum wie kleine schwebende goldene Eier irgendwie und bei Bedarf kann man sie hervorholen.
Oder man kennt sie vielleicht nur noch so halbwegs. Dann setzt man sich in den Lehnstuhl und nimmt ein Buch aus dem Regal und dann plötzlich, ah, so war das mit dem Erlkönig oder mit dem Heidenröslein. Lüt Dürren, Witzne Birn. Was kommt da als nächstes auf uns zu? Jetzt kommt Alf Preussen. Und Alf Preussen ist wohl der größte Dichtergenie in Norwegen auf dem Felde des Lyriks, der Lyrik.
Nach dem Zweiten Weltkrieg. Er wurde 1914 geboren und er stammte aus den allerärmsten Verhältnissen in einem Dorf in Südmitte Norwegens. Und er schrieb eigentlich meistens Liedertexte. Und einige Texte, die nur Gedichte sind, er schrieb ein paar Romane, ein bisschen Drama, viele, viele Kinderbücher.
Als er 1972, meine ich, war es, oder war es schon 1971, gestorben ist, war ich nur sechs Jahre alt. Und es wurde bekannt gemacht in den Radionachrichten. Und ich war außer mir, denn er war ja die Stimme aus dem Radio. Jeder Morgen erzählte er mit dieser wunderbaren, warmen Stimme auf Dialekt. Er vermochte, eine Brücke zu schlagen zwischen der Hochsprache
und seinem Bauerndialekt und bewegte sich frei zwischen diesen zwei Ebenen. Und zu seinen Lebzeiten...
wurde er manchmal als... Von den Experten und von den Besserwissern, man hat ihn nicht so richtig respektiert, weil er so beliebt war. Und erst nach seinem Tod mehr und mehr hat man entdeckt, er war ein genialer Lyriker. Diejenigen, die uns zuhören, konnten das da jetzt nicht sehen. In dem Moment, als du gesagt hast, das sei ein Liedtext, habe ich schon ein sardonisches Lächeln aufgesetzt, weil ich wusste, ich sage jetzt zu dir...
Das muss ich jetzt auch singen, oder? Das Lied heißt das Lied von König Salomo und Jürgen Hutmacher. Es gibt ein Sprichwort, es stammt aus einem Schauspiel von Ludwig Holberg, dem Molière des Nordens. Es ist ein Unterschied zwischen König Salomo und Jürgen Hutmacher. Es ist ein Klassenunterschied zu bezeichnen. Auf Preußen war Klassenunterschied immer sehr wichtig, ein wichtiges Element. Und er hat dann auf dieses Sprichwort geachtet,
König Salomo und Jürgen Hutmacher weiter gedichtet. Wer war denn Jürgen Hutmacher? Es gibt auch ein anderes norwegisches Sprichwort. In Deutschland sagt man, das Gras sei grüner auf der anderen Seite des Zaunes. Das sagen wir auf Norwegisch auch. Aber wir sagen auch, und das stammt aus diesem Lied, grün ist das Gras für alle. Und das, was hier irgendwie politisch mitspielt...
ist der Aufbau der Sozialdemokratie in den 50er und 60er Jahren. Unterschiede wird es immer geben, aber das Allgemeine, die Lebensbedingungen sind sozusagen gemeinsam für uns alle.
Guck mal, wie Joachim Kroll applaudiert. Ich glaube, die wollen mitsingen. Ist das der Refrain? Es gibt einen Refrain. Meine Damen und Herren, jetzt könnt ihr ein norwegisches Lied mitsingen. Ich singe jetzt das Refrain vor. Nur drei Zeilen. Es ist sehr einfach und es ist auf Deutsch. Dann singt ihr mit nach Fähigkeit. Und dieses Refrain geht. Die Sonne scheint auf dich. Der Schatten fällt auf mich.
