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Aber obwohl München die sogenannte Hauptstadt der Bewegung in dieser Nacht zum 1. Mai noch nicht einmal offiziell befreit war, war vollkommen klar, dass diese Hackenkreuz-Fahne nie mehr ausgewickelt und aus dem Fenster im ersten Stock hängen würde. Die Nacht im ewigen Licht von Steffen Kopetzki Hörspiel in vier Teilen Teil 4 John Glücks letztes Geheimnis Was ist das?
John, was ist das? Geht der Krieg weiter? Greifen die an? Gehen wir die Nazis zurück? Das ist weiter weg. Irgendwo in der Stadt haben sie scheinbar Resttruppen verschanzt. Ein paar kleine Einheiten. Vielleicht Waffen-SS. Aber hier passiert uns nichts. Hab keine Angst, Christel. Was ist mit dir? Bist du schon die ganze Zeit wach? Ja, ich konnte nicht schlafen. Dann geh mal wieder her. Geh mal wieder zu mir. Wenn du nur länger am Fenster stehst, dann schießt uns vielleicht doch noch auf dich. Nein, unsere Straße draußen ist ganz ruhig. Niemand zu sehen.
Wie spät ist es denn? Mitternacht vorbei. John, was ist los? Du bist ja ganz anders. Geh her zu mir, leg dich wieder hier. Was ist denn mit dir? In einer Story von Jack London, Ernest Hemingway oder Carson McCullers wäre dies der unvermeidliche Turning Point gewesen. Die Stunde der Wahrheit. John war durch den Untergang der 28. US-Division im Hürtgenwald gegangen und hatte überlebt.
Nachdem er aus der Schlacht gekommen war, hat er sich seine Geschichte überlegt. Die Version, mit der er am besten durchzukommen glaubte. Dabei hat er ein ganz entscheidendes Detail weggelassen. Nicht erzählt. Verschwiegen. Und war dem Gesetz gefolgt, das sein Freund Holden im Hüttenwald aufgestellt hatte. Die heilige Pflicht aller Soldaten, zu schweigen. Was ist denn mit dir? Was ist denn los? Weißt du, Christel, ich hab dir nicht alles erzählt. Vom Hüttenwald meinst du?
Ja. Was ich da getan hab. Was Schlimmes? Mei, John, schau, das war ja der Krieg. Das ist eine schreckliche Zeit, in der wir leben. Da müssen wir halt zusammenhalten. Geh zu mir, schau, ich sehe ja, dass dich was bedrückt. Mach dich halt frei. Ich hör dazu. Du kannst mir alles erzählen. Ich, ähm, ich hab mal einen richtig guten Freund gehabt. In Amerika war das. In New York. Der beste Freund, den ich je gehabt hab. Erik Amann. Bist du aufgewachsen mit dem? Ja. Als ich zwölf war, hab ich ihn kennengelernt.
1933 im Sommerlager. Beim deutsch-amerikanischen Bund. Camp Siegfried hieß das. Da waren die Kinder von deutschständigen Unternehmern, Handelsvertretern und alteingesessenen deutsch-amerikanischen Familien dabei. Das Horst-Wessel-Lied sangen die deutsch-amerikanischen Kinder das erste Mal. 1935. Richtige Nazis aus dem Reich hatten den Bund übernommen. New York gehörte zum Gau East. Und der wurde geleitet von Fritz Kuhn, the National Führer.
Wir alle hassen das verjüdelte amerikanische Prinzip "Mating Cop". Der Krieg gegen die Schwarzen, die Latinos und die Juden ist das eine. Der Krieg gegen die Bolschewiken ist das andere. Unvermeidlich beide, wenn Amerika überleben soll. Und wir Deutschen sind Amerikas letzte Chance, um wieder ein großartiges Land zu werden.
Tatsch über ging es streng zu. Lauftraining, Bogenschießen, Gewehrschießen, Exerzieren und taktische Geländespiele. Aber sobald die Lagerfeuer brannten und die Fanline und Gruppenführer anstießen, konnte man leicht zum freien Wolfsrudel werden und auf eigene Faust durch den Wald ziehen. John, sieh mal da drüben. Wo? Was machen die da? Hast du noch nie welche gesehen, die sich gegenseitig Engelspisse zapfen? Engelspisse? Was ist das denn? Hmph.
