Am Mikrofon ist Karin Fischer. Wenn wir uns in diesem Jahr mit Menschen unterhalten, die machen statt meckern, dann geht es auch immer um das, was wir so ein bisschen abgehoben Zivilgesellschaft nennen. Was Menschen in der Gesellschaft und für die Gesellschaft und damit auch für eine funktionierende Demokratie tun. In Deutschland steht dafür auch ein extrem vielfältiges Vereinsleben.
Der Verein kommt jedem zugute, der ihm angehört, weil viele Kräfte sich zusammentun, um gemeinsam was zu wuppen, zu stemmen, zu etablieren, aufzuziehen und was noch der vielen schönen Worte mehr sind, mit der man das gemeinsame Tun beschreiben kann.
Und in diesem Jahr sind wir im Auftrag unserer Hörerinnen und Hörer, also auf der Suche nach Initiativen und nach Menschen, die machen statt meckern. Das ist das Jahresthema des Deutschlandfunks 2025. Und einen besonders interessanten Verein haben wir in Chemnitz gefunden, die Bordstein-Lobby. Hallo und guten Tag, Octavio Gulde. Hallo und vielen Dank für die Einladung.
Herr Gulde, wir sprechen mit Ihnen und nicht mit 20 Menschen, weil unser Format das so ein bisschen vorsieht. Dafür kann ich mich gleich mal entschuldigen. Aber Sie haben den Verein Bordstein Lobby gegründet und können also sehr gut als sein Sprecher fungieren. Was ist die Idee hinter diesem Verein? Die Grundidee oder wie wir mal losgelaufen sind, muss man sich vorstellen, wir waren ein sehr bunt zusammengewürfelter Haufen von Neukennitzerinnen und Menschen, die schon länger in der Stadt gelebt haben und
sich mit der Stadt und dem, was man erleben kann oder mitnehmen kann, in dem was buntes Wuseln vielleicht bedeutet. Es gibt ja so ein kleines Idealbild von Stadt. Man geht raus und hat kurze Wege, kann was erleben, sich mit Hobbys verwirklichen, hat vielleicht die kleine Bar, das Café an der Ecke, die Bäckerei. Und wir hatten das Gefühl, dass Chemnitz auch sehr, sehr viel davon hat, aber relativ versteckt, nicht direkt greifbar, nicht vielleicht direkt unmittelbar sichtbar und
sehr oft von den gleichen Gesichtern am gleichen Ort gesehen und wir haben uns gefragt, wie kriegen wir das hin, dass wir das Ganze durcheinanderwirbeln können? Wie können wir Leuten helfen, Türen zu öffnen, durch die sie bis jetzt noch nicht gegangen sind, für uns selber auch diese Stadt weiter erschließen und diese Orte, diese Ideen, diese Angebote miteinander verbinden, Formate entwickeln, die spartenübergreifend Leute zusammenführen und das ist
Ist eigentlich der Ursprungsgedanke, von dem alles ausging und sich dann Projekte in verschiedenste Richtungen weiterentwickelt haben. Aber vielleicht diese Suche nach, was hat die Stadt zu bieten, was tun Menschen und Bereichen damit des Alltagsleben und wie können wir das sichtbar machen und einladen?
Also es ging schon um Aktionen des Miteinanders und des Austausches, wobei im Mittelpunkt auch steht, die Kulturszene sichtbar zu machen, wenn ich das richtig verstehe. Auf jeden Fall. Wir sind dabei, wenn wir auf Kultur gucken in Chemnitz oder wie wir auf das Thema schauen, dass es für uns sehr breit gefächert ist. Also wir reden oft auch von der selbstgemachten Stadtkultur.
Fassen wir vom Handwerksverein über die Fahrerselbsthilfe-Werkstatt bis hin zur Off-Bühne, zum Theater, zu Bands, zu Studioräumen bis hin zu auch Strukturen, die soziokulturelle Arbeit machen, wie kleine solidarische Kneipen oder Orte, die von einem Pop-Up-Laden bis zu einer kleinen Pop-Up-Galerie, also für verschiedene Funktionen da sind. Und auch den Nachbarschaftsgarten fassen wir unter diese selbstgemachte Stadtkultur.