Doch grün ist das Gras für alle. Könnt ihr das? Probieren wir mal. Die Sonne scheint auf dich, der Schatten fällt auf mich. Doch grün ist das Gras für alle. Erst möchte ich erwähnen meine Stellung und den Stand.
Mit Mühe mach ich Hüte in Salomo sein Land. Selbst heiße ich bloß Jörgen, ein Unterschied der Held. Doch Salomo und Jörgen kamen nackt auf diese Welt. Die Sonne scheint auf dich, der Schatten fällt auf mich. Doch grün ist das Gras für alle.
Die Lilien auf dem Felde in voller Blüte stehn Und alle Vögel singen, wenn warme Winde wehn Dieselben Triller summe ich im Hutmacherquartier Doch von der Zukunft, Salomo, ach sag, was wissen wir? Die Sonne fällt auf dich, der Schatten fällt auf mich
Doch grün ist das Gras für alle. Speist Salomo mit Wein und fettem Fleisch im goldenen Haus. Ich esse dünne Grütze und nenne es einen Schmaus. Doch was wir hinterlassen am stillen Ort so brav, wird Gras für weiße Lämmchen und für Sarons schwarzes Schaf. Die Sonne scheint auf dich.
Der Schatten fällt auf mich, doch grün ist das Gras für alle. Die Königin von Saba besucht den Salomo. Zu mir kommt Lea einfach, so leichtsinnig und froh. Sein Bett ist Samt und Seide, mein Strohbett ziemlich mies. Und doch zum Harfenklang wir gehen ins selbe Paradies.
Die Sonne scheint auf dich, der Schatten fällt auf mich, doch grün ist das Gras für alle. Wenn Abendlicht vergoldet des Schlosses höchste Zinn, in Träume senkt die Nacht sich und in Gedanken spinn, dann bin ich König Salomo, vielleicht ist er dann der...
der in der Werkstatt Hüte macht mit Mühe und Beschwer. Die Sonne fällt auf mich, der Schatten fällt auf dich, doch grün ist das Gras für alle. Und ab nächstes Jahr gibt es ein neues Segment bei der Leipziger Buchmesse. Nicht mehr Leipzig liest, sondern Leipzig singt. Lass uns ein letztes, ein letztes schönes Gedicht. Dann das. Ja.
Gut, ich habe inzwischen 80 übersetzt. Ich kann ja leider nicht alle lesen. Wir kehren jetzt zu Harald Sverdrup.
Er wurde 1923 geboren und ist 1992 gestorben. Und ich habe ihn kurz gekannt in den letzten paar Jahren seines Lebens. Und er war legendär. Und seine Lesungen waren legendär. Er sah wie ein kleiner Troll aus. Und er zog hunderten von Leuten zu seinen Lesungen. Er war äußerst, äußerst beliebt. Ist auch bekannt für diese zwei Seilen. Aus dem Gebet des Löwenzahns. Lasset die Kinder zu mir kommen. Denn sie wissen nicht, was Unkraut ist.
Ich dachte, wir schließen jetzt mit einem Trinklied ab, weil es geht ja dem Ende zu. Nur eine Kollegin kommt noch.
Und das ist dann sein Seemannslied. Und das war fast unmöglich zu übersetzen, denn es besteht quasi aus einzelbigen Wörtern auf Norwegisch. Und außerdem gibt es noch ein Wort, das es auf Deutsch nicht gibt, und zwar Skute. Und das ist ein poetisches Wort für Schiff, Segelschiff meistens. Aber dieses Wort gibt es nicht. Im Hamburger Raum gibt es Schaute, glaube ich. Aber das ist also ein Boot auf dem Kanal und hat nichts eigentlich damit zu tun, nur etymologisch. Und ich hatte es fast aufgegeben.
Und dann, am Ende, dann ging es doch. Und wir werden nachher hören, wie Alf Kraner, und ich glaube, das wird das erste norwegische Lied des Abends sein, wie Alf Kraner dieses Lied singt. Denn dieses Lied ist auch vertont und ist äußerst populär als Chorwerk, aber auch so pauschal von einem Solisten gesungen. Und es ist ja nicht nur ein Trinklied, sondern es ist eine Paraphrase, werdet ihr hören, über das Leben. Seemannslied.
