We're sunsetting PodQuest on 2025-07-28. Thank you for your support!
Export Podcast Subscriptions
cover of episode Die sogenannte Wirklichkeit

Die sogenannte Wirklichkeit

2025/3/8
logo of podcast Was liest du gerade?

Was liest du gerade?

AI Chapters Transcript
Chapters
In dieser Einführung sprechen die Gastgeber über die Sendung und das Buch 'Striker' von Helene Hegemann, das durch ein katastrophisches Lebensgefühl und eine trashige Berliner Umgebung geprägt ist.
  • Podcast über Bücher und ihren Einfluss auf die Welt.
  • Diskussion über das Buch 'Striker' von Helene Hegemann.
  • Thema: Katastrophisches Lebensgefühl in Berlin.
  • Erzählerin ist eine Kampfsporttrainerin mit einer Politikerin als Geliebte.
  • Extremzustände und Begegnungen mit Außenseitern prägen den Roman.

Shownotes Transcript

Was liest du gerade? Ein Podcast über Bücher und was sie über die Welt erzählen.

Ja, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, Adam Soboczinski hier. Ich bin Literaturkritiker bei der Zeit. Mir gegenüber sitzt Iris Radisch, die ist Literaturkritikerin bei der Zeit. Und wir sprechen in unserem Podcast, was liest du gerade, sehr regelmäßig über Neuerscheinungen. Es werden zwei Bücher im Mittelpunkt stehen, über die wir ausführlich sprechen und ein Klassiker ganz am Ende, ab

Aber ganz am Anfang, und damit beginnen wir, mit einem Zitat aus einem Buch, das wir noch nicht verraten, um welches es sich handelt. Und das hören wir jetzt. Der erste Satz. Intervalltraining hat nichts Selbstverständliches für Sie. Genauso wenig wie in die Fresse geschlagen zu werden. Jede dritte Sekunde geht dafür drauf, sich davon abzuhalten, das Ganze für immer abzubrechen. Ja, was ist das für ein Satz? Oje.

Intervalltraining hat nichts Selbstverständliches für sie. Unsere Idee bei diesen Zitaten ist ja immer, kann man die auch jenseits des Kontextes sehr gut verstehen? Also sind das Sätze, die uns auch irgendwie etwas fürs Leben sagen, die uns was erklären, die irgendwie eine allgemeine

Verständlichkeit haben. Also da würde ich sagen, Intervalltraining hat nichts Selbstverständliches. Es hat für mich erstmal nur große Selbstverständlichkeit. Das stimmt, für mich ist Intervalltraining überhaupt nichts Selbstverständliches. Das ist schon was für Spezialisten. Naja, für diese Person, die hier beschrieben wird, ja offensichtlich auch. Auch, ganz genau. Und also für mich ist selbstverständlich in die Fresse geschlagen zu werden auch nichts Selbstverständliches. Es ist sogar was sehr Unselbstverständliches.

Und dann der nächste Satz, der so ein bisschen wie eine natürliche Folge aus den beiden vorhergehenden Feststellungen folgt. Jede dritte Sekunde soll dafür draufgehen, sich davon abzuhalten, das Ganze für immer abzubrechen. Das ist natürlich etwas sehr Katastrophisches. Also wenn man ständig im Leben, also sogar jede dritte Sekunde, sich davon abhalten muss, irgendwie zu sagen, Tschüss und auf Wiedersehen, das war es ohne mich.

Das halte ich für sehr anstrengend. Also da würde ich sagen, dem würde ich nicht zustimmen. Also da nährt man sich schon einer wirklichen seelischen Krankheit. Wenn das ein Lebensgefühl ist, alle drei Sekunden mit allem aufhören zu wollen, würde ich sagen, braucht man vielleicht...

Ich bin kein großer Sportler, muss ich sagen. Aber Intervalltraining, wenn ich das richtig wiedergebe, bedeutet ja, dass man eine Anstrengung immer wieder unterbricht durch einen Entspannungsmoment. Allerdings sich nie vollständig entspannt und sondern sofort wieder zur Anstrengung übergeht. Also eine fortgesetzte Sporttortur, das machen die Leute ja immer freiwillig. Das ist mir schleierhaft, aber ist so. Soll ja auch gesund sein und weiß der Teufel.

Und dass das Überwindung kostet, das kann ich nachvollziehen. Also dass sich das Ganze in diesem Satz auf dieses Training konzentriert und dass man das als Metapher natürlich wiederum des gesamten Lebens fassen kann, wenn man eine bestimmte Disposition hat zur Begeisterung.

grundsätzlichen Verzweiflung, dann ist man natürlich in diesem fortgesetzten Ausnahmezustand, in diesem penetranten Ausnahmezustand. Und so habe ich das ein bisschen verstanden. Wahrscheinlich ist das eine Art Verzweiflungslebensmotto, nicht wahr? Ja.

Du kennst das Buch. Ja, also das können wir jetzt, glaube ich, schnell verraten, weil ich glaube, dass du da ziemlich richtig liegst, Adam, dass da ein katastrophisches Lebensgefühl angesprochen wird. Und ich denke so, dass dieses katastrophische Lebensgefühl für das Buch auch wirklich symptomatisch ist. Es geht um ein katastrophenähnliches Leben in einem sehr trashigen Berlin. Und der Roman heißt...

Wahrscheinlich muss man ihn Englisch aussprechen. Ich weiß es nicht. Striker? Ganz bestimmt, ja. Man wird ihn Englisch aussprechen müssen, obwohl es eine deutsche Autorin ist.

Diesen Roman geschrieben hat nämlich Helene Hegemann, die ja sehr bekannt ist durch ihren 2010 erschienenen ersten Roman. Da weiß ich auch nie so genau, wie man ihn ausspricht. A Coming-of-Age-Roman, der sehr viel für Furore und viele Diskussionen gesorgt hat. Dann hat sie auch noch weitere Romane geschrieben. Bungalow zum Beispiel, dann zuletzt einen Erzählungsband »Schlachten Sie«.

Und das ist jetzt wieder ein richtiger Roman, wenn ich das richtig sehe. Ja, ein richtiger Roman. Der spielt in Berlin. Der hat eine Erzählerin, die in der Tat ein sehr katastrophisches Lebensgefühl hat. Die irgendwie auch ein sehr prekäres Leben hat. Die ist Kampfsporttrainerin und hat eine Politikerin zur Geliebten, die in irgendeiner schicken Villa wohnt. Und der Begegnenden sehr viele Abge...

