We're sunsetting PodQuest on 2025-07-28. Thank you for your support!
Export Podcast Subscriptions
cover of episode Thomas Manns BBC-Reden - Zeitlose Botschaften für Demokratie und Freiheit

Thomas Manns BBC-Reden - Zeitlose Botschaften für Demokratie und Freiheit

2025/5/30
logo of podcast Lange Nacht

Lange Nacht

AI Deep Dive AI Chapters Transcript
People
A
Alice Hastas
C
Christian Wulff
F
Feridun Zeymoglu
H
Hans-Dieter Heimendahl
J
Jakob Scherer
L
Lisanne Teckerl
T
Thomas Mann
Topics
Thomas Mann: 我最初对民主持谨慎态度,认为公开辩论不一定能产生最佳结果。然而,在第一次世界大战后,我接受了民主,因为其他机构失去了信誉,且战争需要所有人的参与。尽管我仍有疑虑,但在瓦尔特·拉特瑙遇刺后,我公开支持民主,因为我认为作为一位受人尊敬的作家,我有必要这样做。在二战期间,我通过BBC向德国发表广播演讲,这是我政治参与的顶峰,我视这些演讲为一种道义责任,并认为作家不应将政治与艺术分离。我的目标是通过广播传递真相,对抗纳粹的谎言宣传,并表达我对纳粹分子,特别是希特勒的仇恨。随着战争的持续,我的语气变得更加尖锐,并敦促我的同胞承认盟军的胜利,将其视为回归人性的时刻。 Hans-Dieter Heimendahl: 托马斯·曼的演讲具有现代感,促使我们思考当下。Sandra Hüller 以一种惊人的方式让这些演讲听起来像是今天的文本。当今的参与者,包括作家、学者、活动家、足球世界冠军和前联邦总统,分享了他们对国家社会主义、大屠杀和德国罪责的印象和想法。关于作家的参与,以及他们看到当今局势的异同。 Jakob Scherer: 托马斯·曼之家致力于民主复兴,是自由开放社会的象征。在托马斯·曼诞辰 150 周年之际,我们请杰出人士评估这些演讲对我们今天辩论的意义。我们需要什么样的公共知识分子来应对我们时代的挑战? Alice Hastas: 托马斯·曼的演讲既严厉又温柔,他在流亡中对德国听众讲话,希望他的作品能回到他们身边。这篇演讲揭示了一个国家、一个大陆甚至整个世界陷入战争的脆弱性,这与当今政治局势的脆弱性相似。我们现在并没有生活在一个完全稳定和坚不可摧的民主社会中。托马斯·曼将美国描述为一个希望的灯塔,但美国现在正在背弃这些价值观,变得更加孤立。我认为美国现在并没有成为冲突中的希望灯塔,而是更多地参与到反民主运动中。 Christian Wulff: 托马斯·曼的榜样应该适用于今天的所有人。我们必须深思熟虑地为民主挺身而出。托马斯·曼以论证和事实为基础,认为等级制度必然会导致野蛮行径。我们不应该轻易对待这个问题。我提醒人们,战后就规则合作、法治机构和和解达成了一致。汉娜·阿伦特说,当同理心消失时,就会走向野蛮。 Feridun Zeymoglu: 我本以为托马斯·曼站在正确的一边,但他让我失望了。我希望他能更有口才和机智,少抨击希特勒。侮辱只会适得其反。我发现道德说教是有问题的,我不谴责当时的人们。托马斯·曼在美国说得很好,但他并不了解当时的情况。当时的情况非常可怕和残酷。流亡者被视为在安全地带等待的人。我会很高兴听听,但我不会被唤醒的号召所感动。 Lisanne Teckerl: 我不能像雅兹迪人那样承担和平主义,因为我亲眼目睹了种族灭绝。

Deep Dive

Chapters
This chapter explores Thomas Mann's initial skepticism towards democracy, his later acceptance of it as a necessary outcome after WWI, and his continued reservations despite his public support.
  • Thomas Mann's initial skepticism towards democracy
  • His acceptance of democracy after WWI
  • His continued reservations despite public support

Shownotes Transcript

Translations:
中文

Thomas Mann hat sich nur zögerlich auf die Demokratie eingelassen. Er war skeptisch, dass bei einem öffentlichen Ringen mit den wichtigen Fragen die besten Antworten gefunden und sich durchsetzen würden. Damit war er nicht allein, so dachte ein großer Teil des konservativen Bürgertums in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Während des Ersten Weltkriegs schrieb er ein Buch gegen die Demokratie,

das in konservativen Kreisen in der Weimarer Republik hoch gehandelt wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg akzeptierte Thomas Mann die Demokratie als Ergebnis. Die meisten staatlichen Institutionen hatten sich mit ihrem Verhalten um ihre Glaubwürdigkeit und Autorität gebracht. Und der Krieg, an dem so viele teilgenommen und unter dem so viele gelitten hatten, legte eine Beteiligung aller nahe. Ein Neuanfang Tatnot.

Aber Thomas Mann blieb skeptisch. 1918 war er 43 Jahre alt. Vier Jahre später, nach der Ermordung von Walter Rathenau, hat er sich das erste Mal öffentlich für die Demokratie ausgesprochen. Weil er ein hoch angesehener Schriftsteller war und gerade weil er von der konservativen Seite kam, hat er es als notwendig angesehen, sich für die Demokratie einzusetzen.

1875 ist Thomas Mann geboren. Am 6. Juni in der kommenden Woche liegt seine Geburt 150 Jahre zurück. Den Höhepunkt seines politischen Engagements bilden die Radioreden, die er während des Zweiten Weltkriegs in der britischen BBC aus dem Exil an die Deutschen richtete.

Grundsätzliche und großartige Reden sind das, so finde ich, erstaunlich modern anmutend, bei denen man nicht umhinkommt, an unsere Gegenwart zu denken. Diesem Gedanken und der Anregung vom Thomas Mann Haus verdankt sich die heutige lange Nacht. Sandra Hüller hat einige der Radioreden Thomas Manns neu eingesprochen. Nur wenige sind mit ihm erhalten. Eine Aufnahme davon wird zu hören sein.

Und es gelingt Sandra Hüller, die Reden auf eine erstaunliche Weise fast wie heutige Text erscheinen zu lassen. Hören Sie selbst.

Engagierte von heute, Autoren und Wissenschaftlerinnen, Aktivisten, ein Fußballweltmeister und auch ein ehemaliger Bundespräsident haben die Reden auf sich wirken lassen und teilen mit uns ihre Eindrücke und ihre Gedanken über den Nationalsozialismus, über den Holocaust und deutsche Schuld.

Über ein solches Engagement von Schriftstellern und darüber, wo sie Unterschiede und wo sie Parallelen zu unserer heutigen Situation sehen. Seien Sie gespannt auf Deutschland höre, gestern und heute. Eine lange Nacht über Thomas Manns Radio reden. Mein Name ist Hans-Dieter Heimendahl. Ich bin der Redakteur der Langen Nacht. Sie erreichen mich wie immer unter langenacht.de.

Nächste Woche erwartet sie an dieser Stelle eine lange Nacht über die wahrscheinlich wichtigste Ausstellung zeitgenössischer Kunst in Deutschland. Die Documenta, die heute vor 70 Jahren das erste Mal in Kassel stattfand. Ihre Geschichte spiegelt auf erstaunliche Weise die der modernen Kunst in Deutschland.

von dem Bemühen um internationalen Anschluss und einer nur einseitig erfolgten Aufarbeitung der Folgen der Nazi-Zeit am Anfang bis hin dazu, ein überforderter Schauplatz für die Kontroversen der Welt heute zu sein. Seien Sie gespannt auf die lange Nacht über Weltkunst in der Provinz. Sie können alle lange Nächte der letzten Monate auch in der Deutschlandfunk-App nachhören. Und wenn Sie uns abonnieren ...

können Sie keine Semme mehr verpassen. Bis nächste Woche. BBC, deutschsprachiger Dienst. November 1941. Deutsche Hörer, dem, der heute wieder zu euch spricht, war es vergönnt, im Lauf seines nun schon langen Lebens für das geistige Ansehen Deutschlands einiges zu tun.

Thomas Mann ist jemand, der argumentativ sachlich begründet, dass eine Hierarchisierung mit einem Herrenvolk beispielsweise zwangsläufig in die Barbarei führt.

Ich hätte mir ein bisschen mehr Wortgewandtheit, mehr Wortwitz, mehr direkte Ansprache und weniger Einhauen, Eindreschen auf den Mann Hitler gewünscht. Ich kann das mal kurz zitieren. Da ist die klare Einsicht in die Unsühnbarkeit dessen, was einen von schändlichen Wehrmeistern zur Bestialität geschultes Deutschland der Menschheit angetan hat.

Ich glaube, in dieser realen Härte auch mit einer harten Sprache irgendwo zu antworten. Ich wäre auch kein Pazifistin, aber ich kann mir diesen Pazifismus nicht erlauben als Jesidin. Diese Rede ist deshalb auch so bemerkenswert, weil er dort wirklich trauert. Ehrlich gesagt bin ich etwas enttäuscht.

Und ich liebe Thomas Mann. Dass ich euch warnte, als es noch nicht zu spät war, vor den verworfenen Mächten, in deren Joch ihr heute hilflos geschirrt seid und die euch durch tausend Untaten in ein unvorstellbares Verderben führen.

Für uns als Thomas Mann Haus in Los Angeles sind die deutsche Hörerreden Thomas Manns konstitutiv für unsere Arbeit und auch konstitutiv für die Positionierung unseres Hauses als Ort für demokratische Erneuerung und als Symbol für die liberale und offene Gesellschaft.

Und anlässlich des 150. Geburtstags von Thomas Mann haben wir uns gedacht, dass es interessant sein könnte, diese Reden a. nochmal neu einlesen zu lassen und dass wir b. mit herausragenden Stimmen und Persönlichkeiten der Zeit sprechen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, um kurze Statements und kurze Einschätzungen dahingehend einzufangen, was wir hier in der Zeit haben.

was uns diese Reden für unsere heutigen Debatten sagen können und warum wir diese Reden auch heute nochmal lesen sollten. Denn ich denke, wir müssen uns auch mit der Frage befassen, welche Art von Kommentar und Kommentierung benötigen wir heute und welche Art von Public Intellectual würden wir uns für die Herausforderungen unserer Zeit und unserer Generation wünschen. Ich bin Jakob Scherer, geschäftsführender Vorstand des Vereins Villa Aurora und Thomas Mannhaus. Musik

Von Oktober 1940 bis November 1945 sendete die BBC über ihren deutschen Dienst fast 60 Reden von Thomas Mann nach Deutschland. Deutsche Hörer, so begann jede Ansprache. Die Messages, so nannte Thomas Mann sie im Tagebuch, waren die ersten, die er in Deutschland veröffentlicht hat.

dauerten zunächst fünf, später bis zu acht Minuten. Es waren mahnende Appelle, mit denen der Dichter versuchte, seinen Landsleuten die Monstrosität der Nationalsozialisten vor Augen zu führen und sie dazu zu bewegen, den Krieg zu beenden. Er selbst sah in den Reden vor allem einen moralischen Gewissensdienst, zu dem er sich verpflichtet fühlte. Thomas Mann, der 1914 den Ausbruch des Ersten Weltkriegs bejubelt,

und 1918 mit den 600 Seiten umfassenden Betrachtungen eines unpolitischen, ein eher antidemokratisches, ja geradezu chauvinistisches Buch veröffentlicht hatte, bezog nun eindeutig Stellung für die Demokratie. Er war überzeugt davon, dass es einem Schriftsteller seines Ranges nicht gestattet sei, die Politik von der Kunst zu trennen oder die Beschäftigung mit ihr zu verweigern. So schrieb er am 22. Januar 1938 darüber,

An seine amerikanische Mäzenin Agnes Meyer. Die Kunst dürfe im Kampf gegen den Faschismus nicht abseitsstehen.

Zwar solle der Künstler nicht die Funktion des Feuilletonisten oder eines Reporters übernehmen, doch er habe eine politische Verantwortung, der nach seinen Möglichkeiten gerecht werden müsse. Neben diesen spielten sicherlich auch ganz persönliche Gründe eine Rolle für Thomas Manns Entscheidung, das Angebot der BBC anzunehmen. Zur Erinnerung, im März 1933 kehrte Thomas Mann von einer Reise in die Schweiz nicht mehr nach Deutschland zurück. Im Dezember 1936 zurückkehrte

wurde ihm offiziell die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen. Im September 1938 blieb er nach einer Vortragstour in den USA, wo er und seine Frau Katja 1944 die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielten. Die Anfrage der BBC bot Thomas Mann Gelegenheit, mit seinem deutschen Publikum, das im Krieg keinen Zugang mehr zu seinen Büchern hatte, auch über eine große räumliche Distanz verbunden zu bleiben.

Zumindest mit denjenigen, die sich von dem Verbot, den Feindsender BBC einzuschalten, nicht einschüchtern ließen. Die dafür von den Nazis drohenden Strafen reichten von mehrjähriger Haft bis zur Hinrichtung. Die BBC hatte sich im Herbst 1940 an Thomas Mann mit der Bitte gewandt, in regelmäßigen Abständen Texte zu verfassen, um Kriegsereignisse zu kommentieren und seine Hörer davon zu überzeugen, dass Deutschland den Krieg verlieren werde. In anderen Worten,

Thomas Mann wurde für die britische Propaganda angeworben, als Teil der psychologischen Kriegsführung. Mit dem weltberühmten Schriftsteller, der 1929 den Nobelpreis für Literatur erhalten hatte, versprach sich die BBC, besonders großen Einfluss auf die deutsche Bevölkerung nehmen zu können. Die Entscheidung für Thomas Mann war allerdings nicht unumstritten, wie interne Dokumente der BBC belegen.

Sein Name stand auf einer Liste deutschsprachiger Einwohner in den USA, die als mögliche Sprecher für die geplante neue Sendereihe in Frage kamen. Darunter Marlene Dietrich, Greta Garbo, Albert Einstein sowie andere Künstler und Wissenschaftler mit hohem Bekanntheitsgrad. Dass die Wahl schließlich doch auf Thomas Mann fiel, hatte vor allem mit seiner Prominenz zu tun. Er galt weltweit als wortmächtiger, einflussreicher Intellektueller.

Auch an seiner Glaubwürdigkeit als Gegner des Hitler-Regimes bestand kein Zweifel. War er doch selbst dessen Opfer geworden, hat er den größten Teil seines Vermögens, seine deutsche Leserschaft und die Möglichkeit zur Veröffentlichung seiner Bücher verloren. Im Oktober 1940 erfolgte dann bereits die erste Ausstrahlung einer »Deutsche Hörer«-Sendung. Zunächst schickte Thomas Mann seine Manuskripte noch nach London, wo sie von einem deutschsprachigen Mitarbeiter der BBC vorgelesen wurden.

Ab März 1941, Thomas Mann lebte bereits in Kalifornien, trat er selbst ans Mikrofon. Er sprach seine jeweilige Botschaft in einem Aufnahmestudio der National Broadcasting Company in Los Angeles auf eine Platte, die dann per Luftpost nach New York geschickt wurde. Dort wurde ihr Inhalt durch das Telefon auf eine andere Platte in London übertragen, die für die Sendung nach Deutschland vor dem Mikrofon ablief.

So konnten die Deutschen, die es wagten, die BBC einzuschalten, Thomas Manns eigene Stimme hören. Es ist die Stimme eines Freundes, eine deutsche Stimme, die Stimme eines Deutschland, das der Welt ein anderes Gesicht zeigte und wieder zeigen wird als die scheußliche Medusenmaske, die der Hitlerismus ihm aufgeträgt hat.

Es ist eine warnende Stimme. Von den Originalaufnahmen sind nur wenige erhalten geblieben. Der größte Teil der Reden gilt als verschollen. Neben dem Wunsch, in den Köpfen seiner deutschen Leserschaft präsent zu bleiben, gaben die Radiosendungen Thomas Mann auch Gelegenheit, seinen Hass auf die Nationalsozialisten, speziell auf Hitler, in die Welt zu rufen. So heißt es in einem Brief an Agnes Meyer vom 28. April 1942 in

Von verbaler Zurückhaltung konnte keine Rede sein. Je länger der Krieg dauerte, desto schärfer wurde sein Ton.

Die Diktatur des Gesindels. Ein scheußlicher Parteiterror, der eine moralische Verwüstung, einen Menschenverderb, eine Gewissenschändung, eine Zerstörung der natürlich ehrwürdigsten Bande mit sich brachte, wie nie ein Volk sie erlebt hat und der sich auf alles stützte, nur nicht auf das Gute im Menschen.

Die Selbstbereicherung der Bonzen, die Verwandlung der Nazipartei in einen riesigen Wirtschaftskonzern. Fett wie Göring. Ein nicht zu unterschätzender Antrieb für seine unermüdlichen Radioaktivitäten war Thomas Manns große Bewunderung für den amerikanischen Präsidenten Franklin Delano Roosevelt.

Er sah in ihm einen Verbündeten, seinen geistigen Waffenbruder im Kampf gegen Hitler und den Nationalsozialismus. Er vertraute auf Roosevelts politische Klugheit und auf den Sieg der Demokratie über die Diktatur. Sein eigener 1938 verfasster Vortrag vom kommenden Sieg der Demokratie, mit dem er durch die USA reiste und vor tausenden von Menschen sprach, war auch eine Sympathiebekundung für Roosevelt und dessen Politik.

Finanzielle Interessen spielten bei diesem publizistischen Auftrag für Thomas Mann keine Rolle. Das Honorar für die deutsche Hörersendungen wurde auf seinen Wunsch hin direkt dem British War Relief Fund überwiesen. Thomas Mann hatte sehr klare Vorstellungen von den Mitteilungen, die er nach Deutschland schicken wollte. Vor allem ging es ihm darum, der Lügenpropaganda der Nazis eine Stimme der Wahrheit entgegenzusetzen. Let truth be told.

So lautete eine der wichtigsten Regeln bei der BBC und dieses Wahrheitsgebot galt auch für die deutsche Hörersendungen. Immer wieder betonte Thomas Mann, dass er verlässliche Quellen für seine Aussagen habe. Das galt vor allem für die beispiellosen Verbrechen der Nationalsozialisten, die er klar benennt. Seine Zuversicht, dass die Deutschen das Nazi-Joch aus eigener Kraft würden abschütteln können, schwand angesichts des Kriegsgeschehens mehr und mehr.

Im Mai 1944 bat er die BBC daher um eine Sendepause. Er wisse einfach nicht mehr, was er den Deutschen noch sagen solle. Bei der BBC zeigte man Verständnis für Thomas Manns Frustration und setzte die deutsche Hörersendungen bis Januar 1945 aus. Die BBC drängte ihn jedoch, die Radioreden wieder aufzunehmen, was Thomas Mann am 1. Januar 1945 tat.

