We're sunsetting PodQuest on 2025-07-28. Thank you for your support!
Export Podcast Subscriptions
cover of episode Droht uns ein neues 1933?

Droht uns ein neues 1933?

2024/12/28
logo of podcast Was liest du gerade?

Was liest du gerade?

AI Chapters Transcript
Chapters
Nora Bossong, eine preisgekrönte deutsche Schriftstellerin, spricht über ihre literarischen Werke und ihren Zugang zu Sachbüchern. Sie teilt, wie ihre Recherchen und persönliche Interessen ihre Arbeit in verschiedenen literarischen Genres beeinflussen.
  • Nora Bossong ist eine bedeutende deutsche Autorin, 1982 in Bremen geboren.
  • Sie hat sowohl Romane als auch Sachbücher geschrieben, darunter 'Schutzzone' und 'Rotlicht'.
  • Bossong ist bekannt für ihre tiefgründige Recherche und ihre literarischen Beiträge zu tagespolitischen Themen.
  • Sie beschreibt, wie Lyrik und Sachbücher während intensiver Schreibphasen eine wichtige Inspirationsquelle für sie sind.

Shownotes Transcript

Was liest du gerade? Ein Podcast über Bücher und was sie über die Welt erzählen. Herzlich willkommen, liebe Hörerinnen und Hörer, beim Zeitbücher-Podcast Was liest du gerade? von Zeit und Zeit Online. Zu dieser Folge zwischen den Jahren, zwischen Weihnachtsexzessen und vielleicht einer Zeit,

Silvesterparty. Es ist eine besondere Folge. Mein Co-Host Meier-Beckers ist in Elternzeit und deswegen lade ich mir wie die letzten Mal einen Gast in diese Folge ein. Ich freue mich sehr, hier begrüßen zu können, Nora Bosson, die Schriftstellerin und Autorin. Hallo, guten Tag. Schön, dass du da bist.

Ja, es ist ein Experiment, weil Nora ist Schriftstellerin und mich hat interessiert, was Schriftsteller eigentlich auch zu Sachbüchern zu sagen haben. Haben sie überhaupt was zu Sachbüchern zu sagen? Ja, das werden wir herausfinden. Das werden wir ein bisschen herausfinden in dieser eine Stunde. Nora ist 1982 in Bremen geboren, eine der wichtigsten Autorinnen dieses Landes. Zahllose Preise hat sie bekommen, den Breitbachpreis, den Thomas Mannpreis. Sie ist Dichterin, Romanautorin und allerdings auch Sachbuchautorin. Da kommen wir noch später dazu. Vielleicht ist das eine interessante Sache.

was das miteinander zu tun hat. 2019 erschien ihr Roman »Schutzzone«, in dem sie sich auf die Spuren einer UN-Diplomatin in Afrika begeben hat. 2015 vielleicht auch bekannt das Buch »36,9 Grad« auf den Spuren des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci, beziehungsweise auch eines Gramsci-Forschers. Und dieses Jahr ist ihr Roman »Reichskanzlerplatz« erschienen, ein Roman auf den Spuren.

von Magda Göbbels, beziehungsweise ihrem Umfeld. Es ist ein veritabler Bestseller geworden, 40.000 Exemplare bislang verkauft, eine große Sache. Auch da gibt es heute bei dem Podcast einige Verbindungen, vielleicht zu einem anderen Buch, aber auch dazu später nochmal. Und Nora hat Sachbücher geschrieben. Zwei davon nenne ich Rotlicht, eine Reportage aus dem Jahr 2017,

wo sie sich ein bisschen auf die Suche nach dem Sex in Deutschland begeben hat, wie die Lage eigentlich momentan eigentlich da so aussah. Jedenfalls 2017, vielleicht wäre das heute auch wieder ein anderes Buch und ein anderer Stoff.

Und dann 2022 die geschmeidigen Meine Generation und der neue Ernst in Deutschland. Tatsächlich kurz vor dem russischen Überfall auf die Ukraine erschienen. Sogar exakt an dem Tag. Exakt an dem Tag, ja. Wahnsinn. Also tatsächlich ein neuer Ernstfall für die Generation. Nur an dich mal die Frage. Du schreibst Literatur, du dichtest und dann eben ab und an auch Sachbücher.

Wie kam es dazu? Hattest du mal Lust, sowas auszuprobieren? Du schreibst ja oft Essays, bist überall in den Medien, überall präsent, hast tatsächlich auch viele tagespolitische Interventionen gemacht. War da mal die Lust, so auszuprobieren, ich habe da auch was zu sagen, ich will ein Sachbuch schreiben? Ich gehe immer Themen nach, die mir nicht aus dem Kopf gehen und die Themen geben mir eigentlich das Genre vor.

Über das Rotlichtmilieu hätte mich persönlich kein Roman interessiert, zumindest nicht zu schreiben. Zu lesen ist nochmal eine andere Frage, aber da bin ich auch sehr vorsichtig, weil das Rotlichtmilieu wird sehr verklärt. Es wird vor allem immer von unserer Wirklichkeit weggeschoben. Dabei ist es natürlich mitten unter uns. Also die Zahl derer, die auf den Straßenstrich gehen oder zu Prostituierten gehen,

ist groß und geht durch alle Milieus durch. Das heißt, diese Fiktionalisierung ist auch immer so ein Schutzmechanismus, dass wir nicht wahrhaben wollen, dass es eigentlich sehr viele von uns betrifft, sei es, weil wir selbst hingehen oder sei es, weil wir auf diese Art betrogen werden, weil es der Deal ist, wie eine Ehe zusammengehalten wird, wie auch immer. Also das ist...

Deswegen war mir schon wichtig, dass es ein Sachbuch ist. Das heißt, dass ich hier sagen kann, so ist es. Und es ist jetzt keine Fiktion, die ich mir ausdenke oder wo ich es nur in diesem Milieu spielen lasse. Und wäre es nach dem Schreiben eines solchen Sachbuchs, kommt dann die Idee dabei oder währenddessen, ha, vielleicht muss ich an der Stelle doch mal ausprobieren, es fiktional zu machen?

Könntest du heute darüber einen Roman schreiben? Nee, aus genau den Gründen, weil die Gründe haben sich ja nicht verändert. Für dieses Thema würde ich tatsächlich ein fiktionales Buch eher schwierig finden. Bei den Geschmeidigen, das ist ja ein Porträt über Menschen ungefähr in meinem Alter, die in Führungspositionen sind, insbesondere Politiker, Politikerinnen von Baerbock über Lindner bis zu Lars Klingbeil.

Ich glaube nicht, dass ich Lars Klingbeil als eine Romanfigur schreiben möchte. Oh, bitte. Das ist ja so. Liebe Hörerinnen und Hörer, ich erwarte jetzt ganz viel Post, dass Noah bitte ein Lars Klingbeil-Roman schreiben soll. Ja, interessant. Wie ist es selber umgekehrt bei deinen Lektüren? Also gibt es da Phasen, sagen wir mal so, wenn du an einem Gedichtband sitzt, no way, keine Sachbücher? Oder gibt es diese simple Dogmatik, wie man sich das so von außen vorstellt? Also...

Liest du immer gerne Sachbücher oder im ICE vorzugsweise Lyrik oder vorzugsweise ein aktuelles politisches Buch? Ich kann sagen, morgens vorzugsweise wenigstens ein Gedicht. Das ist ja dann auch schnell gelesen, das kriegt man immer überall noch unter. Je nachdem, woran ich gerade arbeite. Aber Sachbücher sind natürlich für mich schon wichtig, weil die meisten meiner Bücher viel mit Recherche zu tun haben. Das heißt, ich muss mich in einen Kontext, in eine Zeit, in ein Thema hineinarbeiten, hineindenken und da helfen Sachen.

aus der Zeit, Romane über diese Zeit, aber es helfen natürlich auch Sachbücher, Essays. Ich glaube, dass Romane tatsächlich auch ein bisschen...

fast stören, wenn man intensiv selbst an einem Roman arbeitet. Sachbücher kann man dann eher nochmal dazu lesen, aber man ist so sehr in der eigenen Sprache, in der eigenen Geschichte drin, dass so ein Roman, der dann gar nichts damit zu tun hat oder sprachlich ganz anders funktioniert, so ein bisschen querschießt. Und das heißt, in einer intensiven Arbeitsphase kann ich sowohl Gedichte wie Sachbücher lesen, Romane eher dann in den Phasen dazwischen. Verstehe. Und gibt es so etwas, wenn...

