Deutschlandfunk, Kulturfragen. Mit Christiane Florin, guten Tag. Vor 80 Jahren, so beginnen in diesem Jahr viele Anmoderationen. Angefangen mit dem 27. Januar, dem Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz. In wenigen Wochen wird an den 8. Mai erinnert, den Jahrestag der Kapitulation Hitler-Deutschlands und an den 9. Mai den Feiertag der siegreichen Sowjetunion. In der DDR war dieser Tag auch wichtig.
Gedenkpolitik ist traditionell ein Feld heftiger Debatten. Die Neue Rechte, eine Bewegung, die nun auch schon 60 Jahre alt ist, deutet gern die Geschichte, baut sie in ihre Geschichten von Volk und wahrer Demokratie ein. Seit Neurechte Parteien, populistische Parteien, extreme Parteien erfolgreich sind, entzünden sich gerade an Jahrestagen grundlegende Kontroversen.
In diesen Kulturfragen blicken wir vor und zurück, fragen zum Beispiel, was bedeutet eine starke AfD im Parlament für diese Gedenktage? Darüber spreche ich mit Volker Weiß. Er ist Historiker und Publizist, ein Spezialist für die neue Rechte. Das Deutsche Demokratische Reich heißt sein neuestes Buch. Wir zeichnen dieses Gespräch am Donnerstagmittag auf. Guten Tag, Herr Weiß. Guten Tag.
Wie halten Sie es eigentlich mit dem Wort Kulturkampf? Gibt es einen Kulturkampf um die Erinnerungskultur? Nicht nur um diese, aber der Begriff Kulturkampf hat ja eine Vorgeschichte. Um den zu verstehen, muss man ein bisschen weiter zurückgehen und sich erinnern an den Konflikt, den Otto von Bismarck im Deutschen Reich damals ausgefochten hat mit der katholischen Kirche. Da geht es um Deutungshoheiten.
und politische, kulturelle Deutungshoheiten. Letztendlich die Frage, wer hat die geistige Richtlinienkompetenz, könnte man sagen.
Es ist eben die Frage, welche generelle Ausrichtung sich eine Gesellschaft sucht und welche Ausrichtung von staatlicher oder von Seiten von Kulturinstitutionen. Heute können wir sagen, gibt es einen Kulturkampf, der sich um die Frage von Liberalität in der Gesellschaft dreht. Da gibt es klare Ziele von Seiten der Rechten.
Von konservativ bis Extremrecht kann man sagen, reicht das, wo man schon danach strebt, die Liberalisierung der deutschen Gesellschaft seit den 60er Jahren eigentlich doch wieder einzuschränken. Das wäre ein Teil des Kulturkriegs. Und welche Rolle spielt dabei die Deutung der NS-Zeit für die neue Rechte, also konkret jetzt für die AfD?
Die Frage nach der NS-Zeit und auch die Frage nach der Kriegsniederlage oder Befreiung ist ganz zentral in dieser kulturellen Auseinandersetzung. Einfach deshalb, weil diese Frage die Kultur der Bundesrepublik sehr stark geprägt hat.
Also wie eine Gesellschaft auszusehen hat, was man sich wünscht und vor allem was man sich nicht wieder vorstellen möchte, hängt eben auch ganz unmittelbar mit der Erfahrung des Nationalsozialismus zusammen. Und das ist schon seit Jahrzehnten umstritten.
schlug im Prinzip das erste Mal richtig Wellen, obwohl es auch da eine lange Vorgeschichte gab mit der Weizsäcker-Rede 1985, als Richard von Weizsäcker den 8. Mai zum Tag der Befreiung ausgerufen hat. Da war er keineswegs der Erste, Theodor Heuss hatte das auch schon getan, aber da kocht
dann die Bogen nochmal sehr hoch, um eben die Deutung, Befreiung oder Niederlage. Und dieser Kampf wird gerade von der neuen Rechten, also ich sage mal dem metapolitischen Teil der äußersten Rechten, seit Jahrzehnten geführt, also seit den 80er Jahren. Und der wird jetzt auch wieder hochkochen. Und was bringt es für die Zukunft, also für eine Partei, die ja an die Macht will, die die Vorstellung hat, sie kommt in Zukunft an die Macht,
Was bringt das denn für die Zukunft, wenn man ein derartiges Thema so zentral gewichtet? Nun, es geht da gerade für die AfD, aber auch für das gesamte Neurechteumfeld letztendlich um Deutungshoheiten und Fragen von nationaler Identität. Und in der Lesart dieser Kreise ist sozusagen der Zustand Deutschlands unmittelbar damit verbunden, dass die AfD
die Alliierten nach der Kriegsniederlage ja den Deutschen ihre Identität geraubt hätten. Also die kommen gar nicht auf die Idee, dass das auch ein eigener Aufarbeitungsprozess gewesen sein könnte. Und man möchte sich eben von dieser aufgezwungenen Beschäftigung, angeblich aufgezwungenen Beschäftigung mit der eigenen Niederlage, vor allem mit den Kriegsverbrechen, mit der Schoah eben beobachten.