Er richtete sie nun gezielt an die deutsche Bevölkerung in den von den Alliierten besetzten Gebieten. Als dann im Mai 1945 die Kapitulation Deutschlands erfolgt war, forderte Thomas Mann seine Landsleute auf, den Sieg als Leistung der Alliierten anzuerkennen und ihn als Stunde der Rückkehr zur Menschlichkeit zu betrachten. Neben diesen versöhnlichen Tönen gibt es jedoch auch andere. Thomas Mann schont seine Hörer nicht und berichtet ihnen vom Grauen der Konzentrationslager.

von Auschwitz und Majdanek. Damit konfrontiert er sie mit einem Thema, das viele zum damaligen Zeitpunkt lieber nicht gehört hätten, mit der Frage nach kollektiver Schuld und Verantwortung des deutschen Volkes. In erster Linie war es Thomas Manns Hinweis auf die notwendige Akzeptanz der Niederlage und das damit verbundene Eingeständnis ihrer Schuld, den viele deutsche Hörerinnen und Hörer der Sendungen als Provokation empfanden und entsprechend scharf zurückwiesen. Musik

Oktober 1940. In seiner ersten Radioansprache betont Thomas Mann, wie wichtig es für ihn sei, die räumliche Entfernung, die ihn von seinem Publikum trenne, durch die Rundfunksendungen nach Deutschland überwinden zu können. Trotz seiner Lebenssituation im amerikanischen Exil verstehe er sich als deutscher Schriftsteller, tief verbunden mit der deutschen Kultur und Tradition, als deren Repräsentant er sich sieht.

Im Zentrum der ersten Radiosendung steht die amerikanische Perspektive auf das Kriegsgeschehen, die Thomas Mann seinen Hörerinnen und Hörern vermitteln möchte. Thomas Manns Glaube, dass die EmpfängerInnen seiner Rundfunkbotschaft sich den Frieden ebenso wünschen wie er selbst, stand für ihn im Oktober 1940 noch außer Frage. Oktober 1940. Deutsche Hörer. Deutsche Hörer. Ein deutscher Schriftsteller spricht zu euch, dessen Werk und Person von euren Machthabern verfemt sind.

Und dessen Bücher, selbst wenn sie vom deutschesten Handeln, von Goethe zum Beispiel, nur noch zu fremden, freien Völkern in ihrer Sprache reden können, während sie euch stumm und unbekannt bleiben müssen. Mein Werk wird eines Tages zu euch zurückkehren, wenn auch ich selbst es nicht mehr kann.

Solange ich lebe aber, werde ich ein Deutscher sein und leide unter dem Schicksal Deutschlands und all dem, was es nach dem Willen verbrecherischer Gewaltmenschen seit sieben Jahren, moralisch und physisch, der Welt zugefügt hat. Die unerschütterliche Überzeugung, dass dies kein gutes Ende nehmen kann, hat mir in diesen Jahren immer wieder warnende Äußerungen eingegeben, von denen einzelne, wie ich glaube, zu euch gedrungen sind.

Jetzt, im Krieg, gibt es für das geschriebene Wort keine Möglichkeit mehr, den Wald zu durchdringen, den die Tyrannei um euch errichtet hat. Darum ergreife ich gern die Gelegenheit, die die englische Behörde mir bietet, euch von Zeit zu Zeit über das zu berichten, was ich hier sehe in Amerika, dem großen und freien Land, in dem ich eine Heimstatt gefunden habe.

Als vor fünf Monaten deutsche Truppen in Holland einfielen und in Rotterdam in wenigen Minuten Zehntausende von Menschen durch Bomben zugrunde gingen, schrieb der Herausgeber der amerikanischen Zeitschrift Life, die sonst nie zu politischen Fragen Stellung nimmt und die jedermann liest, »Das ist die größte Herausforderung, die Amerika als ein Land der Freiheit in 80 Jahren erfahren hat.«

Mächtige, ruchlose Militärvölker haben das angegriffen, was unsere amerikanische Art zu leben ist. Ob wir je mit der Waffe an der Seite Englands kämpfen müssen, wissen wir nicht. Aber das wissen wir, dass der Kampf Englands zutiefst auch unser eigener ist. So hieß es damals nach dem 10. Mai und so heißt es heute noch. So denken die Arbeiter und die Geschäftsleute, die Republikaner und die Demokraten, die Anhänger Roosevelts und die Anhänger seines Gegners.

Von dem alten Amerika, das glaubte, für sich leben zu können, ohne sich um die Welt jenseits des Ozeans zu kümmern, ist wenig übrig geblieben. Woher kommt diese tiefe Wandlung? In diesem Lande leben 130 Millionen gutwilliger, freundlicher Menschen. Sie wollen in Frieden arbeiten und bauen. Krieg, Eroberungen fremder Länder, Allianzen, Achsen, heimliche Begegnungen, Vertragsbrüche erscheinen ihnen überflüssig und verrückt.

Aber dann kommen nun ihre Zeitungen und Radioberichterstatter und erzählen ihnen, was in Europa vorgeht, wie in Norwegen, in Holland, Belgien, Polen, Böhmen, wie überall das gleiche Bild ist, wie deutsche Truppen in diesen Ländern stehen, die ihnen nichts getan haben und sie bedrücken und ausplündern. Und wie die als Verbrecher totgeschossen werden, die ihr Vaterland lieben und nicht für den fremden Eindringling Waffen schmieden wollen.

Natürlich ist ein Amerikaner vor allem amerikanischer Bürger. Aber es ist doch oft so, dass er oder sein Vater oder Großvater in Norwegen, in Holland, in Belgien, in Dänemark, im Generalgouvernement, im Protektorat geboren sind. Dass er noch Verwandte in einem dieser Länder und gute Erinnerungen von ihm hat. Alle Amerikaner fühlen, dass das nicht der rechte Weg ist, Europa zu einigen und dass so viel Verbrechen früher oder später seine Strafe finden muss.

So hat der amerikanische Bürger von heute vor allem drei Hoffnungen. Die eine ist Amerika selbst, seine ungeheure wirtschaftliche Kraft, seine guten und bewährten Führer. Die zweite ist England. England trägt das Banner der Freiheit. Es spricht und kämpft für alle leidenden, nur heimlich Widerstand leistenden Völker. Darum ist hier der Wunsch, ihm zu helfen, so groß. Die dritte, leider nicht mehr sehr starke Hoffnung, beruht noch immer auf dem deutschen Volk.

Werden denn, so fragt man sich hier, die Deutschen nicht endlich erkennen, dass ihre Siege nur Schritte sind in einem endlosen Sumpf? Dass, wenn ihre Soldaten nun noch in drei Länder einfallen, ihre U-Boote noch drei Schiffe voller Flüchtlingskinder versenken, wenn sie noch mehr Menschen in Elend, Verbannung und Selbstmord treiben und den Hass der Welt auf sich laden, sie doch dem erwünschten Ziel damit gar nicht näher kommen? Dass es viel bessere Wege gibt zu dem Ziel, das wir alle ersehnen.

Einen gerechten Frieden für alle Welt.

Mein Name ist Alice Hastas. Ich bin Autorin, schreibe Bücher und mache auch einen Podcast. Und 2023 war ich im Thomas Mann Haus und habe da über Tanz und Macht recherchiert. Alice Hastas, geboren 1989 in Köln, ist eine der wichtigen Stimmen in den Rassismus- und Diversitätsdebatten in Deutschland.

Ihr Bestseller »Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten« und der Podcast »Feuer und Brot« haben das Thema mitten in die Gesellschaft getragen. Hastas setzt sich für Sichtbarkeit, Verständnis und neue Perspektiven auf Identität und Zugehörigkeit ein.

Ich lese oder erkenne da auch eine Härte, die aber auch irgendwo angemessen ist. Es ist 1940, man ist mitten im Krieg und Thomas Mann ist im Exil und ich glaube, in dieser realen Härte auch mit einer harten Sprache irgendwo zusammenzuhalten,

Zu antworten oder die anzuwenden, leuchtet mir sehr ein. Aber ich sehe auch in dieser Strenge irgendwo, die diese Rede auch hat, irgendwo auch eine Sanftheit, wie er die deutschen Hörer tatsächlich adressiert. Er hat ja in dem Moment gar nicht mehr die Hoffnung, irgendwann mal nach Deutschland zurückkehren zu können.

Und hofft nur, dass zumindest seine Werke zu den Deutschen zurückkehren könnten. In dieser Situation von der Ferne aus den USA quasi zu den Leuten in Deutschland zu sprechen, sehe ich irgendwo auch alleine schon in dieser Geste eine Hoffnung und eine Sanftheit auch irgendwo.

Gerade ist es kaum vermeidbar, diese Rede auch irgendwo in dem Kontext der Gegenwart zu sehen, weil diese Zerbrechlichkeit einer Nation, eines ganzen Kontinents, vielleicht auch einer ganzen Welt, die in den Krieg fällt, so deutlich wird in dieser Rede. Habe ich auch noch mal das Gefühl gehabt, wie zerbrechlich gerade und fragil die politischen Verhältnisse und Situationen gerade in der Gegenwart auch ist. Es ist nicht 1940, wir sind nicht in einem Weltkrieg angekommen.

Aber die politischen Spannungen, der aufkommende Faschismus, die Demokratieverdrossenheit, die wir heute sehen, da findet man natürlich irgendwo auch Parallelen. Und es hat mich schon sehr bewegt, diese Rede dann auch nochmal zu lesen. Leider lesen wir die Rede gerade nicht in einem Kontext, wo man von einer total stabilen und unerschütterlichen Demokratie sprechen kann.

Das war so ein Gedanke. Der andere Gedanke, den ich hatte, war, wie Thomas Mann über Amerika spricht, über die USA als großer Hoffnungsträger. Er beschreibt die USA eben als ein Land, das auf Europa blickt, auf Deutschland blickt und dort auch die eigenen Werte beschreibt.

angegriffen sieht und das jetzt auch quasi zu vergleichen mit der Gegenwart, wo Amerika also eigentlich gerade das Gegenteil möchte, sich von diesen Werten eher abwendet und auch mehr sich wieder isoliert und eben sich nicht mehr der Welt zuwendet und auch sich Europa, insbesondere der EU, so abkehrt, ist das natürlich irgendwo auch hart, weil ich

Ich finde, die USA in den Konflikten heute eben nicht der Hoffnungsträger ist, sondern sich mehr auch beteiligt an einer antidemokratischen Bewegung. 24. Dezember 1940. Thomas Mann erinnert seine deutschen Hörerinnen und Hörer in dieser Rede an ihre Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinschaft und an die Werte deutscher Kultur und Tradition. Dürer, Bach, Goethe und Beethoven sind

werden exemplarisch als Repräsentanten dieser Kultur genannt. Für Thomas Mann ist das nationalsozialistische Deutschland nicht identisch mit dem Deutschland, das für christlich-abendländische Werte steht und dem er sich selbst zugehörig fühlt. An den Verbrechen, die in Deutschlands Namen verübt würden, seien allein die nationalsozialistischen Führer schuld. In den Augen der Welt jedoch würden diese Verbrechen auch auf den Teil der guten Deutschen abfärben.

Von den Völkern, die unter dem Expansions- und Vernichtungsdrang der Deutschen zu leiden haben, sei keine Differenzierung zu erwarten. Seine Botschaft ist klar. Nur durch einen Akt der Selbstbefreiung könne es den Deutschen gelingen, wieder in die Gemeinschaft der friedlichen, in Freiheit lebenden Völker aufgenommen zu werden.

24. Dezember 1940. Deutsche Hörer, das Weihnachtsfest kehrt wieder. Ein Fest der Liebe und euch das Liebste. Ein Fest erfüllt von Licht und Duft und Traum der Kindheit. Man mag es das deutscheste aller Feste nennen und wohl kein Volk begeht es mit solcher Innigkeit wie ihr.

Nun rüstet ihr euch wieder, das christliche, das deutsche Fest zu begehen, zum zweiten Male in dem Kriege, den eure gegenwärtigen Führer über euch und die Welt verhängt haben. In Trauer viele von euch um Söhne und Väter, die umkamen beim Überfall auf Nachbarvölker. Beklommenen Herzens gewiss ihr alle bei dem Gedanken, wie lange dies alles noch dauern, wohin dies alles noch führen soll. Ihr deckt die Gabentische.

Sie werden kümmerlich bestellt sein, denn gute Dinge sind nicht erhältlich, obgleich doch eure Herren den verheerten Kontinent geplündert haben in eurem Namen. Aber die Weihnachtskerzen brennen. Ich möchte euch fragen, wie euch in ihrem Lichte die Taten vorkommen, die eure Führer euch als Nation im vergangenen Jahre haben begehen lassen, die Taten wahnsinniger Gewalt und Zerstörung, an denen sie euch geflissentlich mitschuldig gemacht haben.

All die Abscheulichkeiten, die sie in eurem Namen gehäuft haben, das unergründliche Elend und Menschenleid, welches das nationalsozialistische Deutschland rings um sich verbreitet hat. Würdet ihr mir sagen, wie zu diesen Taten die schönen alten Lieder stimmen, die ihr mit euren Kindern und selbst von Kindheitsgefühlen erfüllt, nun wieder singt? Oder singt ihr sie nicht mehr?«

Hat man euch befohlen, statt »Stille Nacht, heilige Nacht« die blutige Parteihymne zu singen, die ein Gemisch aus Winkelblatt, Leitartikel und Gassenhauer irgendeinen obskuren Tu-nicht-gut zum mythischen Helden emporlügt? Ich zweifle nicht, dass ihr gehorchen würdet, denn euer Gehorsam ist grenzenlos, und er wird, dass ich es euch nur sage, von Tag zu Tag unverzeihlicher.

»Grenzenlos und unverzeihlich ist euer Glaube, will sagen, eure Leichtgläubigkeit. Ihr glaubt einem kümmerlichen Geschichtsschwindler und Falschsieger, dass durch ihn und durch euch eine Welt tagt, in der es um alle Werte geschehen sein soll, die nicht bloß den Christen zum Christen, sondern einfach den Menschen zum Menschen machen. Um Wahrheit, Freiheit und Recht. Ihr glaubt ihm, dass er der Mann der Jahrtausende sei.«

Gekommen, sich an Christi Stelle zu setzen und die Heilandslehre der Menschenbrüderlichkeit unter Gott abzulösen durch die leere Körper und Seelen mordender Gewalt. Ihr glaubt ihm, dass ihr das Herrenvolk seid, das erwählt ist, eine sogenannte neue Ordnung zu schaffen, in welcher alle anderen Völker euch als Sklaven werden zu frohen haben. Und als Sklaven seines elenden Fanatismus fahrt ihr fort, wie Berserker für diese grauenhafte neue Ordnung zu kämpfen.

Was ihr aber vor allem glaubt, ist, dass es das Ende des deutschen Volkes wäre, wenn es in diesem Krieg nicht siegte. Das heißt, wenn es nicht einem ruchlosen Besessenen durch dick und dünn bis zum Äußersten folgte. Er sagt euch das, damit ihr euer Schicksal für unverbrüchlich gebunden haltet. Anders seine. Das allerdings besiegelt ist, wenn, wie mit Sicherheit vorauszusehen, seine sauberen Pläne scheitern.

Vergessenheit wird das mildeste sein, was seinem Namen in diesem mehr als wahrscheinlichen Fall beschieden ist. Aber ihr, euer Ende, das Ende des Deutschtums sollte es sein, wenn nicht er, sondern Vernunft und Menschenanstand den Sieg davon tragen. Des Deutschtums neu beginnen, seine Wintersonnenwende wird es sein, neue Hoffnung, neues Glück und neues Leben. Deutsche, rettet euch!

Rettet eure Seele, indem ihr euren Zwingherren, die nur an sich denken und nicht an euch glauben und gehorsam, kündigt.

»Ich lebe in der Welt, von der ihr abgesperrt seid, obgleich ihr zu ihr gehört, und ich sage euch, nie wird diese Welt die neue Ordnung, die untermenschliche Schreckensutopie annehmen und ertragen, für die eure Verführer euch bluten und darben lassen. Nie werden diese großen christlichen Völker dulden, dass der Friede, den doch auch ihr ersehnt, ein Friede über dem Grabe der Freiheit und Menschenwürde sei.«

Ihr könnt in kommenden Jahren das Elend noch verzehnfachen, das ihr aus Gehorsam und Leichtgläubigkeit schon angerichtet habt, aber schließlich wird es euer eigenes Elend sein. Und wie es zugehen wird in Deutschland am Ende des Frevels, das mag man nicht ausdenken. Es ist Weihnachten, deutsches Volk. Lass dich bewegen und auch empören von dem, was die Glocken meinen, wenn sie Frieden verkünden. Frieden auf Erden.

Christian Wulff, geboren 1959, war von 2010 bis 2012 Bundespräsident und zuvor Ministerpräsident von Niedersachsen. Als Jurist und CDU-Politiker engagiert er sich heute als Anwalt, Schlichter und Redner, national wie international. Sein Einsatz gilt der Integration, dem interreligiösen Dialog und einer lebendigen Demokratie.

Deutsche Weihnachten begegnen mir in der ganzen Welt. Da gibt es Figuren aus dem Erzgebirge, da gibt es eine Vorstellung von Weihnachtsmärkten. Also wie der deutsche Wald ist Deutsche Weihnachten weltweit ein Begriff. Und Thomas Mann hat eben diese ganze Heuchelei auf der einen Seite das Fest des Friedens, auf der anderen Seite Krieg und Elend über den ganzen Kontinent.

ganz direkt schonungslos herausgearbeitet und diesem Grauen des Nationalsozialismus tatsächlich Sprache verliehen, was ja unglaublich schwer ist. Und ich finde an dieser Ansprache zu Weihnachten 1940 so eindrucksvoll, wie prophetisch er das Ende voraussieht, dass der Nationalsozialismus auf jeden Fall scheitern wird, weil der Friede nicht über dem Grab der Menschenwürde und der Freiheit auslöst,

akzeptiert würde und wie er eben dann auch das Glück, was danach kommen könnte, vorausgesehen hat, wie es dann gekommen ist.

Ich sehe diesen Gegenwartsbezug, weil das, was Thomas Mann vorgelebt hat, heute für alle gelten sollte. Nicht nur das Wort zu ergreifen, sich einzusetzen für die Demokratie und zu ihr zu stehen und mutig zu streiten, sondern das auch intellektuell gut durchdacht zu tun.

Manchmal erlebt man in Konzerten oder bei Veranstaltungen so ein allgemeines Bekenntnis zur Vielfalt und Toleranz mit dem Duktus, anders könnte man das auch gar nicht sehen. Und da erlebe ich gerade in den neuen Bundesländern, dass viele Bürgerinnen und Bürger sagen, wir wollen hier nicht vorgegeben bekommen, wie wir zu denken haben, was wir zu sagen haben, was wir zu unterlassen haben. Also da muss man unglaublich aufpassen. Und Thomas Mann ist jemand, der argumentativ sachlich begründet,

dass eine Hierarchisierung mit einem Herrenvolk beispielsweise zwangsläufig in die Barbarei führt, dass man nichts Besseres ist als andere, dass man nicht auf einen Führer, der einem Verheißung verspricht, reinfallen soll. Und er begründet das, er nennt Argumente. Das tut heute mehr denn je Not, dass wir es uns nicht zu einfach machen. Ich zum Beispiel erinnere im Sinne von Thomas Mann,

an den Konsens, den es nach dem Krieg gegeben hat, zur regelbasierten Zusammenarbeit, zu rechtsstaatlichen Institutionen, zur Versöhnungsbereitschaft, Empathie zur Nächstenliebe und sage dann, dass diese Grundkonsense heute, 80 Jahre später, verloren gehen, weil beispielsweise Elon Musk sagt, das größte Problem Europas sei die Empathie.