Jeder wird ja immer gefragt, was ist der Roman deines Lebens, was ist der Roman, den du auf die einsame Insel mitnehmen würdest. Gibt es so etwas im Falle eines Sachbuchs bei dir, wo du sagen würdest, das würdest du mitnehmen auf die einsame Insel oder das hat dich besonders stark geprägt oder nachhaltig?

Ja, ich bin ja immer pragmatisch. Auf die einsame Insel würde ich auf jeden Fall dicke Bücher mitnehmen. Gilt die Bibel als Sachbuch wahrscheinlich nicht. Es sind auch Sachtexte drin, also juristische Verordnung, aber es ist wahrscheinlich nicht durchgehend als Sachbuch durchzuwinken.

ein Sachbuch, das mein Leben verändert hat. Der Fall zwischen Offenbarung und Fiction. Sehr gute Trennungselektüre. Thomas von Aquin, Gesammelte Werke. Ist das ein Sachbuch? Ja, natürlich. Dann habe ich ein paar Tage was zu tun, bis ich dann von einem Schiff aufgewiesen werde. Einer der größten Denker des Mittelalters. Doch, doch, das ist der, der links auch noch sehr schön geschrieben hat. Also insofern

Auf alle Fälle. Und dieses Jahr, wie war dieses Jahr für dich, sachbuchmäßig? Hat es da etwas, wo du sagst, wow? Ja, scholastisch, würde ich sagen. Johannes Duns Scotto ist Thomas von Aquin, auch davor, also Kirchenväter Augustinus, der natürlich noch davor liegt. Ja.

Ich habe tatsächlich dieses Jahr es geschafft, die Bibel komplett zu lesen. Das war so eine Sache neben der Suche nach der verlorenen Zeit, was ich mal in meinem Leben durchgelesen haben will. Bei der Suche nach der verlorenen Zeit bin ich noch auf Seite 2200, da habe ich noch ein bisschen was gelesen.

Und ich finde, wenn man die Bibel einmal ganz gelesen hat, hat man so ein bisschen sein Pensum für ein Jahr geschafft. Ich habe noch nebenher andere Sachen gelesen, aber tatsächlich recht Theologie orientiert. Interessante Phase, würde ich sagen, kommen wir vielleicht auch noch drauf. Aber die Bibel so komplett gelesen, das habe ich auch noch nicht geschafft. Hast du es richtig annotiert? Also kann man sich doch freuen, dass man mal irgendwann Notizen...

Daneben so, wie völliger Unsinn, was macht ihr hier? Ungefähr in dem Stil. Ich habe die Jerusalemer Bibel, also ich habe fünf Bibeln zu Hause, wenn man die Notizen haben will, dann in der Jerusalemer Ausgabe. Die ist mittlerweile auch so zerfleddert, dass man wirklich von außen sieht, dass ich da drin gearbeitet habe.

Wunderbar. Sie sehen, liebe Hörerinnen und Hörer, wir sind schon mittendrin in so einer Jahresendmystik, weihnachtlich, wie auch immer. Es geht religiös zu und sehr gläubig. Wir freuen uns jedenfalls toll, dass du hier bist und toll, dass du dich auf dieses Leseabenteuer mit vier Büchern eingelassen hast. Werbung.

Wo soll's denn hingehen? Vielleicht zu Zielen, die sich langfristig auszahlen? Mit der Allianz Lebensversicherung habt ihr einen Partner an eurer Seite, der große Ziele verfolgt. Denn die Allianz investiert einen Großteil der Beiträge in ein Kapitalanlageportfolio, das sich unter anderem durch drei Dinge auszeichnet. Stabilität, Renditechancen und Zukunftsfähigkeit. Informier dich jetzt auf allianz.de slash deinweg.

Drei Bücher sind es diesmal. Jens Biski, Die Entscheidung, Deutschland 1929 bis 1934, erschienen im Rowold Berlin Verlag. So, dann sprechen wir über Laszlo Feudeni.

Der lange Schatten der Guillotine, Lebensbilder aus dem Paris des 19. Jahrhunderts, erschienen bei Matheson Seitz. Und der Klassiker stammt diesmal von Agnes Heller, der ungarischen Philosophin, und heißt Von der Utopie zur Dystopie. Beginnen wollen wir aber, wie jedes Mal, mit dem ersten Satz. Der stammt diesmal von Tobias Haber und aus seinem Buch Unter Heiden, warum ich trotzdem Christ bleibe, erschienen bei BTB. Musik

Der erste Satz. Denn eines ist offensichtlich. Der Mensch, der von Gott nichts mehr wissen will, findet nicht, was er sucht. Die große Freiheit stellt sich nicht ein. Stattdessen neue Zwänge, neue Ängste, neue Süchte. Ablenkung statt Trost, kurzfristige Befriedigung statt dauerhafter Erlösung. Ja, wir bleiben also, glaube ich, Nora. Warum dieses Buch?

Es ist natürlich ein Buch, was mich auch ganz persönlich anspricht, weil ich auch zu den Menschen gehöre, die noch nicht aus der katholischen Kirche ausgetreten sind und mich damit ebenso wie Tobias Haber in einer Minderheit fühle. Ob das dann wirklich eine gefühlte Minderheit ist, global gesehen wächst die Kirche ja weiterhin.

Vielleicht zu Tobias Haberl, er ist SZ-Journalist für das SZ-Magazin, schreibt er seit vielen Jahren. 1975 im Bayerischen Wald geboren, Literaturwissenschaftler und jemand, der sich schon seit Jahren immer wieder mit Fragen der Religion beschäftigt. Mhm.

Man erinnert eine Reportage, ein Porträt über Navid Kermani, was er mal geschrieben hat, wo auch Fragen des Glaubens eine Rolle spielten. Im Buch selbst ist zum Beispiel auch jemand wie Martin Mosebach natürlich eine Person, ein Schriftsteller, der sich immer wieder mit Glaubensfragen auseinandersetzte. Das Buch hat mich deswegen sehr interessiert, weil es genau diese Verwunderung formuliert hat.

Von einer durchaus katholisch geprägten Kindheit und Jugend ausgehend findet sich Tobias Haberl jetzt in einem Umfeld, wie dem er als noch gläubiger Katholik oder überhaupt gläubiger Christ sehr in der Minderheit ist und wo er immer wieder mit Verwunderung, Ablehnung konfrontiert ist. Ein Satz, den ich sehr bezeichnend finde.

Die Menschen fliehen nicht vor Gott, er ist ihnen gleichgültig geworden. Ich finde, das fasst sehr gut zusammen, diese Verwundung, dieses Unbehagen, was Tobias Haberl da findet. Denn es ist nicht mehr einfach nur die Ablehnung. Wenn etwas gleichgültig geworden ist, ist es ja noch eine größere, eine Steigerung dessen. Wenn man sich noch an etwas abarbeitet, dann bedeutet es einem noch was. Ja, er schildert in dem Buch ja auch diese ganze, seine eigene Genese. Er würde sich jetzt gar nicht als...