Vielleicht erklären Sie mal ganz kurz den Namen, der ja auch schon reichlich handfest sich anhört. Ja, die Bordsternlobby, wie sind wir drauf gekommen? Ich glaube, wenn man da die unterschiedlichen Mitglieder bei uns fragt, hat jeder oder Leute, die mit in dem Kollektiv sind, verschiedene Antworten darauf. Und meine Antwort wäre, dieses Gefühl, dieses Lebensgefühl in einer lebendigen Stadt zu sein, wo ständig was auf dem Bordstein passiert, wo.
Sich Leute treffen, auch mal auf den Bordstellen sitzen, dort ihren Kaffee zusammen trinken. Man sagt, wir treffen uns an dieser und jener Ecke, gehen eine Runde spazieren und lassen uns drinnen treiben. Und im Prinzip eine Art Lobby für das Leben auf den Straßen, für das Draußensein und das Aneignen von öffentlichem Raum. Das ist meine Deutung von dem Namen Bordstell-Lobby. Und Sie haben auch losgelegt, indem Sie die Stadt sozusagen erst mal betrachten,
Spaziergänge neu erfahren haben, auch für sich selber? Das auf jeden Fall. Also das ist vielleicht auch dieser Startmoment, was ich
eingangs kurz erwähnt habe, mit dem, wenn man nach Chemnitz kommt, ist Chemnitz keine Stadt, die direkt einem entgegenspringt und einem zuwinkt und sagt, komm doch hier rein, mach noch das mit, sondern es hat sehr viel auch erstmal mit einem selbst zu tun. Wie geht man mit offenen Augen durch die Straßen? Wie traut man sich eben auch, diese Orte zu sehen und reinzugehen? Und dieses Gefühl dieser Suche, dieser kleinen Entdeckungsreise, was man vielleicht noch ein bisschen wie Ostern auf dem gesamten Stadtgebiet vergleichen könnte, dieses Gefühl, wie können wir das eben übertragen? Wie können wir das greifbar machen? Und das hat uns wiederum
dann über diese Kulturarbeit in dem Sinne hinausgebracht, eben auch noch zu fragen, was dann zum Beispiel mit Spaziergängen, die wir auch anbieten, die dann mehr im Thema Stadtentwicklung, Nutzung von öffentlichem Raum, Auseinandersetzung mit dem, was uns als städtischer Raum umgibt. Ja, weil die Leute, mit denen Sie zusammenarbeiten, alle ehrenamtlich ja diverseste, ich sage jetzt mal nicht nur Macherinnenqualitäten, sondern auch Hintergründe in genau dieser Richtung, Stichwort Stadtentwicklung, mitbringen.
Ja, also die Hintergründe und das ist vielleicht auch der kleine Bonus oder was für uns ja auch spannend ist. Wir versuchen ja eben mit verschiedenen Akteuren, Akteurinnen, die auch wieder immer neue Perspektiven mitbringen, auch andere Themen haben natürlich durch ihre Brille eventuell gerade auf ihre Umgebung, auf ihre Tätigkeit, auf ihr Umfeld gucken und diese Brillen sich auch aufzusetzen, mitzunehmen und da reinzutauchen.
Das ist auf jeden Fall mit unser Ansatz und das eine ist natürlich dieses Ehrenamt. Das ist ja auch ein großer Begriff, der verknüpft ist mit der Leidenschaft für eine Sache sich einzusetzen, sich in eine Sache reinzusteigern, da seine ganze Energie reinzugeben und eben diese solidarischen Strukturen, die nicht in erster Linie auf Gewinn, auf man muss jetzt auf jeden Fall Leistung erbringen, sondern man darf auch experimentieren und
was Neues entdecken, sich in eine Sache reinstürzen, ohne dass man direkt mit einem Nutzen da rausgehen muss. Und dieses spielerische, sich gegenseitig unterstützende und in dem Fall auch eine breite Struktur, vielleicht parallel zu klassischen Verwertungsgedanken aufbauende, das ist was, was wir sehr gerne unterstützen wollen und mit dem wir gerne zusammenarbeiten.
