Warum soll man so doof sein, dass in dem Augenblick, in dem Deutschland endlich unter meiner Führung nach vielen, vielen Jahren durchgesetzt hat, wofür wir lange gekämpft haben, dass die anderen, diejenigen, die in ihren Ländern das Verfahren durchführen müssen, wieder zurücknehmen. Dass wir dann sagen, aber kurz vor Schluss halten wir uns nicht an das Recht. Angeblich geht es ja mit den Zurückweisungen und dann wieder nicht. Ich will es hier nochmal klarstellen, es geht.
Da haben wir die beiden Kanzlerkandidaten Olaf Scholz und Friedrich Merz gehört beim gestrigen TV-Duell. Thema war vor allem und immer wieder die Migration. Merz sagt, es wäre also rechtlich erlaubt, Menschen direkt an der Grenze zurückzuweisen. Und Scholz kontert, die Union würde damit die erreichten Kompromisse in der europäischen Asylpolitik gefährden.
Damit würde die Union laut Scholz einen Alleingang wagen, der vor dem Europäischen Gerichtshof und vor jedem Verwaltungsgericht keinen Bestand habe.
Migration ist also eines der bestimmenden Wahlkampfthemen in den aktuellen Diskussionen und Wahlkampfreden. Jedoch den Überblick über die Fakten zu behalten, das ist gar nicht so einfach. Vor allem, weil sich Halbwahrheiten, Falschbehauptungen und Tatsachen immer wieder vermischen. Wir wollen ein wenig Licht ins Dunkel bringen hier auf Radio 3. Mein Kollege Leon Ginzel.
hat sich deshalb die häufigsten Mythen und wichtigsten Streitpunkte zum Thema Migration ausgeschaut und angeschaut und mithilfe von ExpertInnen einordnen lassen. Fangen wir mit einem beliebten Bild von Rechtspopulisten an, das nicht zuletzt Donald Trump oft bemüht. Mythos 1. Westliche Staaten im globalen Norden werden überrannt. Es gibt einen wachsenden Ansturm von Flüchtlingen. Ein Blick auf die Zahlen zeigt, das stimmt nicht.
Ja, das stimmt.
Das entspricht 0,3 Prozent der Weltbevölkerung. Die Trends bei der Flüchtlingsmigration sind in der Regel sehr unbeständig und gehen wie ein Ping-Pong-Ball auf und ab. Je nach Ausbruch und Abklingen gewaltsamer Konflikte.
Betrachtet man jedoch das langfristige Muster, ist kein struktureller Anstieg zu erkennen. So die Haas bei einem Vortrag an der Humboldt-Universität Berlin, der auch auf Deutschlandfunk Nova zu hören war. Die Forschung zeigt außerdem, ein Großteil der Menschen, 80 bis 85 Prozent, flieht innerhalb des eigenen Landes oder geht in ein Nachbarland. Mythos 2. Wir müssen Fluchtursachen vor Ort bekämpfen, zum Beispiel mit Entwicklungshilfe.
Dann kommen weniger Menschen, weil sie oft wegen Armut fliehen.
Falsch, sagen Migrationsforscher wie Gerald Knaus oder Jochen Oltmer übereinstimmend. Denn wer sein Heimatland verlassen will, braucht Geld. Den Ärmsten fehlen die Mittel. Migration ist teuer. Migration erfordert Diplome. Migration erfordert Beziehungen. Wenn Armut wirklich der Hauptgrund für die Migration wäre, warum sind dann die wichtigsten Auswanderungsländer Mexiko, Marokko, die Türkei und die Philippinen?
Das sind nicht die armsten Länder der Welt, sagt Hein De Haas. Auch der Klimawandel als Fluchtursache in den globalen Norden ist laut De Haas nicht haltbar. Denn wenn der Acker wegen Dürre kaputt geht oder das Haus weggespült wird, bleibt kein Geld, um eine Flucht zu organisieren. Und die Forschung zeigt, je entwickelter ein Land ist, desto eher wandern Menschen aus.
Wenn Einkommen und Bildungsniveau in ärmeren Ländern steigen, nimmt die Auswanderung zu, weil sie die Migrationsambitionen und Fähigkeiten vergrößern. Wichtiger Punkt, die Nachfrage nach Arbeitskräften ist mit Abstand der wichtigste Treiber von Einwanderung. Läuft die Wirtschaft in einem Land, steigt die Migration dorthin. Nochmal, ein der Haas. Es ist nicht so, dass Migranten Arbeitsplätze wegnehmen. Nein, es ist eher umgekehrt.