Supergläubigen bezeichnen oder auch sehr exzellent. Er sagt ja immer wieder, bei vielen Sachen kennt er sich auch nicht so aus. Er ist ein ganz normaler Gläubiger, der tatsächlich aber in seiner jetzigen Lebensphase das Neue entdeckt, Intensive entdeckt und sich stärker damit beschäftigt. Und zwar, wie du sagst, gegen einen Trend, den er in unseren urbanen Milieus oder in München in seinen Kreisen erlebt, immer wieder auf Unverständnis die Beobachtung

Ja, gehen wir jetzt nochmal zur Messe oder so gemeinsam oder wie auch immer. Das gibt es da in Seilenkreisen eher nicht so. Ich finde es ja ganz interessant, du hast eben auch da für dich tatsächlich diese katholische Nähe. Ich selber bin Protestant. Ich kann das auch tatsächlich interessanterweise nachvollziehen, denn in meinem

Im Gesprächsumfeld geht es ja auch nicht andauernd darum zu sagen, wie hältst du es mit dem Glauben, wie sieht es aus. Das macht man mal, auch intensiv dann auch jeweils, aber es ist nicht in dieser Alltäglichkeit, die ja für viele, viele Generationen vor uns tatsächlich noch der Fall war. In dem Zitat, was wir gehört haben, sagt er allerdings dann eben auch, dass in dieser Entchristlichung eben tatsächlich keine

man da eben nicht unbedingt eine Hoffnung über eine neue Freiheit suchen, darauf hoffen sollte, dass man das dort findet. Und deswegen hat er das sehr knackig eigentlich so formuliert. Ich glaube, es ist auch mehr als wirklich nur eine Abkehr vom Christentum, weil er sehr offen auch auf andere Religionen blickt, auch absolut nachvollziehen kann, warum man etwa angesichts von Missbrauchsfällen aus der Kirche austritt, sich einfach von dieser Institution abwendet.

Die Frage, die aber dahinter liegt, ist, wie kommt der Mensch eigentlich ohne metaphysische Fragen aus? Ich glaube, das ist eigentlich, was ihn umtreibt. Was sind wir, wenn wir wirklich nur noch aufs Hier und Jetzt zurückgeworfen werden? Und in dem Zitat haben wir gehört, dass Tobias Haberl zumindest zu dem Schluss kommt, es ist keine absolut befreite Welt. Wir werden von neuen Zwängen und

und Hamsterrädern wieder gefangen genommen. Es ist nicht das Freireißen von den Fesseln

... der dogmatischen Religion. Sondern es ist eine gewisse Lehre, die zurückbleibt. Und es sind einfach Fragen, die nicht mehr beantwortet werden, sondern die auch gar nicht mehr gestellt werden. Und ich glaube, das ist für mich wirklich das, was er versucht, was er erst mal staunend beobachtet, was er auch nicht, was er wirklich nicht wirklich versteht, also nicht verstehen kann.

Er versucht es immer wieder, aber eigentlich blickt er auf Menschen, die darauf gar nicht mehr ihren Blick richten, mit einem gewissen Bedauern. Also überhaupt nicht mit einer Bösartigkeit. In diesem Buch ist nichts bösartig oder auch nur beleidigt, aber mit so einem...

Mensch, es tut mir so leid, dass du diese Hoffnung nicht hast. Und er ist natürlich im Hier und Jetzt völlig angesiedelt, Tobias Haberl. Das ist ein Mensch von heute und von uns. Das ist jetzt nicht irgendwie ein Missionar im klassischen Sinne. Nein, das ist keine Missionar, sondern er ist tatsächlich auf einer Suche, die mir auch deswegen sehr gefallen hat, weil er so die klassischen Reportagetugenden verbindet tatsächlich mit so einer ästhetischen Form. Also wie man es vielleicht aus amerikanischen

Büchern oder Essays kennt. Also sehr persönlich, er schildert Gottesdienstbesuche, Messebesuche, Empfindungen dabei, eben aber auch Interviews, Gesprächsrunden, wichtige Denker, die er gelesen hat oder die er getroffen hat. Und auch ein Klosteraufenthalt ist dabei. Dann beschäftigt er sich mit der alten Messe, mit dem Ritus, was daran für Katholiken wichtig ist. Ich gucke mir das natürlich aus einer evangelischen Sicht an, aber kann da auch tatsächlich dieses, sagen wir mal, diese

Kampf gegen die transzendentale Obdachlosigkeit kann ich da jedenfalls sehr gut entdecken. Und das hat mir eigentlich in dieser Mischform als Buch, glaube ich, sehr gefallen. Kommen wir zum ersten Buch. Jens Biski, die Entscheidung. Deutschland 1929 bis 1934. Ein historisches Buch. Brand aktuell. Beschäftigt sich doch mit dem Untergang der Weimarer Republik.

Inzbiski ist 1966 in Leipzig geboren, langjähriger Föhrtung Redakteur der Süddeutschen Zeitung. Heute arbeitet er am Hamburger Institut für Sozialforschung.

Er ist zuständig für die Zeitschrift Mittelweg und das Online-Forum Soziopolis. Er hat viele Bücher geschrieben, eine Kleist-Biografie dabei. Dann 2019 ein wahnsinnig dickes Buch, Berlin, Biografie einer großen Stadt. Empfehlen kann ich eben die Autobiografie von ihm. Das hat er nämlich auch schon vorgelegt. Ganz früh 2004, geboren am 13. August. Und jetzt also ein wichtiges Buch dieses Jahres, so kann man schon sagen.

Mich hat es ein bisschen überrascht, dass der Literaturwissenschaftler Biski jetzt noch stärker in die Historie einsteigt und ein richtiges Geschichtsbuch schreibt. Noch dazu ist Weimar ein wahnsinnig gut erforschtes historisches Kapitel. Es gibt ganz viele Bücher darüber. Sein Kollege Harald Jena hat ein preisgekröntes Buch geschrieben, Höhenrausch, vor ein paar Jahren. Oder in diesem Jahr gab es auch von Volker Ullrich ein Buch, Schicksalsstunden einer Demokratie.

Aber alle reden ja heute wieder davon, das haben wir wieder ein Jahr 1933 bevorstehen, wie gehen Demokratien unter? Das scheint eben also tatsächlich ein wichtiges Thema zu sein, dass er eben auf

über 600 Seiten behandelt hat jetzt. Und zwar alles sehr detailliert. Reichstagssitzungen, Demonstrationen, politische Kämpfe, Proteste, der ganze soziale Niedergang der Ende der 20er Jahre, Anfang der 30er Jahre, die Weimarer Republik, die junge Demokratie erschüttert hat. Das davon erzählt er die ganze Zeit. Und sein Antrieb ist tatsächlich der, weshalb wir es auch so ein bisschen jetzt hier in die Sendung genommen haben, denn die Grundsatzfrage ist, kann man heute wieder

Reden von weimarischen Verhältnissen, wie stark kann man das vergleichen? Er selber sagt, solche Vergleiche sind oft frivol, wenn sie denn nicht sehr speziell und genau sind, was ich eine sehr schöne Beobachtung fand. Allerdings lebt er natürlich auch von diesem Verhalten.

Ja, genau, als eine Entgegnung auf dieses viel beschriene Weimarer Verhältnisse. Darauf geht er immer wieder ein, also neben dem, dass er natürlich dieses Jahr sehr genau schildert.