Pennerfiguren. Dieser ganze Roman besteht schon aus sehr vielen Extremzuständen, kann man sagen. In dem nicht nur die Erzählerin, sondern auch die Figuren sich befinden, denen die Erzählerin begegnet. Also Junkies, Schizophrener. Gewöhnlich. Ein Alltagsleben. Ja.

Naja, also dieses angeblich so wahnsinnig kaputte Berlin, in dem wir ja alle leben, das ist noch mal ein bisschen kaputter, als wir es ohnehin schon kennen. Und das sorgt wahrscheinlich schon dafür, um so ein zeitgemäßes Lebensgefühl noch ein bisschen stärker herauszustreichen. Gut, dann sind wir gespannt auf diesen neuen Roman, der doch sehr erwartet wird. Werbung

Paulina wacht verwirrt in einem demolierten Auto auf. Neben ihr ein Mädchen, das sie nicht kennt. Was ist ihr passiert? Langsam kommen die Erinnerungen hoch. Vom langweiligen Ex, dem turbulenten Alltag in Buenos Aires und der Orientierungslosigkeit in ihrem Leben. Witzig und abgeklärt schreibt Camila Fabri von Lebensentwürfen, Freundschaft und Sexualität einer eigenwilligen Generation. Dancing Queen, das Werk einer begnadeten neuen feministischen Stimme aus Argentinien.

Wir kommen jetzt zu unserem ersten Buch, über das wir ausführlicher sprechen wollen. Zach Williams heißt der Autor. Es werden schöne Tage kommen, heißt das Ganze. Stories ist die Gattungsbezeichnung, also amerikanische Erzählungen, könnte man sagen. Übersetzt wurde das Werk von Bettina A. Barbanel und Clemens J. Setz, dem Schriftsteller Clemens J. Setz.

Das passt auch ganz gut, da kommen wir vielleicht gleich drauf zu sprechen. Zack Williams ist ein Debütroman, wurde in Amerika sehr gefeiert und auch in Deutschland auch sehr gefeiert und ich würde sagen völlig zu Recht.

Er vereint mehrere Erzählungen und diese Erzählungen stoßen einen in ein wahnsinnig unheimliches Lebensgefühl. Die sind ganz häufig absurd. Leute kommen zusammen in einer

Arbeitsatmosphäre und irgendwie ist alles leer und seltsam und es ist ein großer Schneesturm, der aber dann doch nicht kommt. Und das Ganze wird dann zur Verschwörungstheorie unserer Zeit, denn eigentlich war doch vorhergesagt worden, dass dieser Schneesturm die ganze Stadt lahmlegen sollte. Das heißt, wir merken schon in den ersten Erzählungen, dass unsere Gegenwart, die stark geprägt ist von

naja, so etwas wie Fake News, wie Trump, wie diese Art von diesen Leuten, die immer etwas ganz, ja, eine Verschwörung draußen einfach wittern, in der wir leben. Und

Und das Interessante dieses Buches ist, dass es dieses Lebensgefühl ja letztlich in Verbindung bringt mit etwas grundsätzlich Dämonischem, mit etwas Bösem, mit etwas Surrealem. Es gibt Geschichten, beispielsweise eine Familie, die in einem Haus irgendwo wohnt und die haben ein Kind und dieses Kind altert aus einem ganz bestimmten Grund, den wir niemals erfahren. Nicht also letztlich auch Horrorszenarien immer wieder in diesem Buch.

Das heißt, ich habe selten ein Buch gelesen, das so aktuell ist, auf aktuelle Debatten fast schon zu sprechen kommt und trotzdem hochliterarisch ist in dem Sinne, als dass das Ganze fast schon metaphysisch wird, was wir in der Gegenwart lesen.

und erleben und erfahren. Und das finde ich ist wahnsinnig faszinierend. Ich finde das eine ganz große Entdeckung. Wunderbare Geschichten. Und das ist manchmal gar nicht so zu fassen, wo eigentlich der Übergang von einer zunächst mal ganz banalen US-Realität, also du hast die erste Geschichte angesprochen, man ist in so einem

Büro, alles ist eigentlich 14. Etage, Kaffeeautomaten, Kollegen, Bildschirme und dann weiß man gar nicht, wo ist der Augenblick, wo das ins Unheimliche kippt. Das finde ich also wahnsinnig toll gemacht. Eigentlich ist auch hier

so ein katastrophisches Grundgefühl. Aber es ist nicht von vornherein katastrophisch. Es gibt auch darauf überhaupt keinen Leidensstolz. Toll, wie kaputt wir hier sind. Sondern es fängt eigentlich immer erst mal ganz sacht und fast normal an. Und dann ist es eine ganz dünne Wand. Die zum Unheimlichen oder eben Katastrophischen oder zur Paranoia oder was auch immer. Und den Übergang fasst man fast nicht. Und dass das so...

Ja, so unvermutet und dass die Übergänge so sacht sind, das finde ich die ganz große Kunst in diesen Geschichten. Weil irgendwie kennen wir ja alle diese Geschichten, dass unsere Gegenwart dystopisch ist, dass wir in völlig kaputten Verhältnissen leben. Das kennen wir schon gut. Aber hier ist es eigentlich umgekehrt. Also wie man aus einer fast banalen Situation kommt,

in einen Albtraum gerät. Und das ist eine ganz, das finde ich eine ganz hohe Kunst und toll ist auch, dass die Erzähler uns mit diesem Albtraum haften oder vielleicht auch so ein bisschen David Lynch haften, im Grunde allein lassen. Also die selber scheinen das überhaupt nicht zu merken.

Dass wir schon in einem Albtraum gelandet sind, das ist eben auch ganz anders als in der normalen, gängigen Katastrophenliteratur, die wir so kennen. Da weiß der Erzähler immer, dass er hier im größten Dreck steckt und sagt, es geht ihm so schlecht darin und er muss sowieso, ängstigt sich und muss, ich weiß nicht, wie er leidet und auch vielleicht manchmal sehr leidensstolz ist. Diese Figuren hier

Die kommentieren das gar nicht, dass sie in dieses Surreale rübergekippt sind. Man hat manchmal so das Gefühl, die merken es gar nicht. Und das macht es für uns Leser und Leserinnen aber umso unheimlicher, dass die Figuren es gar nicht merken, in was für eine

Ja, eigentlich schrecklich paranoische Welt, sie da rutscht. Ja, das stimmt. Wobei das natürlich nicht zwingend etwas Neues ist. Wir kennen das beispielsweise bei Kafka, da gibt es ja auch. Da steht eine Figur vor dem Schloss irgendwo draußen und kommt einfach nie hinein und so. Und ein echtes Wundern darüber, dass das jetzt sehr schwierig ist, gibt es manchmal schon.

schon, aber in der Regel ja nicht. Der Plot handelt davon, dass das Andere, das Überirdische von mir aus oder das Parallelwelthafte mit großer Selbstverständlichkeit in die Welt hineintritt. Das sind jetzt aber schon sehr große weltliterarische Vergleiche. Ja, das schon. Ja, natürlich. Aber es ist ja auch ein großer Autor. Absolut. Das wollte ich damit andeuten. Es ist ein großer Autor. Und es gibt immer wieder tolle, ist

Und ich glaube, es gibt so etwas wie einen Kommentar zu unserer politischen Gegenwart. Ich glaube sogar, dass das nicht unterscheidbar ist, ob es hier mit einer tatsächlichen Verrücktheit oder einer eingebildeten Verrücktheit besteht.