weil man meint, nur dadurch käme man wieder zu einer reinen deutschen Identität. Also natürlich hoch ideologisch, das Konzept. Auch deshalb, weil Moral ein Hemmschuh ist? Es ist ja auch eine ethische Lektion, die uns diese Geschichte mitgegeben hat. Ja, das wird aber abgelehnt. Denken Sie doch mal daran, welchen schlechten Ruf der Begriff des Gutmenschen heute hat. Das ist ja eigentlich absurd. Eine Gesellschaft,
die sich gerade auch im eher konservativeren Teil auch auf das Christentum, auf die Nächstenliebe beruft. Und jetzt kommt eine Strömung, die sagt, wir wollen gar keine guten Menschen mehr sein. Also ich denke, die moralischen Lehren, das ist ja spätestens seit Björn Höckes 180-Grad-Wende, die er ausgerufen hat, bekannt, die möchte man nicht mehr haben, weil man sie als Hemmschuh sieht. Man hat da eine Art historischen Realismus aufgebaut,
Und dieses Prinzip können wir heute sehen, ob bei Putin auch oder bei Donald Trump, meinetwegen auch bei Erdogan. Realismus bedeutet dann also in sozusagen der Deutung autoritärer Potentaten, das zu machen, was man möchte und was machbar scheint. Nouvelle droite, neue Rechte, also die Bewegung, über die wir hier gerade sprechen, das ist ja eine Selbstbezeichnung. Man bezeichnet sich selber als Rechtsalerte Benoit.
hat das in den 60er Jahren entwickelt. In ihrem Buch recherchieren sie die Genese eines angeblichen Göbbels, Zitat. Ich lese mal dieses angebliche Zitat vor. Das lautet, Zitat Ende.
Dieses angebliche Zitat hat eine große Karriere gemacht, hat eine große Verbreitung gefunden in der neuen Rechten und eben auch AfD-Politiker haben das verbreitet. Warum teilen die das so gerne? Also dieses Zitat oder ähnliche Aussagen gleichen Inhalts, also wenn wir an diesen Ausbruch von Alice Weidel denken, Hitler sei Kommunist,
gewesen, was ja wirklich der gleiche Unfug ist, ist deswegen so beliebt, weil man sich damit auf einen Schlag quasi der Geschichte entledigen kann. Das ist schon sehr alt, diese rhetorische Geste einfach zu behaupten, der Nationalsozialismus hätte mit der deutschen Rechten eigentlich gar nichts
Und als nächsten Schritt kann man dann schlicht und ergreifend sagen, naja, wenn die Nazis Linke waren, dann sind Linke natürlich auch Nazis. Und damit ist man das gesamte Problem los und hat es den Gegner an die Backe geklebt. Sie haben recherchiert für Ihr Buch und Sie weisen nach, Goebbels hat diesen Satz gar nicht geschrieben. Haben Sie das eigentlich auch jene AfD-Politiker wissen lassen, die diesen Satz aufgreifen?
Ich weiß nicht, ob in der AfD mein Buch gelesen wird und ich fürchte, es wird auch nicht viel helfen. Aber tatsächlich, der Satz stammt nicht von Goebbels, er stammt von einem anderen nationalsozialistischen Politiker, der ihn aber auch in einem völlig anderen Kontext aufgeschrieben hat und ihn letztendlich auch nochmal ganz anders ausdeutet.
Dort Joachim Haupt hieß der Mann, der kam eher aus diesem Röhmflügel, der 1934 dann auch entmachtet wurde. Aber auch bei Haupt in der ursprünglichen Quelle dieses Satzes wird dann klargemacht, nein, es geht hier überhaupt nicht um diese Frage links oder rechts, es geht um die Rassenfrage.