Sonne steht im Fenster, vor dir steht dein Glas. Golden ist dein Durst ohne Mahl. Diesem Schiff zum Wohle. Frauen stehen im Fenster, pochen auf dein Herz. Golden ist dein Wort, kipp den Schmerz. Diesem Schiff zum Wohle. Kinder stehen im Fenster, silbergrau bist du.
Sternenlicht im Blick, Sauf in Ruh. Diesem Schiff zum Wohle. Vollmond steht im Fenster, Tod steht hinter dir. Das Meer ist unser Los. Trink dein Bier. Diesem Schiff zum Wohle. Vielen Dank. Auch im Namen der deutschen Sprache, Erik Forstens Hansen. Solen, Story rüten.
Ich freue mich jetzt sehr auf das letzte Gespräch mit
Trüde Teige, mit der ich heute über das Schreiben von Krimis sprechen werde, aber auch über das Schreiben historischer Romane. Thomas Böhm hat es ja schon angekündigt, wir werden sprechen über deutsch-norwegische Geschichte, über Feminismus, über Journalismus und über Nordic Noir. Das ganz spezielle Grusel-Genre aus dem hohen Norden und das alles in zwölf Minuten.
Das geht doch gar nicht, werden Sie vielleicht denken, mit trüde Teige schon. Willkommen hier bei der langen Nacht der norwegischen Literatur. In Deutschland ist der sogenannte Schwedenkrimi eine super erfolgreiche Marke. Im Abendprogramm des deutschen Fernsehens laufen ohne Unterlass Krimis, auch Schwedenkrimi-Verfilmungen. Sind die Norweger auch so versessen auf Kriminalstoffe? Ja.
Ja, das ist das Gleiche in Norwegen. Es gibt unglaublich viele Krimis im Fernsehen. Es gibt Krimis als Literatur natürlich und sind immer auf den Bestsellerlisten. Das ist ein bisschen seltsam eigentlich, dass in einem so schönen, idyllischen Land mit Fjorden und Bergen und alles funktioniert, der Wohlfahrtsstaat, dass man da so viel Dunkles zu erzählen hat.
Auf der Buchmesse eröffnet vorhin haben Sie gesagt, dass beim Schreiben von Kriminalromanen Sie nicht interessiert, wer das Verbrechen begangen hat, sondern warum. Sie sind auch Journalistin, Fernsehjournalistin, relativ bekannt in Norwegen. Kommt da auch so ein Stück Ihre journalistische Spürnase mit ins Spiel, dieses Ergründen-Wollen-Warum-Dinge-Passieren-Versuch?
Ja, das ist immer die Journalistin in mir, die anfängt, an einem Krimi zu arbeiten und die das Thema aussucht. Und die norwegische Gesellschaft kritisiert vielleicht auch die deutsche Gesellschaft. Ich habe ja
über verschiedene Themen gesprochen, dass es zum Beispiel nicht genug Leute gibt, die in der Altenpflege arbeiten oder ich habe über MeToo in der norwegischen Politik und in den Medien gesprochen und geschrieben. Ich habe über Übergriffe geschrieben, ich habe über das christliche Milieu in Norwegen geschrieben oder auch
illegales Research an psychiatrischen Patienten und Patientinnen. Das heißt, oftmals ist es ein Thema, was mich als Journalistin interessiert hat und worüber ich sehr viel weiß, also wo ich wirklich viel Wissen habe. Und dann kommt der Plot, dann kommt das Verbrechen und all die anderen Dinge im Nachgang. Die Ermittlerin, die uns durch Ihre Kriminalromane führt, das ist eine ziemlich toughe Frau. Sie heißt Kasia Korn. Ich hoffe, dass ich es richtig ausspreche.