Und bevor wir jetzt zu den konkreten Projekten kommen, Sie haben gerade, Octavio Gulde, gesprochen davon, dass Chemnitz einen vielleicht nicht so mit offenen Armen empfängt, wenn man so reinkommt als Nicht-Chemnitzer. Jetzt ist ja Chemnitz die Kulturhauptstadt Europas in diesem Jahr oder wird es direkt nach unserem Gespräch sozusagen Mitte Januar, darauf kommen wir noch zu sprechen. Das weiß inzwischen fast jeder und jede.
Außerdem kennen wir noch diesen riesenhaften Karl-Marx-Kopf, der mitten in der Stadt steht, so ein 40-Tonner. Wie würden Sie aber denn die Entwicklung von Chemnitz, so wie Sie sie jetzt vorgefunden haben und vielleicht auch in den früheren Jahrzehnten beschreiben wollen? Also mein direkter Einblick beschränkt sich auf die Jahre seit 2015. Ich bin aus Dresden nach Chemnitz gezogen.
Aber auch in der Zeit hat sich schon super viel getan. Wenn ich mich daran erinnere, als ich nach Chemnitz reingekommen bin oder dieses erste Erleben war eben sehr stark mit dem Gefühl verbunden. Man muss erst mal suchen gehen. Es gab auch da schon sehr, sehr viele Strukturen. Also die Kulturszene, die jetzt da ist, ist nicht erst in den letzten drei Jahren entstanden. Da hat sich auf jeden Fall vieles über Jahre hinweg entwickelt, sind Leute engagiert und aktiv und bringen sich ein. Aber in den letzten Jahren hat auch durch die Kulturhauptstadt nochmal ein neuer Fokus stattgefunden.
Auch die Stadt selber sieht eine Wahrnehmung oder Stadtgesellschaft sieht eine Wahrnehmung von der Arbeit, von dem, was Leute machen, was sie tun und was sie vor allem interessiert, dass es nicht nur sie selbst interessiert, sondern auch von außen eine Sichtbarkeit bekommt. Und ich denke, das ist ein idealer Wandel auf jeden Fall, der passiert ist in den letzten Jahren und stärker geworden ist, aber auch städtebaulich, räumlich,
Hat sich in den letzten Jahren viel getan. Das ist, nachdem Leipzig, Dresden hier in Sachsen vor allem baulich schon an vielen Stellen vielleicht abgeschlossen sind, stand Chemnitz noch da mit sehr geringen Immobilienpreisen teilweise viel Leerstand. Und das ist auch was, was angekurbelt wurde, was natürlich auch alle Wirkungen mit sich bringt von Chemnitz.
Das Viertel, die vielleicht vorher in einer anderen Struktur oder einem anderen Aufbau waren, jetzt mehr saniert wurde, nochmal andere Zuzüge, ist andere Bewegung in den Vierteln und Stadtteilen. Also städtebaulich ist super viel passiert und auch in der Kulturszene selbst und auch mit dem vielleicht der Selbstwahrnehmung, das ist ja auch so ein
Versuch, der die Kulturhauptstadt mit reinbringt, den man sowohl positiv, aber auch genauso kritisch sehen kann und ich glaube auch kritisch begleiten muss. Was macht das mit so einer Stadt, wenn es um am Ende ein großes Event geht, eine große Stadtentwicklungsmaßnahme, was ja auch eine Erzählung, einen gemeinsamen Erzählstrang für die Stadt mitbringen sollte und sicherlich auch gemacht hat an vielen Stellen. Und die Frage ist natürlich, wie wird sich darin gesehen, wie findet sich dieses ganze Leben darin wieder, was in Chemnitz stattfindet.
Das ist auf jeden Fall etwas, was sich verändert hat, aber auch ein Fluss ist. Also Chemnitz ist ein vielleicht dauerhafter Entwicklungsprozess, der aber auf jeden Fall stark sichtbar wird und nächstes Jahr noch stärker. Und wir werden sehen, was dann das Erbe von dem ist, was da passiert im Kulturhauptstadtjahr.