Wir wissen alle, wer unsere Tomaten, Gurken und Erdbeeren erntet. Wir wissen, wer in den großen Städten Büros, Hotels und Häuser putzt. Wir wissen auch, wer Paketen ausliefert. Wir wissen auch, wer in allen Schlachthöfen des Westens arbeitet. Mythos 3
Wir müssen die Grenzen dicht machen, dann wird alles gut. Diese Behauptung ist nach Ansicht nahezu aller Migrationsforscher aus mehreren Gründen falsch. Erstens bräuchte es einen massiven Personalaufwand oder einen extrem langen Zaun. Und es gibt noch einen anderen Haken für dauerhafte Grenzkontrollen. Migrationsforscher Gerald Knaus. Dauerhaft schließen heißt...
Austritt aus Schengen. Man kann im Schengen-Raum temporäre Kontrollen machen. Das haben viele Länder, die Franzosen, die Österreicher, die Deutschen ja auch heute an allen Grenzen. Aber dauerhafte Grenzkontrollen, wie sie die CDU jetzt fordert, ist der Austritt aus Schengen, der Austritt aus dem dazu das begründeten EU-Rechts. Das wäre eine politische Bombe für Europa. Außerdem führen härtere Grenzkontrollen erst recht zu gefährlichen Schmuggelaktionen in Lastern oder übers Mittelmeer.
Heinde Haas stellt in seiner Arbeit fest, dass Einwanderungsbeschränkungen temporäre Migranten in die dauerhafte Niederlassung drängen. Denn wer viel Geld für ein Visum, einen Pass oder Genehmigungen ausgegeben hat oder einen Schmuggler bezahlt hat, der möchte es lieber nicht riskieren, zurückzukehren. Je schwieriger es ist zu kommen, desto mehr Migranten wollen bleiben.
Wir sprechen auf Radio 3 über Mythen, Halbwahrheiten und Fakten zum Thema Migration, einem der großen Themen im Wahlkampf. Doch was ist genau dran? Hier der zweite Teil der Recherche meines Kollegen Leon Ginzel. Ist Deutschland überlastet, weil es zu viele Flüchtlinge aufnimmt?
Zum Teil ja. Deutschland ist laut Zahlen der UN von Mitte letzten Jahres mit insgesamt 2,7 Millionen Geflüchteten, die sich im Land befinden, weltweit auf Platz 4 der Aufnahmestaaten hinter dem Iran, der Türkei und Kolumbien. 2024 wurden in Deutschland rund 250.000 Asylanträge gestellt. Deutlich weniger als 2023, aber immer noch ein relativ hohes Niveau. Dazu kamen rund 1,2 Millionen geflüchtete Menschen aus der Ukraine. Das ist eine sehr große Zahl.
Der Migrationsforscher Gerald Knaus erklärt, Ich glaube, die Politik hat angesichts einer historischen Herausforderung zu spät reagiert. Und darauf war und ist ein Land nicht vorbereitet. Das erzeugt Stress, das erzeugt Spannungen. Einige Kommunen sind überfordert. Laut einer aktuellen Studie des Instituts für Demokratische Entwicklung und Soziale Integration sind ein Drittel der 600 befragten Kommunen im Krisenmodus. Als herausfordernd, aber machbar, schätzt die Lage ungefähr die Hälfte der Kommunen ein.
Ein großes Problem, es gibt kaum Wohnungen. Auch Plätze für Integrations- und Sprachkurse fehlen und Schulen sind überlastet. Weiteres Problem, bis ein Asylantrag bearbeitet wurde, dauert es derzeit im Schnitt fast neun Monate, weil das Bundesamt für Migration überlastet ist. Wie ist der Stand beim Thema abgelehnte Asylbewerber und Abschiebungen?
2024 wurden bis November rund 18.000 Menschen aus Deutschland abgeschoben. Ausreisepflichtig waren bis Ende 2024 ca. 221.000 Menschen. Die Hälfte davon sind abgelehnte Asylbewerberinnen und Asylbewerber. Dazu kommen z.B. Menschen, deren Visum abgelaufen ist.
Aber acht von zehn Ausreisepflichtigen haben eine Duldung. Sie können aus verschiedenen Gründen nicht abgeschoben werden. Zum Beispiel, weil die Sicherheitslage im Herkunftsland es nicht zulässt oder durch eine Abschiebung eine Familie auf unvertretbare Art und Weise getrennt werden würde. Auch fehlende Reisedokumente oder schwere Krankheiten sind Gründe.
Unmittelbar ausreisepflichtig waren Ende 2024 rund 42.000 Menschen. Migrationsforscher Gerald Knaus. Natürlich fragt sich die Bevölkerung, warum ausreisepflichtige Straftäter immer noch Jahre später in Deutschland sind und ob man da nicht mehr machen kann. Und darauf braucht man dringende Antworten. Was ist mit Zurückweisungen gemeint? Sind sie legal und wie viele davon gibt es? Sprechgespräche.