Das zeigt an, dass unsere Gegenwart so verrückt ist, dass sie wie eine totale Fiktion uns erscheint manchmal. Also ein Irrealitätsgefühl unserer Gegenwart. Etwas Drohendes ist sozusagen im Schwang. Es gibt eine Geschichte, das spielt immer wieder eine Rolle an mehreren Stellen, wo etwas Satanisches auch passiert. Eine Gruppe junger Leute haben sozusagen am Rande der Stadt geschlafen.

treffen sich Satanisten und machen seltsame Dinge und sowas und ein Typ gerät da zufällig hinein. Und diese Geschichte ist überhaupt nicht so real im engeren Sinne. Aber sie hat den gleichen Spannungsboden und sie zeigt die gleiche Verrücktheit an wie Geschichten in diesem Buch, die tatsächlich etwas seltsam sind. Beispielsweise beobachtet in einer Geschichte der Erzähler seinen Sohn im

und stellt fest, dass ihm über Nacht ein sechster Zeh gewachsen ist. Das ist natürlich etwas Satanisches, das ist ja klar. Da geht es nicht mit rechten Dingen zu und da hat der Teufel sein Handwerk gezeigt. Und es entsteht der gleiche Grusel wie in den Geschichten, die fast schon parallel dazu geschaltet sind,

eigentlich völlig realistisch erzählt sind. Wie diese Gruppe mit den Satanisten, die ja gar nichts Spukhaftes im engeren Sinne erzählen.

Außer, dass die Leute sozusagen etwas durcheinander geraten sind. Und das ist so ein bisschen der Trick, könnte man sagen, oder die Erzählweise oder das Interessante daran. Also Stephen King steht direkt neben sozialreportagehaften Erzählungen, könnte man fast schon sagen. Und das ist deckungsgleich. Manches ist ja auch ein bisschen märchenhaft.

Es gibt eine Geschichte, die hast du auch schon angesprochen, wo ein Paar, man weiß gar nicht, wie es passiert ist, ganz allein in einem Wald lebt. Wo das Kind nicht altert. Aber das ist trotzdem wie im Märchen. Weil unheimlicherweise füllt sich die Tiefkühltruhe im Keller immer wieder. Und die kommen aus diesem Wald auch gar nicht mehr raus. Das ist wie Hänsel und Gretel. Die wissen gar nicht mehr, wie sie rauskommen. Man denkt ständig, die Hexe...

Und dann kommen so viele Märchenhafte. Dann taucht eine Schnappschildkröte auf, wie früher der Wolf im Märchen. Also es sind richtig märchenhafte Elemente. Und dann hat man aber trotzdem immer wieder so das Gefühl, nee, das ist schon auch dieses verrückte Amerika. Ja, sicher. Dieses verrückte Amerika, wo man nie weiß, ob jetzt irgendwie Leute mit einem Hirschgeweih plötzlich...

die US-Wahl verhindern wollen. Also irgendwie, wo auch wirklich das Surreale und das ganz Reale eben ja in der Tat manchmal auch bildlich und ikonografisch ganz nah beieinander sind. Ja, ja, völlig klar. Und es hängt auch mit dieser Leere der Landschaft zusammen, mit dem Hyperindividualismus, mit der Unklarheit des Raumes auch, diese Unklarheit

Die Lehre auch. Auch die Lehre. Das spielt eine große Rolle, ja. Und die Imaginationskraft, die die Lehre dann schafft. Es gibt auch eine Erzählung, wo jemand mit so einem Golfauto, also beim Golfspiel wird man ja immer so herumkutschiert und dann in der Nacht herumfährt und der Bruder dieses Protagonisten am Rande des Familienhauses steigert sich vollständig hinein, einfach in die...

Ja, in das Böse könnte man sagen, das drumherum in der Welt ist. Und die Lügen, die überall verbreitet werden von den...

Medien und so weiter und so fort. So was kommt an vielen Stellen. An vielen Stellen gibt es so Verschwörungs... Es gibt ja auch diese Sekte, das ist in der Geschichte, ich glaube, Luca Castle, da gibt es diese Sekte, die vor Technik warnt und da merkt man so ein bisschen Unabomber-Atmosphäre. Das ist eine Art der Paranoia, die es gibt. In der Eröffnungsgeschichte ist es andersrum. Da haben die alle...

müssen die so PC-mäßige Workshops machen und Diversitätsprogramme, trauen sich aber nicht, das zu kritisieren. Also auch da gibt es so ein Querdenker-Motiv, weil sie Angst haben, dann verlieren sie ihren Job oder so. Also es gibt ganz viele dieser Querdenker und Verschwörungsmythen-Thematiken, die hier immer wieder hochkommen. Und auch große, ich finde auch große...

der amerikanischen Kultur. Also zum Beispiel diese ewigen Autofahrten haben wir schon. Durch das leere Land fahren, ewig einsam. Ein Mann mit seinem Auto, wie früher der Cowboy auf dem Pferd. Ein Mann fährt durch diesen riesen Kontinent, allein mit dem Auto, lebt in dem Auto, hat sein Leben hinter sich gelassen, Frau und Kind.

Also es sind auch ein paar Männlichkeitsmythen unterwegs. Ja, sicher. Es sind ja überhaupt sehr viele einsame Männer in diesen Geschichten. Aber auch starke Bilder, finde ich. Starke, traurige Bilder auch. Naja, Bilder auch. Aber was er vor allen Dingen kann, ist...

eine Ausweitung der Kategorien von Zeit und Raum. Es gibt mehrere Geschichten, wo sich das so schleichend auflöst, wo man nicht mehr weiß, wo man ist auch, wo die Zeit auch sich auflöst und so. Das ist sehr toll. Ich habe ein bisschen über ihn gelesen. Es gibt eine wirklich sehr schöne Rezension von dem Kritiker Richard Kemmerlings. Der hat darauf hingewiesen, dass Dante eine ganz große Rolle spielt in diesem Buch.

wirklich mit direkten Anspielungen. Auch von Namen von bestimmten Figuren beispielsweise. Also tatsächlich dieses letztlich Endzeitliche und das Göttliche einfach eine ganz große Rolle spielen. Also alle kosmischen Kategorien kommen in diesem Roman vor. Und das ist natürlich auch und natürlich die immer enger ziehenden Ringe zur Hölle werden immer sichtbarer in diesem Buch. Ja.