Bist du auch noch Jungfrau, oder? Erik war der Sohn eines Managers der deutschen Lufthansa. Einen Freund für ihn hatte ich noch nie gehabt. Und nie wieder danach. Und dann? Das FBI deckte politische Machenschaften und Anschlagspläne auf, die alle mit dem deutsch-amerikanischen Bund zusammenhingen. Und 1938 wurde er verboten. Und was war mit deinem Freund? Die Amanns haben damals, wie die ganzen anderen richtigen Nazis aus dem Bund, New York verlassen und sind ins Reich gegangen.
Irgendwie habe ich die Nazis auch deshalb so sehr gehasst, weil sie schuld daran waren, dass Erik und ich uns nie wieder gesehen haben. Und dass ich meinen besten Freund verloren hatte. Erst habe ich überhaupt nicht verstanden, wie das eigentlich alles zusammengegangen hat, was der John mir erzählen wollte. Aber ja, das war eben auch wieder der Hürtgenwald. Da sind die ganzen Geschichten zusammengelaufen. Und deshalb...
war der Hürdenwald so schrecklich für ihn gewesen. Nachdem Vincenica mich scheinbar skalpiert und sich hinab zum Ruhrstausee gestürzt hatte, verlor ich das Bewusstsein. Als ich wieder aufwachte, lag ich auf einem Wehrmachtsfeldbett. Die Verletzung auf meiner Stirn war verbunden. Also, reiß dich zusammen, John.
Du bist ein deutscher Oberleutnant. Geboren 1922 in der Frühgasse in Koblenz. Vater selbstständiger Tapezierer. Abitur dort am Kaiserin-Augusta-Gymnasium. Verlobt. Sabine. Zuletzt Funktechnik-Ausbildung in Speyer. Erst seit ein paar Tagen im Hürtgenwald stationiert. Also, dann steh jetzt auf. Heil Hitler, Herr Oberleutnant. Ich bin Wachmeister Geier. Heil Hitler.
Ihnen habe ich wohl meine Rettung zu verdanken. Das können Sie mal sicher annehmen. Der hätte Ihnen auch gleich noch den Garaus gemacht, wenn unser Trupp nicht gekommen wäre, Herr Oberleutnant. Die beiden jungen Kameraden sind tot. Arme Schweine. Du weißt, was du zu tun hast. Gib mal ein bisschen Dampf dahinter. Du kennst den Chef. Abtreten! Jawohl. Bitte nehmen Sie Platz, Herr Oberleutnant. Pfefferminsti, wissen Sie, was habe ich gerade noch da? Vielen Dank.
Sie befanden sich in einem einsam liegenden Gehöft, in dessen guter Stube. Allen Zierat hatten die ausquartierten Bauhausleute wohl mitgenommen. An der nackten Wand nur der vom Ruß abgebauste Umriss eines Kruzifixes, das über der Eckbank gehangen hatte. Obwohl abgenommen war seine Botschaft immer noch klar erkennbar. Entschuldigen Sie mal meine Direktheit, aber ich muss das in mein Wachbuch eintragen.
Wie ist der Zwischenfall denn nun abgegangen, Herr Oberleutnant? Wir gehören zur Nachrichteneinheit der 89. Division. Sonderauftrag. Irgendwo bei Schmidt über dem, äh, Stausee haben wir uns verlaufen und plötzlich war er da. Unser Indianer, kein Zweifel. Warten Sie mal. Ich habe die Zeichnung nach den Angaben von zwei jungen Schützen angefertigt, denen der Kerl vor ein paar Tagen die Kniescheiben gebrochen hat.
Ganz pfiffig, Jungs, die beiden. Flieger-AJ, haben ihn mir genau beschrieben. Hier, sehen Sie mal, Herr Oberleutnant. Die Zeichnung war wirklich nicht ohne Geschick ausgeführt und recht treffend. Von einem knorrigen und verschlagen wirkenden Unteroffizier eine derart feinfühlige Arbeit zu sehen, irritierte mich. Es lief mir eisig den Rücken runter, als ich auf das grimmige Porträt Wenzenecas blickte. Kann mich nicht erinnern. Tut mir leid. Nahm das Blatt zurück, enttäuscht, aber nicht resigniert.
und legte es mit Bedacht in die Mappe, die er auf dem Tisch liegen ließ. Jetzt fiel mein Blick auf den nagelneuen grünen Bleistift, der sorgsam gespitzt neben dem Block mit dem Zeichenpapier lag. Richtig gute, stabile Vorkriegsqualität. Hinter dem sind wir schon eine ganze Weile her. Der Indianer hat gute Leute von uns auf dem Gewissen. Woher wissen Sie eigentlich so genau, dass er ein Indianer ist? Verdenken Sie, warum er Ihnen die Kopfhaut geritzt hat? Wie bitte? Er wollte meinen...
