Am Mikrofon ist Anja Reinhardt, herzlich willkommen. Wie Epochen eingeteilt werden, das bemisst sich vor allem an den großen Zäsuren. In der Geschichtswissenschaft beginnt das 19. Jahrhundert mit der Französischen Revolution und endet mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs, folgt man dem britischen Historiker Eric Hobsbawm. Das kurze 20. Jahrhundert endet in dieser Logik 1989 mit dem Ende des Kalten Krieges.
Wie die Historiker der Zukunft das 21. Jahrhundert einteilen und welche Zäsuren sie für die Entscheidenden halten, das ist in der Gegenwart schwer absehbar. Feststellen lässt sich allerdings, dass die Frequenz der Entwicklungen, die als historisch eingestuft werden, in den letzten Jahren frappierend zugenommen hat. Über das Ende des Westens, wie wir ihn aus der Nachkriegsordnung kannten, wurde schon viel gesprochen. Ich empfehle dazu auch die Interviewreihe der Neue Westen im Podcast der Tag.
Was das alles für Deutschland und seine Rolle in der europäischen und globalen Politik heißt, das kann ich in diesen Kulturfragen mit Dagmar Ellerbrock besprechen. Sie ist Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der TU Dresden und sie forscht zur Geschichte der Gewalt und der Gefühle. Guten Tag, Frau Ellerbrock. Hallo, Frau Heiner.
Ich würde ganz gerne, Frau Ellerbock, tatsächlich auch gleich mit den Gefühlen, mit der Gefühlslage anfangen. Denn Deutschland steht zwar gerade ein bisschen, ich weiß gar nicht, wie man es richtig bezeichnen soll, wie die verlassene Geliebte da. Aber die Beziehung zu den USA war ja schon länger brüchig und Donald Trump ist jetzt auch nicht vom Himmel gefallen. Wie bewerten Sie das?
Ja, wir sind in der Tat in einer neuen Situation, emotional in einer neuen Situation. Ich würde vielleicht nicht das Bild der verlassenen Geliebten nehmen, sondern mir erscheint es, als würden wir der Pubertät entwachsen und selbstständig und erwachsen in eine neue Welt des 21. Jahrhunderts treten und unseren Menschen,
großen amerikanischen Elternteil, auf den wir uns lange verlassen hatten und gegenüber dem wir auch ein bisschen ein rosa gefärbtes Bild hatten, so wie man seine eigenen Eltern ja auch erst in der Pubertät mit ihren Stärken und Schwächen
wirklich erkennt, würden wir jetzt ein enttäuschtes, also um Täuschungen bereinigtes, ein desillusioniertes Bild auf diesen amerikanischen Partner werfen. Was würden Sie denn sagen, warum hat das Erwachsenwerden, um in dieser Terminologie zu bleiben, so lange gedauert? Wir konnten das ja nicht völlig alleinigen.
alleine und souverän bestimmen, so wie eben auch das Erwachsenwerden in der individuellen Biografie von äußeren Faktoren bestimmt und determiniert ist, war es auch bei uns von bestimmten historischen Faktoren determiniert. Also wir alle wissen, dass wir einen
schrecklichen Weltkrieg mit einem Völkermord begonnen haben, diesen Weltkrieg verloren haben und dann die westlichen Alliierten und auch Russland war oder die Sowjetunion war unter diesen Alliierten angetreten, es Deutschland zu demilitarisieren und die westlichen Alliierten auch noch zu demokratisieren.