Er schreibt an einer Stelle, das beliebte Schlagwort von den Weimarer Verhältnissen verdeckt mehr, als es erhält. Waren doch die Verhältnisse im Herbst 1929 andere als im Sommer 1931 oder am Silvesterabend 1932? In dem Satz, der sagt ja viel über die Genauigkeit, die es braucht, um mit solchen historischen Vergleichen zu arbeiten. Und daran zu gemahnen, finde ich absolut wichtig, weil wir dieses 5 vor 33, ehrlich gesagt, finde ich das als Schlagwort wichtig,

auf der einen Seite nachvollziehbar, irgendwie gut gemeint, aber wirklich absolut verfahren und hochproblematisch. Es ist ja auch ein Buch mit dem Titel erschienen von Philipp Bruch, den ich ohnehin jetzt nicht so als den größten historischen Analytiker schätze, vorsichtig gesagt. Und diese Verflachung historischer Vergleiche finde ich schlicht zu sagen verheerend und

Man sieht es ja, wenn wir noch weiter gehen, die Instrumentalisierung von Geschichtsbildern, die reicht ja dahin, dass Wladimir Putin angeblich gegen das neue Naziregime in der Ukraine Krieg führt und so weiter. Stimmt, das steht immer überall auf allen Fronten. Also das wird so ausgesprochen.

dass es nicht nur nicht mehr hilfreich ist, sondern wirklich den eigentlichen Blick verstellt. Und dagegen schreibt Jens Biski an. Er sagt aber dann doch ganz zum Schluss wiederum, wer heute auf das Ende Weimars zurückblickt, weiß, es ist politisch leichtfertig, nicht mit dem Schlimmsten zu rechnen. Also er sagt ja schon, wir lernen was aus der Geschichte. Es ist nicht so, dass wir da gar nichts draus lernen oder dass wir gar nicht vergleichen können.

Aber wir müssen eben vorsichtig sein und das ist kurz gesagt sein Resümee, was wir aus der Beschäftigung mit Weimar ziehen können. Ja, die Demokratien können unterschiedliche Tode sterben. So ist, glaube ich, der Eindruck, den ich habe, weil tatsächlich sind die Unterschiede, die man hat.

von ihm vorgeführt bekommt auf diesen Seiten natürlich enorm. Das heißt also, man hat eine soziale Verelendung in einem Ausmaß ja gehabt, von dem man heute auch gar nicht mal eine Vorstellung hat oder er schildert den Kult der Gewalt eigentlich auf den Straßen überall, den es tatsächlich im Alltag gegeben hat. Also mit

Totschlag, Mord und Bomben natürlich auch überall. Also es ist eine ganz andere Dimension dessen, dass man tatsächlich mit voll schnellen Vergleichsschlagworten zurückschrecken sollte, wenn man dieses Buch gelesen hat. Insgesamt ist er sehr geschickt, weil er das Buch 1929 beginnen lässt mit dem Tod Stresemanns.

Und damit gehen ja eigentlich so symbolisch die guten Jahre, die goldenen Jahre Weimars vorbei. Und er hört eben nicht 1933 auf, was der normale Fluchtpunkt wäre von so einer typischen Weimar-Darstellung, sondern geht darüber hinaus bis zum Tod Hindenburgs 1934. In dem Moment wird die Machtergreifung der Nationalsozialisten abgeschlossen, ist der Führerstaat, wird etabliert. Also er sieht genau hin, weil die Zeitgenossen,

das zum Teil eben noch als nicht endgültig gesehen haben. Und da eben, ihm ist glaube ich insgesamt die ganze Zeit immer die Zeitgenossenperspektive wahr. Was sind die Handlungsoptionen? Was machen die Leute? Wie ticken sie? Was schreiben sie? Es gibt ganz viele tolle Föderal-Artikel, tolle Tageszeitungsbetrachtungen. Also unterschiedliche Sachen. Und das finde ich eine sehr wichtige Perspektive, dass wir denken, natürlich 30. Januar, 30. Januar, das ist so das Ende.

Aber er guckt eben einfach darüber hinaus, wie sind die Mechanismen, wie werden die Beamten gleich geschaltet, was kommt als erstes Gesetz, wie sieht Anpassung aus. Und das fand ich eben sehr verdienstvoll an diesem Buch. Ja und ich glaube es ist auch wirklich wichtig, diese von uns, wie er sagt, an einer anderen Stelle, wir alle leben und handeln post nach den Verbrechen. Das heißt unsere Sicht auf die Dinge ist natürlich,

Mit dem Wissen des Ausgangs dessen, was passiert ist, davon lässt es sich gar nicht mehr lösen. Und zudem haben wir unsere festen Daten, in die wir Geschichte ordnen. Und das ist genau dieses Datum, natürlich 30. Januar 1933, mit dem wir den Beginn der absolut düstersten Diktatur Deutschlands beobachten.

Aber beispielsweise so etwas wie der Führereit, den die Wehrmacht ablegen musste, der ist nicht da passiert, sondern eben ein Jahr später nach Hindenburgs Tod. Und das war ein Moment, in dem etwas passierte, militärgeschichtlich wirklich relevant, dass die gesamte Wehrmacht ihren Eid auf den Führer einsprach.

Das sind Elemente, glaube ich, die man von heute aus eher dann mal überliest, weil man so sehr an dieses eine Datum, das ist ja nur festklammert oder darauf starrt. Sowas wie der Röhnputsch natürlich, der ist vielleicht noch ein bisschen natürlich bekannter. Der sogenannte Röhnputsch.

Also das, was Jens Biski schafft, also es sind sehr viele Sachen, aber wirklich uns nochmal eine andere Anordnung von dem zu zeigen, was wir als gesetzt sehen. Und der auch immer wieder darauf hinweist, es ist nicht zwangsläufig so geschehen. Aber es ist gleichzeitig, es gibt ja auch zu sehr schwer zu sagen, was zum Beispiel im Jahr 1929 noch anders hätte laufen können, 1930, dass man es hätte verhindern können. Ja.

Also dieses Zurückweisen von Zwangsläufigkeit der Geschichte und gleichzeitig offenlegen, wie wenig Chance... Es sah schlecht aus. Es sah schlecht aus, ganz, ganz gut. Und ein wichtiger Punkt ist natürlich der Sturz der Regierung Otto Brauns, also der Preußenschlag.

Der aus einer instabilen Machtsituation in Preußen... Das war der preußische Ministerpräsident. Zwölf Jahre lang, bis 1932, hat er quasi als SPD-Politiker Preußen eingeführt. Durchaus auch... Ja, man gab sicherlich Punkte, die man an ihm auch kritisieren konnte. Aber er war also jemand, der...

SPD-Politik in Preußen halten konnte. Dann in einer Situation der Machtschwäche, also in einem Kabinett das wackelte. Du hast eine schöne Stelle in deinem Roman tatsächlich Otto Braun gewidmet. In Reisganzapaz gibt es eine sehr schöne Stelle im Exil, wie ich fand, wo du ihn auftreten lässt als historische Figur, der dort gärtnert. Kartoffeln anbaut, was er tatsächlich gemacht hat. Im Exil in der Schweiz war das in

In Ascona. Dort lässt du ihn auftreten und ein bisschen in einem, es ist eigentlich eine kleine Szene, drei Seiten oder vier Seiten und ein bisschen den Nachgeborenen oder denjenigen, die es eigentlich so ein bisschen alles immer besser wissen, vielleicht auch jemanden wie Biscay oder wie uns, eben zu erklären, es ist nicht so einfach gewesen. Und er in ganz wenigen Sätzen sehr ruhig und sehr klug eigentlich, war eine schöne Szene über die Grenzen des

als Politiker fand ich, aber auch Grenzen des Erkennens von uns eigentlich. Ich finde Otto Braun ist eine sehr interessante Figur, weil er sehr viel über Weimar erzählt. Aber natürlich in der Exilzeit, er ist sehr früh ins Exil gegangen, wurde dafür auch angegriffen, weil viele eben im Januar 1933 das noch überhaupt nicht so gesehen haben, wie wir es heute besser wissen. Mit der großen Melancholie und Resignation diese Exilzeit durchstand und dann sich mit

Josef Wirth, dem ehemaligen Reichskanzler Anfang der 20er Jahre, Zentrumspartei, also wirklich durchaus politische Gegner zu Weimarer Zeit, zusammentut, um ein demokratisches Deutschland, eine Arbeitsgruppe demokratisches Deutschland zu gründen und aus dem Exil heraus darüber nachzudenken, wie kann Deutschland wieder zu einem, oder wie kann es zu einem demokratischen Land zurückwachsen. Was mich immer völlig umhaut, ist ja letztlich immer wieder die Tatsache, dass es

Nur 15 Jahre waren diese Weimarer Republik, also die Ära Merkel dauerte länger als diese gesamte Republik und es ist eine enorme Geschwindigkeit, in der alles abläuft und im Buch eigentlich auch die ganze Zeit, also es ist wirklich wie ein Strudel, in den man sich da hineinbegibt, die letzten fünf Jahre Weimarers.