Naja, wollte ich nur darauf hinweisen, dass das eine Literatur ist, die auch um einen gewissen Literaturkurs

Literaturhorizont auch von sich selbst sich bewusst ist, dass es sich einschreibt in eine bestimmte Geschichte. Also das ist nicht jemand, der einfach sagt, ich habe die Welt neu erfunden, sondern es gibt viele interessante Referenzen auch da drin. Also wirklich eine sehr anspruchsvolle, aber trotzdem auch wieder wunderbar und leicht zu lesende Literatur. Ja, es ist nicht kompliziert oder sowas. Also eben gerade dieses

Ja, die Banalität des Bösen. Nein, das würde ich nicht sagen. Nein, es geht nicht um die Banalität des Bösen. Dem würde ich total widersprechen. Es geht wirklich um das Andere, der Vernunft. Es geht nicht um irgendwie das Alltagsböse, wo Leute böse werden, weil sie... Ach so, so meinte ich es nicht. Da hast du recht. Nein, das ist natürlich nicht der Fall. Aber...

Was mich eben so fasziniert hat, ist, dass das Böse nur keine großen Schritte braucht. Ja, das stimmt. Bis die Welt unheimlich wird, bis sie sozusagen in ihren Grundfesten erschüttert ist, braucht es eben wirklich nur ganz kleine Augenblicke. Dazu muss man nicht an großen Hebeln drehen. So meinte ich das mit der Banalität. Das kann ganz einfach...

Plötzlich ist ein sechster C da. Man hat einmal nicht hingeguckt und plötzlich ist die Welt anders. Und es gab im Grunde keine großen Auslöser dafür. Das meinte ich mit der Banalität. Aber natürlich hast du recht.

dass es sich nicht um das alltägliche Böse handelt. Da hast du völlig recht. Also so gesehen nicht die Banalität des Bösen, sondern die Übergänge ins Böse sind total banal. Ja, wir kommen doch zum nächsten Buch. Das möchtest du bestimmt vorstellen, Iris? Ja, das ist das Buch von einer eigentlich, ich glaube, von der im Augenblick berühmtesten norwegischen

Autorin, Vigdys Jörd und das passt auch ganz schön, weil ja die Leipziger Buchmesse nicht mehr lange hin ist, wo die Norweger auch zu Gast sein werden und das ist eben eine Autorin, die jetzt schon mehrere, also eigentlich schon sehr viele Romane von ihr wurden und alle sehr schön von Gabriele Heves ins Deutsche übersetzt. Jetzt kommt Wiederholung, heißt das einfach nur.

Victus J. ist bekannt geworden mit zwei Romanen jetzt. Ein falsches Wort hieß...

Der eine und die Wahrheiten meiner Mutter hieß der andere. Da ist sie eigentlich erst als ganz ernsthafte Autorin bei uns in Deutschland entdeckt worden. Vorher war sie schon mit erstaunlich vielen Büchern da, aber die wurden alle nicht so richtig wahrgenommen, weil sie irgendwie in Taschenbuchreihen verschwanden. Und jetzt eben sieht man, nee, das ist eine sehr ernsthafte Auseinandersetzung, um was ja...

Um einmal, man kann so ein bisschen schlagwortartig sagen, um ihre weibliche Identität als Autorin, um ihre Geschichte, um die Geschichte ihrer Familie, um Autofiktion. Also Victis Jort ist eine Autorin, die sehr interessant, ich würde mal sagen, mit Dichtung und Wahrheit spielt.

Also sie schreibt sogenannte autofiktionale Romane oder vielleicht teilweise auch autobiografische Romane. Und sie deckt aber nie wirklich auf, wie wahr diese autobiografischen Romane sind. Sie spielt aber immer damit, dass das wahr sein könnte, was sie da berichtet. Und sie macht ihrer Familie in all diesen Romanen, also ganz besonders in dem Roman »Ein falsches Wort«, aber auch in dem, auf den wir jetzt gleich kommen,

so hintergründig oder unausgesprochen eigentlich immer die größten Vorwürfe, ohne dass so ganz klar wird, worin diese Vorwürfe eigentlich bestehen. Kommen wir jetzt gleich erst mal zu dem neuen Buch und vielleicht können wir die alten

Dann immer noch mal ein bisschen auf dem Hintergrund, weil die hängen alle auf eine sehr interessante Weise miteinander zusammen, weil es ja immer um ihr Leben geht. Hier geht es um einen Lebensabschnitt in ihrem Leben, der hat sich 1975 zugetragen. Das Buch heißt, vielleicht sollten wir es ganz kurz sagen, heißt Wiederholung. Genau, das sagte ich schon. Es heißt Wiederholung.

Sie ist übrigens das in Klammern, sie ist ja eine Kierkegaard-Leserin und die Wiederholung, das ist ein Motiv, das sie von Kierkegaard übernommen hat und das ihr auch sehr wichtig ist. Also diese Wiederholung, sie hat eben dieses Jahr 1975 und Wigdesjord ist Jahrgang 1959, sie ist also 16 Jahre alt.

in dieser Episode ihres Lebens und es geht so ein bisschen um das sexuelle Erwachen, eine junge Frau, die eben in die Schule geht, die da Jungs kennenlernt und die aber von ihrer Mutter extrem kontrolliert wird. Und

Und man versteht es nicht und sie versteht es nicht, warum die Mutter, sie sagt immer, so eine Angst hat. Und sie fragt, wo gehst du hin und ist da wirklich niemand weiter dabei und wann kommst du zurück? Und diese Angst, da hat sie sehr schnell das Gefühl, die Mutter ahnt etwas oder weiß vielleicht sogar etwas über sie, was sie nicht weiß. Also dieses Kontrollbedürfnis scheint ihr sehr schnell abzulösen.