Chemnitz hat einen nicht ganz guten Ruf nach außen, jedenfalls was ein paar der Stadtviertel betrifft. Die rechte Szene ist stark. Eine ganz offene Frage jetzt von meiner Seite aus, wird das Problem in den Medien eigentlich größer gemacht als es ist oder wird es auch eher zu klein gefahren? Es gab ja im Vorfeld der Kulturhauptstadt tatsächlich auch Kritik, dass die Kulturhauptstadt selbst das Thema zu wenig thematisiere.
Das Problem, das Chemnitz hat, und das ist natürlich auch eine Frage, wie funktioniert Aufmerksamkeit, wie werden Dinge betrachtet, aber es ist auf jeden Fall real und es ist auch nicht klein zu reden. Chemnitz hat ein großes Thema damit, die hat vor circa einem Jahr, vielleicht inzwischen anderthalb, eine neue Immobilie der Identitären Bewegung aufgemacht. Es gibt mehrere Treffpunkte rechter Strukturen in Chemnitz und es gibt Kontinuitäten, die über Jahre, Jahrzehnte hinweglaufen.
die auch das städtische Leben natürlich beeinflussen. Also das ist nicht wegzureden, das existiert, aber es existiert genauso wie viele sehr positive und gute Dinge. Und das Gute und das Negative, ich glaube, man muss es nicht unbedingt immer gegeneinander aufwiegen, sondern wichtig ist es zu sehen. Und das ist vielleicht auch der Kritikpunkt, der da oft mitschwingt an dem,
wie vielleicht sich positioniert wird, auch innerhalb der Stadt oder was Stadtpolitik betrifft, vielleicht auch die Kulturhauptstadt, wie wird sich gegenüber diesen Themen, die wir haben und die wir bearbeiten müssen, um da vielleicht in eine andere Zukunft zu kommen, wie können wir das angehen, benennen, daraus lernen und uns fragen, wie kann man das strukturell angehen, wie kann man das gesellschaftlich, demokratisch angehen, dass wir uns mit dem Komplex befassen und die nicht kleinreden, ne?
Also es ist real, es existiert, das ist vielleicht die Kurzfassung und man darf es nicht kleinreden. Das ist, glaube ich, die wichtigste Sache dran, nicht ignorieren, nicht unter den Tisch kehren, sonst können solche Strukturen weiter wachsen. Behandeln Sie denn solche Themen oder solche Räume, wenn Sie Stadträume behandeln durch Ihre Stadtspaziergänge?
Mit unseren Stadtspaziergängen selber behandeln wir das Thema nicht. Es gibt andere Akteure in der Stadtgesellschaft, die sich sehr explizit mit rechten Strukturen und der Ausbreitung der rechten Strukturen beschäftigen, wo wir natürlich auch gerne aufeinander verweisen, Leute weiterempfehlen oder auch in dem Programm, wenn wir jetzt
Das Staunen-Festival, unser größtes Format, das alle zwei Jahre stattfindet, so ein stadtteilübergreifendes Festival, das immer die Stadtteile zur Veranstaltungsfläche macht und da aber eben diese Akteure, die Orte, die es gibt. Da haben wir zum Beispiel jetzt auch beim letzten Mal zusammengearbeitet mit dem ASAFF und einer Tour, die sich mit dem NSU-Komplex auseinandersetzt und den Strukturen, die es eben in Chemnitz gab. Was ist da, was ist geblieben, was ist verschwunden und welche Spuren wurden hinterlassen?
Wenn Sie das Staunt-Festival erwähnen, wir verwenden diese Worte ja relativ häufig und sehr allgemein, die eigentlich so viel ausdrücken, auch einen hohen Anspruch, aber sehr unkonkret sind, also wie Partizipationen.