Und dieser Prozess der Demilitarisierung, der Demokratisierung ist ein Prozess, der sich über viele Jahrzehnte hingezogen hat. Wir haben volle Souveränität erst nach der deutschen Wiedervereinigung in den 2-plus-4-Verträgen erlangt und diese 2-plus-4-Verträge
begrenzen die militärische Präsenz Deutschlands, begrenzen die Anzahl der Soldaten Deutschlands. Das heißt, dieser Prozess war immer auch getragen von dem Impetus, Deutschland einzuhegen in ein Europa. Also Deutschland keine europäische Großmachtstellung mehr zu ermöglichen, weil Deutschland diese Großmachtstellung eben im 20. Jahrhundert zweimal missbraucht hat, um
eine Diktatur zu installieren und sich an einem Weltkrieg zu beteiligen und einen Zweiten Weltkrieg zu starten. Was für diesen Prozess ja sehr elementar war, war die Fähigkeit zur Selbstkritik. Daraus kommt sicherlich auch die deutsche Erinnerungskultur. Aber diese Fähigkeit zur Selbstkritik, die ja erstmal was Positives ist, um auch die eigene Geschichte auf eine bestimmte Art und Weise zu einem Lernfaktor zu machen,
Würden Sie sagen, dass die aber auch dazu geführt hat, dass das Erwachsenwerden so lange gedauert hat? Also die Fähigkeit zur Selbstkritik war erstmal primär auf die Erinnerungspolitik bezogen. Eine Fähigkeit, die vor allem in Westdeutschland gefördert wurde. Und diese Fähigkeit war immer orientiert an bestimmten politischen Normen, an den Normen der Menschenrechte, der Freiheitsrechte und diese Fähigkeit,
Konzentration auf diese Normen danken wir als Westdeutsche in der Tat den USA. Also in diesem Punkt waren die USA, das kann man glaube ich historisch wirklich so uneingeschränkt sagen, waren die USA ein Segen für deutsche Politik, für westdeutsche Politik.
Und dass wir lange Zeit an diesem USA-Bild festgehalten haben, ist ja vielleicht auch erst mal sympathisch und eine Stärke. Also auch wenn man erkennt, dass jemand Schwächen hat und nicht der ideale weiße Ritter ist, ist es ja auch erst mal positiv, sich auf das zu fokussieren, was gut funktioniert. Und es hat ja vieles gut funktioniert und es funktioniert ja vieles auch immer noch gut.
im Verhältnis zu den USA. Gleichwohl gab es ja auch immer kritische Stimmen, die darauf hingewiesen haben, dass die USA eben nicht die Großmacht ohne Fehl und Tadel waren, sondern dass sie spätestens seit den 80er Jahren, seit der Reagan-Doktrin, als sie eine sehr explizite antikommunistische Politik betrieben hat,
Diktaturen in der Welt unterstützt hat, in Südamerika, in Afrika, in Asien, mit dem expliziten Ziel, den Kommunismus einzudämmen. Also dass spätestens seit dieser Zeit die USA eben nicht mehr wahrgenommen werden kann als Land, das sich ausschließlich normativen Menschenrechten verpflichtet sieht, sondern die
das eine sehr kühl kalkulierende Machtpolitik betreibt. Und diese Machtpolitik impliziert eben auch, dass man sich über normative Regelungen hinweg setzt, dass man Menschenrechtsverletzungen in Kauf nimmt, dass man das betreibt, was wir postimperiale Politik nennt. Also das, was ja jetzt auch doch betrauert wird, nämlich das Ende der westlichen Wertegemeinschaft. Da würden Sie sagen, das war im Prinzip schon länger brüchig?
Ich würde sagen, wir sehen in den USA im Moment eine Entwicklung sehr extrem aufploppen und sehr schamlos auf der großen Weltbühne vorgeführt bekommen, die wir in vielen Bereichen seit den 80er Jahren in den USA verfolgen können. Also wir haben...
mit den USA ein Land, das nie vollständig, auch innenpolitisch, nie vollständig sich den Menschenrechten verpflichtet gesehen hat. Wir haben mit den USA ein Land, das bis in die 50er-Jahre Rassentrennung betrieben hat. Wir haben ein Land, das sich nie wirklich grundsätzlich mit seiner eigenen Völkermordsgeschichte gegenüber den Indigenous People auseinandergesetzt hat. Wir sehen auch hier ganz viele Probleme,
wo man sagen würde, eine Selbstreflexion eines demokratischen Landes hat hier doch noch sehr viel Spielraum nach oben. Und gleichzeitig sehen wir in den USA natürlich auch ein Land, das westliche Wertegemeinschaft gestärkt hat, das in der UN sehr stark war, das die treibende Kraft hinter der Gründung der Vereinten Nationen war, das unsere westeuropäische Freihandelspolitik stärkte.