Sie ist mit einem Kriminalpsychologen verheiratet, also die beiden, die sind so eine Art professionelles Power-Couple. Sie haben zwei kleine Kinder und sie werden es ahnen, liebes Publikum, sie haben auch die erwartbaren Eheprobleme, die um die Themen Care-Arbeit und Selbstbestimmung kreisen. War so eine weibliche Ermittlerinnenfigur einfach mal fällig in der Welt des Krimis, Trude Teige?
Ja, denn die meisten Krimi-Helden haben problematische Verhältnisse zu ihren Kindern, zu ihrer Familie. Die haben große Probleme mit Alkohol, trinken sehr viel. Es gibt psychiatrische Probleme. Die haben oft so mal ein bisschen ein verdrehtes Gehirn. Die sind manchmal...
Diese weicheren Polizeihelden könnte man auch haben. Aber Kaiser-Koreen ist taft, das stimmt. Die meisten haben ab und zu Eheprobleme, das hat sie halt auch ab und an, das ist ja normal. Aber ich denke, meine Heldinnen und Helden, da möchte ich jemanden, der normal ist. Jemanden, bei dem wir glauben, das könntest du sein oder ich.
Denn das, was Sie als Leben haben, was ich parallel in allen Büchern beschreibe, es gibt sieben. Und in all diesen Kriminalfällen erzähle ich ja
Über ein normales Frauenleben. Eheprobleme sind vielleicht eine Sache. Sorgen bezüglich der Eltern, die zum Beispiel dement werden, ist etwas anderes. Und Kajsa Kohn, sie ist vielleicht nicht die typische Heldin, sie ist einfach eine Krimi-Heldin, die zum Beispiel Brustkrebs bekommt. Das bekommen so viele Frauen. Das heißt, sie ist insofern anders als andere Krimi-Helden.
Hier unter deutschen Lesern und Leserinnen sind Sie vor allem als Autorin historischer Romane bekannt geworden. Als Großmutter im Regen tanzte, war ein Roman, der in Deutschland auf der Spiegel-Bestsellerliste lange stand. Der Roman handelt von der Liebe einer norwegischen Frau zu einem deutschen Soldaten während der norwegischen Besatzung. Wir haben vorhin schon kurz
Was dazu gehört, über diese Zeit, die Geschichte der Kollaboration und der zahlreichen Kriegsverwicklungen, die es ja auch in Norwegen gegeben hat, wurden die in der norwegischen Gesellschaft eigentlich jemals so richtig aufgearbeitet? Weil das scheint sich ja wie so ein Leitmotiv durch viele ihrer Romane, der historischen, aber auch der Kriminalromane zu ziehen.
Mein Projekt und der Grund dafür, dass ich als Fernsehjournalistin vor zehn Jahren aufgehört habe, um nur noch Bücher zu schreiben, war, dass ich darüber, über das Unerzählte erzählen wollte.
das, worüber man nicht gesprochen hat. Und wenn ich Krimis schreibe, dann greife ich Themen auf, die ansonsten nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen. Und die größere Aufmerksamkeit erreiche ich jetzt eigentlich durch die Krimis und das in einem stärkeren Maße als zum Beispiel in einer TV-Sendung bei TV2 in Norwegen. Und Kriegsgeschichte ist oftmals nur von Männern erzählt worden über Männer.
Und Historiker haben oftmals eigentlich die Frauen im Stich gelassen und die Geschichte der Frauen. Und ich glaube, dass wenn wir unsere Identität kennenlernen wollen, dann müssen wir sie ganz kennen. Dann reicht es nicht, die halbe Geschichte zu kennen, also nur die männliche Geschichte.