merkwürdige Ursachen zu haben, die über das Normale, ich passe auf meine 16-jährige Tochter als Mutter auf, weit hinausgehen. Und dann schildert sie auch ihre erste Liebe mit einem Jungen, wo eigentlich alles schiefläuft und das große Liebeserlebnis eigentlich mehr oder weniger nur

ja, nur nicht so richtig stattfindet, sage ich jetzt einfach mal. Und sie malt sich dann aber in ihrem Tagebuch ein perfektes Liebeserlebnis und einen wirklichen Geschlechtsverkehr aus, den sie gar nicht gehabt hat und macht das alles. Im Grunde erlebt sie diese Liebe erst in ihrem Tagebuch. Sie erschreibt sich dieses Liebeserlebnis

Ja, wie es dann so kommt, die Eltern damals oder vielleicht auch heute machen so furchtbare Dinge. Die Eltern lesen dieses Tagebuch und der Vater erleidet einen Zusammenbruch darüber. Der bedringt sich, der heult. Also das ist eigentlich so ein richtiges Strindbergisches Drama. Also da bricht eine Welt zusammen.

als sie von dieser eingebildeten Liebesnacht ihrer Tochter lesen. Und man ahnt es natürlich dann schon. Und ich glaube, da das ja auch die Themen der vorherigen Bücher immer gewesen ist, kann man das vielleicht sogar auch verraten, dass es da dann letztlich um eine verdrängte Missbrauchsgeschichte gehend geht.

in diesem Buch, weswegen diese Familie sich auf Kontrolle, vor allem die Mutter auf Kontrolle der Tochter ausgelegt hat. Das ist ganz geschickt gemacht, weil man am Anfang denkt, okay, diese nervige Mutter, man ist eigentlich die ganze Zeit von dieser klaustrophobischen Enge, in der da aufgewachsen wird.

während der Vater immer so großzügig sagt, jetzt lass das Mädel doch mal in Ruhe, jetzt kontrolliere sie nicht so. Also sie wird immer daraufhin abgehorcht und abgeschnuppert, ob sie irgendwo Alkohol getrunken hat, ob sie einen Jungen kennengelernt hat, ob Sex, also es geht immer um diese Sexunterdrückung so. Und man denkt die ganze Zeit, boah, sind die irgendwie eine protestantische Sekte oder sowas? Was ist da los? Und dann...

Ja, ahnt man immer stärker. Okay, es geht um ein großes Familiengeheimnis, das irgendwann einmal mit Krawall ausbricht in dieser Familie und aufgedeckt wird. Das ist so ein bisschen der Spannungsbogen dieses Buches. Ich finde es ziemlich spannend.

Ein ziemlich starkes Buch. Es ist so, dass es natürlich um Vic Desjardins, die Autorin, immer wieder eine Diskussion gegeben hat, ob das, was sie schreibt, tatsächlich autobiografisch ist oder nicht. Ja.

Ihre Schwester, wenn ich richtig informiert bin, hat vehement immer Einspruch erhoben und gesagt, das ist sozusagen fahrlässig, weil das so nie passiert ist. Die Schwester hat sogar ein Gegenbuch geschrieben, in dem sie die Familie dann als ganz wunderbare norwegische Mittelstandsfamilie und Victus Jort sagt, naja, also sie idealisiert das dann schon ein bisschen. Aber was sagt sie selbst? Was sagt Victus Jort selbst zu den Vorwürfen, dass das

fahrlässig ist, das sozusagen gewissermaßen so aufzuschreiben, als wäre es passiert und ob es stimmt oder nicht. Sie sagt da gar nichts zu. Ich habe sie ja auch mal interviewen dürfen vor einigen Jahren. Sie sagt da gar nichts zu. Sie will sich dazu nicht äußern. Sie sagt immer, auch in diesem Buch steht es mehrfach, die sogenannte Wirklichkeit. Also das Verhältnis der sogenannten Wirklichkeit und der Literatur ist ein offenes Verhältnis.

Was war und was erfunden ist, dazu will sie sich nicht äußern, weil für sie ist im Grunde, ist das eine Arbeit. Das steht nicht fest, was nun wirklich ist und was erfunden ist. Und diese Figur, die hier immer erzählt in ihren Büchern,

Das ist vor allen Dingen in dem Buch ein falsches Wort. Die weiß von diesem Missbrauch ja auch lange Zeit gar nichts. Das ist ja in Wiederholung auch so. Da weiß sie es noch gar nicht, da ahnt sie es nur. Und dann später in den späteren Romanen, da ist es dann so, dass es eben erst mit 30 Jahren nach einer Psychoanalyse kommen die Bilder plötzlich wieder hoch. Und da weiß man ja auch nicht, sind diese Bilder, die da hochkommen, von wo kommen die? Aus welcher Wirklichkeit kommen die?

Ist das eine literarische, eine psychische? Hat das wirklich stattgefunden? Das ist sehr fließend und sie will sich dazu nicht äußern. Problematisch daran finde ich, dass sie natürlich ein bisschen mit dieser Wahrheitsfiktion spielt. Das finde ich wirklich problematisch. Der Reiz ist, dass man das Gefühl hat oder das suggeriert wird, wir haben es hier mit einer wahren Geschichte zu tun. Das ist ja auch von norwegischen Kritikern, die dann so die Verhältnisse

der Familie noch viel besser kannten, die dann auch richtig recherchiert haben, wie viel nachprüfbare Wahrheit sie in diese Romane eingebaut hat, die haben ihr das sehr übel genommen und gesagt, nein, das ist letztlich, der Vater von Victus J., der ist schon verstorben, das ist auch Rufmord, der Mann kann sich nicht wehren.

Sie sagt immer wieder, ob das mit meiner Familie zu tun hat, das habe ich doch gar nicht behauptet. Das ist Literatur. Also das ist ziemlich interessant, aber auch ein bisschen problematisch. Sie nennt das ein bisschen so Realitätsfiktion oder auf Englisch Reality Fiction. Ja,

Keine Ahnung. Und sie steht natürlich auch irgendwie schon in dieser Selbstentblößungsliteratur, die wir aus Norwegen ja kennen. Eben natürlich vor allen Dingen von Knausgaard, aber auch von Thomas Espedal und vielen anderen. Das ist ja in Norwegen sehr stark verankert, diese Art des autobiografischen Schreibens. Aber sie spielt stärker damit und man kann schon auch sagen...

dass sie ja doch einen literarisch sehr anspruchsvollen Stil hat. Also es ist nicht so dieser Knausgatsche, Mummelstil, wo der ja nun extra so ein bisschen...