Zugang erleichtern, Vernetzung. Ich finde es hochsympathisch, dass Sie auch versucht haben, mit Ihrem Verein Bordstein Lobby e.V. ganz neue Worte zu erfinden, wie die Inventur als neue Form eben eines Stadtrundgangs oder eben das Staunt-Festival. Ja, also Wortspielerei macht ja auf jeden Fall Spaß. Und ich glaube, so geht es uns allen in der Gruppe, in der wir da zusammen Dinge tun,
Und dementsprechend kommen da auch mal andere Worte um die Ecke. Und ich glaube auch, dass es manchmal gar nicht unbedingt der Sache zuträglich ist, wenn man obendrauf auf eine Decke schreibt, was vielleicht auch mitschwingt oder worauf man auch Lust hat, was vielleicht dazugehört. Sondern am Ende geht es ja auch um die Lust an den Dingen und diese Lust zu vermitteln, diesen Spaß in dem, den wir auch selber haben. Es soll kein reines...
Strukturarbeiten seines für machen, sondern dass wir selber gerne da rausgehen und Spaß haben wollen noch mit den Leuten diese Prozesse gemeinsam erleben, eintauchen und eine gute Zeit haben und so passieren dann auch diese Begriffe oder das, wie wir am Ende draußen arbeiten.
Also wenn man Begegnungen organisiert, dann begegnet man ja auch immer Geschichten. Geschichten, die so vielleicht noch nicht erzählt worden sind. Was haben Sie für Geschichten erfahren, seit Sie diesen Verein mitgegründet haben? Wer kommt da mit wem und sozusagen mit welchen Vergangenheiten auch wie ins Gespräch in diesem Chemnitz, das Sie sich wünschen? Ja, das variiert natürlich immer stark von Veranstaltung zu Veranstaltung, von Format zu Format und
Und es gibt auf jeden Fall sehr schöne Momente. Das geht los davon, dass wir jetzt zum Beispiel mit dem letzten Festival in Gablenz in einem Kleingartenverein waren und da beim Kleingartenverein gibt es auch eine kleine Gartensparte, ein Häuschen, das dort steht und das ist der am längsten oder in einem Schnitzverein, der am längsten schon in einer
Kleingarten-Sparte in ganz Deutschland ist und da sind Menschen mit sehr viel Leidenschaft dabei, die dann erzählt haben, wie sie für den Erzgebirgskrimi auch Dekorationen geschnitzt haben und dann stehen die wiederum zusammen mit Leuten, die sonst andere Soziokulturarbeit machen, Familien kommen vorbei, die sonst nicht da drin sind und sehen diese Geschichten, sehen diese Leute, mit denen was sie tun und erleben und diese kleinen Begegnungen oder eben dieses Aufeinanderprallen vielleicht von ganz unterschiedlichen Interessen, aber über ein Gesamtdecke oder ein Gesamtformat, das sind glaube ich diese kleinen
schönen Geschichten, die immer wieder auftauchen und die vielleicht manchmal auch in Chemnitz so dieses kleine scherzhafte, diese Stadt der Superlative mit aufmachen, wo man auch immer wieder kleine Highlights oder Informationen mitbekommt, was jetzt das Größte, das Älteste, vielleicht das Schönste ist. Das sind sehr, sehr, sehr schöne Dinge für uns auch selber. Ein anderes schönes Beispiel ist, da waren wir im Polargarten
Das ist am Stadtpark von Chemnitz. Der zieht sich sehr lang entlang des Flusses, wie er durch die Stadt fließt. Auf der einen Seite Plattenbaugebiet, auf der anderen Seite erstrecken sich ehemalige Industrieareale und kleine Einfamilienhaussiedlungen. Und dort an diesem Polargarten, eine kleine Kneipe für Radfahrer, Radfahrerinnen, saßen wir abends mit dem Team vom Fahrradkino zusammen. Und die haben wiederum einen Film gezeigt, das Fahrradkino. Da sitzt man gemeinsam auf Fahrrädern, um den Strom zu erzeugen, damit die Projektion funktioniert.
Und mit dem Stammpublikum der Kneipe, das immer dort ist, mit den Gästen des Formats vom Festival, mit den Freunden des Fahrradkinos und älteren Leuten aus dem Plattenbaugebiet und haben uns gemeinsam Dokumentationen aus der DDR-Zeit natürlich vorher kommentiert, angeguckt, wie ist dieser Film,
Dieses Ideal von dieser Musterstadt oder vom Plattenbaugebiet eigentlich entstanden und dabei noch diese Begegnung untereinander, der Schlag, diese unterschiedlichen Perspektiven und Kommentare auch aus dem Publikum heraus, das sind auch so diese sehr schön verschmelzenden Momente, wo wir auch in die Orte selbst oder in den halböffentlichen Raum reingehen können und da eben was Neues entstehen kann.