Wenn wir nichts darüber erfahren, wie das ist, beispielsweise, dass Frauen in christlichen Milieus missbraucht wurden oder werden, dann müssen wir darüber erzählen. Für mich ist es wichtig, dass wir die Geschichte erzählen, die genauso dramatisch ist wie die Geschichte der Männer. Und es geht vielleicht jetzt nicht, wie geschossen wird,
Oder die große Schlacht, sondern es sind manchmal die kleinen Schicksale. Aber dann beginnen wir, unsere eigene Geschichte zu verstehen. Wir können nicht die gesamte Geschichte kennen, wenn wir nicht beide Seiten kennen.
In Ihrem Kriminalroman "Der Junge, der Rache schwor", den wir heute vorstellen, geht es auch um ein Kapitel deutsch-norwegischer Geschichte. Das Leid und die Verbrechen, um die es darin geht, sind sozusagen eine Spätfolge des Krieges. Ein grausamer Doppelmord an einem alten Ehepaar muss aufgeklärt werden. Kasia Koren gerät da irgendwie rein in diese Geschichte. Als Journalistin ist sie vor Ort und dann fängt sie an zu recherchieren.
Wir werden jetzt einen Auszug aus diesem Roman hören, gelesen von Steffi Böttger aus der Übersetzung von Andreas Brunstermann und danach noch weiterreden. Der runde Tisch mit eingelassenen Keramikfliesen in Braun, Beige und Orange war für zwei Personen gedeckt. Eine Kaffeekanne und ein Teller mit frischgebackenen Eierkuchen und süßen Brezeln, wie sie in Sünnmöhre gern gegessen wurden, stand bereit.
»Kuchen«, rief Keisa aufrichtig erfreut aus und war froh, einen lockeren Ton anschlagen zu können. Außerdem war sie ganz versessen auf diese beiden lokalen Spezialitäten. »Essen Sie die gern?«, fragte Greta und wirkte ebenso erfreut. »Ach ja, die liebe ich geradezu.« »Eine echte Spezialität aus Sint-Möhr.« »Ja, und wo ich doch zur Hälfte von hier stamme«, entgegnete Keisa. »Was Sie nicht sagen.«
Mein Vater stammt aus Sünnmöhre. Ich habe hier gelebt, bis ich zehn war und die Ferien bei meiner Großmutter in Ölesün verbrachte. Was sie nicht sagen. Greta Godoy lachte. Kesa dachte an ihre Familie. Vielleicht würde es ja gar nicht so kompliziert werden, wie sie zunächst befürchtet hatte. Jedenfalls war sie jetzt in einer guten Ausgangsposition.
Jetzt müssen Sie aber auch zugreifen, sagte Greta und ließ sich mühsam auf einen Stuhl sinken. Soll ich Kaffee einschenken, bot Keysa an. Ja bitte, das wäre nett. Ich bin nicht mehr so fit wie früher. Keysa wollte gern so schnell wie möglich zur Sache kommen, kannte die Mentalität der Lokalbewohner aber gut genug, um zu wissen, dass hier alles seine Zeit brauchte und es ungeschickt wäre, Druck aufzubauen.
Außerdem hatte sie schon verstanden, worauf Greta hinaus wollte und fragte daher freundlich, lassen die Beine sie im Stich? Ach ja, die Hüfte, die eine Seite ist schon operiert worden, aber das war kein großer Erfolg. Da muss die andere Seite eben so bleiben. Außerdem bin ich schon alt und eine Reparatur bringt nichts mehr. So alt sind sie nun wirklich nicht, entgegnete Keysa.
»Ich werde im Herbst 76.« »Nein, wirklich!« »Darauf wäre ich nie gekommen«, sagte Kayser und Greta lächelte zufrieden. »Hier, bedienen Sie sich«, sagte sie und schob Kayser den Kuchenteller zu. Schweigend aßen die beiden Kuchen und tranken Kaffee. Kayser wartete ab. Sie hoffte, dass Greta von selbst das Gespräch auf ihre Schwester lenken würde.