mit unterstützt hat. Also die USA sind ein ambivalentes Land, in dem viele Kräfte miteinander in Konkurrenz stehen. Und gleichzeitig können wir, glaube ich, sagen, dass wir spätestens seit den 1980er-Jahren eine Entwicklung haben, die auch stark von fundamentalistisch-religiösen Kräften getragen ist, die sich immer besser vernetzt.
die immer effizienter im Bereich der Vernetzung mit Politik, mit Recht ist und deren politische Agenda zunehmend vor allem über republikanische Präsidenten die amerikanische Politik bestimmt. Das heißt, ich weiß nicht, ob das der richtige Begriff ist, strukturelle Gewalt, die wir jetzt in den USA sehen, also auch mit dem Abbau von Strukturen, das ist etwas, was schon länger angelegt war?
Es war länger angelegt, aber es kommt jetzt natürlich in seine volle Blüte, muss man leider sagen. Und wir haben eben, wie ich vorhin beschrieben habe, wir sehen immer wieder Gegenbewegungen. Also wir sehen als große Gegenbewegung Gegenwirkungen.
diese Missachtung von Menschenrechten, die Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre, die in ganz vielen Bereichen eine breite Liberalisierung durchgesetzt hat. Wir sehen die großen, sehr forschungsstarken, liberalen amerikanischen Universitäten an der Ost- und an der Westküste, die in vielfältiger Hinsicht zur Liberalisierung des Landes und auch der Welt beigetragen haben. Wir sehen auch
Vor allem unter Clinton und auch unter Obama immer wieder ein Rückdrehen dieser konservativen, dieser nationalistischen, dieser ultrareligiösen Agenda. Aber diese ultrareligiöse Agenda
hat sich eben in den letzten Jahrzehnten formiert, ist kontinuierlich stärker geworden und sie ist offensichtlich jetzt an einem Punkt, wo es so einen Umschlag gibt, dass sie eben nicht nur einzelne Dekrete eines Präsidenten und die Außenpolitik, wie eben gesagt, unter Reagan beeinflusst, sondern sehr umfassend sowohl innen als auch außenpolitische Agenda zu beeinflussen vermag.
Ich will nochmal, Frau Ellerbrock, auf das zu sprechen kommen, was das jetzt für Deutschland bedeutet. Also ganz konkret das Ende der westlichen Wertegemeinschaft. Das sind ja Werte, die hier in Deutschland und auch in Europa niemand in Frage stellt. Aber trotzdem, was bedeutet für uns konkret dieses Ende der Wertegemeinschaft?
Erstmal würde ich davor warnen, wirklich das Ende der Wertegemeinschaft auszurufen. Es gibt in den USA miteinander ringende, miteinander streitende Kräfte und wir tun, glaube ich, gut daran, die Kräfte zu unterstützen und auch weiter zu unterstützen.
als Bündnis- und Koalitionspartner und Kooperationspartner zu adressieren, die für diese Rechte stehen. Die USA ist ja ein sehr komplexes, ein riesiges Land und es gibt Millionen von Menschen und auch
Menschen in wichtigen Positionen, die weiterhin für diese westlichen Werte stehen. Insofern sollten wir uns davor hüten, diese gewährte Gemeinschaft frühzeitig zu Grabe zu tragen. Ich glaube, sie war immer umstritten. Sie ist heute mehr umstritten als zu anderen Zeiten. Aber wir sollten weiter an ihr festhalten, gleichzeitig.
müssen wir in Deutschland und auch in Europa natürlich eine pragmatische Politik betreiben. Das heißt, wir müssen mit einem Präsidenten und mit einer Regierung umgehen, die sich sehr freihändig über Verabredungen hinwegsetzen und die sehr freihändig eine Politik des Stärkeren betreiben.