2024 wurden laut Bundesinnenministerium an deutschen Grenzen fast 47.500 Menschen abgewiesen. Nach aktueller Rechtslage dürfen Asylsuchende allerdings eigentlich nicht an der Grenze zurückgewiesen werden, denn jede asylsuchende Person hat Anspruch auf die individuelle Prüfung ihres Antrages. Dabei wird auch geprüft, ob der Mensch bereits in einem anderen europäischen Land registriert wurde. Das dauert allerdings oft Wochen.
Ist ein anderes Land zuständig, müsste der oder die Geflüchtete innerhalb von 18 Monaten dorthin zurück, weil dann dort über das Asylverfahren entschieden wird. Das ist das sogenannte Dublin-Verfahren. Solange sie in Deutschland ist, bekommt die Person dann auch keine staatliche Leistungen.
Manche Ex-Verfassungsrichter wie Peter Huber oder Hans-Jürgen Papier hingegen halten Zurückweisungen für legitim, weil die Geflüchteten aus einem sicheren Land, also Polen oder Österreich zum Beispiel, nach Deutschland einreisen, also auch dahin zurückgewiesen werden können.
Systematische Zurückweisungen an den Grenzen wären nur dann möglich, wenn Deutschland eine Notlage gegenüber der EU erklärt. Das gilt aber nach Einschätzung von EU-Rechtsexperten und Expertinnen als sehr unwahrscheinlich. Oder zweite Variante, Deutschland tritt aus der Genfer Flüchtlingskommission und der Europäischen Menschenrechtskonvention aus. Das geht wahrscheinlich aber nur, wenn Deutschland auch aus der EU austritt. Ungarn, Italien, Polen oder Dänemark schotten sich doch auch ab.
Warum sollte Deutschland das nicht machen? Die genannten Länder brechen mit ihrem Vorgehen oft EU-Recht und die Genfer Flüchtlingskonvention. So wurde Ungarn schon zu hohen Strafen vom Europäischen Gerichtshof verurteilt. Auch Italiens Plan, Asylbewerber in Lagern in Albanien unterzubringen, wo sie auf die Bearbeitung der Anträge warten sollen, ist mehrfach vor Gericht gescheitert.
Dänemark hat einen Sonderstatus, weil sich das Land in den 90ern aus einer gemeinsamen europäischen Migrationspolitik vertraglich ausgeklammert hat und viele Punkte deshalb nicht erfüllen muss. Welche Lösungen empfehlen Migrationsexperten dann? Migrationsforscher Heinde Haas plädiert dafür, ganz grundsätzlich umzudenken beim Thema Migration.
Migration. Wir brauchen ein neues, wissenschaftliches, fundiertes Paradigma, das Migration als einen wesentlichen und daher unvermeidlichen Bestandteil umfassender gesellschaftlicher Transformationsprozesse begreift. Heute übernehmen viele Migranten systemrelevanten Arbeiten, doch wir behandeln sie erneut wie austauschbare Diener und Dienerinnen.
Wenn wir die Augen wieder verschließen und wegschauen, verschwinden die Migranten nicht auf magische Weise, sondern sie werden an den Rand gedrängt. Kollege Gerald Knaus setzt vor allem auf Drittstaatenabkommen. Von 2016 bis 2019 ist die Zahl der Asylanträge in Deutschland auf 20 Prozent gefallen durch eine Einigung mit der Türkei.
2020 brach die zusammen und dann stiegen die Zahlen drastisch. Wir brauchen eine neue Einigung mit der Türkei, ein sicheres Drittstaatsabkommen. Wir brauchen mehr sichere Drittstaatsabkommen als Koalition europäischer Staaten mit anderen Staaten. Kommunen wünschen sich zudem eine bessere Unterstützung bei der Unterbringung und Integration von Geflüchteten. Laut der bereits erwähnten Studie vom Institut für demokratische Entwicklung und soziale Integration fordern viele mehr Geld.
Eine bessere Koordinierung zwischen Bund, Ländern und Kommunen und eine höhere Förderung für Sozialwohnungen und mehr Integrations- und Sprachkurse.
Ein Problem ist laut vielen Gemeinden und NGOs wie Pro Asyl auch, dass es sehr lange dauert, bis Geflüchtete eine Arbeitserlaubnis erhalten. Das dauert oft Monate. Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern dürfen gar nicht arbeiten, weil ihr Asylgesuch sehr wahrscheinlich abgelehnt wird. Alle anderen sind bis zu sechs oder sogar neun Monate gesperrt, weil nach Ansicht der Behörden die Prüfung ihrer Fluchtgründe im Vordergrund steht. Das wollte die Ampel eigentlich laut Koalitionsvertrag abschaffen.
Soweit also die Recherche von Leon Ginzel zu Fragen, Zahlen und Wahrheiten zum Thema Migration. Ganz unaufgeregt und selbstverständlich faktenbasiert.