Rasse statt Klasse. Das ist dann genau der Punkt, dass auch beim eigentlichen Urheber dieses Zitates am Ende klar gemacht wird, die nationalsozialistische Ideologie kreist eben um die Frage des angeblich überliegenden Arias und will von der Klassenfrage, von sozialen Fragen gar nichts wissen. Also ich ernehme Ihre Antwort jetzt auch. Es ist völlig egal, ob etwas stimmt oder ob etwas nicht stimmt.
All das führt ja nicht dazu, dass die Glaubwürdigkeit Neurechter sinkt. Wie kann das sein, dass so wenig interessiert, was nun wirklich war und was man dann behauptet? Gut, ich fürchte, wir können gerade aktuell sehen, wie zum Beispiel Donald Trump, dass tatsächlich...
Fakten, Wahrheiten keine große Rolle mehr spielen. Es geht eben darum, den nächsten Überbietungsschritt zu machen. Und wenn ich die eine steile These in den Raum gehauen habe, dann schiebe ich gleich die nächste Provokation hinterher. Insofern sind natürlich auch die Möglichkeiten der Geschichtswissenschaft, derartige historische Schieflagen dann zu korrigieren, sehr begrenzt, weil die Frage ist, wie viel Gehör findet eigentlich die Korrektur wirklich?
Es geht hier tatsächlich darum, wer schreit am lautesten. Und was bedeutet das jetzt für Ihre Disziplin, also für die Geschichtswissenschaft, aber auch für Journalismus, der ja eigentlich sagen sollte, was wirklich ist und zu Behauptungen auch Belege liefern sollte? Muss man davor kapitulieren?
Nein, man darf davor gar nicht kapitulieren. Es ist ja die Frage, wen man erreichen möchte. Ich denke, es gibt hierzulande noch genug Menschen, die eben nicht auf diese Methode reinfallen. Und es geht mir jetzt speziell darum, sozusagen die andere Seite auch mit Argumenten zu beliefern. Im konkreten Fall habe ich als Historiker bestimmte Möglichkeiten, Recherchen und Beweisführungen zu bieten, die andere vielleicht nicht haben. Das heißt, ich kann dann
Argumente liefern, die andere vor Ort auch unterstützen können. Ich mache mir aber keine Illusion, dass es durchaus einen harten Kern von Menschen gibt, die wir heute nicht mehr erreichen können, weil sie in ihrer eigenen Realität leben. Geschichte wird passend gemacht, die wird so zurecht gedengelt, dass sie in die meistens ja heroische Identitätserzählung passt. Würden Sie so weit gehen zu sagen, Geschichte wird zusammengelogen?
Es gibt auf jeden Fall diese Versuche. Das Interessante ist, weil Sie sagen, eine heroische Identität, das ist immer ein Wechselspiel. Heroisch auf der einen Seite, aber auch eine Opferidentität. Also man neigt auf der rechten Qualität.
quasi gleichzeitig dazu, die Geschichte der Deutschen als einen unglaublichen Opfergang vor der Welt, vor übermächtigen Kräften darzustellen und auf der anderen Seite sich dann auch als heldenhaft in diesem Opfergang darzustellen. Also diese Widersprüche sind ja immer vorhanden.
Das sehen wir aber auch bereits im historischen Faschismus. Ja, und da werden dann, wie wir an diesem Zitat gesehen haben, aber eben auch an der Frage, ja, Nazi-Verbrechen, Kriegsverbrechen,
Befreiung, Niederlage wird dann durchaus auch mal gegen die Fakten interpretiert. Für alle, die sich gerade erst dazu geschaltet haben, Sie hören die Kulturfragen im Deutschlandfunk. Mit dem Historiker Volker Weiß spreche ich 80 Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur über Neurechte, Erinnerungskultur. Herr Weiß, die AfD führt ja auch ständig das Wort Demokratie im Mund.
plädiert oft für direktdemokratische Elemente. Demokratie ist ein Hochwertwort, ist ja sehr, sehr positiv belegt, sehr hoch angesehen, bei der Mehrheit der Bevölkerung zumindest. Was ist, wenn Neurechte sprechen, mit Demokratie gemeint? Auch hier treffen wir häufig auf dieses Spiel, dass Begriffe zwar verwendet werden, aber ihre Bedeutung verschoben wird. Der Demokratiebegriff der vor allem jetzt neuen Rechten ist eher der einer Begriffe,
plebiszitär gestützten Mehrheitsdiktatur. Das bedeutet, der Kern der modernen Demokratie, der ja auch im Minderheitenschutz und in Pluralität besteht, der wird letztendlich dort wieder herausdefiniert.