Und ich denke, Europas Antwort liegt ja klar auf der Hand und wird ja glücklicherweise auch von vielen Politikern und von vielen Intellektuellen betont und entwickelt. Wir brauchen ein vereintes Europa und ein Europa, was sich in vielerlei Hinsicht deutlich unabhängiger von den USA macht und diesem zentrieren.
Unabhängigkeit muss nicht nur in militärischer Hinsicht entwickelt werden, sondern sollte natürlich auch vor allem beispielsweise in technologischer Hinsicht entwickelt werden. Also es ist doch völlig irrewitzig, dass eine deutsche Regierung, dass eine deutsche Polizei, dass deutsche Universitäten anbieten,
auf Social-Media-Plattformen, die privaten Oligarchen in den USA gehören, wie Instagram oder Facebook, mit ihren Bürgern und Bürgerinnen kommunizieren. Also da würde ich mir zum Beispiel wünschen, dass wir so ein Modell hätten, wie wir das im öffentlich-rechtlichen Rundfunk beispielsweise kennen. In diesem Kontext sprechen wir zwei jetzt miteinander. Und das ist ja etwas, was wir...
aus dem Nationalsozialismus gelernt haben, dass öffentliche Kommunikation, dass Medien und auch die Sicherung der Freiheit der Rede in diesen Medien was ganz Wichtiges ist. Wir haben dann den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gegründet, haben es aber verpasst.
in der neuen technologischen Revolution den nächsten Schritt zu tun, nämlich sozusagen öffentlich-rechtliche Social-Media-Plattformen für Deutschland oder für Europa zu gründen, die uns unabhängig machen und in denen wir bestimmte Freiheitsrechte und Werte sicherstellen können. Weil wir uns auch da zu sehr auf die USA verlassen haben, die eben auch technologisch, also gerade das Silicon Valley steht ja dafür, einfach unabhängig
uns weit voraus waren oder ist das ein Mythos, der so vielleicht auch gar nicht stimmt? Also wir haben uns auf die USA verlassen. Das ist ja auch wahnsinnig bequem, wenn man Dinge nicht alle selber machen muss. Die waren schneller als wir. Ob sie jetzt technologisch so viel avanciert sind, da habe ich meine großen Zweifel. Also die USA leben ja bis heute
von einem sehr großen Braindrain. Das heißt, sie haben Forscher aus aller Welt in die USA angezogen, haben ihnen Arbeitsplätze gegeben. Und diese Forscher haben eben amerikanische Technologie entwickelt von der Atombombe, die ja bekanntermaßen Forscher mit inkludiert hat und beschäftigt hat, die schon für die Nationalsozialisten gearbeitet hatte bis in jüngste Zeit. Ich habe neulich gelesen, dass Tesla u.a.
auch von Ingenieuren, die vorher bei Mercedes-Benz gearbeitet haben, mitentwickelt worden ist. Das heißt, die USA leben hier von einer Globalisierung von internationalem Wissen. Und dieses Wissen steht potenziell natürlich auch in anderen Ländern zur Verfügung. Und Deutschland und Europa sind hochtechnologisierte und hochentwickelte Wissenschaftsnationen.
Und natürlich sind wir in der Lage, auch in diesem Bereich eine Eigenständigkeit zu entwickeln. Also es geht, das machen Sie glaube ich sehr deutlich, um eine Emanzipation eben auch von einer Politik der Unverschämtheit, um es jetzt mal ein bisschen flapsig zu formulieren.
Die Frage ist vielleicht, Frau Ellerbrock, ob wir mit der Rationalität, die uns ja seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eingeschrieben ist, auch im politischen Handeln, ob wir damit handlungsfähig sind gegen diese aggressive und unverschämte Politik? Ja, also die Frage ist ja immer, welche Alternativen haben wir?
Also diese aggressive Politik der USA basiert natürlich auf einer wirklich riesigen militärischen Überlegenheit. Also wenn man sich mal anguckt, wer hat wie viel atomare Sprengkräfte oder wer hat wie viele Flugzeugträger,
Dann sind die USA wirklich der globale Superplayer weltweit. Russland hat etwa gleich viel atomare Sprengkräfte, aber in anderen Bereichen fällt es ab. China ist eine wichtige Wirtschaftsmacht, ist aber militärisch noch nicht so bedeutend wie die USA.