Skalp. Ja, sicher. Aber wir kriegen den. Das haben wir uns geschworen. Da wir das nun geklärt haben, würde ich gerne zu meiner Einheit zurück und bitte geben Sie mir eine Pistole. Unser Chef, Oberst Feuerlein, wurde über den Zwischenfall informiert und hat darum gebeten, dass Sie bitte hierbleiben möchten, bis er wieder eintrifft. Er wünscht Sie unbedingt zu sprechen. Bin mir nicht sicher, wie Oberst Bellenhauer das findet. Mein Kommandeur.
Wir werden Ihre Einheit darüber verständigen, dass Sie am Leben sind, Herr Oberleutnant. Oberst Feuerlein hat unbedingt darum gebeten. Mist! In dem Moment begann es aus hunderten Rohren gleichzeitig zu hämmern. Die wehmenden Alarmsirenen in den deutschen Stellungen gingen los und man konnte die grünen Leuchtsignale erahnen, die überall über dem Wald und den kahlen Höhen verschossen wurden. Der amerikanische Angriff hatte begonnen. Ich kenne nicht die genauen Zusammenhänge.
Aber dieser Oberst Feuerlein muss Teil des militärischen Widerstands gegen Hitler gewesen sein. Also die Attentäter vom 20. Juli meinst du? Wo sie den Hitler umbringen wollen und dann hat es wieder mal eine Vorhersehung gegeben, so ein Elendiger und dann hat er wieder überlebt. Ja, genau. Also ich kann dir nicht sagen, wie genau seine Verbindung war, aber die Gruppe der Verschwörer war ja doch ziemlich groß. Tatsache war aber, dass Agenten von Himmlers Sicherheitsdienst unterwegs waren, um den Oberst zu verhaften.
Durchs Fenster der Wachtmeisterstube sah er, wie im trüben, schon dämmerigen Niesel des späten Nachmittags eine schwarze Zivillimousine vorfuhr. Zwei SS-Männer stiegen aus. Sie redeten mit dem Posten vorne am Hoftor. Einer der Männer kehrte zurück zum Auto. Der andere ging direkt auf die Wachtmeisterstube zu. Es war ein Oberscharführer, der nach Oberst Feierlein suchte. Und weißt du, wie er hieß? Erik Amann. Also der Freund aus New York von dem Sommerlager.
Sieben Jahre war es ja, dass wir uns gesehen hatten. In jenem letzten Sommer, 1937. In den wenigen Sekunden, die ich ihn auf die Tür zur Stube zugehen sah, lief mir ein ganzer Film aus Erinnerungen und Bildern ab. Erik in Badehose am Strand. Sein federnder Gang beim Geländespiel gegen Gruppe Blau. Das sehr komische Abscheugrinsen, wenn er etwas essen sollte, was ihm verboten war.
Also jede Form von Fleisch, Wurst oder Braten. Denn die Amanns waren wie Richard Wagner oder Hitler strenge Vegetarier. Ich setzte die Offiziersmütze auf und dann griff ich den grünen Bleischift von der Mappe mit den künstlerischen Arbeiten des Wachmeisters. Ich trat in das dunkelste Eck der Wachstube. Vielleicht würde er mich ja nicht erkennen. Heil Hitler! Heil Hitler! Wer sind Sie? Oberleutnant Hohlfelder, 89. Division, Fernmeldeeinheit. Was haben Sie hier zu suchen?
Es ist das Hauptquartier der Kampfgruppe Feuerlein. Es gab einen Zwischenfall. Ich habe hier auf den Oberst gewartet. Ihr wartet? Wieso? Was ist Ihre Verbindung mit dem Oberst? Es gibt keine Verbindung. Aha, keine Verbindung. Und dennoch sind Sie hier und warten auf ihn. Die ganze Sache gefiel ihm nicht. Seine durchdringenden blauen Augen musterten mein Gesicht. Wir blickten im Raum umher. Es arbeitete in ihm. John. Wie bitte? Du bist John. Ich verstehe nicht, was Sie meinen.