Da hat Hannah Arendt gesagt, wo die Empathie verloren geht, geht der Schritt in die Barbarei. Oder dass heute das Recht der Stärkeren propagiert wird, statt internationale Organisationen zur Zusammenarbeit zu nutzen. Februar 1941. Thomas Mann reagiert mit dieser Sendung auf die Rede, die Hitler am 30. Januar anlässlich des 8. Jahrestages der nationalsozialistischen Machtübernahme im Berliner Sportpalast gehalten hat.

In den USA und in Großbritannien war diese Rede auf erhebliches Befremden gestoßen. Februar 1941. Deutsche Hörer. Deutsche Hörer. Die jüngste Rede des deutschen Staatsoberhauptes im Berliner Sportpalast hat in Amerika einen besonders widerwärtigen Eindruck gemacht.

Nicht so sehr durch ihren Inhalt, der von letzter Armseligkeit war und nur die Unfähigkeit dieses schadhaften Gehirns bewies, zur Lösung der brennenden Fragen der Zeit irgendeinen brauchbaren Beitrag zu leisten, sondern vielmehr durch ihre Heiterkeit, die ungesunde Aufgeräumtheit, die daraus sprach und die wohl der Hauptgrund war, weshalb auch in England diese Rede als »paranoic«, als »verrückt« empfunden wurde.

Hitler machte häufig Späße, schrieb die amerikanische Presse. Es gab mehr Lachsalven als gewöhnlich, wenn er eine Rede hält. Welcher Art waren diese Schnurren? Ein englischer Staatsmann hat ausgerechnet, sagte der Eroberer, dass ich im Jahre 1940 sieben Fehler gemacht hätte. Ich habe 724 Fehler gemacht, aber meine Gegner 4.385.000.

Unübertrefflich. Die Jahrhunderte werden diese humoristische Kostbarkeit einander weiterreichen, vorausgesetzt nur, dass nicht etwa das menschliche Schamgefühl dies verhindert. Denn hat es nicht wirklich etwas, das Schamgefühl unerträglich Verletzendes, etwas idiotisch Obszönes, unter Weltumständen wie den gegenwärtigen, als deren verantwortlicher Urheber Herr Hitler sich fühlen darf, so lustig zu sein?

Jammer und Not, Menschenjagd, Heimatlosigkeit, Verzweiflung und Selbstmord, Blut und Tränen erfüllen die Erde. Nationen von stolzer Geschichte, denen die Menschheit Großes verdankt und die in Wohlstand lebten, liegen zerbrochen, geschändet und geplündert. Andere führen einen Kampf auf Leben und Tod, um dieses Schicksal von sich abzuwehren.

»Das deutsche Volk selbst, das seit acht Jahren im Kriege und in Schlimmerem lebt, blickt inmitten eines zerrütteten, von Hungersnot und Seuchen bedrohten Kontinents mit geheimem Grausen einer Zukunft entgegen, die ihm nur wieder Krieg, einen Krieg nach dem anderen, unabsehbare Glücksentbehrung und dabei den Hass und Fluch der Welt verheißt. Sein Führer aber reißt Possen dazu.«

Herr Hitler sieht das Stück Weltgeschichte, das er in die Wege leitete, indem er durch die Bündnisse mit Russland und Japan, die beiden Grundprinzipien seiner politischen Religion, den Antibolschewismus und die Rassenidee als bloße Mittel zum Weltbetrug preisgab. Er sieht diese Geschichte offenbar unter einem höchst persönlichen Gesichtspunkt, dem Gesichtspunkt seiner Biografie. Einer Schwindlerlaufbahn, die ihn ein Heldenleben düngt und deren Abenteuerlichkeit ihm den schwachen Kopf berückt.

möchte er sich doch überzeugen lassen, dass das Individuum Hitler in seiner unergründlichen Verlogenheit, seiner schäbigen Grausamkeit und Rachsucht, mit seinem unaufhörlichen Hassgebrüll, seiner Verhunzung der deutschen Sprache, seinem minderwertigen Fanatismus, seiner feigen Askese und armseligen Unnatur

Seiner ganzen defekten Menschlichkeit, die jeden kleinsten Zug von Großmut und höherem seelischen Leben vermissen lässt, die abstoßendste Figur ist, auf die jedes Licht der Geschichte fiel. Der Tag seines Falles aber, der Tag, an dem diese Stimme eines bösen Kettenhundes nicht mehr um das Erdrund schallen, diese zur Faust geballte Hysteriker-Klaue nicht mehr auf die Weltkarte schlagen wird, dieser Tag wird ein Tag,

tiefsten Aufatmens und der Erlösung sein für Abermillionen. Herr Hitler forderte im Verlauf seiner fröhlichen Ansprache eine Kundgebung für seine Person heraus, indem er sagte, irgendein Herr möchte wohl kommen und versuchen, das deutsche Volk von ihm, seinem Führer, zu trennen. Wer aber das unternehme, der kenne das deutsche Volk nicht. Nun,

Der Charakter des deutschen Volkes ist allbekannt und Herr Hitler sagt uns nichts Neues damit, dass ein solcher Versuch vorderhand unnütz ist. Das deutsche Volk verfügt nicht über die politische Aufgewecktheit und Kritik der Italiener, die unverkennbare Unlust zeigen, für ihren Duce zu kämpfen, weil sie finden, dass Schokerei wohl in Kauf zu nehmen ist, dass man aber dabei nicht auch noch ein Dummkopf sein darf.

Das deutsche Volk wird noch geraume Zeit stramm und treu marschieren, solange es nämlich glaubt, was man ihm sagt, dass es vernichtet werden soll, wenn es Hitlers Krieg nicht gewinnt.

Sobald es dies als grobe Lüge erkennt und gewahr wird, dass Hitler und seine Bande das einzige Hindernis bilden für einen gerechten Frieden und eine glücklichere, es selbst bereitwillig einschließende soziale Völkerordnung, wird es ganz ohne Zureden Hitler dahin fahren lassen, wohin er gehört.

Feridun Zeymoglu, 1964 in der Türkei geboren und in Deutschland aufgewachsen, ist Schriftsteller, Dramatiker und bildender Künstler. Seine vielfach ausgezeichneten Werke geben marginalisierten Stimmenraum und verhandeln Themen wie Migration, Identität und soziale Brüche.

In jüngerer Zeit widmet er sich zunehmend der deutschen Kultur- und Geistesgeschichte. Streitbar, bildmächtig und mit eigenem Ton. 2022 hat er mit Bewältigung einen Roman vorgelegt, dessen Hauptfigur sich Adolf Hitler anverwandelt.

Natürlich habe ich mir gedacht, das ist jetzt der Mann auf der richtigen Seite und es ist alles richtig, was er sagt, was er gegen diesen furchtbaren Mann Adolf Hitler in Stellung bringt, aber...

Ich bin deswegen enttäuscht, weil hier spricht ein Mann der Rede, ein Mann des geschliffenen Wortes, ein Mann, ein Literat, und ich würde das, seine Rede, als ungeschliffenen Antifaschismus bezeichnen. Ich hätte mir ein bisschen mehr Wortgewandtheit, mehr Wortwitz, mehr direkte Ansprache und weniger Einhauen, Eindreschen gebraucht,

auf den Mann Hitler gewünscht, denn wir wissen es, es bewirkt das Gegenteil, es hat den gegenteiligen Effekt, wenn man jemanden beschimpft, werden viele Leute sagen, na, ob das so stimmt? Also ehrlich gesagt bin ich etwas enttäuscht.

Mit Verlaub, da muss ich auch dem guten Thomas Mann widersprechen. Ich finde das Moralisieren problematisch. Also heute kann man sich hinstellen, natürlich nachdem alles vorbei ist und sagen, nun, wie konnte man nur das hinnehmen, wie konnte das geschehen und wie konnte man den Verbrecher nicht widerstehen, das ist alles schön und gut, aber ich

Ich gehöre nicht zu denen, die sich hinstellen und aus der heutigen Zeit hinaus die Menschen damals verurteilen, insofern verurteilen, als dass sie sich dann ins Spiel bringen und sagen, ich hätte es anders gemacht. Wäre ich ein einfacher Mann, hätte ich gesagt, der hat ja gut reden, der sitzt da in Amerika und erzählt uns, wie unfähig wir sind.

Und dass wir dies sind und jenes sind und dass wir uns abwenden sollen. Also ich bleibe jetzt einfach mal bei den Wahrheiten oder bei den Wirklichkeiten, denn tatsächlich gibt es ja auch eine ziemliche Literatur über die Verhältnisse damals und über den Widerstand der Menschen damals, die nicht ins Exil gegangen sind, die da geblieben sind.

Und man weiß, wie furchtbar, wie mörderisch diese Verhältnisse waren. Eine falsche Bewegung, ein falsches Wort und man wurde ohne natürlich hier normale Gerichtsverhandlungen gleich exekutiert, mehr oder minder gleich getötet. Nur ist es so eine Sache und darüber haben sich auch die Exilanten, als sie später zurückgekommen sind,

Auch im Sinne einer Selbstkritik haben sie festgestellt, ja, wir werden angesehen. Das ist natürlich oft auch ungerecht gewesen. Wir werden angesehen als diejenigen, die in Sicherheit warten.

Und jetzt kommen wir wieder, da alles vorbei ist und wir kommen gewissermaßen mit den Siegermächten. Es gibt auch wunderbar kluge Bücher über die schwierige Zeit der heimkehrenden Exzellenten in Deutschland. Also wie hätte ich reagiert? Ich hätte das mir angehört. Ich hätte mich vielleicht gefreut, dass das jetzt nicht das Gebrüll von Hitler ist, das man sonst immer hört oder von Goebbels.

Aber ich wäre, glaube ich, jetzt über solche Art von Erweckungsrufen nicht besonders erbaut gewesen. Januar 1942. Die Rede entstand laut Tagebuch am 25. und 26. Januar 1942. Am darauffolgenden Tag wurde die Sendung bei der NBC in Los Angeles aufgezeichnet. Neu war für die deutschen Hörerinnen und Hörer, dass sie nun Thomas Manns eigene Stimme vernehmen konnten.

Den Schritt ans Mikrofon hatte er bei der BBC durchgesetzt, weil er sich davon eine bessere Wirkung seiner Worte versprach. Januar 1942. Deutsche Hörer. Die Nachricht klingt unglaubwürdig, aber meine Quelle ist gut. In zahlreichen holländisch-jüdischen Familien, so wurde ich unterrichtet, in Amsterdam und anderen Städten herrscht tiefe Trauer um Söhne, die eines schaurigen Todes gestorben sind.

400 junge holländische Juden sind nach Deutschland gebracht worden, um als Versuchsobjekte für Giftgas zu dienen. Die Virulenz dieses ritterlichen und durch und durch deutschen Kriegsmittels, einer wahren Siegfriedwaffe, hat sich an den jungen Untermenschen bewährt. Sie sind tot, gestorben für die neue Ordnung und die Kriegsingeniosität der Herrenrasse.

Ich sagte, die Geschichte klingt unglaubwürdig und überall in der Welt werden viele sich sperren, sie zu glauben. Starke Reste jener Glaubensunwilligkeit, unter der wir Deutschlandflüchtlinge all diese Jahre her so bitter gelitten haben. Die Unwilligkeit, an die wahre Natur des Nationalsozialismus zu glauben, sie für menschenmöglich zu halten, ist selbst heute noch überall vorhanden.

Die Neigung, um nicht zu sagen die Tendenz, solche Geschichten als Gräuelmärchen anzusehen, bleibt zum Vorteil des Feindes weit verbreitet. Sie sind aber keine bloßen Geschichten, sie sind Geschichte. Die Nazis machen bewusst Geschichte mit allen ihren Taten und die Probevergasung der 400 jungen Juden ist eine bewusste und demonstrative Geschichtstat.

Ein leer und beispielhafter Ausdruck des Geistes und der Gesinnung der nationalsozialistischen Revolution. Man darf nicht vergessen, dass am Anfang dieses Krieges, der nicht 1939, sondern 1933 begann, die Abschaffung der Menschenrechte stand. Die Menschenrechte sind abgeschafft, verkündete damals Dr. Goebbels im Berliner Sportpalast, und 10.000 blöde, arme Teufel brüllten ihm kläglich widersinnigen Beifall.

Es war eine geschichtliche Proklamation. Die prinzipielle Grundlage für alles, was Nazi-Deutschland heute den Völkern einschließlich des eigenen Volkes zufügt. Die Feststellung einer revolutionären Errungenschaft, die die Abschaffung aller sittlichen Errungenschaften des Menschen seit Jahrtausenden bedeutet. Nicht nur der Errungenschaften der französischen Revolution, sondern auch des Christentums.

Die neue Lehre und Tat, die Theorie und Praxis der nationalsozialistischen Revolution ist der Bestialismus. Und ihr Produkt ist das Europa von heute. Ein halb ausgemordetes Hunger- und Seuchengebiet, das, wenn der Hitlerkrieg noch einige Jahre dauert, nur noch ein Wechselplatz der Wölfe sein wird. Was Deutschland tut...

Was es an Jammer, Elend, Verzweiflung, Untergang, an moralischer und physischer Zerrüttung der Menschheit zufügt, indem es die revolutionäre Philosophie des Bestialismus ausübt, ist so himmelschreiend, so hoffnungslos, unvergessbar, dass man nicht absieht, wie in Zukunft unser Volk unter den Brüdervölkern der Erde als Gleiches unter Gleichem soll leben können. Je länger der Krieg dauert, desto verzweifelter verstrickt dieses Volk sich in Schuld.

Und aus dem einzigen Grunde dauert er heute noch an, weil es euch Deutschen zu spät scheint zum Aufhören. Weil ihr fühlt, es sei zu viel geschehen, als dass ihr noch zurück könntet. Weil euch Entsetzen erfasst bei dem Gedanken der Liquidation, der Abrechnung, der Sühne. Ihr müsst siegen, denkt ihr, damit die Revolution des Bestialismus sich über die ganze Welt erstrecke und in ihrem Zeichen eine finstere Verständigung zwischen euch und dem Rest der Welt möglich sei.

Nicht siegen müsst ihr, denn das könnt ihr nicht. Ihr müsst euch reinigen. Die Sühne, um deren Vermeidung ihr kämpft, muss euer eigenstes Werk sein, das Werk des deutschen Volkes, von dem euer bald zermürbtes und erschöpftes Kriegsheer ein Teil ist. Immer wieder spreche ich denen, die für die Zeit nach dem Zusammenbruch des Hitlertums eine Zwangserziehung des deutschen Volkes von außen empfehlen.

Jede Umbildung, antworte ich ihnen, ist Sache des deutschen Volkes selbst, muss seine Sache allein sein. Diejenigen von euch, für die sich mit meinem Namen noch ein Begriff verbindet, wissen wohl, dass ich kein Revoluzzer und Barrikadenmann bin. Von Natur gewiss kein Rufer zu blutigen Taten, aber so viel weiß ich von den Gesetzen der moralischen Welt und habe hinlängliche Ehrfurcht vor ihnen, um euch zu sagen, dass ich nicht ein Revolutionär bin.

Raoul Krauthausen

1980 in Lima geboren, ist einer der bekanntesten Aktivisten für Inklusion und Barrierefreiheit in Deutschland. Als Gründer des Vereins Sozialhelden setzt er sich seit über 20 Jahren für mehr Teilhabe ein. Mit Humor, Klartext und viel Engagement kämpft er als Autor, Redner und Moderator für die Rechte von Menschen mit Behinderung.

Thomas Mann warnte vor dem moralischen Bankrott Deutschlands, wenn es nicht zur zivilisierten Gemeinschaft zurückfindet. Seine Worte waren 1942 lebenswichtig. Und sie sind es heute noch. Denn die Verteidigung der Menschenwürde ist keine Fußnote der Geschichte. Sie ist eine tägliche Aufgabe.

Wenn ich auf das heutige Deutschland blicke, bin ich ehrlich gesagt alarmiert. Rechtsextremismus nimmt zu, Hassverbrechen, antisemitische Schmierereien, Angriffe auf Minderheiten, fast schon alltäglich. Und eine Partei im Bundestag macht offen Stimmung gegen alles, was unsere Demokratie ausmacht. Ich frage mich, haben wir genug gelernt aus der Geschichte?

Thomas Manns Warnung vor dem Herrenvolk könnte direkt an uns gerichtet sein. Es darf uns nicht gleichgültig sein, wenn Menschen wieder nach Herkunft, Religion oder Behinderung ausgegrenzt werden.

Ich bin Aktivist für eine inklusive Gesellschaft und ich lebe mit einer Behinderung. Für mich ist klar, ein Regime, das Menschlichkeit verleugnet, hätte Menschen wie mich als einst unwertes Leben aussortiert. Diese Erkenntnis ist kein fernes Geschichtswissen, sie ist ein Auftrag. Ich trete jeden Tag ein für Menschenrechte, für Teilhabe, für Würde. Denn eine Gesellschaft ist nur dann lebenswert, wenn sie die Schwächsten schützt.

Unsere Demokratie ist kostbar, aber sie ist nicht selbstverständlich. Schon jetzt erleben wir Tabubrüche, Abstimmungsdeals mit Rechten, Verharmlosung rassistischer Hetze als Sorgen der Bürger. So beginnt das Abrutschen, nach und nach, immer mehr, immer weiter. Der Hass kennt keine Grenzen. Deshalb mein Appell, ganz im Geiste Thomas Manns, lassen wir nicht zu, dass Hass und Hetze wieder salonfähig werden.

März 1942

In dieser Radiobotschaft bezieht Thomas Mann sich direkt auf Hitlers Ansprache zum sogenannten »Helden-Gedenktag« in Berlin am 15. März 1942. Er zitiert Sätze aus der Rede, um sie spöttisch zu kommentieren. Besonders wichtig ist ihm die Erwähnung, dass Hitler sich in seiner Ansprache auch auf die USA und auf den amerikanischen Präsidenten Roosevelt bezogen habe. Ihn betrachte Hitler als seinen persönlichen Feind und Konkurrenten.

Die Opposition Roosevelt-Hitler, die immer wieder in den Radiosendungen vorkommt, ist hier zentraler Bestandteil der Argumentation. Thomas Mann bewunderte Roosevelt und Hitlers Versuch, sich mit dem amerikanischen Staat überhaupt zu messen, bewertete er als lächerlich. Fast im gleichen Atemzug erinnert Thomas Mann seine Landsleute daran, dass für sie sehr wohl die Möglichkeit bestehe, in den Besitz der von Roosevelt proklamierten »Vier Freiheiten« zu gelangen,

sobald sie sich ihres Führers entledigt hätten. März 1942. Deutsche Hörer. Deutsche Hörer. Ich weiß, dass die Sehnsucht der meisten Deutschen heute nach nichts anderem mehr geht als nach Frieden und Freiheit, vernünftiger Einordnung und Zusammenarbeit. Aber nicht so meint es der Mensch, dem ein großes Zuwürde und Ansehen im Reich der Freiheit berufenes Volk noch immer erlaubt, sich seinen Führer zu nennen.