Das heißt, Sie haben auch Zugang sozusagen zu der etwas älteren Bevölkerung, die in diesen Plattenbauten schon zu DDR-Zeiten gelebt hat und über die wir ja manchmal sagen oder auch erfahren, dass sie womöglich viel von Frust oder Ressentiment geprägt sei. Können Sie die auch abholen? Das ist unterschiedlich. Also wir versuchen schon mit unserer Ansprache, wie wir arbeiten,
Leute anzusprechen, die in Gebieten leben. Die Formate sollen keine reihenaufgesetzten Formate sein, die hauptsächlich Externe ins Stadtviertel bringen. Das gibt es teilweise auch, wenn man das explizit darauf abzielt. Aber dieses Staudenfestival, dieses stadtteilübergreifende Festival in Chemnitz, will auch mit den Leuten vor Ort oder auch für die Leute vor Ort sich die Themen anschauen. Deswegen gucken wir auch immer, was sind die Geschichten, die der Stadtteil selber erzählt. Was gibt es vielleicht an narrativen Erzählungen? Wer könnte Vorträge halten, kann selber was übernehmen.
über den Stadtteil erzählen und diese Verbindung mit den Leuten, die in dem Stadtteil selbst aktiv sind, stellen natürlich auch wieder direkte Verbindungen her zu deren Bekanntenkreisen, zu deren ehrenamtlichen Organisationen, zu auch den Stadtteilmanagements, der Gemeinwesenarbeit, die es in den Stadtteilen gibt. Mit denen arbeiten wir grundsätzlich zusammen. Das ist unser Ziel, dass wir nicht nur für eine Blase am Ende dieses Programm machen, sondern wir fragen uns schon, wie kriegen wir das hin,
dass wir breiter gefächert aufgestellt sind und auch Formate, die vielleicht unterschiedliche Generationen interessieren, genauso mit einbringen. Das ist zum Beispiel dann in Chemnitz einmal, haben wir in der Villa Esche dann mit Lach-Yoga gearbeitet. Später gab es noch einen Rundgang von der ehemaligen Stadtteilmanagerin über eben das Fritz-Heckert-Gebiet, die Entstehung und Entwicklung des Gebiets. Das ist das superlative drittgrößte Plattenbaugebiet der ehemaligen DDR, umfasst inzwischen vier oder fünf Stadtteile von Chemnitz.
waren damals 90.000 Menschen, heute leben noch ein bisschen mehr als 30.000 im Gebiet. Das haben wir schon zweimal mit dem Festival auch besucht, waren da in verschiedenen Stadtteilen. Dort haben wir zum Beispiel auch geguckt, okay, wie können wir mit den Akteuren konkret vor Ort arbeiten? Haben das Festivalzentrum im öffentlichen Raum aufgestellt, wir haben ja mal so ein mobiles Festivalzentrum, das dann auch Programm anbietet, von dort aus direkt verweist auf die Programmpunkte, die im Stadtteil verteilt sind, haben ein Tannensystem etabliert, das man mit, ja,
Leuten begleitet, dann zum nächsten Programmpunkt kommt. Und dann auch geschaut, dass wir eben mit den Akteuren, die auch im Stadtteil aktiv sind, gemeinsam Formate auf die Beine stellen. Da haben wir einen Vortrag im Straßenbahnmuseum, wo es um Verkehrswende zum Beispiel ging, organisiert, was auch von älteren Ehrenamtlichen organisiert wird. Wir waren zum Beispiel auch mit der ehemaligen Stadtteilmanagerin, das ist eine Struktur der Gemeinwesenarbeit in Chemnitz, im Stadtteil unterwegs und haben dort über die Geschichte des Jubiläums 50 Jahre Fritz-Heckert-Gebiet was gelernt, gehört.