Mit vollem Mund deutete Greta plötzlich auf eine alte Kiste mit Rosenmalerei, die neben der Wohnzimmertür stand. Sie schluckte und sagte, können Sie mal das Fotoalbum aus der Kiste holen? Greta wischte sich Mund und Hände mit einer Serviette ab und fing an zu blättern. Als Lars Brecke anrief, wollte ich sie erst gar nicht treffen, sagte sie und blickte von den Fotos auf. Aber er hat was Kluges gesagt.
Dass nämlich jemand für die Toten sprechen müsse. Was meinte er denn damit? Ich habe die Geschichte ja im Fernsehen und in den Zeitungen verfolgt. Sie deutete auf eine Ausgabe von Sünna Mörs Posten, die auf dem Couchteach lag. Verurteilt wegen Landesverrat lautete die Schlagzeile auf der Titelseite. Alfhild und Jürgen wurden wie die schlimmsten Verräter des Landes hingestellt. Das ist nicht richtig. Das ist niemals richtig gewesen.
Da gibt's noch eine andere Geschichte, die mindestens genauso wahr ist. Hier,« sie zeigte Kejsa ein Foto, »das ist das Bild, das ich Ihnen zeigen wollte.« Sie deutete auf eine junge Frau, die sich auf eine Heugabel stützte. Im Hintergrund stand ein Heureuter. Die Frau lachte den Fotografen an.
Ihr Haar wurde von einer Spange zusammengehalten. Die langen, hellen Locken wogten um ihr Gesicht, als hätte sie sich schnell bewegt, als das Foto geschossen wurde. Sie trug eine weiße, kurzärmelige Bluse. Und trotz des schwarz-weiß Fotos konnte man sehen, dass sie braun gebrannt war. So war sie. Genauso fröhlich und hübsch, sagte Greta. Fröhlich, wiederholte sie. Immer so überschäumend fröhlich.
standen sie einander nah. Greta Godoy berichtete, dass sie und ihre Schwester ein enges Verhältnis gehabt hätten. Nur ein knappes Jahr habe sie getrennt. Alfred sei die Ältere gewesen. Wir haben uns das Zimmer geteilt und nur ich allein wusste, dass sie sich nachts hinausschlich. Um wen zu treffen? Um Otto zu treffen. Sie wussten also? Ach, dass sie in Otto verliebt war, natürlich.
Ich sagte ihr, dass dabei nichts Gutes herauskommen könnte, aber sie hat nicht auf mich gehört. Sie war total in ihn verschossen. Greta blätterte weiter in dem Fotoalbum. Hier, sagte sie und reichte Käse einer vergilbter Aufnahme, das ist Otto. Das Foto zeigte einen jungen Mann in deutscher Uniform. Er lächelte schüchtern und wirkte bescheiden, freundliche Augen.
Otto war ein sehr netter und angenehmer Mann, nicht so ein angeberischer Gockel, sagte Greta. Und er war lieb. Jeden Tag hat er seiner Mutter geschrieben, wie ein Tagebuch. Und die Briefe schickte er in regelmäßigen Abständen nach Deutschland. Er machte sich große Sorgen um seine Familie. Wenn er eine Wahl gehabt hätte, wäre er wohl niemals in den Krieg gezogen, da bin ich mir sicher. Wussten ihre Eltern von der Beziehung?
Ach nein, nein, davon wusste nur ich. Ich habe ihr geholfen, es geheim zu halten. Was hätte ich denn auch tun sollen? Meine Eltern wären völlig durchgedreht, wenn sie es erfahren hätten. Mein Vater war in der Widerstandsbewegung. Er hat Flüchtlingen hinüber nach Shetland geholfen. Die kamen erst hierher, dann hat er sie weiter nach Süden verfrachtet, nach Heroy und dann wurden sie nach England gebracht.