Das heißt, diese Unverschämtheit der Trump-Regierung und der Akteure in der Trump-Regierung ist ja nicht nur Trump. Also wenn man sich G.E. Vance anhört, das ist ja mindestens so viel Unverfrorenheit, basiert eben auf dieser unglaublichen Überlegenheit, die militärisch fraglos gegeben ist.
Ob sie ökonomisch wirklich so groß ist, das würde ich verzweifeln. Und da finde ich wirklich sehr inspirierend, wenn man im Moment nach Kanada guckt. Also die Kanadier waren ja sehr schnell auf diese amerikanischen Unverschämtheiten mit einem Konflikt.
Konsumboykott zu reagieren. Und dieser Konsumboykott mag die Politik jetzt nicht umdrehen, aber tut den Amerikanern schon weh und macht, glaube ich, auch viele Amerikaner nachdenklich, weil es dieses Bild, wir sind die größte Nation und jeder möchte zu uns gehören, so ein bisschen hinterfragt. Und das ist ein Bereich, der mir im Moment in der europäischen Politik
noch etwas fehlt. Also diese Konsummacht Europas, die wir alle haben, wir alle sind Konsumentinnen und Konsumenten, wir alle kaufen ein. Also da würde ich mir wünschen, dass wir vielleicht eine Kennzeichnung haben, made in Europe und auch sehr viel stärker darauf achten, also jetzt auch bei der Restrukturierung unseres Militärsystems, europäische Kapazitäten zu schaffen in Europa und
einzukaufen und europäische Marktmacht, die wir zweifelsohne haben, auszuspielen. Also ich glaube, wir haben in Europa Marktmacht und wir haben Wissenschaftsmacht. Und diese beiden Bereiche müssen wir in Europa zusammenschließen. Und wenn wir das tun, kann sich das Blatt auch vielleicht nicht deutlich wenden. Aber wir können es zumindest schaffen, die Weltordnung, für die wir stehen in Europa und die Werteordnung zu sichern.
Also um jetzt nochmal das große Ganze in den Blick zu nehmen, dass alles passiert in einer Zeit, in der die Demokratie, ich würde sagen, keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Eben auch mit Blick nach Amerika, wo sich innerhalb kürzester Zeit Strukturen nicht einfach auflösen, sondern aufgelöst werden. Wir haben einen Krieg in Europa.
Wir sehen auch in der Türkei immer mehr autokratische Tendenzen, jetzt eben auch mit der Inhaftierung des abgesetzten Bürgermeisters von Istanbul. Um das nochmal zu verorten in dieser politischen, globalpolitischen Gemengelage. Wie sieht es aus mit dem Wert Demokratie?
Also der Wert Demokratie, ich glaube, das haben wir jetzt gelernt. Wir wussten es vielleicht schon immer, aber es ist uns jetzt nochmal deutlicher geworden. Der Wert Demokratie muss in jeder Generation neu erkämpft und neu verankert werden.
Also ich bin in Westdeutschland und Sie wahrscheinlich auch mit einem Verfassungspatriotismus aufgewachsen und habe mich sozusagen sehr wohl und sicher gefühlt in dieser Grundrechtsordnung und dachte, das ist alles in trockenen Tüchern, da kann nichts passieren. Wir haben ein Bundesverfassungsgericht.
Das schützt diese Grundordnung und diese Rechtsordnung und das läuft schon. Das ist nicht so. Wir sehen jetzt in den USA, Institutionen sind immer nur so gut wie die Menschen, die sie mit Leben füllen. Das heißt, wir alle sind aufgerufen, für diese Demokratie einzustehen. Und natürlich ist diese Demokratie partiell unbefugt.
unter Druck durch aktuelle Wahlergebnisse, durch aktuelle Politiken in autokratischen Systemen. Aber wir sehen doch gleichzeitig auch Millionen von Menschen, die auf die Straße gehen, die protestieren. Und wenn wir jetzt mal schauen,
Was sichert Demokratien? Dann haben wir einerseits die Rechtsordnung, wir haben die Gerichte, die Demokratien sichern. Wir haben aber auch eine starke Zivilgesellschaft, die Demokratien sichern. Und diese Zivilgesellschaft müssen wir weiter durch unsere Bildungssysteme stärken. Wir müssen sie aber auch weiter stärken.