In seiner letzten Rede, wenn man so etwas eine Rede nennen kann, gehalten zum sogenannten Heldengedenktag im Berliner Zeughaus, hat er zwar von den langen, gesegneten Friedensjahren gesprochen, die diesem Kampfe folgen werden, ohne hinzuzufügen, wie ein Friede aussehen würde, der von ihm gesegnet wäre, und ohne in seinem armen, blutrünstigen Hirn zu bedenken, dass bei dem Zustand, in dem er Europa zurücklassen wird,

Dem Generationenmord, den er angerichtet, noch lange von keinem gesegneten Frieden wird gesprochen werden können. Aber die fundamentale Sonderart des deutschen Volkes, die Unvereinbarkeit seiner Ideen und Wünsche mit den natürlichsten Wünschen und Hoffnungen der übrigen Menschheit,

Hat er wieder einmal bellend betont, dort nämlich, wo er von den Vereinigten Staaten und dem Präsidenten Roosevelt sprach, den er ja als seinen persönlichen Feind und Konkurrenten betrachtet. Es sei nebenbei bemerkt, dass seine Versessenheit darauf, sich ständig mit Roosevelt zu vergleichen und sich an ihm zu messen, ein so alberner wie widerlicher Anblick ist.

Als ob ein hergelaufener Abenteurer wie er mit einem echten, um die Zukunft der Menschheit wirklich bemühten Staatsmann wie Roosevelt überhaupt in Vergleich gestellt werden könnte. Der Satz seines Geredes aber, den ich meine, ist folgender. »Es geht uns nichts an«, sagte er, »in welcher Art von Welt der Präsident der Vereinigten Staaten zu leben wünscht, wenn er beabsichtigt, Deutschland oder Europa nach seinen Wünschen neu zu ordnen?«

Wenn er hier eine uns fremde und verabscheuungswürdige Welt schaffen will, so können wir ihm nur versichern. Nun, es ist klar, er versichert. Was man sich fragt, ist nur, wieso und warum die Güter, die Präsident Roosevelt als Ziele dieses von Hitler entfesselten Krieges bezeichnet hat, dem deutschen Volk und gar allen Europäern fremd und verabscheuungswürdig sein sollen. Vier Freiheiten hat der Präsident den Völkern versprochen.

Freiheit der Rede und des Glaubensbekenntnisses, Freiheit von Not und von Furcht. Aber genau das ist es, wonach die Völker Europas, einschließlich des Deutschen, aus tiefster, gequälter Seele verlangen.

Das deutsche Volk ist nicht so sonderbar geartet. Es ist kein solches Monstrum, das es lieber in einer Welt der Erdrosselung des Wortes, der Glaubensverfolgung, des Mangels und der Angst lebte. Wer das behauptet, ist ein analphabetischer Schwätzer, der etwas von deutscher Tiefe hat läuten hören, die nicht nach dem Glück, sondern nach einem heldenhaften Dasein verlangt.

Ein schönes Heldendasein, das er euch Deutschen bereitet hat und dauernd bereiten will. Es ist ein Hundedasein. Und ihr werdet nicht aus ihm herauskommen, ehe ihr euch dieses Missgeschicks von Führer entledigt habt. Hat Hitler eine Ahnung von der tiefen Umwälzung, die sich im sozialen Leben der angelsächsischen Reiche vollzieht? Von der Verjüngung und Vervollständigung der Demokratie, um die es geht?

dem Ringen ehrlich zukunftsgewillter Menschen um ein neues Gleichgewicht von Freiheit und Gleichheit, Recht und Pflicht, Individuum und Gesellschaft. Weiß er überhaupt, was Demokratie ist, wenn er sie mit seinen abgestandenen Propagandaphrasen schmäht? Dass Russland und der Westen heute auf derselben Seite gegen ihn, den Feind der Menschheit, kämpfen, ist nur der äußere Ausdruck für die innere Tatsache,

Dass Sozialismus und Demokratie längst keine Gegensätze mehr sind. Dass ihre Werte nach Vereinigung streben. Und dass dies die Revolution ist, die den Sieg davontragen soll, über den Unflat von Lüge und Gewalt, den er Revolution nennt. Diese Zeit der Leiden und vieler Untergänge ist zugleich eine Zeit umfassender Hoffnung.

Möglichkeiten zeichnen sich ab, die vor kurzem noch niemand ins Auge zu fassen gewagt hätte. Die Organisation der Völkergesellschaft, die Verwaltung der Erde zum Wohle aller, Friede, Freiheit und Sicherheit. Die Willkür des nationalen Staates muss gebrochen werden. Aber die Nation wird leben. Deutschland wird leben. Stolz und bescheiden. Ein einmaliges Volk und ein Volk wie alle.

Mein Name ist Arne Friedrich. Ich bin ehemaliger Fußball-Nationalspieler, Stiftungsgründer und gesellschaftspolitisch Engagierter, würde ich sagen. Ich habe zudem einen Podcast und versuche mich immer wieder auch weiterzuentwickeln. Bin sehr interessiert am Leben, interessiere mich auch für Philosophie und für wichtige Themen. Arne Friedrich ist 1979 in Bad Oeynhausen geboren. 82 Mal lief er für die Nationalelf auf, war Vize-Europameister und zweimal WM-Dritter.

In der Bundesliga führte er lange Hertha BSC als Mannschaftskapitän. Zum Abschluss seiner Karriere spielte er in der US-amerikanischen Fußballliga bei Chicago Fire. Er ist ein Literat, er hat Werke geschrieben, aber eben nicht mit dieser gesellschaftspolitischen, mit diesem humanistischen Engagement. Und vor allem, ich glaube, deswegen führe ich es auch darauf zurück, er hat gemerkt, was hier in Deutschland passiert. Und er wollte aufrütteln. Klar, er war nicht in Deutschland zu dieser Zeit, er ist in Amerika gewesen und hat das aus der Ferne betrachtet. Aber trotzdem, das finde ich auch so toll, dass er...

obwohl er im Exil gelebt hat, dass er sich trotzdem für Deutschland genauso interessiert hat und dass er Sorgen hatte, dass er Ängste hatte und dass er einfach auch über BBC, wo er das ja ausgestrahlt, dass er aufrütteln wollte und uns auch immer wieder erinnern wollte. Ich sage jetzt uns, ich habe da noch nicht gelebt, aber uns Deutsche darauf aufmerksam zu machen, dass hier eine ganz schlechte Richtung geht.

Man kommt sehr ins Nachdenken, würde ich sagen. Also gerade wenn man jetzt die heutigen Entwicklungen einmal sieht und da würde ich jetzt auch gar nicht nur Amerika ansprechen, aber weil es jetzt natürlich zu diesem Thema passt, natürlich auch in Amerika. Es geht immer mehr ins Nationale, also weg von diesem globalen Denken, von dem Liberalen, von der Freiheit. Demokratie ist heutzutage aus meiner Sicht stark gefährdet und auch in Amerika.

Der jetzige Präsident spielt natürlich eine gewichtige Rolle und man könnte schon meinen, dass sich das Blatt so ein bisschen gedreht hat. Ich meine, wir hatten jetzt auch gerade Wahlen, Bundestagswahlen und wir sind jetzt auch nochmal mit einem dunkelblauen Auge, würde ich sagen, davon gekommen. Aber man sieht, wie sich Dinge in dieser Welt verändern. Und auch deswegen hat dieser Text von Thomas Mann auch so eine absolute Aktualität, weil es sollte uns alle aufrütteln. Also ich bin...

Befreundet mit Margot Friedländer und in unseren Gesprächen merke ich natürlich auch immer wieder, was sie beschäftigt. Und gerade in der jetzigen Zeit ist sie schon auch natürlich sehr besorgt, dass sich Dinge wieder zum Negativen verändern. Und wir leben in einer sehr disruptiven Zeit, nicht nur in Deutschland, sondern global betrachtet. Es sind immer mehr Länder, die jetzt eher Richtung Autokratie gehen und die Demokratie verliert immer mehr an Boden. Und das ist etwas, da sollten wir alle extrem aufpassen. Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer befreundet.

ist am 9. Mai 2025 im Alter von 103 Jahren gestorben. Das Gespräch mit Arne Friedrich hatte vorher stattgefunden.

Und nochmal eine Anekdote zu Roosevelt. Das ist auch so etwas, was ich so toll fand an Thomas Mann, dass er darauf aufmerksam gemacht hat, dass sich Adolf Hitler ja auch immer wieder mit Roosevelt verglichen hat, obwohl sie ja eigentlich komplett gegensätzlich waren. Wenn ich so einen Text lese, kommen da viele Dinge in mir auf, die mich zum Nachdenken bringen, die mich auch daran erinnern, für Dinge einzustehen. Und gerade natürlich Schriftsteller, Autoren, Menschen in der Öffentlichkeit, die gehört werden von Menschen, die sollten auch das Recht sich herausnehmen, eben

Ja, für die Demokratie einzustehen. April 1942. Äußerer Anlass für die Radiosendung ist der erste Jahrestag der Zerstörung von Coventry durch deutsche Luftangriffe.

Die im März erfolgten Angriffe der Royal Air Force auf deutsche Städte befürwortet Thomas Mann explizit als Vergeltungsmaßnahme. Dass auch seine Heimatstadt Lübeck durch die Bombenangriffe beschädigt wurde, hält ihn nicht davon ab, seine Solidarität mit England zu bekunden. Sie wird noch verstärkt durch die Mitteilung, dass das Haus seiner Großeltern, bekannt als das Buddenbrookhaus, zerstört worden sein soll.

Er sieht das alte, nun vermeintlich in Trümmern liegende Haus als Symbol für eine Tradition, die auch er sich zugehörig fühlt. Thomas Mann zeigt sich hier, wie auch schon in früheren deutschen Hörersendungen, als Repräsentant einer deutschen Kultur, die Ewigkeitswert besitzt und durch äußere Einflüsse nicht negiert werden kann. Für seine Radioansprachen in ihrer Gesamtheit gilt, was diese Rede exemplarisch zeigt.

Thomas Manns Überzeugung, dass der Nationalsozialismus nicht siegen könne. Diese Rede ist eine der wenigen, von der die Aufnahme mit Thomas Mann noch erhalten ist. Deutsche Hörer, zum ersten Mal jährt sich der Tag der Zerstörung von Coventry durch Görings Flieger.

Einer der schauderhaftesten Leistungen, mit denen Hitler Deutschland die Welt belehrte, was der totale Krieg ist und wie man sich in ihm aufführt. In Spanien fing es an, wo die Maschinisten des Todes, diese nationalsozialistisch erzogene Rasse mit den leeren, entmenschten Gesichtern, sich vorübten für den Krieg. Welch ein Sport, wo es gar keine Gegenwehr gibt,

Im Tiefflug in flüchtende Zivilistenmassen hinein zu pfeffern. Frisch und fröhlich. Das Gedenken an die Massakre in Polen ist auch unsterblich. Genau das, was man ein Ruhmesblatt nennt. Und Rotterdam, wo in 20 Minuten 30.000 Menschen den Tod fanden. Dank einer Bravour, die von moralischem Irrsein zu unterscheiden nicht leicht fällt.

Hat Deutschland geglaubt, es werde für die Untaten, die sein Vorsprung in der Barbarei ihm gestattete, niemals zu zahlen haben? Es hat kaum zu zahlen begonnen. Über dem Kanal und in Russland. Doch was die Royal Air Force in Köln, Düsseldorf, Essen, Hamburg und anderen Städten bis heute zu Wege gebracht hat, ist nur ein Anfang.

Hitler prahlt, sein Reich sei bereit zu einem 10-Jahr-20-jährigen Kriege. Ich nehme an, dass ihr Deutsche euch euer Teil dabei denkt. Zum Beispiel, dass in Deutschland nach einem Bruchteil dieser Zeit kein Stein mehr auf dem anderen wäre. Beim jüngsten britischen Raid über Hitlerland hat das alte Lübeck zu leiden gehabt. Das geht mich an. Es ist meine Vaterstadt.

Die Angriffe galten dem Hafen von Travemünde, den kriegsindustriellen Anlagen dort, aber es hat Brände gegeben in der Stadt. Und lieb ist es mir nicht zu denken, dass die Marienkirche, das herrliche Renaissance-Rathaus oder das Haus der Schiffergesellschaft sollten Schaden gelitten haben.

Aber ich denke an Coventry und habe nichts einzuwenden gegen die Lehre, dass alles bezahlt werden muss. Es wird mehr Lübecker geben, mehr Hamburger, Kölner und Düsseldorfer, die dagegen auch nichts einzuwenden haben. Und wenn Sie das Dröhnen der Royal Air Force über Ihren Köpfen hören, wir guten Erfolg wünschen.

Sogar könnte es sein, dass mein Sinn für Gerechtigkeit durch dies Bombardement noch als eine besondere Probe gestellt wäre. Schwedische Blätter melden und amerikanische fragen mich danach aus, dass das Haus meiner Großeltern, das sogenannte Buddenbrookhaus in der Mengstraße, bei dem Raid zerstört sein soll.

Ich weiß nicht, ob die Nachricht wahr ist. Für viele draußen ist durch meinen Jugendroman der Name Lübecks nun einmal mit dem Gedanken an dies Haus verbunden. Und leicht kommt es Ihnen in den Sinn, wenn Bomben auf Lübeck fallen. An Ort und Städte freilich heißt es schon längst nicht mehr das Buddenbrookhaus. Die Nazis...

Verärgert darüber, dass immer die Fremden noch danach fragten, hatten es umgetauft in Wullenweberhaus. Das dumme Gesindel weiß nicht einmal, dass ein Haus, das den Stempel des 18. Jahrhunderts an seinem Rokoko-Giebel trägt, nicht gut mit dem verwegenen Bürgermeister des 16. etwas zu tun haben kann.

Jürgen Wollenweber hat seiner Stadt durch den Krieg mit Dänemark viel Schaden zugefügt. Und die Lübecker haben mit ihm getan, was die Deutschen denn doch vielleicht eines Tages mit denen tun werden, wie sie in diesen Krieg geführt haben. Sie haben ihn hingerichtet.

Das alte Bürgerhaus, von dem man nun sagt, dass es in Trümmern liege, war mir das Symbol der Überlieferung aus der Ich. Aber solche Trümmer schrecken nicht denjenigen, der nicht nur aus der Sympathie für die Vergangenheit, sondern auch aus der für die Zukunft lebt.

Der Untergang eines Zeitalters braucht nicht der Untergang dessen zu sein, der in ihm wurzelt und der ihm entwuchs, indem er es schilderte. Hitler-Deutschland hat weder Tradition noch Zukunft. Es kann nur zerstören und Zerstörung wird es erleiden.

Möge aus seinem Fall ein Deutschland erstehen, das gedenken und hoffen kann, dem Liebe gegeben ist, rückwärts zum Gewesenen und vorwärts in die Zukunft der Menschheit hinaus. So wird es, statt tödlichen Hasses, die Liebe der Völker gewinnen.

Mein Name ist Annett Gröschner, ich bin Schriftstellerin. Ich arbeite vor allem interdisziplinär, also ich schreibe sowohl Romane, arbeite aber auch mit bildenden KünstlerInnen oder FotografInnen oder als Performerin. Und mein Thema ist eigentlich schon sehr, sehr viele Jahre der Krieg, der Zweite Weltkrieg, auch der Luftkrieg. Da habe ich mich sehr intensiv beschäftigt und in meinem Germanistikstudium natürlich auch Thomas Mann gelesen. Musik

Annette Gröschner wurde 1964 in Magdeburg geboren, lebt aber seit den 1980er Jahren in Berlin. Zu ihren bekanntesten Werken zählen »Moskauer Eis«, »Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat« und zuletzt der Roman »Schwebende Lasten«, in dem sie das Leben einer Kranführerin in Magdeburg vor-, während- und nach dem Krieg erzählt.

Die Zerstörung der Heimatstadt, wie Thomas Mann sie beschreibt, ist Annett Gröschner vertraut und ebenso seine moralische Bewertung der Bombardierung deutscher Städte.

Er beschreibt ja die Zerstörung seiner Heimatstadt Lübeck und wahrscheinlich auch des Bodenbrockhauses, was dann schon von den Nazis umbenannt worden ist, was ich zum Beispiel gar nicht wusste. Und findet das in Ordnung, weil die Deutschen mit Guernica, Rotterdam und Coventry ja schon unendliches Leid gebracht hatten durch den Luftkrieg. Und das ist jetzt sozusagen der Bumerang, der zurückkommt.

Und da merkt man auch, dass es ihm wahrscheinlich schwer gefallen sein muss, da auch so ganz klar zu sagen, das ist die Vergeltung und ich bin jetzt einverstanden damit. Und das fand ich interessant als Denkmuster, weil das ist sozusagen, damit bin ich auch aufgewachsen. Das war auch so der historische Kanon, dass also diese Zerstörung deutscher Städte eben einen Vorlauf hatte. Und das waren Jannika Rotterdam und Carpentry.

Und ich bin auch interessanterweise in Rotterdam und Coventry gewesen, um mir das anzugucken, wie die Stadt wieder aufgebaut worden ist. Weil es gibt ja so Ähnlichkeiten zwischen zerstörten Städten, die dann wieder in der Nachkriegszeit oft ganz anders aufgebaut worden sind. Es hat mich immer dahin gezogen. Ich komme aus Magdeburg. Magdeburg, da ist die Innenstadt am 16. Januar 1945 vollkommen zerstört worden. Und meine Familie war eben halt auch in diesen Bombenangriffen und Krieg.

Meine Mutter ist verschüttet worden und das hat uns natürlich immer geprägt auch. Es prägte das ganze Leben, auch wenn da nicht jeden Tag drüber gesprochen wurde. Und es prägt eben auch mein Schreiben, also dass ich mich dann auch sehr damit beschäftigt habe. Aber es war als Kind oder als Jugendliche klar, dass unsere Stadt zerstört worden war, war eben, weil diese anderen Städte zerstört worden waren von den Deutschen.

Das ist so natürlich auch immer der Zwiespalt, in dem man selbst steckt. Also wenn man weiß, die Bombenangriffe gab es, weil Hitler angefangen hat oder die Wehrmacht angefangen hat. Aber gleichzeitig ist es natürlich für ein Kind in so einer Situation, was ja unschuldig ist, erstmal etwas Furchtbares, da quasi diesen Bombern gegenüber zu sein und klein und in einem Keller und so.

Also dieser Zwiespalt ist immer das, was mich auch beim Schreiben angetrieben hat. Also quasi einerseits ist es selbst gemacht, aber andererseits hat der Luftkrieg ja auch den Krieg nicht wirklich verkürzt. Weil das, was man damit erwartet hat, quasi, dass die

25. Mai 1943. Thomas Mann beginnt diese Radiorede mit einer autobiografischen Passage.

Er berichtet, im Sommer 1932, während eines mehrmonatigen Ferienaufenthaltes an der Ostsee, ein Paket erhalten zu haben, in dem sich ein verbranntes Exemplar der Buddenbrooks befand. Der anonyme Absender hatte es ihm zur Strafe dafür geschickt, dass er sich öffentlich gegen den in Deutschland immer stärker werdenden Nationalsozialismus ausgesprochen habe.

Mit der Schilderung der Buddenbrooks-Episode gibt Thomas Mann seinen Hörern zu verstehen, dass auch er in Deutschland ein Opfer nationalsozialistischer, kultureller Hetze geworden sei. Er spreche demnach als direkt Betroffener, nicht nur als ferner Beobachter. Er leitet dann über zum eigentlichen Anlass seiner Radiobotschaft, dem 10. Jahrestag der deutschen Bücherverbrennungen im Mai 1933.

an den zahlreiche Kundgebungen in Amerika und Großbritannien erinnerten. 25. Mai 1943. Deutsche Hörer. Als ich mich im Sommer 1932 an der Ostsee aufhielt, bekam ich ein Paket zugeschickt, aus dem mir, als ich es öffnete, schwarze Asche, verkohltes Papier entgegenfiel.