Sag, du hast dich da historisch hineingekniet, letztlich auch wie Biski, auch bist reingegangen in die Materie der 20er, 30er Jahre. Gerät man da tatsächlich auch in einen Erklärstrudel? Will man es genauer wissen oder ist man da Schriftsteller genug, um sich da das in eine Fiktion dann zu... Hat man die Funktion dann auch immer im Kopf? Nee, man will es natürlich genauer wissen und mir liegt auch etwas ähnlich wie Biski daran...

überhaupt erst mal die Perspektive jener zu versuchen nachzuvollziehen, die aus der damaligen Zeit dachten. Also irgendwie mit so quasi einem Schleier des Nichtwissens, sich selbst irgendwie zu verhöhnen und zu versuchen,

Natürlich kann man es nicht, man weiß wie es ausgeht, man weiß wie die Geschichte sich fortsetzt, aber dieser Versuch nachzuvollziehen, wie jemand aus dem Jahr 1925 das Jahr 1925 anschaut, das finde ich ist ein sehr sehr interessantes und vor allem auch intellektuell herausforderndes Unterfangen.

Was uns aber, glaube ich, mehr weiterbringt, eben als diese sehr platten Vergleiche oder dass man jetzt einfach an jeder Straßenecke das Jahr 1933 heraufdämmern sieht und ohne das, was wir aktuell politisch haben, verharmlosen zu wollen, glaube ich, dass wir...

Das Entscheidende übersehen, wenn wir zu Stereotype Bilder der Vergangenheit über unsere Gegenwart kleben. Und deswegen ist es so verheerend, so leichtfertig mit schiefen historischen Vergleichen oder platten historischen Vergleichen zu arbeiten.

Biski sagt, am Wissen hat es damals nicht gelegen, weil die Zeitgenossen wussten schon oft sehr gut, wo die Schwierigkeiten lagen und was für ein enormes Dilemma war. Das sagt dein Otto Braun lustigerweise auch im Roman, wenn man da gedenkt, da seid ihr sehr ähnlich. Der sagt auch, wir waren sehr hellsichtig, wir haben es schon auch gewusst. Nur man kann eben tatsächlich gegen diese allgemeine Demokratieverdrossenheit oder

dieses Scheitern einer Leistungsbilanz eines sehr, sehr jungen, neuen Systems. In den Augen vieler konnte man eben wenig dagegen halten. Ja, bleibt nur zu hoffen, dass nicht ein ähnlich dickes, voluminöses, kluges Buch einmal über unsere Epoche unter ähnlichen Vorzeichen geschrieben werden wird. Werbung. Ich bin Shedda Saad.

In Tausend und eine Nacht erzähle ich euch in jeder Folge eine andere Geschichte. Damit der König mich im Leben lässt, muss jede Geschichte spannender sein als die davor. Wir treffen auf Genies, auf Kaufmänner, Fischer, aber vor allem geht es um die kämpferischen Frauen. Es geht um Liebe, Abenteuer, Verführung, Angst, es geht um Tausend und eine Nacht, der Hörspiel-Podcast. Am besten in der kostenlosen Deutschlandfunk-App.

Kommen wir zum nächsten Buch. Das nächste Buch ist Der lange Schatten der Guillotine von Laszlo Földini. Er ist Essayist, Kunstkritiker, Übersetzer unter anderem von Heiner Müller und Max Frisch und hat viel über Melancholie geschrieben. Unter anderem das Buch Lob der Melancholie, für den er den Leipziger Buchpreis zur europäischen Verständigung bekam. 2020, genau. Und jetzt durchaus der Melancholie vielleicht

nicht ganz fern der Schatten der Guillotine. Es klingt düster. Es ist auf jeden Fall nicht gerade ein Freundentaumel. Es ist ein Sachbuch, ein Essay vielleicht eher, in dem es natürlich um die Guillotine geht, damit auch um die Französische Revolution, aber mehr um diesen Schatten, also um das 19. Jahrhundert. Und ich würde sagen, es ist ein Buch, das darüber nachdenkt, wie das Ich sich auflöst.

Man könnte sagen, bis die Guillotine als Masseninstrument eingeführt wurde, konnte man

Trotz aller Skepsis noch sagen Cogito ergo sum. Aber die Frage, die dann ja aufkam, durch die Geschwindigkeit dieses Tötens, denkt eigentlich der so schnell abgetrennte Kopf noch. Das waren ja wirklich Fragen, die in dieser Zeit aufkamen. Dann müsste man sagen Cogito ergo non sum. Also ich denke noch, aber ich bin nicht mehr. Ich bin entleibt.

Diese Form der Entleibung ist natürlich nichts, was die französische Revolution allein hervorgebracht hat. Das ist der Moment, in dem die Guillotine zu einem Masseninstrument wurde, was in einer unglaublichen Geschwindigkeit Menschen hinrichten konnte. Also an und für sich ein schreckliches Instrument, ein schreckliches Phänomen.

Das aber dann auch so bizarre Dinge mit sich brachte, dass die Guillotine als Spielzeug für Kinder hergestellt wurde. Sie war populär. Sie war ganz schnell populär.

Meine Eltern haben mir das verboten. Ja, meine auch, aber ich hatte Nachbarn. Als Ohrringe, wenn ich das richtig erinnere. Jedenfalls als Schmuck. Als Schmuck wurde die Guillotine getragen. Und das ist, muss man sagen, gut, das Kreuz ist auch ein Hinrichtungsinstrument, aber das trägt man ja vielleicht als Symbol für eine Auferstehung, nicht für die Hinrichtung als solche. So ist es.

Ich finde ganz vieles an dem Buch toll. Der Stil ist wunderbar. Es hat etwas vom Flanieren. Unbedingt, ja. Flanierend durch die Stadt, durch die Zeit und auch durch die unterschiedliche Art zu sehen. Und das ist, finde ich, einer der wichtigen...

Punkte, die der Autor macht, dass auch unsere Art zu sehen durch dieses Moment geändert wurde. Ich bin dir wahnsinnig dankbar, dass du für diesen verzweifelten, aber auch sehr gelungenen Versuch unternommen hast, dieses Buch auf einen Punkt zu bringen, nämlich worum geht es in diesem Buch? Also du sagst die Auflösung des Subjekts eigentlich.

Es ist jedenfalls eine wirklich für mich fantastische Lektüre, Erfahrung und da bin ich sehr dankbar, dass du diesen Vorschlag gemacht hast. Ich wollte so viel Transparenz, muss nämlich hier sein, eigentlich gerne über Bascast sprechen und dessen Askese gegen Alkohol.

Buch ist ja vielleicht jetzt ganz passend nach Weihnachten und vor irgendwelchen Silvesterbesäufnissen oder über Elgar Heidenreichs Riesen-Sachbuch-Bestseller des Jahres. Eigentlich, glaube ich, eine Million verkaufte Exemplare hat sie mittlerweile. Über das Älterwerden? Nein, darüber wolltest du nicht sprechen, sondern über die Guillotine und Laszlo Földini. Ein wirklich tolles Buch. Es ist nämlich...