Erik hatte mich durchschaut, aber ich spürte, dass da noch ein kleiner Rest von Zweifel war, ob er sich getäuscht hatte und ich vielleicht doch derjenige war, für den ich mich ausgab. Ich konnte die Sekunden spüren, zerrinnt wie Sand. Erik. Noch einmal raffte ich mich auf. Ja, ich bin John. Ich musste ihm entgegenkommen, einen Teil zugeben. War John Glück. Ein paar Jahre nachdem ihr weggezogen seid, hat meine Mutter nochmal geheiratet. Einen Deutschen. Wir sind wie ihr ins Reich gezogen, nach Koblenz. Wir wohnen dort in der Frühgasse.
Ruhelfelder. Das ist der Name meines Stiefvaters. Ich bin in der 89. Division, Fernmeldeeinheit. Erik ruft dort an. Nun schien er tatsächlich für einen Moment in Zweifel zu geraten. Und warum hast du dann vorhin so getan, als würdest du mich nicht erkennen? Ich war einfach nicht sicher, wie du reagieren würdest. Ach, und dann nach fünf Minuten hin und her bist du plötzlich auf die Idee gekommen, dass ich mich bestimmt freuen würde. Erik, ich... Hör doch bitte auf, meine Intelligenz zu beleidigen.
Sag mir lieber mal, was heute im Tagesbefehl der in Einheit gestanden hat. Nun war John Glück klar, dass er damit nicht durchkommen würde. Er musste die Strategie wechseln. Verzweifelt versuchte er etwas aufzurufen, das die beiden verbannt. Der kleine Hund in einem der Sommerlager, der ihnen nachgelaufen war. Eriks Mutter, die eine wunderschöne Frau gewesen war und ihm immer große Dosen vegetarischer Produkte aus dem Reich mitgegeben hatte. Es war wie das qualvolle Durchstöbern eines Fotoalbums.
in der fatalen Hoffnung, die eine Erinnerung zu finden, die sie wieder zu Freunden machen könnte. Wie geht's deiner Familie? Du fragst mich nach meiner Familie? Meine Schwester, Margarete. Gretchen. Vielleicht erinnerst du dich an sie. Ja, natürlich. Ihre zwei Kinder und unsere Mutter sind beim alliierten Luftangriff auf Berlin im Frühjahr umgekommen. Mein Schwager Wilhelm ist in Russland geblieben. Stalingrad.
Vater war Pilot bei der Luftwaffe. Abgeschossen über den Mermelkanal. Erik Amann hatte keine Familie mehr in Berlin. Es tut mir leid, Erik. Nur noch den Tod. Leid? Ihr Amerikaner werdet bezahlen für das, was ihr den Frauen, Kindern, den Alten und Kranken Deutschlands antut. Unsere Städte brennen. Während wir als Einzige gegen die Kommunisten kämpfen, fallt ihr uns in den Rücken. Für den Profit eurer Kapitalisten. Es war Hitler, der uns und der ganzen Welt den Krieg erklärt hat, Erik.
Wie Brüder waren wir? Du und ich. Das sind wir doch nach wie vor. Dieser Krieg ist nicht unser Krieg. Wir müssen dafür sorgen, dass er so schnell wie möglich beendet wird. Wir? Du bist doch beim SD. Du hast doch den Überblick und Informationen. Erik, du weißt doch, mit welcher Geschwindigkeit die Rote Armee im Augenblick zum Westen vordringt. Willst du, dass die Russen vor uns am Rhein sind? Willst du, dass sie das Ruhrgebiet besetzen, ja? Also, wie hast du dir das gedacht?
Dass ich mich mit dir über die Linien schleiche und mich Private First Class Joe Miller aus Heckenseck ergebe? Ich arbeite für die Propaganda. Ich könnte dir sofort einen Kontakt zu unserem Geheimdienst herstellen. Dem OSS. Die lassen sich garantiert auf einen Deal ein. Einen Deal... Meine Treue zum Führer ist meine Ehre. Was seid ihr Amerikaner doch für Krämerseelen durch und durch. Ihr würdet noch eure Großmütter verkaufen. Erik, denk doch nach. Denk an deine Zukunft.