Down to Earth ist, auch eine Kunstform, aber der nun sehr wenig elaboriert, sehr wenig angestrengt ist. Sie schreibt durchaus angestrengt, sie hat so einen existenziellen Drive, so eine Atemlosigkeit, sie zieht die Sätze auch immer wieder ins ganz Große, also zum Beispiel wird hier der Tochter, bevor überhaupt irgendwas passiert, saßt sie schon, es wummert so in ihr und es wummert so und sie hat so ein

unglaublichen Drang, sie weiß gar nicht wohin. Also man spürt da richtig große Kräfte, die also über diesen normalen Pubertätsgefühle weit hinausgehen. Ja, wobei natürlich für die Generation, sie spricht ja von den 70er Jahren, ist diese Art von Klima ja durchaus auch noch

Denkbar, also wo man ja bekanntermaßen noch nicht, zumindest in bestimmten Milieus, noch kein offenherziges Verhältnis hatte zu Sexualität, zu Gesprächen zwischen Kindern und Eltern, die mit einer gewissen Grundoffenheit geführt werden, Aufklärung und so weiter und so fort.

Das heißt, am Anfang hat man ja das Gefühl, okay, hier ist einfach nur ein bisschen was übersteigert dargestellt, was es in der Gesellschaft eigentlich gab. Das ist ein bisschen das Tolle. Was ich mag an diesem Roman ist das, was du selbst sagtest, dass es immer wieder Passagen gibt, die wirklich richtig welthaltig sind. Also wo Passagen drin sind, die das Buch oder den Plot oder die Handlung einfach übertreffen. Wenn sie schreibt beispielsweise, ja,

So drei Teile der Wirklichkeit. Hoffnung sei ein neues Kleidungsstück, schreibt sie an einer Stelle. Erinnerung ist ein abgelegtes Kleidungsstück. Die Wiederholung aber ist ein unverwüstliches Kleidungsstück. Schön, sehr schön. Und das ist hier natürlich der Fall. Und Wiederholung auch als lebensstabilisierendes Material.

Also Rituale, könnte man auch sagen, die wir ständig haben und zum Überleben brauchen. Es ist auch ein bisschen rätselhaft, wie Wiederholung, dieses Motiv der Wiederholung mit der Geschichte selbst zu tun hat. Oder auch, als sie beispielsweise das Verhältnis zu ihrer Mutter beschreibt, dann steht da, die will ja auch die ganze Zeit die Mutter irgendwie...

klagt sie ja auch Liebe ein, indem sie sie kontrolliert. Und dann schreibt die Tochter, ich war nicht fähig, jemanden zu trösten, der mir vorwarf, schuld an seinen Leiden zu sein. Das ist toll. Das ist psychologisch raffiniert. Sie hat eh

überhaupt einen starken Sinn für Psychologie auch in diesem Buch. Und das, finde ich, ist sehr gelungen. Oder sie läuft mit Mitschülern durch die Gegend, durch die Stadt und ist diejenige, die total bedrückt und angstvoll ist. Weil die Mutter weiß nicht genau, wo sie ist. Naja, wird sie Ärger bekommen vielleicht und ist wahnsinnig ernst, als die unterwegs sind und Party machen. Und das färbt auf alle ab. Diese gesamte kleine Gesellschaft wird dann auch irgendwie so ein bisschen bedrückt.

Und dann steht da so ganz lapidar, wer am stärksten fühlt, steckt die anderen an. Was ja stimmt, was wir ja kennen. Wer das stärkste Gefühl hat in einer Runde von fünf, sechs Leuten oder sowas, der kann die vollständig dominieren. Einfach dadurch, dass er Vergiftung hineinbringt durch irgendwie etwas Bösartiges oder Euphorie. Das kann auch sozusagen eine starke Ansteckungskraft und

Das sind so diese Momente, wo man sofort irgendwie was sich unterstreichen will. Und das macht es so lesenswert, finde ich. Ja, aber auch dieses Bohrende. Das hat, muss ich wirklich gestehen, in den ersten beiden Büchern habe ich das noch nicht so ganz verstanden. Da hatte ich so das Gefühl, sie tritt auf der Stelle immer wieder. Mutter, warum willst du mit mir nicht reden? Schwester, warum verstehst du mich nicht? Warum glaubt ihr dem Vater? Aber irgendwann, wenn...

Buch für Buch, das ist eben auch das Prinzip der Wiederholung, merkt man, nein, dieses Bohren und nicht Loslassen, dieses Bohren in den Traumata einer Familie, in den verschütteten Erinnerungen in einem selbst, dieses Bohren hat einen unglaublichen Sog und eine eigene Kraft. Und man merkt auch, es ist eben auch bodenlos, weil man weiß nicht, welche Wahrheit am

Grunde dieses Brunnens ist. Es gibt eben nur Wahrheiten und nie...

die eine Wahrheit und dass sie aber nicht aufhört, das ist etwas, was mir erst, indem ich mehrere Bücher von ihr gelesen habe, richtig klar geworden ist, dass sie richtig obsessiv ist. Sie lässt nicht los, sie lässt diesen Knochen der Familie und der Schmerzen, die man sich in so einer Durchschnittsfamilie offenbar angetan hat, sie lässt es nicht los und sie schafft es eben immer wieder, dem ganz existenzielle Momente abzugewinnen.

Ja, stimmt. Es gibt eine interessante Passage, die man je nach Stimmung verräterisch oder einfach nur erkenntnisreich finden kann. Da trifft sie ihre Norwegischlehrer.

auf der Straße und die sagt dann, ach, was ich von dir gelesen habe jetzt an Schularbeiten, du hast ein großes Talent, ein zellerisches Talent, literarisches Talent und so. Und dann sagt sie, dass sie da durch das Schreiben gemerkt hat, schon in diesen Jahren, dass, ich zitiere sie, dass das, was wir erdichten, von größerer Bedeutung sein kann als das, was wahr ist.

dass es wahrer sein kann. Sogar das, was wir erdichten, kann wahrer sein als das, was wirklich passiert ist.

Kommt drauf an, wie es gemeint ist, würde ich sagen. Ob man das für plausibel hält oder nicht. Ja, so wie die Liebesnacht, die sie ja eigentlich verschönert und im Grunde erst im Tagebuch erfunden hat. Dann aber diese, das war ja der Augenblick, wo die vermeintlichen Lebenslügen dieser Familie aufsprangen. Erst durch die erfundene Geschichte. Ja. Fing der Vater an zu explodieren und erahnte sie plötzlich, dass... Ja, ja, aber es kann sich auch beziehen auf das...

wo wir nicht wissen, ob es stattgefunden hat oder nicht. Das weiß man nicht. Und in dieser Schwebe, und das ist natürlich für das Buch sehr angenehm, lässt sie uns für ihre Familie, das haben wir eben schon gehört, ist das, glaube ich, eine harte Probe, diese Bücher lesen zu müssen. Ich bin Shedda Saad.