Der Inhalt bestand aus einem verbrannten, nur gerade noch erkennbaren Exemplar eines Buches von mir, des Romans Buddenbrooks, mir übersandt vom Besitzer zur Strafe dafür, dass ich meinem Grauen vor dem heraufkommenden Nazi-Verhängnis öffentlich Ausdruck gegeben hatte. Das war das individuelle Vorspiel, zu der ein Jahr später, am 10. Mai 1933, vom Naziregime überall in Deutschland in großem Stil veranstalteten symbolischen Handlungen stattfanden.

der zeremoniellen Massenverbrennung von Büchern freiheitlicher Schriftsteller. Nicht deutscher nur oder nur jüdischer, sondern amerikanischer, tschechischer, österreichischer, französischer und vor allem russischer. Kurzum, auf dem Scheiterhaufen qualmte die Weltliteratur. Ein wüster, trauriger,

und ungeheuer ominöser Jux, den übrigens viele daran beteiligte junge Leute sich guter Dinge zunutze machten, um von den Büchern, die sie heranschleppten, möglichst viele zu mausen und so auf billige Art zu förderlicher Lektüre zu kommen.

Es ist merkwürdig genug, dass unter allen Schandtaten des Nationalsozialismus, die sich in so langer blutiger Kette daran reiten, diese blödsinnige Feierlichkeit der Welt am meisten Eindruck gemacht hat und wahrscheinlich am allerlängsten im Gedächtnis der Menschen fortleben wird. Das Hitler-Regime ist das Regime der Bücherverbrennungen und wird es bleiben. Der Schock für das europäische Kulturgewissen war heftig und wirkt unaufhörlich nach,

während in Deutschland dieser Akt nationalistischer Betrunkenheit wohl schon so gut wie aus der Erinnerung verdrängt ist. Sehr bald schon bildete sich in London eine Society of the Friends of the Burnt Books, an deren Spitze H.G. Wells stand. Dieser arbeitete mit Pariser Immigrantengruppen zusammen und stellte die Mittel zur Errichtung einer deutschen Freiheitsbibliothek in Paris zur Verfügung.

Am ersten Jahrestag des Autodafés, dem 10. Mai 1934, wurde dieser eröffnet und ist natürlich seitdem samt ihrem ganzen Anti-Nazi-Archiv ein Opfer der Gestapo geworden. Das Datum aber bleibt der Erinnerung. Und die 10. Wiederkehr jenes 10. Mai hat hier in Amerika zu wahrhaft rührenden und uns deutsche Europa-Flüchtlinge tief beschämenden Kundgebungen geführt.

Um 12 Uhr mittags gingen an diesem Tage in der New York Public Library und in 300 der größten öffentlichen Bibliotheken im ganzen Lande die Flaggen auf Halbmast. An all diesen Städten versammelte man sich, um den Ansprachen von Vertretern der Literatur und der Wissenschaft zuzuhören, die der Nazi-Untat gedachten und die Unantastbarkeit des freien menschlichen Gedankens bekräftigten.

Der Council of Books in Wartime brachte eine Broschüre heraus, die eine Liste der bekanntesten der verbrannten und verbannten Buchtitel enthält und an 30.000 Bibliotheken, außerdem an alle Schulen, Colleges, Universitäten und Buchhandlungen des Landes versandt worden ist. Das amerikanische Propagandaamt hatte künstlerische Plakate herstellen und verbreiten lassen.

die Symbol mit Symbol beantworten. Man sieht darauf, wie Rauch und Flammen aus dem Bücherscheiterhaufen den Kulturschänder Hitler erstickten. Ein Komitee für die Wiederherstellung verbrannter und verbannte Bücher in Europa gab eine Liste der Werke in Auftrag, die als erste wieder in die Bibliotheken eines befreiten Europa eingereiht oder neu aufgelegt werden sollen.

Hörspiele und Reden der bekanntesten Radiokommentatoren gingen über die Netzwerke und gedachten der barbarischen Lustbarkeit, die dem alten Kulturvolk der Deutschen vor zehn Jahren geboten wurde. Der zehnte Jahrestag der deutschen Bücherverbrennungen wurde hierzulande zu einem Bekenntnistage, zu einer Demonstration von großartiger Treuherzigkeit für die Kulturidee und für das Wort »Ihr tötet nicht den Geist«.

Und wir Europäer hatten uns wieder einmal zu fragen, ob nicht die Werte abendländischer Gesittung heute auf dieser Seite des Ozeans besser aufgehoben sind, edelmütigeren Schutz genießen, als drüben bei euch.

Gegen den angeblichen Materialismus dieses Landes, das sie mit seinen Verbündeten anschickt, den alten Kontinent aus den Händen blutiger Banausen und räuberischer Schwindelrevolutionäre zu befreien, behaupten eben diese Banausen und Kulturhenker, die edle, feste Europa idealistisch zu verteidigen. Abgetakelte Wagnerianer geben sich die Miene, als dürften sie verächtlich auf das Land Walt Whitmans herabblicken.

Und doch wird es weit eher dieser sein und nicht der spätromantische Theatraliker des Deutschtums, auf dessen Namen die kommende Welt ihre Gelübde ablegen wird. Ich bin Nicola Leibinger-Kammüller und ich arbeite für die Firma Trumpf, ein mittelständisches Unternehmen mit Hochtechnologie. Aber eigentlich und im Herzen bin ich Philologin und ich liebe Thomas Mann.

Nikola Leibinger-Kammmüller, Jahrgang 1959, ist promovierte Germanistin und Vorsitzende der Geschäftsführung des Familienunternehmens Trumpf, einem weltweit führenden Technologieanbieter. Sie engagiert sich in zahlreichen wissenschaftlichen, kulturellen und sozialen Initiativen und nimmt verschiedene Aufsichtsratsmandate wahr, etwa bei Siemens.

Als Vorsitzende der Berthold-Leibinger-Stiftung fördert sie viele Projekte in Wissenschaft, Kultur und Kirche. Die Situation war ja auch so die Lage, dass man durchaus draufhauen musste. Und er hat ja wirklich versucht, die Deutschen aufzurütteln und wachzurütteln und ihnen klarzumachen, in welcher Lage sich die Welt, das Land befindet und dass sie umkehren müssen. Also da kann man ja nicht mit zarten Worten kommen, sondern da muss man richtig drastisch werden. Und das gelingt ihm sehr gut, finde ich. Und er ist da auch sehr glaubhaft.

Ich finde schon, dass sich Intellektuelle, wenn sie es denn sind, äußern sollten, vielleicht nicht immer ganz so einseitig, wie es in Deutschland oft der Fall ist. Aber natürlich müssen sie ihre Stimme erheben und sie sind ja auch des Wortes mächtig und können Wirkung erzielen. Sie müssen da ihre Möglichkeiten nützen.

Und damit muss ich eine freie Gesellschaft auseinandersetzen, auch wenn es ungequem ist und wenn es dann zum Widerspruch anregt. Aber das ist ja das Wesen einer freien Gesellschaft, dass sie das eben zulässt und dass sie einen ganz, ganz weiten Rahmen hat und dass sie eigentlich zähneknirschend auch die anderen anhören muss, deren Meinung mir vielleicht nicht so gefällt. Aber ich muss sie anhören, ich muss mich damit auseinandersetzen und ich muss die Bereitschaft entwickeln, dass ich nicht so starr auf meine eigene Meinung behaue, sondern vielleicht

von dem anderen etwas lernen kann. Also der Verdacht, dass der andere gelegentlich auch ein bisschen Recht haben könnte, den gibt es ja. Er hat ja einen privilegierten Status gehabt. Er wurde ja mit offenen Armen empfangen. Der rote Teppich war ja ausgerollt. Er war bekannt. Er war finanziell unabhängig. Er ging im Weißen Haus ein oder aus. 99 Prozent der anderen Exzellenten haben ja am Hungertuch genagt und haben nie mehr Fuß fassen können. Also insofern, er war privilegiert. Aber es war eben nicht sein Land.

Und er war ja glücklich da in Kalifornien und er hat jede Möglichkeit gehabt und umgeben von anderen Exzellenten, aber war trotzdem nicht in seinem Sprachraum. Und ein deutscher Schriftsteller braucht ja die deutsche Sprache wie die Luft zum Atmen. Sie fragen, warum in die Schweiz? Es ist nah genug, aber weit genug weg doch gleichzeitig. Und er war eben doch sehr enttäuscht von seinen Landsleuten.

Und es war ja auch so, dass nicht alle sein Verhalten gut fanden. Er wurde ja auch als Vaterlandsverräter beschimpft. Da kann ich schon verstehen, dass man sagt, ihr habt mich auch vertrieben, ihr habt meine Manuskripte kassiert zum Teil. Ich hatte ja trotz allem eine schwere Zeit und unser Land ist zur Kunde gerichtet. Die Schweiz ist sicher und da bleibe ich mal in sicherer Entfernung, aber nicht zu weit entfernt und doch in einem ähnlichen Sprachraum. 27. Juni 1943. In der folgenden Ansprache präsentiert sich Thomas Mann seinen deutschen Hörern als Europäer.

Damit unterstreicht er seine Zugehörigkeit zu ihrer Welt. Die geografische Trennung, bedingt durch sein Leben im amerikanischen Exil, bedeutet nicht automatisch auch den Bruch mit der Kultur und Tradition Europas. Es ist allerdings auffällig, dass er so nachdrücklich seine Identität als Europäer betont, nicht die als Deutscher. Er lobt die europäischen Länder, die im Krieg nicht mit Deutschland und dem terroristischen NS-Regime kooperiert haben, als vorbildlich.

Wie sich in diesen Ländern der heroische Kampf gegen den Nationalsozialismus gestaltet, veranschaulicht er, indem er Beispiele von Sabotage und Aktionen von Untergrundorganisationen erwähnt, die durch die Verbreitung illegaler Druckschriften den Widerstand im Volk lebendig halten. Dies führt ihn zu einem Thema, das für ihn von zentraler Bedeutung ist. Seiner Überzeugung nämlich, dass auch in Deutschland Kräfte existieren, die sich gegen den Nationalsozialismus zur Wehr setzen.

Es sei darum nicht gerechtfertigt, so Thomas Mann, das deutsche Volk als Ganzes zu verurteilen und es kollektiv mit seiner Regierung gleichzusetzen. Auch in den Augen der Welt werde der Widerstand gegen die Nationalsozialisten als Zeichen der Gemeinsamkeit zwischen Deutschland und den Völkern unter deutscher Besatzung gesehen.

27. Juni 1943. Deutsche Hörer. Deutsche Hörer. Wir Europäer, selbst wenn wir in Begriffe sind, die Bürgerpapiere der neuen Welt zu nehmen, wollen stolz sein auf unser altes Europa. Wie viel leichter, bequemer hätten seine Völker es haben können, wenn sie Hitlers infame neue Ordnung hingenommen, sich in die Sklaverei ergeben, mit Nazi-Deutschland, wie man es nennt, kollaboriert hätten?

Sie haben es nicht getan. Jahre voll von brutalstem Terror, von Marter und Hinrichtungen haben nicht genügt, ihren Widerstandswillen zu brechen. Im Gegenteil, sie haben ihn nur stärker gemacht. Und das von Hitler geeinigte Europa, das zur Verteidigung seiner heiligsten Güter gegen die Invasion der Fremden zusammensteht, ist die erbärmlichste aller Nazi-Lügen. Die Fremden, gegen die es die heiligsten Güter zu verteidigen gilt, das sind sie.

Die Nazis und sonst niemand. Nur eine dünne, korrupte Oberschicht, Verräterpack, dem nichts heilig ist als Geld und Vorteil, arbeitet mit ihnen zusammen. Sieben Millionen Menschen sind zur Zwangsarbeit deportiert. Fast eine Million sind exekutiert oder ermordet worden und Zehntausende hält die Hölle der Konzentrationslager.

Wisst ihr Deutschen, dass von euren und den italienischen Truppen in den okkupierten Ländern gut und gern 150.000 ums Leben gekommen sind? Teils im Guerillakrieg, wie in Jugoslawien, Griechenland, Polen und Frankreich, teils durch Attentate, wie in Norwegen, Holland, Belgien und der Tschechoslowakei? Wisst ihr, dass mindestens 250 Quizlinge, das ist der Sammelnahme für die Eingeborenen, die den Nazis dienen,

in den Ländern Europas den verdienten Tod gefunden haben. Durch Sabotage ist die Kriegsproduktion der Nazis in manchen Gegenden um 30 Prozent gekürzt worden. Das ist das Werk der Untergrundorganisationen, all dieser Menschen, die namenlos, ruhmlos, überall ihr Leben daran setzen, um Gefangenen zur Flucht zu verhelfen, Kriegsmaterial zu zerstören und durch die Verbreitung illegaler Druckschriften den Geist des Widerstands im Volk zu unterhalten.

Ich sage Ehre den Völkern Europas. Und ich füge etwas hinzu, was im Augenblick manchem, der mich hört, befremdlich klingen mag. Ehre und Mitgefühl auch dem deutschen Volk. Die Lehre, dass man zwischen ihm und dem Nazitum nicht unterscheiden dürfe, dass deutsch und nationalsozialistisch ein und dasselbe seien, wird in den Ländern der Alliierten zuweilen vertreten. Aber sie ist unhaltbar und wird sich nicht durchsetzen.

Deutschland hat sich gewehrt und fährt fort, sich zu wehren. So gut wie die anderen. Bei Kriegsausbruch gab es in Deutschland 200.000 politische Häftlinge. Und in der deutschen Presse läuft die Veröffentlichung von Todesurteilen und verhängten Freiheitsstrafen wegen Hochverrats, Sabotage etc. ununterbrochen weiter, wobei es sich doch nur um die Fälle handelt, deren man habhaft werden konnte und die man zugeben will. Das ist das hinter dem Führer geeinigte Deutschland.

Jetzt ist die Welt aufs Tiefste bewegt von den Vorgängen an der Münchner Universität, wovon die Nachricht durch Schweizer und schwedische Blätter erst ungenau, dann mit immer ergreifenderen Einzelheiten zu uns gedrungen ist. Wir wissen nun von Hans Scholl, dem Überlebenden von Stalingrad und seiner Schwester Sophie, von Adrian Probst, dem Professor Huber und all den anderen,

Von dem österlichen Aufstande der Studenten gegen die obszöne Ansprache eines Nazi-Bonsen im Auditorium Maximum, von ihrem Märtyrertod unterm Beil, von der Flugschrift, die sie verteilt hatten, und worin Worte stehen, die vieles gut machen, was in gewissen unseligen Jahren an deutschen Universitäten gegen den Geist deutscher Freiheit gesündigt worden ist.

Ja, sie war kummervoll, diese Anfälligkeit der deutschen Jugend, gerade der Jugend, für die nationalsozialistische Lügenrevolution. Jetzt sind ihre Augen geöffnet. Sie legen das junge Haupt auf den Block, für ihre Erkenntnis und für Deutschlands Ehre, nachdem sie vor Gericht dem Nazi-Präsidenten ins Gesicht gesagt, bald werden sie hier stehen, wo ich jetzt stehe. Nachdem sie im Angesicht des Todes bezeugt, ein neuer Glaube dämmert an Freiheit und Ehre.

»Brave, herrliche junge Leute, ihr sollt nicht umsonst gestorben, sollt nicht vergessen sein. Die Nazis haben schmutzigen Rowdies, gemeinen Killern in Deutschland Denkmäler gesetzt. Die deutsche Revolution, die wirkliche, wird sie niederreißen und an ihrer Stelle euren Namen verewigen, die ihr, als noch Nacht über Deutschland und Europa lag, wusstet und verkündetet. Es dämmert ein neuer Glaube an Freiheit und Ehre.«

Mein Name ist Lisanne Teckerl und ich bin Menschenrechtsaktivistin, Kriegsberichterstatterin und Sozialunternehmerin. Ich habe Politik und Germanistik studiert und Deutsch war immer mein Lieblingsfach.

Und einer der Gründe dafür war Thomas Mann. Und ich komme ja gebürtig aus einer kurdisch-jesidischen Familie, wo Literatur und Bücher gar keine Rolle gespielt haben, weil meine Mutter nicht lesen und schreiben konnte. Und für mich war der Zugang zu Literatur und damit auch zu Figuren wie Goethe, Thomas Mann und Franz Kafka wirklich, ich kann es nicht anders sagen, sinneserweiternd. Düzent Tekal ist 1978 in Hannover geboren.

und Gründerin der NGOs Hava.help und German Dream. Sie hat preisgekrönte Reportagen und Dokumentarfilme gedreht und Bildungsinitiativen gegründet. Also aus heutiger Sicht könnte die Rede von Thomas Mann auch irritieren. Man fragt sich, ob er nicht unterschätzt, wie sehr die deutsche Gesellschaft schon zur sogenannten Volksgemeinschaft als fanatische Kampf- und Schicksalsgemeinschaft zusammengeschweißt war.

Denn von der Ermordung der Scholz durch die Münchner Nazis dürfte das Gros der deutschen Bevölkerung kaum Notiz genommen haben. Das war ja die Zeit, in der wir gelebt haben. Und Thomas Mann setzt ja ein Denkmal, in dem er sagt, brave, herrliche junge Leute, ihr sollt nicht umsonst gestorben sein, sollt nicht vergessen sein, womit er natürlich recht hat.

Aber dafür war es natürlich längst zu spät, auch wenn es nie zu spät ist, genau auf dieses Prinzip der Hoffnung zu setzen. Aber letztendlich dieser Appell, bis zur letzten Minute daran auch zu erinnern, der ist natürlich wahnsinnig wichtig, auch wenn wir realistischerweise anerkennen müssen, dass hinterher die einzige Lösung ja gewaltsam von außen kommen musste. Und ich finde gerade in Zeiten von sogenannten Pazifismus ist es sehr, sehr wichtig,

dieser Rede genau zuzuhören und dem Zustand, in dem wir uns damals befunden haben. Denn es waren nicht die Worte, sozusagen die kantische Vernunftbegabung unserer demokratischen Gesellschaften, sondern es war das aktive Eingreifen der Alliierten, die diese Monster dann im Grunde genommen auch bekämpft und verhindert haben. Und das möchte ich auch den Pazifisten heutzutage zurufen, ohne ihn zuzuhören.

den Willen abzusprechen, ich wäre auch gern Pazifistin, aber ich kann mir diesen Pazifismus nicht erlauben, als Jesidin die Zochronistin eines Völkermords wurde und mit ansehen musste, was mit unseren Menschen passiert ist während dieses Völkermords im 21. Jahrhundert und wäre die Waffengewalt nicht eingesetzt worden, um Völkermörder zu verhindern, wären noch mehr Jesiden gestorben.

Wer bin ich dann zu sagen, dass die Waffen schweigen müssen, wenn es darum geht, Religionsgruppen zu retten? Und das sind die großen Diskussionen, denen wir uns jetzt auch wieder sehr ehrlich stellen müssen. Und natürlich haben wir alle ein Interesse daran, in erster Linie Kriege zu verhindern. Aber Frieden gibt es nicht umsonst. Davon bin ich überzeugt. Und ja, wo Waffen verhindert werden sollen, muss gesprochen werden. Aber wo Sprache abhanden kommt, stirbt eben auch Demokratie und Frieden. Musik

28. Februar 1944. Thomas Mann berichtet seinen Hörerinnen und Hörern in Deutschland von einem kürzlich in Boston erschienenen und in hoher Auflagenzahl verbreiteten Buch, das Hitlers Aufstieg beschreibt. Thomas Mann lobt das Buch als Dokument ersten Ranges, das der Welt noch einmal in aller Deutlichkeit vor Augen führe, wer in Deutschland regiere.