Wirklich ein Paris-Buch eigentlich, wenn man es genau schaut. Mit einmal wandert man durch diese Stadt. Ich weiß gar nicht, wie er das alles macht. Also er behauptet zwar in seinem wahnsinnig selbstbewussten ersten Satz, dieses Buch schrieb sich von selbst. Da muss ich sagen, da wäre ich wirklich dankbar, wenn ich sowas auch mal so schreiben könnte oder sagen würde, ein tolles Buch. Er hat

Er arbeitet mit Fotografien, er guckt auf die Malerei, er ist irgendwie in die Adressbücher dieser Metropole gegangen, guckt sich an, was sich damals alles verändert hat, was für ein Geist der Neuerung passierte. Alles im langen 19. Jahrhundert, eigentlich letztlich von diesem 1792, als die Guillotine aufgestellt wurde auf dem Place du Carousel.

Erstmals bis hin tatsächlich dann Anfang, ja um 1900 die Epoche, als man tatsächlich sich darüber Gedanken machte, ob ein abgeschlagener Kopf noch denken könne, was da eigentlich passiert. Also es ist eine enorme Auf... Viele Namen, viele prominente Namen, weniger bekannte Namen tauchen auf.

Künste, Fotografie, also es ist ein Phänomen. Also man lernt eine Stadt ganz genau kennen. Man versteht eigentlich, wenn jemand noch nicht verstanden hat, warum eine Stadt irgendwie interessant ist oder was eigentlich ein Geist einer Stadt ausmacht. Hier bekommt man das eigentlich mit. Also ob man das über Berlin schreiben könnte oder New York, weiß ich nicht. Aber über Paris ist ja so ein Muster eigentlich seit Walter Benjamin, der darüber ja sein Passagenwerk schreiben wollte, auch vorgelegt.

Die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts, das war ja für ihn Paris. Und hier wird das so fantastisch eingelöst. Man lernt einfach wahnsinnig viel über die Stadt und diese Epoche. Und ich glaube, es ist genau ein Buch, das...

Paris und dem 19. Jahrhundert gerecht wird. Also man könnte das auch nicht mehr über Paris der Jetztzeit in der Art schreiben. Ich glaube, das muss man auch sagen. Mich hat, um nochmal zu diesem Punkt zurückzukommen, diese Frage, also es ist eine neue Frage danach, wie der Mensch zu verstehen ist, wie der Mensch zu sehen ist.

Und was ihn eigentlich ausmacht. Also wo ist das Ende des Menschen eigentlich festzumachen? Ich erinnere mich, als Kind, junge Jugendliche, so mit elf, zwölf, eine Geschichte von Edgar Allan Poe las, der Fall Waldemar oder in einer anderen Übersetzung die Tatsachen im Fall Waldemar, wo durch magnetische Versuche versucht wird, einen bereits Toten entzünden.

im Jenseits zu befragen. Und das ist eine Geschichte gewesen, die hat mir so viel Angst eingejagt, dass ich das Buch, auf dem eine von Kubin, eine Zeichnung von diesem Waldemar vorne drauf war, so weit wegstellen musste, weil ich alleine durch den Anblick dieses Mannes Angst hatte. Diese Erzählung kommt auch in dem langen Schatten der Guillotine vor, weil es genau diese

diese Art der Fragestellung an den Menschen, das menschliche Ende dieser Zeit aufgreift. Und das muss man auch noch dazu sagen, bei Poe zuerst erschienen als quasi ein Zeitungsartikel. Also er hat erst später offengelegt, dass es eine fiktive Geschichte ist. Das heißt, in der damaligen Zeit hat man tatsächlich angenommen, dass das möglich wäre durch Experimente. Und diese Frage nach Mechanisierung des Lebens, nach...

naturwissenschaftlicher, experimenteller Durchdringung oder Überschreitung der Grenze zwischen Leben und Tod, wie sie ja auch diese Frage nach einem schnellen Ende des Lebens, nach einer schnellen Hinrichtung, kann das Leben überhaupt so schnell weichen wie die Hinrichtungsweiche?

es vorgeben. Das ist, glaube ich, ein grundsätzlich neues Nachdenken über den Menschen, was auch zusammengeht, natürlich, da sind wir wieder fast bei Tobias Haber, mit einem Zurückdrängen von religiösen Sicherheiten und Überzeugungen. Das war, glaube ich, einfach die Epoche, wo tatsächlich breite Kreise einfach gemerkt haben,

was Wissenschaft eigentlich vermag, was wissenschaftliche Erkenntnis plötzlich, Weltbilder revolutionierte und so weiter. Und wenn das so ist, ja dann kann es vielleicht auch ganz andere Dinge. Das heißt also, diese Option stand einmal plötzlich im Raum, dass Wissenschaft etwas kann, von dem wir heute jetzt denken, na gut, schöner Quatsch oder das ist eine schöne Schauergeschichte. Aber für die Zeitgenossen, die gerade eben diesen enormen Wandel hinter sich oder diese staunenswerten Dinge plötzlich, Elektrizität, mein Gott, was ist das überhaupt für eine

oder Tiefseekabel oder Telegrafen. Mein Gott, das war ja jenseits der Erfahrungen von Jahrhunderten. Und dann kann natürlich auch sowas, liegt plötzlich sowas sehr nahe im Raum. Was ich fantastisch finde, habe ich schon gesagt, diese Bilder, mit denen er betrachtet, die Fotografien, auch das eben neue Techniken plötzlich. Die mit Schnitt zu tun haben. Die mit Schnitt zu tun haben, ja. Das ist ja die Brücke, die er schlägt. Also dass es unser Nachdenken über den Menschen, auch unseren Blick auf den Menschen verändert und ganz...

oder ganz im Sinne der Technik, der Medialität auch. Also nicht nur unsere Vorstellung davon, sondern wirklich unseren Blick darauf. Und es ist wirklich, jetzt muss man an der Stelle sagen, wir klingen jetzt hier vielleicht ein bisschen theoretisch das Ganze, aber es ist auch tatsächlich ein Buch für Flaneure. Das heißt, man schaut einfach durch die Stadt, guckt sich anders hin. Man hat also auch ein

Ich habe mich dabei ein bisschen ertappt zu einem fotografischen Blick, weil er schreibt von Fotografien, Szenen, Momentaufnahmen aus einer sich wandelnden Stadt. Also das ist tatsächlich sehr nah an unseren täglichen Erfahrungen. Was ich besonders schön fand, muss ich an der Stelle mal loswerden, weil ich das

Er macht wahnsinnig viele sehr, sehr kluge, sehr, sehr geniale Beobachtungen, die neu so Andersdinge wahrnehmen oder Andersdinge erzählen, die aber enorm plausibel sind. Eine davon ist die Ruine. Er hat eine fantastische Stelle, in der er schildert, wie eigentlich Paris zu dieser Zeit die Hauptstadt der Ruinen war, weil damals alte Stadtviertel und alte Straßen herrschten.

niedergelegt wurden von Baron Oßmann. Wissen wir es ja aber auch sonst. Also quasi mit einmal die alte Welt brach zusammen, stand erstmal in Ruinen und damit ist wieder so sein Metapher ein Zeitschnitt gegeben. Das heißt, diese Vorstellung, dass eine

Stadt der Moderne, also des Aufbruchs, des Neuen, eigentlich geprägt ist auch von Ruinen des Alten, die aber damit vergänglich sind. Es war ein enorm starkes Bild und hatten schöne Fotografien da, wie diese alte Welt dann tatsächlich erst mal so richtig dann zur Vergangenheit wird, die sie vorher eigentlich nicht hatte, weil es da viel kontinuierlicher alles langsam wuchs. Jetzt wird es eben ein Schnitt, es wird schnell alles unterbrochen. Und wir werden alle gleich.