In Tausend und eine Nacht erzähle ich euch in jeder Folge eine andere Geschichte. Damit der König mich im Leben lässt, muss jede Geschichte spannender sein als die davor. Wir treffen auf Genies, auf Kaufmänner, Fischer, aber vor allem geht es um die kämpferischen Frauen. Es geht um Liebe, Abenteuer, Verführung, Angst, es geht um Tausend und eine Nacht, der Hörspiel-Podcast. Am besten in der kostenlosen Deutschlandfunk-App.

Ja, wir kommen jetzt zu unserem Klassiker. Und das passt, fällt mir gerade auf, ganz interessant. Passt es doch irgendwie zum letzten Buch, was wir hatten, weil es ja auch sehr viel um Psychologie gibt. Es gab eine ganz interessante Veröffentlichung in einer kleinen Zeitschrift, aber bedeutenden Zeitschrift natürlich, Sinn und Form. Und zwar wurde jetzt zum ersten Mal veröffentlicht der Briefwechsel zwischen...

Freud und Rainer Maria Rilke, zwei bedeutende, könnte man wirklich, eine der bedeutendsten Figuren der deutschen Geistesgeschichte, die hier der

der deutschsprachigen Geistesgeschichten, die hier aufeinandertreffen. Und wusste gar nicht, dass es den gibt. Er hat auch, muss man fairerweise sagen, nicht so viele Seiten. Aber es hat mich trotzdem fasziniert, weil ich gar nicht wusste, dass die aufeinander getroffen sind und sich auch geschrieben haben. Also Rilke kennt vielleicht ja jeder oder fast jeder 1875 bis 1926 gelebt Geistesgeschichte.

Wir kennen die Dioneser Elegien, die Sonette an Aufholz, dann diesen ersten modernen deutschsprachigen Roman, die Aufzeichnungen des Maute-Lauritz-Brügge. Und es gibt, ich finde Bayrilke immer so interessant, das kenne ich eigentlich schon seit meinen ersten Schultagen, dass es irgendwie Gedichte gibt oder auch Redewendungen oder Begriffe,

die bis heute im allgemeinen Gebrauch, könnte man fast sagen, sind. Das gibt es fast überhaupt nicht. Also beispielsweise in seinem Gedicht Herbsttag, wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Das kennt man. Oder auch dieses Panther-Gedicht, das mochte ich immer gerne und lese es immer noch, obwohl es so verbraucht ist, finde ich es einfach ungeheuer hübsch. Sein Blick ist vom Vorübergehen der Stäbe so müde geworden.

dass er nichts mehr hält und so weiter und so fort. Hinter tausend Stäben keine Welt. Ja, nein, aber es ist herrlich. Es ist herrlich. Und ich hatte mich jetzt ein bisschen auch mit Rilke beschäftigen können, weil es eine

Es gibt zwei Biografien. Eine kenne ich von Sandra Richter, die das Deutsche Literaturarchiv in Marbach leitet. Die habe ich gelesen und da ist mir ein sehr schönes Buch, das man nur empfehlen kann. Und da gibt es auch ein eigenes Kapitel, das Rilke sich überlegt hat,

oder zumindest es im Raum stand, dass er doch, weil er so viele Probleme hatte, er war ein sehr unausgeglichener Mensch. Gut, das ist in dem Metier auch keine extra große Sonderlichkeit. Kein Wunder. Aber er überlegte sich, ob er nicht eine Psychotherapie machen soll, eine Psychoanalyse. Und das hat er schließlich nicht gemacht. Iris, du kennst dich auch mit Rilke sehr gut aus. Ja, selbstverständlich, er hat das nicht gemacht.

Also er hat aber damit geliebäugelt, das ist völlig klar. Und er kannte auch nicht nur Freud, sondern er hatte ja eine sehr, sehr wichtige Freundin, Luandaya Salome.

die sich bei Freud zur Analytikerin hat ausbilden lassen, die mit Freud sehr gut bekannt war, die sicherlich auch Rilke immer wieder die Schriften von Freud empfohlen hat. Also er war schon, und das war auch durchaus bekannt, dass er sich damit auseinandergesetzt hat. Es gibt ja den Briefwechsel zwischen Rainer Maria Rilke und Luandrea Salome, in dem es immer wieder darum geht,

Also wo er ihr seine ganzen Symptome, seine Unsicherheiten, seine Krisen und sie ihn immer wieder und durchaus auch aus psychoanalytischer Perspektive Rat gibt und ihn beruhigt und ihm eigentlich nie wirklich zur Psychoanalyse rät. Sie ist dann auch sehr skeptisch, was das jetzt für ihn angeht.

Aber ihm trotzdem, manchmal hatte ich so das Gefühl, ich kenne diesen Briefwechsel. Das ist fast so ein bisschen so ein Arzt-Patienten-Gespräch, weil sie ihm immer wieder aus ihrer ganzen Kenntnis der Psychoanalyse heraus helfen will und ihm ein bisschen aus seinen Verstrickungen heraus. Sie ist ja auch so seine mütterliche Freundin, war auch älter.

Also gut, dieser Briefwechsel, ja, das sind drei Briefe. Die kommen aus dem Februar 1916, also mitten im Ersten Weltkrieg.

Im Dezember 1915, das wusste man oder weiß man, war Rilke einmal bei den Freuds zu Gast. Er hat ihn schon mal vorher kennengelernt. Er war auch mal auf so einem Psychoanalytiker-Kongress, schon 1913, zusammen mit seiner Freundin. Da hat er Freud das erste Mal gesehen. Dann hat er ihn 1915 besucht. Und nun schreibt Freud in dem Brief, Mensch, wollen Sie denn nicht mal wiederkommen? Mein Sohn möchte Sie auch so gerne kennenlernen. Und Sie sind doch gerade...

In Wien, das wusste er, also Rilke ist eben, wie man das so sagt, mobilisiert worden, also er ist eingezogen worden und musste aber nach einer Grundausbildung nicht an die Front, sondern kam in ein Kriegsarchiv zusammen mit vielen anderen altösterreichischen Berühmtheiten. Also Stefan Zweig, also da möchte man wirklich gerne Mäuschen gewesen sein in diesem Kriegsarchiv, wo die alle saßen.