Der Gedanke an die Scham, die dabei alle Deutschen empfinden sollten, veranlasst Thomas Mann zu einer zornigen Polemik gegen Hitler. Es scheint hier angebracht, seine Wortwahl als sprachliche Entgleisung zu benennen. Das Vokabular, das er verwendet, um Hitler zu charakterisieren, wirkt überemotionalisiert und nicht geeignet, seine Hörer argumentativ zu überzeugen. Es entsteht der Eindruck, als habe der Sprecher sich hier stärker von seinen Affekten als von rationalen Überlegungen leiten lassen.

Das überaus reiche Repertoire an Schmäh- und Schimpfwörtern, das Thomas Mann in seinen deutschen Hörersendungen verwendet, um seinem Hass auf Hitler Ausdruck zu verleihen, ist schon an anderer Stelle aufgefallen. Es ist ein besonderes Merkmal der Radioreden, die sich auch dadurch stilistisch von seinen sonstigen Äußerungen in Vorträgen, Essays oder Beiträgen für Zeitungen unterscheiden. Das neue Medium bot Thomas Mann offensichtlich auch eine neue Form sprachlicher Mittel.

28. Februar 1944. Deutsche Hörer. Deutsche Hörer. Welt schämt sich. Sie liest ein Buch, das gerade in Boston erschienen ist, an dem die Übernahme durch den Book of the Month Club, die große amerikanische Leservereinigung, eine Auflage von Hunderttausenden von Exemplaren sichert.

Es ist von Konrad Haydn, einem emigrierten deutschen Schriftsteller, der früher schon eine lehrreiche Geschichte des Nationalsozialismus geschrieben hat und der nun unter dem Titel »Der Führer – Hitlers Rise to Power« unter Benutzung neu zugänglich gewordenen Materials sein Bildnis des übelsten Abenteurers der politischen Geschichte der Welt noch einmal in Lebensgröße und voller Anschaulichkeit vor Augen führt. Es ist ein Dokument ersten Ranges,

Es wird bleiben und noch späten Geschichtsforschern und Moralisten zum Studium des unfasslichen Dienen, das im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts auf Erden möglich war. Jetzt liest es die Welt, liest es auf Englisch, auf Spanisch, Französisch und Deutsch, und die Schamröte steigt ihr in die Wangen.

Sie bezieht Deutschland ein in ihre Scham, schämt sich für Deutschland mit in seine Seele hinein, schämt sich, so möchte sie wenigstens glauben, mit Deutschland zusammen. Wie war es möglich, dass Deutschland und die Welt dieser blutigen Nichtigkeit von einem Menschen, diesem intellektuellen und moralischen Minderwert, dieser lichtlosen Lügensäle, einer Schneiderseele im Grunde,

diesem Verhunzer des Wortes, des Denkens und aller menschlichen Dinge, diesem schimpflich Verunglückten und nur eben mit irgendwelcher unsauberen Suggestionskraft ausgestatteten Individuum erlaubten, geschichtlich zu werden und sich aus unverschämt gehäuften Missetaten ein Piedestal zu errichten, auf dem er zumindest sich selber groß erscheint.

Das fragt man sich unaufhörlich bei dieser Lektüre, die kein Vergnügen ist, sondern eine Pönitenz. Ja, eine Strafe und Pein ist es, die Geschichte dieses mörderischen Narren und Schmierenschauspielers der Größe wieder nachzulesen. Welche Schande, der Hekatomben von Menschenleben zu gedenken, die dem trostlosen Helden dieses Buches zum Opfer gefallen sind und immer weiter zum Opfer fallen.

Er durfte sagen, ich bin bereit, mit zwei Millionen Deutscher zu zahlen für die Erreichung meines Zieles. Welches Ziel nach der Schändung Deutschlands die Schändung der ganzen Welt durch den Nationalsozialismus war. Nun, die Ziffer von zwei Millionen ist längst überschritten, auch wenn man nur die im Felde gefallenen deutschen Männer rechnet.

Aber das Blutkonto des totalen Krieges, den die Welt von Deutschland hat lernen müssen, ist ja ein ganz anderes, viel höheres. Und natürlich ist es nicht nur ein deutsches Konto. Man muss die Verluste Russlands hinzunehmen, die noch höher sind.

Man muss die Ernte in Anschlag bringen, die der Tod unter den vergewaltigten Völkern Europas, unter Polen und Juden, Tschechen, Griechen, Norwegern, Holländern, Jugoslawen gehalten hat und immer fortfährt zu halten, die Massenmorde, die Selbstmorde. Man muss die furchtbaren Opfer vorwegnehmen, die die angelsächsischen Völker im Endkampf noch werden zu bringen haben, sie zuzulassen.

die selber Tod und Zerstörung zu bringen verdammt sind, weil sie zu lange den Frieden wollten. Und dann, möge man addieren, was der widrige Irrwisch, von dem unser Buch erzählt, die Welt gekostet haben wird. Werden es 20, 25 Millionen Menschenleben sein? Mehr wahrscheinlich, viel mehr, wenn man alles mittelbar bewirkte Verderben mit einbezieht. Und wozu diese Ströme von Blut?

»Nie wird die Menschheit sich verzeihen, dass sie kommen ließ, was gekommen ist und was noch kommen wird. Und ein ewiges Kopfschütteln wird sein über ein Volk, das Deutsche, das, wo längst aller Wahn, aller Hoffnung zerstoben, weiterkämpft.«

mit Löwenmut, mit unsinniger Zähigkeit weiterkämpft, bis Europa ein rauchendes, von wenigen wölfisch schweifenden Halbtieren bewohntes Trümmerfeld ist. Nur, um einer Handvoll erklärter Schurken und Lüstlinge der Macht das Leben zu fristen, deren Herrschaft ihm selbst unsäglich zur Last und der Welt ein für allemal unannehmbar ist.

Jutta Allmendinger, geboren 1956 in Mannheim, ist Soziologin mit den Schwerpunkten Bildungs- und Arbeitsmarktforschung in Deutschland. Sie war Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, lehrt an der Humboldt-Universität und engagiert sich für Gleichstellung und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Ihre Arbeiten zu sozialer Ungleichheit, Geschlechtergerechtigkeit und Bildung finden auch über die Wissenschaft hinaus breite Resonanz.

Etwa mit ihrem Buch »Es geht nur gemeinsam«. Die Rede fängt ja sehr stark an, also ist ja ein wunderbarer Schriftsteller. Die Welt schämt sich, also dieses Schämen. Aber schämt sich wirklich die Welt zu diesem Zeitpunkt zum 28.02.1944, also vor der Invasion in die Normandie, vor auch dem Attentatsversuch von von Stauffenberg, welches ja dann doch Monate später war.

Es müsste eigentlich heißen, so nach meinem Verständnis, die Welt entrüstet sich. Die Welt klagt euch an. Die Welt versteht euch nicht.

Es müsste dann in dem Fortlaufenden dieses Briefes viel stärker abgehoben werden. Erstens auf ein Verständnis der Leute, die in Deutschland sind, in den Bombenkellern sich aufhalten, so wie meine Eltern mir das beschrieben haben und meine Großeltern, die noch Jüdinnen und Juden in ihrem Keller versteckt hatten. Ich weiß nicht, ich meine, ich kann jetzt nicht mehr mit meinen Eltern, meinen Großeltern sprechen. Wir haben auch tatsächlich nie über die Reden von Thomas Mann gesprochen.

Aber zu diesem Zeitpunkt wäre ja doch zwei Dinge wichtig gewesen. Das eine wäre,

Zu sagen, ja, wir verstehen euch, ich verstehe, ich kann aus Amerika irgendwo mitfühlen, wie es euch geht, wie verdammt dreckig euch es geht. Das hätte, glaube ich, viel geholfen. Und das Zweite, doch er entrüstet euch und steht auf und tut etwas. Aber diese Begrifflichkeit der Scham, die sich durch diesen ganzen Brief zieht,

der ist in einer gewissen Weise tatsächlich unpolitisch, weil sehr moralisierend und zu diesem Zeitpunkt meines Erachtens wenig angemessen, wo man noch mitten in der Sache steckt und die Abstraktionsfähigkeit, die dieses Schämen braucht, nicht erreicht haben kann.

Nun, was in diesem Brief ganz deutlich zum Ausdruck kommt, ist, dass das sehr wenige Leute von wenigen Wölfe schweifenden Halbtieren bewohntes Trümmerfeld. Diese wenigen dominieren ein Volk, ein Volk, welches die wenigen gar nicht gewählt hat.

Aufgrund sozusagen dieser Expansionsgier, das kann man durchaus für die heutige Welt als eine sehr treffende Bezeichnung darstellen, weil auch Trump wurde nicht gewählt, weil er Amerika und Grönland vergrößern möchte. Auch Putin wurde nicht gewählt, um die Krim zu annektieren und so weiter und die Ukraine zu überfallen. 1. Mai 1944

Thomas Mann korrigiert in dieser Radiobotschaft die wiederholten Verlautbarungen der NS-Presse, in der von der Versklavung des deutschen Volkes die Rede ist, die eintrete, sobald die Alliierten den Krieg gewinnen. Diese Behauptung sei eine Propagandalüge, die lediglich der Einschüchterung der deutschen Bevölkerung diene. Stattdessen bilde die Sicherung des Friedens in einem weltweiten System kollektiver Sicherheit vor,

in das ein freies, demokratisches Europa eingeschlossen sei, das wichtigste Kriegsziel der Alliierten. In diesem Europa solle dann auch Platz für ein freies, demokratisch regiertes Deutschland sein. Auf eine konkrete Zeitangabe, wann diese Neuordnung realisierbar sei, lässt Thomas Mann sich jedoch nicht ein. Nach der Rede vom 1. Mai 1944 bat Thomas Mann die BBC um eine längere Sendepause.

die bis zur Wiederaufnahme der Radiosendungen im Januar 1945 dauern sollte. 1. Mai 1944. Deutsche Hörer. Deutsche Hörer. Das Wort von der bevorstehenden Versklavung des deutschen Volkes, mit dem die Nazi-Propaganda arbeitet und in das falsche Freunde Deutschlands nach draußen klagend einstimmen,

ist ganz danach angetan, die Rolle zu spielen, die nach 1918 die Wörter Dolchstoß und Schandfrieden spielten. Also ein neuer Ausdruck zu werden für die grundfalsche Auffassung von der Wiederherstellung der deutschen Ehre, die Deutschland in diesen Krieg und in die erneute Niederlage geführt hat. Die Drohung mit der Versetzung des deutschen Volkes in den Sklavenstand ist eine Lüge.

Keines Volkes Versklavung kann das Ziel der Völkerkoalition sein, die das hirnverbrannte Naziregime gegen sich zusammenzuschmieden verstanden hat. Das Kriegsziel der Alliierten ist die Sicherung des Friedens, ist ein weltweites System kollektiver Sicherheit, in das ein freies und demokratisches Europa eingeschlossen ist. Und in diesem Europa wiederum soll ein freies und demokratisches Deutschland eines Tages seinen verantwortlichen und geachteten Platz einnehmen.

Ich sage eines Tages, und mir ist klar, wie es euch klar sein muss, dass dieser Tag nicht morgen und nicht übermorgen sein kann. Herr Goebbels, nicht blind für das Bevorstehende, ruft heute, die Menschheit ist ohne Deutschland undenkbar. Sie ist wohl denkbar und mit Vergnügen denkbar ohne ihn. Und das Schlimme ist, dass Deutschland gedacht hat, es selbst sei denkbar ohne die Menschheit, ohne Anerkennung des Menschenrechts.

dass es die Menschheit versklaven wollte und Europa tatsächlich versklavt hat, alles kommt darauf an, dass es aufhört, in den unseligen Kategorien von Herrschaft und Sklaverei zu denken. Und dass es nicht in der Befreiung Europas, in der Wiederherstellung der Würde und nationalen Gesundheit der von ihm unterjochten Völker und in Deutschlands pflichtschuldiger Mithilfe an dieser Wiederherstellung seine eigene Versklavung sieht.

Die Nazis haben euch Deutschen viel von Europa gesprochen und behaupten auch heute mit dem europäischen Boden die europäische Kultur zu verteidigen. Sie, die Schinder und Henker der Völker Europas. Um Europa aber, um seine misshandelten Völker, um die Rekonstruktion des Erdteils und seine Sicherung gegen erneuten Angriff wird es sich nach dem Kriege vor allem handeln und nicht in erster Linie um Deutschland, seine Freiheit und Wiederherstellung.

Wenn aus diesem Kriege ein zur Besinnung gekommenes Deutschland hervorgeht, ein Deutschland, das die grauenhaften Untaten an anderer Völker gut und blut, erkennt und tief bereut, zu denen es von seinen verruchten Machthabern angehalten worden ist, so wird es begreifen, dass die Wiederherstellung Europas ein Vorrecht hat vor dem Wohle Deutschlands.

Und es wird aus eigenem Antriebe, eigenem Gerechtigkeitsgefühl vor allem dazu beitragen wollen, diese Untaten gut zu machen, soweit sie überhaupt wieder gut zu machen sind. Auch wenn dadurch seine eigene Erholung sich verzögert. Das ist keine Versklavung, sondern Befreiung aus den Klauen eines verhängnisvollen Superioritätswahns, in den die Deutschen durch falsche Lehrer hineingeschwätzt worden sind.

Es ist die Ernüchterung aus einem verderblichen Rausch von Vorrang und Recht zum Unrecht. Die deutsche Kultur ist nicht die höchste und einzige, sondern sie ist eine unter anderen. Und Bewunderung war immer ihr tiefster Impuls. Am Dünkel stirbt sie. Nicht um Deutschland dreht sich die Welt. Es ist nur ein kleiner Teil dieser weiten Erde und größere Fragen sind an der Tagesordnung als die Probleme der deutschen Seele.

Der deutsche Mensch ist kein Teufel, wie manche behaupten, aber er ist auch kein Erzengel, blond gelockt, im arischen Silberharnisch, sondern ein Mensch wie alle. Und als Mensch und Bruder seiner Mitmenschen muss er wieder zu leben lernen. Nichts anderes meint das Wort, das wir Deutsche zu lange töricht verachteten, das Wort Demokratie. Susan Neumann wurde 1955 in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia geboren.

Sie ist Philosophin und leitet seit vielen Jahren das Einstein-Forum in Potsdam. Neumann lehrt in Yale und Tel Aviv, promovierte bei John Rawls in Harvard und zählt zu den profiliertesten politischen Philosophinnen weltweit. Musik

Ihre Bücher wie »Moralische Klarheit« von den Deutschen lernen oder »Links ist nicht woke« verbinden Gegenwartsanalyse und moralische Standpunktsuche. Sie schreibt für die Zeit, die New York Times oder die New York Review of Books und lebt heute mit amerikanischer, israelischer und deutscher Staatsbürgerschaft in Berlin. Als sie die Rede Thomas Manns las, musste sie an die heutige Situation denken.

War die Situation zwischen Deutschland und Amerika heute ähnlich wie damals, nur mit vertauschten Vorzeichen? Es war ein bisschen schauderig, gerade in diesem Moment die Reden zu lesen an seine Landsleute. Ich bin weder Thomas Mann natürlich, noch befindet sich die Vereinigten Staaten im tiefen Faschismus. Aber die Vorzeichen sind alle da.

Ich verbringe relativ viel Zeit jeden Tag mit Gedanken darüber nach und auch Gedanken darüber, wie ich von hier aus, weil ich lebe ja in Berlin, irgendwelche Einflüsse auf die Geschehnisse dort haben kann. Also das Thema beschäftigt mich sehr. Natürlich sind die historischen Unterschiede da und die sind groß, aber wenn man so einen Text liest...

müsste man sich überlegen, was hat sich geändert? Ich weiß, viele Europäer würden lachen, wenn sie sich vorstellen müssten, dass Amerikaner von der Größe der amerikanischen Kultur reden würden. Aber tatsächlich gibt es eine amerikanische Kultur, gibt es Werte, die...

jedenfalls immer noch für die Hälfte der Amerikaner gelten. Donald Trump und seine Leute haben keine Vorstellung von Werte oder Kultur. Und dennoch die Reden von deutscher Kultur und von der Angst, dass diese Kultur zerstört wird, kommt mir sehr nah. Die Rede von Make America Great Again hat

gar nichts mit Werte zu tun, eigentlich ausschließlich mit Macht, aber die Parallelen sind sehr stark. 14. Januar 1945. In dieser Rede schildert Thomas Mann seinen Hörerinnen und Hörern in schonungsloser Drastik die Tötungspraxis in den kürzlich entdeckten und befreiten Konzentrationslagern Auschwitz und Majdanek.

Um keinen Zweifel an der Glaubwürdigkeit seiner Beschreibung aufkommen zu lassen, konfrontiert er sie mit Fakten und nennt auch die Quelle seiner Informationen. Die Rede ist zugleich Aufklärung und Anklage. Ein Punkt, der in dieser Ansprache eine wichtige Rolle spielt, ist das Thema Schuld. Zu groß sei das Verbrechen, als dass das deutsche Volk von einer Mitschuld ausgenommen werden könne. 14. Januar 1945. Deutsche Hörer. Deutsche Hörer.

Wäre nur dieser Krieg zu Ende, wären die grauenhaften Menschen erst beseitigt, die Deutschland hierhin gebracht haben, und könnte man anfangen an einen Neubeginn des Lebens, an das Forträumen der Trümmer, der inneren und äußeren, an den allmählichen Wiederaufbau, an eine verständige Aussöhnung mit den anderen Völkern und ein würdiges Zusammenleben mit ihnen zu denken. Ist es das, was ihr wünscht? Spreche ich damit eure Sehnsucht aus? Ich glaube es.

Ihr seid des Todes, der Zerstörung, des Chaos übersatt, wie sehr euer Heimlichstes zeitweise danach verlangt haben möge. Ihr wollt Ordnung und Leben, eine neue Lebensordnung, wie düster und schwer sie sich für Jahre auch anlassen wird. Das ist mutig.

Es ist sogar viel mutiger als der betörte Fanatismus, mit dem eure Jugend in Waffen heute noch den heiligen, ach, den längst von Lüge und Verbrechen so völlig entheiligten und besudelten deutschen Boden verteidigen zu sollen, glaubt. Aber eins tut Not für den Neubeginn. Es gibt für die Aussöhnung mit der Welt eine Vorbedingung, an deren Erfüllung jede moralische Verständigung mit anderen Völkern geknüpft ist.

Das ist die klare Einsicht in die Unsühnbarkeit dessen, was ein von schändlichen Lehrmeistern zur Bestialität geschultes Deutschland der Menschheit angetan hat. Es ist die volle und rückhaltlose Kenntnisnahme entsetzlicher Verbrechen, von denen ihr tatsächlich heute noch das Wenigste wisst, teils weil man euch absperrte, euch gewaltsam in Dummheit und Dumpfheit bannte, teils weil ihr aus dem Instinkt der Selbstschonung das Wissen um dieses Grauen von euren Gewissen fernhieltet.