Und das ist natürlich fatal, weil da hängt sehr viel daran, was ja die Demokratie und vor allem die demokratische Praxis ausmacht. Also beispielsweise Medien, die unterschiedliche Sichtweisen aufbringen können, Kontrolle, also alles lauter Dinge, die an Pluralität auch gebunden sind, an verschiedene Akteure. Das soll nivelliert werden, weil es eben nur noch einen vorgeblichen reinen Volkswillen gibt.
Zugleich fordert die neue Rechte für sich aber Toleranz ein. Das heißt, diese Vorstellung, es gibt verschiedene Strömungen in der Gesellschaft, verschiedene politische Färbungen, die ist ja durchaus da. Also wie passt denn das zusammen, illiberale Tendenzen aber für sich selber Toleranz einfordern? Ja, das ist ein taktischer Move und wir können das auch sehen. Es gibt eine Rede des rechten Agitators Götz Kubitschek,
der erst einmal ein riesiges Horrorszenario aufmacht, was die liberale Demokratie Leuten wie ihm alles zumuten würde und dann aber gleich hinterher schickt, wir würden das genauso machen. Und das kann man immer wieder sehen, dass die von der rechten beschworene Intoleranz der restlichen Gesellschaft eigentlich vor allem aufmacht,
eine Ankündigung ist, was sie selber machen wollen. Wir können das sehen bei Donald Trump, der also eine angebliche Zensur durch die Liberalen immer im Sprechen beklagt hat und kaum ist er in Amt und Würden, er lässt er selbst knallharte Sprachregelungen. Wie die neue Rechte die Demokratie zerstört, so ist der Untertitel ihres Buches. Worin besteht das Zerstörerische? Es
Es geht erstmal darum, dass Begriffe verschoben werden. Also wir haben den Demokratiebegriff als ein Beispiel, der eben zu einer reinen Mehrheitsdiktatur dann umdefiniert wird. Was ich jetzt in meinem Buch hauptsächlich beschreibe, sind Eingriffe in die Geschichte. Das
auf der einen Seite der Nationalsozialismus umdefiniert wird, aber, und das fand ich besonders interessant, auch die DDR-Geschichte plötzlich anders erinnert wird, nämlich die DDR als eine ja irgendwie positive und funktionierende Ordnungsmacht. Eine Gesellschaft, die
lauter Tugenden aufgewiesen habe, die heute im liberalen Deutschland verloren gegangen sind. Ja, das ist ja so ein Kunststück, positiv an die DDR zu erinnern, ohne aber positiv an den Sozialismus oder den Kommunismus erinnern zu wollen. Wie geht das? Das kann man abspalten. Im Prinzip wird das autoritäre, man
man könnte auch sagen das Preußische, was ja auch durchaus von progressiver Seite an der DDR kritisiert wurde in der Vergangenheit, das wird als positiv erinnert. Während beispielsweise die besondere ökonomische Struktur
Die wird abgespalten oder sie wird dann eben einer Minderheit aus der Sowjetunion ferngesteuerter Kommunisten überantwortet. Aber das Wichtige in dieser Erinnerung ist, dass in der DDR sozusagen der reine deutsche Volkskörper erhalten geblieben ist, weil es keine Einwanderung gab.
Es stimmt zwar auch nicht, es gab auch in der DDR durchaus sowohl Arbeitsmigration als auch fremde Truppen und so weiter. Aber das wird eben nicht erinnert, weil es nicht so sichtbar war.
Und das ist der Kernpunkt, da zeigt sich auch wieder letztendlich der völkisch-nationale Kern im Denken, dass eben die DDR-Gesellschaft als wenig von Migration berührte Gesellschaft als die bessere deutsche Gesellschaft erinnert wird, jenseits der polizeistaatlichen Aspekte. Wir haben jetzt analysiert falsche Zitate, Lügen regelrecht, Umdeutung von Begriffen, eigentlich Verkehrung oft ins Gegenteil, wenn es positive Begriffe sind.
Warum verfängt das? Ich denke, es trifft auf ein Bedürfnis. Wir haben das erlebt während der Corona-Pandemie, dass sozusagen aus der Skepsis, die in weiten Teilen der Bevölkerung da war, man könne ja gar nichts mehr glauben, das schlägt dann plötzlich um in die Haltung, alles zu glauben.