Und gehen eben in diese Richtung, dieser Polargarten ist ja zum Beispiel am Rand von diesem Plattenbaugebiet und gucken, was sind denn für Orte vorhanden, die sowieso Aufenthaltsorte, Begegnungsorte auch für die Bewohner, Bewohnerinnen der Stadtteile sind und welche Akteure und welche Programmpunkte bespielen auch das, was für den Stadtteil selbst relevant ist. Dass wir nicht nur den Überstülpen einfügen, sondern wie kriegen wir das hin, auch aus dem Stadtteil heraus seine Erzählung uns selber anzugucken und daraus auch Programme und Inhalte zu entwickeln.
Octavio Gulde, Gründer von Bordstein Lobby e.V. in Chemnitz, in den Kulturfragen zum Thema Machen statt Meckern.
Ja, und als größtes Projekt, Octavio Gulde, fungiert jetzt auch im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas ihre interaktive Stadtkarte Chemnitz mit Orten der alternativen Stadtkultur. Was ist das? Chemnitz ist eigentlich mit einer der Ursprungsideen, als wir losgelaufen sind, ging es auch damit los, eben dieses Sichtbarmachen der Orte. Und genau das ist eigentlich diese Karte. Es geht um eine, kurz gesagt, neue Kulturkultur.
eine neue Kartografie der Stadt und damit eben andere Schwerpunkte setzen. Es ist ja sehr oft, wenn wir uns Stadtpläne anschauen, dann geht es
Erst mal darum zum Beispiel touristische Stadtpläne. Was sind die großen Highlights in der Innenstadt? Wo sind die großen Museen, die großen Schauspielhäuser und Co.? Und wir haben versucht, das Ganze aus der Perspektive mit der Brille anzugucken. Was macht denn die Subsoziokultur, die selbstgemachte Stadtkultur in Chemnitz? Wo sind diese Orte? Wie sind diese Orte erreichbar? Wie können wir die sichtbar machen, zusammenfügen, auch in verschiedene Sparten wieder vielleicht einordnen und Systematik dafür entwickeln?
Und so ging diese Stadtkarte los, die vor allem das Ziel hat, auf der einen Seite natürlich diesen Orten Sichtbarkeit zu verschaffen, auf der anderen Seite auch dazu einladen soll, Stadtteile nochmal neu zu entdecken. Wie kann man auch in seinem eigenen Stadtteil, in dem man lebt oder im benachbarten Stadtteil, vielleicht genau den Ort finden, der dem eigenen Hobby oder dem eigenen Wunsch, was man schon mal probieren wollte, entspricht oder der vielleicht einem auch erleichtert, nochmal was ganz Neues oder eine andere Richtung anzugucken.
mit der man bis jetzt noch nichts zu tun hatte. Und natürlich genauso für Gäste der Stadt, die in die Stadt kommen und sich auch dafür interessieren, was gibt es denn hier an Dingen, wo ich mich vielleicht kurzfristig mit einbringen kann, wo vielleicht auch andere zeitgenössische Kunstkultur, Soziokultur passiert, worüber ja auch neue Verbindungen, Kontakte entstehen können. Das ist
ist eigentlich die größere Ambition und eben dieses Erleichtern von, wie können wir uns in der Stadt bewegen und auch auf diese solidarischen Strukturen untereinander zurückgreifen, wo man eben nicht immer direkt zum Beispiel monetär abhängig ist, sondern wie es auf Freizeitgestaltung durch zum einen sich einbringen, aber auch durch Besuchen möglich an Orten in der Stadt, die einen mit offenen Armen empfangen.