Stärken durch eine Gesellschaft, die das, was man im 19. Jahrhundert bürgerliche Vereinigungen nannte, also Vereine, die sich zum Singen trafen, zum Diskutieren trafen, zum gemeinsamen Sporttreiben trafen, diese Vereine stärken, das ist bürgerliche Zivilkultur.
Und wir können gerade auch in Europa sehen, dass eine starke Arbeiterbewegung, dass eine starke Gewerkschaftsbewegung, die einerseits für soziale Rechte von Arbeitern und Minderheiten auftritt, aber andererseits zum Beispiel auch den ersten Versuch der Nationalsozialisten in der Weimarer Republik aufzutreten,
Die Demokratie zu überrennen 1920, der Kapp-Putsch stoppte durch einen Generalstreik. Und wenn Sie mich fragen würden, warum funktioniert der Widerstand in den USA so schwerfällig, dann würde ich sagen, ein Grund ist eben dieses Fehlen einer Angelegenheit.
Aber Sie haben den Verfassungspatriotismus auch, das würde ich unterstellen.
Sie haben den Verfassungspatriotismus, aber im Moment haben Sie niemanden, der den Widerstand gegen diese Aktionen koordiniert. Jetzt sind für den 5. April Demonstrationen angekündigt. Wir alle hoffen, dass dieser Widerstand langsam in Gang kommt, dass die Leute auf die Straße gehen. Wir sehen zum Teil gegen Tesla auch Konsumboykotte. Wir sehen auch deutlichere Protestaktionen gegen Tesla.
Aber insgesamt würde ich sagen, haben wir in Europa, hoffe ich zumindest, eine stärker pluralisierte politische Kultur mit einem weiter gespannten Parteien-Spektrum und vor allem mit Parteien, die auch auf der Linken in einer starken Arbeiterbewegung, in einer linken Bewegung von Ökonomie
ökologisch interessierten Menschen in Deutschland, die Grünen in anderen Ländern, eben auch ökologische Parteien und das sind die Bewegungen, die einen Widerstand gegen rechte Übernahmetendenzen tragen könnten und diese plurale Gesellschaft müssen wir verteidigen.
Also mit Gefühlen tun wir uns ja doch auch zurecht, finde ich, immer schwer. Auch mit Blick eben aus dem, was wir aus dem Nationalsozialismus eben sozusagen ex negativo gelernt haben. Aber Verfassungspatriotismus, das sagen Sie als Historikerin, die sich explizit eben auch mit der Geschichte der Gefühle befasst hat, das ist etwas, das der Sicherung der Demokratie auch helfen kann. Also jeder Staat braucht eine Gründungs- und eine Identitätserzählung.
Und wenn man jetzt noch mal ganz kurz in die USA schaut, dann ist dort die Geschichte des American Exceptionalism, also dass man etwas ganz Besonderes ist, eben auch eine Geschichte, die in ihren Auswüchsen zu einer sehr menschenfeindlichen Außenpolitik und partiell auch zu einer Innenpolitik führt, die Menschenrechte verletzt. Und da ist eine...
Eine Staatserzählung und eine Identitätserzählung, die sich auf Verfassungspatriotismus und auf Menschenrechte bezieht, hoffentlich die Erzählung, die uns der Demokratie und dem Respekt von Menschenrechten näherbringt.
Mit der Historikerin Dagmar Ellerbrock, Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der TU Dresden, habe ich in diesen Kulturfragen, die wir am Freitag aufgezeichnet haben, über das Ende der transatlantischen Wertegemeinschaft und Deutschlands Rolle danach gesprochen. Danke fürs Zuhören, sagt Anja Reinhardt.