Und ich fürchte, die Corona-Pandemie hatte da auch die Wirkung eines Katalysators. Also plötzlich sind Dämme gebrochen und Menschen, die vielleicht davor nicht so empfinglich gewesen waren, waren dann bereit, wirklich jede Verschwörungstheorie hinzunehmen.
Weil es eben das Bedürfnis gibt, eine große Unzufriedenheit gibt und man sich dann irgendwo Klarheiten wünscht. Und wenn die nicht geliefert werden, dann greift man eben auf irgendwelche Verschwörungsmärchen und Ähnliches. Und da hilft die als gut oder besser herbeifantasierte Geschichte? Ja.
Es ist ein Angebot. Es ist das Angebot, das von Seiten der Agitatoren gemacht wird, in eine, wenn auch imaginierte Vergangenheit zurückzukehren. Make America Great Again letztendlich. Das ist also der
der Schlachthof, den solche Bewegungen eben immer mit sich führen, auch wenn die reale Vergangenheit mit der skizzierten eigentlich gar nichts zu tun hatte. Aber deswegen muss ja auch erst die Erinnerung bekämpft werden. Wenn ich die Erinnerung an die reale Vergangenheit bekämpft habe, an die Schrecken beispielsweise des Zweiten Weltkrieges oder auch an die deutschen Kriegsverbrechen, wenn ich
das aus dem gesellschaftlichen Gedächtnis beseitigt habe, dann kann ich auch eine imaginierte, großartige, glorreiche Vergangenheit anbieten. Und das ist das, was dann notwendig ist, also diese Sehnsucht nach dieser vergangenen Glorie, um entsprechende politische Schritte dann auch einleiten zu können. Wenn wir auf den 8. Mai blicken, auf den 80. Jahrestag,
Was erwarten Sie da von der AfD? Wie gesagt, die Agitation gegen die Idee der Befreiung, die ist in der deutschen Rechten, nicht nur in der extremen Rechten, also auch bis weit in konservative Kreise seit vielen Jahrzehnten verbreitet. Wir haben entsprechende Äußerungen schon im Europawahlkampf im Vergangenen gesehen. Wir werden sehen, wie weit man sich vorwagt.
Das klingt ja an manchen Stellen sehr fatalistisch, so nach dem Motto, man kann Aufklärung, man kann Recherche anbieten, erreicht aber damit bestimmte Menschen ja gar nicht mehr. Dann wird es eben einfach egal, ob was stimmt oder ob was nicht stimmt. Wie können, ich sage es mal vereinfachend, Mittepolitikerinnen und Politiker dagegen halten? Richtig.
Ich denke tatsächlich erstmal durch Aufklärung und Widerlegung. Das ist das eine. Ganz wichtig ist, nicht über jedes Stöckchen zu springen, das hingehalten wird. Ich war schockiert vom Bundestagswahlkampf, der tatsächlich zu einer Art monothematischen Wahlkampf gemacht wurde. Also die AfD hat da das Thema Migration vorgegeben. Ich habe mir schon die Augen gerieben, was eigentlich mit dem
Krieg in der Ukraine ist oder mit dem Klimawandel oder auch mit banalen Steuergesetzgebungen. Das scheint alles keine Rolle mehr gespielt zu haben. Also ganz wichtig ist, sich nicht immer die Themen vorgeben zu lassen, eigene Akzente zu setzen und gegenzuhalten. Und wie kann die Zivilgesellschaft gegenhalten? Dadurch, dass sie den kühlen Kopf behält und letztendlich versucht, Transparenz und Aufklärung walten zu lassen.
Sie widmen ein Kapitel Ihres Buches der, wie Sie es nennen, späten rechten Liebe zur Sowjetunion.
Um mal auf den 9. Mai jetzt zu sprechen zu kommen. Woher kommt diese Liebe? Das ist eine Konstellation, die tatsächlich überraschend wirkt. Aber in dem Moment, als mit Wladimir Putin ein autoritäres, ein illiberales und auch militaristisches Regime plötzlich dastand und Angebote gemacht hat, vor allem auch
kulturelle Angebote gemacht hat mit dem westlichen Liberalismus, den ja die Rechte ja selber als dekadent und verkommen empfindet, aufzuräumen, konnte dieser Brückenschlag dann auch gelingen. Das Interessante ist ja, dass auch in Russland eine ähnliche Reinterpretation der sowjetischen Vergangenheit stattfindet, wie es im kleineren Maßstab in Deutschland von der rechten Mitbegründung
mit der DDR geleistet wird. Nämlich auch da eine Glorifizierung als vor allem eine Ordnungsgesellschaft. Also unter Putin wird unter tätiger Mithilfe auch der orthodoxen Kirche gerade, wird die Sowjetunion im Prinzip eingegliedert in die große Reichsgeschichte, also quasi als eine Art Verlängerung des Zarenreiches. Und jetzt soll Russland ja weiter eine imperiale Macht bleiben.