Wir können zusammen nach New York gehen. Du hast doch auch dort gelebt. Du bist doch auch ein halber Amerikaner, so wie ich ein halber Deutscher bin. Sieh das doch mal so, verdammt! Lass es, John. Er sah es nicht so. Er würde es nicht so sehen. Er würde es auch nicht versuchen. Meine ohne dies begrenzten Handlungsoptionen schwanden. Jetzt hieß es er oder ich...
Angriffskraft des Gegners kann helfen. Manchmal geht es nur darum, seine Aufmerksamkeit zu lenken. Der Mensch, der mir beigebracht hat, wie man mit einem Bleistift tötet, war ein Japaner. Mit Bleistift töten nicht schwer. Mr. Terauchi. Menschliches Auge sehr verletzlich. Man bitte nur nicht zögern, wenn Moment da. Handballen entscheidend. Den grünen Bleistift hatte ich unbemerkt hervorgezogen. Ich riss die Augen auf und sah, dass es nicht mehr so viel war.
und tat so, als sähe ich draußen im Fenster etwas Erschreckendes. Erik war für einen kurzen Moment abgelenkt. Es ging absurd schnell. Der plötzliche Anblick seines zerstörten Gesichts war fürchterlich. Ich fing seinen fallenden Körper auf, legte ihn auf das Feldbett mit dem zerstörten Gesicht zur Wand und deckte ihn zu. Ich nahm mir seine Walther PPK und verließ den Raum. Ich lief weiter über den Hof.
Durch die aufbrechenden Soldaten, abfahrenden LKW bis zur Limousine der SS. Eriks Fahrer saß hinterm Steuer und rauchte. Heil Hitler! Wer sind Sie? Oberscharführer Ahrmann möchte Sie augenblicklich sprechen. Gehen Sie! Schnell! Er fühlt sich nicht gut. Er stieg aus dem Wagen. Dann schlug ich ihm Eriks Pistole mit aller Kraft ins Genick. Ich setzte mich in den Wagen und fuhr los. Ich weiß nicht, wer meinen toten Freund dann später gefunden hat.
Dort in der Stube von Wachmeister Geyer. Ich weiß es nicht. Wie er so geschluchzt hat. Der John. Der hat richtig geweint. Ein Kind. Ich konnte da einfach nicht anders. Ich habe auch mitgeweint. Ich habe ihn in den Arm genommen und dann mit ihm mitgeweint.
"Meinen einzigen besten Freund, den ich jemals gehabt habe, habe ich umgebracht", hat er gesagt. Immer und immer wieder. Ich habe das verstanden, wie er sich da wahrscheinlich gefühlt hat. Dann habe ich ihm sein Haar gestreichelt. Und ich hätte in dem Moment, ich hätte so gut wie alles für den getan. Das war mein allererster Mann gewesen, mit dem ich geschlafen habe. Aber das war es gar nicht.
Der war wie ein Kind, weil es genau das gewesen ist, was der Krieg aus einem gemacht hat. Dass er seinen besten Freund hat umbringen müssen auf dem Schlachtweg. Da hat man bloß noch weinen können als Mensch. Warum das so sein hat müssen. Warum die ganze Gewalt, der Krieg, das Sterben, das Töten. Dass sich die Menschen gegenseitig umbringen müssen über so viele Jahre. Aber dass der John so geweint hat.
Das war ein Glück für ihn, das habe ich ganz genau gespürt in dem Moment. Und deswegen habe ich mitgelehnt. Ich habe den in der Nacht so geliebt. Und dann habe ich ihn im Arm gehalten und geküsst haben wir uns. Das war ganz salzig von den ganzen Tränen. Und dann ist er irgendwann eingeschlafen. Aber ich habe kein Auge mehr zutun können. Die Schießerei draußen auf den Straßen, die war nur ganz leise zum Hören. Immer wieder. Und ja...
Natürlich habe ich Angst gehabt, um uns. Dass die die Wirtschaft stürmen. Dass die den John umbringen und mich, weil ich mit ihm zusammen war. Aber es ist alles gut gegangen. Das war der Morgen vom 1. Mai 1945. Und als ich rauskomme auf die Arnolfstraße, da habe ich gesehen, dass in der Nacht, die wir im ewigen Licht verbracht haben, geschneit hat.