Es muss aber in euer Gewissen eindringen, wenn ihr verstehen und leben wollt und ein gewaltiges Aufklärungswerk, das ihr nicht als Propaganda missachten dürft, wird nötig sein, um euch zu Wissenden zu machen. Weißt du, der mich jetzt hört, von Majdanek bei Lublin in Polen, Hitlers Vernichtungslager. Es war kein Konzentrationslager, sondern eine riesenhafte Mordanlage.

Da steht ein großes Gebäude aus Stein mit einem Fabrikschlot. Das größte Krematorium der Welt. Eure Leute hätten es gern rasch noch vernichtet, als die Russen kamen, aber größtenteils steht es. Ein Denkmal, das Denkmal des Dritten Reiches. Mehr als eine halbe Million europäischer Menschen, Männer, Frauen und Kinder, sind dort in Gaskammern mit Chlor vergiftet und dann verbrannt worden. 1400 täglich.

Tag und Nacht war die Todesfabrik in Betrieb. Ihre Kamine rauchten immer. Schon war ein Erweiterungsbau begonnen. Die Schweizer Flüchtlingshilfe weiß mehr. Ihre Vertrauensmänner sahen die Lager von Auschwitz und Birkenau. Sie sahen, was kein fühlender Mensch zu glauben bereit ist, der es nicht eben mit Augen gesehen. Die Menschenknochen, Kalkfässer, Chlorgasröhren und die Verbrennungsanlage, dazu die Haufen von Kleidern und Schuhen, die man den Opfern ausgezogen hat.

Viele kleine Schuhe. Schuhe von Kindern. Vom 15. April 1942 bis zum 15. April 1944 sind allein in diesen beiden deutschen Anstalten 1.715.000 Juden ermordet worden. Woher die Zahl?

Aber eure Leute haben Buch geführt. Mit deutschem Ordnungssinn. Man hat die Registratur des Todes gefunden, dazu Hunderttausende von Pässen und Personalpapieren von nicht weniger als 22 Nationalitäten Europas. Buch geführt haben diese Verblödeten auch über das Knochenmehl, den aus diesem Betrieb gewonnenen Kunstdünger. Denn die Überreste der Verbrannten werden gemahlen und pulverisiert, verpackt und nach Deutschland geschickt zur Fertilisierung des deutschen Bodens.

des heiligen Bodens, den deutsche Heere danach noch verteidigen müssen, verteidigen zu dürfen glauben gegen Entweihung durch den Feind.

Die Geiselschießungen, der Gefangenenmord, die im besetzten Europa vorgefundenen Folterkammern der Gestapo, die Blutbäder unter der russischen Zivilbevölkerung, die teuflische Entvölkerungspolitik der Nazis in allen Ländern, damit die Herrenrasse immer die numerisch Überlegene sei, das geplante, gewollte, herbeigeführte Kindersterben in Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Griechenland und besonders in Polen.

Nicht einmal aufzählen kann man es in ein paar Minuten, was alles Nazi-Deutschland den Menschen, der Menschheit angetan. Deutsche, ihr sollt es wissen, Entsetzen, Scham und Reue ist das Erste, was Not tut. Und nur ein Hass tut Not. Der auf die Schurken, die den deutschen Namen vor Gott und der ganzen Welt zum Gräuel gemacht haben.

Michel Friedmann, 1956 in Paris geboren, ist deutsch-französischer Polizist, Jurist, Philosoph und einer der profiliertesten Moderatoren im politischen Diskurs Deutschlands. Als langjähriger Vizepräsident des Zentralrats der Juden und Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses engagiert er sich entschieden gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und für Integration.

Heute lehrt er als Honorarprofessor in Frankfurt, moderiert vielbeachtete Talkformate und prägt die gesellschaftliche Debatte mit klarer Haltung und pointierten Analysen.

Wenn man eben die Bedingungen liest, die Thomas Mann formuliert hat, um endlich die Sehnsucht zu erfüllen, ein anderes Leben, ein neues Leben aus dem zu bauen, was das alte Leben ja war, ein Leben der Ermordung, der Massenermordung, der Shoah, der Kriegsermordung,

Ich kann das mal kurz zitieren.

Da ist die klare Einsicht in die Unsühnbarkeit dessen, was ein von schändlichen Wehrmeistern zur Bestialität geschultes Deutschland der Menschheit angetan hat. Eine zweite Bedingung, es ist die volle und rückhaltlose Kenntnisnahme entsetzlicher Verbrechen, von denen ihr tatsächlich heute noch das wenigste wisst, weil man euch das absperrte, auch euch gewaltsam in Eid und Dummheit bandte.

Aber ich ergänze das, was ihr heute wissen müsst. Und es muss in euer Gewissen etwas eindringen, wenn ihr verstehen und leben wollt und ein gewaltiges Aufklärungswerk, das ihr nicht als Propaganda missachten dürft, wird nötig, um euch zu Wissenden zu machen. Wir wissen, apropos zu Wissenden, dass in der heutigen Zeit nicht einmal mehr 10% der Jugend weiß, was Auschwitz ist.

dass 40 Prozent der Jugendlichen nicht mal wissen, wie viele Menschen in der Shoah umgebracht wurden. Wir wissen, dass die Aufgabe, die er den Deutschen damals als Vorbedingung, Zitat, für eine Ausschönung mit der Welt formuliert hat, nämlich das Annehmen, dass man an einem Schicksal,

Mörderregime teilgenommen hat, dass das ja durch Zweigen, durch Verdrängen, aber auch durch Leugnen nicht geringen Teil unserer Bevölkerung eben nicht erfüllt wurde. Und so gesehen ist, wenn man alleine das liest, klar, dass er sehr früh erkannt hat, es kann nur gut gehen.

wenn man auch aufhört mit der Naivität, wir haben nichts gewusst, wir haben nichts gesehen, wir haben nichts gehört und deswegen konnten wir ja gar nichts machen. Und was er damit ausdrücken will, und jetzt kommen wir ja wieder auf die Nachkriegszeit wie auch auf unsere Gegenwart, man hätte darüber reden müssen, man hätte sagen,

sich dem stellen müssen. Nicht jeder war Mörder in Auschwitz, aber man hätte mit sich und den Kindern reden müssen, wie habe ich das damals gekonnt, die Bilder, die Möbel meiner Nachbarn, die abgeholt waren, in meine Wohnung zu stellen oder mich zu bereichern, indem ich den Laden, den ich mit einem jüdischen Partner hatte, dann zu meinem Laden habe werden lassen.

Und das dann einordnen, sagen, das war ein Fehler. Aber die meisten haben geschwiegen und konnten deswegen für sich und ihre Kinder nicht einordnen. Und das Gift, das braune Gift, das Gift des Hassens und der Entmenschlichung, auch der Judenhass, hat

hat sich dann von Generation zu Generation in Teilen unserer Gesellschaft fortgesetzt. Und übrigens, wir die Zeugen unserer Zeit heute, hätte Thomas Mann wahrscheinlich gefragt, und was tut ihr jetzt? April 1945. Die Rede entstand laut Tagebuch am 18. und 19. April. Die Aufnahme bei der NBC findet, so Thomas Mann, mit Selbstbeherrschung am 21. April statt.

Im Zentrum der Rede steht Thomas Manns Verehrung für den am 12. April verstorbenen Franklin Delano Roosevelt. Er lobt dessen Qualitäten und seine Rolle im Kampf gegen den Nationalsozialismus als mächtigsten Gegner und Bezwinger Hitlers. Die Würdigung des amerikanischen Präsidenten bietet ihm zugleich willkommene Gelegenheit, seinem Hass auf Hitler unverhohlen Ausdruck zu verleihen. Thomas Mann übernimmt hier die Rolle des Anklägers und des Richters, der das Todesurteil verkündet.

Den tatsächlichen Tod Hitlers am 30. April 1945 kommentierte er zwei Tage später im Tagebuch, jedoch nur lakonisch mit einem Zitat aus Shakespeare's Richard III. The day is ours, the bloody dark is dead. 19. April 1945. Deutsche Hörer. Ein großer Mann ist gestorben. Ein Staatskünstler und Held. Ein Menschenfreund und Menschenführer.

der seine Nation auf eine neue Stufe ihrer sozialen Bildung gehoben, sie reif gemacht hat, ihre Macht in den Dienst der Völkergesellschaft, der Friedensorganisation zu stellen, der sein Leben, sein Kampf geweiht war. Franklin Delano Roosevelt. Klug wie die Schlangen und ohne falsch wie die Tauben,

Fein und stark, hochentwickelt und einfach wie das Genie, erleuchtet von intuitivem Wissen um die Notwendigkeiten der Zeit, den Willen des Weltgeistes, genau der Mann jenes Glaubens, von dem Goethe sagt, dass er sich stets erhöhter bald kühn hervordrängt, bald geduldig schmiegt, damit das Gute wirke, wachse, fromme.

So sah ich ihn, so kannte, bewunderte, liebte ich ihn und war stolz, unter der Ägide dieses Cäsar, ein civis romanus, ein amerikanischer Bürger zu werden. Die Welt hatte in der Gestalt des faschistischen Diktators den Mann des Willens und der Tat, den modernen Massenbändiger gesehen, dessen ganze Schlauheit und Energie dem Bösen diente.

Hier war der geborene und bewusste Gegenspieler des abgründig bösen, aber damit auch abgründig dummen und weltblinden Diabolismus, den Europa hervorgebracht hatte. Dass die Demokratie sich fähig erwies, auch den Mann hervorzubringen, den starken, zähen und schlauen den Menschenbehandler, den großen Politiker des Guten, das war ihre Rettung. Die Rettung des Menschen und seiner Freiheit.

Niemand entzog sich dem Zauber seiner Persönlichkeit. Die Tragik, dass er sein Werk verlassen musste, bevor es vollendet ist, greift jedem ans Herz. Ein größerer Verlust, so fühlt jeder, konnte die Menschheit in ihrer Schicksalsstunde nicht treffen. Und so umspannt die Trauer um ihn die Welt. Dass seine Freunde und Verbündeten sich erschüttert zeigen, dass Churchill, der alte Krieger, sich der Tränen nicht schämt,

Stalin, der wohl weiß, welch unersetzlicher Mittler zwischen ihm und dem Briten dahingegangen ist, sein Andenken feiert, das ist nicht verwunderlich. Aber was sagt ihr Deutsche dazu, dass der Ministerpräsident des Kaiserreichs Japan den Toten einen großen Führer genannt und dem amerikanischen Volk die Teilnahme seines Landes an dem Verlust ausgedrückt hat? Nicht wahr, das ist verblüffend.

Japan liegt mit Amerika in einem Krieg auf Leben und Tod, zu dem eine Gruppe ehrgeiziger Foldalherren es verführt hat. Aber es fehlt viel, dass die gewiss verderbliche Herrschaft dieser Schicht eine moralische Zerrüttung und Abstumpfung gezeitigt, das Land dermaßen auf den Hund gebracht hätte, wie das der Nationalsozialismus in unserem armen Deutschland vermocht hat. Dort im Osten gibt es Sinn für Ritterlichkeit und Menschenanstand. Noch Ehrfurcht vor dem Tod und der Größe.

Dies ist der Unterschied. Was oben war in Japan, war zwar bedrohlich und unheilvoll, aber es war ein Oben. In Deutschland ist vor zwölf Jahren das Unterste, das menschlich Letzte und Niedrigste oben aufgekommen und bestimmt das Gesicht des Landes. Deutschlands ganzer Jammer fasst einen an, wenn man sieht, wie dies einst gebildetste Volk der Welt sich zum Tode des Mannes verhält, der ganz gewiss nicht Deutschlands Feind, nur der mächtigste Feind seiner Verderber war.

Stumpfsinnige Beschimpfungen, das war alles, was die deutsche Presse dazu vorzubringen wusste. Und dann kam der zerlumpte Schreckensmann Hitler selbst und erklärte in einem Tagesbefehl, das Schicksal habe in Roosevelt den größten Kriegsverbrecher aller Zeiten von der Erde entfernt. Schande genug, du stupider Völkermörder, dass der gehen musste und du noch lebst. Wie kommst du dazu, noch zu leben?

Melikijak, 1976 in Sulingen geboren, ist Schriftstellerin. 2020 hat sie etwa Frau sein und 2024 Herr Kijak dachte, jetzt fängt der schöne Teil des Lebens an, veröffentlicht.

Sie schreibt literarische Serien für Zeit Online, das Zürcher Republik-Magazin und Kijaks Theaterkolumne für das Gorki-Theater. Für ihre Arbeiten ist Kijak vielfach ausgezeichnet worden. Für die Neuausgabe von Thomas Manns Radioreden Deutsche Hörer hat sie ein Vor- und ein Nachwort verfasst. Diese Rede ist deshalb auch so bemerkenswert, weil er dort wirklich trauert.

Und weil er diese öffentliche Liebeserklärung an Roosevelt gibt, wo er sozusagen sagt, dass er überhaupt erst in Amerika gelernt hat, nicht untertan zu sein, sondern Bürger. Also er nennt das hier civis romanus, also ein Bürger Roms mit sozusagen ein emanzipierter Bürger mit Bürgerrechten. Das finde ich ganz schön, dass er das in dieser Rede nochmal hervorhebt. Aber ich finde, das Allerskandalöste ist eigentlich,

eigentlich der Schluss dieser Rede, wo er sozusagen Hitler vorwirft, dass Hitler noch lebt und dieser große Roosevelt stirbt. Ich meine, das muss man einfach nochmal wiederholen.

Schande genug, du stupider Völkermörder, dass der gehen musste und dass du noch lebst. Wie kommst du dazu, noch zu leben? Das ist, finde ich, ungeheuerlich. Ich überlege mir immer, was müsste passieren, dass man heute in Deutschland so einen Text oder so eine Radiokolumne spricht und nicht den Job verliert, dass man irgendwem sozusagen den Tod, die Pest an den Hals wünscht. Und deswegen finde ich diese Rede bequem.

Wirklich so fantastisch, dass er noch in der größten Trauer die noch in Relation setzt zu seiner Meinung nach und war ja auch dem größten Menschheitsverbrecher dieser Zeit, zu Adolf Hitler.

Alle diese Reden zusammen sind ja eigentlich ein Appell, umzukehren. Ja, also er sagt der deutschen Bevölkerung ja eigentlich immer wieder, kehrt um, hört auf, macht nicht mit. Und dass das nicht passiert, ist eigentlich auch, denke ich, eine der größten Enttäuschungen, die der deutsche Thomas Mann an seine Mitbürger hatte. Aber dass Roosevelt gestorben ist, den er übrigens dreimal persönlich getroffen hat, also eigentlich gar nicht so sehr so offen,

ist für ihn, das glaube ich ihm sehr, eine Wunde. Denn eigentlich war es Roosevelt, der es ja auch erlaubt hat, überhaupt Thomas Mann trotz fehlender Papiere in Amerika einreisen zu dürfen, emigrieren zu können. Und 1944 hat er erst die amerikanische Staatsbürgerschaft bekommen.

Und eigentlich hat Thomas Mann sich nach dem Tod Roosevelt auch gar nicht mehr als Bürger Amerikas gefühlt eigentlich. Er hat das Land dann ja auch verlassen. Und ich denke mir immer, dass er sich unter Roosevelts Schirm sozusagen oder gefühlten Schutzschirm wohlbehütet in Amerika gefühlt hat. 10. Mai 1945. In der Rundfunkansprache vom 10. Mai 1945 erläutert,

In der Thomas Mann die Kapitulation Deutschlands und das Ende des Krieges thematisiert, ist von Jubel oder Triumph nichts zu vernehmen. Der Sprecher bekundet seine Anteilnahme am zukünftigen Schicksal Deutschlands, doch er bringt auch noch einmal seine Enttäuschung über die nicht erfolgte Selbstbefreiung der Deutschen zum Ausdruck.

Thomas Mann prophezeit seinen Hörerinnen und Hörern zwar schwere Jahre der Erniedrigung und Fremdbestimmung, doch gleichzeitig erinnert er sie daran, dass die Niederschlagung des Nationalsozialismus auch eine Rückkehr Deutschlands zur Menschlichkeit bedeute. Am Ende seiner Rede steht Thomas Manns Plädoyer für einen Neubeginn Deutschlands in friedlicher Kooperation mit anderen Völkern. 10. Mai 1945 Deutsche Hörer Deutsche Hörer

Wie bitter ist es, wenn der Jubel der Welt der Niederlage der tiefsten Demütigung des eigenen Landes gilt. Wie zeigt sich darin noch einmal schrecklich der Abgrund, der sich zwischen Deutschland und der gesitteten Welt aufgetan hatte. Die Sieges-, die Friedensglocken dröhnen, die Gläser klingen, Umarmungen und Glückwünsche ringsum. Der Deutsche aber, dem von den allerunberufensten einst sein Deutschtum abgesprochen wurde,

der sein grauenvoll gewordenes Land meiden und sich unter freundlicheren Zonen ein neues Leben bauen musste, er senkt das Haupt in der weltweiten Freude. Das Herz krampft sich ihm zusammen bei dem Gedanken, was sie für Deutschland bedeutet, durch welche dunklen Tage, welche Jahre der Unmacht zur Selbstbestimmung und abbüßender Erniedrigung es nach allem, was es schon gelitten hat, wird gehen müssen. Und dennoch, die Stunde ist groß.

Die Stunde, wo der Drache zur Strecke gebracht ist, das wüste und krankhafte Ungeheuer, Nationalsozialismus genannt, verräuchelt und Deutschland wenigstens von dem Fluch befreit ist, das Land Hitlers zu heißen. Wenn es sich selbst hätte befreien können, früher als noch Zeit dazu war oder selbst spät, noch im letzten Augenblick, wenn es selbst mit Glockenklang und beethovenscher Musik seine Befreiung, seine Rückkehr zur Menschheit hätte feiern können,

anstatt dass nun ans Ende des Hitlertums zugleich der völlige Zusammenbruch Deutschlands ist, das wäre besser, wäre das Allerwünschenswerteste gewesen. Das konnte wohl nicht sein. Die Befreiung musste von außen kommen und vor allem, meine ich, solltet ihr Deutsche sie nun als Leistung anerkennen. Deutschland zu besiegen, das allein mit aller Gründlichkeit den Krieg vorbereitet hatte, war auch im Zweifrontenkrieg eine Riesenaufgabe.

Die Wehrmacht stand vor Moskau und an der Grenze Ägyptens. Der europäische Kontinent war ein deutscher Gewalt. Es gab scheinbar gar keine Möglichkeit, kein Terrain, keinen Ansatzpunkt zur Bezwingung dieser unangreifbar verschanzten Macht. Der russische Marsch von Stalingrad nach Berlin war nicht nur eine Möglichkeit,

Die kriegsgeschichtlich völlig neue und nicht für möglich gehaltene Landung der Angelsachsen in Frankreich am 6. Juni 1944 und ihr Zug zur Elbe waren militärisch-technische Bravourleistungen, denen deutsche Kriegskunst kaum etwas Ebenbürtiges an die Seite zu stellen hat. Deutschland ist wahrlich...

wenn auch unter ungeheuren Opfern, nach allen Regeln der Kunst geschlagen worden und die militärische Unübertrefflichkeit Deutschlands als Legende erwiesen. Für das deutsche Denken, das deutsche Verhältnis zur Welt, ist das wichtig. Es wird unserer Bescheidenheit zustatten kommen, den wahren deutschen Übermenschentums zerstören helfen. Möge die Niederholung der Parteifahne, die aller Welt ein Ekel und Schrecken war,

Auch die innere Absage bedeuten an den Größenwahn, die Überheblichkeit über andere Völker, den provinziellen und weltfremden Dünkel, dessen krassester, unleidlichster Ausdruck der Nationalsozialismus war. Möge das Streichen der Hakenkreuzflagge die wirkliche, radikale und unverbrüchliche Trennung alles deutschen Denkens und Fühlens von der narzisstischen Hintertreppenphilosophie bedeuten, ihre Abschwörung auf immer.