Während des Krieges wussten wir gar nicht, womit er sich beschäftigte. Erst viel später. Aber wir begriffen natürlich, dass da irgendetwas lief. Meine Eltern wussten nichts von der Sache. Jedenfalls nicht, bis sie schwanger wurde. Kayser hatte gerade einen Schluck Kaffee genommen und hätte sich beinahe verschluckt. Schwanger? Ja, sie bekam einen Sohn. Einen Sohn, sagte Kayser kaum hörbar. Sie bekam einen Sohn. Wann denn?
Am 13. Mai 1944. Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen. Und was ist mit dem Jungen geschehen? Jemand hat ihn aufgenommen. Otto war aus Norwegen abkommandiert worden und Alfhild bemerkte die Schwangerschaft erst, nachdem er gefahren war. Hier. Greta blätterte weiter bis zu einer vergilbten Seite von Sönemörs Posten.
Sie zeigte auf einer Annonce, die zwischen Anzeigen für "Katzenjunge" und "Feuerholz" stand, Rubrik "Diverses": "Gibt es irgendwo freundliche Menschen, die sich eines ungetauften männlichen Säuglings annehmen möchten? Billpunkt Chiffre 736." Alfhilds Vater hatte die Anzeige aufgegeben und war einige Tage später mit dem Kind fortgegangen. Niemand wusste, wohin. Alfhild.
hat so getrauert, dass wir schon mit ihrem Tod gerechnet haben. Gretas Lippen zitterten. Ich denke jeden Tag an dieses Kind. Was aus ihm geworden ist, wie es ihm geht. Waren sie lieb zu ihm da, wo er hingebracht wurde? Lebt er noch? Bis kurz vor der Geburt erhielt Alfhild ein paar Briefe von Otto, aber dann kam nichts mehr. Er wurde an die Ostfront versetzt und Alfhild begriff, dass Otto vermutlich umgekommen war. Sie war untröstlich.
Wollte nichts mehr essen, war nach einer Weile nur noch Haut und Knochen und kam ins Irrenhaus, in Obdöl oder in die Psychiatrie, wie man heute sagt. Gritta erzählte, dass etwa ein Jahr nach der Geburt des Kindes alles noch schlimmer für Alfeld wurde. Nach Ende des Krieges wurde sie als deutschen Flittchen abgestempelt und landete in einem Internierungslager in Kongsfinger.
Mittlerweile war sie in einer derart schlechten Verfassung, dass sie abermals eingewiesen wurde. Danach schickte man sie zu ihren Eltern. Für zehn Jahre wurden ihr die bürgerlichen Ehrenrechte entzogen. Die Schande war unerträglich für die Familie, besonders für Vater, ein Widerstandskämpfer mit einem deutschen Flittchen als Tochter.
Ja, sehr herzlichen Dank für diese Lesung. Eine Ermittlerin, die ein Leben hat, ein nachvollziehbares Leben, haben wir gerade schon gehört, die verheiratet ist, die Kinder hat, die Eltern hat, die pflegebedürftig werden. Also sie ist eigentlich eine von uns. Und auch Verbrecher, Schrägstrich Psychopathen.
die auch ein nachvollziehbares Leben von Ihnen verpasst bekommen. Ist es Ihnen auch drum gegangen, dieses Krimi-Genre ein bisschen von diesem Image des monströsen Verbrechers zu befreien?
Es geht ja darum, was ich am Anfang gesagt habe, dass es darum geht, für mich mehr zu verstehen, warum das Verbrechen geschieht. Das ist für mich zentraler als die Frage, wer hat es denn getan. Und dennoch gehört es natürlich zusammen.
ein Verbrechen zu verstehen. Also was ist es eigentlich, das dazu führt, dass ein Mensch, der ganz unschuldig geboren ist, wie du und ich, wie sie, zu irgendeinem Zeitpunkt des Lebens über diese Linie überquert und ein Verbrechen begeht.