Das sind lauter Angebote mit der Feinderklärung gegen den sogenannten kollektiven Westen und seinen angeblichen kulturellen Zerfall. Mit denen kann man sich durchaus identifizieren und damit sind das strategische Partner. Das alles verbinden ist diese Verfallserzählung, die anti-liberale Haltung, auch dann nochmal dezidiert gegen LGBTQ-Bewegungen.
Christopher Street Day und alles, was da angegriffen wird. Da auch nochmal die Frage, wie können da Politikerinnen und Politiker dagegen halten? Also jetzt von der politischen Seite her geht es auch hier um, auf keinen Fall diese Angebote anzunehmen und sich dann quasi auf den Diskriminierungswettbewerb einzulassen. Nein, es geht darum, dann eben auch die Minderheiten zu verteidigen, die Menschenrechte zu verteidigen.
und genau diese Rhetoriken klar in Schranken zu weisen. Also ich bin schon manchmal erstaunt. Ich habe jetzt eine Rede, die ich auch im Buch analysiere, des AfD-Abgeordneten Til Schneider im Magdeburger Landtag vor Augen, wo er derartig ausfällig wird gegen Minderheiten, dass man sich eigentlich wundert, warum es keinen Ordnungsruf durch das Präsidium gibt. Das sind genau die Versäumnisse, die wir erleben können. Man lässt diese Leute viel zu viel gewähren.
Warum meinen Sie, gibt es keinen Ordnungsruf? Das ist ja auch eine übergeordnete Frage, wo Sie gerade ja den Wahlkampf nochmal beschrieben haben. Da gab es ja im übertragenen Sinne auch kaum Ordnungsrufe, sondern im Grunde des Zugeständnis, die Themen und die Thesen, die sind schon ganz gut und es ist besser, wenn wir die übernehmen und nicht, dass der AfD überlassen, aber einen inhaltlichen Überleg.
Widerspruch breit. Warum fehlt das so oft? Also ich denke zum Teil ist es eher ein Nicht-Hören-Wollen oder Nicht-Mehr-Hinhören-Wollen. Also das war in dieser Landtagsrede, die ich genannt habe, war das sichtbar. Die Leute verdrehen die Augen, die kichern, aber sie werden nicht mehr aktiv. Aber ich fürchte, es gibt auch durchaus Teile der Gesellschaft, die eigentlich auch damit einverstanden sind und denken, jetzt sollen die das ruhig mal machen.
Das ist natürlich eine fatale Haltung, weil man da vielleicht auch übersieht, dass man noch wesentlich mehr einkauft als nur ein paar Ressentiments, nämlich eine tatsächlich dramatische, illiberale Wende. Wie zerstört ist diese deutsche Demokratie schon? Also ich würde sagen, im letzten Jahrzehnt hat die Gesellschaft und die Politik schon erheblich Schaden genommen, also durch die permanente Polarisierung, die von Recht betrieben wurde und vor allem auch durch dieses Narrativ-Syndikum,
dass es eigentlich nur eine Opposition gebe und alle anderen ein Block sein, das ja mit der Realität eigentlich gar nichts zu tun hat. Ich bin aber nicht bereit, die Flinte ins Korn zu werfen, weil es gibt nun auch genug Regionen, in denen letztendlich die Widerstände noch sehr groß sind. Und ich sehe es tatsächlich als meine Aufgabe, ja, diese Widerstände weiter auch zu unterstützen mit Texten, Büchern und Analysen.
So enden diese Kulturfragen im Deutschlandfunk dann doch nicht resignativ, obwohl wir den ernsten Zustand dieser Demokratie beschrieben haben. Mit dem Historiker Volker Weiß habe ich darüber gesprochen, was die Erstarkung der neuen Rechten für die Erinnerung an die NS-Diktatur bedeutet, für die Gegenwart der Geschichte. Ich bin Christiane Florin. Danke fürs Zuhören. Danke fürs Mitdenken. Hier im Deutschlandfunk folgt jetzt Kultur heute.