Und das ist ja sogar einer der Hauptprojekt- oder Programmpunkte der Kulturhauptstadt Europas Chemnitz, wenn ich das richtig sehe. Sozusagen diese Art von Mitmachgedanke, dass jeder, der kann, auch darf und soll. Also die Kulturhauptstadt selber in ihrem Ansatz, das ist ja auch die Besonderheit oder die Erzählung, mit der die Kulturhauptstadt in Chemnitz gestartet ist,
ist ja, dass es vor allem um die Macher, Macherinnen geht, um das eben mitgestalten, das mit anpacken, auch sichtbar machen, von dem, was passiert. Es gibt zum Beispiel im Rahmen der Kulturhauptstadt ein riesen Freiwilligenprogramm, wo inzwischen über 500 Freiwillige mithelfen, Veranstaltungen umzusetzen, sich damit einbringen. Und das, was wir gemacht haben, ist vielleicht unsere Idee oder Vorstellung als Gruppe, als Kollektiv,
Und so subjektive Sichtweise darauf, wie man auch noch das unterstützen kann, was eben das Machen und selber aktiv werden betrifft, durch eben die Sichtbarmachung der Orte und der Anknüpfungsmöglichkeiten für das eigene Tun. Wie sieht denn diese App aus? Wie kann man sie benutzen? Was zeigt sie alles? Machen Sie es mal ganz praktisch.
Die Website selber ist gerade noch im Aufbau. Die werden wir freischalten. Im März ist dann das große Veröffentlichungsdatum. Da wird es zwei Tage Programm geben und auch über das Jahr hinweg wird es noch begleitete Formate geben, die das Ganze angehen. Und man hat diese Karte zum einen. Es gibt ein europäisches Kartennetzwerk, das nennt sich UseIt. Da sind von anderen Großstädten aus ganz Europa alternative Stadtpläne dabei. Da wird dieser Stadtplan auch mit eingefügt sein. Und dann gibt es auch noch eine Karte,
Auf Englisch, es wird eine englische und eine deutsche Printvariante geben, dass man diese Karte auch analog, wenn man im Stadtgefüge unterwegs ist, in der Tasche stecken haben kann. Die wird dann im Stadtgebiet verteilt. Also das Analoge ist auf jeden Fall für uns auch sehr wichtig, das Haptische, dass es das noch mit gibt und mit dabei ist. Und auf der anderen Seite eben diese Website.
Es geht zum Beispiel darum, was kann man in Chemnitz sehen, erleben, also Orte besuchen, die einem vor allem optisch, visuell, auditiv was bieten. Es geht um das Mitmachen als eine Klassifikation, also welche Orte sind für Handwerk, fürs Anpacken, für Selbermachen mitgedacht. Es geht um das Tauschen und Teilen vom Bücherschrank eben über auch Foodsharing-Netzwerk und Co. über Essen und Trinken. Welche kleinen Orte gibt es, die einem vielleicht als eine Nachbarschaftskneipe interessieren?
Und Co. was mit anbieten. Und dann schauen wir, wie können wir diese Orte auch noch, was Barrierefreiheit betrifft, Zugangsmöglichkeiten noch mit markieren. Wo findet man Trinkwasserorte in Chemnitz und so weiter und so fort. Es geht im Prinzip vom Stadtpark bis hin zum Gemeinschaftsgarten über die Galerie nach verschiedenen Klassifikationen aussuchbar, über die man sich da durchnavigieren kann, je nachdem, was gerade das Bedürfnis ist.
Zum Schluss, Octavio Gulde, vielleicht erklären Sie uns auch nochmal, was Ihrer Ansicht nach das Wichtigste ist, wenn man allein oder zu mehreren sozusagen ins Machen kommen möchte. Machen statt meckern ist ja unser Motto.
Das Wichtigste aus meiner Sicht oder die Wurzel meiner Motivation, wenn ich das so versuche zu greifen, ist es, dass ich Spaß und Interesse an Sachen habe. Und aus diesem Spaß heraus, den man übertragen kann, mit großen Augen auf Dinge gucken und daraus was Neues mitnehmen, was ausprobieren, was lernen können, in einem spielerischen, vielleicht auch geschützten Rahmen. Und das ist der erste Schritt hin zu machen, mit einem positiven Erleben und reingehen können.
Octavio Gulde war das von Bordstein Lobby e.V. Inzwischen arbeitet er auch mit beim Projekt für die Kulturhauptstadt Europas in Chemnitz. Und über all diese Aktivitäten gab er Auskunft in unserer Themenreihe Machen statt Meckern. Das Gespräch haben wir am Jahresende 24 aufgezeichnet. Ich empfehle jetzt noch nach uns Kultur heute. Und am Mikrofon der Kulturfragen war Karin Fischer.