Und die meisten Morde sind ja nicht Massenmorde oder Serienmorde oder so, das ist ja selten. Es sind oft Morde oder Taten, die ein Motiv haben und das Motiv, den kaputten Menschen zu verstehen,
Den zu verstehen, der meint, Rache nehmen zu müssen, das zu verstehen. Und die meisten Verbrechen, die ich mir als Journalistin angeschaut habe, da bekomme ich eigentlich immer die Geschichte eines zerstörten Kindes als Anfangspunkt. In einer dysfunktionalen Familie
Ist es das Kind, was leidet? Ist es ein Kind, das sich so schlecht behandelt fühlt in der norwegischen Gesellschaft, in der Schule, in der Wohlfahrtsgesellschaft, wo es irgendwann Klick macht? Und das ist das, was ich versuche, im Roman nachzuvollziehen und zu verstehen.
dass Tausende von deutschen Kindern, Jugendlichen nach dem Krieg und ganz weit in unsere Zeit hinein zum Beispiel von ihren Familien weggenommen wurden und ohne Kontrolle in Institutionen verbracht wurden und ohne
Ohne diese Kontrolle gab es zum Beispiel die Situation, dass in vielen Institutionen Pädophile waren. Es haben schwere Übergriffe stattgefunden. Manchmal war es vielleicht nur etwas Kleineres, wie dass man nicht gelernt hat, mit Messer und Gabel zu essen, dass ihnen bestimmte Eigenschaften weggenommen oder vorenthalten wurden. Aber
Diese Menschen, die so zerstört wurden, haben sich im Erwachsenenalter eigentlich nicht mehr zurechtfinden können. Und das Kind, das verschlossen da sitzt in einem Keller, was nicht rauskommen kann, ein Kind, das nicht weinen darf, wird später zu einem erwachsenen Mann mit dem Bedürfnis, eine Erwachsenheit,
Abrechnung zu erreichen gegenüber denen, die Übergriffe verübt haben. Und das kann ich dann auch verstehen. Und das ist dann nicht monströs. Es ist einfach nur verständlich. Wir können es alle zusammen mit der wunderbaren Ermittlerin dieser inzwischen sieben
Kessa Koren, ich spreche es jetzt einmal richtig aus, Romane ermitteln. Kessa Koren-Romane sind alle in Deutschland erschienen, erscheinen jetzt nochmal in einer neuen Ausgabe im Aufbau Verlag. Der erste Band, aus dem wir jetzt gerade einen Auszug gehört haben, ist jetzt schon erhältlich. Und ich bedanke mich jetzt recht herzlich bei Trüde Teige für diese Auskunstfreudigkeit.
Das war die lange Nacht der norwegischen Literatur. Hier am Vorabend der Leipziger Buchmesse. Ich rufe noch einmal Thomas Böhm hier auf die Bühne. Er ist jetzt hier hochgekommen zu mir. Ja, die lange Nacht der norwegischen Literatur. Traum im Frühling mit Thomas Espedal, Kjersti Anfinsen, Viktis Jost, Matthias Falkbacken, Erik Vossenis Hansen, Trude Teige. Die deutschen Texte, Larsen, Steffi Böttger und Joachim Krohl.
Simultanübersetzung Julia Stöber. Musik DJ Saunasatan. Redaktion Hans-Dieter Heimendahl.
Ja, Thomas, ist dir denn bei dieser Vielfalt an Romanen, die wir jetzt gelesen haben, so lange nach der norwegischen Literatur, irgendein gemeinsamer Nenner aufgefallen, hängen geblieben? Ja, die kommt total super beim Publikum an. Katharina Teutsch und Thomas Böhm waren die Moderatoren bei der Lange Nacht für die norwegische Literatur, die wir gemeinsam mit dem Literaturhaus in Leipzig am vergangenen Mittwoch produziert haben.
Nächste Woche erwartet Sie eine lange Nacht über Casanova, dessen Geburt schon 300 Jahre her ist. Seien Sie gespannt. Sie können die langen Nächte der letzten Monate auch nachhören in der Deutschlandfunk-App. Und wenn Sie uns abonnieren, können Sie keine Sendung mehr verpassen. Bis nächste Woche.