Also das ist ja auch etwas, was die Guillotine bringt. Die Gleichheit sogar in der Art der Hinrichtung. Das war der eigentliche Skandal, dass der König genauso hingerichtet wird wie der Mörder, der Aufrührer oder na gut, unter Robespierre dann so ziemlich jeder, der nicht schnell genug weg war. Das ist, glaube ich, etwas, was wir heute gar nicht mehr denken können, dass das der Skandal ist. Wir würden sagen, die Todesstrafe ist der Skandal. Was natürlich auch, würde ich sagen...

Tatsächlich der Skandal, ist recht. Aber das für die damalige Zeit, in dem der König natürlich einer ganz anderen Stellung war, nicht nur eine gesellschaftliche Stellung, sondern wirklich quasi anthropologisch schon alles zu denken ist. Ja, es war die gottgegebene Ordnung, ja. Genau, und die ist damit... Die Bundesfallbank kam, ja.

Die kamen damit unter das Freiberg. Untertitel Lebensbilder aus dem Paris des 19. Jahrhunderts. Das heißt also tatsächlich ein Spaziergang durch die Ideenwelt und durch die Erlebnisse. Auch wieder sehr von den Zeitgenossen her gedacht. Das muss man glaube ich an der Stelle auch so sagen. Also man versetzt sich schon auch rein in den Bewusstseinszustand. Also ganz ähnlich wie Bisky das mit Weimarschaft.

Ja, genau. Und es ist eine Zeit, in der man gerade gelernt hat, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und Mut zu haben. Und schon ist genau dieser Verstand und der Kopf damit auf dem Schafott. Das Umschlagen von einer Befreiung in ein mörderisches Regime kann man daran auch ablesen. Also ich bin jedenfalls sehr dankbar für diesen Lektüre-Hinweis. Also für mich auf alle Fälle eines der Bücher des Jahres 2024. Danke dir sehr. Musik

Der Klassiker. Ja und wir bleiben bei Ungarn, auch bei unserem Klassiker, diesmal eine Klassikerin. Agnes Heller und ihr Buch »Von der Utopie zur Dystopie – Was können wir uns wünschen?« erschienen 2016 in der Edition Konturen. Agnes Heller war eine Philosophin, lebte von 1929 bis 2019, Philosophin jüdischer Herkunft, in Ungarn aufgewachsen,

war eine Schülerin in den 50er Jahren von Georg Lukacs, vielleicht dem größten marxistischen Philosophen eigentlich des 20. Jahrhunderts. Sie würde glaube ich sogar sagen, des größten marxistischen Philosophen nach Marx. 1977 ist sie allerdings aus Budapest nach Australien emigriert. Sie hatte in ihrer Heimat politische Schwierigkeiten und wurde dann von Australien 1986 an die New School for Social Research nach New York berufen.

Also an die Uni, wo lange Jahre Hannah Arendt lehrte. Und sie hat dann bis zum Schluss eigentlich auf beiden Kontinenten gelebt, gependelt zwischen Budapest und New York. Sie war auch immer eine politische Zeitgenossin, hat sich stark gegen Orban engagiert. Einer der wichtigen ostmüller-europäischen philosophischen Stimmen, die man hatte, antitotalitär geformt.

Natürlich, aber immer mit auch marxistischen Wurzeln eigentlich. Also diese eigenwillige Mischung eines unorthodoxen linken Denkens mit viel Anthropologie dabei. Mensch der Renaissance heißt eines ihrer Hauptwerke 1967. Viel auch mit den alltäglichen Verrichtungen und mit dem Tätigsein als philosophischer Grundlage.

Das heißt, dann ist sie sehr nah auch bei Hannah Arendt eigentlich so ein bisschen gewesen. Ja, und dieses Buch von der Utopie zur Dystopie, man kann es deswegen in unserer Rubrik vorstellen. Erstens, weil Agnes hat eine enorm interessante Geschichte.

Intellektuelle gewesen ist, tatsächlich einflussreich überall. Aber auch dieses Buch greift nochmal so eines der Grundthemen des 20. Jahrhunderts eigentlich auf, die eigentlich für jeden Intellektuellen, der aus diesem Ostmitteleuropa oder dann auch dann natürlich aus allen möglichen anderen totalitären Gegenden

zentral war, der von dort kam. Also es geht tatsächlich um die Frage, was haben Utopien angerichtet? Warum sind sie in der Menschheit so enorm wirkmächtig geworden? Was macht ihren

ihren Geist eigentlich im Laufe der Jahrhunderte aus und was im Gegensatz dazu zu Utopien, was sind Dystopien, wie funktionieren Dystopien, wie sind sie kategorial etwas ganz anderes, brauchen wir sie ebenso oder wenig. Und das ist in diesem kleinen Essay, der jetzt muss man sagen, nicht sonderlich systematisch vorgeht, um es mal freundlich zu formulieren, sondern er ist auch sehr wild und ein bisschen assoziativ und mit vielen

Lesefrüchten angereichert. Also man muss jetzt keine richtig streng genommene politische Einführung oder politisch-philosophische Einführung da erwarten. Also sie stellt eben tatsächlich diese Grundmuster einfach nochmal vor und gegenüber, basierend eben auf der alten Frage der menschlichen Fähigkeit, also Einbildungskraft hervorzubringen. Sie macht den wesentlichen Unterschied definitorisch, dass Utopien eigentlich auf

dieser menschlichen Einbildungskraft beruhen und zugleich dann eigentlich immer mit dem Motiv der Hoffnung verbunden sind. Leidenschaft für Hoffnung nennt sie das. Und Dystopien hingegen auch Einbildungskraft, aber mit der Leidenschaft zur Furcht. Das sind also die beiden Beispiele.

jeweils allerdings auf die Zukunft ausgerichteten Modi. Das ist, glaube ich, auch ganz wichtig. Fortschritt und Zukunft, das sind die beiden Kategorien, auf die Dystopien und Utopien gerichtet sind. Ja, und das Buch lehnt sich auch in gewisser Weise an den langen Schatten der Guillotine an, weil es natürlich um Revolutionen auch geht. Das ist klar. Wobei das Interessante ist,

Sie schreibt, das erste historisch bedeutende utopische Moment in unserer Geschichte war die amerikanische Revolution. Das jüngste, die Bewegung von 1968. Intuitiv hätte man jetzt die französische Revolution sich auch vorstellen können. Ich glaube, es gibt Gründe in ihrem Denken, warum...

ist die amerikanische Revolution. Sie schreibt dazu auch, das utopische Moment der amerikanischen Revolution ist in der Unabhängigkeitserklärung klar formuliert, in der alle modernen Werte als Grundlage des neuen Gemeinwesens aufgezählt werden. Und dann auf die Frage, wer denn nun eigentlich der König werden soll, antwortet

Adams und erklärte, wir werden eine Republik sein. John Adams, einer der Gründerväter in Amerika. Genau, und das widersprach allen Theorien, die davon ausgingen, dass sich eine Republik nur für kleine Staaten eignete. Am besten Stadtstaaten. Auch da ist der Bruch der Zeitgenossen übrigens enorm. Also plötzlich machen die Amerikaner was und ganz Europa startet hin und kann sich das auch nicht richtig vorstellen, ob das jetzt so funktioniert oder nicht. Aber die haben da mal einen Anfang gemacht. Also diese Amerika-Fixierung, die kommt auch so ein bisschen...