Die Trümmer und der Dreck, das war alles zugedeckt vom Schnee. Und die Sonne hat da drauf glitzert. Und man hat die Berge sehen können. Die haben einfach nur wunderschön ausgeschaut. Die haben ausgeschaut wie immer. Also als ob es nie einen Krieg gegeben hätte. Ein Hoch auf die Unsterblichkeit der Druckpresse. In zwei Stunden werden wir unsere erste Ausgabe rausbringen. Großartige Arbeit, Junge. Vielen Dank, König. Kommen Sie.
Hatten Sie schon die Gelegenheit, meine Geschichte zu lesen? Ja. Ich habe Ihre Geschichte gelesen. Schon. Fantastischer Text. Er zeigt die Abgründe dessen, was wir Amerikaner, die jungen Soldaten an der Front, alles durchgemacht haben, um Deutschland zu befreien. Ganz enorm. Ein literarisches Meisterstück. Wahrscheinlich der beste Text, den ich je von Ihnen gelesen habe. Konnte mir das alles genau vorstellen. Eine harte Geschichte, wirklich. Die Nacht im ewigen Licht. Allein schon der Titel, ja ganz großartig.
Dann bringen wir ihn also, ja? John, ich wäre der Erste, der Ihre Story gern gedruckt sehen würde. Aber das geht nicht. Sie würde die Leute doch viel zu sehr aufwühlen. Die Botschaft muss klarer sein. Klarer. Ihre Zeit wird schon noch kommen, John. Aber jetzt brauchen wir eine Geschichte, die die Leute ein wenig aufbaut. Eine Heldengeschichte. Sowas wie das hier. General Frederick befreit München. Das ist gelungen.
Der General ist übrigens sehr zufrieden mit seinem Foto auf der Titelseite. Gute Fotografin, Ihre kleine Freundin. Ich habe nur noch einmal von John Glück. Ein paar Tage später, nach der Nacht, da ist plötzlich ein amerikanischer Jeep zur Fotoschule gekommen und hat mir ein Schreiben von ihm gebracht. Sein Chefredakteur und er wollten für die erste neue Zeitung in München die Befreiung auf der Titelseite holen.
Und dafür haben die natürlich unbedingt ein Foto von dem amerikanischen General gebraucht. Also der General und die Münchner halt, die sich ihm so entgegenstrecken, wie er sie befreit. Und ich habe ja den ganzen Film von dem Tag schon entwickelt gehabt. Und da war ein sehr gutes Foto dabei vom Marienplatz. Nur das Problem war eben, dass der John da auch mit drauf war. Und das hat ja auf gar keinen Fall sein dürfen. Ja, also habe ich den John da wegretuschiert.
Und genau das Foto haben sie dann tatsächlich auch gedruckt. Das ist das Foto. Ja, die Zeitung, die habe ich mir natürlich aufgekommen. Das war auch für mich der Beginn meiner Laufbahn und ich war richtig stolz gewesen. Ich habe meiner Mama dann auch ein Exemplar nach Passau geschickt. Aber was ich niemandem erzählt habe, war, was es da mit auf sich gehabt hat. Mit dem John Glück und mir und unserer Nacht im ewigen Licht. Die Nacht im ewigen Licht von Steffen Kopetzki.
Hörspiel in vier Teilen, nach Motiven seines Romans Propaganda. Mit Slafko Popadic als John Glück, Ricarda Seyfried als Christel Kerschbaumer, Harald Krasnitzer als Colonel Gans, Jona Mues als Van Seneca, Dennis Moschito als Captain Oleandro, Peter Licht als Sergeant Felbinger, Johannes Benecke als Erik Amann. Sowie in weiteren Rollen.
Martin Bross, Cédric Cavator, Andreas Grotgar, Tom Jakobs, Nils Kretschmer, Carlos Lobo, Gerhard Mohr, Steven Scharf, Jeff Zach und viele andere. Musik Julius Richter und Eddie Ness. Technische Realisation Matthias Fischenich und Mechthild Austermann. Regieassistenz Hertha Steinmetz. Regie Susanne Krings. Dramaturgie Isabel Platthaus.
Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks 2020.