Man muss hoffen, dass das Mitglied des deutschen Kapitulationskomitees, Graf Schwerin-Grosig, nicht nur dem Sieger zum Munde reden wollte, als er erklärte, Recht und Gerechtigkeit müssten fortan das oberste Gesetz deutschen nationalen Lebens sein und Achtung vor Verträgen die Grundlage internationaler Beziehungen. Das war eine indirekte und allzu schonende Verleugnung der moralischen Barbarei, in der Deutschland länger als zwölf Jahre gelebt hat.

Man hätte sich eine direktere, ausdrucksvollere gewünscht, aber der Fluch, den das deutsche Volk heute, wie ich glaube, gegen seine Verderber im Herzen trägt, klingt doch wenigstens darin an. Ich sage, es ist trotz allem eine große Stunde, die Rückkehr Deutschlands zur Menschlichkeit. Sie ist hart und traurig, weil Deutschland sie nicht aus eigener Kraft herbeiführen konnte. Furchtbarer, schwer zu tilgender Schaden ist dem deutschen Namen zugefügt worden und die Macht,

Ich bin Charlotte Knobloch, geboren im Jahre 1932.

und habe die nationalsozialistische Zeit von Kindesbeinen an mitgemacht. Ich freue mich, dass ich heute über diese verschiedenen Themen sprechen kann. Gerade diese vergangenen Tage, die ich erlebt habe, haben mir gezeigt, wie wichtig es ist, dass jeder, der überlebt hat, seine Geschichte an die jungen Menschen weitergeben kann.

Charlotte Knobloch ist seit 1985 Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Ihr Leben steht für den unermüdlichen Einsatz gegen Antisemitismus, für eine lebendige Erinnerungskultur und für die Stärkung jüdischen Lebens in Deutschland. Thomas Mann hat eine Linie für seine Zuhörer, seine Leser gezeigt, die damals...

nur von einigen aufgenommen wurden, beziehungsweise die Mehrheit der Menschen in Deutschland haben die Worte, die er gebraucht hat, nicht verstanden. Deswegen hat mich auch die Rede sofort gepackt. Sie ist sprachlich hervorragend, aber sie sagt auch schonungslos und klar, in welchem politischen Leben

die jüdische Gesellschaft in diesem Jahrzehnt gelebt hat. Mit jedem Satz hätte ich gerne ein Ausrufezeichen gesetzt. Die Rückkehr zur Menschlichkeit habe ich ja als Zwölfjährige erlebt. Und die Befreiung, die ja jetzt auch ein Thema war, die Befreiung von der Todesangst, hat mich natürlich von 1942 bis 1945 laufend begleitet.

Tage nach der Kapitulation hat Thomas Mann als Deutscher von Befreiung gesprochen. Nicht zur Freude seiner meisten Leser oder der meisten Zuhörer. Das wurde erst 40 Jahre später wirklich sehr intensiv aufgenommen. Es war die Rede von Richard Weizsäcker zum 8. Mai, eben wie gesagt 40 Jahre später.

Ich bin natürlich eine Optimistin. Antisemitismus hat es immer gegeben und wird es weitergeben, aber nicht in der Form, in der man jetzt die Juden eingreift und über die Juden spricht. Das hat man sich in der Form nicht vorgestellt und ich hoffe, das ist nur ein Vorübergehen, aber der Antisemitismus wird bleiben.

Er ist von Deutschland nicht erfunden, er ist in jedem Land vorhanden, aber kein Land hat so die Verantwortung wie Deutschland für die Zukunft des jüdischen Lebens zu sorgen. 8. November 1945. Streng genommen gehört diese Rede nicht zum Kanon der deutschen Hörersendungen,

deren Ausstrahlung die BBC mit dem Ende des Krieges einstellte. Das propagandistische Ziel, dem die Rundfunkansprachen dienten, war ja erreicht. Thomas Mann betont, dass die Initiative zur folgenden Radiobotschaft nicht von ihm, sondern von der BBC ausgegangen sei. Doch er deklariert sie gleichzeitig als eine Art Fortsetzung seiner deutschen Hörerreden. Er knüpft damit an seine Propagandatätigkeit an,

spricht diesmal jedoch in eigener Sache, in der es um seine Position in der Auseinandersetzung mit den Vertretern der sogenannten inneren Immigration geht. Im November 1945 war für Thomas Mann der desolate Zustand erkennbar, in dem sich Deutschland und die Deutschen befanden, sowohl äußerlich als auch innerlich, physisch und moralisch. Ein Brief von Erika Mann bestätigte Thomas Mann in der Überzeugung,

dass das geistige Klima in Deutschland nicht wohltuend sei und seine Rückkehr ein falsches Signal setzen würde. Erika schrieb ihren Eltern aus München, ich flehe euch an, er wägt auch nicht eine Minute lang, in dieses verlorene Land zurückzukehren. Es ist einfach nicht menschenerkennbar. Und damit meine ich nicht seinen physischen Zustand. BBC, deutschsprachiger Dienst.

8. November 1945. Deutsche Hörer. Deutsche Hörer, die BBC hat mich aufgefordert, wieder einmal zu euch zu sprechen und euch die in meinem offenen Brief entwickelten Gründe, weshalb ich jetzt an Rückkehr nach Deutschland nicht denken darf, in radiomäßiger Fassung zu wiederholen. Zu fest bin ich überzeugt, dass es die größte Torheit meines Lebens wäre, wenn ich täte, was manche zu Hause für meine Pflicht erklären. Und die wäre...

Ich soll Amerika, dem ich doch schließlich meinen Eid geleistet habe, seine Citizenship vor die Füße werfen, die mühsam errungene Lebensform meines Alters zerbrechen, Kinder und Enkel verlassen, meine Arbeit aufgeben und nach dem verwüsteten Deutschland eilen. Wozu? Um zunächst einmal festlichen Wiedereinzug zu kosten, als einer, der Recht behalten hat.

»Was keine angenehme Rolle ist, mich dann zum Bannerträger einer mir noch ganz schleierhaften neudeutschen geistigen Bewegung aufzuwerfen, mich mit Eifer zwischen die Mühlsteine der Politik zu begeben und bin in kurzem, zermürbt, aufgerieben, verdächtig, überall, beim Deutschtum wie bei der Okkupation, auf den Lippen das Wort aller Toren, ich habe es doch nur gut gemeint, ein bedauerliches Torenende zu finden.«

Mich hat der Teufelsdreck, der sich Nationalsozialismus hieß, den Hass gelehrt. Zum ersten Mal in meinem Leben den wirklichen, tiefen, unauslöschlichen, tödlichen Hass, von dem ich mir mystischerweise einbilde, dass er nicht ohne Einfluss auf das Geschehen gewesen ist.

An dem Untergang dieses menschheitsschändenden Unfugs habe ich gearbeitet, vom ersten Tage an. Nicht erst durch meine Radiosendungen nach Deutschland, die eine einzige inbrünstige Aufforderung ans deutsche Volk waren, sich seiner zu entledigen. Und um was, glaubt ihr denn, war es mir unter anderem wenigstens dabei zu tun? Nun, um das, was man heute da ist zu spät geworden von mir verlangt, um meine Heimkehr.

Wie habe ich jahrelang darauf gehofft, davon geträumt, mit welcher Begierde jedes Zeichen aufgenommen, dass Deutschland seiner Erniedrigung satt sei. Wie anders hätte alles sich dargestellt, wäre es Deutschland gegeben gewesen, sich selbst zu befreien. Wenn zwischen 1933 und 1939 bei euch die rettende Revolution ausgebrochen wäre. Es war nicht möglich. Jeder Deutsche sagt es und also muss ich es glauben.

Ich muss glauben, dass ein hochstehendes 70-Millionen-Volk unter Umständen nicht anders kann, als sechs Jahre lang ein Regime blutiger Halunken zu ertragen, das ihm in tiefster Seele zuwider ist, ihm dann in einen Krieg zu folgen, den es als wahren Wahnsinn erkennt.

und weitere sechs Jahre sein Äußerstes, all seine Erfindungsgabe, Tapferkeit, Intelligenz, Gehorsamsliebe, militärische Tüchtigkeit, kurz seine ganze Kraft daran setzen muss, diesem Regime zum Siege und damit zu ewiger Fortdauer zu verhelfen. So musste es sein. Und Beschwörungen wie die meinen, waren vollkommen müßig. Aber so sinnlos verlorene Liebesmüh für Deutschland die Ansprachen waren, jetzt sollen sie mich verpflichten, dorthin zurückzukehren.

Und wo ist Deutschland? Wo ist es aufzufinden? Auch nur geografisch. Wie kehrt man heim in ein Vaterland, das als Einheit nicht existiert? Ein in Okkupationszonen zerrissenes, die einander kaum noch kennen.

Soll ich zu den Russen gehen, zu den Franzosen, den Engländern oder zu meinen neuen Landsleuten, den Amerikanern und mich von ihren Bayonetten schützen lassen gegen den nichts weniger als begrabenen Nationalsozialismus, der am Werke ist, unsere Soldaten zu korrumpieren? Soll ich gegen die Leiden Deutschlands protestieren, den Besatzungsmächten die Fehler verweisen, die sie in der Behandlung oder Verwaltung Deutschlands begehen? Eben das kann ich nicht.

Ich konnte als Deutscher zu Deutschen sprechen, um sie vor der nahenden Nemesis zu warnen. Aber als Deutscher, der tief empfindet, dass alles, was Deutsch heißt, in die furchtbare nationale Gesamtschuld eingeschlossen ist, kann ich mir nicht erlauben, an der Politik der Sieger eine Kritik zu üben.

Besser hier draußen sich einsetzen für die Europahilfe, für die Rettung deutscher Kinder vom Hungertod, als drüben eine Milderungsagitation übernehmen, von der man nicht wüsste, ob sie nicht dem deutschen Nationalismus diente. Denn ich bin kein Nationalist. Ich habe auf Heimkehr gewartet, aber gerade jetzt kam mir gedruckt ein Brief wieder vor Augen, den ich schon Anfang 1941 an einen ungarischen Freund richtete und worin es hieß, dass er mich nicht mehr in die Welt bringen würde.

Das Exil ist etwas ganz anderes geworden, als es in früheren Zeiten war. Es ist kein Wartezustand mehr, auf Heimkehr abgestellt, sondern spielt schon auf eine Auflösung der Nationen an und auf die Vereinheitlichung der Welt. So ist es. Alles Nationale ist längst Provinz geworden und die Nichts als vaterländische Luft Gefängnisluft.

Deutschland, Deutschland und ohne Deutschland muss man verkümmern. So rufen mir diejenigen zu, die, weil sie gegen das heraufziehende Unheil nie den Mund aufgetan hatten, 1933 zu Hause bleiben mochten. Es ist aber ein Irrtum. Mir hat die Fremde wohlgetan. Mein deutsches Erbe aber habe ich mitgenommen. Man gönne mir mein Weltdeutschtum, das mir in der Seele schon natürlich war, als ich noch zu Hause saß.

und den vorgeschobenen Posten deutscher Kultur, den ich noch einige Lebensjahre mit Anstand zu halten suchen werde. Navid Kermani, geboren 1967 in Siegen als Sohn iranischer Eltern, ist Schriftsteller, Reporter und habilitierter Orientalist. Er lebt in Köln, schreibt preisgekrönte Romane, Essays und Reportagen,

und wurde unter anderem mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und dem Thomas Mann-Preis ausgezeichnet. Germani verbindet Literatur, Religion und Gesellschaftskritik und schlägt Brücken zwischen Kulturen und Glaubenswelten. In Thomas Mann sieht er einen der wichtigsten Autoren seiner Zeit.

Er hat eine unglaubliche, also eigentlich eine einzigartige Bedeutung gewonnen. Und das hat man ja auch gemerkt, als er nach Deutschland zurückgekehrt ist. Also diese Position eines Intellektuellen, die hat es seitdem auch gar nicht mehr geben können. Also nicht einmal in Zeiten von Günter Gras oder Martin Walser oder diesen ja auch sehr bedeutenden Intellektuellen. Das war einfach eine andere Zeit und in der Zeit,

kann man nur froh sein, dass es Stimmen gab wie Thomas Mann und dass es einen Thomas Mann gab, der auch stellvertretend für viele den deutschen Geist irgendwie auch hochgehalten hat gegen all den Schmutz und den Dreck und die Besoffenheit. Thomas Manns Gründe, nicht nach Deutschland zurückzukehren, kann Navid Kermani nachvollziehen. Ja, also auch gerade in dieser Rede, die ist ja sehr zornig und bitter und die ist böse und das ist

wirklich, es kommt mir vor wie jemand, der von seiner Geliebten absolut verraten worden ist. Von dem, was ihm am wichtigsten war, das war für ihn, er ist ja dann später noch zurückgekehrt, aber in dem Augenblick hatte er ja wirklich diese Verwünschungsideen. Er wollte ja wirklich so ähnlich wie Einstein, also er hat ja davon gesprochen und gedacht, dass man eigentlich Deutschland denostralisieren, dass man es zurückwerfen will. Er war einfach total wütend auf sein eigenes Land, auf das Land, das er liebte.

Die Wut, der Zorn, der kommt aus der Liebe. Gerade jetzt beim Wiederlesen hat es mich sogar auch sehr berührt, dieser Zorn und dieser Grimm. Die Situation von Künstlern, die wegen der politischen Situation in ihrem Heimatland ins Exil gehen, ist Navid Kermani vertraut.

Er ist in Deutschland geboren, seine Eltern waren aus dem Iran ausgewandert. Mittlerweile ist ein Großteil der iranischen Intellektuellen, der Filmemacher, der Schuttscheller, musste ins Exil gehen. Gerade auch in den letzten Jahren nochmal eine neue Welle durch die Repression im Iran.

auch im Zuge der Protestbewegung und die Gespräche sind eigentlich identisch. Also das ist eine Situation von Exzellenten, auch mit ukrainischen Autoren oder vor allem die russischen Autoren. Die ukrainischen haben ja ein enges Verhältnis noch zu ihrer Nation. Vor allem die russischen Autoren, die einfach ihr Land lieben, ihre Sprache lieben, die an ihrem Land hängen und davon abhängig sind. Das ist so seltsam, dass

Gerade in Deutschland, wo ja das Exil eine so große Rolle in der Vergangenheit gespielt hat, weil fast alle großen deutschen Autoren und Autorinnen fliehen mussten, dass diese Erinnerung ans Exil so verschwunden ist, dass wir uns nicht einmal mehr erinnern, dass einer der bedeutendsten Bundeskanzler Willy Brandt ein Exilant war und diese Erfahrungen so fremd erscheinen von Exilanten. Eine größere Präsenz der Erinnerung an das Exil deutscher Künstler wünscht Navid Kamani sich für die Gegenwart in Deutschland. Zu

Zuallererst natürlich ein Verständnis für Exilsituationen, schlechthin für Fluchterfahrungen, für das Elend von Flucht, für die unsichere Situation. Also wenn man diese Romane auch 30er Jahren sieht, das trifft man ja heute wieder in Marokko, teilweise im Libanon, in der Türkei. Das sind ganz ähnliche Lebensverläufe, dieser Versuch Bürgerlichkeit abzuschließen.

noch zu bewahren. Und zugleich eben auch das, was Thomas Mann auch wirklich mit Weltbürgertum beschreibt, die Werte, die Thomas Mann vertritt, die viele deutsche Autorinnen und Autoren vertreten haben, die Orhan Pamuk vertritt, die viele russische, ukrainische, teilweise auch israelische, palästinensische

Es gibt ja schon diese Gemeinschaft des Geistes. Also dass ja nicht diejenigen, die Krieg führen und sich daran zu erinnern, dass es doch auch Gedanken gibt, Werte gibt, Ideen gibt, die universal sind, die Teil auch der Literatur sind. Auch das wäre in diesen Tagen sicherlich bedeutend. Und für das wird Thomas Mann ja auch überall in der Welt auch bis heute gelesen und dafür wird er geschätzt. 15. Januar 1943 Deutsche Hörer,

Ein düsteres Jubiläum will begangen sein. Zehn Jahre Nationalsozialismus. Was haben sie dem deutschen Volke gebracht? Es gibt nur eine allesagende Antwort. Den Krieg. Diesen Krieg. So wie er heute steht und wie er für das deutsche Volk ausgehen wird. Den Hitlerkrieg.

in dem eure Söhne zu Millionen verbluten und der den Kontinent einschließlich Deutschlands als Wüste zurücklassen wird. An ihn kann man sich halten, wenn nach den Ergebnissen dieser Dekade gefragt wird. Auf ihn lief von Anfang an alles hinaus, auf ihn steuerte alles zu.

Alles übrige, welche Lügennamen es immer trug, angefangen von dem Lügennamen der Bewegung selbst, war nichts als Vorbereitung und systematische Instandsetzung für das ausweglose und ruinöse Abenteuer dieses Krieges, den euer Führer sich freilich anders vorgestellt hatte, als er nun aussieht.

eines Verzweiflungskampfes, in dem Deutschland eine unsühnbare Untat auf die andere häufen muss und an dessen physischen und moralischen Folgen es zu tragen haben wird. Wer weiß wie lange. Das war Deutschland höre. Gestern und heute.

Eine lange Nacht über Thomas Manns Radioreden. Von Sonja Valentin, Jakob Scherer und Hans-Dieter Heimendahl. Es sprachen Sandra Hüller und Thilo Werner. Ton Johann Günther. Regie Friederike Wigger. Redaktionelle Mitarbeit Susanne von Schenk. Redaktion Hans-Dieter Heimendahl. Mitwirkende Alice Hasters, Christian Wulff, Feridun Zajmoglu, Raoul Krauthausen,

Die Neuausgabe der Reden Thomas Manns für die BBC ist unter dem Titel »Deutsche Hörer – Radiosendungen nach Deutschland« mit einem Vor- und einem Nachwort von Meli Kijak im S. Fischer Verlag erschienen.

Die Redaktion dankt Jakob Scherer, Mirko Lux und dem Thomas Mannhaus für die Kooperation. Nächste Woche erwartet Sie an dieser Stelle eine lange Nacht über die wahrscheinlich wichtigste Ausstellung zeitgenössischer Kunst in Deutschland. Die Documenta, die vor 70 Jahren das erste Mal in Kassel stattfand. Ihre Geschichte spiegelt auf erstaunliche Weise die der modernen Kunst in Deutschland.

Von dem Bemühen um internationalen Anschluss und einer nur einseitig erfolgten Aufarbeitung der Folgen der Nazizeit am Anfang bis hin dazu, ein überforderter Schauplatz für die Kontroversen der Welt heute zu sein. Seien Sie gespannt auf die lange Nacht über Weltkunst in der Provinz. Sie können alle langen Nächte der letzten Monate auch in der Deutschlandfunk-App nachhören. Und wenn Sie uns abonnieren,

können Sie keine Sendung mehr verpassen. Bis nächste Woche.