Von Hannah Arendt, das hat sie ja genauso gemacht. Ja, und Judith Schlau, also ich würde die drei so in Zusammenhang sehen. Sie geht natürlich auch dieser Frage auch rein ästhetisch nach. Also sie redet ja nicht nur, vielleicht noch gar nicht primär von den politischen Utopien und Dystopien, sondern wirklich auch von den Gattungen der Poesie, der Fiktion, der Epik.

grenzt davon die Weisheitsliteratur oder Apokalypse ab, die wiederum meinem diesjährigen Lektüre-Kosmos zugehören. Und das muss man, glaube ich, wirklich deutlich machen. Also die Apokalypse unterscheidet sich natürlich von Dystopie und Utopie dadurch, dass sie auf...

auf eine absolute Neuordnung von allem hinweist, was nicht mehr im Hier und Jetzt stattfindet. Also das Wort Zeitenwende, was wir in Deutschland nun seit einigen Jahren rauf und runter gehört haben, trifft eigentlich nicht wirklich etwas, was in der Zeit so geschehen kann, schon gar nicht irgendwie im Deutschen Bundestag, sondern

Das, was die Apokalypse eröffnet, ist natürlich einleitend durch so eine Art endzeitliches Gericht, wie wir es mit sehr bildreich in der Apokalypse des Johannes haben. Aber damit natürlich auch die Eröffnung des neuen Jerusalem, um jetzt in biblischer Sprache zu bleiben. Und das kreiert...

kann man nicht eins zu eins in die Politik übertragen oder überhaupt in etwas, was sich jenseits von transzendenten Fragen erschöpfen lässt. Das ist für Sie der Unterschied, genau. Du sagst es zwischen apokalyptischem und utopischem und dystopischem Denken. Und bei Utopie, Dystopie, so lese ich sie, ist sie ja deutlich interessierter, zumindest wenn wir literarisch fragen, wenn wir auf ihren literarisches Interesse schauen.

an der Dystopie. Und das heißt, der OTP gegenüber hat sie große Zweifel, was man sicherlich nicht nur, aber auch durch ihre eigene Biografie nachvollziehen kann. Also sie ist...

als ungarische Jüdin in der Zeit des Zweiten Weltkriegs extremsten... Glücklich überlebt. Sie hat überlebt, aber ihr Vater ist im Konzentrationslager umgebracht worden. Das heißt, das Glücklich würde ich vielleicht nochmal in Klammern oder mit Fragezeichen versehen. Aber sie hat Glück gehabt, dass sie überlebt hat. Dann natürlich in der Stalin-Zeit aufzuwachsen und zu denken zu Beginn, politisch zu denken zu Beginn, ist auch sicherlich nicht etwas, was einen...

jetzt die Utopie lieben lehrt. Ja, vielleicht war es auch ein langer Abschied von der Utopie bei ihr. Wenn man bei Lukas war, war es natürlich noch utopisch. Aber dann hat man im Laufe der Zeit, du hast völlig recht, sehe ich auch so, dass sie weniger da so ihre Interessen hat. Sie kann es ganz gut herleiten auch. Also sagt sie auch immer, von Ovid bis Marx gibt es die Momente. Thomas Morus ist natürlich dabei und erzählt, das stellt uns was nach. Aber das Neue und Interessante für sie ist offenbar die Lektüre von

dystopischen Romanen, oder? Ja, und letztlich ist ja auch die Funktion, das schreibt sie ja auch, die Funktion eine ähnliche. Denn Utopie wie Dystopie tun so, als würden sie über die Zukunft schreiben, machen sie auch. Aber natürlich sind es letztlich beides Formen der Kritik an der Gegenwart.

Und die Utopie in einer Überformung der Zukunft, in einer, wie auch immer gearteten, Heilserwartung einer besseren Welt, eines wiederkommenden goldenen Zeitalters des, in Anführungszeichen, besseren Menschen, neuen Menschen. Und das kann einen ja schon skeptisch stimmen, die Dystopie.

in einer Projektion all dessen, was an negativen Entwicklungen in der Gegenwart schon zu sehen ist, die dann in die Zukunft hinein vergrößert und gesteigert werden und eher als Warnung vor den zerstörerischen Entwicklungen zu lesen sind. Und so gesehen kann ich ihr da sehr zustimmen in ihrer größeren Sympathie für die dystopischen Romane, die mehr als Warnung zu begreifen sind, denn als...

in dem Sinne, ja, in einem überhöhten Heilsversprechen, was immer die Gefahr birgt, dass es nach hinten losgeht oder vielleicht immer nach hinten losgegangen ist, kann man sogar sagen. Sie hat, Sie erwähnt dann eben Klassiker von George Orwell, 90-80-40 bis...

Willis Huxley bis zu Will Beck, genau. Sie hatte einen breiten Kanon an Titeln am Ende. Was ich verblüffend fand, dass sie zwar diese Lust auf die Dystopie offenbar hat, auch intellektuelle, aber selber so gar nicht dystopisch klingt, offengestanden. Also sie hat es vom Stil her oder von ihrer Denkfigur her, ich kannte sie nicht, aber sie muss eben offenbar eine sehr grundoptimistische, aber so eine

Selbstbewusste Unerschütterlichkeit strahlt da so aus. Es ist einfach alles interessant und dem ist also überhaupt keine, also Furcht ist für sie eher was Intellektuelles, jedenfalls was diese Bücher betrifft, hatte ich so den Eindruck. So furchtsam ist dieser Text nicht. Also es ist schon eine sehr schöne und erfrischende Art und Weise, da

die Dinge zu versuchen zu klären. Was meinst du selber? Hast du Lust bekommen, einen dystopischen Roman zu schreiben? Ich würde ja behaupten, dass ich indirekt immer Romane geschrieben habe über Utopien. Also nehmen wir Antonio Gramsci, einen italienischen Marxisten, der natürlich viel mit Utopie

oder auf eine Utopie hingearbeitet hat. Er ist gelandet im Gefängnis unter Mussolini. Stalin hat ihn fallen lassen. Der Einzige, der überhaupt noch was für ihn getan hat, war der Papst, obwohl Verhältnis Papst-Kommunisten jetzt nicht gerade rosig war.

Und deine Heldin in der Schutzzone, die arbeitet auch an einer Utopie.

ansehen zu müssen, dass auch diese Utopie nicht gelingt. Also es sind immer wieder Charaktere, die mit gescheiterten Utopien arbeiten. Und gut, was Magda Goebbels angeht, ja, auch man kann natürlich sagen, dass der Nationalsozialismus eine Bewegung war, die apokalyptisch war, von sich aus wahrscheinlich eher utopisch. Ja, ja, sie würde, Herr Heller würde auch sagen, dass es die Stalinsmose und Nationalsozialismus haben die Vision des Stalins.

Da wissen wir alle, wie diese, in Anführungszeichen, Utopie ausgegangen ist und dass man sie sich nicht zurückwünscht. Ja, wo dann die Guillotine in die Gaskammer sich nochmal verwandelte. Ja, das würde Föden, glaube ich, ganz so nicht sagen. Deswegen beschäftigt er sich auch nicht mit dem 20. Jahrhundert, sondern mit dem 19. Wahrscheinlich sehr gut, ja.

Ja, ich denke, wir brauchen auf jeden Fall 2025 wieder gute dystopische Romane, vielleicht auch ein bisschen Utopien, je nachdem. Ich fand es wunderbar, dass du da warst bei uns und als Schriftstellerin auf ein paar interessante Sachbücher aufmerksam gemacht hast. Vielen Dank, liebe Nora. Sehr gern. Ja, liebe Hörerinnen und Hörer, das war die letzte V-Ausgabe von Was liest du gerade? 2024. Schön, dass Sie so treue Hörerinnen und Hörer waren in diesem Jahr 2020.

Den Anfang 2025 machen in 14 Tagen Iris Radisch und Adam Soboschinski an dieser Stelle. Die Sachbuchfolge können Sie dann in vier Wochen wieder hören, wenn Sie uns bis dahin schreiben wollen. Bitte an die gewohnte Mailadresse bücher-at-zeit.de, Bücher mit UE. Ich wünsche Ihnen ein ganz wunderbares Lesejahr mit vielen neuen interessanten Eindrücken.

Und rutschen Sie gut rüber und bleiben Sie uns vor allen Dingen gewogen und auch 2025 treue Hörer. Vielen Dank und auf Wiederhören.