Und irgendwie Presseartikel redigierten. Oder Rilke konnte nicht mal das. Rilke hat nur liniert. Der hat Linien gezogen auf Blätter, damit sie dann beschrieben werden konnten. Das war sein Beitrag zum Ersten Weltkrieg. Aber es ging ihm lausig. Es ging ihm ganz schlecht. Und das schreibt er dann auch in seinem Antwortbrief. Er sagt, er könne jetzt eben wunderbar die Einladung, aber leider könne er nicht kommen. Dieses Fremde, nennt er das, und seine Ansprüche, die seien so unfasslich,

Er sei ganz starr geworden und er könne also unmöglich jetzt...

da zu Besuch kommen, viel zu viel Schutt läge über seinem Gemüt. Und da könne er sich jetzt auch nicht helfen lassen. Er müsse die Sache jetzt alleine durchmachen. Also Freud, der sich ihm ja vielleicht da auch so ein bisschen angeboten hat als Gesprächspartner und dann auch im Antwortbrief viel Verständnis zeigt, er will sich jetzt doch nicht ihm da anvertrauen, um jetzt über diese Krise hinwegzukommen. Ja, das ist interessant. Nicht ein

Ja, er sagt ja, spricht ja auch davon, vielleicht wollen sie sich durch ein bisschen Plauderei erleichtern. Aber offensichtlich ist es so, dass Rilke auf Distanz geht, schließlich zu Freud. Das ist interessant. Es gibt dann, ist überliefert, es gibt auch in dem Band einen schönen Essay zu diesem Briefwechsel. Und da habe ich gelesen, das fand ich ganz interessant, dass es,

dass Freud später nochmal darauf zurückgekommen ist in einem Brief und sagt, naja, er hat uns zu verstehen gegeben oder mir zu verstehen gegeben, dass kein ewiger Bund mit ihm zu flechten ist. So herzlich er bei seinem ersten Besuch war, es ist nicht gelungen, ihn zu einem zweiten zu bewegen, schreibt er und

Das Tolle ist ja, dass das Ganze ein Zitat ist, ja, kein ewiger Bund mit ihm zu flechten, ist ein Zitat aus Schillers Lied von der Glocke, ja, sehr berühmt ist und da heißt es und das ist ganz hintersinnig, ja.

Also er deutet an... Freud deutet das an. Freud deutet an, dass...

Ja, er wollte sich halt eben nicht helfen lassen. Jetzt schauen wir mal, was er davon hat. Ja, stimmt. Ein bisschen so. Obwohl er in seinem Antwortbrief an Rilke dann erstmal ganz verständnisvoll ist. Ja, für mich ist der Krieg auch ein Ungeheuer, aber er

Er ist nicht so alarmistisch, wie Rilke in der Tat auch war. Er sagt, ja, ich bin doch ein Pessimist ohne Verbitterung. Freud gibt sich so ein bisschen juvial, so ein bisschen väterlich. Na ja, also junger Mann, so schlimm wird es doch nicht sein. Und er gibt ihm dann sogar einen richtigen therapeutischen Ratschlag. Also er, eigentlich nimmt Freud die Rolle als möglicher Seelsorger an und sagt, ja, vielleicht...

Halten Sie Ihr Binnenleben, das sagt jetzt Freud zu Rilke, zu streng von der Außenwelt abgesperrt. Ja. Also das ist ja schon eine Fernanalyse, die er da versucht. Und nun will Ihnen die Flut der Überschwemmung über die Mauern steigen. Also eigentlich schon eine sehr freudsche Vorstellung, dass da Mauernsteine,

Unbedingt. Und dass da etwas drängt, was die Mauer überspülen will. Im Grunde hat er da ein bisschen Rilke schon in sein psychoanalytisches Programm eingespeist.

Aber das stimmt, da hat eben auch dieses sehr schöne Nachwort von Ulrich von Bülow wirklich recht. Rilke hat sich verweigert. Rilke hat im Grunde dieses, ja, wenn es ein Ansatz zu einer, ein Therapieangebot von Freud war, hat er es zurückgewiesen. Das kann man nicht anders sagen. Und er hatte dann auch später in seinem Briefwechsel mit Luandrea Salome immer wieder gesagt, nee,

Das ist für mich ein zu großes Aufgeräumtwerden. Ich will mich nicht so aufräumen lassen. Naja, er spricht, glaube ich, sogar ganz, er möchte keine desinfizierte Seele. Das ist der Begriff, keine desinfizierte Seele. Das finde ich natürlich einen tollen Aussatz. Oder das große Aufgeräumtwerden.

Dafür spricht er auch. Weil seine Vorstellung war, das kann er schon machen. Er kann sich so aufräumen oder desinfizieren lassen von allen Schwierigkeiten. Aber dann müsse er seinen Beruf an den Nagel hängen. Dann könne er ja vielleicht noch Arzt werden oder einen anderen bürgerlichen Beruf ergreifen. Wenn er Dichter, so wie er Dichtung verstanden hat, wenn er das betreiben will ...

dann kann er sich diese sogenannten Teufel nicht austreiben lassen. So schreibt er an seine Freundin. Weil wenn er sich die Teufel austreiben lässt, gehen darüber vielleicht auch die Engel flöten. Dann werden vielleicht auch die Engel ausgetrieben. Und die Engel braucht er natürlich für seine große Dichtung. Also die Vorstellung ...

dass man neurosefrei und beschwerdefrei und krisenfrei, was natürlich unter uns gesagt, glaube ich, gar nicht wirklich das Programm der Psychoanalyse ist. Das ist vielleicht auch so ein bisschen...

die Feld- und Wiesenvorstellung, dass die Bürger da aufgeräumt und hell gemacht werden sollen. Ja, helfen soll es einem schon. Helfen soll es einem schon, ja. Aber so hat er es sich eben vorgestellt. Er meinte, das ist ja in der Tat auch so, dass vor allen Dingen in seinem großen Roman Malte-Lauretz-Bricke auch sehr viel von seelischen Ängsten, von bedrohlichen Wahrnehmungen die Rede ist, von Idiosynkrasien, Griechenlust,

die man natürlich unter psychoanalytischer Lesart vielleicht für bedenklich halten kann, die für ihn aber wichtig sind, um sein dichterisches Bild, um seine dichterische Weltdeutung überhaupt so zum Ausdruck bringen zu können. Also ein völlig angstfreier und munterer Mensch hätte eben diesen wahnsinnig modernen Großstadtroman wie Malte Lauritz-Bricke so niemals schreiben können. Ja, genau.

Schön, was lernen wir daraus? Die Dämonen immer schön lebendig halten. Und ich denke, das war's für heute. In zwei Wochen werden Sie Maya Beckers und Alexander Kammern mit neuen Sachbüchern beglücken. Und wir sind erst wieder in vier Wochen dran, dann aber auch mit schon ganz viel Vorfreude. Danke. Tschüss. Was liest du gerade?

Ein Podcast von Zeit und Zeit Online. Produziert von Polartis.